Der Schneemann von Mabel Marlowe

Der Schneemann von Mabel Marlowe Es war einmal ein Schneemann, der stand ganz oben auf einem Berg, mit dem Gesicht zum Sonnenuntergang. Es war ein s...
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Der Schneemann

von Mabel Marlowe

Es war einmal ein Schneemann, der stand ganz oben auf einem Berg, mit dem Gesicht zum Sonnenuntergang. Es war ein sehr schöner Schneemann, so groß wie ein Soldat, aber viel dicker. Er hatte zwei Glaskugeln als Augen, einen Stein als Nase und ein Stück Kohle als Mund und in der Hand hielt er einen kräftigen knorrigen Knüppel. Aber er hatte keine Kleider, nicht einmal einen Hut und der Wind auf der Spitze des Berges pfiff unerbittlich. „Mir ist so kalt, mir ist, als wäre ich aus Eis“, sagte der Schneemann. „Aber dieser rote Himmel sieht warm aus. So beschloss der Schneemann wegzugehen und ging „stapf, stapf“ den Berg hinunter in Richtung der untergehenden Sonne. Bald begegnete er einer Zigeunerin, die ein hellrotes Umhängetuch trug. „Ja, das schaut warm aus, ich muss es haben!“ dachte der Schneemann. Und er ging zu der Zigeunerin und sagte:“ Gib mir dein rotes Tuch.“ „ Natürlich

nicht! An so einem kalten Wintertag kann ich nicht darauf verzichten!“, antwortete die Zigeunerin. „ Mir ist so kalt.“ „Kalt!“ schrie der Schneemann knurrend, „Ich glaube nicht, dass dir so kalt ist wie mir! Bist du wie ich innen und außen aus Eis? Durch und durch? „Nein, ich glaube nicht, „ murmelte die Zigeunerin, der aus Angst warm wurde. „Dann gib mir deinen roten Schal sofort, oder ich schlage dich mit meinem dicken knorrigen Knüppel. Also gab die Zigeunerin murrend nach und händigte ihm ihr Umhängetuch aus. Der Schneemann wickelte es um seine Schultern, ohne sich zu bedanken und ging „stapf, stapf“ den Hügel hinunter. Die zitternde Zigeunerin jedoch folgte ihm. Bald begegnete er einer Milchmagd, die dicke lange rote Wollhandschuhe von ihrer Großmutter trug. „Ja, die schauen warm aus! Ich muss sie haben“, dachte der Schneemann. Also ging er zu der Magd und sagte: „Gib mir sofort diese roten Wollhandschuhe!“ 1

„Auf keinen Fall“, sagte die Magd. Sie gehören meiner

„Auf keinen Fall“, sagte der Pirat, wenn ich das mache,

Großmutter. Sie lieh sie mir, weil meine Hände so kalt sind.“

bekomme ich eine schöne Erkältung.

„Kalt!“ schrie der Schneemann böse „Sind deine Finger

„Erkältung?“ schrie der Schneemann sehr wütend, ist

vielleicht so kalt wie meine? Sind deine Hände und Arme zu

vielleicht dein Kopf so kalt wie meiner? Ist dein Gehirn aus

Eis gefroren, durch und durch?“ „Nein ich denke nicht“

Schnee gemacht und deine Knochen aus Eis, durch und durch?

stotterte die Magd.

„Nein, ich denke nicht“, stotterte der Pirat.

Dann gib mir diese roten Handschuhe sofort oder ich schlage

„Dann gib mir deine rote Bommelmütze sofort, oder ich gehe

dich mit meinem dicken knorrigen Knüppel.“

mit meinem dicken Knüppel auf dich los.“ Es passte dem Pirat nicht, dass er nachgab, aber er hatte

Also gab sie nach und der Schneemann nahm die Handschuhe

keine Lust auf Schläge. Der Schneemann nahm die Mütze

ohne sich zu bedanken und ging „stapf, stapf“ weiter den

ohne Worte des Dankes. Dann ging er weiter stapf, stapf,

Hügel hinunter. Und die Zigeunerin und die Magd folgten ihm.

den Hügel hinab, wobei die rote Bommel auf und ab schwang.

Bald begegnete er einem Piraten, der eine rote dicke

Und die Zigeunerin, die Magd und der Pirat folgten ihm.

Piratenmütze trug, mit einem dicken Bommel, die den Rücken

Schließlich erreichte er den Fuß des Berges, wo das

hinunter hing.

Dorfschulhaus stand. Der Dorfschulmeister stand auf der

„Ja, die schaut warm aus! Ich muss sie haben“, sagte der

Türschwelle und schaute auf den Sonnenuntergang. Er

Schneemann und ging zum Piraten und sagte: „Pirat, gib mir

rauchte eine Pfeife und an den Füßen trug er zwei rote warme

deine rote Bommelmütze.“

Samtschlappen. 2

„Ja, die schauen warm aus. Ich muss sie haben“, sagte der

hängen. Kommen sie herein, Sir. Setzen Sie sich auf den

Schneemann. Also ging er zum Schulmeister hin und sagte:“

Stuhl neben das Feuer, Sir. Legen sie Ihre kalten Füße auf

Schulmeister, gib mir diese roten Schlappen.“

diese gemütliche rote Fußbank und lassen Sie mich Ihre

„Natürlich, wenn du sie willst“, sagte der Schulmeister.

kalten Füße in diese rote warme Decke einwickeln.“

„Nimm sie doch, es ist nämlich viel zu kalt heute, um barfüßig

Also ging der Schneemann hinein ins Schulhaus, setzte sich

herumzustapfen,“ und er hielt inne und zog seine Schlappen

auf einen Stuhl beim prasselnden Feuer, legte seine Füße auf

aus, und da stand er in hellroten Socken, dick und aus Wolle

den roten Schemel und der Schulmeister wickelte die rote

gestrickt.

Decke um seine Beine. (Und die ganze Zeit schauten die

„Ja, diese Socken schauen warm aus! Gib sie mir!“ sagte der

Zigeunerin, die Milchmagd und der Pirat durch das Fenster).

Schneemann.

„Ist es Ihnen jetzt wärmer?“ fragte der Schulmeister

„Gewiss, wenn du sie haben willst“, sagte der Schulmeister.

„Nein, ich fühle mich so kalt wie ein Eisberg“

„Aber kommt doch herein. Ich kann meine Socken nicht hier

„Kommen Sie doch näher zum Feuer“

auf der Schwelle ausziehen. Komm auf die Fußmatte.“

Und der Schulmeister schob den Stuhl näher zum Feuer, der

Also ging der Schneemann ein Stück hinein und stand auf der

Schneemann jedoch äußerte kein Wort des Dankes.

Fußmatte. „Sei vorsichtig mit den Socken. Meine Füße sind

„Ist es jetzt wärmer?“

durch und durch so kalt wie Eis, “ murrte er.

„Nein, ich bin so kalt wie ein Stein. Meine Füße fühlen sich

“Oh, es tut mir leid, das zu hören”, sagte der Schulmeister.

wie Eiswasser an“.

„Aber ich habe eine warme rote Decke über dem Feuer 3

„Sie müssen näher zum Feuer,“ sagte der Schulmeister und er

“Damit ist es mit ihm zu Ende”, sagte der Schulmeister und

rutschte den Stuhl direkt zur Feuerstelle. „So, ist es jetzt

holte den Mopp. Und die Zigeunerin, die Milchmagd, der Pirat,

besser?“

die die ganze Zeit alles beobachtet hatten, kamen herein und

“Nein, nein, nein! Mir ist kälter denn je, ich kann meine Füße nicht mehr fühlen, ich kann meine Beine überhaupt nicht mehr fühlen, ich kann meinen Rücken nicht mehr fühlen.“ Da schob der Schulmeister den Stuhl noch näher zum Feuer. „Ist es jetzt wärmer?“ Aber es kam keine Antwort mehr, außer ein glitschiges,

nahmen ihre Sachen, wrangen sie aus und trockneten sie über dem Feuer und der Schulmeister legte seine roten Samtschlappen zur Feuerstelle und hing die rote Decke über die Stuhllehne. Dann hob er den dicken, knorrigen Knüppel auf und warf ihn ins Feuer.

tröpfelndes Geräusch und das tropf, tropf, tropf von grauem Schneewasser. „Hilf mir!“ flüsterte der Schneemann mit ersterbender Stimme. Meine roten Schlappen ließen dahin in die Asche. Meine Handschuhe schwimmen fort in einem kleinen Fluss dem Fußboden. Mein warmes Tuch ist weg, meine rote Bommelmütze rutscht… rutscht…weg. Mein Kopf verschwindet…verschwindet… Platsch, Platsch, Gurgel! 4

Wir wünschen Euch allen eine schöne Adventszeit Marion, Thomas, Tamara, Selina & Jannis

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