Die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit und daraus folgende Konsequenzen

1 Dagegen handelt es sich um Tarifpluralität, wenn in einem Betrieb für verschiedene Arbeitnehmer verschiedene Tarifverträge normativ nebeneinander g...
Author: Julius Kneller
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Dagegen handelt es sich um Tarifpluralität, wenn in einem Betrieb für verschiedene Arbeitnehmer verschiedene Tarifverträge normativ nebeneinander gelten2. Hierbei wird also auf die Verhältnisse im Betrieb und nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer abgestellt. Zu Tarifpluralität kann es grundsätzlich in zwei Konstellationen kommen. Historisch entstanden zunächst Industriegewerkschaften und mithin entstand Tarifpluralität in aller Regel nur in Mischbetrieben, d. h. in solchen Betrieben, welche verschiedene Betriebszwecke verfolgen. Infolge des zunehmenden Wettbewerbs von Gewerkschaften untereinander konkurrieren Gewerkschaften heutzutage vermehrt auch innerhalb eines sachlichen Tarifgebiets.

Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Nebeling und wiss. Mit. Sarah Gründel, Düsseldorf*

Die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit und daraus folgende Konsequenzen Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage der Notwendigkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit und den Konsequenzen seiner Außerachtlassung, insbesondere im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung zu Spartengewerkschaften und den Möglichkeiten einer einstweiligen Verfügung gegen Streikmaßnahmen.

Beispiel: In einem Betrieb hat der Arbeitgeberverband, in welchem der Arbeitgeber Mitglied ist, sowohl mit Gewerkschaft X, der die Arbeitnehmer A-E angehören, als auch mit der Gewerkschaft Y, der die Arbeitnehmer F-K angehören, einen Tarifvertrag geschlossen. In diesem Fall finden im Betrieb verschiedene Tarifverträge für verschiedene Mitarbeiter Anwendung.

I. Einleitung Die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit kann zu fragwürdigen Ergebnissen führen. So kann für einen tarifgebundenen Arbeitnehmer der Tarifvertrag seiner Gewerkschaft verdrängt werden, während er für den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer bei individualvertraglicher Vereinbarung weiterhin gilt.

Die Frage, welche Gewerkschaft überhaupt einen Tarifvertrag mit einem Arbeitgeberverband oder einem einzelnen Arbeitgeber schließen darf, richtet sich nach deren Tarifzuständigkeit. Diese können die Berufsverbände selbständig in ihrer Satzung als Organisationsbereich festlegen3. Stimmen der Arbeitsbereich des Unternehmens oder die Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbands mit der Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft überein, so können die Beteiligten einen Tarifvertrag abschließen. Durch die selbständige Festlegung des Organisationsbereichs kann es zu konkurrierender Zuständigkeit zweier Gewerkschaften kommen.

Beispiel: Der nicht tarifgebundene Arbeitnehmer A bezieht in seinem Arbeitsvertrag den Tarifvertrag I ein, so dass dieser individualvertraglich für ihn Anwendung findet. Für den tarifgebundenen Arbeitnehmer B gilt dieser Tarifvertrag nur kollektivrechtlich. Nun arbeiten diese Arbeitnehmer aber in einem Betriebszweig, der nicht den Hauptzweck des Betriebs darstellt, der Tarifvertrag I wird nach dem Grundsatz der Tarifeinheit vom sachnäheren Tarifvertrag II verdrängt.

2. Zustandekommen von Tarifkonkurrenz

Konsequenz: Für den nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer A gilt der Tarifvertrag I de facto weiterhin, für den tarifgebundenen Arbeitnehmer B hingegen gilt der Tarifvertrag nicht.

Tarifkonkurrenz erfordert, dass der einzelne Arbeitnehmer selbst, wie auch der Arbeitgeber, an verschiedene Tarifverträge gebunden ist, und somit auf ein Arbeitsverhältnis mehrere Tarifverträge Anwendung finden. Die Gründe, die zur Entstehung von Tarifkonkurrenz führen, lassen sich in vier Gruppen einteilen:

II. Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität im Betrieb

a) Allgemeinverbindlicherklärung. Zunächst kann Tarifkonkurrenz

Ein Tarifvertrag gilt in einem Arbeitsverhältnis bei Tarifgebundenheit sowohl des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers (§ 3 I TVG) und bei Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags (§ 5 IV TVG) kollektivrechtlich. Grundsätzlich findet danach nur ein Tarifvertrag auf einen Arbeitnehmer Anwendung. Rechtliche wie praktische Schwierigkeiten entstehen aber, wenn in einem Betrieb nicht ein Tarifvertrag für alle Arbeitnehmer gilt, sondern verschiedene Tarifverträge Anwendung finden.

entstehen, wenn ein Tarifvertrag kraft Tarifbindung sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer gilt, jedoch ein anderer, sachlich ebenfalls einschlägiger Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird (§ 5 I TVG). Auch der allgemeinverbindliche Tarifvertrag ist grundsätzlich auf die Arbeitsverhältnisse anwendbar. b) Privatautonomie des Arbeitgebers. Eine weitere Konstellation der Tarifkonkurrenz ist es, wenn der Arbeitgeber trotz eines schon bestehenden Verbandstarifvertrags mit derselben Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag abschließt. In diesem Fall gelten für die Mitglieder der Gewerkschaft sowohl der Verbands- als auch der Firmentarifvertrag. Weiterhin kann Tarifkonkurrenz entstehen, wenn der Arbeitgeber freiwillig verschiedenen Arbeitgeberverbänden beitritt, welche jeweils eigene Tarifverträge mit einer Gewerkschaft, der die Arbeitnehmer angehören, abgeschlossen haben.

1. Definition Bei der Geltung verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb sind zunächst zwei Fallgestaltungen voneinander zu unterscheiden. Zum einen kann es in einem Betrieb zu Tarifkonkurrenz, zum anderen zu Tarifpluralität kommen. Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn für ein einzelnes Arbeitsverhältnis verschiedene Tarifverträge gelten1.

c) Privatautonomie des Arbeitnehmers. Letztlich kann auch ein Arbeitnehmer für ihn geltende Tarifkonkurrenz herbeiführen. Tritt er mehreren Gewerkschaften bei, welche jeweils einen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeber oder seinem Verband abgeschlossen haben, so finden die verschiedenen Tarifverträge grundsätzlich auf den Arbeitnehmer Anwendung. Da der Arbeitgeber stets Partei eines Tarifvertrags sein kann, kann er den erzwungenen Abschluss verschiedener Tarifverträge mit verschiedenen Gewerkschaften nicht verhindern.

Beispiel: Arbeitnehmer A gehört einer Gewerkschaft an, die einen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband, welchem der Arbeitgeber angehört, geschlossen hat. Der Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft, in dessen Anwendungsbereich Arbeitnehmer A ebenfalls fällt, wird für allgemeinverbindlich erklärt. In diesem Fall gelten für den Arbeitnehmer A sowohl der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag, wie auch der Tarifvertrag „seiner“ Gewerkschaft.

* Die Autoren sind in der Kanzlei Bird & Bird in Düsseldorf tätig. 1 BAG (5. 9. 1990), NZA 1991, 202 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; BAG (23. 3. 2005), NZA 2005, 1003; LAG Sachsen (2. 11. 2007), NZA 2008, 59.

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BAG, NZA 1991, 202 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; LAG Sachsen, NZA 2008, 59. 3 BAG (14. 11. 2001), NZA 2002, 1049; Oetker, in: Wiedemann, TVG, 7. Aufl. (2007), § 2 Rdnr. 62.

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d) Betriebliche, bzw. betriebsverfassungsrechtliche Normen. Letztlich kann Tarifkonkurrenz auf Grund der Regelung des § 3 II TVG entstehen. Danach kann es auch bei der Bindung des Arbeitnehmers an nur einen Tarifvertrag zu Tarifkonkurrenz kommen, wenn der Arbeitgeber in Bezug auf betriebliche, bzw. betriebsverfassungsrechtliche Normen an mehrere Tarifverträge gebunden ist, diese gelten für alle Betriebe des Arbeitgebers.

Auch im zweiten Fall ist den Konsequenzen, welche das BAG zieht, nämlich den Grundsatz der Tarifeinheit nicht anzuwenden, durchaus zuzustimmen. Auch die Begründung, dass den Arbeitgeber die Beseitigungslast trifft, dass heißt die Geltung einheitlicher Regelungen im Betrieb davon abhängig ist, dass der Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern andere Vereinbarungen i. S. des § 4 V TVG trifft, ist so richtig und von der gesetzlichen Regelung bezweckt. Schwer nachzuvollziehen ist jedoch der Ansatzpunkt des BAG, wenn es nur den Begriff der Tarifpluralität ablehnt, um den Grundsatz der Tarifeinheit nicht anwenden zu müssen. Denn die nachwirkenden Regelungen wirken weiterhin als Rechtsnormen auf das Arbeitsverhältnis ein und verlieren lediglich ihre zwingende Wirkung, so dass Tarifpluralität vorliegt.

3. Zustandekommen von Tarifpluralität Voraussetzung für das Zustandekommen von Tarifpluralität ist es, dass zwar der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge gebunden ist, für den einzelnen Arbeitnehmer hingegen nur ein Tarifvertrag maßgeblich ist.

III. Der Grundsatz der Tarifeinheit

a) Arbeitgeberverband schließt verschiedene Tarifverträge ab. Schließt der Arbeitgeberverband, dem der Arbeitgeber angehört, mit verschiedenen Gewerkschaften Tarifverträge ab und gelten diese nach ihrem sachlichen Geltungsbereich in einem Betrieb des Arbeitgebers, so sind auf diesen Betrieb zunächst verschiedene Tarifverträge anwendbar. Gehören nun die Arbeitnehmer unterschiedlichen Gewerkschaften an und findet somit für einen Teil der Belegschaft der eine Tarifvertrag und für den anderer Teil der Belegschaft ein anderer Tarifvertrag Anwendung, so liegt Tarifpluralität vor. Ist ein Betrieb beispielsweise sowohl für die Erstellung einer Zeitung, als auch deren Druck zuständig, so kann im Betrieb sowohl der Tarifvertrag für Redakteure als auch der Tarifvertrag der Druckindustrie gelten. Indessen gilt für den Arbeitnehmer zunächst der Tarifvertrag der Gewerkschaft, welcher er angehört.

1. Definition / Anwendungsbereich Zur Auflösung des Problems der Tarifkonkurrenz und der Tarifpluralität hatte das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit entwickelt. Zum einen schloss der Grundsatz der Tarifeinheit aus, dass ein Arbeitsverhältnis von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen geordnet wird. Zum andern besagte der Grundsatz der Tarifeinheit, dass alle Arbeitsverhältnisse in einem Betrieb grundsätzlich nach demselben Tarifvertrag geordnet werden6. Standen sich mehrere Tarifverträge in Pluralität oder Konkurrenz gegenüber, so sollte derjenige auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, der der speziellere sei, also dem Betrieb in räumlicher, betrieblicher, fachlicher und persönlicher Ausrichtung am nächsten stehe und deshalb den Erfordernissen des Betriebs am ehesten gerecht werde7. Dabei waren stets Firmentarifverträge als die spezielleren gegenüber Verbandstarifverträgen anzusehen8.

b) Gewillkürte Tarifpluralität durch den Arbeitgeber. Tarifpluralität kann auch vom Arbeitgeber beabsichtigt und durch seine Handlungsweise erst hervorgerufen werden. Gehört beispielsweise der Arbeitgeber mehreren Arbeitgeberverbänden an, die jeweils einzeln mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften Tarifverträge geschlossen haben, so liegt Tarifpluralität vor. Gehören die Arbeitnehmer zwar unterschiedlichen, aber nur jeweils einer Gewerkschaft an, so entsteht Tarifpluralität. Somit kann der Arbeitgeber das Entstehen von Tarifpluralität beeinflussen.

Einen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösenden Fall der Tarifkonkurrenz nahm das BAG auch dann an, wenn ein Tarifvertrag mit einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zusammentraf9. Auch hier sei der sachnähere Tarifvertrag anzuwenden. Dies führte dazu, dass ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag in der Regel von einem spezielleren Firmentarifvertrag verdrängt wurde10.

c) Konkurrenz zwischen allgemeinverbindlichem Tarifvertrag und Verbandstarifvertrag, dem nur der Arbeitgeber angehört. Letztlich entsteht Tarifpluralität, wenn ein Arbeitgeber einem Tarifvertrag, der für allgemeinverbindlich erklärt wurde, unterliegt und daneben einem Arbeitgeberverband angehört, der einen Tarifvertrag geschlossen hat, dem zwar er, aber keiner seiner Arbeitnehmer unterliegt. In diesem Fall gilt für die Arbeitnehmer der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag, während der Arbeitgeber an zwei verschiedene Tarifverträge gebunden ist. d) Keine Tarifpluralität. Kein Fall der Tarifpluralität liegt nach Ansicht des BAG allerdings bei einem Betriebsübergang4 und beim Zusammentreffen nachwirkender Tarifnormen mit einem Tarifvertrag, an den nur der Arbeitgeber gebunden ist,5 vor. Im erstgenannten Fall ist die Geltung mehrerer Tarifverträge gesetzlich gewollt und im Interesse des Bestandsschutzes der Arbeitnehmer hinzunehmen, im zweiten Fall ist die Geltung verschiedener Tarifnormen durch die Möglichkeit der Ablösung eines nur nachwirkenden Tarifvertrags gerade vorgesehen. Dem erstgenannten Fall ist hinsichtlich des Ergebnisses, dass keine Tarifpluralität vorliegt, zuzustimmen, allerdings mit anderer Begründung. Durch die Transformation der Normen des Tarifvertrags in das Arbeitsverhältnis gem. § 613 a I 2 BGB handelt es sich nicht mehr um die Konkurrenz zweier Tarifverträge, sondern um die spezialgesetzlich geregelte Konkurrenz zwischen individualvertraglichen Normen und einem Tarifvertrag. 4 5

BAG (21. 2. 2001), NZA 2001, 1318. BAG (28. 5. 1997), NZA 1998, 40.

Dies hatte das BAG zunächst auch für den Fall angenommen, wenn ein Tarifvertrag kraft individualvertraglicher Vereinbarung neben einem Tarifvertrag kraft Allgemeinverbindlichkeit Anwendung findet11. Diese Rechtssprechung hat es mit seiner Entscheidung vom 29. 8. 2007 ausdrücklich aufgegeben12. Nun geht es vielmehr entsprechend der stringenten Anwendung des Gesetzes davon aus, dass eine individualvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrags weder Tarifkonkurrenz noch Tarifpluralität herbeiführen könne und der in Bezug genommene Tarifvertrag allein schuldrechtlich zwischen den Parteien wirkt13. Die Konkurrenz zwischen einer schuldrechtlich geltenden Norm mit einem für allgemeinverbindlichen Tarifvertrag führt zur Anwendung des Günstigkeitsprinzips, § 4 III TVG. Bislang nicht zu entscheiden hatte das BAG über Fallkonstellationen, in denen die Tarifpluralität allein auf dem Willen des Arbeitgebers beruhte. Ob es auch in diesem Fall zu einer Auflösung der 6

BAG (29. 3. 1957), NJW 1957, 1006 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4. St. Rspr. seit BAG (22. 2. 1957), NJW 1957, 845 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 2; BAG, NZA 1991, 202 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19. 8 St. Rspr., BAG, NZA 2005, 1003; BAG (15. 4. 2008), NZA 2008, 586 = NJW 2008, 1900. 9 BAG (14. 6. 1989), AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = NZA 1990, 325 L. 10 BAG, NZA 2005, 1003. 11 BAG, NZA 2005, 1003. 12 BAG (29. 8. 2007), NZA 2008, 364. 13 BAG (22. 10. 2008), NZA 2009, 151. 7

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Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit kommen würde, erscheint zumindest bedenkenswert. Dagegen spricht aus Sicht der Literatur, der sich auch das LAG Sachsen in seinem Urteil vom 2. 11. 2007 angeschlossen hat, dass die Anforderungen an die Tariffähigkeit der Gewerkschaften gesenkt und dass die so genannte Gleichstellungsabrede aufgeben wurde, welche auf dem Grundsatz der Tarifeinheit fußt14. Das LAG Sachsen ist sich aber nicht sicher, ob das BAG die Konsequenzen der privatautonom herbeigeführten Tarifpluralität im Betrieb auch tragen wird.

Lohnerhöhung kämpfen und somit müssten die schwächeren Arbeitnehmer zurückstehen20.

3. Rechtsfolge Kommt es zur Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit, so ist der Tarifvertrag zu bestimmen, der der Ausrichtung des Betriebs in räumlicher, betrieblicher, fachlicher und persönlicher Ausrichtung am nächsten steht. Hierbei bezieht sich das BAG allerdings nicht auf eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, sondern bestimmt den spezielleren Tarifvertrag nach dem Betriebszweck. Für den Betriebszweck stellt die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer einen wesentlichen Faktor dar21. Sind zwei Tarifverträge dem Betrieb sachlich gleich nah, so kommt es auf die höhere Repräsentanz und mithin auf die Mitgliederzahl der Gewerkschaft im einzelnen Betrieb an22. Folge des Grundsatzes der Tarifeinheit ist in der Regel, dass der für nur einen kleinen Teil der Belegschaft geltende Tarifvertrag, insbesondere also ein Sparten- oder Spezialistentarifvertrag verdrängt wird23. Für die Arbeitnehmer, die der Spartengewerkschaft angehören, kann dies bedeuten, dass für sie kein Tarifvertrag mehr gilt. Ihr eigener Tarifvertrag wird verdrängt, der Tarifvertrag der anderen Gewerkschaft ist aber mangels Gewerkschaftszugehörigkeit nicht auf sie anwendbar.

Nach einem der letzten Urteile des BAG vom 22. 10. 2008 scheint aber auch für das BAG selbst nicht mehr sicher zu sein, ob es an dem vorgenannten Grundsatz festhalten wird. In diesem Urteil heißt es, dass nicht zu entscheiden war, ob der Senat an der bisherigen Rechtsprechung festhalte15. Das BAG enthält sich demnach einer klaren Stellungnahme, schließt aber zumindest die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit nicht aus.

2. Begründungsansatz des BAG für den Grundsatz der Tarifeinheit Als Begründung für die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit nennt das BAG Praktikabilitätserwägungen. Es gelte die tatsächlichen Schwierigkeiten, welche durch die Anwendung von mehreren Tarifverträgen in einem Betrieb entstehen, zu vermeiden. Dies verlangten die übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit16. Hierbei handele es sich insbesondere um Schwierigkeiten in Bezug auf die Offenbarungspflicht der Arbeitnehmer bezüglich ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit und des Weiteren um Probleme, welche mit dem Wechsel der Gewerkschaft entstünden.

Zu beachten ist hier, dass allein die tarifliche Bindung an den eigenen Tarifvertrag entfällt. Haben nun Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag vereinbart, dass der Tarifvertrag der Gewerkschaft des Arbeitnehmers in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll, so gilt der Tarifvertrag individualvertraglich weiterhin. Folge der Verdrängung des Tarifvertrags ist also nur der Wegfall der kollektivrechtlichen Geltung. Gerade in den Fällen, in denen der Arbeitsvertrag nur lückenhaft und im Übrigen durch Verweisung auf einen Tarifvertrag geregelt ist, muss auch dann eine Regelung fort gelten, wenn der Tarifvertrag kollektivrechtlich nicht mehr anwendbar ist.

Ohne Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit käme es überdies zu Problemen, da Tarifverträge, die betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln gem. § 3 II TVG für alle Betriebe des tarifgebundenen Arbeitgebers gelten. Daher stelle sich bei sich insoweit widersprechenden Tarifverträgen die Frage des anwendbaren Rechts. Darüber hinaus sei die Abgrenzung zwischen Betriebs- und Inhaltsnormen häufig nicht eindeutig möglich, was zu weiteren Schwierigkeiten führe17.

Mit der Verdrängung eines Spartentarifvertrags stellt sich weiterhin die Frage, ob Spartengewerkschaften überhaupt streikfähig sind. Denn wenn der Tarifvertrag, den diese Gewerkschaft abschließen würde, ohnehin auf Grund des Grundsatzes der Tarifeinheit verdrängt würde, so könnte ein Streik für diesen Tarifvertrag unverhältnismäßig sein24.

Weiterhin führen Verfechter des Grundsatzes der Tarifeinheit zur Begründung an, dass es andernfalls zu einer verwirrenden Vielzahl von Tarifverträgen käme. Klare durchschaubare tarifvertragliche Strukturen seien höher einzuschätzen als die tarifrechtliche Absicherung jedes Arbeitnehmers durch seinen Tarifvertrag18. Daneben wird angeführt, dass es durch die Geltung verschiedener Tarifverträge zu einem Überbietungswettbewerb um bessere Arbeitsbedingungen kommen könne19. Ferner bestünde keine Regelung der Tarifkonkurrenz im Tarifvertragsgesetz, so dass das BAG diese Regelungslücke durch höchstrichterliche Rechtsprechung schließen dürfe. Letztlich wird angeführt, dass es mit der Abschaffung des Grundsatzes der Tarifeinheit zu sozialpolitischer Ungerechtigkeit kommen würde. Die Gewerkschaften, die für einen Betrieb insgesamt zuständig sind, bemühen sich auch um „Strukturverbesserungen der unteren Lohngruppen“, also um ein verhältnismäßiges Anwachsen aller Lohngruppen. Dagegen würden Spartengewerkschaften nur für die eigene

IV. Grundsatz der Tarifeinheit zur Auflösung von Tarifkonkurrenz 1. Grundsätzliche Auflösung von Tarifkonkurrenz Primär wendet das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit auf die Fälle der Tarifkonkurrenz an, um festzustellen, welcher Tarifvertrag für das einzelne Arbeitsverhältnis gilt. Das Schrifttum hingegen schlägt andere Lösungen als den Grundsatz der Tarifeinheit vor. Die Variationen reichen vom Wahlrecht des Arbeitnehmers bis hin zum Günstigkeitsvergleich25. Hierbei ist zu beachten, dass ein Tarifvertrag auf einer, meist langwierigen, Verhandlung beruht und somit ein komplexes Werk von gegenseitigem Nachgeben ist. Daher kann nicht dem Arbeitnehmer

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LAG Sachsen, NZA 2008, 59; Bayreuther, NZA 2006, 642 (645). BAG, NZA 2009, 151. 16 BAG, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = NZA 1990, 325 L; BAG, NZA 1991, 202 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19. 17 BAG, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = NZA 1990, 325 L; BAG, NZA 1991, 202 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19. 18 Hanau, NZA 2003, 128 (128); Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637). 19 Bayreuther, BB 2005, 2633 (2637).

Meyer, NZA 2006, 1387 (1389); Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641). BAG, NJW 1957, 1006 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4. 22 Franzen, RdA 2008, 193 (197). 23 LAG Sachsen, NZA 2008, 59. 24 LAG Rheinland-Pfalz (22. 6. 2004), AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 169; a. A. LAG Hessen (2. 5. 2003), BB 2003, 1229.. 25 Für Wahlrecht des Arbeitnehmers: Reichhold, RdA 2007, 321 (327); s. weiter: Überblick bei Schliemann, NZA- Beil. 2000, H 24, 24 (31).

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die günstigere Regelung zugesprochen, oder ein Wahlrecht eingeräumt werden. Das ausgewogene Verhältnis des Tarifwerks würde dadurch zerstört. Dennoch muss der Arbeitnehmer erkennen können, welcher Tarifvertrag auf ihn Anwendung findet.

2. Betriebsverfassungsrechtliche und betriebliche Fragen Ein weiterer Fall der Tarifkonkurrenz ist das Aufeinandertreffen von Tarifverträgen, die betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln. Tarifverträge, die diese Fragen regeln, gelten gem. § 3 II TVG übergreifend für den gesamten Betrieb. Diese so genannten Betriebsnormen regeln Fragen, wie die tägliche Arbeitszeit innerhalb eines Schichtsystems oder das Ordnungsverhalten in einem Betrieb. Liegen nun zwei verschiedene Tarifverträge vor, welche diese Fragen regeln, so wirken beide auf das einzelne Arbeitsverhältnis ein und somit liegt ein Fall der Tarifkonkurrenz vor. Nach bislang wohl herrschender Ansicht in der Literatur ist bezüglich des insoweit anwendbaren Tarifvertrags auf den Tarifvertrag der Gewerkschaft abzustellen, welcher die meisten Arbeitnehmer angehören28.

Demzufolge ist zur Auflösung der Tarifkonkurrenz auf den Grundsatz der Tarifeinheit in einem Arbeitsverhältnis zurückzugreifen. Hierbei ist jedoch nicht der dem Betrieb näher stehende Tarifvertrag, sondern der dem einzelnen Arbeitsverhältnis näher stehende Tarifvertrag anzuwenden. Dies wird in der Regel der Tarifvertrag sein, welcher „seine“ Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband abgeschlossen hat. Gehört der Arbeitnehmer verschiedenen Gewerkschaften an, so kann er bestimmen, nach welchem Tarifvertrag er behandelt werden möchte. Hierbei kann er sich aber nur auf ein Tarifwerk insgesamt beziehen. Diese Regelung ist nur konsequent, denn der Arbeitnehmer müsste den Arbeitgeber nicht davon in Kenntnis setzten, dass er Mitglied in mehreren Gewerkschaften ist.

Fraglich ist bereits die Notwendigkeit der Einheitlichkeit der Betriebsnormen in einem Betrieb. Durch flexible Arbeitszeitregelungen, wie beispielsweise Gleitzeit, ist es in der überwiegenden Zahl der Betriebe ohnehin nicht mehr notwendig die Arbeitszeiten gleichzeitig beginnen zu lassen. Ferner werden die einheitlichen Betriebszeiten auf Grund des Teilzeitanspruchs der Arbeitnehmer nach dem TzBfG durchbrochen. Ist es dem einzelnen Arbeitnehmer möglich einen Anspruch auf veränderte Arbeitszeiten durchzusetzen, so müsste dies wohl auch durch eine tarifliche Auseinandersetzung regelbar sein. Letztlich muss für eine solche Einschränkung der Tarifautonomie das mildeste Mittel gewählt werden. Es sind aber mildere Mittel als das vollständige Zurücktreten eines Tarifvertrags denkbar. So könnte dem Arbeitgeber bei zwingend einheitlich zu regelnden Betriebsfragen ein Verweigerungsrecht in den Tarifverhandlungen zugestanden werden. So könnte die Gewerkschaften ihre Tarifautonomie in weit größeren Teilen durchsetzen.

Gehört der Arbeitnehmer hingegen keiner Gewerkschaft an, so unterfällt er generell nicht dem Schutzbereich eines Tarifvertrags. Alleine ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag ist gem. § 5 IV TVG anzuwenden. Verweist sein Arbeitsvertrag allerdings durch eine Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag, so ist nach dem Zeitpunkt des Abschlusses der Bezugnahmeklausel und nach seinem Wortlaut zu differenzieren. Für Bezugnahmeklauseln, welche vor der Schuldrechtsmodernisierungsreform in allgemeinen Geschäftsbedingungen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber abgeschlossen wurden, gilt dass diese auch bei zeitlich dynamischer Inbezugnahme eines bestimmten Tarifvertrags als so genannte Gleichstellungsabrede auszulegen sind, und somit der für die organisierten Arbeitnehmer im Betrieb geltende Tarifvertrag anzuwenden ist26. Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist für diese Klauseln weiterhin der Grundsatz der Tarifeinheit anwendbar, so dass auf den sachnäheren Tarifvertrag abzustellen ist. Durch diese Auslegung sind Arbeitgeber, welche in ihrem Betrieb nur einen Tarifvertrag gelten lassen wollen, in ihrem Vertrauen geschützt, andererseits haben die Arbeitgeber auch die Möglichkeit durch den Abschluss einer neuen Bezugnahmeklausel von dieser Auslegung abzuweichen und einen bestimmten Tarifvertrag einzubeziehen.

Bei der Auflösung der Tarifkonkurrenz nach den Mehrheitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder werden nicht organisierte Arbeitnehmer von der Bestimmung der im Betrieb geltenden Normen ausgeschlossen. Das mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, da Tarifverträge in der Regel nur für die tarifgebundenen Mitglieder zwingende Wirkung entfalten. Jedoch ist zu bedenken, dass Tarifverträge jedenfalls durch ihren Betriebsnormen Einfluss auf die nicht organisierten Arbeitnehmer nehmen. Es ist in einigen Betriebssparten mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer nicht durch eine Gewerkschaft vertreten.

Wurde die Bezugnahmeklausel hingegen erst nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsmodernisierungsreform oder mit einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber abgeschlossen, so ist diese nicht als Gleichstellungsabrede aufzufassen, sondern primär nach ihrem Wortlaut auszulegen27. Danach gilt bei Inbezugnahme eines bestimmten Tarifvertrags dieser, wird jedoch auf den im Betrieb geltenden Tarifvertrag verwiesen, so ist der für den einzelnen Arbeitnehmer sachnähere Tarifvertrag zu bestimmen.

Wenn daher schon eine Auflösung der Tarifkonkurrenz bei Betriebsnormen erfolgen muss, so ist unseres Erachtens auf den Tarifvertrag abzustellen der auf die meisten Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, sei es auch kraft individualvertraglicher Inbezugnahme. Die Betriebsnormen können nicht von einer Minderheit allein festgelegt werden, sondern sollten von der Mehrheit dominiert werden. Auch erübrigt sich auf diese Weise die Frage des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer; hat sich ein Arbeitnehmer nicht zu seiner Gewerkschaft bekannt, ist auf eine eventuell bestehende Bezugnahmeklausel abzustellen.

Um eventuelle Schwierigkeiten bei der Bestimmung des für den Arbeitnehmer sachnäheren Tarifvertrags zu vermeiden, ist es für beide Vertragspartner ratsam nur in zeitlicher Hinsicht dynamisch auf einen bestimmten und genau bezeichneten Tarifvertrag zu verweisen. Anders als bei einem Verweis auf den im Betrieb geltenden Tarifvertrag ist somit klar erkennbar, welcher Tarifvertrag Anwendung finden soll.

3. Tarifkonkurrenz mit einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag Fraglich ist allerdings, ob immer der für den einzelnen Arbeitnehmer sachnähere Tarifvertrag einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag vorgehen kann. Grundsätzlich muss es einem Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften möglich sein, durch einen Tarifvertrag auch das Niveau eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags zu unterschreiten. In wirtschaftli-

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BAG (14. 2. 1973), BAGE 25, 34 = AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 6; BAG (1. 12. 2004), NZA 2005, 478. 27 BAG (14. 12. 2005), NZA 2006, 607 = NJW 2006, 2571; BAG (18. 4. 2007), NZA 2007, 965 = NJW 2008, 102.

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Vgl. Franzen, RdA 2008, 193 (204); Bayreuther, NZA 2007, 187 (189).

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chen Notzeiten ist es notwendig Kompromisse einzugehen, um so Betriebe erhalten zu können. Daher muss ein spezieller Firmentarifvertrag einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag vorgehen. Die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer werden durch ihre Gewerkschaft ausreichend geschützt, für nicht organisierte Arbeitnehmer gilt ohnehin das Günstigkeitsprinzip.

tung eines anderen Tarifvertrags verursacht. Auf diese Weise kann der Wechsel eines einzigen Arbeitnehmers die Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen. Hingegen bedeutet es für den Arbeitgeber allein den organisatorischen Aufwand der Änderung eines Arbeitsverhältnisses, wenn man verschiedene Tarifverträge nebeneinander zulässt.

Anders zu beurteilen ist dies im Geltungsbereich des Arbeitnehmerentsendegesetz. Für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge bestimmter Branchen sollen nach § 1 AEntG Mindestarbeitsbedingungen auch für von einem Arbeitgeber im Ausland nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer sichern. Insoweit ist es nicht zulässig, wenn ein inländischer Arbeitgeber diese Mindestarbeitsbedingungen durch Vereinbarung eines abweichenden Firmentarifvertrags unterschreiten kann, diese Möglichkeit für ausländische Arbeitgeber jedoch nicht besteht29. Daher kann hier nur der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag vorgehen.

Problematisiert wird in diesem Zusammenhang ferner, dass Arbeitnehmer mehrfach die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wechseln könnten, um so jeweils die für sie günstigeren Tarifverträge nutzen zu können. Die Gewerkschaften können gegen dieses so genannte Gewerkschaftshopping allerdings wirksam vorgehen, indem sie keine Doppelmitgliedschaften zulassen, oder Arbeitnehmern, welche mehrfache ihre Gewerkschaftszugehörigkeit wechseln, die Aufnahme verweigern. Letztlich hat der Arbeitgeber die Möglichkeit durch den Abschluss von Tarifverträgen zu gleichen Bedingungen den Wechsel der Gewerkschaft unattraktiv zu machen. cc) Rechtssicherheit bezüglich des geltenden Tarifvertrags. Man könnte annehmen, dass für die Arbeitnehmer die Rechtssicherheit erhöht sei, wenn in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag zur Geltung kommt, da sie dann genau wüssten, welcher Tarifvertrag Anwendung findet. Auch hiergegen ist aber einzuwenden, dass es für den Arbeitnehmer einfacher wäre, wenn man den Grundsatz der Tarifeinheit aufgeben würde. In diesem Fall könnte der Arbeitnehmer bereits anhand seiner Gewerkschaftszugehörigkeit bestimmen, welcher Tarifvertrag für ihn gilt. Er könnte sich darauf verlassen, dass der Tarifvertrag Anwendung finden, welche seine Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber vereinbart hat.

V. Grundsatz der Tarifeinheit zur Auflösung von Tarifpluralität Das BAG wendet den Grundsatz der Tarifeinheit auch auf Fälle der Tarifpluralität an, da andernfalls auf Grund nebeneinander geltender Tarifverträge für verschiedene Arbeitnehmer die Rechtssicherheit bedroht sei und so höherer Transparenz im Betrieb zu erreichen sei. Hierdurch könnte das BAG insbesondere gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG verstoßen.

Unter Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit ist der Arbeitnehmer davon abhängig, dass ihn der Arbeitgeber über den anwendbaren Tarifvertrag informiert; andernfalls müsste er selbst ermitteln, welcher Tarifvertrag dem Betrieb sachlich am nächsten steht und gegebenenfalls die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften bestimmen. Dies ist dem einzelnen Arbeitnehmer weder möglich noch zumutbar.

1. Kritik an der Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit zur Auflösung von Tarifpluralität a) Praktikabilitätserwägungen; Rechtssicherheit und Rechtsklarheit? Bevor man sich an die wichtige Frage der Verfassungswidrigkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit wagt, drängt sich zunächst die Frage auf, ob das BAG mit seinen Erwägungen zur Rechtssicherheit und Praktikabilität Recht behält.

dd) Organisatorischer Mehraufwand. Ohne Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit kann es zum Nebeneinander verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb kommen. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeber verschiedene Arbeitsverhältnisse auf der Basis verschiedener Tarifverträge abrechnen muss und mithin zu administrativen Mehraufwand. Dieser erscheint angesichts der Möglichkeiten IT- basierter Personalverwaltung aber als marginal. Bei der Abrechnung kann sich der Arbeitgeber grundsätzlich an die Vereinbarung im Arbeitsvertrag halten, möchte der Arbeitnehmer den Vorteil eines Tarifvertrags für sich beanspruchen, so muss er seine Tarifgebundenheit darlegen.

aa) Pflicht zur Offenbarung der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Zunächst hat das BAG eingewandt, dass ohne Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit eine Pflicht zur Offenbarung der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft entstünde, welche im Streitfalle zu beweisen wäre30. Dem ist entgegenzuhalten, dass nur der Arbeitnehmer, der die Vorteile eines Tarifvertrags für sich beanspruchen möchte, seine Gewerkschaftszugehörigkeit nachweisen muss, es entsteht keine Offenbarungspflicht. Im Gegenteil kommt es gerade unter Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit zu einer Feststellungspflicht des Arbeitgebers, stehen nämlich zwei Tarifverträge nach ihrem sachlichen Geltungsbereich dem Betrieb gleich nahe, so soll nach der Mitgliederzahl der Arbeitnehmer in der Gewerkschaft zu ermitteln sein, welcher Tarifvertrag vorrangig ist.

Gilt hingegen der Grundsatz der Tarifeinheit, so braucht der Arbeitgeber die Arbeitnehmer lediglich nach einem Tarifvertrag abrechnen. Individualvertraglich gelten hingegen in Bezug genommene Tarifverträge fort, daher kommt es auch hier zu unterschiedlichen Abrechnungen verschiedener Arbeitnehmer. Somit führt die Tarifpluralität entgegen der Ansicht des BAG nicht zu Praktikabilitätsschwierigkeiten.

bb) Gewerkschaftswechsel. Weiterhin soll der Grundsatz der Tarifeinheit helfen die entstehenden Schwierigkeiten für den Fall des Gewerkschaftswechsels zu vermeiden. Ist stets nur der sachnähere Tarifvertrag anwendbar, so sei die Frage des geltenden Tarifvertrags vom Gewerkschaftswechsel unabhängig.

b) Verletzung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG)? Weiterhin könnte das durch die Verfassung gesicherte Recht der Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) verletzt sein.

Entsteht die Tarifpluralität durch die Konkurrenz zweier Gewerkschaften mit demselben sachlichen Geltungsbereich, so kann es auch unter Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit zu der Geltung eines anderen Tarifvertrags durch Wechsel der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft kommen. Führt ein Gewerkschaftswechsel zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse, so wird damit die Gel-

aa) Individuelle Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit schützt in seiner individualrechtlichen Ausprägung das Recht des einzelnen Arbeitnehmers einer Koalition beizutreten oder ihr fernzubleiben31.

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EuGH (24. 1. 2002), NZA 2002, 207 – Schwarzkopf; Hanau, NZA 2003, 128 (131). 30 BAG, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = NZA 1990, 325 L.

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St. Rspr., vgl. BVerfG (15. 7. 1980), NJW 1981, 215; BVerfG (10. 9. 2004), NZA 2004, 1338; ErfK/Dieterich, 9. Aufl. (2009), Art. 9 GG Rdnr. 6.

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Bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit auf Fälle der Tarifpluralität verlieren die organisierten Arbeitnehmer, die an einen anderen Tarifvertrag gebunden sind als den nach dem Grundsatz der Tarifeinheit anwendbaren Tarifvertrag, den Schutz ihrer Gewerkschaft. Sie werden insoweit behandelt wie nicht organisierte Arbeitnehmer und dadurch in ihrer positiven Koalitionsfreiheit beeinträchtigt.

Angenommen, es hätten nur die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer eine Bezugnahmeklausel auf den verdrängten Tarifvertrag abgeschlossen, weil die tarifgebundenen Arbeitnehmer angenommen haben, dass der Tarifvertrag für sie auf Grund ihrer Tarifbindung Anwendung finde, so fallen nur die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer unter den Tarifvertrag. Jedenfalls hierin ist ein eklatanter Verstoß gegen die Tarifautonomie der Gewerkschaften zu sehen. Diese Konsequenz ist nicht nur verfassungswidrig, sondern im Hinblick auf ein funktionierendes Tarifsystem geradezu absurd.

Das BAG schlägt zur Lösung der entfallenden Tarifbindung vor, dass die anders organisierten Arbeitnehmer, wenn sie ebenfalls an den anwendbaren Tarifvertrag gebunden sein wollen, der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft beitreten können. Dies bedeutet wiederum eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit, da sich der Arbeitnehmer die Gewerkschaft aussuchen können muss und nicht zum Eintritt in eine bestimmte Gewerkschaft gedrängt werden soll. Das BAG geht diesbezüglich davon aus, dass dieser Verlust des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit hinzunehmen sei32. Für eine gerechtfertige Einschränkung der Koalitionsfreiheit bedürfte es eines anderen Rechts mit Verfassungsrang welches gegen die individuelle Koalitionsfreiheit abzuwägen wäre; alleine durch Rechtssicherheitserwägungen kann eine Einschränkung nicht gerechtfertigt werden.

Die Tarifautonomie umfasst als weiteren Aspekt das Streikrecht der Koalitionen. Nach Ansicht des LAG Rheinland-Pfalz sind Streikmaßnahmen für einen Tarifvertrag, der nach dem Grundsatz der Tarifeinheit verdrängt wird, unverhältnismäßig und können durch einstweilige Verfügung untersagt werden36. Dies bedeutet ferner, dass ein dem Arbeitgeber aus dem rechtswidrigen Streik entstehender Schaden zu ersetzen ist. Folge daraus ist es aber nun, dass eine Gewerkschaft, welche für einen Tarifvertrag streiken möchte, der dem Betrieb sachlich gleich nahe steht wie ein bereits vorhandener Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft, wissen muss, wie viele Mitglieder diese Gewerkschaft hat, um eventuelle Haftungsrisiken auszuschließen. Dies ist vor allem angesichts vieler nicht organisierter Arbeitnehmer schwer feststellbar, nur in den wenigsten Betrieben kommt eine Gewerkschaft auf Mitgliederzahlen von über 50 % der Belegschaft.

bb) Kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Weiterhin umfasst Art. 9 III GG die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften und hier insbesondere die Tarifautonomie. Hierunter versteht man das Recht der Berufsverbände und Gewerkschaften, die Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen selbstverantwortlich und mit unmittelbarer und zwingender Wirkung für ihre Mitglieder zu vereinbaren33. Das BVerfG hält dieses Recht gar für den Kernbereich eines Tarifvertragssystems und erkennt damit der Tarifautonomie bedeutende Wirkung zu34. Haben die Gewerkschaften das Recht Tarifverträge abzuschließen, so bedeutet dies auch, dass die abgeschlossenen Tarifverträge Wirkung entfalten können müssen. Es ist nicht das Ziel der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit Tarifverträge als leere Hüllen ohne Anwendbarkeit schließen zu dürfen.

Ferner muss der zuständige Richter im einstweiligen Verfügungsverfahren feststellen lassen, wie viele Mitglieder die konkurrierenden Gewerkschaften haben, um festzustellen, welcher von zwei angekündigten Streikmaßnahmen rechtswidrig ist. Jedenfalls einer der Streiks muss nach dem Grundsatz der Tarifeinheit unverhältnismäßig sein. Ferner sollte der Fall bedacht werden, dass sich während eines laufenden Streiks die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften ändern und damit die Vormachtstellung im Betrieb wechselt. Schon diese Erwägungen machen deutlich, dass nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Tarifeinheit das Streikrecht der Koalitionen eingeschränkt werden kann. Es ist vor Abschluss eines Tarifvertrags nicht feststellbar, welcher der Tarifverträge der sachnähere sein wird. Erst recht kann diese Frage nicht in der Kürze eines einstweiligen Verfügungsverfahrens geklärt werden. Auch hierin liegt ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit.

Sehr treffend führt das LAG Sachsen35 hierzu aus: „Wenn die Rechtsprechung das Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften in einem Betrieb als Realität ansieht, dann muss sie konsequenterweise auch die gewerkschaftliche Betätigung in Form des Abschlusses von Tarifverträgen für ihre Mitglieder akzeptieren und darf die Anwendbarkeit der Tarifverträge nicht am Prinzip der Tarifeinheit scheitern lassen.“

c) Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen. Nach der Regelung des § 3 I TVG sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien tarifgebunden. Dies bedeutet, dass das Rechtsverhältnis zwischen den gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern und dem verbandsangehörigen Arbeitgeber, bzw. dem Arbeitgeber, der selbst Vertragspartei ist, den Normen des Tarifvertrags unterfällt. Diese Regelung kann nicht durch abweichende Gestaltung des Tarifvertrags aufgehoben werden, sie ist nicht tarifdispositiv und mithin zwingend37. Enthält eine Norm aber zwingendes Gesetzesrecht, so kann sie nicht aus Zweckmäßigkeitserwägungen durch das BAG außer Kraft gesetzt werden. Daher bedeutet die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit einen Verstoß gegen geltendes Recht.

Wenn das BAG insofern darauf verweist, dass es den Gewerkschaften trotz Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit unbenommen sei, einen spezielleren Tarifvertrag abzuschließen oder entsprechend für sich zu werben, so geht dies am Schutz von Spartengewerkschaften vorbei. Auch bei diesen Zusammenschlüssen handelt es sich um Koalitionen i. S. des Art. 9 GG, und auch ihnen stehen daher die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen zu. Müssten die Spartengewerkschaften für den gesamten Betrieb geltende Tarifverträge schließen, so würde dies bedeuten, dass sie ihre „Nischentätigkeit“ für nur eine Berufssparte aufgeben müssten. Jedoch ist auch die Festlegung des Tätigkeitsbereichs ebenso wie das Recht der Aufnahme oder Ablehnung von Mitgliedern nur bestimmter Berufssparten vom Grundrecht der Koalitionsfreiheit erfasst. Ein Eingriff ist auch hier nicht zulässig.

d) Autonomie der Vertragsparteien. In vielen Fällen entsteht Tarifpluralität alleine auf Grund einer Entscheidung des Arbeitgebers, zum Beispiel mehreren Arbeitgeberverbänden beizutreten. In diesen Fällen kann der Grundsatz der Tarifeinheit nicht damit begründet werden, dass dies für den Arbeitgeber aus Gründen der Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit der Arbeitsverhältnisse notwendig sei. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall bewusst für Tarifplu-

Letztlich ist die Widersprüchlichkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit zu bedenken: Ein Tarifvertrag wird durch einen sachlich dem Betrieb näheren Tarifvertrag verdrängt. Dennoch gilt der verdrängte Tarifvertrag kraft individualvertraglicher Inbezugnahme weiterhin. 32

BAG (20. 3. 1991), NZA 1991, 736 = AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 20. BVerfG (19. 10. 1966), BVerfGE 20, 312 = NJW 1966, 2305; LAG Sachsen, NZA 2008, 59; Wiedemann (o. Fußn. 3), Einl. Rdnr. 82. 34 BVerfGE 20, 312 = NJW 1966, 2305. 35 LAG Sachsen, NZA 2008, 59. 33

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LAG Rheinland-Pfalz, AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 169; Änderung der Rspr. durch LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14. 6. 2007 – 11 Sa 208/07, BeckRS 2007, 45664. 37 Oetker, in: Wiedemann (o. Fußn. 3), § 3 Rdnr. 22.

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ralität entschieden, bzw. diese zumindest in Kauf genommen; es besteht kein Schutzbedürfnis ihm gegenüber.

die unterschiedliche Lohngruppen verstärkt.

Unter Anerkennung der Privatautonomie der Parteien bestünde ferner die Möglichkeit für den Arbeitnehmer den für ihn geltenden Tarifvertrag zu wählen. Diese Wahlmöglichkeit würde dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. Der Arbeitnehmer könnte auch ohne einer Gewerkschaft beitreten zu müssen wählen, nach welchem Tarifvertrag sich sein Arbeitsverhältnis richten soll. Da unter Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit auch ein für den Arbeitnehmer günstigerer Tarifvertrag verdrängt werden kann, würde dies einen Zugewinn an Arbeitnehmerschutz bedeuten.

Dem ist jedoch nicht zu folgen. Vielmehr liegt in der Zulassung der Tarifpluralität sogar eine Stärkung der Tarifautonomie40. Wenn Wettbewerb zwischen verschiedenen Gewerkschaften um den Abschluss der besseren Tarifverträge besteht, dann können davon die Arbeitnehmer profitieren. Die Gewerkschaft, die, z. B. durch die meisten Mitglieder, einen hohen Druck auf Arbeitgeberverbände ausüben kann und über fähige Verhandlungsführer verfügt, wird Tarifverträge zu besseren Arbeitsbedingungen abschließen. Hierdurch kann sie neue Mitglieder gewinnen. Es kommt also zu einem gesunden Wettbewerb, den die Gewerkschaften verlieren werden, die sich dem Wettbewerb nicht stellen und sich nicht ausreichend für die von ihnen vertretenen Arbeitnehmer einsetzen.

e) Mitwirkungsrecht der verdrängten Gewerkschaft. Zur Abmilderung der Folgen der Verfassungswidrigkeit für die unterlegene Gewerkschaft trotz Beibehaltung des Grundsatzes der Tarifeinheit wurde vorgeschlagen, der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, das Recht zuzubilligen, an den Tarifverhandlungen der rivalisierenden Gewerkschaft teilzunehmen. So könne diese Einfluss auf die Tarifverhandlungen nehmen. Ist eine Einigung zwischen diesen Gewerkschaften nicht möglich, so soll ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Möchte die verdrängte Gewerkschaft jedoch einen eigenen Tarifvertrag abschließen, so soll dieser dafür kein Streikrecht zur Verfügung stehen38.

aa) Schlichtungsverfahren. Zum Beispiel könnte man das deutsche Arbeitskampfrecht an ausländische Rechtsordnungen angleichen und jedem Streik ein Schlichtungsverfahren vorschalten, welches zwingend durchzuführen ist42. Zusätzlich hierzu soll jedenfalls im Bereich der Daseinsvorsorge eine Vorankündigungspflicht für Streiks bestehen. Unseres Erachtens ist eine solche Umstellung des deutschen Arbeitskampfrechts zur Auflösung des Grundsatzes der Tarifeinheit nicht erforderlich. Den Konsequenzen kann alleine mit einer Anpassung der Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers beigekommen werden. Zudem würde bereits die Besetzung der Schlichtungsstelle zu neuen Streitpunkten zwischen den Kontrahenten führen.

2. Entstehende Schwierigkeiten bei Außerachtlassung des Grundsatzes der Tarifeinheit und mögliche Lösungswege Vor der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit sind die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die hieraus folgen, zu beachten.

bb) Einheitliches Ende von Tarifverträgen. Ein anderer Vorschlag ist es, die Gewerkschaften zu verpflichten einen einheitlichen Zeitpunkt des Endes von Tarifverträgen zu wählen43, was letztlich bedeutet, dass sich die Friedenspflicht aus einem laufenden Tarifvertrag auch auf andere, im Betrieb vertretene Gewerkschaften erstrecken würde. Die Gewerkschaft, welche erstmals einen Tarifvertrag abschließen möchte, soll dazu verpflichtet sein, das Ende eines

a) Auflösung des innerbetrieblichen Sozialgefüges. Es wird argumentiert, dass durch die Zulassung von besonderen Tarifverträgen für jede Gewerkschaft und Berufsgruppe, das innerbetriebliche Lohngefüge und der Kampf für die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit aufbricht und schwache Lohngruppen künftig benachteiligt werden39. Berufssparten würden nur noch für sich, nicht aber für einen gerechten und gleichmäßigen Anstieg aller Lohngruppen kämpfen. Das Auseinanderbrechen des Sozialgefüges würde durch 40

So: Jacobs, NZA 2008, 325 (330). Buchner, BB 2003, 2121 (2126). 42 Bayreuther, NZA 2008, 12 (17). 43 Franzen, RdA 2008, 193 (204). 41

Hromadka, NZA 2008, 384 (388). Meyer, NZA 2006, 1387 (1389); Bayreuther, BB 2005, 2633 (2641).

spezialisierten

Können die Gewerkschaften für die von ihnen vertretenen Arbeitnehmer eigene Tarifverträge abschließen, die nebeneinander im Betrieb Anwendung finden, so kann der Streikdrohung nicht mehr mit dem Argument der Unverhältnismäßigkeit entgegengetreten werden. Auf Grund der dadurch erhöhten Streikgefahr müssen die Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers angepasst und somit ein paritätisches Verhandlungsgewicht wieder hergestellt werden. Zur Lösung der verschobenen Kampfparität wurden bereits verschiedene Lösungen erwägt.

Weiterhin führt die Frage, welche Gewerkschaft am Ende eine Entscheidung treffen darf, wie eine Schlichtungsstelle zu besetzen ist und ob durch den Spruch dieser Schlichtungsstelle die Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft eingeschränkt werden kann, wieder zu neuen Problemen. Daneben verkennt dieser Lösungsansatz die Bedeutung des Grundrechts der kollektiven Koalitionsfreiheit. Auch der verdrängten Gewerkschaft steht, wie bereits erläutert, uneingeschränktes Tarif- und Streikrecht zu. Die verfassungsmäßigen Grenzen der Tarifautonomie werden auch bei Anwendung dieses Vorschlags nicht gewahrt.

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der

b) Auswirkungen der Nichtanwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit auf das Streikrecht. Eine weitere sehr komplexe Frage betrifft die Auswirkungen der Tarifpluralität auf die Arbeitskampfparität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Finden in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander Anwendung, so hat dies zur Folge, dass der Arbeitgeber von verschiedenen Gewerkschaften mit Tarifverhandlungen überzogen werden und der normale Betriebsablauf über Monate gestört sein kann. Unter Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit konnte einem solchen Streik entgegengewirkt werden, wenn der Tarifvertrag auf Grund fehlender Spezialität keine Anwendung finden würde. Dann konnte die Streikdrohung unverhältnismäßig sein und der Streik mittels einer einstweiligen Verfügung verhindert werden41. Problematisch war aber bereits im Vorfeld eines Tarifvertrags zu bestimmen, ob der zu erstreikende Tarifvertrag nicht der speziellere sein könnte. Daher war nur in Einzelfällen eine Untersagung des Streiks durch einstweilige Anordnung möglich.

Ob sich diese Lösung als praktikabel erweisen könnte, erscheint fraglich. Auf Grund des gegenseitigen Wettbewerbs zwischen den Gewerkschaften ist bei einer zwangsverordneten Zusammenarbeit kaum an eine einvernehmliche Lösung zu denken. Dies würde die Verhandlungen weiter in die Länge ziehen. Schon die Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft gestalten sich oft als langwierig und komplex und diese Verhandlungen nun mit internen Auseinandersetzungen zweier Gewerkschaften, die unter Umständen unterschiedliche Ziele für die von ihnen vertretenen Arbeitnehmer verfolgen, zu überfrachten, würde zu keiner Verbesserung führen.

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Arbeitskampfkraft

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8 keit abhängig gemacht48. Ein Verstoß gegen ihre Friedenspflicht wäre hierin nicht zu sehen, da die Arbeitnehmer nicht gegen ihren Tarifvertrag vorgehen würden und die Friedenspflicht aus einem Tarifvertrag nur relativ wirke.

laufenden Tarifvertrags einer anderen Gewerkschaft abzuwarten. Eine Ausnahme sei nur in den Fällen unbefristeter Tarifverträge zu machen. Dieser Lösungsansatz belässt den Tarifparteien ihre inhaltliche Unabhängigkeit und fordert nur eine zeitliche Koordination, um die Gefahr nacheinander laufender Streiks zu vermeiden. Jedoch wirkt die Friedenspflicht nur inter partes und eine Ausweitung würde wiederum eine Einschränkung der Tarifautonomie der konkurrierenden Gewerkschaft bedeuten. Auch ist hierbei die Gefahr der „Ausschaltung der Konkurrenz“ durch die bereits vertretene Gewerkschaft zu befürchten, indem diese Tarifverträge mit möglichst langer Laufzeit abschließt.

Zwar mag bei einer Beteiligung am Hauptstreik eine enge Bindung der anders organisierten Arbeitnehmer zu dem Streik bestehen, jedoch können die Arbeitnehmer nicht von dem abgeschlossenen Tarifvertrag profitieren. Würde einer derartige Streikbeteiligung zugelassen, so würde der Zweck der Friedenspflicht eines Tarifvertrags umgangen. Es sollen gerade die Arbeitnehmer, denen ein abgeschlossener Tarifvertrag zu Gute kommt, nicht streiken dürfen. Mit Auflösung des Grundsatzes der Tarifeinheit ist auch von dem Gedanken der arbeitskampfrechtlichen Einheit der Belegschaft eines Betriebs Abstand zu nehmen49. Es besteht gerade keine einheitliche Belegschaft mehr, für welche ein Tarifvertrag insgesamt gilt. Den anders organisierten Arbeitnehmern bleibt nur die Möglichkeit aus ihrer Gewerkschaft auszutreten und sich dann als nicht organisierte Arbeitnehmer am Streik zu beteiligen.

cc) Lösende Aussperrung. Um dem Arbeitgeber ein wirksames Mittel gegen den Streik von Spartengewerkschaften in die Hand zu geben wurde zudem die lösende Aussperrung vorgeschlagen44. Diese Lösung ist jedoch unpraktikabel, wenn gerade die Arbeitnehmer streiken, auf die der Betrieb wegen ihrer hohen Spezialisierung angewiesen ist. Zudem wird eine lösende Aussperrung vom BAG nur sehr restriktiv zugelassen und selbst wenn eine lösende Aussperrung ausnahmsweise zulässig ist, wird dem Arbeitnehmer nach Beendigung des Streiks ein Wiedereinstellungsanspruch zuerkannt45. Daher wird eine lösende Aussperrung in der Praxis keine Hilfe für den Arbeitgeber darstellen.

ff) Zahlung von Streikbruchprämien und Einstellung von Leiharbeitnehmern. Doch auch, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit hat durch ein umfassendes Aussperrungsrecht seine Kosten zu begrenzen und den (moralischen) Druck auf die streikführende Gewerkschaft zu erhöhen, erscheint fraglich, ob dem Arbeitgeber dadurch geholfen ist. In den meisten Fällen möchte ein Arbeitgeber seinen Betrieb aufrechterhalten, um Geschäftskunden nicht zu verlieren und keine großen Verluste zu riskieren. Hier kommt die Zahlung von Streikbruchprämien als Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers in Betracht. Dass dies ein zulässiges Streikmittel des Arbeitgebers ist, nimmt das BAG seit seinem insoweit die Rechtsprechung änderndem Urteil vom 31. 1. 1995 an50.

dd) Umfassendes Aussperrungsrecht. Zur Verhinderung von Streiks verschiedener Gewerkschaften muss es das Ziel des Arbeitgebers sein, mit der Gewerkschaft, der möglichst viele Arbeitnehmern, bzw. die für die Aufrechterhaltung des Betriebs bedeutsamen Arbeitnehmer angehören, Tarifverträge mit langen Laufzeiten zu schließen46. Eine weitere Möglichkeit zur Verhinderung nachfolgender Arbeitskämpfe ist es, die verschiedenen Gewerkschaften zum Abschluss eines einheitlichen Tarifvertrags zu bewegen. Hierbei hängt jedoch die Realisierbarkeit von der Kooperationsbereitschaft der Gewerkschaften ab.

Die Zahlung von Streikbruchprämien bloß an die Arbeitnehmer der betroffenen Sparte kommt allerdings nicht in Betracht. Zunächst könnte man gegen eine solche Zahlung den Gleichheitssatz bemühen, welcher allen Arbeitnehmern eines Betriebs gleiche Behandlung zusichert. Zu bedenken ist aber, dass der Vorteil der anstehenden Lohnerhöhung eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde. Dessen ungeachtet stellt eine Zahlung nur an Gewerkschaftsmitglieder eine Maßnahme gegen die negative Koalitionsfreiheit dar. Vielmehr ist eine Streikbruchprämie an diejenigen Arbeitnehmer zu zahlen, welche sich rechtmäßig am Streik beteiligen dürfen. Lediglich an die Arbeitnehmer, welche einer anderen Gewerkschaft angehören und die somit der Friedenspflicht unterliegen, muss keine Streikbruchprämie gezahlt werden. Insoweit stellt die Friedenspflicht eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung dar, so dass auch hier der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz keine Anwendung findet.

Das entscheidende Mittel zur Wiederherstellung von Kampfparität ist es, dem Arbeitgeber das Recht zu geben neben der Aussperrung von Organisierten und Außenseiten auch anders organisierte Arbeitnehmer aussperren zu dürfen. Hat ein Arbeitgeber sogar die freie Entscheidung über die vorübergehende Stilllegung des bestreikten Betriebs auch wenn die Aufrechterhaltung technisch und wirtschaftlich möglich wäre47, so bedeutet dies nichts anderes als das Recht zur Aussperrung auch der anders organisierten Arbeitnehmer. Hierdurch wird ein hoher Druck auf die streikende Gewerkschaft von denjenigen ausgeübt, welche auf Grund der Aussperrung keinen Lohnanspruch haben, von dem Arbeitskampf jedoch nicht profitieren und von ihrer Gewerkschaft keine Streikunterstützung erhalten. Denn für diese Arbeitnehmer gilt, anders als noch unter Geltung des Grundsatzes der Tarifeinheit, der Tarifvertrag ihrer eigenen Gewerkschaft. Die anders organisierten Arbeitnehmer können nur dann von einem höheren Tarifabschluss profitieren, wenn ihre eigene Gewerkschaft einen Anschlusstarifvertrag mit dem Arbeitgeber schließt oder sie die Gewerkschaft wechseln.

Da die Zahlung einer Streikbruchprämie nur unter Verursachung hoher Kosten zum Erfolg führt, ist zu erwägen, den Betrieb durch die Einstellung von Leiharbeitnehmern aufrecht zu erhalten. Auch dies ist eine nach der Rechtssprechung des BAG grundsätzlich zulässige Arbeitskampfmaßnahme. Zu beachten ist hier aber das Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers gem. § 11 V 1 AÜG, welches auch noch nach Aufnahme der Arbeit vom Leiharbeitnehmer erklärt werden kann. Für den Streik einer konkurrierenden Gewerkschaft in demselben sachlichen Tätigkeitsbereich in dem auch eine andere Gewerkschaft im Betrieb tätig ist kann dies ein wirksames Arbeitskampfmittel darstellen. Streiken aber die Arbeitnehmer einer hoch spezialisierten Sparte, so können diese mangels hinreichender Qualifizierung der Leiharbeitnehmer nicht ersetzt werden.

ee) Streikrecht anders organisierter Arbeitnehmer. Fraglich ist, ob sich auch die anders organisierten Arbeitnehmer an dem Hauptstreik beteiligen können. Das BAG hat ein Beteiligungsrecht anders organisierten Arbeitnehmern bei Unterstützungsstreiks nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern vom Grundsatz der Verhältnismäßig-

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Greiner, NZA 2007, 1023 (1027). BAG (21. 4. 1971), NJW 1971, 1668 = AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 43. 46 Jacobs, NZA 2008, 325 (330). 47 BAG (22. 3. 1994), NZA 1994, 1097 = NJW 1995, 477; BAG (31. 1. 1995), NZA 1995, 958. 45

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BAG, NZA 1994, 1097 = NJW 1995, 477; BAG (19. 6. 2007), NZA 2007, 1055 = NJW 2007, 3087 L. 49 A. A.: Franzen, RdA 2008, 193 (202). 50 BAG (13. 7. 1993), NZA 1993, 1135 = NJW 1994, 74.

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Letztlich sind die drohenden Konsequenzen der Verschiebung der Arbeitskampfparität nur über eine Selbstregulierung des Marktes zu erreichen. Herrscht Knappheit an Arbeitnehmern einer bestimmten Branche so werden diese, gegebenenfalls auch mit Hilfe von Streikmaßnahmen, höhere Löhne erzielen. Unter anderem die herrschenden Arbeitsbedingungen führen dann zu einem stärkeren Nachwuchs oder zur Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmer aus dem Ausland. Dies wiederum führt zu einem breiteren Angebot an Arbeitnehmern und zu einer Regulierung des Arbeitsentgelts.

VI. Fazit Die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit auf den Fall der Tarifpluralität stellt einen ungerechtfertigten Eingriff in die durch Art. 9 III GG geschützte Koalitionsfreiheit dar und ist somit nicht zulässig. Überdies werden die Ziele, die das BAG mit dem Grundsatz der Tarifeinheit verfolgt, nicht erreicht. Es entstehen bei der Zulassung von verschiedenen Tarifverträgen in einem Betrieb keine erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten. Daher ist dieser Grundsatz in Bezug auf die Tarifpluralität endgültig aufzugeben. Die hieraus resultierenden Folgen beeinflussen insbesondere das Gleichgewicht im Arbeitskampf. Um dieses Gleichgewicht wieder herzustellen ist es ausreichend, wenn die Arbeitskampfmittel des Arbeitgebers, insbesondere das Recht zur Aussperrung und zur Zahlung einer Streikbruchprämie, an die Entwicklungen in Arbeitskampfrecht angepasst werden. Der Arbeitgeber darf auch anders organisierte Arbeitnehmer aussperren. Außerdem ist es zulässig, dass der Arbeitgeber den Streikbrechern eine Streikbruchprämie zahlt, bzw. Leiharbeitnehmer einstellt, um so seinen Betrieb aufrecht zu erhalten. Lediglich an die anders organisierten Arbeitnehmer braucht keine Streikbruchprämie gezahlt werden. Mit diesen Arbeitskampfmitteln kann der Arbeitgeber angemessen auf den Streik einer Spartengewerkschaft reagieren und die Tarifpluralität zugelassen werden. Hingegen ist Tarifkonkurrenz in einem Arbeitsverhältnis weiterhin nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen. Hierbei stellt es jedoch eine sachnähere Lösung dar auf den einzelnen Arbeitnehmer und nicht auf den Betrieb insgesamt abzustellen. Im Falle des § 3 II TVG, der einheitliche Normen für alle Arbeitnehmer des Betriebs verlangt, ist auf den Tarifvertrag abzustellen, der für die Mehrheit der Arbeitnehmer kollektivrechtliche oder individualvertragliche Anwendung findet. Ferner gehen für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge zur Sicherung der Mindestarbeitsbedingungen jedenfalls im Bereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes abweichenden Tarifverträgen vor.

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