Die Ausbildung der Psychotherapie ist neu zu regeln

„Die Ausbildung der Psychotherapie ist neu zu regeln.“ Dr. Klaus Schulte, Beauftragter im ÖAGG für die Gründung einer Privatuniversität Das „Arbeitsp...
Author: Paula Feld
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„Die Ausbildung der Psychotherapie ist neu zu regeln.“ Dr. Klaus Schulte, Beauftragter im ÖAGG für die Gründung einer Privatuniversität

Das „Arbeitsprogramm der österreichischen Bundesregierung 2013-2018“ (https://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=53264, heruntergeladen am 14.8.14) nennt folgende Ziele für die Gesundheitspolitik der aktuellen Legislaturperiode: o

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„Flächendeckende und wohnortnahe Versorgung mit Gesundheitsleistungen unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht, Herkunft und Gesundheitszustand in bestmöglicher Qualität sicherstellen und die Gesundheitsreform über das Jahr 2016 fortführen.“ (S. 57) „Das Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber: Gesundheitsberufe versorgungsorientiert ausrichten und attraktiver gestalten.“ (S.58) „Rahmen-Gesundheitsziele und »Health in All Policies« umsetzen, berufs- und zielgruppenspezifische Prävention und Gesundheitsförderung als Leitgedanken etablieren.“ (S.58) „Gesundes Aufwachsen – Kinder- und Jugendgesundheit.“ (S.59)

Als eine der angekündigten Maßnahmen findet die Psychotherapie Erwähnung: „die Ausbildung der Psychotherapie ist neu zu regeln.“ Sie findet sich als Maßnahme für das zweite Ziel, eine versorgungsorientierte Ausrichtung des Gesundheitswesens. Andere Maßnahmen beziehen sich auf die Zusammenarbeitsmöglichkeiten der Gesundheitsberufe, Reformen der Pflege- und ärztlichen Ausbildungen, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Gesundheitsberufen usw. Die Zielformulierung ist sehr allgemein. Wenn wir uns aber die Maßnahmen unter diesem Ziel anschauen, wird klar, was gemeint ist: die Qualität der vom medizinischen, pflegerischen und psychotherapeutischen Personal abgelieferten Arbeit soll verbessert werden. Ein wesentlicher Hebel dafür ist die Reform der Ausbildungen. Die geplante Gesetzesnovelle führt damit eine Politik der Qualitätsentwicklung fort, die das Gesundheitsministerium schon im bestehenden gesetzlichen Rahmen verfolgt. Neben dem Psychotherapiebeirat ist der organisatorische Hebel dafür die „Gesundheit Österreich GmbH (GÖG)“, deren alleiniger Gesellschafter das Bundesministerium für Gesundheit ist. Sie hat eine „Koordinationsstelle Psychotherapieforschung“ eingerichtet und möchte die Qualität der Psychotherapie sowie die Stellung der Berufsgruppe im Gesundheitssystem verbessern. Da die öffentliche Hand kein Geld für die Psychotherapieforschung bereitstellt, kann die GÖG nur die Fachspezifika zu Forschung „motivieren“, als Plattform für deren Kooperation mit Universitäten fungieren und Tagungen zum Thema veranstalten. Allerdings sind die Universitäten an Forschung scheinbar mehr interessiert als die Fachspezifika. Der Grund ist einleuchtend: die Praktiker scheuen eine Beschreibung und Beurteilung von außen, d.h. von Nicht-Therapeuten. Fazit: wir PsychotherapeutInnen sind gefordert nachvollziehbar zu erklären, o o o

wie wir die Qualität unserer Arbeit sichern, wie wir unsere Methoden weiterentwickeln und wie ein für uns passender Platz im Gesundheitssystem beschaffen sein sollte.

Schlagwort „Akademisierung“ Die naturwissenschaftliche Annäherung an die Natur hat uns reich gemacht und den Planeten nachdrücklich verändert. Wir blicken zurück auf eine Erfolgsgeschichte, die ebenso große Herausforderungen für die Menschheit geschaffen hat. Und auch diese gehen wir mit den Instrumentarien der Naturwissenschaften an. Lieferten früher Religion und Philosophie die gängigen Erklärungsmodelle, haben heute die Naturwissenschaften diesen ideologischen Platz eingenommen. Entsprechend werden alle wichtigen Tätigkeiten „verwissenschaftlicht“ und „akademisiert“. Damit einher geht häufig eine „Vernaturwissenschaftlichung“. Es fragt sich, ob das in jedem Fall zu einem Zuwachs an echtem Wissen führt. So erscheinen vielen die Ergebnisse der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie häufig trivial. Die Ökonomie versagt in der Königsdisziplin jeder Naturwissenschaft, der Vorhersage. Die Sozialwissenschaften und die Politologie haben uns nicht vor gesellschaftlichen Krisen bewahrt… Es überrascht nicht, dass viele KollegInnen unzufrieden sind mit einem Trend zur Akademisierung, der vielfach als „Vernaturwissenschaftlichung der Psychotherapie“ verstanden wird, was auf eine Abschaffung derselben hinausläuft. In der derzeitigen Praxis scheinen akademische Forschung und die Praxis der Psychotherapie unverbunden nebeneinander zu existieren… Denkbar ist allerdings auch eine Akademisierung, die eine Chance für die Psychotherapie darstellt. Psychotherapeutische Praxis ist in diesem Fall die Anwendung einer eigenständigen Wissenschaft. Psychotherapie ist ein eigenständiges Angebot im Gesundheitssektor, das sich grundsätzlich vom medizinischen und psychologischen Angebot unterscheidet. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Wissenschaft zu entwickeln, zu forschen und zu lehren. Für den Praktiker wären die Ergebnisse dieser Wissenschaft von der gleichen praktischen Relevanz wie es die medizinische Forschung für die Ärzteschaft ist.

Wissenschaft des Dialogs nach Gottfried Fischer In den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Konzeptualisierung der Psychotherapiewissenschaft stellt Fischer den Dialog und nimmt dabei Bezug auf die Mäeutik der griechischen Philosophie. Menschliches Denken, Fühlen und Handeln lässt sich ebenso wie die menschliche Entwicklung nicht mithilfe von Naturgesetzen erschöpfend wissenschaftlich beschreiben. Als „intentionales Wesen“ steht der Mensch außerhalb einer deterministisch verstandenen Natur und ihren Gesetzen. Dementsprechend ist Psychotherapie die „Wissenschaft von bewusster und unbewusster Intentionalität (…), die in einer intentionalen Einstellung betrieben wird.“ (Fischer 2008, S.40) Fischer ignoriert keineswegs die biologische Natur des Menschen neben seiner geistigen. Die „Subjektive Biologie“ sieht er als Grundlagenfach der Psychotherapiewissenschaft. Versucht die „objektive Biologie“ das Leben als Produkt physikalischer und chemischer Prozesse zu erklären (vermittelt über Biophysik und Biochemie), erklärt die „subjektive Biologie“ intrasomatische Strukturen und Prozesse über den Umweltbezug. Dementsprechend liefert sie ökologische und intentionale Erklärungen (Fischer 2008, S.46ff). In einem Fallbeispiel verdeutlicht Fischer den Wert dieses Ansatzes für eine psychosomatische Problemstellung. (Fischer 2008, S.49ff) Dieser ökologisch-biologische Ansatz erfährt seine „natürliche“ Fortsetzung in der Entwicklungspsychologie Piagets. „‘Assimilation‘ beruht auf der logischen Binnenstruktur des Schemas und ist Voraussetzung für binnenregulierte Veränderungsprozesse.“ (Fischer 2008, S.75) Die Piaget’sche Psychologie lehrt uns, dass selbstgesteuerte Veränderung oder Veränderung durch (unbewusste) Einsicht von den ersten Lebenstagen an erfolgt.

Dialektisch-ökologisches Denken in der Psychotherapie In der Krankheitslehre genauso wie in der Salutogenese stehen wir vor der Aufgabe, die Entwicklung eines Menschen aus seinem Umfeld und seiner Subjektivität heraus zu verstehen. In einem rein ökologischen Denken wäre das Individuum ein Produkt seiner Umgebung. In einer Absolutierung des Subjekts würden wir von den konkreten Bedingungen, unter denen das Individuum sich entwickelt hat, absehen. Das dialektisch-ökologische Denken „versteht subjektive Konstellationen von ihrem objektiven Kontext her und Veränderungen der Objektivität als Folge ihrer Aufhebung durch das erlebende und handelnde Subjekt.“ (Fischer 2008, S.222) Symptome sind nicht „Dysfunktionalitäten“ sondern Ergebnisse eines komplexen kreativen Prozesses. Vorgefundene Einflüsse wie Über- oder Untersozialisation, biologische Faktoren oder Traumatisierungen (Ätiologie) fordern das Individuum heraus, das seinerseits Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien entwickelt (Patho- und Salutogenese). Das beobachtbare Ergebnis, die Symptome, sind Resultat eines persönlichen Prozesses der Auseinandersetzung mit vorgefundenen Bedingungen und keine wie immer geartete „Fehlfunktion“. Konsequenterweise fordert Fischer eine Therapie, die sich nach Ätiologie und Pathogenese richtet. (Fischer 2011, S.99) Psychotherapie basiert auf dem therapeutischen Dialog. Gemeinsam werden die bisherigen Bewältigungsstrategien angeschaut, verstanden und möglicherweise modifiziert. Hier liegt der Unterschied zum Training und pädagogischen Ansätzen: die Therapeutin wendet kein Programm auf den Patienten an, sondern entwickelt gemeinsam mit ihm den weiteren Entwicklungsweg. Dies schließt Trainingsaspekte im Rahmen der Therapie nicht aus. Sie sind aber eingebettet in den dialogischen Prozess.

Forschungsmethode Der psychotherapeutische Prozess kann natürlich mit unterschiedlichen Methoden und damit nach unterschiedlichen wissenschaftlichen Konzepten beforscht werden. Es gibt eine fruchtbare Wirksamkeitsforschung, aber auch medizinisch- biologische, soziologische, gesundheitsökonomische oder auch kulturwissenschaftliche Forschungen. Was aber könnte die originär psychotherapiewissenschaftliche Forschungsmethode sein? Anders als in den naturwissenschaftlich orientierten Disziplinen wie Medizin und Psychologie gibt es noch kein wissenschaftliches Paradigma für die Psychotherapie. Wir folgen Fischer in seinem Vorschlag, die psychotherapiewissenschaftliche Forschung als heuristische, induktive Forschung zu definieren. Diese Forschungsrichtung reflektiert die psychotherapeutische Situation, in der es um die persönliche Entwicklung einer oder mehrerer Personen im Dialog geht. Leidenszustände werden in der Psychotherapie nicht reduziert auf ein organisches Substrat. Das ist die Domäne der Psychiatrie. Es werden aber auch keine deterministisch verstandenen Ursachen der Leidenszustände identifiziert. Das ist die Methode der naturwissenschaftlich orientierten Lernpsychologie. Dementsprechend wenig aussagekräftig sind RCTs – Randomized Controled Trials im Bereich der Psychotherapie. Dieser „Goldstandard medizinischer Forschung“ abstrahiert vom Einzelfall, um frei von zufälligen Verzerrungen die Wirksamkeit eines Medikaments zu überprüfen. Wie problematisch dieses Verfahren schon in der Medizin ist, beschreibt Fischer am Beispiel des Contergan-Falles (Fischer 2011, S.123ff). In der Psychotherapie untersuchen wir Leidenszustände als Ergebnisse einer aktiven Auseinandersetzung der betroffenen Person mit ihrer vorgefundenen sozialen, biologischen und

physischen Umwelt. Wie schon erwähnt sprechen wir von der „Erforschung intentionaler Systeme in einer intentionalen Einstellung“. Persönliche Leidenszustände sind somit „persönliche Angelegenheiten“, die sich nicht als Ergebnis allgemeiner Gesetzmäßigkeiten verstehen lassen. Der im Folgenden vorgestellte Lehrgang zur psychotherapeutischen Forschung o o o o

möchte einen Beitrag leisten zur methodenübergreifenden Weiterentwicklung psychotherapeutischer Qualität, soll Psychotherapeutinnen zur Durchführung von Forschungsprojekten ermächtigen, die eine Weiterentwicklung aller psychotherapeutischen Methoden ermöglichen, bereitet methodisch die Gründung einer Privatuniversität vor, die ein Direktstudium der Psychotherapie anbieten wird, soll als Beitrag für eine Akademisierung verstanden werden, die gute psychotherapeutische Praxis auf eine akademische Stufe hebt.

Lehrgang Forschung im Kontext der Praxis Der ÖAGG bietet den Lehrgang „Forschung im Kontext der Praxis“ unter der Leitung von PD Dr. phil. Rosmarie Barwinski an. Sie hat bei Gottfried Fischer habilitiert mit der Arbeit „Traumabearbeitung in psychoanalytischen Langzeitbehandlungen: Einzelfallstudie und Fallvergleich auf der Grundlage psychotraumatologischer Konzepte und Modelle“ (Barwinski 2005). In dieser Arbeit legt sie Einzelfallstudien vor und vergleicht sie, um ein integrierendes Modell der Traumatherapie zu entwickeln. Als Folge dieses Lehrgangs wünschen wir uns wissenschaftlich fundierte Einzelfallstudien als Abschlussarbeiten in allen Fachspezifika, um unseren Berufsstand insgesamt zu stärken. Ein entsprechendes Konzept wird im Lehrgang vorgestellt. Dieser Ansatz wird auch der wissenschaftliche Kern des vom ÖAGG angestrebten Direktstudiums der Psychotherapie sein. Der Lehrgang ist nicht an einer bestimmten psychotherapeutischen Schule orientiert. Die Module im Einzelnen:

Theorie 1. Logik der Psychotherapie: dialektisch-ökologisches Denken in der Psychotherapie o o o

Das „Dialektische Veränderungsmodell“ Fallkonzeptualisierung und Behandlungsplanung nach dem „Dialektischen Veränderungsmodell“ Polyätiologische Therapieplanung

2. Methodik und Anwendungsforschung o o

Methoden und Wissenschaftsbegriff der Psychotherapie im Vergleich mit ihren Nachbardisziplinen „experimentelle Psychologie“ und „biologische Psychiatrie“ Methoden der Psychotherapieforschung − − − −

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Kritische Übersicht über Ansätze und aktuellen Stand der Psychotherapieforschung Systematische und vergleichende Fallstudien Experimentelle Wirkungsforschung Naturalistische Korrelationsforschung und Feldforschung

Multimethodale Absicherung von Ergebnissen: das Konvergenzprinzip Möglichkeiten der Vernetzung qualitativer und quantitativer Datenverarbeitung

3. Methodologie qualitativer Forschung

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Was versteht man unter qualitativer Forschung? Paradigmatische Gemeinsamkeiten qualitativer Forschungsansätze Gütekriterien in der qualitativen Forschung

4. Ablaufplan eines Forschungsprojekts o o o o

Datenerhebung Datenaufbereitung Datenauswertung Induktive Operationen: Interpretation und Ermitteln von Regelhaftigkeiten

Methodologie der Psychotherapieforschung 5. Einführung in qualitative Forschungsmethoden an praktischen Beispielen o o o o o

Qualitative Interviews – zur Transkription von Gesprächen Qualitative Inhaltsanalyse Textanalyse in der Grounded Theory Tiefenhermeneutik Hermeneutischer Exklusionismus

6. Psychotherapieforschung und Dokumentation: Qualitätssicherung in der Psychotherapie o

Möglichkeiten der Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis illustriert am Beispiel des Kölner Dokumentationssystems für Psychotherapie und Traumabehandlung.

Eigene Forschung 7. Praxisbegleitete Erforschung psychotherapeutischer Interventionen o o

Präsentation eigener Forschungskonzepte Evaluation und Nachbesserung des Indexes und Präzisierung des Konzepts

Organisation des Lehrgangs Zielgruppe: (Lehr-)PsychotherapeutInnen, PsychotherapeutInnen i.A.u.S., prozessorientierte BeraterInnen Umfang: 36 Stdn. Präsenzzeit + eigenes Projekt Ort: Wien Termine: 15./ 16. Mai 2015 11./12. September 2015 16./17. Oktober 2015 Ort: Wien Kosten: 750.Anmeldung: Claudia Fellner, [email protected]

Barwinski, Rosmarie: Traumabearbeitung in psychoanalytischen Langzeitbehandlungen. Einzelfallstudie und Fallvergleich. Asanger 2005

Fischer, Gottfried: Logik der Psychotherapie. Philosophische Grundlagen der Psychotherapiewissenschaft. Asanger 2008 Fischer, Gottfried: Psychotherapiewissenschaft. Einführung in eine neue humanwissenschaftliche Disziplin. Psychosozial-Verlag 2011