Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS. Samstag, 8. Juli 2017, Uhr KW 27. Stolz und machtlos. Schottland, ein Jahr nach dem Brexit-Referendum

Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 8. Juli 2017, 11.05 – 12.00 Uhr KW 27 Stolz und machtlos – Schottland, ein Jahr nach dem Brexit-Referendu...
Author: Ludo Schneider
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Deutschlandfunk

GESICHTER EUROPAS Samstag, 8. Juli 2017, 11.05 – 12.00 Uhr KW 27

Stolz und machtlos – Schottland, ein Jahr nach dem Brexit-Referendum

Mit Reportagen von Ingrid Norbu Am Mikrophon: Britta Fecke Musikauswahl und Regie: Simonetta Dibbern

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar –

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Dschingel: Mod auf Musik: „I

Dieser Schotte war schockiert:

think Brexit is a desaster“

Mod:

Ein Gälisch-Dozent sieht im Brexit auch eine neue Chance

auf die Unabhängigkeit Schottlands: ...“Mit unseren Schulden kommen wir klar. Wir werden kein Griechenland ohne Sonne“

Mod: Gesichter Europas: Stolz und machtlos – Schottland, ein Jahr nach dem Brexit-Referendum Mit Reportagen von Ingrid Norbu Am Mikrofon ist Britta Fecke

Anmoderation: Die Schotten würden gerne bleiben! Vor einem Jahr sprachen sich 62 % der Wähler „nördlich der Grenze“ - wie es in Großbritannien heißt - für den Verbleib in der EU aus, während die Engländer knapp für den Brexit stimmten. Die Austrittspläne in London haben die schlafenden Hunde in Schottland wieder geweckt. Beim letzten Referendum, 2014, hat sich noch eine knappe Mehrheit - von Edinburgh bis zu den äußeren Hebriden - gegen die schottische Unabhängigkeit ausgesprochen. Doch wollen die Schotten auch noch ein Teil des Vereinigten Königreichs sein, wenn die Londoner Regierung beim „harten“ Brexit bleibt? Darüber will Regierungschefin Nicola Sturgeon im Herbst 2018 erneut entscheiden, wenn die Bedingungen des geplanten EU-Austritts erkennbar sind. Allerdings bräuchte sie für dieses 2

zweite

Unabhängigkeitsreferendum

die

Zustimmung

der

Londoner

Regierung. Atmo: Flugzeug landet Barra ist eine kleine, abgelegene Insel im Süden der Äußeren Hebriden. Die Flugzeuge können nur bei Ebbe an einem Strand des rund 200 Kilometer lange Inselbogens landen. Castlebay, der größte Ort auf Barra, zählt gerade einmal 1300 Einwohner. Einige von ihnen sind Fischer, früher lebten sie hier vom Hering, heute fangen sie Hummer und Garnelen für den Export. Besonders

französische

und

spanische

Gourmets

schätzen

diese

Delikatessen aus dem Atlantik. Die schottischen Fischer haben ebenso wie ihre walisischen, cornischen oder englischen Berufsgenossen mehrheitlich für den Brexit gestimmt. Zu lange hatten sie unter der europäischen Konkurrenz und den willkürlichen Fangquoten gelitten. Doch nun stellt sich die Frage, an wen sie ihren wertvollen Fang zukünftig verkaufen können? Und woher soll die kleine Fischfabrik auf Barra, ihre Arbeitskräfte nehmen, wenn die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach dem Brexit nicht fortgeführt wird? Der Fischgeruch kündigt die kleine Fabrik schon von weitem an. Ohrenbetäubender Lärm kommt beim Betreten dazu. Dabei sei heute ein ausgesprochen ruhiger Tag, meint Christina MacNeil. Sie streift zur Begrüßung die hellblauen Gummihandschuhe ab. Die 50-jährige zeigt auf einen Bottich mit einer weißgrauen Masse. "Diese Garnelen sind letzte Nacht mit den Booten reingekommen. Wenn man genau hinsieht, merkt man, dass sich einige bewegen, weil sie noch sehr frisch sind. Solche frischen Garnelen werden immer nach Frankreich exportiert, tief gefroren gehen sie nach Spanien oder Italien." Mit einer Kelle schöpft der Vorarbeiter Garnelen aus dem Bottich und schüttet sie auf einen der blanken Metalltische. Fast ohne hinzusehen, pulen die Frauen die Krustentiere aus ihrer durchsichtigen Schale. Seit 20 3

Jahren arbeitet Christina hier und ist mittlerweile die Managerin, aber notfalls legt sie Hand mit an. Zwei Kartons mit fertig geschälten Garnelen müssen in den Kühlraum. "Das sind alles tief gefrorene Garnelen für Spanien. Diese Kartons gehen ins Vereinigte Königreich. Die wollen Garnelen ohne den Kopf. Also lassen wir den für diesen Markt nicht dran." Meterhoch stapeln sich im Kühlraum Kartons mit Garnelen und Fisch. Bei minus 40 Grad wird alles innerhalb von Minuten tief gefroren. Lange kann man sich hier also nicht aufhalten. Ein paar Fuhren mit verschiedenen anderen Meerestieren warten noch auf die Verarbeitung. "Wir haben hier Langusten, Schellfisch, Kammmuscheln und Seeteufel. Die Reste benutzen die Krabben- und Hummerfischer als Köder. Nichts wird verschwendet, alles recycelt." An einem Metalltisch stehen zwei Männer. Mit ihren riesigen Messern trennen sie Kopf und Gräten ab und legen die Filets in einen Karton. "Die Schellfisch-Filets bleiben in Großbritannien. Wir frieren sie ein. An Tagen mit viel Betrieb sind hier aber alle Tische voll mit Garnelen. Achtzig Prozent davon gehen gefroren nach Spanien." Der Winter sei zwar die bessere Saison zum Fischen, aber die Boote sind klein und weiter als zehn Seemeilen wagen sie sich dann nicht auf den Atlantik hinaus, sagt Christina. "In den Sommermonaten bekommen wir viel mehr Fisch herein, weil das Wetter stabiler ist, nicht so stürmisch wie im Winter. Mehr Boote können dann auch öfter hinausfahren. Der Fisch wandert jedes Jahr woandershin und die Fischer brauchen viel Zeit, um die besten Fischgründe mit ihren Trawlern zu finden. Da lässt sich nichts vorhersagen." 4

Eine Ladung Garnelen nach der anderen wird flink aus ihren durchsichtigen Schalen gepult. Ein Mann auf See schafft zehn Arbeitsplätze an Land, heißt es. Für das kleine Barra ist das allerdings ein Problem. "Wir beschäftigen auch fünf Osteuropäer, nicht weil die Bewohner von Barra nicht arbeiten wollen, sondern weil wir nicht genug Leute auf der Insel haben. Wenn wir die mit dem Brexit verlieren, weiß ich nicht, was wir tun sollen. Aber alles ändert sich und man muss dann eben improvisieren. Nichts bleibt wie es ist und wir werden damit zurechtkommen, ganz sicher. Ja, ich bin für den Brexit für die Fischer." 60 Prozent aller Meerestiere, die in Großbritannien gefangen werden, kommen aus schottischen Gewässern. Eine Abkehr von der EU würde für alle lange Warteschlangen an den Grenzen für eine leicht verderbliche Ware bedeuten und dazu einen Wust an Bürokratie. "Die Fischer waren für den Brexit, weil sie sich unfair von der EU behandelt fühlen. Ausländische Fischer kommen in unsere Gewässer und beuten sie aus. Wir hoffen, dass die britische oder die schottische Regierung das ändern wird. Sie sollen uns unsere Fischgründe zurückgeben. Wir wollen unsere eigenen Regeln und Quoten aufstellen, die Sinn machen. Denn Quoten, die an der Ostküste Schottlands passen, müssen doch nicht auch an der Westküste richtig sein. Aber alle werden über einen Kamm geschoren." Trotz unsinniger Quoten bleibt noch genug in den Netzen der Fischer. Christina ist überzeugt, dass es für gute Waren immer Abnehmer geben wird. "Wir verarbeiten hauptsächlich Langusten, weil die Nachfrage Meilen vor dem Angebot liegt. Wir kommen nicht mit den Bestellungen nach und könnten nicht mehr liefern, obwohl die Fischer hart arbeiten." 5

Besonders leidenschaftlich wird Christina MacNeil, wenn sie sich ein unabhängiges Schottland vorstellt. "Hundert Prozent ja zu Schottlands Unabhängigkeit. Wir kommen sicher zurecht. Wir sind in der Lage unsere eigenen Angelegenheiten zu regeln. Wir haben eine Menge Ressourcen, auf die wir bauen können. Etwas Whiskey, Erdöl und vieles, was andere nicht haben. Ich werde die Unabhängigkeit Schottlands bis zu dem Tag unterstützen, an dem ich sterbe." Sagt es, streift die hautengen Gummihandschuhe über und pult noch schnell eine Garnele aus ihrer Schale. Es gibt sogar Stimmen auf der Insel, die sich für ein unabhängiges Barra aussprechen. Vielleicht liegt das daran, weil man sich auf Barra ohnehin alleine im Atlantik fühlt. Nur bei sehr klarem Wetter erkennt man die Silhouette des schottischen Hochlands, weit, weit in der Ferne.

Literatur Moderation:

Mit 64 Jahren trat Samuel Johnson die erste Reise seines Lebens an, nach Schottland. In diesem Herbst 1773 stand der britische Schriftsteller, Kritiker und Publizist gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere, was ihm die Türen bei Intellektuellen und Aristokraten in Schottland öffnete. Johnson interessierte besonders das Leben hinter der Kulturgrenze, die Schottland seit Jahrhunderten teilte, zwischen den Lowlands und den Highlands mit den Hebriden, Die Reise war wegen des Wetters und der rauhen Landschaft beschwerlich: "Bei unserer Überfahrt vom schottischen Festland nach Skye wurden wir das erste Mal von einem Regenguß naß. Das war der Beginn des Hochlandwinters, nach dem, wie man uns sagte, für etliche Monate keine drei aufeinanderfolgenden trockenen Tage zu erwarten waren. Der Winter auf den Hebriden besteht aus wenig mehr als Regen und Wind. Da diese von einem nie gefrierenden Ozean umgeben sind, sind die Stürme, die vom Wasser herüberwehen, zu mild, um etwas zufrieren zu lassen. Die Salzseen 6

oder Seebuchten, die weit in die Inseln hineinreichen, haben nie eine Eisdecke, und die Süßwasserseen werden den Wanderer niemals tragen. Der seltene Schnee taut durch den Regen oder die Luft schnell wieder fort. Dies ist nun keine Beschreibung eines rauhen Klimas, aber die düsteren Monate sind hier eine Zeit der Not, da der Sommer wenig mehr als sich selbst ernähren kann, und der Winter mit seiner Kälte und Kargheit überfällt Familien, die nur spärliche Vorräte haben."

Anmoderation: Schon seit den 70ger Jahren wird Öl und Gas vor der schottischen Küste gefördert. Die Einnahmen aus diesen Quellen gaben den Wahlkämpfern vor dem ersten Unabhängigkeitsreferendum Auftrieb. Regierungschefin Nicola Sturgeon versuchte die konservative Regierung in London für den norwegischen Weg zu begeistern, um wenigstens Mitglied des europäischen Binnenmarktes zu bleiben. Als ihre Kollegin in London diesen

Weg

ausschlug,

beantragte

Sturgeon

ein

neues

Unabhängigkeitsreferendum, damit ihr Land das Vereinigte Königreich verlassen und in die EU eintreten kann. Doch ist die schottische Wirtschaftskraft - auch mit Blick auf den gesunkenen Ölpreis -stark genug, um ohne das benachbarte England zu bestehen? Wenn Schottland im Binnenmarkt bliebe, die Briten aber nicht, gebe es die harte Grenze. Die schottische Wirtschaft lebt vom Erdöl- und Gas, dem Tourismus vom Whiskey, Hummer und Fleisch. Zwei Drittel der schottischen Exporte gehen im Moment in den südlichen Teil des Vereinigten Königreichs, nur rund 15% in die EU. Atmo Steinruinen, baumlose Weiden, sanfte Hügel und Schafe, das ist die Landschaft der schottischen Highlands. Diese Idylle ist jedoch das Ergebnis einer großangelegten Vertreibung: Clearances genannt. In der Folge des Unionsvertrag zwischen England und Schottland 1707 und der endgültigen Niederlage der freiheitskämpfenden Jakobiten in der Schlacht von Culloden 7

kamen die Gutsherren aus England und den Lowlands, also den Gebieten um Glasgow und Edinburg, und kauften den Clan Chiefs das Land ab. Die neuen Landlords brachten die Schafe die die Highlands kahl fraßen. Die kleinen Pächter, Crofter genannt, verloren ihre Rechte und ihre Lebensgrundlage. Erst der Small Crofters Act 1885 und neuere Gesetze brachten ihnen einen gewissen Schutz. Atmo Auf den Hebriden und in den Highlands gibt es immer noch einige Crofter, also Kleinbauern. Heute fließen EU-Beihilfen, damit die Pächter nicht aufgegeben, und die Landschaft weiter pflegen. Werden die Crofter auch ohne die Gelder aus Brüssel überleben? Viele setzen ohnehin auf eine zweite Einnahmequelle, wie Jane Young: "Flüssiger Sonnenschein" wird der ausdauernde Regen in Schottland gerne genannt. Gut für Hortensien und Rhododendron in den Vorgärten von Glencoe Village, aber auf Dauer doch schlecht fürs Gemüt. Ein Dach über dem Hauseingang schützt endlich vor den Fluten. Hinter der Tür wartet Jane Young. Mit schnellen Schritten geht die 60-jährige voran, vom Flur, der mit hellen Teppichen ausgelegt ist, weiter ins Wohnzimmer, ein winziger Raum mit Couch und Sessel und einem Korb Bügelwäsche. "Das ist Wäsche für die Bed & Breakfast Gäste. Die muss ich noch heute Abend bügeln. Im Sommer biete ich Bed & Breakfast an, von April bis Oktober. Ich hab viel zu tun, den ganzen Sommer über. Das ist zusätzliches Einkommen für unseren Hof." Aber zunächst muss sie noch die Hühner füttern. Durch die kleine Küche geht es hinaus auf eine ungemähte Wiese, die etwa 150 Meter bis zur nächsten Straße reicht.

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"Die Hühner mögen den Regen nicht. Ich weiß nicht, wo die sind. Ah, hier kommt eins. Die Mücken sind wirklich schlimm. Es ist heute zu nass draußen, um die Hühner zu suchen." In der Feuchtigkeit fühlen sich die Midges, Wolken von winzigen Mücken, besonders wohl. Sie nerven nicht nur die Hühner sondern auch die Kühe. "Wir haben eine kleine Kuhherde mit Aberdeen Angus und Shorthorns. Im Winter stehen sie dort im Stall. Wir machen Silage im Sommer, die sie dann im Winter fressen. Jetzt sind sie auf der Gemeindewiese. Ende September holen wir sie von dort zurück." Jane zeigt auf einen von Nebelschwaden halb verhüllten Hügel, der das enge Tal begrenzt. Irgendwo dort vermutet sie ihre Tiere. "Wir haben insgesamt sechs Kühe und Kälber. Pro Croft darf man eine Kuh, ein Kalb und eine Färse, eine junge Kuh haben. Unser Croft ist sehr klein, ein Acre, knapp über 4000 qm. Aber wir hatten Glück: Einige ältere Leute fühlten sich nicht mehr fit genug, ihren Croft zu bearbeiten. Deshalb nutzen wir das Land und können mehr Tiere halten. Es ist eine alte Tradition gewesen in Glencoe, dass jeder mindestens eine eigene Milchkuh hatte." Der Croft wird nun in der fünften Generation von Janes Familie bearbeitet. Sie hatten Glück, sie konnten das Pachtland schon früh für einen niedrigen Preis kaufen. "Um den croft zu kaufen haben wir sieben mal die Jahrespacht gezahlt, die acht Pfund beträgt. Also 56 Pfund plus die Anwaltsgebühren, aber das war 1976. Seither sind die Preise etwas gestiegen." Jeden Herbst wird ein Teil der Herde in die Lowlands, beispielsweise nach Aberdeenshire verkauft, weil das Gras dort gehaltvoller ist.

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"Die füttern die Tiere dort fett. Die Färsen behalten wir, mindestens eine, und trennen uns dafür von einer älteren Kuh." Auf den Hebrideninseln leben noch viele vom Crofting, auch wenn das alleine nicht reicht. Der Andrang der Touristen in den Highlands ist jedoch so gewaltig, das sich mit ihnen genug Geld verdienen lässt. Jane Young gehört heute zu den letzten in Glencoe, die überhaupt noch etwas Landwirtschaft betreiben. "Ich liebe Tiere und Kühe haben etwas Menschliches. Jede hat ihre eigene Persönlichkeit. Man gewöhnt sich an sie. Im Winter kommen sie hier ans Tor und ich gebe ihnen eine Scheibe Brot oder eine Kartoffel oder was immer übrig ist. Sie sind wie Haustiere." Aber der lange Winter ist eine Durststrecke für die Crofter, und ohne die Hilfe der EU wird es wohl nicht zum Weitermachen reichen. "Ich habe keine Idee, was nach dem Brexit sein wird. Ich habe Sorge, das wir dann keine Zuschüsse mehr für die Tierhaltung bekommen. Wir bekommen Unterstützung und das hilft uns, die Kühe den Winter über mit Futter zu versorgen, das sehr teuer ist. Nach dem Brexit weiß keiner wie es weitergeht." Doch jetzt müssen die Gäste versorgt werden. Die Wäsche wartet. Im Fernsehen läuft nebenbei ein Interview mit der Vorsitzenden der schottischen Konservativen, deren Partei den ehemaligen Vorsitzenden der Schottischen National Party vom Sitz im Unterhaussitz stoßen konnte bei den Wahlen im Juni. Brexit und Unabhängigkeit, Jane Young reagiert auf diese Themen fast schon allergisch. "Unabhängigkeit? Nein danke. Wir müssen Teil des Vereinigten Königreichs bleiben. Schottland ist zu klein, um alleine dazustehen. Tut mir Leid, aber ich traue dem nicht. Wir müssen zusammenbleiben." 10

Anmoderation: Nur wenige der "Ureinwohner" leben permanent auf den Hebriden im Westen Schottlands. Die Jungen verlassen die Gegend und kehren oft erst im Rentenalter zurück. Auf Skye wächst die Bevölkerung jedoch. Denn die Insel ist über eine Brücke leicht erreichbar. Diesen Zugang nutzen vor allem die sogenannten "White Settlers", wie die Rentner, Zivilisationsmüden und Späthippies aus England und den Lowlands etwas spöttisch genannt werden. Sie suchen hier Ruhe, Entspannung oder wagen noch mal den Neuanfang. Einige der Zuwanderer nehmen die Integration sehr ernst und wollen sogar Gälisch lernen, diese keltische Sprache wird immer noch von fast 60 Prozent der Ureinwohner zumindest verstanden. Atmo: In der Kantine Im Gälic College auf Skye, das zur Universität der "Highlands and Islands" gehört, wird die keltische Sprache seit 1973 gelehrt und gelebt, selbst in der Kantine: Ein Sandwich und eine Suppe, bestellt Alistair Mackay auf Gälisch. Dann schiebt er sein Tablett weiter auf der Ablage der Kantinentheke in Richtung Kasse. "Gälisch war mal eine sterbende Sprache, nicht mehr relevant. Und dann kam der Aufstieg der Popkultur und der Weltmusik in den 1960er und 70er Jahren." Alistair ist ein groß gewachsener, gut aussehender Mann, Mitte 40. Er ist Lehrer an der Sabhal Mor Ostaig auf Skye, in der seit 1973 Gälisch für Erwachsene gelehrt wird. Viel Licht strömt durch die Fenster, Licht vom Meeresarm, der die Insel von den schottischen Highlands trennt. Für Alistair, der in London geboren und aufgewachsen ist, war die Rückkehr auf die Insel ein Weg zurück zu den Wurzeln.

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"Mein Vater wuchs in den 1940er und 50er Jahren in einem Dorf in der Nähe von Skye auf. Damals sprachen noch viele Gälisch, aber die Älteren vermieden es, mit den Kindern Gälisch zu sprechen, weil sie fürchteten, es würde ihre Zukunft verbauen. Als mein Vater in die Sekundarschule kam, wurde nur noch in Englisch unterrichtet. Wer Gälisch sprach, selbst in der Grundschule oder auf dem Spielplatz, wurde mit einem Gürtel geschlagen. Wer in der Welt zurechtkommen wollte, brauchte Englisch." Seine Eltern leben immer noch in London. Deshalb pendelt Alistair zwischen beiden Welten. Es hat ihn wenig erstaunt, dass so viele Engländer für den Brexit gestimmt haben. "Ich denke, das hat mit einem Identitätsproblem und Kulturverlust zu tun. Die Bevölkerungsstruktur hat sich enorm verändert und ein Teil der älteren Generation weiß nicht, wie er darauf reagieren soll." Alistair bezahlt und setzt sich an einen der freien Tische. Nachdenklich rührt er seine Suppe um. Identität spiele eine immer größere Rolle, je vielfältiger die Gesellschaften würden, sagt er. "In den letzten zehn Jahren habe ich festgestellt, dass das, was einst eine britische Identität war, zu einer englischen wurde. Die Waliser, Iren und Schotten waren sich ihrer eigenen Identität dagegen stets bewusst. Sie hatten immer ihre Sprache, Kultur, Musik, aber in den letzten zehn Jahren fragen sich auch die Engländer, was haben wir eigentlich? Bisher war alles Englische Britisch. Das Empire war der Angelpunkt." Die Suche nach der eigenen Identität brachte Alistair schließlich selbst zurück nach Schottland. Erst an die Universität Glasgow und schließlich nach Skye. Der Fond für die strukturschwachen Gebiete der EU hat das mit ermöglicht.

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"Die Highlands und die Inseln haben ökonomisch stets Schwierigkeiten gehabt. Die Leute gingen fort, wie mein Vater. Er musste nach London ziehen, um einen Job zu bekommen. Nun aber kommen immer mehr Leute zurück. Mit diesem College konnte dieser Trend umgekehrt werden. Es ist EU-Geld, das geholfen hat, dieses College aufzubauen und EU-Geld, die Infrastruktur zu verbessern. Es ist nicht viel britisches Geld dabei." Der Brexit ist ein Desaster, sagt Alistair. Er ist für ein unabhängiges Schottland in der EU. Auch wenn es Stimmen gibt, die unken, Schottland könnte ein zweites Griechenland werden, wegen der hohen Verschuldung, ein Griechenland allerdings ohne Sonne. "Ich glaube, das ist Angstpolitik. Denken wir nur ans Erdöl vor der schottischen Küste. Norwegen beispielsweise hat in den letzten zehn Jahren seinen Ölfond um ein Drittel erweitert. Wir haben hier ein ähnliches Potential. Unsere Schulden würden sich in zehn oder 20 Jahren in Luft auflösen. Wir werden kein Griechenland ohne Sonne sein, nein." Gerade das bezweifelt Hugh Davies. Er steht in der Schlange am Kaffeeautomat im Foyer der Schule. Davies ist Engländer, aus Essex. Seit seiner Pensionierung lebt er auf Skye. "Es gibt keinen Grund, warum Schottland nicht unabhängig werden sollte, aber die können nicht rechnen. Damit müssten sie mal allmählich anfangen. Sie sagen, sie haben all den Reichtum vom Öl, um alles zu bezahlen, aber wer weiß schon, ob der Ölpreis konstant bleibt oder ob er nicht gar sinkt." Hugh Davies bezeichnet sich selbst als weltoffenen Mann, der Gälisch lernt und sogar seine Deutschkenntnisse auffrischt. Er war als britischer Soldat in der Rheinarmee, in den 1970er Jahren. Jetzt ist Davies ein entschiedener Brexit-Befürworter.

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"Der Hauptgrund ist, wenn mir unsere Politiker nicht gefallen, wähle ich sie ab. Aber in der EU können wir das nicht." Hugh übersieht, dass nun er an der Reihe ist, um seinen Kaffee zu bestellen, so sehr beschäftigt ihn das Verhältnis Großbritanniens zur EU. Diese EU, die seiner Meinung nach ein Superstaat ist, zum dem er nicht gehören wolle. Und außerdem ... "Die machen Regeln, wer in die EU eintreten darf, aber dann brechen sie diese Regeln. So war es auch beim Euro. Da haben sie Länder hereingelassen, wie Griechenland, die da nicht hineingehören. Wenn es schief läuft, bestraft man diese Länder. Nicht die Griechen haben Schuld. Man hätte sie nicht in den Währungsunion aufnehmen dürfen, ehe sie nicht alle Kriterien erfüllen." Seine Kritik ist also grundsätzlicher Art. Er holt seinen Kaffee aus dem Automat. Mit 73 Jahren muss er sich nicht mehr um seine Altersversorgung kümmern, im Gegensatz zu den Jungen in Großbritannien.

Literatur 2: Samuel Johnson "Dunvegan ist ein vorspringender Fels, der an der Westseite von Skye in eine Bucht hinausragt. Das Haus, in dem die Macleods ihren Hauptsitz haben, ist teilweise alt und teilweise modern. Es ist auf dem Fels erbaut und hat die Aussicht auf das Meer. Es bildet zwei Seiten von einem kleinen Karree, auf dessen dritter Seite sich das Skelett einer Burg unbekannten Alters befindet, die zu der Zeit, als die Dänen die Insel beherrschten, eine norwegische Festung gewesen sein soll. Sie ist noch fast so gut erhalten, daß man sie leicht bewohnbar hätte machen können, gäbe es in der Familie nicht die unheilvolle Legende, daß der Besitzer den Wiederaufbau nicht überleben soll. Der Großvater des jetzigen Laird begann, der Prophezeihung zum Trotze, die Arbeit, ließ aber binnen kurzer Zeit wieder davon ab und verwendete sein Geld zu schlechteren Zwecken. Da die Bewohner der Hebriden viele Generationen hindurch in ständiger Erwartung von Feindseligkeiten lebten, residierte der Chief eines jeden Clans in einer Festung. Dieses Haus war nur vom Wasser aus erreichbar, bis der 14

letzte Besitzer einen Eingang über Treppen von der Landseite her eröffnen ließ. In früheren Zeiten hatten sie allen Grund zur Angst, nicht nur vor erklärten Kriegen, ermächtigten Eindringlingen oder Seeräubern, die auf den nördlichen Meeren sehr zahlreich gewesen sein müssen, sondern auch vor Überfällen und gewaltsamen Streitereien durch rivalisierende Clans, die in der noch vollkommenen feudalen Unabhängigkeit ihren Herrscher nicht um die Erlaubnis fragten, um gegeneinander Krieg zu führen. Skye wurde von einer Fehde zwischen den beiden Mächtigen, Macdonald und Macleod, verwüstet. Macdonald, der eine Macleod geheiratet hatte, schickte sie wieder fort, weil er nicht mit ihr zufrieden war, möglicherweise, weil sie ihm keine Kinder geschenkt hatte. Vor der Herrschaft von James V. stellte ein Laird aus dem Hochland sein Weib für eine bestimmte Zeit auf die Probe, und wenn sie ihn nicht zufriedenstellte, so hatte er das Recht, sie fortzuschicken. Dies muß jedoch immer eine Beleidigung gewesen sein, und Macleod, der diesen Schimpf übelnahm, unter welchen Umständen er auch zustande gekommen war, erklärte, daß die Hochzeit ohne Freudenfeuer vollzogen worden wäre und daß die Scheidung besser illuminiert werden solle. Er stellte eine kleine Armee auf und steckte Macdonalds Güter in Brand, der wiederum erwiderte den Besuch und behielt die Oberhand."

Anmoderation: Dem schottischen Unabhängigkeitsbestreben steht der englisch-schottische Einigungsvertrages von 1707 im Weg! Der keine Klausel für die Auflösung des Vereinigten Königreichs enthält. Die sogenannten Acts of Union sind bis heute geltendes Recht auch wenn sie 1998 um das Gesetz ergänzt wurden, dass Schottland ein Regionalparlament ermöglichte. Diese Parlament darf aber nur über rein schottische Belange entscheiden. Die Unabhängigkeit Schottlands und somit auch ein weiteres Referendum wären von nationaler Bedeutung und fallen somit in den Zuständigkeitsbereich der Londoner Regierung. Sie müsste einem zweiten Referendum zustimmen Atmo Die schottischen Händler stimmten aus rein wirtschaftlichen Interessen 1707 für die Vereinigung mit England, unter einem Monarchen und einer Flagge.

Sie

lockten

die

lukrativen

Märkte

in

den

Kolonien.

Die 15

Widerstandsbewegung der "Jakobiten", die ihre meisten Anhänger in den Highlands und auf den Hebriden hatten, war letztlich erfolglos. Eine Ihrer Heldinnen ist Flora MacDonald von der Insel Skye. Sie verhalf 1746 Bonny Prince Charlie, dem Thronanwärter der Stuarts nach dem gescheiterten Aufstand zur Flucht. Ihre Heldentat, die sie mit einer Haft in London bezahlen musste, wird bis heute besungen. In Dunvegan (gespr.: Dann-Wiign) Castle auf Skye wird der Kult um Flora MacDonald besonders gepflegt. Seit 800 Jahren ist Dunvegan im Besitz der MacLeod. Der gegenwärtige 30. Clan Chief ist Geschäftsmann, meist in London und muss die Verwaltung des Heldenverehrung seinem Personal überlassen: Heftiger

Wind fegt durch die Rhododendron-Büsche. Der Schlosspark mit seinen Blumenbeeten und dem adrett geschnittenen englischen Rasen steht im Kontrast zum tristen Moorland und den kahlen Bergen der Umgebung. Dunvegan Castle ist ein eher schmuckloser, dreistöckiger Bau, der auf einem Felsvorsprung am Wasser steht. In der Eingangshalle hängen Portraits weiblicher Ahnen des MacLeod Clan. Eine steile Treppe führt hoch in die Repräsentationsräume, wo der Verwalter Jeroun Roskam an einem Fenster steht, das ein paar Sonnenstrahlen in den Raum lässt. Ein angenehmer Job. "Ich habe vorher in London gearbeitet und wollte nicht so weitermachen. Dann sah jemand die Anzeige für diesen Job und da konnte ich nicht widerstehen." Jeroun Roskam ist 35 Jahre alt, schlank, mit Halbglatze. Ursprünglich kommt er aus den Niederlanden. Von den 60 Mitarbeitern im Schloss während der Sommermonate sind die meisten auch nicht aus Schottland. Durch den offenen Kamin unter einem Ölgemälde hört man den Wind, der draußen um den Schornstein fegt. Solch ein Schloss zu erhalten, ist eigentlich ein Albtraum, sagt Roskam. "Wie man sieht, steht das Schloss direkt am Meer. Und nicht nur das. Das Klima und das Wetter können ziemlich ungemütlich sein. Im Winter fegen 16

Stürme mit 90 Meilen pro Stunde um die Ecken und eine Menge Regen prasselt ohne Unterlass auf das Gebäude." Da gibt es immer etwas zu reparieren. Das Geld kommt von den Besuchern, die sich im Sommer in großer Zahl durch die Repräsentationsräume schieben, über Holzböden und Teppiche, vorbei an Eichenbüffets und langen Tischen mit edlem Geschirr. An den pinkfarbenen Wänden hängen Portraits der Clan Chefs. Auch eine Frau ist dabei. Goldene Tischuhren kündigen die Mittagsstunde an. Die meisten Besucher zieht es magisch in einen dunklen Raum, in dem die Relikte des letzten Stuart auf schottischem Boden, Bonnie Prince Charlie, zu sehen sind. Ein Prinz auf der Flucht. "Er wäre nach der verlorenen Schlacht von Culloden sicher vor Gericht gestellt und hingerichtet worden. Er musste also unbedingt fliehen, um sein Leben zu retten. Er gelangte schließlich auf die Äußeren Hebriden. Danach half ihm Flora MacDonald. Sie fand jemanden, der bereit war, ihm ein Schiff zu besorgen." Roskam zeigt auf eine Brokatweste in einer Vitrine, bestickt mit Silbergarn. "Wir haben hier seine Weste, die er auf der Flucht verschenkte, die wirklich wunderschön bestickt ist. Ihm half sie nicht mehr, denn er verkleidete sich als irische Magd, um zu entkommen." Als Magd der Flora MacDonald, der Frau, die ihm half, falsche Pässe zu besorgen. Selbst eine Berühmtheit, schenkte Flora diese Weste später dem Schlossbesitzer. Aber es muss noch viele andere Helfer gegeben haben, denn was Bonnie Prince Charlie unterwegs an die Leute verteilte, füllt bis heute einige Schlosssäle in Schottland. "Er war so sehr von seinen Sieg überzeugt gewesen, das er seinem ganzen Hausrat nach Schottland mitgebracht hatte. All das, ob Gold oder Silber, musste er auf der Flucht los werden. Sogar Haarlocken, die er sich abschnitt, verteilte er an die Leute." 17

Eine dieser Haarlocken steckt, fast nicht zu erkennen, in einem münzgroßen Behälter, wie eine Reliquie. Daneben ist ein zerbrochener Trinkbecher ausgestellt, den seine Anhänger leerten, um so im Geheimen ihre Gemeinschaft zu besiegeln. Der Stolz und Widerstandgeist vieler Schotten rühre wohl aus der Zeit der Jakobitischen Rebellion, meint Jeroun Roskam. "Das Tragen von Schottenröcken und Dudelsackspielen beispielsweise waren danach lange Zeit verboten, also all diese Schlüsselelemente der Geschichte, auf die die Menschen stolz waren. Aber sie wurden in die ganze Welt transportiert, weil die Bewohner emigrierten." Durch ein Gitter im ältesten Teil des Schlosses kann man ins Verlies hinabschauen, ein tiefes enges Loch. Nur wenige Schritte weiter wird eine riesige verschlissene Flagge gezeigt, die dem Clan angeblich stets Glück brachte. Die MacLeod haben ja die Zeitwende der Jakobitischen Rebellion irgendwie überdauert. "Der Clan Chief hatte früher eine herausgehobene Stellung unter seinen Leuten, aber über die Jahre hat die Zentralregierung ihm viele seiner Aufgaben genommen. Heutzutage gibt es eine Reihe von Clan-Gesellschaften in aller Welt, in Kanada, den USA, Australien, Südafrika, und sogar in Deutschland gibt es eine Clan MacLeod-Vereinigung." Ihre Mitglieder sind nun über die ganze Welt verstreut und einige haben es dort zu etwas gebracht. Der MacLeod Clan trifft sich alle vier Jahre auf Dunvegan Castle. "Ich glaube, im nächsten Jahr ist wieder Zeit für ein Clan-Parlament. Außerdem sind schon Ausflüge zur Hebrideninsel Lewis geplant, die noch zum Clan MacLeod-Gebiet gehört. Natürlich wird man nach Donald Trumps Mutter fragen, die eine MacLeod von Lewis ist. Aber es ist besser, sich von der Politik fernzuhalten." 18

Dennoch geht ihn die Politik etwas an. Was den Brexit und seine Arbeitsstelle betrifft, ist der Niederländer Jeroun Roskam vorsichtig optimistisch. "Ich war etwas schockiert, als ich am Morgen nach dem Brexit-Referendum das Ergebnis erfuhr, aber ich denke, es wird am Ende alles in Ordnung gehen. Wir wissen zwar nicht was passiert. Manche Leute ängstigt das. Aber ich bin sicher, es wird eine diplomatische Lösung mit der EU geben. Die werden uns doch nicht verhungern lassen und wir werden alle noch unseren Job haben."

Atmo: Webstuhl

5. Die Farben von Lewis und Harris Ein monotones Klacken dringt aus vielen Wellblechschuppen auf der Äußeren Hebrideninseln Harris. In Heimarbeit wird aus Schafwolle The big cloth, Tweed gewebt. Und das schon seit rund 2500 Jahren, die dichte, wachsige Wolle der Inselschafe lieferten den Stoff aus dem ein Mythos entstand: Der Harris-Tweed, benannt nach der Insel, gefördert von Lady Cathrine Dunmore im frühen 19. Jahrhundert. Das Marketinggeschick der schottischen Aristokratin überzeugte sogar Queen Victoria, die sich ihre Jagdkostüme

fortan

aus

Harrys

Tweed

schneidern

ließen.

Die

Traditionsmarke ist noch immer gefragt weit über die Grenzen des Königreiches hinaus. Doch wie wird es nach dem Brexit um den Exportschlager stehen, wie soll man die europäischen Kunden halten?

Ein riesiger Ballen Schafwolle, tiefblau gefärbt, wird aus seinem Farbbad gehievt, halbautomatisch, nur ein Arbeiter bedient die riesige Maschine.

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"Mein Kollege hier ist für das Färben verantwortlich. Wir nehmen synthetische Farben, die die Landschaften und das Meer auf den Äußeren Hebriden widerspiegeln. Diese herrlichen Gelb- und Grüntöne, die vielen Blau-Schattierungen und all die Sandtöne, wie man sie an unseren Stränden findet. Wir nehmen schottische Cheviot-Wolle und das Färben kann je nach Farbe und Menge bis zu drei Stunden dauern." Erklärt Margaret Ann MacLeod. Die etwa 40-Jährige hat ihr stilles Büro für einen morgendlichen Rundgang durch die Tweedmühle verlassen, mit all dem Lärm, dem Geruch nach Farbe und Maschinenöl. Mit Ketten wird die Trommel mit der blauen Wolle weiter zu einem Trichter transportiert. Das Farbwasser tropft ab. Früher wurden nur Naturfarben verwendet, die aus Moosen, Flechten und Baumrinde gewonnen wurden oder aus Blumen und Früchten. Heute ist die Nachfrage nach dem robusten Tweed einfach zu groß. Nicht mehr nur Angler und Jagdgesellschaften aus der englischen Oberschicht schätzen den Wollstoff, sondern auch Modedesigner. "Wir weben verschiedene Tartans, also Schottenmuster, beispielsweise für die MacLeods von Lewis und die von Harris. Zu unseren Käufern für Tartan zählen auch die schottische Fußball Vereinigung und die schottische Rugby Union. Wir haben aber auch Haute Couture Designer aus Paris und London als Kunden, oder deutsche Einzelhändler, oder Inneneinrichtungsfirmen, die Möbelstoffe suchen." In der Halle ist es dunkel und rutschig. Margaret MacLeod, in schwarzer hautenger Hose und schwarzem Jackett, schiebt sich durch die schmalen Gänge, rennt zwischen den ratternden Maschinen so flink hindurch, dass ihre halblangen roten Haare hinter ihr herwehen. Bei einem Trog mit melierter Wolle, die aus vier oder fünf verschiedenen Farben besteht, bleibt sie stehen.

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"So sieht die farblich gemischte Wolle aus, aus der wir dann unsere Wollfäden spinnen, in unseren ganz typischen Farben." Mit immer neuen Mischungen der Wollfaden entstehen auch immer wieder neue Farbtöne. Nach dem Spinnen, das eine andere Maschine erledigt, spannt ein Weber Fäden in gleichmäßigem Abstand auf eine anderthalb Meter lange Walze. "Das nennen wir den Weberbaum. Der ist nun fertig und wird zu einem unserer Heimweber auf der Insel Lewis und Harris gefahren. Wir arbeiten mit ungefähr 130 Webern zusammen, die alle selbständig sind." Viele der Heimarbeiter leben auf einem Croft, halten nebenbei ein paar Schafe, oder gehen fischen. Andere weben hauptberuflich und können im Jahr bis zu 50 000 Pfund verdienen. Der fertig gewebte Tweed geht zurück in die Wollmühle. Er wird auf Fehler hin kontrolliert, gedämpft, gestärkt und schließlich mit einem Siegel versehen. Regal um Regal mit fertig gewebten Stoffballen reiht sich an einer Wand. "Man sieht hier Muster in hellem Pink, aber auch traditionelle Brauntöne, verschiedene Muster für verschiedene Kunden in der ganzen Welt. Die Deutschen haben etwas andere Wünsche als die Italiener, und die wiederum suchen etwas anderes als unsere Kunden aus Japan." Japaner mögen helle Farben, anders wiederum als die Kunden in Großbritannien. 600 verschiedene Muster und Töne sind es insgesamt. Ein riesiges Angebot. Was damit und all den Geschäftsverbindungen nach dem Brexit wird, Margaret zuckt mit den Schultern. "Wir arbeiten hart daran, unsere Kunden in Europa zu halten, wirklich hart. Oh, das ist jetzt etwas zerbrochen. (lacht) Also, wir wollen weiter gute Geschäfte mit allen unseren europäischen Kunden machen. Die sind sehr wichtig für uns." 21

Auch von einer schottischen Unabhängigkeit will sie nichts wissen. "Schottland gehört zu Großbritannien und wir haben davon profitiert, so wie wir sehr gerne ein Teil Europas sind, aber ich fürchte, dass das so nicht bleiben wird, wie es im Moment aussieht." Doch Margaret will die Hoffnung nicht aufgeben. Sie geht weiter und zeigt auf eine Baustelle. "Hinter dieser Tür entsteht unser neues Färbehaus. Da haben wir zusammen mit einem italienischen Partner viel Geld investiert, für unsere Zukunft. Wir arbeiten mit den Europäern zusammen, um sicher zu stellen, dass sich unsere Tweed Industrie weiter entwickelt."

Gesichter Europas: Stolz und machtlos – Schottland, ein Jahr nach dem Brexit-Referendum Mit Reportagen von Ingrid Norbu Musik und Regie: Simonetta Dibbern Die Literaturauszüge las Tom Jacobs Redaktion und Moderation: Britta Fecke

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