Die ausgefrorene freie Energie des Sherrington–Kirkpatrick– Modells1 Vorbemerkung In der Statistischen Physik k¨ onnen magnetische Materialien als System von miteinander wechselwirkender Elementarmagneten, sogenannter Spins, beschrieben werden. Im einfachsten Fall wird dabei ein Spin durch eine zweiwertige Variable, im Folgenden mit dem Wertebereich {−1, 1}, modelliert. Der Zustand in dem sich ein aus N ∈ N Spins bestehendes System befindet, ist daher durch die Werte der N Spinvariablen S = (S1 , . . . , SN ) ∈ {−1, 1}N bestimmt. Man bezeichnet S als die Spinkonfiguration des Systems. Ein konkretes Modell wird nun durch die Angabe einer Energie- oder Hamilton–Funktion HN : {−1, 1}N → R charakterisiert, welche jeder Spinkonfiguration einen Energiewert zuordnet. Weiter ist mit dieser die (spezifische)2 freie Energie eines Systems, das sich im thermodynamischen Gleichgewicht mit einem W¨armebad der Temperatur (kB β)−1 > 0 befindet (kB > 0 ist die Boltzmann–Konstante), durch den Ausdruck fN (β) := −
1 ln ZN (β) , βN
gegeben, wobei ZN (β) die sogenannte Zustandssumme X ZN (β) := exp [−βHN (S)]
(1)
(2)
{S}
bezeichnet. Die Summe in der Definition ist dabei als Summe u ¨ber alle 2N SpinkonfiguraN tionen S ∈ {−1, 1} zu verstehen. Da das Interesse in der Statistischen Physik vor allem großen, d. h. makroskopischen Systemen gilt, wird die freie Energie im sogenannten makroskopischen (oder thermodynamischen) Limes f (β) := lim fN (β) (3) N →∞
betrachtet. Dessen Existenz ist allerdings apriori nicht sicher und muß f¨ ur ein gegebenes System erst bewiesen werden. Die (makroskopische) freie Energie ist in der Thermodynamik von zentraler Bedeutung, da es m¨ oglich ist, aus ihr alle thermodynamisch relevanten Gr¨oßen eines Systems zu gewinnen.
Das Sherrington–Kirkpatrick–Modell Im Jahre 1975 schlugen Sherrington und Kirkpatrick zur Beschreibung bestimmter magnetisch ungeordneter Materialien (sogenannter Spingl¨aser ) das folgende, sp¨ater nach ihnen 1
c 2010 Rainer Ruder und Wolfgang Spitzer. Alle Rechte vorbehalten. Copyright Das Attribut spezifisch“ bedeutet, das eine thermodynamische Gr¨ oße in Bezug zur Systemgr¨ oße gesetzt ” wird. Dies entspricht in der Definition der spezifischen freien Energie hier dem Faktor 1/N . Da hier jedoch stets die spezifische freie Energie betrachtet wird, wird im weiteren spezifisch“ nicht mehr explizit genannt. ” 2
1
benannte, Modell vor: 1 HN (S) := − √ N
X
Jij Si Sj ,
1≤i 0, u ¨ berhaupt existiert. Im Gegensatz dazu ist der Mittelwert der Zustandssumme eine viel einfachere Gr¨oße und die damit definierte ausgeheilte oder ausgefrorene freie Energie, −
1 ln E ZN (β) , βN 2
(7)
kann sogar leicht explizit berechnet werden. Ein- und ausgefrorene freie Energie sind im allgemeinen verschieden und es besteht aufgrund der Jensen–Ungleichung folgender Zusammenhang: 1 1 E[ln ZN (β)] ≥ − ln E[ZN (β)]. (8) E[fN (β)] = − βN βN Es kann allerdings gezeigt werden, daß f¨ ur hohe Temperaturen (β < 1) die ausgefrorene freie Energie mit der eingefrorenen im makroskopischen Limes u ¨ bereinstimmt. Dies soll im n¨achsten Abschnitt bewiesen werden.
Die Hochtemperaturphase des SK–Modells Im Jahre 1987 erschien eine Arbeit von Aizenman, Lebowitz und Ruelle, in der diese u. a. zeigen konnten, daß f¨ ur hohe Temperaturen im makroskopischen Limes die freie Energie des SK–Modells gegen dessen ausgefrorene freie Energie konvergiert. Da sich diese zudem leicht berechnen l¨ aßt, war damit die freie Energie des SK–Modells in der Hochtemperaturphase explizit bestimmt. THEOREM (Aizenman–Lebowitz–Ruelle, 1987). F¨ ur β < 1 gilt f (β) = −
β 1 1 1 lim ln E[ZN (β)] = − − ln 2 . β N →∞ N 4 β
(9)
Es sei vorab bemerkt, daß der nachstehende Beweis des Theorems zum einen nicht in allen Details vollst¨ andig ausgef¨ uhrt wird, sondern nur die wesentliche Beweisidee skizziert, zum anderen diese nicht die urspr¨ ungliche Beweisidee aus der Originalarbeit von Aizenman, Lebowitz und Ruelle darstellt. Beweis des Theorems. Wir beginnen damit, die zweite Gleichheit in (9) zu zeigen und rechnen hierf¨ ur den Mittelwert der Zustandssumme aus: X E[ZN (β)] = E exp − βHN (S) (10) {S}
=
X
exp
X
exp
{S}
=
{S}
= 2N exp
β2 2 E HN (S) 2
β2 4
(N − 1)
β 2 (N − 1) , 4
wobei in (11) verwendet wurde, daß f¨ ur eine zentrierte gaußsche Zufallsvariable X a2 E exp (aX) = exp E X2 , a ∈ R , 2
gilt (siehe Anhang 1). Nach Logarithmieren und Multiplikation mit −1/(βN ), 1 1 1 β − 1− ln E[ZN (β)] = − ln 2 − βN β 4 N 3
(11) (12) (13)
(14)
(15)
folgt die Behauptung durch Limesbildung N → ∞. Um die erste Gleichheit in (9) zu beweisen, bedienen wir uns der sogenannten Methode des zweiten Moments, die im Anhang 2 n¨ aher erl¨autert wird. Nach dieser ist es m¨oglich, falls 2 ] durch das Quadrat des ersten E[Z ] 2 multiplizert mit einer das zweite Moment E[ZN N von N unabh¨ angigen Konstanten C(β) > 0 beschr¨ankt werden kann, auf die Wahrscheinlichkeitsaussage i h 1 1 β >0 (16) P fN (β) ≤ − − ln 2 ≥ 4 β 4C(β)
zu schließen. Um zu verstehen, inwiefern mit Hilfe der Ungleichung (16) das Theorem bewiesen werden kann, bemerken wir zun¨ achst, daß wegen (8) und (15) −
β 1 − ln 2 ≤ E[fN (β)] 4 β
gilt. Veranschaulichen wir uns die Lage der drei Gr¨oßen fN (β), E[fN (β)] und − β4 − auf der reellen Achse:
(17) 1 β
ln 2
Aufgrund der Selbstmittelung der freien Energie (5) (die wir als bewiesen voraussetzen wollen), konvergieren fN (β) und E[fN (β)] im makroskopischen Limes gegeneinander. Da nun − β4 − β1 ln 2 mit nicht-verschwindender Wahrscheinlichkeit, unabh¨angig von N , zwischen fN (β) und E[fN (β)] liegt, m¨ ußen alle drei Gr¨oßen im makroskopischen Limes zusammenfallen. Wir wollen es bei dieser Beweisskizze belassen, die Details nicht n¨aher ausf¨ uhren und uns vielmehr der Frage widmen, ob die Voraussetzung der Methode des 2. Moments erf¨ ullt ist, d. h. ob eine (endliche) von N unabh¨ angige Konstante C(β) existiert, f¨ ur die h i 2 2 E ZN (β) ≤ C(β) E[ZN (β)] (18) 2 gilt. Berechnen wir zun¨ achst das zweite Moment E[ ZN (β) ]. Unter erneuter Verwendung von (14) ergibt sich h XX h i 2 i ˆ (19) E ZN (β) = E exp − β HN (S) + HN (S) ˆ {S} {S}
=
X
ˆ {S},{S}
exp
β2 2
ˆ 2 E HN (S) + HN (S)
β 2 (N − 1) X ˆ . exp β 2 E HN (S)HN (S) = exp 2 ˆ {S},{S}
4
(20)
(21)
2 Ein Vergleich mit (15) zeigt, daß sich der erste Faktor zu 2−2N E[ZN (β)] ergibt. Es bleibt daher zu zeigen, daß der zweite Term endlich ist. Hierf¨ ur betrachten wir zun¨achst den Erwartungswert im Exponenten: i X 1 h X ˆ E (22) Jij Jℓm Si Sj Sˆℓ Sˆm E HN (S)HN (S) = N 1≤i