Der Segen der Stille Psalm 46, 11a

Detlev Fleischhammel Andacht, gehalten am 15. Mai 2001 im Seniorenkreis der EvangelischFreikirchlichen Gemeinde Rüsselsheim Der Segen der Stille Psal...
Author: Bernhard Simen
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Detlev Fleischhammel Andacht, gehalten am 15. Mai 2001 im Seniorenkreis der EvangelischFreikirchlichen Gemeinde Rüsselsheim

Der Segen der Stille Psalm 46, 11a

Ihr Lieben, als unser Bundeskanzler kürzlich indirekt die Arbeitslosen als Faulenzer bezeichnete, da ging nicht ganz zu Unrecht ein Aufschrei der Empörung durch unser Land. Manche Medien nahmen dies aber auch zum Anlaß, einmal öffentlich über den Wert des Nichtstuns und des Müßiggangs nachzudenken. Gerade diejenigen, die fleißig, aktiv und einsatzfreudig sind, brauchen auch Zeiten, in denen sie entspannen und zur Ruhe kommen können. Das fällt uns gerade in unserer westlichen Kultur und mit unserer deutschen Prägung gar nicht so leicht. Das, was vor allem junge Menschen heute in ihrer Freizeit tun, um sich zu entspannen, ist oft so anstrengend, daß viele fast die ganze Arbeitswoche brauchen, um sich von dem stressigen Wochenende zu erholen. Und auch die Rentner sind heute viel aktiver und damit oft auch gestreßter, als das z.B. eine Generation früher der Fall war. Zur Ruhe kommen, still sein, einmal nichts tun - das müssen wir erst wieder lernen. Als wir in Haiti waren, da war es mir am Anfang peinlich, wenn es in Gesprächen mit Einheimischen oft lange Pausen gab - bis ich begriff, daß das dort zur Kultur gehört. Wenn man sich gut miteinander versteht, dann redet man nicht nur miteinander, sondern man schweigt auch miteinander. Auch mit Gott kann man nicht nur reden, sondern man kann auch mit Ihm schweigen. Er wünscht sich das und verspricht uns, daß Er uns in besonderer Weise segnet, wenn wir dies tun. Das geht aus dem heutigen Losungstext hervor: Psalm 46, 11a Seid still und erkennt, daß ich Gott bin! Ich habe diese Andacht unter folgende Überschrift gestellt:

Der Segen der Stille Zwei Gedanken möchte ich Euch dazu weitergeben: 1) Gott will Stille 2) Gott segnet uns in der Stille

1) Gott will Stille Das hebräische Wort, das hier mit seid still übersetzt worden ist, bedeutet in diesem Zusammenhang "loslassen" oder "nichts tun" oder "still, ruhig sein". Das heißt, daß

man für eine gewisse Zeit alle Aktivitäten und auch alles Reden einstellt. Die Elberfelder Bibel übersetzt hier laßt ab statt seid still. Beide Übersetzungen geben je einen Aspekt korrekt wieder. Das Problem ist, daß die deutsche Sprache keinen Ausdruck kennt, der beide Gedanken umfaßt. Stille ist in der Bibel etwas Wichtiges, Notwendiges und Kostbares. So sagte Mose zu den Israeliten, als sie am Roten Meer angekommen waren und merkten, daß Pharao mit seinem Reiterheer dabei war, sie einzuholen: 2. Mose 14, 14 Der HERR wird für euch kämpfen, ihr aber werdet still sein. Anstatt den völlig aussichtslosen Versuch zu unternehmen, sich ohne jede Waffe gegen den übermächtigen Feind zu wehren, sollten die Israeliten zusehen, wie der allmächtige Gott handelte. Dabei sollten sie aber auch aufhören, zu jammern und zu klagen. Als Samuel den Saul zum König salben wollte, geschah Folgendes: 1. Samuel 9, 27 Als sie an das Ende der Stadt hinabkamen, sagte Samuel zu Saul: Sag dem Knecht, daß er uns vorausgehe! . Du aber steh jetzt still! Ich will dich das Wort Gottes hören lassen. Nur dann können wir hören, was Gott uns zu sagen hat, wenn wir äußerlich und innerlich zur Ruhe kommen. Nachdem die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt waren und die Mauern Jerusalems wiederaufgebaut hatten, ließen sie sich vom Priester Esra das Gesetz vorlesen. Die meisten Juden hörten es zum erstenmal und waren erschüttert darüber, wie sehr sie und ihre Vorfahren die Gebote Gottes mit Füßen getreten hatten. Sie weinten und klagten laut. Und dann wird uns berichtet: Nehemia 8, 11 Und die Leviten beruhigten das ganze Volk, indem sie sagten: Seid still, denn der Tag ist heilig! Seid nicht bekümmert! Gott hatte ihnen längst vergeben; deshalb wollte Er, daß sie sich jetzt darüber freuten und still wurden, anstatt ihre Schuld zu beklagen, die für Ihn schon gar nicht mehr existierte. Ein ganz anderes Beispiel ist Hiob. Zu seinem Kummer über den Verlust seines Besitzes, seiner Kinder und seiner Gesundheit kamen noch seine wohlmeinenden Freunde, die ihn mit ihren langen Reden nervten, in denen sie ihm immer wieder unterstellten, daß er letztlich selbst schuld sei an seinem Leiden. Sie meinten, es sei Gottes Strafe für irgendeine Sünde, die Hiob begangen hatte. Er sagt dann: Hiob 13, 5 Hieltet ihr euch doch still! Das würde euch zur Weisheit gereichen. Bei seiner Abwehr dieser Angriffe verstieg sich Hiob dann aber dazu, sogar Gott anzuklagen und sich selbst als gerecht zu bezeichnen, bis Gott ihn schließlich zur Rede stellte und zu ihm sagte:

Hiob 37, 14 Nimm dieses zu Ohren, Hiob! Steh still und achte auf die Wundertaten Gottes! David gibt uns folgenden weisen Rat: Psalm 37, 7 Sei still dem HERRN und harre auf ihn! Entrüste dich nicht über den, dessen Weg gelingt, über den Mann, der böse Pläne ausführt! Anstatt uns verständlicherweise darüber aufzuregen, daß Gerechte unschuldig leiden müssen, während den Übeltätern oft anscheinend alles gelingt, sollen wir still sein. Diese Stille ist aber nicht Selbstzweck, sondern sie soll sich auf Gott richten: Sei still dem HERRN - konzentriere deine Aufmerksamkeit nicht auf das Unrecht, das geschieht, sondern auf Gott; und vertraue Ihm, daß Er zu Seiner Zeit und auf Seine Weise eingreifen wird! In einem anderen Psalm Davids sehen wir, daß Stille sogar ein Element der Anbetung ist: Psalm 65, 2 Dir Stille, Lobgesang, o Gott, in Zion, und dir soll man das Gelübde erfüllen. Wir sollten deshalb in unseren Gottesdiensten und auch in der Mahlfeier und vielleicht sogar in weiteren Veranstaltungen immer wieder einmal ein paar Minuten für die Stille reservieren: da wird nicht gesungen, nicht gebetet (jedenfalls nicht laut), und auch sonst sagt niemand etwas; wir sind still und konzentrieren uns ganz auf unseren großen, heiligen und liebevollen Gott. Der Prophet Jesaja sagt seinem Volk noch etwas Wichtiges über die Stille: Jesaja 30, 15 Denn so spricht der Herr, HERR, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. Aber ihr habt nicht gewollt. Die Stille ist also neben dem Gottvertrauen eine große Kraftquelle. Die Israeliten haben sie leider kaum genutzt. Diesen Fehler sollten wir nicht nachmachen! In den Evangelien wird sogar von einer großen Stille berichtet. Die war deshalb so groß, weil sie in krassem Kontrast stand zu der äußeren und inneren Unruhe, die die Jünger beherrschte, bevor der Herr Jesus den Sturm auf dem See Genezareth stillte. Gerade noch krachten immer wieder hohe Wellen auf das Boot, und der Sturm heulte in der Takelage, so daß die erfahrenen Fischer um ihr Leben schrien und dann kam plötzlich so etwas wie ein Filmschnitt: nichts mehr war zu hören, und das Boot schaukelte nur noch leicht von den Wellen, die immer kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden. Matthäus 8, 26 Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige? Dann stand er auf und bedrohte die Winde und den See; und es entstand eine große Stille.

Gott weiß, daß wir Zeiten der Ruhe und der Stille brauchen für unseren Körper, für unsere Seele und für unseren Geist. Deshalb hat Er uns den Ruhetag gegeben, der ja im Alten Testament der Sabbat war. Der Sonntag hat für uns einen doppelter Zweck: er dient der Anbetung Gottes und der Gemeinschaft mit Ihm; es geht aber auch um ein Ausspannen, um ein Kräftesammeln für die kommende Woche. In den Zehn Geboten begründet Gott das Sabbatgebot mit Seinem eigenen Verhalten nach der Schöpfung der Welt: 2. Mose 20, 8 - 11 Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den HERRN, deinen Gott. Du sollst keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore . Denn in sechs Tagen hat der HERR den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist, und er ruhte am siebten Tag; darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn. Der Ruhetag ist also so alt wie die Schöpfung. Er ist Gott so wichtig, daß im alttestamentlichen Gesetz für die Übertretung des Sabbatgebotes die Todesstrafe vorgesehen war. Wir brauchen Ruhe und Stille! Jemand hat dazu einmal Folgendes gesagt: Ein Obstbaum auf windiger Berghöhe bringt wenig Frucht, denn er wird immerzu vom Wind geschüttelt und in Unruhe gehalten. So ist auch der Mensch, der das Sonntagsgebot mißachtet.1 Im alten Griechenland spielte einmal ein Mann mit einem kleinen Kind ein Kinderspiel. Das war damals ziemlich ungewöhnlich, so daß ein anderer Erwachsener, der dazukam, sich darüber lustig machte. Da nahm der Mann einen Bogen, löste die Sehne und erklärte: "Wenn der Bogen immer gespannt ist, zerbricht er irgendwann. Wenn man aber die Sehne löst, dann ist der Bogen umso mehr für den Gebrauch geeignet, wenn es nötig ist." Wohl niemand von uns würde bestreiten, daß Stille bzw. Ruhe etwas Kostbares und Notwendiges ist. Es geht dabei aber nicht nur darum, ab und zu keine Berufsarbeit zu tun. Das ist ja heute kein Problem. Die meisten Berufstätigen haben heute die 38-Stundenwoche; das heißt, sie haben jede Woche ca. 2 ½ Tage frei. Darüber hinaus gehen viele bereits mit 62 Jahren in den Ruhestand (manche sogar schon mit 58) und haben dann noch 20 - 25 Jahre ohne berufliche Arbeit vor sich. Aber wie ich bereits am Anfang sagte, machen sich viele Menschen in ihrer Freizeit viel Streß, und Ihr wißt selbst besser als ich, daß das Wort "Streß" auch und gerade für Rentner heute alles andere als ein Fremdwort ist. Mein Vater hat schon kurze Zeit nach seiner Pensionierung gesagt: "Ich weiß gar nicht, woher ich früher die Zeit zum Arbeiten genommen habe." Es geht also nicht um Freizeit oder um den sogenannten Ruhestand, sondern viel mehr darum, wenigstens ab und zu einmal innerlich zur Ruhe zu kommen, wirklich auch einmal gar nichts zu tun und auch den Mund zu halten. Das fällt den meisten von uns schwer, auch den Älteren. Siegfried Fietz war einer der ersten Evangelikalen, die in den Sechzigerjahren

moderne christliche Lieder schrieben und sangen. Eins davon hieß: "Wir tragen viele Lasten", und eine Zeile davon lautete: "Wir sehnen uns nach Stille, ertragen sie nicht mehr." Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Einerseits sind wir genervt vom Lärm, gerade hier im Rhein-Main-Gebiet besonders vom Fluglärm, aber auch von der Hektik und vom Streß, und deshalb sehnen wir uns nach Ruhe und Stille. Andererseits - wenn die Stille dann da ist, können wir sie oft nicht ertragen. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, fuhr ein Nachbar in den Sechzigerjahren mit seiner Familie nach Österreich in den Urlaub, was damals in dieser Gegend sehr ungewöhnlich war. Als sie wieder zurückgekehrt waren, hörten wir, wie er seinen Urlaub verbracht hatte: er hatte den Bauern bei der Ernte geholfen. Er war einfach nicht fähig, stillzusitzen und nichts zu tun. Dennoch brauchen wir Ruhe und Stille, und Gott hat sie uns auch verordnet: Psalm 46, 11: Seid still / laßt ab ... Der zweite Gedanke zum Thema "Der Segen der Stille" geht aus der anderen Hälfte des Satzes hervor:

2) Gott segnet uns in der Stille Psalm 46, 11 Seid still und erkennt, daß ich Gott bin! Es scheint widersinnig zu sein, daß wir aufgefordert werden, zu erkennen, daß nur Gott (der Schöpfergott, der Gott Israels) der wahre, lebendige Gott ist. Das wissen wir doch längst! Das ist für uns doch kein Thema! Nun, im Zusammenhang sehen wir, daß in diesem Psalm von den heidnischen Feinden Israels und von ihren Angriffen auf Gottes Volk die Rede ist: Psalm 46, 8 - 10 der HERR der Heerscharen ist mit uns, eine Festung ist uns der Gott Jakobs. // Kommt, schaut die Großtaten des HERRN, der Entsetzen verbreitet auf Erden! Der Kriege beschwichtigt bis ans Ende der Erde, Bogen zerbricht und Speere zerschlägt, Wagen mit Feuer verbrennt. Hier kommt dichterisch zum Ausdruck, daß Gott eingreift und die Kriege gegen Sein Volk beendet. Vers 11 ist also eigentlich gar nicht an Israel bzw. an uns gerichtet; vielmehr ist es vom Zusammenhang her eine Aufforderung an die heidnischen Feinde Israels, aufzuhören mit dem Kampf und zu erkennen, daß allein der Gott Israels der wahre Gott ist. Aber auch wir müssen immer wieder aufgefordert werden, innerlich zur Ruhe zu kommen; denn nur dann können wirklich begreifen, was es heißt: "Daß ich Gott bin"

Seid still und erkennt, daß ich Gott bin! Das hebräische Wort für "erkennen" meint nicht nur eine intellektuelle Anstrengung, sondern eigentlich eher ein Lernen, das aus der Praxis kommt. Es bedeutet auch "Gemeinschaft haben". Nur, wenn wir innerlich zur Ruhe kommen und Gemeinschaft mit Gott haben, können wir erkennen, wo und wie wir vor Gott (und oft auch an Menschen) schuldig geworden sind. Nur dann können wir darüber Buße tun und dann Vergebung für unsere Schuld empfangen. Nur dann können wir gerade dadurch wieder neu noch tiefer erkennen, wie groß Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Geduld mit uns ist. Nur, wenn wir innerlich zur Ruhe kommen, ist der Rückblick auf unser Leben etwas Frohmachendes, Positives und Schönes trotz der Nöte und der schwierigen Zeiten, die wir erleben mußten, und auch trotz unseres Versagens, das uns ja in der Erinnerung immer wieder bewußt wird. In der Stille können wir diese Dinge vor Gott innerlich verarbeiten, können wir denen vergeben, die uns Unrecht getan haben, und können wir uns vor Augen halten: Gott hat uns unser Versagen vergeben, und darum braucht es uns nicht mehr zu belasten und traurig zu machen. Nur, wenn wir innerlich zur Ruhe kommen, können wir überhaupt den richtigen Blick entwickeln für die vielen "kleinen" und großen Geschenke, die Gott uns im Alltag macht: wenn wir am Morgen ohne Schmerzen (oder mit wenig Schmerzen) aufstehen können; wenn wir am Abend mehr oder weniger alles geschafft haben, was wir uns für diesen Tag vorgenommen hatten; wenn Gott unser Gebet erhört; wenn wir jemand eine Freude machen konnten; wenn wir jemand ein Zeugnis sagen konnten; ein wohltuender Spaziergang; ermutigende Worte des Dankes oder der Anerkennung; ein lieber, unerwarteter Besuch; Bewahrung im Straßenverkehr usw. Die Frage ist natürlich: wie kommt man innerlich zur Ruhe? In der Gemeinde können wir dies z.B. in der Gebetsstunde erleben oder im Gottesdienst oder in der Mahlfeier. Wir können es aber auch jeden Tag zu Hause haben in unserer Stillen Zeit, wenn wir die Bibel lesen und dann mit Gott darüber reden und über alles andere, was uns bewegt. Ich weiß, daß es gerade da oft nicht leicht ist, wirklich abzuschalten. Dann fällt einem oft alles Mögliche ein, was noch getan und erledigt werden muß. Da kann es sehr hilfreich sein, diese Dinge einfach aufzuschreiben. Hilfreich können auch Spaziergänge in einer ruhigen Gegend sein; mir persönlich tun diesbezüglich meine Fahrradtouren immer gut. Auch ein Kurzurlaub kann eine Gelegenheit sein, einmal mehr als sonst "still zu sein und zu erkennen, daß Gott Gott ist". Einige jüngere Mütter aus unserer Gemeinde fahren manchmal ohne Kinder übers Wochenende weg; zuletzt waren sie in einem kleinen Hotel im Hunsrück, das auch Ferienwohnungen hat. Ich bin dort auch manchmal für zwei bis drei Tage ganz allein. Das tut gut! Ganz besonders in unserer immer hektischer werdenden Zeit brauchen wir Oasen der Stille. Gott wartet darauf, uns mit und in dieser Stille zu beschenken. Aber ohne Stille geht es nicht. Zum Schluß lese ich uns jetzt noch einen fiktiven Brief. Den hat sich jemand ausgedacht, um uns gleichnishaft die geistliche Wahrheit nahezubringen, mit der wir uns jetzt beschäftigt haben.

Versetzungsgesuch An den Kommandeur und Oberbefehlshaber der Geistlichen Streitkräfte, Jesus Christus Lieber Herr, hiermit bitte ich um Versetzung in die Schreibstube. Dies sind meine Gründe: Ich habe meine Karriere als Schütze begonnen, aber wegen der Intensität der Schlacht hast Du mich schnell im Rang aufsteigen lassen. Du hast mich zum Offizier gemacht und mir eine ungeheures Ausmaß an Verantwortung gegeben. Viele Soldaten und Rekruten stehen unter meinem Befehl. Ständig wird von mir verlangt, weise Entscheidungen zu treffen, zu urteilen und Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Du hast mich in eine Stellung versetzt, in der ich als Offizier fungieren muß, während ich in meinem Herzen weiß, daß ich nur zum Schützen tauge. Ich weiß, daß Du versprochen hast, mich mit allem zu versorgen, was ich für den Kampf brauche. Aber ich muß Dir ein realistisches Bild von meiner Ausrüstung präsentieren. Meine einst so schneidige und gestärkte Uniform ist jetzt befleckt von Tränen und vom Blut derer, denen ich zu helfen versucht habe. Die Sohlen meiner Stiefel sind gebrochen und abgenutzt von den Kilometern, die ich gelaufen bin, um zu versuchen, Soldaten anzuwerben und zu ermutigen. Meine Waffen sind zerkratzt, befleckt und angeschlagen vom ständigen Kampf mit dem Feind. Selbst das Buch mit den Dienstvorschriften, das ich bekommen habe, ist vom endlosen Gebrauch zerrissen und zerfetzt. Der Text ist jetzt verschmiert. Du hast versprochen, daß Du immer bei mir sein würdest, aber wenn der Kampflärm so laut und das Durcheinander so groß ist, kann ich Dich weder sehen noch hören. Ich fühle mich so alleine. Ich bin müde. Ich bin entmutigt. Ich habe eine Kriegsneurose. Ich würde Dich nie um Entlassung bitten. Ich bin sehr gerne in Deinem Dienst. Aber ich bitte demütig um eine Degradierung und Versetzung. Ich werde Ablage machen oder Latrinen putzen. Nur nimm mich bitte aus dem Kampf heraus, bitte. Dein treuer, aber müder Kämpfer ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ An: den treuen, aber müden Soldaten der Geistlichen Streitkräfte Ort: das Schlachtfeld Betrifft: Versetzung Lieber Soldat,

Dein Versetzungsgesuch ist abgelehnt. Dies sind meine Gründe: Du wirst in diesem Kampf gebraucht. Ich habe Dich ausgewählt, und ich werde zu meinem Wort stehen, daß ich Dich mit dem versorgen werde, was Du brauchst. Du brauchst aber keine Degradierung und keine Versetzung (den Latrinendienst würdest Du sowieso nicht packen). Du brauchst eine "E&N"-Zeit: Erneuerung und Neubelebung. Ich reserviere eine Stelle auf dem Schlachtfeld, die von allen Geräuschen isoliert ist und vor dem Feind voll geschützt ist. Ich werde Dich dort treffen, und ich werde Dir Ruhe geben. Ich werde Deine alte Ausrüstung entfernen und "alles neu machen". Du bist im Kampf verwundet worden, mein Soldat. Deine Wunden sind nicht sichtbar, aber Du hast schwere innere Verletzungen erhalten. Du mußt geheilt werden. Ich werde Dich heilen. Du bist im Kampf geschwächt worden. Du mußt gestärkt werden. Ich werde Dich stärken und Deine Stärke sein. Ich werde Dir Zuversicht und Fähigkeit einflößen. Meine Worte werden in Dir wieder neue Liebe, neuen Eifer und neue Begeisterung entfachen. Melde Dich bei mir so ramponiert und leer, wie Du bist. Ich werde Dich neu erfüllen. Mit großer Anteilnahme, Dein Oberbefehlshaber Jesus Christus

1 Heinz Gerlach in: In Bildern reden (Hrsg.: Heinz Schäfer), S. 67