DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN

Vf. 151-IX-07 DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN IM NAMEN DES VOLKES Beschluss In dem Verfahren auf Aberkennung des Mandats auf Ant...
Author: Chantal Vogel
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Vf. 151-IX-07

DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN IM NAMEN DES VOLKES

Beschluss In dem Verfahren auf Aberkennung des Mandats

auf Antrag

des 4. Sächsischen Landtages, vertreten durch den Präsidenten des Sächsischen Landtages, Bernhard-von-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden, Vertreter der Anklage:

1) Präsident des Sächsischen Landtages Erich Iltgen, 2) Direktor beim Sächsischen Landtag Dr. M., 3) Ministerialdirigent G.,

gegen Herrn Dr. Volker Külow, Mitglied des 4. Sächsischen Landtages, Bevollmächtigter:

Rechtsanwalt B.,

hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Birgit Munz sowie die Richter Jürgen Rühmann, Matthias Grünberg, Ulrich Hagenloch, Hans Dietrich Knoth, Rainer Lips, Hans v. Mangoldt, Martin Oldiges und HansHeinrich Trute am 11. Dezember 2008

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beschlossen:

1. Der Antrag wird verworfen. 2. Der Freistaat Sachsen hat dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu erstatten.

G r ü n d e: A. I. Der 4. Sächsische Landtag beschloss in seiner 95. Sitzung am 13. Dezember 2007 bei Anwesenheit und Abstimmungsteilnahme von 121 Abgeordneten mit 86 Ja- zu 32 Nein-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, gegen den am 12. November 1960 in L. geborenen Angeklagten gemäß Art. 118 SächsVerf Abgeordnetenanklage zum Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats zu erheben (PlenProt 4/95 S. 7877). Zur Überzeugung des Landtages sei der Angeklagte für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS)/Amt für nationale Sicherheit der DDR (AfnS) tätig gewesen, indem er in der in der Drucksache 4/10449 dargestellten Art und Weise wissentlich und willentlich als inoffizieller Mitarbeiter (IM) mit dem MfS zusammengearbeitet und Berichte auch zu konkreten Verhältnissen natürlicher Personen abgeliefert habe; die fortdauernde Innehabung seines Landtagsmandats erscheine untragbar. Damit nahm der Landtag den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage vom 5. Juli 2007 (Drs. 4/9336) entsprechend der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten vom 28. November 2007 (Drs. 4/10449) an. Auf dieser Grundlage fertigte der Präsident des Landtages die Anklageschrift, die am 14. Dezember 2007 bei dem Verfassungsgerichtshof einging. Über die Landesliste der PDS wurde der Angeklagte am 19. September 2004 erstmals in den Landtag gewählt. Nachdem er die Wahl angenommen hatte, leitete der Präsident des Landtages das Abgeordnetenüberprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 Satz 3 und 4 des Abgeordnetengesetzes (AbgG) und § 44 Abs. 2 Satz 3 und 4 des Sächsischen Wahlgesetzes (SächsWahlG) ein. Auf die Unterlagenanforderung übermittelte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (Bundesbeauftragte) den Bericht vom 30. August 2005, in welchem sie mitteilte, dass der Angeklagte unter den Decknamen „O.“ und „B.“ bei der Abteilung ... der Bezirksverwaltung L., die inhaltlich von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) angeleitet und kontrolliert worden sei, als IM mit der Registriernummer .../88 erfasst gewesen sei. Akten zu dieser Registriernummer seien jedoch nicht mehr auffindbar. Dem Bericht waren einzelne Dokumente beigefügt, u.a. eine Karteikarte zur IM-Erfassung. Nach Prüfung dieser

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Unterlagen und informatorischer Anhörung des Angeklagten am 5. Dezember 2005 entschied der Bewertungsausschuss des Landtages, kein Verfahren nach § 1 Abs. 6 und 7 AbgG und § 44 Abs. 6 und 7 SächsWahlG gegen den Angeklagten einzuleiten. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2006, beim Präsidenten des Landtages eingegangen am 18. Dezember 2006, übersandte die Bundesbeauftragte eine ergänzende Mitteilung zu dem Bericht vom 30. August 2005, da vorvernichtete Unterlagen rekonstruiert werden konnten. Aus diesem Material ergaben sich weitere Hinweise auf eine inoffizielle Tätigkeit des Angeklagten für das frühere MfS. Den ergänzenden Bericht und die beigefügten Unterlagen leitete der Präsident des Landtages dem Bewertungsausschuss zu, der nach Prüfung der Dokumente, Anhörung des Angeklagten und Befragung von zwei Auskunftspersonen die am 21. Juni 2007 im Landtag ausgegebene Beschlussempfehlung (Drs. 4/9167) aussprach, gegen den Abgeordneten einen Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats gemäß Art. 118 SächsVerf zu stellen; zur Begründung wurde ausgeführt: „ ... Der Bewertungsausschuss kommt nach Prüfung der vorliegenden Unterlagen und der Stellungnahme des Betroffenen, Herrn Dr. Külow, zur Bewertung, dass Herr Dr. Külow in der Zeit von 1988 bis Ende 1989 wissentlich und willentlich mit dem MfS, hierbei mit der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Außenstelle L. als inoffizieller Mitarbeiter (IM) zusammengearbeitet hat. Diese Zusammenarbeit wird von dem Betroffenen auch eingeräumt und in allen in den Unterlagen genannten Einzelfällen bestätigt. Die weitere Bewertung durch die Mitglieder des Bewertungsausschusses führte für deren Mehrheit zu dem Ergebnis, dass diese Zusammenarbeit des Betroffenen mit dem MfS eine fortdauernde Innehabung des Abgeordnetenmandats untragbar erscheinen lässt. Die festgestellte Tätigkeit für das MfS und die daraus resultierenden Gefahren für die hiervon Betroffenen begründen die Untragbarkeit einer weiteren Mitgliedschaft von Herrn Dr. Külow im Sächsischen Landtag. Auch die festgestellte Intensität der Zusammenarbeit mit dem MfS sowie deren Zielgerichtetheit und Freiwilligkeit stützen nach Auffassung der Ausschussmehrheit dieses Ergebnis. Zwar hat der Betroffene seine IM-Tätigkeit nicht geleugnet, aber dennoch immer nur soviel eingeräumt, wie anhand der jeweiligen Aktenlage nachweisbar war. Daher hält eine Mehrheit im BA den vom Betroffenen zu seiner Verteidigung angeführten offenen Umgang mit seiner früheren Zusammenarbeit mit dem MfS letztlich nicht für überzeugend. Auch hat die Erörterung der Unterlagen mit dem Betroffenen nicht ergeben, dass er heute eine ausreichend kritische Distanz zum Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erkennen lässt. Insgesamt wiegt die hier vorgefundene Tätigkeit für das MfS so schwer, dass der BA nach dem gem. Art. 118 Abs. Nr. 2 SächsVerf anzulegenden Bewertungsmaßstab auch trotz des eingetretenen Zeitablaufs mit der nach § 1 Abs. 7 Satz 1 AbgG erforderlichen Mehrheit zu dem Ergebnis gekommen ist, dem Landtag die Empfehlung zur Einleitung einer Abgeordnetenanklage gemäß Art. 118 Abs. 2 SächsVerf auszusprechen...“

Am 4. Juli 2007 behandelte der Landtag in nicht öffentlicher Sitzung die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses und nahm diese mehrheitlich an (PlenProt 4/83 S. 6937 f.). Darauf reichten 46 Abgeordnete am 5. Juli 2007 den Antrag ein, der Landtag möge beschließen, gegen den Abgeordneten gemäß Art. 118 SächsVerf beim Verfassungsgerichtshof Anklage mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats zu erheben (Drs. 4/9336). Am 6. Juli 2007 wurde dieser Antrag in erster Beratung im Landtag behandelt und an den Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten überwiesen (PlenProt 4/85 S. 7058 ff.). Der Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten behandelte den Antrag erstmals auf seiner 12. Sitzung am 11. September 2007. Dabei befasste er sich zunächst mit Verfahrensfragen, beschloss einen Zeitplan und entschied, zu den weiteren Sitzungen den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR einzuladen;

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zugleich wurde der Angeklagte zur Anhörung geladen und ihm die Möglichkeit eingeräumt, Beweismittel zu benennen. In der 13. Sitzung am 1. Oktober 2007 erfolgte die Anhörung des Angeklagten. Auf sein Ersuchen wurde einleitend der im Januar 1990 ausgestrahlte Film des W.-Journalisten M. „Ich werde kämpfen“ vorgeführt, der sich u.a. mit der politischen Tätigkeit des Angeklagten während der Wendezeit befasst. Anschließend erläuterte der Angeklagte seine Tätigkeit für das frühere MfS und beantwortete Nachfragen der Ausschussmitglieder. Der Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten befragte in seiner 14. Sitzung am 16. Oktober 2007 – wie vom Angeklagten beantragt – die Auskunftsperson Frau Dr. M.; hieran schloss sich die Befragung von Vertretern der Bundesbeauftragten an, die im Rahmen der 15. Sitzung am 23. Oktober 2007, an welcher der Angeklagte nicht teilnahm, fortgesetzt wurde. Am 6. November 2007 beriet der Ausschuss den Entwurf einer Beschlussempfehlung, welcher nach Änderungen mehrheitlich beschlossen wurde; zugleich entschied der Ausschuss, diesen Entwurf dem Angeklagten zur Stellungnahme zuzuleiten. Mit Schreiben vom 18. November 2007 nahm der Angeklagte schriftlich Stellung. In seiner 17. Sitzung am 27. November 2007 beschloss der Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten mit 15:5:0 Stimmen, dem Landtag zu empfehlen, den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage gegen den Angeklagten – Drs. 4/9336 – anzunehmen und dabei der Beschlussempfehlung nebst Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten zu folgen. In der Beschlussempfehlung vom 28. November 2007 (Drs. 4/10449) sind neben dem Bericht über den Verfahrensgang die Erwägungen der Ausschussmehrheit wie folgt dargestellt: „Nach Artikel 118 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung kann der Sächsische Landtag beim Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen ein Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats beantragen, wenn sich der dringende Verdacht erhebt, dass ein Mitglied des Landtages vor seiner Wahl für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR tätig war und deshalb die fortdauernde Innehabung des Mandats als untragbar erscheint. a) Herr Dr. Volker Külow, MdL, ist zur Überzeugung des Ausschusses unter dem Decknamen “O. ” als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das MfS in der Art und Weise, wie sie sich aus den dem Sächsischen Landtag übersandten Unterlagen der BStU ergibt, und die Grundlage der Erörterungen des Bewertungsausschusses und des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten waren, wissent- und willentlich tätig geworden. Eine Tätigkeit für das MfS im Sinne des Artikels 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf ist bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift jede finale Unterstützung, wobei es ungeachtet einer IM-Verpflichtung des Betroffenen oder seiner sonstigen Einbindung in die Strukturen oder Verflechtungen des MfS ausschließlich auf seine tatsächliche Zusammenarbeit ankommt (Sächsischer Verfassungsgerichtshof, JbSächsOVG 6, 47 [65 f.]). In Auswertung der übersandten Dokumente sowie der eingehenden mündlichen Erörterungen mit den Betroffenen, einer Auskunftsperson und den Vertretern der BStU steht für den Ausschuss fest, dass Herr Dr. Volker Külow, MdL, sich zur Erteilung von Informationen an das MfS bereit erklärt hat und zu diesem Zweck entsprechende Verbindungen zu seinem Führungsoffizier Major L. unterhielt. Herr Dr. Külow, MdL, betonte mehrfach, dass er bereits ab 1990 in der Sächsischen PDS die Tatsache seiner Zusammenarbeit mit dem MfS offengelegt habe. Im Sommer 2004 vermerkte Herr Dr. Külow, MdL, auf einem Wahlkampfflyer für die Wahl zum 4. Sächsischen Landtag: „... ab 1988 Kontakte zur Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS“. Auf seiner Homepage erwähnte er in dieser Zeit, dass er 1988 „von der HVA des MfS zur Gewinnung von Auslandskontakten angesprochen worden“ sei. Das Magazin „F.“ berichtete am 13.09.2004, also kurz vor der Landtagswahl, ausführlich über Decknamen, finanzielle Zuwendungen und Zeitdauer der Zusammenarbeit mit dem MfS. Herr Dr. Volker Külow, MdL, wird dabei dahingehend zitiert, dass seine Arbeit für das MfS darin bestanden habe, bei seinen Reisen auszuloten, was für die HVA interessant sein könnte.

5 In der 11. Sitzung des Bewertungsausschusses am 19.09.2005 kam den Mitgliedern des Bewertungsausschusses erstmalig ein Vermerk der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Herrn Dr. Volker Külow MdL betreffend, zur Kenntnis. Da der Bewertungsausschuss intensiv mit den Vorgängen in einem anderen Fall befasst war, wurde beschlossen, die Bewertung dieser Unterlagen in der 12. Sitzung am 07.11.2005 zu behandeln. Da die Unterlagen nicht mehr als bereits über die eben zitierten Presseinformationen Bekanntes enthalten, beschloss der Bewertungsausschuss, mit Herrn Dr. Külow, MdL, zur 13. Bewertungsausschusssitzung ein informelles Gespräch zu führen, das am 05.12.2005 stattfand. Da der Bewertungsausschuss weiterhin davon ausgehen musste, dass die HVA-Unterlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit vernichtet worden waren, war nach dieser langen Zeit nicht damit zu rechnen, dass noch weitere Unterlagen bekannt werden würden. Deshalb wurde auf einen Erörterungstermin verzichtet. Bei dem informellen Gespräch bestätigte Herr Dr. Külow, MdL, sehr freimütig und offen alle dem Bewertungsausschuss damals vorliegenden Hinweise auf seine Arbeit mit dem MfS. Er erläuterte, wie es zu dieser Mitarbeit kam und wie und weshalb er diese Mitarbeit freiwillig und überzeugt angenommen habe. Er berichtete von Details seiner Auslandsarbeit für die HVA. Die heute bekannten Berichte und Sachverhalte, die sich nach innen richteten und die dem Bewertungsausschuss ab 2007 bekannt wurden, wurden an keiner Stelle erwähnt. Nach diesem Gespräch mit Herrn Dr. Külow, MdL, hat der Bewertungsausschuss seinerzeit nach ausführlicher Diskussion keinen weiteren Aufklärungsbedarf, der über die zugesandten Unterlagen und die von Herrn Dr. Külow, MdL, gemachten Erläuterungen hinausging, gesehen. Es war klar, dass Herr Dr. Külow, MdL, wissentlich und willentlich mit der HVA des MfS zusammengearbeitet hatte. Der Bewertungsausschuss leitete kein Verfahren für einen Erörterungstermin ein. Damit war die Bewertung zunächst abgeschlossen. Am 24.01.2007, zur 17. Sitzung des Bewertungsausschusses, stellte dessen Sprecher den Mitgliedern des Bewertungsausschusses neu erschlossene Rechercheergebnisse der BStU betreffend Herrn Dr. Külow, MdL, vor, die am 18.12.2006 beim Präsidenten des Sächsischen Landtages eingegangen waren. Die Bewertungsausschussmitglieder verständigten sich, bis zur 18. Sitzung des Bewertungsausschusses am 07.02.2007 Einsicht in die Akten zu nehmen. Nach kontroverser Diskussion wurde mehrheitlich festgestellt, dass es sich bei den Unterlagen um eine qualitativ neue Dimension handelt, da die vorliegenden Berichte das Maß einer Mitarbeit für einen Auslandsspionagedienst weit überschreiten. Es handelt sich vorwiegend um Berichte über Personen und Ereignisse aus dem Umfeld von Herrn Dr. Külow, MdL, im Inland. Nach eingehender Diskussion wurde ein Erörterungstermin mehrheitlich auf den 27.02.2007 festgelegt. Am 15.02.2007 veröffentlichte Herr Dr. Külow, MdL, eine umfangreiche Presseerklärung zu den Stasivorwürfen, die er auch über das Ausschusssekretariat allen Bewertungsausschussmitgliedern zukommen ließ. Darin führte Herr Dr. Volker Külow, MdL, aus: „Wie hinlänglich bekannt, habe ich nie einen Hehl aus meiner informellen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in den Jahren 1988/1989 gemacht. Nicht um nostalgischer Verklärung willen bekenne ich mich seit vielen Jahren zu meiner IM-Tätigkeit für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), sondern entsprechend der in unserer Partei für jedes Mitglied geltenden Festlegungen, bei Kandidaturen jeglicher Art auch mit diesem Teil seiner Biografie offen und öffentlich umzugehen. Die Wählerinnen und Wähler sollen im Wissen um diese Tatsache selbst ihr Urteil über die Kandidatinnen und Kandidaten unserer Partei fällen können [...]. Ohne den Besitz einer detaillierten Aktenkenntnis habe ich mich dann 2004 schon vor der Landtagswahl zu dem Fakt, dass ich IM war, und auch zu einigen Details meiner Involvierung bekannt und ausdrücklich beantragt, mir zu genehmigen, das von der Birthler-Behörde überlassene Material uneingeschränkt öffentlich machen zu dürfen... Meine HVA-Zusammenarbeit habe ich nach dem dreijährigen Wehrdienst in der NVA und der Ausbildung zum Diplomlehrer für Marxismus/Leninismus damals in meiner beruflichen Tätigkeit als Historiker und wissenschaftlicher Assistent an der K.-M.-Universität L. für legitim gehalten, zumal ich wie viele SED-Mitglieder der festen Überzeugung war, dass sich die DDR Ende der 80er Jahre im Rahmen der Ost-West-Konfrontation in existenzieller Bedrohung befand und nur durch entschiedene Reformprozesse zu retten gewesen wäre. Auch wenn das Land, in dem ich aufgewachsen bin, am Ende untergegangen ist, gehöre ich zu denen, die mit dem Ende der DDR die sozialistische Idee nicht auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollen [...]. Wer die Akten vorurteilsfrei studiert, stellt fest, dass ich da nichts aus materiellen Beweggründen machte. Ich handelte auch nicht aus Gründen des beruflichen Fortkommens, habe also beispielsweise andere nicht herabgesetzt, um selber daraus einen Vorteil für meine Karriere zu ziehen. Für mich bestimmend war die Grundidee der ostdeutschen Gesellschaft, dass nicht mehr die soziale Herkunft über Bildungs- und Aufstiegschancen entscheiden darf und der wirtschaftlichen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen Schranken gesetzt werden. Gleichzeitig war ich mir natürlich der gewaltigen ökonomischen Überlegenheit des Westens bewusst und sah unsere Gesellschaft von dieser Macht bedroht – von außen, aber auch von innen. Jeder in L. konnte ja die Begleiterscheinungen der „L. Messe“ besichtigen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch mein offenkundiges Bemühen, dem MfS selbst Vorschläge zu unterbreiten und Hilfe anzubieten. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: In diesem Übereifer habe ich die vom menschlichen Anstand gebotenen Grenzen in einigen Fällen ganz klar überschritten [...].“

6 In der 19. Sitzung des Bewertungsausschusses am 27.02.2007 fand dann die umfangreiche Befragung von Herrn Dr. Külow, MdL, statt. Hier erläutert er ausführlich seine „partielle Verdrängung“ betreffs der jetzt aufgefundenen Berichte im Laufe der 90er Jahre. Weiterhin erläuterte Dr. Külow, MdL, dass das zu DDR-Zeiten übliche so genannte „Berichte schreiben“ für einen staatlichen Leiter eine selbstverständliche Tätigkeit gewesen sei, die zunächst einmal mit den Berichten für das MfS nichts zu tun gehabt habe. Wie in seiner Presseerklärung erläutert er seine damalige Überzeugung zur Legitimität der Mitarbeit beim MfS. Zu diesem Umfeld gehört sein freundschaftliches Verhältnis zu seinem damaligen Führungsoffizier. In der 20. Sitzung wird der Antrag von Herrn Dr. Külow, MdL, angekündigt, folgende zwei Zeugen vor dem Bewertungsausschuss anzuhören: 1. Herrn M., Korrespondent des W., der Anfang 1990 eine Fernsehdokumentation über Herrn Dr. Külow, MdL, anfertigte und 2. Herrn L., ehemaliger Führungsoffizier von Herrn Dr. Külow. Zusätzlich beantragte Herr Dr. Külow, MdL, dass sich der Bewertungsausschuss den von Herrn M. gedrehten Film „Ich werde kämpfen“ ansieht, bevor Herr M. befragt wird. Diesen Anträgen ist der Bewertungsausschuss am 24.04.2007 in seiner 22. Sitzung nachgekommen. Teile des Bewertungsausschusses erkennen in dem Film keinen Bezug zu der Tätigkeit von Herrn Dr. Külow, MdL, für das MfS. In der Befragung des ehemaligen Führungsoffiziers L. stellte sich deutlich heraus, dass Herr Dr. Külow, MdL, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass alle über ihn existierenden Unterlagen komplett vernichtet worden waren. b) Am 22.05.2007 hat der Bewertungsausschuss in seiner 24. Sitzung dann die eigentliche Bewertung vorgenommen. In seiner Gesamtabwägung stimmte der Bewertungsausschuss mit 8:2:0 Stimmen dafür, dem Landtag zu empfehlen, Anklage gemäß Artikel 118 der Sächsischen Verfassung gegen Herrn Dr. Külow, MdL, zu erheben. Anders als in anderen Fällen stand damit bereits für den Bewertungsausschuss sowie für das Plenum des Sächsischen Landtages bei der Beratung über die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses und für den Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten unzweifelhaft und unbestritten und vom Betroffenen eingeräumt, die Tatsache der wissentlichen und willentlichen Zusammenarbeit mit dem MfS fest. Diese Tatsache wurde durch die Befassung des Ausschusses in keinem Punkt infrage gestellt. Die Zusammenarbeit endete nicht durch eine Entscheidung des Betroffenen, sondern durch den Untergang des MfS und des Untergangs der DDR. Unklar blieb allerdings, ob über die dem Sächsischen Landtag durch die letztmalige Übersendung von Unterlagen am 18.12.2006 bekannt gewordenen Umfänge der Zusammenarbeit mit dem MfS weitere, derzeit noch nicht bekannte Tatsachen zu dieser Zusammenarbeit bestehen. Weder die Vertreter der BStU, noch der betroffene Abgeordnete selbst, konnten dies vollends ausschließen. Das Eingeständnis der Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit durch den betroffenen Abgeordneten bezieht sich in vollem Umfang auf die sämtlichen, dem Sächsischen Landtag durch die BStU übermittelten Unterlagen und Vorgänge. Dieses Eingeständnis wird bestätigt durch die Ausführungen der Vertreter der BStU und die Ausführungen der Auskunftsperson Frau Dr. M. sowie die zur Erlangung der Akteneinsicht durch den betroffenen Abgeordneten geführte Korrespondenz mit der BStU. Hierzu wird auf die dem Sächsischen Landtag vorliegenden Unterlagen der BStU und die Protokolle der 12., 13., 14. und 15. Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten der 4. Wahlperiode des Sächsischen Landtages vollumfänglich verwiesen. c) Die fortdauernde Innehabung des Mandats des Abgeordneten Dr. Volker Külow erscheint zur Überzeugung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten mehrheitlich als untragbar im Sinne von Artikel 118 Abs. 1 Sächsische Verfassung. Zu dem Ergebnis der Untragbarkeit der weiteren Innehabung des Mandats im vorliegenden Fall kommt der Ausschuss durch eingehende Abwägung zwischen dem Abgeordneten durch seine Wahl in den 4. Sächsischen Landtag von jenen Wählern, die für die Liste seiner Partei votierten, verliehenen freien Mandat mit den hohen Anforderungen an die besondere persönliche Integrität, die die Innehabung des Mandats erfordert. Dabei war abzuwägen, inwieweit der Umfang und die Intensität der Tätigkeit für das MfS und die heutige Reflektion des betroffenen Abgeordneten über diese Tätigkeit sowie die Entwicklung dieser Reflektion über die vergangenen Jahre seit der Zusammenarbeit mit dem MfS bis heute für oder gegen die Tragbarkeit der weiteren Innehabung des Mandats sprechen. Für Herrn Dr. Volker Külow, MdL, und für die Tragbarkeit der weiteren Innehabung des Mandats im Lichte seiner MfS-Zusammenarbeit sprechen neben der langen Zeitdauer von nunmehr 18 Jahren seit der durch den Untergang der DDR bedingten Beendigung dieser Zusammenarbeit seine grundsätzliche und seit mindestens 2001 offen praktizierte Bereitschaft, nicht nur die Tatsache seiner Zusammenarbeit mit dem MfS, sondern auch deren jeweils bekannten Umfang vollständig einzugestehen.

7 Eine Leugnung bekannter Details der Zusammenarbeit mit dem MfS erfolgte nach Auffassung des Ausschusses zu keinem Zeitpunkt. Insbesondere nach Bekanntwerden und Öffentlichwerden der der Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses zugrunde liegenden Tatsachen aus der Zusammenarbeit Herrn Dr. Külows, MdL, mit dem MfS ist offenbar Herr Dr. Külow, MdL, selbst auf zahlreiche Betroffene seiner Tätigkeit für das MfS aus seinem damaligen Umfeld (nach seinen Darlegungen 7 Personen) zugegangen. Dabei hat er sich nach seinen Angaben und nach den glaubwürdigen Aussagen der Auskunftsperson Frau Dr. M. hinsichtlich seiner Tätigkeit und ihres bekannten Umfangs offenbart und individuell sowie mit seiner oben genannten Pressemitteilung vom 15.02.2007 eingestanden, in „einigen Fällen die Grenzen des menschlichen Anstands überschritten zu haben“. Auch hat der Betroffene sich umfänglich den Bitten des Bewertungsausschusses des Sächsischen Landtages und des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten zur Verfügung gestellt und mit den beiden Ausschüssen umfangreiche Erörterungen zu seiner Tätigkeit geführt und aktiv zum Verfahren der Ausschüsse beigetragen. Die Haltung des Abgeordneten zu den Verfahren des Bewertungsausschusses und des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten ist als konstruktiv zu bewerten. Auch hat sich der betroffene Abgeordnete jedenfalls seit dem Februar 2001 bemüht, umfängliche Einsicht in die zu seiner Person vorhandenen Unterlagen der BStU zu erhalten und sich mit den darin enthaltenen Fakten auseinanderzusetzen. Herr Dr. Volker Külow, MdL, arbeitet in seiner Partei und für seine Partei als Stadtrat in L. sowie als Mitglied des 4. Sächsischen Landtages seit September 2004 als Berufspolitiker intensiv in Institutionen und Gremien an der politischen Willensbildung auf kommunaler- und Landesebene mit. Der betroffene Abgeordnete hebt auf Befragen in seiner Anhörung vor dem Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten hervor, dass er die Möglichkeiten der politischen Mitwirkung in der Bundesrepublik Deutschland positiver einschätzt. Trotz dieser einzelnen und in ihrer Summe eindeutig positiven Tatsachen kommt der Ausschuss dennoch mehrheitlich zu der Auffassung, dass die in Betracht zu ziehenden kritischen Aspekte in der Tätigkeit für das MfS und im Umgang mit dieser Tätigkeit in solchem Maße überwiegen, dass die weitere Innehabung des Mandats als untragbar erscheint. Hier ist zunächst die von unkritischem besonderem Eifer getragene Intensität und Aktivität in der Zusammenarbeit mit dem MfS zu bedenken, die in ihrer Intensität auch und gerade unter dem Eindruck der zusammenbrechenden staatlichen Strukturen der DDR in keinem Punkt nachließ. Gaben die Verhältnisse der Zeit im Herbst des Jahres 1989 Anlass zu kritischer Reflektion über die politischen Verhältnisse in der DDR und insbesondere die Rolle des MfS, so sah der betroffene Abgeordnete gerade diesen Anlass nicht, sondern führte seine Zusammenarbeit mit dem MfS vielmehr in unbeeindruckter Intensität fort. Beendet wurde diese Zusammenarbeit nicht durch den Abgeordneten Dr. Külow, sondern vielmehr ausschließlich durch die Tatsache des Untergangs des MfS und seiner Strukturen. Die vom Bundesverfassungsgericht konstatierte Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit als „zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparates der DDR“, das als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung fungierte und insbesondere dazu diente, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten, vermochte Herr Dr. Külow nicht zu reflektieren. Dass damit die Tätigkeit des MfS auf eine Verletzung jener Freiheitsrechte zielte, die für eine Demokratie konstituierend sind, vermochte Herr Dr. Külow, MdL, nicht zu erkennen. Vielmehr erblickte er in der seinerzeitigen intensiven Zusammenarbeit mit dem MfS bis zum Spätherbst 1989 in den sich ausbreitenden demokratischen Freiheitsrechten eine Bedrohung seines Gemeinwesens, der er durch seine Tätigkeit für das MfS aktiv entgegenwirken wollte und wirkte. Besonders schwer wiegt dabei, dass ihm offenbar bis in die jüngste Zeit hinein diese Rolle des MfS nicht bewusst ist. Dies wird nicht zuletzt deutlich in den Ausführungen der von Herrn Dr. Külow, MdL, benannten Auskunftsperson Frau Dr. M., mit der sie dem Ausschuss (Protokoll S. 10 der 14. Sitzung) über ihre Erörterungen wenige Monate zuvor – also 2007 – mit Herrn Dr. Külow, MdL, über dessen damalige Tätigkeit, sie betreffend, berichtet: „...Ich habe ihm natürlich erst einmal sagen müssen – das ist ihm wahrscheinlich nicht so klar gewesen –, dass er mich da auch in echte Gefahr gebracht hat. Darüber hat er wahrscheinlich nicht nachgedacht. Aber das war eben genau der Gegenstand unseres Abends. Ich habe den Eindruck, dass er das dann schon eingesehen hat. In meiner Wohnung sind Leute abgehört worden, die Messegäste waren. Wenn es dort in Zukunft Wanzen gegeben und die DDR noch ein bisschen länger gelebt hätte – ich weiß nicht, was mir dann irgendwann passiert wäre. Das habe ich laut und

8 deutlich gesagt. Das hat er verstanden, das hat er eingesehen. Dafür hat er sich entschuldigt. Ich habe ihm natürlich ein bisschen auf die Sprünge helfen müssen, das überhaupt zu erkennen. Er kam auch in Rage, weil er sich ungerecht behandelt fühlte, dass ihm hier keiner zuhört. Dann habe ich ihm gesagt: jetzt hörst du mir aber mal zu!...“ Hier zeigt sich, dass eine ausreichende distanzierte Reflektion über die Intensität und das konkrete Gefahrenpotenzial seiner Tätigkeit für das MfS für die von dieser Tätigkeit Betroffenen Herrn Dr. Külow, MdL, nicht nur seinerzeit unbewusst war, sondern dass er auch in der konkreten persönlichen Auseinandersetzung mit einer solchen Betroffenen erst von dieser und erst im Jahr 2007 hierauf ausdrücklich aufmerksam gemacht werden musste. Diese, von der Auskunftsperson eindringlich und glaubhaft geschilderte Episode aus dem Jahr 2007 zeigt deutlich, dass die Zeit zwischen dem Ende der Tätigkeit für die Staatssicherheit und dem Gespräch mit der hiervon betroffenen Frau Dr. M. jedenfalls auf die sie bezüglich der sie betreffenden Gefährdungspotenziale seiner Tätigkeit ohne jegliche kritische Reflektion seitens Herrn Dr. Külows, MdL, verstrichen waren. Nicht er war sich darüber bewusst, dass er grundsätzlich mit seiner Arbeit für das MfS anderen erheblich schaden konnte, sondern fühlte er sich nunmehr im Jahr 2007 ungerecht behandelt. Die hierin erkennbare Schieflage in der Reflektion über seine Tätigkeit ist besonders gravierend. Auch kann bei näherer Betrachtung von einem hinreichend offenen Umgang mit der Zusammenarbeit für die Staatssicherheit trotz der jeweiligen öffentlichen Bekundungen letztlich nicht ausgegangen werden. Die Öffentlichkeit von Bekundungen der Zusammenarbeit hat im Kern für Herrn Dr. Külow wenig mit Offenheit hinsichtlich dieser Zusammenarbeit zu tun. Eingestanden wurde durch Herrn Dr. Külow stets nur jener Sachverhalt, der sich aus der jeweiligen Aktenlage nachweisbar und unleugbar ergab. Sein Verhalten bis zum Eintreffen neuer Unterlagenbelege weist eine ihm eigene Art der Verdrängung auf und lässt eine wirkliche Offenheit oder selbstkritische Reflexion nur dort zu, wo die Unterlagen erdrückende Beweise liefern können. Charakteristisch ist dabei, dass die jeweils an den Tag gelegte Offenheit in der Öffentlichkeit immer erst nach dem Auftauchen neuer Unterlagen und nicht schon in zeitlicher Nähe zu den Ereignissen einsetzte. Dies ist insbesondere deshalb von großer Bedeutung, da Herr Dr. Külow auch nach dem Ende seiner Zusammenarbeit mit dem MfS bis heute nach eigenem und dessen Bekunden ein enges Verhältnis zu seinem damaligen Führungsoffizier, Herrn L., pflegt, was von diesem bestätigt wurde. Er verfügt deswegen in seinem heutigen Umfeld über viele Jahre über eine zuverlässige sichere Quelle hinsichtlich seiner damaligen Tätigkeit. Diese Quelle hat er offensichtlich nicht mit dem Ziel der Offenlegung seiner Tätigkeit für das MfS vor dem Auftreten neuer Akten genutzt. Dies wird besonders deutlich im Zusammenhang mit der ersten Befassung des Bewertungsausschusses im Jahre 2005. Spätestens hier wäre Anlass gewesen, wenn wirkliche Offenheit gesucht worden wäre, in gehöriger Anstrengung der Erinnerung gemeinsam mit dem Führungsoffizier eben auch die dann erst später bekannt gewordenen Tätigkeiten zu ergründen und zu offenbaren. Hierbei war Herr Dr. Külow eben nicht, wie er dem Ausschuss und der Öffentlichkeit versucht Glauben zu machen, auf die vorherige Einsichtnahme in die Unterlagen der BStU, ihn betreffend, angewiesen. Er verfügte neben seiner eigenen Erinnerung über die Erinnerungsleistung des ehemaligen Führungsoffiziers. Dieses Verhalten, konkrete Umstände seiner Tätigkeit erst und nur dann und nur in dem Umfang einzuräumen und zuzugeben, wenn diese aufgrund der Aktenlage der BStU unleugbar sind, zeigt sich besonders an einem Vorgang, der den Ausschuss intensiv beschäftigt hat: In den Unterlagen, die die BStU im Sächsischen Landtag zur Verfügung gestellt hatte, spielt ein Vorgang aus dem Jahr 1989 eine Rolle, der sich aus der Anlage Nr. 1.27, Blatt 1 und 2 der Auskunft der BStU ergibt. Diese Unterlage enthält die Schilderung des Herrn Dr. Külow bezüglich eines ihm bekannten afghanischen Studenten, der wohl urlaubsbedingt aus der DDR auszureisen wünschte, wobei Herr Dr. Külow dieses Ausreiseersuchen als Vorbereitung einer „Republikflucht“ einstufte und deshalb eine Ausreise nicht befürwortete. Das Schreiben erweckt den Eindruck, an eine vorgesetzte universitäre Dienststelle gerichtet gewesen zu sein und nicht an das MfS. Ausdrücklich hierzu befragt, führt Herr Dr. Külow in der Anhörung vor dem Ausschuss in der 13. Sitzung (Protokoll S. 28) aus: „Ich war gewissermaßen der staatliche Vorgesetzte des afghanischen Studenten und habe ihn wissenschaftlich betreut und war dadurch der Vorgesetzte, und ich sollte eine Stellungnahme abgeben bzw. hätte ich diese Reise befürworten müssen. Ich habe diese Reise nicht befürwortet mit dem Wissen darum, dass beabsichtigt war – wie man damals gesagt hätte – Republikflucht zu begehen. Ich habe aber diese Information an die übergeord-

9 nete staatliche Leitung weitergegeben und nicht an das MfS; geschweige denn, dass ich irgendeine Anzeige gemacht habe.“ Vorausgegangen war dieser Stellungnahme folgende Frage: „Ist es richtig, dass diese Äußerung gegenüber der Universitätsleitung bzw. dem Direktorat im Zusammenhang mit einem Antrag auf eine Reise erfolgt ist, wozu dann die Studienjahres- bzw. die Semesterleitung Stellung nehmen sollte, so dass diese Äußerung gegenüber der Studienjahres- bzw. Universitätsleitung, im Direktorat also, in deiner Eigenschaft als der zuständige Seminarleiter als der so genannte staatliche Leiter erfolgt ist?“ Es wird dann im Anschluss im Ausschuss die Frage eingehend erörtert, wie dieses Dokument, wenn es doch nicht an das MfS gerichtet gewesen sei, in die IM-Akte gelangt sein könne. Herr Dr. Külow führt dazu aus (Protokoll S. 30): „Darauf habe ich meine Bedenken nach meiner Erinnerung und Wahrnehmung gegenüber der damaligen Studienleitungsabteilung – auch das ist ein richtiger Begriff – geäußert. Ob und wie das dann zum MfS hinüber gewandert ist oder ob andere Mechanismen, ..., dazu beigetragen haben, dass das am Ende in der Akte landet, weiß nicht. Man kann aber vielleicht versuchen, es zu rekonstruieren, wenn es aus Ihrer Sicht so existenziell ist, diese Frage zu klären. Ich habe das, was zur Lösung dieser Frage beitragen konnte, nach meinem besten Wissen und Gewissen getan.“ Abgeordnete des Ausschusses wollen daraufhin Vertreter der BStU befragen. In der 14. Sitzung (Protokoll S. 14) führt dann die Mitarbeiterin der Außenstelle der BStU L. aus: „Ja, den Bericht, den Sie angesprochen haben, Herr Abgeordneter, da ist nicht ersichtlich, dass der an die Universität L. gegeben worden ist, sondern der ist identisch mit noch zwei anderen Berichten. Also es sind insgesamt drei Berichte, die zum gleichen Datum mit der gleichen Maschinenschrift geschrieben sind und sich in der Akte befinden. Der erste Bericht ist nicht unterschrieben mit dem gleichen Datum und der gleichen Maschinenschrift. Der Zweite ist unterschrieben mit dem Decknamen. Und der Dritte, den Sie angesprochen haben, der ist unterschrieben mit IM der Abteilung ... . Es ist auch ein Vermerk darauf des Referatsleiters. Das sehen Sie ganz oben, wenn Sie den Bericht anschauen, wo handschriftlich vermerkt wurde: ‚ausgewertet und als Sofortbericht an die Kreisdienststelle Stadt stellvertretender Leiter Genosse B.’ und der ist unterzeichnet mit Kürzel des Referatsleiters ‚K.’, also K., Referatsleiter.“ Auf die Frage, ob dieser Bericht deshalb direkt an die Stasi geschrieben wurde, führt Frau S. aus: „Ja, davon gehe ich aus.“ Auf Nachfrage führt sie aus: „Ich gehe sicher davon aus.“ Darauf reagiert Herr Dr. Külow mit den Worten (Protokoll S. 16): „Ich habe nie behauptet, dass ich überzeugt davon bin. Sondern ich habe immer gesagt, dass ich es nicht ausschließe. Weil ich also von der Diktion – ich muss dazu sagen, ich habe das Dokument kurz einsehen dürfen im Februar, es liegt mir bekanntlich nicht vor – von der Diktion hinten raus konnte ich nicht ausschließen, dass es auch an die Studienleitung adressiert war. Wichtig scheint mir aber noch einmal die Feststellung zu sein, dass man die Gesamtumstände des Falles würdigen muss, meiner Meinung nach, der sehr komplex ist. Sie wissen, dass es sich um die mir bekannte Tatsache handelt, dass Republikflucht geplant war. Das ist anzeigepflichtig gewesen zur DDR. Ich habe das nicht angezeigt, sondern ...“ Herr Z. von der BStU führt dazu aus (S. 17 des Protokolls): „... Aber ob dieses Schreiben, diese Anlage Nr. 1.27, Blatt 1 und 2 unserer Auskunft, ob diese Information auch oder parallel an die Studienstelle zu richten war, das ist ihr nicht anzusehen, weil im Kopf keine entsprechende Anrede oder kein entsprechender Empfänger aufgetragen ist. Hier ist nur das handschriftlich vermerkt, was Frau S. vorgetragen hat, nämlich der Vermerk des Stasireferatsleiters K. Ich denke, es ist auch interessant, dass diese Information hier eben nicht Bestandteil der Arbeit der Abteilung ... – Auslandaufklärung – mit ihrem Netz war, sondern an den Bereich der Kreisdienststelle Stadt des MfS ging, weil es hier ein anderes Thema berührte.“ Und weiter (S. 18): „... Hier haben wir eine eindeutige Zuordnung des Führungsoffiziers. Eine Abheftung von Unterlagen, die nicht über den Führungsoffizier in die IM-Akte gekommen sind – so was gab es regelhaft nicht. Die Akte hat hier der Führungsoffizier gehabt und nicht eine dritte Person. Wenn solche Unterlagen kämen, würde sie sozusagen den Zulieferungsvermerk sehen, wie hier das auch handschriftlich an die KD L. Stadt gerichtet ist. Ich denke, wenn wir die Unterlagen der KD L. Stadt in die Unterlagen

10 hinein schauten, würden wir sehen, dass dort dieser Person des ... eine Zulieferung aus der Abteilung ... erfolgt ist. ...“ Nach eingehender weiterer Erörterung dieses Sachverhalts führt Herr Dr. Külow aus (Protokoll S. 49): „... Wenn Frau S. heute sagt, dieses Schreiben ist definitiv dem Konvolut zuzurechnen, das an den Führungsoffizier gegangen ist, dann habe ich jetzt keinen Grund, ihre Aussage zu bestreiten.“ Auf Nachfrage des Ausschussvorsitzenden, ob es auch sein könne, dass er es praktisch nur dem MfS übergeben habe, führt Herr Dr. Külow aus: „Ich kann auch das nicht ausschließen.“ Und weiter auf Seite 50 des Protokolls: „Ich habe dann den ... ich habe dann den Weg gewählt nach meiner Erinnerung parallel zur Studienabteilung und zum MfS ...“ Diese Episode zeigt eindringlich, dass Herr Dr. Külow einen Sachverhalt zunächst so schildert, wie er für ihn aus heutiger Sicht günstig ist und erst dann, auf erdrückende und unleugbare Beweise nach und nach eine für ihn ungünstigere Variante einräumt. Dieses Verhalten ist jedoch für seinen Umgang mit dieser Tätigkeit symptomatisch. Zur Überzeugung des Ausschusses steht also fest, dass Herr Dr. Külow weder im jugendlichen Alter noch unter Druck angeworben wurde, sondern er den Pakt mit dem MfS mit höchster Bereitwilligkeit eingegangen ist und nicht versucht hat, sich aus eigener Kraft oder eigener Erkenntnis aus den Verstrickungen zu befreien. Vielmehr ist sein Auftraggeber, die Stasi, durch den Untergang der DDR abhanden gekommen. Wenn er in seiner Presseveröffentlichung vom 15. Februar 2007 ausführt: „In diesem Übereifer habe ich die vom menschlichen Anstand gebotenen Grenzen in einigen Fällen ganz klar überschritten.“ fehlt ihm dabei jedoch die Einsicht offenbar immer noch dahingehend, dass es nicht um einige einzelne Fälle geht, sondern vielmehr gebot es die vom menschlichen Anstand gezogene Grenze, überhaupt nicht als Spitzel der Staatssicherheit zu arbeiten. Niemand, auch überzeugte Sozialisten, war gezwungen, diese Grenze zu überschreiten. Auch die Ausführung des Herrn Dr. Külow, mit einer Kandidatur für ein politisches Mandat in einem Parlament habe er bewusst wegen seiner Stasiverstrickung bis 2004 gewartet, ist unzutreffend. Vielmehr hat er in den Jahren 1990 und 1994 für den Deutschen Bundestag kandidiert. Der von Herrn Dr. Külow angeführte Film des Regisseurs M. „Ich werde kämpfen“ dokumentiert Herrn Dr. Külow als Hoffnungsträger für einen demokratischen Sozialismus in der Zeit des Jahreswechsels 1989/90. Obwohl dieser Film in keiner Fassette – wie dies auch die beigezogenen Ausführungen von Herrn M. ausdrücklich belegen – die Tätigkeit Herrn Dr. Külows für die Staatssicherheit zum Gegenstand hat, lag jedoch während der ersten Phase dieser Dreharbeiten seine Stasizuträgerschaft noch in den letzten Zügen, deren Zielpersonen in nicht geringem Umfang eigene Genossen waren, deren Ideale vom Sozialismus gerade in die Brüche gegangen waren. So zeigt also der Film lediglich einen Aspekt der im Jahreswechsel 1989/90 zutage getretenen äußeren Erscheinung Herrn Dr. Külows. Die noch nahezu gleichzeitige Arbeit für die Staatssicherheit verbirgt dieses Bild. Im Übrigen zeigt die Tätigkeit Herrn Dr. Külows für das MfS deutlich, dass gerade in jener Phase der Tätigkeit Herrn Dr. Külows für das MfS die Tätigkeit der HVA im Rahmen des MfS nach innen gewirkt und zur Repression beigetragen hat. Keinesfalls war die Tätigkeit Herrn Dr. Külows im Schwerpunkt auf Spionage für den Auslandsgeheimdienst gerichtet. Vielmehr betätigte er sich für das MfS aktiv in seinem Umfeld im Inland der DDR. Eingehend erörtert der Ausschuss auch die heutige Einstellung Herrn Dr. Külows zu seiner damaligen Tätigkeit und ihre Einordnung in die Repressionsmechanismen des Staatsapparates der DDR. Er führt dazu aus (13. Sitzung Protokoll S. 20): „... Ich stehe nach wie vor dazu, dass ich in meinem Verständnis als loyaler DDR-Bürger es als eine Selbstverständlichkeit angesehen habe, mit der HVA des MfS zusammenzuarbeiten ...“ Auf die entsprechende Frage eines Abgeordneten führt Herr Dr. Külow dann weiter aus (auf Protokoll S. 28): „Grundsätzlich war die DDR eine Diktatur, nämlich die Diktatur des Proletariats. Das stand auch in allen einschlägigen Dokumenten, Erich Honecker hat es auch jeden zweiten Tag gesagt, und im „ND“ stand es bestimmt fünf Mal am Tag. Es ist also völlig unstrittig. Ich habe Ihre Frage [...] nicht ganz genau verstanden. Wenn ich es richtig begriffen habe, meinten Sie, dass ein Geheimdienst der Diktatur in keiner Weise mit einem Geheimdienst in einer

11 parlamentarisch-demokratischen Republik gleichgesetzt werden kann. Diese Auffassung teile ich nicht; denn ein Geheimdienst ist ein Geheimdienst, und er arbeitet in Mechanismen, die weltweit ziemlich gleich sind. Dass ein Geheimdienst in diesem Land parlamentarisch kontrolliert wird, halte ich, mit Verlaub gesagt, für einen Witz. Man liest doch jeden Tag in der Zeitung, dass das nicht stattfindet [...].“ Weiter führt er zur Frage des Charakters des Systems der DDR aus (Protokoll S. 32): „... Zum dritten Teil Ihrer Frage, dem Unrechtssystem: Nein, über diese Brücke gehe ich nicht. Falls Sie das jetzt vielleicht missverstanden haben: Diese Frage wird mir mit einer gewissen Regelmäßigkeit gestellt und ich verneine sie auch mit der entsprechenden Regelmäßigkeit. ... Es ist ja wie bei der katholischen Glaubenskongregation, dass gefragt wird: Sind Sie der Auffassung, dass die DDR und so weiter und so fort, und ich sage: Ich bin nicht dieser Auffassung. Wir hatten eine Diktatur des Proletariats und das war Selbstverständnis aber ein Unrechtssystem ist etwas anderes, das ist ein Kampfbegriff.“ Dies zeigt, dass gerade auch unter der Berücksichtigung des Zeitablaufs weder eine Einsicht in den Charakter jenes Apparates, dem er aktiv zugearbeitet hat, noch eine Einsicht in das konkrete Gefährdungspotenzial seiner Arbeit für die in seiner Umgebung betroffenen Menschen erkannt wird. Vielmehr zeigt die Aussage der Auskunftsperson Frau Dr. M., dass er auch aktuell darauf von einer Betroffenen konkret hingewiesen werden musste und nicht selbst zu dieser Einsicht gelangte. Seine Einsicht ist vielmehr darauf gerichtet, seinerzeit als „engagierter DDR-Bürger“ hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem MfS im Wesentlichen alles richtig gemacht zu haben. Lediglich in Teilbereichen habe er „die Grenze des menschlichen Anstands“ hier und da überschritten. An konkrete Dinge kann und will er sich solange nicht erinnern, wie ihm nicht unwiderlegliche Beweise vorgelegt werden. Hier sieht er stets andere, insbesondere die Birthlerbehörde, im Obligo und nicht sich selbst und die ihm zugänglichen Quellen, wie z.B. den Führungsoffizier L. Diese vollständig mangelhafte Selbstreflexion über seine Rolle als Teil des Repressionsapparates der DDR noch nach dem Ablauf so langer Zeit lässt in Ansehung des persönlichen Maßes seiner Zusammenarbeit mit dem MfS unter Abwägung aller Umstände eine weitere Innehabung seines Mandats als nicht tragbar erscheinen.“

Der Landtag behandelte diese Vorlage – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten – in seiner 95. Sitzung am 13. Dezember 2007 und beschloss in namentlicher Abstimmung, den Antrag Drs. 4/9336 entsprechend dieser Empfehlung anzunehmen und Abgeordnetenanklage bei dem Verfassungsgerichtshof zu erheben (PlenProt 4/95, S. 7861 ff., 7877).

II. Der Angeklagte beantragt, 1) den Antrag unter Feststellung der Unzulässigkeit der Anklage zu verwerfen, 2) hilfsweise zu 1) das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, 3) hilfsweise zu 1) und 2) die Eröffnung des Verfahrens unter Feststellung fehlenden dringenden Tatverdachts abzulehnen, 4) hilfsweise zu 1) bis 3) zur Vorbereitung der Verhandlung gemäß § 41 SächsVerfGHG Vorermittlungen durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes anzuordnen. 1. Zur behaupteten Unzulässigkeit der Abgeordnetenanklage führt der Angeklagte u.a. aus: a) Die Anklage sei unzulässig, da der in der Anklageschrift herangezogene Tatbestand des Art. 118 Abs. 1 SächsVerf gegen Fundamentalnormen der Verfassung des Freistaates Sachsen verstoße und als verfassungswidriges Verfassungsrecht keinen Bestand haben könne. Die Abgeordnetenanklage verstoße gegen den in Art. 39 Abs. 3 SächsVerf verbürgten Grundsatz des frei-

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en Mandats des Abgeordneten, der vor unfreiwilligem Mandatsverlust schütze. Mit der angestrebten Entfernung des Angeklagten aus dem Mandat werde dessen verfassungsrechtlicher Status völlig überlagert und damit die Funktionalvoraussetzung des repräsentativ-parlamentarischen Regierungssystems im Kernbereich getroffen. Gleichzeitig werde das flankierende Recht auf freie Mandatsausübung (Behinderungsverbot) verletzt sowie gegen die mit der Annahme der Wahl gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf erworbenen Statusrechte des Abgeordneten verstoßen. Art. 118 Abs. 1 SächsVerf greife zudem unzulässig in Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte des Angeklagten ein; insbesondere habe die Norm eine unverhältnismäßige Beschränkung seines passiven Wahlrechts zur Folge. Darüber hinaus verbiete das in Art. 3 Abs. 1 SächsVerf verankerte Prinzip der Volkssouveränität eine nachträgliche Korrektur plebiszitärer Elektorate. Da das Verfahren nach Art. 118 Abs. 2 SächsVerf den Wählerwillen deformiere, verstoße die Bestimmung außerdem gegen das in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 SächsVerf verbürgte Demokratieprinzip. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach der Konstruktion des Art. 118 Abs. 1 SächsVerf nur Abgeordnete angeklagt werden könnten, die vor ihrer Wahl in den Landtag vermeintlich gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Es fehle jedoch an einer sachlichen Rechtfertigung dafür, dass während der Innehabung des Mandats begangene Rechtsverstöße nicht zur Möglichkeit der Anklageerhebung führten; vor diesem Hintergrund sei die Verfassungsnorm mit dem Diskriminierungs- und Willkürverbot (Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) unvereinbar. Weiterhin sei die Anklage unzulässig, weil Art. 118 SächsVerf gegen Bundesrecht, insbesondere gegen die verfassungsmäßigen Garantien des Art. 28 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG, verstoße. Mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sei der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit und der verfassungsrechtliche Schutz des freien Mandats, insbesondere dessen Bestand, für die verfassungsrechtlichen Ordnungen der Länder bundesgesetzlich garantiert. Hiergegen sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG, der die bundesrechtliche Gewährleistung für den staatsbürgerlichen Status der Wähler und Wahlbewerber darstelle, verstoße Art. 118 SächsVerf; dies führe nach Art. 31 GG zur Nichtigkeit der Landesnorm. Des Weiteren stünden der Anwendbarkeit des Art. 118 SächsVerf bindende europarechtliche Vorgaben, insbesondere Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), entgegen. Nach der Resolution Nr. 1096 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Juni 1996 seien Lustrationsgesetze auf Abgeordnete unanwendbar, was ausdrücklich in den „Richtlinien zur Sicherstellung, dass die Säuberungsgesetze und ähnliche Verwaltungsmaßnahmen im Einklang mit den Erfordernissen eines Rechtsstaats stehen“ (BT-Drs. 13/5543, S. 27 bis 30) betont werde. b) Die Abgeordnetenanklage sei auch aus formellen und materiell-rechtlichen Gründen unzulässig erhoben und deshalb zu verwerfen. Der verallgemeinernde, lediglich grobe Beschreibungen enthaltende Anklagesatz genüge nicht den vom Verfassungsgerichtshof entwickelten Mindestanforderungen. In ihm seien keinerlei Handlungsbeschreibungen bzw. -merkmale enthalten; ebenso fehle es an einer Darstellung der sachlichen Anknüpfungstatsachen für die Untragbarkeitsprognose. Es könne nicht dem Verfassungsgerichtshof obliegen, aus der im Anklagesatz in Bezug genommenen Drs. 4/10449 herauszusuchen, welche Inhalte den Anklagevorwurf stützten. Im Übrigen bezeichne auch die Drs. 4/10449 nicht die einzelnen dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen. Es mangele

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auch an der Voraussetzung, dass der Beschluss des Landtages selbst durch die genaue Bezeichnung der Lebenssachverhalte den Gegenstand der Urteilsfindung abzugrenzen habe. Zudem berufe sich die Anklage in erheblichem Umfang auf Dokumente, die gerade nicht an alle Mitglieder des Landtages ausgegeben worden seien; dies gelte u.a. für die Berichte der Bundesbeauftragten und die Protokolle des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten sowie die vom Angeklagten zu seiner Entlastung überreichten Dokumente. Die Anklage sei jedenfalls unzulässig, weil die durch § 38 Abs. 3 SächsVerfGHG gesetzte Frist versäumt worden sei. Ausweislich des Protokolls der 95. Sitzung des Landtages hätten die Abgeordneten ausschließlich über den Beschlussantrag „Der Landtag möge beschließen, den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage gegen Herrn Dr. Volker Külow, MdL, – Drs. 4/9336 – anzunehmen“ entschieden. Mithin sei schon der in der Anklageschrift enthaltene Anklagesatz nicht Gegenstand der Beratung und Abstimmung im Landtag gewesen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Anklagesatz die Beschlussempfehlung (Drs. 4/10449) zutreffend wiedergebe, nämlich dass der Angeklagte wissentlich und willentlich als IM mit dem damaligen MfS zusammengearbeitet und Berichte auch zu konkreten Verhältnissen natürlicher Personen abgeliefert habe, so sei zumindest dieser Vorwurf dem Landtag weit länger als ein Jahr bekannt gewesen. 2. Dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof stehe außerdem ein zur Einstellung führendes Verfahrenshindernis entgegen. Das parlamentarische Verfahren zur Abgeordnetenüberprüfung und Herbeiführung der Abgeordnetenanklage sei nicht in der erforderlichen Form durch formelles Gesetz geregelt. Im Übrigen entbehre sowohl das in § 1 Abs. 2 bis 7 AbgG für den Bewertungsausschuss als auch das anschließende in § 73 GO geregelte Verfahren der notwendigen inhaltlichen Bestimmtheit; die Vorkehrungen und Sicherungen zum Schutz der Statusrechte entsprächen nicht den an Abgeordnetenüberprüfungen zu stellenden Anforderungen. Der Anspruch auf Einstellung des Verfahrens erhärte sich durch den Umstand, dass es nicht nur im Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten, sondern auch im Bewertungsausschuss zu gravierenden Rechtsverstößen und einer ungenügenden Wahrung der Rechte des Angeklagten gekommen sei. Mitglieder des Bewertungsausschusses hätten gegen ihre Verschwiegenheitspflicht nach § 1 Abs. 4 AbgG verstoßen. Darüber hinaus habe die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses (Drs. 4/9167) nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen. Die Begründung umfasse lediglich eine Seite. Es werde kein einziger Sachverhalt zur MfS-Tätigkeit angeführt und auch keine Abwägung belastender und entlastender Momente vorgenommen; ebenso wenig sei der Gang des Verfahrens beschrieben. An die Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses seien jedoch besondere inhaltliche Anforderungen zu stellen, weil allein sie Grundlage für die Entscheidung des Landtages sei, das weitere öffentliche Verfahren auf Erhebung der Abgeordnetenanklage einzuleiten. 3. Der dem Angeklagten angelastete Sachverhalt genüge nicht, um die in der Anklageschrift herangezogene Tatbestandsalternative des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf, insbesondere die behauptete Untragbarkeit der fortdauernden Innehabung des Mandats, zu begründen. Der Angeklagte bestreite nicht, im Rechtssinne in bewusster und finaler Weise mit dem MfS zusammengearbeitet zu haben. Allerdings verteidige er sich gegen die mit der Anklage in überschießender Weise angelastete Intensität und Schwere der Zusammenarbeit mit dem MfS. Keine Person, über

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die er dem MfS berichtet habe, sei geschädigt worden; dies sei für die Bewertung der Schwere der vorgeworfenen Tätigkeit von erheblicher Bedeutung. Darüber hinaus habe sich der Angeklagte bei den betroffenen Personen persönlich oder schriftlich entschuldigt. Auch sei er mit dem Umstand seiner Tätigkeit für das MfS offen umgegangen. Die Anklageschrift setze sich jedoch in keiner Weise mit den Einlassungen des Angeklagten auseinander und erwähne entsprechende Einwände zu seiner Entlastung kaum. Auch messe die im Rahmen des Art. 118 SächsVerf vorzunehmende Einzelfallprüfung der tatsächlichen Zurückliegensdauer der Tätigkeit für das MfS nicht die verfassungsrechtlich gebotene hohe Gewichtung bei und berücksichtige unzureichend, dass sich die Tätigkeit nur auf 1 ½ Jahre belaufen habe. Die Anklageschrift wie auch die zugrunde liegenden Beschlussempfehlungen enthielten eine verfassungswidrige Verkürzung der Tragbarkeitsprüfung. In unzulässiger Weise vermischten sie die MfS-Tätigkeit und die Zukunftsprognose miteinander und gäben der Untragbarkeitseinschätzung eine ganz deutlich einseitige Ausrichtung. Als prognostischen Ausgangspunkt zögen sie die MfS-Verwicklung heran und betrachteten die Zusammenarbeit als vorprägend. Dies sei das Gegenteil einer ergebnisoffenen ex-ante-Betrachtung. Auch unterziehe sich die Anklage nicht der Mühe, die Anforderungen der Rechtsprechung zum Sonderkündigungstatbestand in Anlage I, Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 bis 5 des Einigungsvertrages entsprechend zu beachten. Insbesondere werde nicht berücksichtigt, dass sich der Angeklagte im Prozess der politischen Wende beim Aufbau der freiheitlich demokratischen Strukturen in prägnantem Maße engagiert habe. In seinen Parteifunktionen auf Landesebene habe er nicht nur sämtliche Auseinandersetzungen mit der völlig verfehlten Sicherheitspolitik der SED und der repressiven Ausrichtung des MfS maßgeblich mitbestimmt, sondern als Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten und insbesondere seit seiner Wahl in den Stadtrat von L. und in den Landtag den im Grundgesetz und der Verfassung des Freistaates Sachsen niedergelegten Staatsfundamentalgrundsätzen und Demokratieprinzipien verpflichtete Arbeit geleistet. Er habe sich frühzeitig gegenüber der Öffentlichkeit noch vor der Kandidatur zu seiner Tätigkeit für das MfS bekannt und später umfängliche Bemühungen entwickelt, um sich bei betroffenen Personen zu entschuldigen. Dies zeige eine nachdrückliche innere Distanz sowie Abkehr von früheren Einstellungen und damit seine Nachbewährung. 4. Hinsichtlich seines hilfsweise gestellten Antrags auf Anordnung von Vorermittlungen benennt der Angeklagte mehrere Zeugen und beantragt, die gesamten von der Bundesbeauftragten zu seiner Person verwahrten Daten sowie die Protokolle des Bewertungsausschusses beizuziehen.

B. I. Die Abgeordnetenanklage ist unzulässig. Da der Verfassungsgerichtshof einstimmig zu dieser Entscheidung gelangt ist, kann er die Anklage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i.V.m. § 24 BVerfGG verwerfen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 2. November 2006 – Vf. 55-IX-06, JbSächsOVG 14, 23 [35]; st. Rspr.).

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II. 1. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nach Art. 118 SächsVerf i.V.m. § 7 Nr. 9 SächsVerfGHG über Anträge, Mitgliedern des Landtages das Mandat abzuerkennen. 2. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Antrags ist nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf, dass der Beschluss des Landtages, Abgeordnetenanklage zu erheben, bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln seiner Mitglieder eine Zweidrittelmehrheit gefunden hat, die jedoch mehr als die Hälfte der Mitglieder betragen muss. In seiner 95. Sitzung am 13. Dezember 2007 beschloss der Landtag bei Anwesenheit von mehr als zwei Dritteln seiner Mitglieder mit 86 Ja- zu 32 Nein-Stimmen und folglich mit der erforderlichen Stimmenmehrheit ein verfassungsgerichtliches Verfahren gegen den Angeklagten mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats einzuleiten. 3. Dieser Beschlussfassung liegt jedoch keine wirksame parlamentarische Abstimmung über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Abgeordnetenanklage zugrunde (a). Darüber hinaus bestimmt der Landtagsbeschluss nicht ausreichend den Gegenstand der Anklage, sodass mit der vom Präsidenten des Landtages in Bindung an diesen Beschluss gefertigten Anklageschrift vom 14. Dezember 2007 die Abgeordnetenanklage gegen den Angeklagten nicht in zulässiger Weise bei dem Verfassungsgerichtshof erhoben worden ist (b). a) Der Beschluss des Landtages vom 13. Dezember 2007 ist nicht auf einer Grundlage ergangen, die eine den Statusrechten des Angeklagten gerecht werdende parlamentarische Entscheidungsfindung erlaubte. aa) Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf verfolgt den Zweck, vor dem Hintergrund der in der Präambel hervorgehobenen leidvollen Erfahrungen kommunistischer Gewaltherrschaft das Vertrauen der Bevölkerung, gerade auch der Opfer des Gewaltregimes, in die Tätigkeit des Staates zu stärken und deshalb Voraussetzungen für den Ausschluss derjenigen vom Mandat zu schaffen, die wegen ihrer besonders intensiven, durch eigenes Tun bewirkten MfS-Verstrickung als Abgeordnete untragbar erscheinen (SächsVerfGH, Beschluss vom 13. Januar 2000 – Vf. 41-IX-99; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Februar 1997 – Vf. 25-IV-96, JbSächsOVG 5, 80 [88 f.]). Die Abgeordnetenanklage nach Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf ist auf die besondere Situation nach der Beseitigung der Gewaltherrschaft zugeschnitten. Mit ihrer konsequenten Orientierung auf die Einzelfallabwägung ist sie dazu bestimmt, fortdauernden untragbaren Belastungen der freiheitlich demokratischen Entwicklung im Einzelfall zu begegnen. In diesem Sinne dient Art. 118 SächsVerf der Absicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments im vorgegebenen System der repräsentativen Demokratie; hierzu gehört auch die Gewährleistung der Fähigkeit des Landtages, dem Volk die Legitimität seiner Entscheidungen zu vermitteln, weil anders die Integration auf Dauer nicht möglich wird. Dies setzt die Vertrauenswürdigkeit des Parlaments voraus. Wo der Eindruck eines Selbstwiderspruchs entstehen müsste, wenn die Aufarbeitung der Vergangenheit auch den – nicht erkennbar gewandelten – Tätern von früher anvertraut würde, hat das

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Parlament ein nachhaltiges Interesse, seine verfassungsrechtlich unverzichtbare Integrität und Legitimität zu bewahren. bb) Auch wenn die Beurteilung der Mandatsunwürdigkeit eines Abgeordneten auf der Grundlage der angeklagten Sachverhalte letztlich dem Verfassungsgerichtshof obliegt, begründet Art. 118 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SächsVerf zunächst ein Initiativrecht des Landtages im Sinne eines eigenverantworteten Antrags, untragbaren Abgeordneten das Mandat zu entziehen, um auf diese Weise die Vertrauenswürdigkeit und Integrität des Parlaments zu sichern und zu fördern. Unter Berücksichtigung der Funktion der Abgeordnetenanklage ist es allein Aufgabe des Landtages zu entscheiden, welche Umstände im konkreten Einzelfall das Bedürfnis für ein Anklageverfahren begründen (vgl. auch BVerfGE 99, 19 [34]; siehe zudem LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, LVerfGE 5, 203 [225]). Die Entscheidung über die Erhebung der Anklage obliegt dabei nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf dem Parlament als Gesamtorgan. Im Rahmen der Abstimmung nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf sind alle Abgeordneten berufen, zu beurteilen und – mit Bindung für das verfassungsgerichtliche Verfahren – zu beschließen, welche Sachverhalte dazu Anlass geben, gegen den betroffenen Abgeordneten ein verfassungsgerichtliches Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats einzuleiten. Dies setzt voraus, dass die Abgeordneten vor der Beschlussfassung vollständig über die anzuklagenden Sachverhalte unterrichtet sind. Nur wenn alle entscheidungsrelevanten Tatsachen mitgeteilt worden sind, ist jedem Abgeordneten eine sachgerechte Entscheidung darüber möglich, ob näher bestimmte Verhaltensweisen des Angeklagten den Tatbestand der Nr. 1 oder 2 des Art. 118 Abs. 1 SächsVerf erfüllen und hieran die Einschätzung anknüpfen kann, die weitere Innehabung des Mandats sei untragbar. Das Erfordernis einer vollständigen Unterrichtung über die anzuklagenden Sachverhalte als Grundlage für die Abstimmung im Landtag ist nicht zuletzt auch zum Schutz der Statusrechte des betroffenen Abgeordneten geboten. Bei der vom Landtag angestrebten Aberkennung des Mandats handelt es sich um den schwerwiegendsten Eingriff in den Status eines Abgeordneten. Mit der durch Art. 118 SächsVerf eröffneten Möglichkeit, Abgeordnetenanklage zu erheben, werden nicht nur die Ausübung des Mandats und die Unabhängigkeit des Abgeordneten, sondern der Bestand des Mandats und die durch die Wahl grundsätzlich erworbene Legitimität des Abgeordneten, das Volk im Parlament zu vertreten, in Frage gestellt (vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47 [62]). Um der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsstellung des betroffenen Abgeordneten gerecht zu werden, insbesondere um ihm eine effektive Verteidigung zu ermöglichen (zu den Beteiligungsrechten vgl. allgemein BVerfGE 94, 351 [369]; 99, 19 [33]; ThürVerfGH, LVerfGE 7, 337 [353 f.]), ist es unabdingbare Voraussetzung, dass alle Umstände, die für die Beurteilung seiner Mandatsunwürdigkeit von Bedeutung sind, vor der Beschlussfassung konkretisiert werden und alle Abgeordneten auf dieser Grundlage verantwortlich über die Anklageerhebung entscheiden können.

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cc) Das so verstandene Unterrichtungserfordernis bezieht sich sowohl auf das tatbestandsmäßige Verhalten im Sinne des Art. 118 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 SächsVerf – hier Art und Ausmaß der Tätigkeit des Angeklagten für das frühere MfS – als auch auf diejenigen Sachverhaltselemente, welche die Untragbarkeit der fortdauernden Innehabung des Mandats begründen können (vgl. dazu auch SächsVerfGH, Beschlüsse vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47 [61]; Vf. 17-IX-98 und Vf. 18IX-98). Art. 118 Abs. 1 SächsVerf enthält zwei kumulativ zu prüfende Tatbestandsvoraussetzungen und weist damit eine zweistufige Struktur auf (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Februar 1997 – Vf. 25-IV-96, JbSächsOVG 5, 80 [90]). Auf der ersten Stufe bedarf es im Anwendungsbereich des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf dringender Verdachtsmomente dafür, dass der betreffende Abgeordnete bewusst und final für das frühere MfS tätig geworden ist (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47 [66]). Diese Tätigkeit reicht im Falle ihres Nachweises aber für sich genommen nicht aus, um eine Aberkennung des Mandats zu rechtfertigen. Es bedarf vielmehr in einem zweiten Schritt der Prüfung, ob die weitere Mitgliedschaft des Abgeordneten im Landtag wegen seiner Tätigkeit für das frühere MfS („deshalb“) als untragbar erscheint. Dieser zweiten Stufe kommt eine eigenständige Bedeutung zu. Sie fordert die Vornahme einer zukunftsbezogenen, umfassenden, alle beachtlichen Aspekte des jeweiligen Falls einbeziehenden Prüfung, wobei ihr Ergebnis durch die Tätigkeit für das MfS nicht im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Untragbarkeit vorgeprägt wird (SächsVerfGH, Beschluss vom 20. Februar 1997 – Vf. 25-IV-96, JbSächsOVG 5, 80 [90]; vgl. auch SächsOVG, SächsVBl. 1998, 157 [159]; SächsOVG, Urteil vom 22. Januar 2008 – 4 B 332/07). Nach dem Normkonzept des Art. 118 Abs. 1 SächsVerf ist die vollständige Unterrichtung der Abgeordneten über die auf erster Stufe zur Last gelegten tatbestandsmäßigen Handlungen allerdings notwendige Voraussetzung, um über die Einleitung eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens auf Mandatsaberkennung entscheiden zu können. Ohne eine genaue Bestimmung der vorgeworfenen Tätigkeit für das frühere MfS ist einer Beurteilung der Untragbarkeit der weiteren Innehabung des Mandats jede Grundlage entzogen. Der notwendige erste Schritt der Einzelfallprüfung besteht daher in einer Auseinandersetzung mit Anlass, Inhalt und Auswirkungen der MfS-Mitarbeit. Da die Abgeordnetenanklage den Bestand des Abgeordnetenstatus in Frage stellt, kommen nur Verstrickungen von hinreichendem Gewicht bzw. gewisser Intensität als Ausschlussgrund in Betracht. Dabei besteht auf zweiter Stufe umso eher Anlass für eine Zurückstellung der Statusrechte, je schwerer die Verstrickung des betreffenden Abgeordneten in den Apparat des MfS wiegt (vgl. allgemein BVerfGE 96, 171 [188]; BVerwGE 108, 64 [68 ff.]; BVerwG, NJ 2001, 106 [107]; SächsOVG, SächsVBl. 1998, 157 [161]; SächsOVG, Urteil vom 22. Januar 2008 – 4 B 332/07), wobei sein späteres Verhalten und der Zeitablauf in die Betrachtung einzubeziehen sind.

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dd) Unter Berücksichtigung des parlamentarischen Verfahrensgangs und nach Auswertung der an die Abgeordneten ausgegebenen Dokumente kann vorliegend nicht angenommen werden, dass ihnen eine sachgerechte und verantwortliche Beurteilung des Maßes der MfS-Verstrickung des Angeklagten sowie eine hieran anknüpfende – auch sein späteres Verhalten und den Zeitablauf berücksichtigende – Einschätzung zur Mandatsunwürdigkeit möglich war. Da bereits die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit des Angeklagten relevanten Sachverhaltselemente nicht oder unzureichend bekannt gegeben waren, lässt die Beschlussfassung nicht erkennen, dass sie das Ergebnis einer Auseinandersetzung der Abgeordneten mit den im Sinne von Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf tatbestandsmäßigen Verfehlungen war. Eine Unterrichtung über diejenigen Sachverhaltselemente, auf die sich die Annahme einer Tätigkeit des Angeklagten für das frühere MfS stützt und die von Bedeutung für die Beurteilung von Anlass, Inhalt und Auswirkungen dieser Tätigkeit sind, erfolgte nicht im Rahmen der der Beschlussfassung vorangegangenen parlamentarischen Debatte (PlenProt 4/95 S. 7861 ff.). Ebenso wenig enthalten die ausgegebene Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten (Drs. 4/10449) nähere Handlungsbeschreibungen, die den Abgeordneten eine Beurteilung der Tätigkeit des Angeklagten für das frühere MfS ermöglichten. Hier heißt es hinsichtlich der nach Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf zur Last gelegten Verfehlungen lediglich, der Angeklagte sei „zur Überzeugung des Ausschusses unter dem Decknamen “O. ” als IM für das MfS in der Art und Weise, wie sie sich aus den ... übersandten Unterlagen der BStU ergibt, ... wissent- und willentlich tätig geworden.“ Diese Bezugnahme auf die Unterlagen der Bundesbeauftragten gewährleistete jedoch keine Kenntnisnahme aller Abgeordneten von den in der Mitteilung der Bundesbeauftragten dokumentierten Sachverhalten, sodass diese Vorgänge mangels Bekanntgabe auch nicht Grundlage der Abstimmung im Landtag waren. Denn von der durch Ziffer 2 Buchst. d der Richtlinien für die Tätigkeit des Bewertungsausschusses nach § 1 AbgG (Richtlinien – Drs. 4/0469 i.V.m. Drs. 4/0563) eröffneten Möglichkeit, die in Bezug genommenen Unterlagen der Bundesbeauftragten an alle Abgeordneten zum Zwecke der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung auszugeben, wurde kein Gebrauch gemacht. Der Ausgabe des Berichts der Bundesbeauftragten sowie der beigefügten Unterlagen an alle Abgeordneten hätten auch keine höherrangigen Rechtsvorschriften, insbesondere nicht die Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG), entgegen gestanden. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b und § 21 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b StUG können Unterlagen nach Maßgabe der dafür geltenden Vorschriften zur Überprüfung von Abgeordneten auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR herangezogen werden. Maßgebende Vorschrift in diesem Sinne ist die Verfassungsnorm des Art. 118 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 SächsVerf, die dem Landtag als Gesamtorgan – und damit allen seinen Mitgliedern – die Aufgabe zuweist, über die Konsequenzen einer dokumentierten Tätigkeit für das frühere MfS zu entscheiden. Dabei hätte sich die Ausgabe der Unterlagen der Bundesbeauftragten anlässlich der Ab-

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stimmung – sofern die Vorgaben der Ziffer 2 Buchst. d der Richtlinien beachtet werden – auch im Rahmen des Übermittlungszwecks (§ 29 Abs. 1 Satz 1 StUG) gehalten. Soweit in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Geschäftordnung und Immunitätsangelegenheiten auf zwei Einzelvorgänge der IM-Tätigkeit des Angeklagten, die Fertigung eines Berichts über Messegäste, betreffend auch Frau Dr. M., und die Information über einen eventuell geplanten Fluchtversuch eines afghanischen Studenten, eingegangen wird, erfolgte auch insoweit keine hinreichende Unterrichtung über die nach Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf anzuklagenden Sachverhalte. Die entsprechenden Darlegungen in der Beschlussempfehlung dienten schon nicht der Bestimmung und Konkretisierung der dem Angeklagten auf erster Stufe zur Last gelegten Verfehlungen, sondern standen lediglich im Zusammenhang mit der auf zweiter Stufe anzustellenden Untragbarkeitsprognose. Beide Vorgänge wurden aber insbesondere nicht nach Art, Inhalt und Ablauf geschildert, sodass die zugrunde liegenden Sachverhalte im Rahmen der Abstimmung nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf unzureichend konkretisiert waren. Die am 21. Juni 2007 ausgegebene Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses (Drs. 4/9167) und der Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage vom 5. Juli 2007 (Drs. 4/9336) enthielten ebenfalls keine Darlegungen zu Art, Dauer und Intensität der dem Angeklagten vorgeworfenen Tätigkeit im Sinne des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf und bildeten schon aus diesem Grund keine geeignete Grundlage für die Entscheidungsfindung im Landtag. Vor der Beschlussfassung nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf standen den abstimmenden Abgeordneten ersichtlich auch nicht die Protokolle des Bewertungsausschusses und des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten zur Verfügung, sodass dahinstehen kann, ob darin die dem Angeklagten zur Last liegenden Verfehlungen nachvollziehbar dokumentiert waren. Soweit lediglich in der nicht öffentlichen Sitzung des Landtages vom 4. Juli 2007 einzelne dem Angeklagten zur Last liegende Handlungen durch den Vorsitzenden des Bewertungsausschusses im Plenum mitgeteilt wurden (PlenProt 4/83, nicht öffentlicher Teil, S. 4 ff.), umfasste die Berichterstattung beispielhaft nur einige in der Mitteilung der Bundesbeauftragten dokumentierte Vorgänge, welche zudem weder Begehungsweisen noch Auswirkungen für die Betroffenen erkennen lässt. Anhand der nur ausschnittweisen Schilderung des Vorsitzenden des Bewertungsausschusses war den abstimmenden Abgeordneten eine verantwortliche Gesamtbetrachtung und Einschätzung des Maßes der MfS-Verstrickung des Abgeordneten sowie eine hieran anknüpfende Prognose zur Untragbarkeit der fortdauernden Innehabung des Mandats unmöglich. b) Der Beschluss des Landtages vom 13. Dezember 2007 bestimmt des Weiteren nicht ausreichend den Gegenstand der Anklage; der Antrag auf Einleitung eines verfassungsgerichtli-

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chen Mandatsaberkennungsverfahrens ist deshalb auch wegen fehlender Bezeichnung und Umgrenzung der vorgeworfenen Handlungen oder Unterlassungen unzulässig. aa) Bereits in seinen Beschlüssen vom 6. November 1998 (Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47, [59 ff.]; Vf. 17-IX-98 und Vf. 18-IX-98) hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass der Anklagegegenstand durch den Beschluss des Landtages nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf bestimmt wird (vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 2. November 2006 – Vf. 55-IX-06, JbSächsOVG 14, 23 [36 f.]). Nach Art. 118 Abs. 1 SächsVerf ist der Landtag selbst Antragsteller des Antrags, der nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf nur auf Anklage lauten kann. Schon von Verfassungs wegen obliegt es ihm selbst, durch die genaue Bezeichnung des Lebenssachverhalts, auf dem die Anklage beruht, den Gegenstand der Urteilsfindung abzugrenzen. Denn eine Anklage ohne Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten Handlung oder Unterlassung kann es nicht geben, weil es sonst dem Verfassungsgerichtshof unter Durchbrechung des im Hauptsacheverfahren auch für ihn maßgeblichen Antragsprinzips zukäme, selbst den Entscheidungsgegenstand abzugrenzen. Die verfassungsrechtlich dem Landtag zugewiesene Herrschaft über das Anklageverfahren und die Abgrenzung des Entscheidungsgegenstands spiegelt sich in den §§ 37 ff. SächsVerfGHG wieder. Die aufgrund des Beschlusses des Landtages auf Erhebung der Anklage nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG durch den Präsidenten des Landtages zu fertigende Anklageschrift muss nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SächsVerfGHG die Handlung oder Unterlassung bezeichnen, auf der die Anklage beruht, und steckt damit die Grenzen des Sachverhalts ab, der dem Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung unterbreitet ist (§ 43 Abs. 1 SächsVerfGHG). Gegenstand der Urteilsfindung ist danach nicht der in der Anklageschrift, sondern der in der Anklage bezeichnete Sachverhalt. Dies entspricht der Bindung des Landtagspräsidenten an den Beschluss nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf, aufgrund dessen er die Anklageschrift zu fertigen und die Handlung oder Unterlassung zu bezeichnen hat, auf der die Anklage beruht. "Anklage" meint hier also nicht etwa einen gegenüber dem Beschluss des Landtages verselbständigten Vorgang in der Hand des Landtagspräsidenten. Danach können im Landtagsbeschluss über die Anklageerhebung nicht klar abgegrenzte und bezeichnete oder sogar überhaupt nicht bezeichnete Sachverhaltselemente nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf nicht Gegenstand der Urteilsfindung im Sinne des § 43 Abs. 1 SächsVerfGHG sein, weil sie schon nicht Gegenstand der Anklageschrift sein dürfen. Sonst würde insoweit auch die ebenfalls im Anklageverfahren maßgebliche Begründungsobliegenheit gemäß § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG leer laufen; denn die Begründung des dringenden Verdachts einer nach Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf tatbestandsmäßigen Handlung ist ohne klar abgegrenzte Bezeichnung des entsprechenden Lebenssachverhalts nicht denkbar. Gleiches gilt für das Begründungserfordernis im Hinblick auf die Untragbarkeit fortdauernder Mandatsinnehabung (SächsVerfGH, Beschlüsse vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47, [61]; Vf. 17-IX-98 und Vf. 18-IX-98).

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bb) Nach diesen Maßstäben bezeichnet und begrenzt der Beschluss des Landtages vom 13. Dezember 2007 bereits die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit relevanten Sachverhaltselemente nicht ausreichend. Die in Bindung an den Landtagsbeschluss gefertigte Anklageschrift ist insofern nicht geeignet, konkrete Vorgänge – insbesondere die dem Angeklagten nach der Mitteilung der Bundesbeauftragten zur Last liegende bewusste und finale MfS-Mitarbeit – zum Anklagegegenstand zu erheben. (1) Der Beschluss des Landtages lautet auf Zustimmung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten – Drs. 4/10449 – (PlenProt 4/95 S. 7877). Eine Bezeichnung oder Abgrenzung der anzuklagenden Sachverhaltselemente, auf die sich die Annahme einer Tätigkeit des Angeklagten für das frühere MfS stützt und die von Bedeutung für die Beurteilung von Anlass, Inhalt und Auswirkungen dieser Tätigkeit sind, ist der Entscheidung über die Erhebung der Abgeordnetenanklage nicht zu entnehmen. (2) Soweit zur inhaltlichen Beurteilung des Landtagsbeschlusses auch auf die zugrunde liegende Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten (Drs. 4/10449) und weiterführend auf den Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenanklage (Drs. 4/9336) und die vorangegangene Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses (Drs. 4/9167) zurückzugreifen ist (vgl. dazu SächsVerfGH, Beschluss vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX98, JbSächsOVG 6, 47 [61]), genügen die in diesen Parlamentsmaterialien enthaltenen Handlungsbeschreibungen ebenfalls nicht, um näher bestimmte Sachverhalte dem Verfassungsgerichtshof nach Art. 118 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf zur Entscheidung zu unterbreiten. Wie dargelegt, beinhalten diese Dokumente schon keine Ausführungen zu Art, Dauer und Intensität der dem Angeklagten vorgeworfenen Tätigkeit im Sinne des Art. 118 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf. Es scheidet daher aus, diese Dokumente zur Bestimmung des Anklagegegenstands heranzuziehen. Soweit in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Geschäftordnung und Immunitätsangelegenheiten zwei Einzelvorgänge der IM-Tätigkeit des Angeklagten erwähnt werden, erstreckt sich aus den genannten Gründen die parlamentarische Beschlussfassung nicht auf die zugrunde liegenden Sachverhalte; demzufolge sind auch sie nicht ausreichend bezeichnet zum Gegenstand der Anklage erhoben worden. Im Übrigen spricht nichts dafür, dass der Landtag die Anklageerhebung isoliert auf diese beiden Vorgänge stützen wollte. (3) Die im Bericht und den Unterlagen der Bundesbeauftragten dokumentierten Sachverhalte sind ebenso wenig aufgrund der in der Anklageschrift enthaltenen Bezugnahme auf deren Mitteilung zum Anklagegegenstand gemacht worden. Die Bezugnahme ist ungeeignet, den Entscheidungsgegenstand zu bezeichnen und abzugrenzen. Zum einen erfasst die parlamentarische Beschlussfassung – wie dargestellt – die in der Mitteilung der Bundesbeauftragten dokumentierten Sachverhalte nicht. Darüber hinaus würde die Bezugnahme dazu führen, dass dem Verfassungsgerichtshof unter Durchbrechung des maßgebenden Antragsprinzips die Aufgabe zukäme,

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die zu prüfenden Sachverhalte selbst auszuwählen (vgl. SächsVerfGH, Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47, [59]; Vf. 17-IX-98 und Vf. 18-IX-98). (4) Schließlich kann auch die in der nicht öffentlichen Sitzung des Landtages vom 4. Juli 2007 (PlenProt 4/83, S. 4 ff.) erfolgte Berichterstattung durch den Vorsitzenden des Bewertungsausschusses nicht Anknüpfungspunkt für eine Bestimmung und Abgrenzung des Anklagegegenstands sein, zumal nicht erkennbar ist, dass dieser Bericht zum Gegenstand der Abstimmung über die Erhebung der Abgeordnetenanklage gemacht wurde (vgl. dazu SächsVerfGH, Beschluss vom 6. November 1998 – Vf. 16-IX-98, JbSächsOVG 6, 47 [61]).

C. Die Entscheidung ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG kostenfrei. Gemäß § 16 Abs. 2 SächsVerfGHG hat der Freistaat Sachsen dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu erstatten.

gez. Munz

gez. Rühmann

gez. Grünberg

gez. Hagenloch

gez. Knoth

gez. Lips

gez. v. Mangoldt

gez. Oldiges

gez. Trute

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