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H 7775 E 13. Jahrgang Physikalische Medizin und Rehabilitation Heft 9, September 1972 Zeitschrift für allgemeine und spezielle Medizin Inhaltsver...
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H 7775 E

13. Jahrgang

Physikalische Medizin und Rehabilitation

Heft 9, September 1972

Zeitschrift für allgemeine und spezielle Medizin

Inhaltsverzeichnis Ankündigungen

-Heel

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Aus unseren Verbänden

. . .

Das interessiert den Leser

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VI, 280

Dr. med. Norbert Breidenbach — 65 Jahre 255 A. Kötschau, Über die Selbstordnungsfähigkeit der Natur .

255

W. Bischof, Rehabilitation nach Eingriffen und Verletzungen am Zentralnervensystem . . . .

259

R. v. Leitner, Was ist Akupunktur?

263

O. Buchinger, Heilfasten zur Steigerung der Abwehrkräfte . 267 E. Brügmann, Zusätzliche Möglichkeiten der Rehabilitation in der Praxis 270

Biologische Heilmittel Heel GmbH Baden-Baden

Traumeel-Salbe

G. Brandau, Ärztliche Gesichtspunkte aus der Praxis des Jugendversehrtensportes, ein Beitrag zur Rehabilitation . . .

270

H. Lodenkämper u. H. MeyerDöring, Über die Beteiligung der peripheren Nerven am dentogenen Herdgeschehen

273

Aus Praxis und Forschung H. Peter, Steigerung der unspezischen Abwehr trotz spezifischer Heilmittel? 275 Heilbäder und Kurorte berichten 279

• für offene und stumpfe Traumen • Hämatome, Prellungen, Distorsionen > zur Therapie posttraumatischer und postoperativer Weichteilschwellungen

Referate Buchbesprechungen

281 .

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Kleine Winke für die Praxis

.

. 283 . 285

Weitere Darreichungsformen von Traumeel: Ampullen zur Injektion - Tropfen und Tabletten zum Einnehmen

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Ankündigung

33. Kongreß (Einführung und Fortbildung) der ärztlichen Gesellschaft für Physiotherapie, Kneippärztebund e. V., Bad Wörishofen in Zusammenarbeit mit dem Zeniralverband der Ärzte für Naturheilverfahren e.V., vom 14. bis 21. Oktober 1972 in 33. Kongreß Bad Wörishofen, Pfarrjugendheim vom 14. bis 21. Oktober 1972 in Bad Wörishofen Programm Thema: Wissenswertes für die Kongreßteilnehmer Ausgewählte Kapitel aus der Physiotherapie Tagungsleitung. Leitung: Prof. Dr. med K. Franke, Bad Lauterberg, und Prof. Dr med K. Franke, Bad Lauterberg, und Dr. med. W. Bruggemann, Munster und Teneriffa Dr med. W. Bruggemann, Munster und Teneriffa Alle Vortrage finden im katholischen Pfarrjugendheim, Obere Mühlstraße, statt, außer dem Eröffnungsvortrag „Olympia gestern und heute", der am Sonnabend, dem Sonnabend, den 14. Oktober 1972 14. Oktober 1972, im Kurhaus gehalten wird 17 00 Uhr Eröffnung im Kurhaus Unterkunft: Begrüßungsansprachen Die Teilnehmer werden gebeten, ihre Quartierwünsche so Einleitungsreferat Prof Dr. med. Heiß, Stuttgartfrüh wie möglich der Kurverwaltung Bad Wörishofen mitBad Cannstatt- „Olympia gestern und heute" zuteilen Eine Karte liegt diesem Programm bei Postanschrift: Die Postanschrift wahrend des Kongresses lautet. 33. Fortbildungskongreß des Kneipparztebundes, 8939 Bad Wörishofen, kathol Pfarrjugendheim Posteingange für Lehrgangsteilnehmer werden am schwarzen Brett bekanntgegeben. Steuerfragen: Die Kosten für den Fortbildungslehrgang können samt Spesen von der Einkommensteuer abgesetzt werden Das Kongreßbüro befindet sich ab Sonntag, dem 15. Oktober 1972, von 9 bis 12 Uhr im katholischen Pfarrjugendheim Sonstige Burozeiten: Montag, 16. Oktober 1972, bis Sonnabend, 21. Oktober 1972, von 8.30 bis 12 Uhr im Pfarrjugendheim. Die Teilnahme an dem gesamten Fortbildungslehrgang zahlt als Ausbildungsnachweis bei der Bewerbung um die Genehmigung zur Fuhrung der Bezeichnung „Naturheilverfahren" auf dem Arztschild. Wir bitten zu beachten, daß die Teilnahme an den Vorträgen im Pfarrjugendheim nur gegen Vorzeigen der Tagungskarte oder der Tageskarte gestattet ist Kontrollen werden durchgeführt. Die Teilnahmegebühr betragt für den gesamten Fortbil-

Sonntag, den 15. Oktober 1972 10 00 Uhr im kath. Pfarrjugendheim Arbeitsmedizin und Physiotherapie 10 00-10 45 Uhr K Franke, Bad Lauterberg: Pausen- und Freizeitgestaltung 10 45-11.30 Uhr v. Nathusius, Hirzenhain Rehabi htationskuren Sonntag nachmittag Ausflug (Näheres wird noch bekanntgegeben) Montag- den 16. Oktober 1972 Herz- und Kreislauf 9 0 0 - 9.45 Uhr Kochsiek und Labng, Gottingen • Neues zur Digitalistherapie 10 00-10.30 Uhr Teichmann, Bad Wörishofen Physiotherapie nach Myokardinfarkt 10 30-11.00 Uhr Pause

iAIM-LIQUID. Rein phytologisches Kardiotonicum für die kleine Herztherapie Crataegus-Adanistherapie des Altersherzens Altersherz, coronare Durchblutungsstörungen, Apoplexieprophylaxe Hochdruckherz.GastrakarilSyncIrom. IniOOml Rutin solub Q B g Alkohol Auszuge aus Crataegus 3 7 5 g , Adoms, Visc alb.aa B|7g, Apium grav, Auricul aa"^3g,Val13 g, Cola5-,3g • 3Oml D M 4 S D Reoorsan-Gesellschaften Grafelfmg und Uuneburg

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Phys Med u Reh Heft 9, 1972

11.00-11.30 Uhr De Werth, Schwangau: Aktive Bewegungstherapie 11.30-12.00 Uhr Spiske, Bad Wörishofen: Diätetische Probleme und Winke Montag nachmittag

15.00-15.45 Uhr Brands, Münster: Indikationen und Technik der Phlebographie 16.00-18.00 Uhr Film: Phlebographie und Rundtischgespräch - Thema: Beinleiden Dienstag, den 17. Oktober 1972 Leber- und Stoffwechselerkrankungen (Fettsucht und Diabetes) 9.00- 9.45 Uhr

Ditschuneit, Ulm: Diagnose und klinische Aspekte der Fettsuchttherapie 10.00-10.30 Uhr Kaiser, Bad Wörishofen: Hydrotherapie bei Stoffwechselerkrankungen 10.30-11.00 Uhr Pause 11.00-11.30 Uhr Franke, Bad Lauterberg: Diätetische Winke für Reduktionskost 11.30-12.00 Uhr Anemueller, Bernau: Therapie der Hyperlipidämie

DEPOT

Dienstag nachmittag

16.00-17.00 Uhr Frau L Kretschmer-Dehnhardt, Bernau: Ernährungskurs 17.00-18.00 Uhr Kaiser, Bad Wörishofen: Hydrotherapiekurs

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B e s c h w e r ^ 2 r t e r Wundhettung -

Mittwoch, den 18. Oktober 1972

Alterskrankheiten: Klinik und Physiotherapie 9.00- 9.45 Uhr Böhlau, Bad Soden: Zur Diagnostik und medikamentösen Therapie der Alterskrankheiten 10.00-10.30 Uhr Schumacher, W., Bad Münstereifel: Hydrotherapie im Alter 10.30-11.00 Uhr Pause 11.00-11.30 Uhr v. Guggenberg, Brixen: Ernährungsprobleme 11.30-12.15 Uhr Weiß, Aitrach: Phytotherapie Mittwoch nachmittag

Heilkräuter-Exkursion (Kneipp-Heilmittel-Werk)

Bestellschein Schrifttum und Muster von Placenta-Suspensata und Placenta-Colloidale erbeten.

Donnerstag, den 19. Oktober 1972 Rheumat. Formenkreis:

Klinik und Physiotherapie 9.00- 9.30 Uhr Scholtz, Lindau: Balneo- und Elektrotherapie rheumatismus

des Weichteil-

Persönliche Unterschrift und Stempel des Arztes

Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

Phys

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9.30-10.00 Uhr Storck jun., Endbach: Massage und Bewegungstherapie bei rheumatischen Erkrankungen 10.00-10.30 Uhr Langen, Mainz: Autogenes Training - Indikation und Gegenindikation 10.30-11.00 Uhr Pause 11.00-11.30 Uhr Buchinger, Bad Pyrmont: Fastenkuren 11.30-12.00 Uhr Friedrich, Würzburg: Medico-mechan. Nachbehandlung 12.00-12.30 Uhr Krammer, Puchberg: Hydrotherapie bei rheumatischen Erkrankungen Donnerstag nachmittag

16.00-17.00 Uhr Ernährungskurs 17.00-18.00 Uhr Hydrotherapiekurs Donnerstag abend Rheumafilm Freitag, den 20. Oktober 1972 Psychosomatik; Klinik und Physiotherapie 9.15-10.00 Uhr Brüggemann: Kneipptherapie in der Geriatrie 10.00-10.45 Uhr Brüggemann, Münster und Teneriffa: Aspekte einer Ordnungstherapie 10.45-11.15 Uhr Pause 11.15-12.00 Uhr Schomburg, Hannover: Moderne Psychohygiene Freitag nachmittags 16.00-17.00 Uhr Ernährungskurs 17.00-18.00 Uhr Hydrotherapiekurs

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Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

Sonnabend, den 21. Oktober 1S72 Erkrankungen der Atemwege Klima und Mensch 9.00- 9.45 Uhr Gärtner, Frei bürg: Klima und Mensch 10.00-10.30 Uhr Krieger, Bad Reichenhall: Atemwegserkrankungen: Physikalische Therapie und ihre Grenzen 10.30-11.00 Uhr Pause 11.00-12.00 Uhr Schauwecker, Bensheim: Sozialmedizin — Probleme der Atemwegserkrankungen Änderungen vorbehalten!

Nachtrag: Sonntag, den 22. Aktober 1972 Opalauf im Rahmen des Landes-Sportarztebundes in Grönenbach. Anmeldungen an Herrn Dr. med. A. Krautheim, Grönenbach.

i •

Rahmenprogramm Montag, den 16. Oktober 1972, 2.00 Uhr Empfang durch die Stadt Bad Wörishofen mit Abendessen

Dienstag, den 17. Oktober 1972, 20.00 Uhr, im Kurhaus Konzert des Ärzte-Kammerorchesters der Münchener Ärztekammer Mittwoch, den 18. Oktober 1972, nachmittags Heilkräuter-Exkursion, anschließend Nachsitzung mit Imbiß und Umtrunk im Klosterbräu Irsee, auf Einladung vom Kneipp-Heilmittel-Werk, Würzburg. Donnerstag, den 19. Oktober 1972, 20.15 Uhr Mitgliederversammlung, anschließend Rheumafilm Freitag, den 20. Oktober 1972 Gastspiel der Dengel-Bühne, Rottach/Egern

Bei lymphatischen Kindern mit ihrer bekannten Infektanfälligkeit sind bis zu einem Alter von 10 Jahren die tiefen Halslymphknoten fast stets geschwollen, was sich durch Abtasten leicht feststellen läßt.

Aus unseren Verbänden Auf der Mitgliederversammlung der Internationalen Gesellsahaft für Elektroakupunktur e. V. am 27. 5. 1972 in Bad Homburg ergaben die Neuwahlen folgende Vorstandsbesetzung Präsident: Vizepräsidenten: Geschäftsführer u. Schatzmeister: Beisitzer:

Dr. med. E. Höllischer, Baden-Baden Dr. med. R. v. Huene, Nürnberg Dr. med. dent. E. Schwarz, Tübingen Oberregierungs-Medizinaldirektor Dr. med. K. Ertel, Esslingen Dr. med. H. D. Kuhn, Freudenstadt Dr. med. R. v. Leitner, Berlin Dr. med. F. Morell, Ottfingen Dr. med. dent. J. Thomsen, Hamburg

Dr. Voll hat nach 16jähnger Amtsführung als Präsident der Internationalen Gesellschaft für Elektroakupunktur, vormals Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Elektroakupunktur, sein Amt niedergelegt, um noch folgende vier Aufgabengebiete zu bearbeiten: 1. Wissenschaftliche Beweisführung der Elektroakupunktur und Medikamenttestung 2. Weitere Erforschung der Elektroakupunktur und Medikamenttestung 3. Schulung 4. Niederlegung seiner Erfahrung in Büchern Die Mitgliederversammlung hat Dr. Voll einstimmig zum Ehrenpräsidenten mit Sitz und Stimme im Vorstand auf Lebenszeit gewählt. Gleichzeitig wurde von der Mitgliederversammlung beschlossen, den Namen „Internationale Gesellschaft für Elektroakupunktur e. V." durch „nach Dr. Voll" zu ergänzen. Dieser Beschluß wurde gefaßt, um sich von den in der Zwischenzeit gegründeten Arbeitsgemeinschaften für elektrische Funktionsmessungen klar zu unterscheiden.

steigert die lnfektabwehr deutlich, akute Schübe bleiben allmählich aus.

Die Anamnese ist genauso wichtig wie die Diagnose. Lymphatisch belastete Erwachsene litten oder leiden an Erkrankungen im HNO-Bereich und neigen oft zu Tracheobronchitis und Sinusitis; auch in diesen Fällen bewährt sich Tonsilgon zur naturgemäßen Regulationstherapie. Basistherapie bei lymphatischer Diathese und ihren akuten Katarrhen. Leitsymptom: Infektanfälligkeit schon in der Kindheit. Zusammensetzung: Mac. ex: Rad. Althae. 0,4 g, Flor. Chamomill. 0,3 g, Fruct. Cynosbat 0,4 g. Herb Equiset. 0,5 g, Fol. Jugland. 0,4 g, Herb. Millefol. 0,4 g, Cort. Quere. 0,2 g, Herb. Tarax 0,4 g in 100 g. 1 Dragee enthalt: Rad Althae. 0,008 g, Flor. Chamomill. 0 006 g, Fruct. Cynosbat. 0,004 g. Herb Equiset. 0,010 g, Fol. Jugland. 0,012 g, Herb Millefol. 0,004 g, Cort. Quere. 0,004 g. Herb. Tarax. 0,004 g, V i t a m i n C 0,019 g. Indikationen: Lymphatische Diathese und ihre akuten Manifestationen (wie Tonsillitis catarrhalis, Pharyngitis lateralis), Schwellungen der Lymphknoten, besonders bei Erkrankungen im Nasen-RachenTaum; Nachbehandlung nach Tonsillektomie. Chronische Racheninfekte. Kontraindikationen, Nebenwirkungen: keine Dosierung: Zur Basistherapie der lymphatischen Diathese gibt man Kindern bzw. Erwachsenen 3mal täglich 15 bis 25 Tropfen oder 1 bis 2 Dragees über Wochen, bei akuten Manifestationen (Katarrhen) vorübergehend 5 —6mal täglich. Handelsformen: Tonsilgon O. P. zu 30 ml DM 4.85 Tonsilgon O P. zu 50 m! DM 6 35 Tonsilgon O. P. zu 100 m! DM 8 65 Tonsilgon O. P. zu 60 Drag. DM 6 35

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Phys Med u. Reh Heft 9, 1972

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Gelum® erhöht die Zellatmung durch verbesserte Sauerstoffversorgung über die Regulierung des Blut-pH-Wertes. Gelum® oral-rd aktiviert das lymphatische System, verzögert Metastasenbildung, verlängert Latenzphase und Überlebenszeit. Indikationen: Alle Sauerstoffmangelerkrankungen, Gewebe- und Geschwulsterkrankungen, Sklerosen, in der Geriatrie, Leber- und Stoffwechselerkrankungen. Wirkstoffe: Kaliumferriphosphat-Femcitratkomplex rechtsdrehender Miichsäure und Vitamin B

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Gelum® oral-rd Tropfen 30 ml DM 9,90 100 ml DM 24,40 Gelum®-S 30 g DM 4,10 Muskelund GelenkSalbe 60 g DM 6,40 schmerzen, Verstauchungen, Hämatome, Gewebeentzündungen Gelum®-L 30 g DM 4,10 Pyodermien, Milchschorf, 60 g DM 6,40 Ulcus cruris, Mastitiden Salbe Gelum®10 St. DM 5,20 Haemorrhoiden, EntzünSupp. 40 St. DM 18,25 düngen im Analbereich, Zäpfchen Prostatitis

Verleihung des Kneipp-Preises 1972 an Herrn Priv.-Doz. Dr. med. H. Koch, Oberarzt der Chirurg. Univ.-Klinik Marburg Im Rahmen eines arztlichen Symposions des Kneipp-Ärztebundes wurde am 16. Juni in Bad Wörishofen der von Herrn Apotheker Leusser, dem Chef des Kneipp-HeilmittelWerkes gestiftete und mit 5000,— DM dotierte Kneipp-Preis für eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Gebiet der Kneipptherapie an Herrn Doz. Dr. med. H. Koch für die Arbeit „Die selektive Hydrotherapie des Verbrennungsdefektes" verliehen. Herr Dr Koch hatte zunächst ausgedehnte tierexperimentelle Untersuchungen über therapeutische Möglichkeiten bei Verbrennungen durchgeführt. Dabei hatte sich eine Dauerberieselung des Verbrennungsdefektes mit Leitungswasser am besten bewährt. Auf Grund der erfolgreichen Tierversuche setzte er diese Methode auch in der Marburger Klinik ein. Der von der Verbrennung betroffene Körperteil wird mit Wasser, dem ein äußerliches Desinfektionsmittel beigefügt ist, behandelt und anschließend 10 Minuten mit Leitungswasser berieselt. Dieser Vorgang wird über mehrere Stunden (bis zu 10 Stunden täglich) wiederholt. Dadurch gelingt es, die gefürchteten Infektionen, insbesondere die Pseudomonas-Sepsis als Haupttodesursache aller Verbrennungen, weitgehend zu verhindern — und zwar ohne Antibiotika! Die Erfolge sind eindeutig besser als die Behandlung mit hohen Antibiotikadosen, da erstens die Medikamente auf dem Blutwege nicht in genügend hoher Konzentration in das geschädigte Gebiet kommen, da die Gefäße zum großen Teil zerstört sind und zweitens das Bakterium Pseudomona aeruginosa gegen fast alle Antibiotika mit Ausnahme des mit starken Nebenwirkungen belasteten Gentamycin resistent sind. Außerdem wird durch die Hydrotherapie die Narbenbildung geringer, und die so schwer zu behandelnden Narbenkontrakturen treten nicht mehr auf, da die im Verbrennungsbereich liegenden Gelenke schmerzfrei während der ganzen Behandlung bewegt werden können. Die im trockenen Zustand immer bestehenden Verbrennungsschmerzen klingen nach der Hydrotherapie schnell ab. Insgesamt wird die Heilungstendenz wesentlich gefordert und die Sterblichkeit signifikant herabgesetzt. Der von Sebastian Kneipp so sehr geförderten Hydrotherapie sind dadurch neue Möglichkeiten zum Wohle der Kranken eröffnet worden. Zwar hat Kneipp selbst die Hydrotherapie in dieser Form und dieser Indikation nicht betrieben. Sem Anliegen war aber immer, daß die von ihm entwickelte Behandlungsweise nach seinem Tode von Ärzten und Wissenschaftlern weiter ausgebaut werde. In diesem Sinne entspricht die mit dem Preis ausgezeichnete Arbeit einem Wunsche Sebastian Kneipps. Großen Beifall erntete Herr Dr. Koch, als in der Laudatio Dr. Brüggemann darauf hinwies, daß er neben seinen vier eigenen Kindern noch vier farbige Kinder adoptiert hat. Besonders gewürdigt und ebenfalls mit lang anhaltendem Beifall bedacht wurde die aufopfernde Bereitschaft seiner Ehefrau, die ihren ärztlichen Beruf aufgegeben hat, um sich ganz den großen Aufgaben einer derartigen Familie widmen zu können.

Das interessiert den Leser 3253 Hessisch Oldendorf

Bericht über eine in Akupunktur-Analgerie durchgeführte Tonsillektomia Zeit. 8. 3. 72 Ort. HMO-Abt. d. Wr. Stadt. Poliklinik, Wien IX, Mariannengasse 10 (Vorstand: Prof. Dr. E. H. Majer). Operateur: Oberarzt Dr. O. Wolken.

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Phys. Med. u Reh. Heft 9, 1972

Analgesie- Dr. J. Bischko, assistiert von Dr. E. Petricek. Patientin: E. Seh. hatte anamnestisch gehäufte, eitrige Anginen mit zweimaliger Abszeßbildung aufzuweisen sowie damit offenbar in Zusammenhang stehenden rheumatischen Beschwerden im rechten Arm. Lokalstatus: Ohren: Trommelfelle bcls zart, reizlos. Nase und Nasen-Rachen räum frei, ebenso der Larynx. MundRachen: adhaerente und zerklüftete Tonsillen bds. Operationsbericht: Um etwa 9.30 Uhr erhielt Patientin lediglich 0,0005 Atropin, sonst keine schmerzstillenden Präparate, auch keinen Mundspray. Die Untersuchung durch den die Analgesie vornehmenden Dr. Bischko war auf chinesische Pulstastung beschränkt. Es wurde bewußt kein Gespräch mit der Patientin geführt, um jede psychische Beeinflussung auszuschließen. Lediglich der Operateur teilte ihr kurz mit, daß ein anderes Anaesthesieverfahren angewendet werden würde als üblich, womit sich die Pat. einverstanden erklärte. Gegen 10 Uhr setzte die Analgesie an den Punkten Di 4 und Lu 11 bds an den Daumen (proximales Ende des Mittelhandknochens und lateraler Daumennagelwinkel) ein. Nach etwa 2 Minuten tritt dumpfes Gefühl im Halsbereich ein, die nun einsetzende Operation wird von der Patientin als nicht schmerzhaft bezeichnet und auch in typischer Weise, abgesehen von stärkeren Adhäsionen links, in der üblichen Zeit von etwa 8 Minuten durchgeführt. Die Analgesie wird nach Abschluß der Operation noch 3 Minuten weitergeführt, um den postoperativen Verlauf günstig zu beeinflussen. Die Blutung sub operationem war etwas stärker als bei einer Lokalanaesthesie wegen des Fehlens der dort mitverwendeten Adstringentien, jedoch niemals störend oder gar gefährlich. Auch die Reflexe waren etwas gesteigert, aber kraß weniger als bei üblichen Untersuchungen. Die Patientin war dauernd vollkommen lucid und ansprechbar. Postoperativer Verlauf: die sonst am zweiten Tag auftretenden Schmerzen dieser typischen Art traten, wenn auch abgeschwächt, sehr bald nach der Operation auf, konnten jedoch mittels eines üblichen schmerzstillenden Supp. leicht beherrscht werden. Der spätere Verlauf war deutlich besser als in allen anderen ähnlichen Fällen. Pat. verließ am 10. 3. 72 morgens beschwerdefrei die Anstalt. Interessanterweise veränderte sich die Pulsfrequenz und -stärke (Kontrolle durch die Narkoseärztin Oberarzt Dr. H. Weigl) während des ganzen Eingriffs nicht. Emma! beklagte Pat. einen kurzen Schmerz im Bereiche einer eingestochenen Analgesienadel (chinesischer Provenienz aus Edelstahl).

Der niedergelassene Arzt. 20. Jahrgang, Heft 22, November 1971. Bis 31. Dezember 1972 kann man an den NAV-Wirtschaftsdienst für Ärzte, 5 Köln 60, Nägelistraße 5, die Bitte richten, die eigene Praxis im Rahmen der „Aktion rationelle Praxis" überprüfen und verbessern lassen. Auf Anforderung werden entsprechende Fragebogen an die Arzte geschickt. Einzusenden sind 1. Skizzen oder Architektenzeichnungen des Praxisgrundrisses mit seiner Einrichtung. 2. Beschreibungen der Arbeitsabläufe und der Praxisbesonderheiten. 3. Aussagen über die Organisationsform als offene oder Bestellpraxis. 4. Angabe sämtlicher Zahlen, wie Fallzah), Patientenfrequenz, Zahl der Beschäftigten usw. Hierfür ist der besondere Fragebogen entwickelt worden.

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Phys

(Persönliche Unterschrift und Stempel des Arztes) CHWARZHAUPT • KOLM

Dr. KAHLERT, Bad Salzutten Phys. Med. u. Reh

Heft 9, 1972

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Physikalische Medizin und Rehabilitation

13.Jahrgang September 1972

Heft 9

Zeitschrift für allgemeine und spezielle Medizin

Schriftleitung: H. Haferkamp in Zusammenarbeit mit K. Franke Organ des Zentralverbandes der Ärzte für Naturheilverfahren e. V., Sitz Stuttgart, des Kneippärztebundes, Ärztliche Gesellschaft für Physiotherapie e. V., Sitz Bad Wörishofen, und des Österreichischen Kneippärztebundes. Wissenschaftlicher

Beirat:

K. Albrecht (Undenheim) — H. Bialonski (Bad Godesberg) — F. Brantner (Villach) — N. Breidenbach (Beuren) — P. Dosch (München) - H. Fleischhacker (Wien) - P. Frick (Mainz) - W. Groh (Bad

Dürrheim) — H. G. Güttner (Dresden) — H. Harmsen (Hamburg) — M. Hochrein (Ludwigshafen/Rhein) - A. Hoff (Bad Wörishofen) W. Huneke (Stuttgart) - K .H. Kahlert (Bad Salzuflen) - J. Kaiser (Bad Wörishofen) - K. Kötschau (Schloßberg) - H. Kolb (Wetzlar) H. Krauß (Berlin-Buch) — Krautheim (Grönenbach) — W. Küster (Magdeburg) — R. v. Leitner (Berlin) — H. Mensen (Bad Rothenfelde) — W. v. Nathusius (Hirzenhain/Oberhessen) — G. W. Parade (Neustadt/ Weinstraße) — H. Paul (Bad Godesberg) — A. Pischinger (Wien) — H. P. Rusch (Frankfurt/M.) - H. Seyfarth (Rostock) - W. Schauwecker (Bensheim) — E. G. Schenck (Aachen) — H. Schlüter (Berleburg) — H. Schoeler (Karlsruhe) - O. Schumacher-Wandersieb (Bad Münstereifel) — R. Voll (Plochingen) - H. L. Walb (Homberg/Kr. Alsfeld) - R. F. Weiß (Marstetten-Aitrach) — Graf Wittgenstein (München) - W. Zabel (Berchtesgadert).

Dr. medL Norbert Breidenbach 65 Jahre Während der Tagung in Freudenstadt vollendet unser Kassierer Generalarzt a. D., Dr. med. Norbert Breidenbach, sein 65. Lebensjahr. Geboren am 18. September 1907 in Worms studierte er nach bestandenem Abitur zunächst Maschinenbau in Darmstadt. Anschließend studierte er dann Medizin, bestand sein Staatsexamen in Gießen und promovierte auch hier. 1934 trat er als aktiver Sanitätsoffizier in die Wehrmacht ein und geriet als Oberstabsarzt bei Beendigung des Krieges 1945 in Gefangenschaft. Nach der Entlassung wurde er erster wissenschaftlicher Assistent an der Universitäts-Hautklinik in Rostock, wo er seine Anerkennung als Facharzt

für Dermatologie erhielt. Von 1947 bis 1953 war er KreisVenerologe und Leiter der Hautabteilung des Krankenhauses Weißenfels. 1953 Übersiedlung nach Hamburg. Klinische Ausbildung als Arzt für Naturheilverfahren bei unserem verstorbenen Vorsitzenden Dr. Hans Kusche. 1956 trat er in die Bundeswehr ein, aus der er Ende September 1966 altersmäßig als Generalarzt und Chefarzt des größten Bundeswehriazaretts in Koblenz entlassen wurde. Seit dieser Zeit arbeitete er als Vertreter der Chefärzte an mehreren großen Kliniken unserer Richtung. Der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren wünscht ihm alles Gute.

Aus Schriften Ferd. Hoffs, Domagks und von Max Neuberger werden die von den Hippokratikern über Paracelsus und Hufeland bis heute geäußerten Ansichten zitiert über Prinzipien einer Ganzheitsbehandlung des Menschen. Mit einem ausschließlich analytischen Denken sei es nicht mehr möglich, den auf uns zukommenden Schäden einer überwerteten Chemotherapie und der Umweltverschmutzung zu begegnen. Es sollte die Steigerung der natürlichen Abwehrkräfte eine wichtige Zukunftsaufgabe sein.

K. Kötschau Über die Selbstordnungsfähigkeit der Natur Ferd. Hoff) schließt einen Artikel über die „Wirkprinzipien der Therapie" mit den Worten: „Nicht der Arzt überwindet die Krankheit, sondern der Organismus; der Arzt muß diesen Heitvorgang unterstützen. Natura sanat, medicus curat. Das war auch die Überzeugung Gerhard Domagks, des großen Forschers auf dem Gebiet der spezifischen Chemotherapie. Das war schon die Lehre des Hippokrates, der die natürlichen Heilkräfte als Physis bezeichnete, es war auch die Lehre des Paracefsus, dev die natürlichen Hail') F. HOFF, Ärztl. P. 89, 4851 (1970).

kräfte als den „inwendig Arzt", den „natürlichen Arzt" bezeichnete und schrieb: „Also soll nun der Mensch wissen und verstehen, so Gott ihm sein natürlichen Arzt und sein natürlich A r z n e i . . . nit geben hätt und geschaffen: Des äußeren Arztes halber bliebe nichts beim Leben." Ferd. Hoff hat sein ganzes Leben dieser Auffassung von der Heilkraft der Natur angehangen. Sein 1930 bei Julius Springer, Berlin, erschienenes Buch „Unspezifische Therapie und natürliche Abwehrvovgänge" beginnt mit den Worten: „Die Methoden der unspezifischen Krankenbehandlung haben, nachdem sie lange Zeit im Schatten der großartigen

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Fortschritte der spezifischen Immunitätslehre vernachlässigt waren, in den letzten Jahren einen großen Aufschwung genommen . . . Für jeden Arzt besteht die Notwendigkeit, sich mit den Grundlagen der unspezifischen Behandlungsmethoden vertraut zu machen. „Im Mittelpunkt dieser unspezifischen Therapie steht die planmäßige Unterstützung der natürlichen Abwehrvorgänge. Ferd. Hoff weiß, daß es zu keiner Zeit notwendiger war, an diese Dinge zu erinnern, als heute. Die natürliche Abwehr muß in Ordnung sein, wenn Heilung möglich sein soll. Die von ihm vorgeschlagene Regulationstherapie setzt die Intaktheit der natürlichen Regulationseinrichtungen voraus. „Die Heilung unter Ausnutzung der natürlichen Regulationen sucht wieder Ordnung zu schaffen mit Hilfe natürlicher Abwehrkräfte. Wenn hierdurch die Störung beseitigt wird, dann ist auch wirklich eine echte Heilung eingetreten, während bei der Prothesentherapie, etwa mit Vitamin B12 oder Insulin, die Störung weiterbesteht und deshalb nach Absetzen des Medikaments zwangsläufig wieder in Erscheinung tritt." Bei der Prothesentherapie wird ähnlich wie bei der Chemotherapie im Prinzip nicht an den Organismus appelliert. Man strebt ohne seine Mithilfe eine künstliche Heilung an, wobei freilich die Intaktheit der physiologischen Regulationseinrichtungen stillschweigend vorausgesetzt wird. Von dieser Auffassung ging auch der Nobelpreisträger Domagk aus. Grundprinzipien der Medizin Wenn Ferd. Hoff es für notwendig erachtet, gerade heute an diese Dinge zu erinnern, dann weil die Zeit gekommen erscheint, unsere Auffassungen über die Grundprinzipien der Medizin wieder einmal einer Prüfung zu unterziehen. Die Aulfassungen der Lehren von Kos und Knidos pendeln immer noch hin und her. Noch bis zu Hufeland und dem Physiologen Johannes Müller2) waren die Auffassungen maßgebend, die Ferd. Hoff noch heute vertritt, die aber dann mehr und mehr von einer kausalanalytischen Auffassung verdrängt wurden, die von der Eigengesetzlichkeit natürlicher Abwehr- und Regulationsvorgänge und natürlichen Heilgeschehens kaum mehr etwas weiß. Allerdings kam dann wieder eine Epoche, in der es zu einer Wandiung zu kommen schien und auf deren Höhepunkt der Wiener Medizinhistoriker Max Neuburger 1926 sein aufschlußreiches Buch über „Die Lehre von der Heilkraft der Natur im Wandel der Zeiten" schreiben konnte. Er beklagt, „daß bei der Zertrümmerung des historisch Gewordenen auch viel an kostbaren Werten zugrunde ging, ja, der gesamte wissenschaftliche Werdeprozeß drängt geradezu gebieterisch dahin, das, was die Alten vermutet haben, auf der Basis moderner Biologie wieder aufzubauen". Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht die Lehre von den natürlichen Heilungsvorgängen und den Schutzeinrichtungen des Organismus. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Medizin. Er schildert sie von Hippofcrafes angelangen. Diese hippokratische Epoche war allerdings recht kurz. Wir Älteren haben sie noch miterlebt. Sie ist sehr rasch von einer Welle abgelöst worden, die in ein rational-technologisch-operationales Denken ausmündet, das sich immer weiter von allem Lebensgeschehen im Sinne der von Hippakrates, Paracelsus, Hufeland und Neuburger selbst vertretenen Auffassungen entfernt hat. Da aber jeder Pendelschlag nach dem Gesetz der Polarität von einer Gegenbewegung abgelöst wird, so steht zu erwarten, daß dies auch heute geschehen wird. Denn eine weiter zunehmende Gefährdung des Lebens ist kaum noch möglich und verlangt gebiete') K. KOTSCHAU, Stud. Gener. 117 (1960). 256

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risch nach einer Wandlung der Auffassungen, wie dies Ferd. Hoff bereits bekundet hat. Als Einführung in diese Auffassungen erscheint mir das Buch von Neuburger ganz besonders geeignet und fruchtbar. Denen, die im Wandel der Auffassungen keinen Fortschritt zu erblicken imstande sind, sei das Wort Hufelands entgegengehalten, mit dem Neuburger sein Buch abschließt: „Das große Experiment, das seit Jahrtausenden die Menschheit mit sich selbst anstellt — Medizin genannt — ist noch nicht zu Ende, wird auch wohl, wie alles Irdische, nie vollkommen zu Ende gebracht werden, denn es ist das Experiment, dem höchsten Geheimnis der Natur, dem Leben, auf den Grund zu kommen und es bei Verirrungen zurechtzuweisen." Seit Hufeland sind 150 Jahre vergangen. Was ist nicht alles inzwischen erforscht worden. Noch niemals hat die Welt so viele Forscher an der Arbeit gesehen, so viele Forschungsinstitute besessen — aber das Geheimnis des Lebens ist nicht gelüftet worden. Ja, ich möchte geradezu sagen: Noch niemals war die Menschheit so weit von diesem Geheimnis entfernt als heute. Hufeland, sagt Neuburger, fand in jedem seiner Werke weise Worte, um der Ehrfurcht vor dem Wirken der Natur Ausdruck zu geben. Die Lebenskraft Er schreibt: „Der Hauptpunkt, auf dem alles in der Medizin, sowohl Theorie als auch Praxis, beruht, ist das Verhalten und die verschiedene Reaktion der Lebenskraft in Verbindung der verschiedenen Organisation, durch die sie wirkt, und der ihr untergeordneten toten (chemischen und mechanischen) Naturkräfte. Diese Reaktion ist die Grundlage aller Krankheiten und ihrer Modifikationen, aller Heilkraft und allen Heilbestrebens der Natur in Krankheiten, aller Wirkung der Arzneimittel und so auch der ganzen praktischen Medizin, die ja in nichts weiter besteht, als diese Reaktion der Naturkraft zu benützen, zu unterstützen und zu leiten. Die nämlichen Kräfte und Gesetze des belebten organischen Körpers, durch welche sich die Krankheit bildet, sind es auch, durch welche sie aufgehoben, umgeformt, gemildert und das Gleichgewicht wieder hergestellt wird." Das ist die hippokratisch-paracelsisch-ganzheitliche Sprache derer, denen es darauf ankommt, die Grundprinzipien, die Regeln und Gesetze lebendigen Geschehens wieder ins Spiel zu bringen. Dazu dienen nicht physikalisch-chemische Gesetze, sondern: „Der Mechanismus dieser Heiloperationen der Natur hat seinen Grund, so wie jede lebende Operation, in den Grundkräften und Grundgesetzen des Organismus" (Huteland). 2000 Jahre lang haben die berühmtesten Ärzte jener Zeiten den Vorrang des Lebendigen vor dem Toten in der Medizin betont. Aug. Fr. Hecker hat 1789 das damalige Wissen über den Naturheilprozeß so zusammengefaßt: „In der ganzen tierischen Schöpfung zweckt alles Leben auf Erhaltung ab. In dem tierischen Körper finden sich daher eine Menge von Kräften, die alle zu jenem großen Zwecke beitragen, und der Zusammenfluß aller dieser Kräfte . . . heißt Lebenskraft. Der Mensch mit natürlichen Krankheitsanlagen versehen, von vielen Dingen umgeben, die alle einen schädlichen Einfluß auf seinen Körper haben können, seinen eigenen Begierden unterworfen, die ihn nicht immer das Zuträglichste wählen lassen, würde, von der Natur mit der vollkommensten Lebenskraft ausgerüstet, doch keine lange Dauer genießen, wäre jene Kraft nicht auch zugleich Erhaltungskraft, Heilkraft, die Krankheiten entweder ganz abhält oder gleich bei ihrem Ausbruch unterdrückt oder sie doch nach und nach zu einem glücklichen Ausgang leitet. Ohne sie wirkt kein Mittel, ohne sie ist alle Kunst des Arztes — nichts!"

Kunstheilung — Naturheilung

Eine Medizin, die das Leben mit all seiner Ordnung, seiner Sinnhaftigkeit, seiner Selbstwerdefähigkeit, Reparations- und Restitutionsfähigkeit, schließlich begabt mit Seele und Geist gegenüber dem unlebendigen Mechanismus vernachlässigt und die Eigengesetzlichkeit der physikalisch-chemisch-toten Gesetzlichkeit geopfert hat, konnte sich nicht lange durchsetzen. Das lebendige gesetzliche Geschehen zieht sich stets wie ein roter Faden durch die Geschichte der Medizin. Die physikalisch-chemische Gesetzlichkeit kann immer nur als „Kunstheilung" die eigentliche und allein echte Naturheilung ergänzen. So sieht es auch Hufeland, der schreibt: „Wenn die Natur überhaupt ihre Integrität verloren hat und das ganze Leben des Menschen ein anormaler und erkünstelter Zustand geworden ist, dann können wir auch jene normale Naturwirkung in Krankheiten nicht mehr erwarten, die nur das Eigentum einer unverdorbenen und regulären Natur ist Daher hängt das Bedürfnis der Kunst und folglich der Ärzte mit der Zunahme des Luxus, der Verfeinerung und der Sittenlosigkeit zusammen. Rom hatte und brauchte keine Ärzte in den ersten Jahrhunderten der Republik. Jetzt hingegen ist es das Schicksal fast aller höheren und verfeinerten Menschenklassen, fast aller Städtebewohner, daß ihre Natur schon jenen Grad von Kraft und regulärer Wirksamkeit verloren hat, der zur Alleinhilfe in Krankheiten hinreichend ist. Ein künstliches Leben erfordert auch künstliche Heilung." Konnte Hufeland die heutige Situation treffender schildern? Auch wir haben uns so weit von der Intaktheit, Ordnung, Ganzheit der Natur entfernt, daß künstlich-technische Heilmethoden immer mehr in den Vordergrund treten mußten, allerdings zum Nachteil der Gesundheit, die eine geordnete, intakte Natur voraussetzt. Die Zahl der Kranken- und Fürsorgeanstalten, die Zahl der Ärzte mußte wie noch nie zuvor ansteigen. Statt aber daraus die Notwendigkeit abzuleiten, uns mehr um die Gesetzlichkeit lebendigen Geschehens zu bemühen, steigert man die naturwissenschaftlichen Arbeiten im Sinne eines sich immer mehr verfestigenden rational-technologisch-operationalen Denkens und „Machens". Dem steht entgegen, was Döllinger, immer zitiert nach Neuburger, schreibt: „Unter die herrlichsten Taten, welche die Natur mit innerlicher Vernunft, mit Absicht und Wahl vollbringt, gehört das Werk der Heilung . . . Ohne heilkräftiges Streben der Natur kommt nirgendwo die Heilung auch nur einer Krankheit, auch nur in einem konkreten Fall zustande; wo das heilkräftige Streben der Natur erliegt, da ist alle Kunsthilfe vergebens . . . Ehe der Wirkung irgendeines ärztlichen Verfahrens, z. B. der Anwendung eines bestimmten Arzneimittels, die Heilung einer Krankheit zugeschrieben wird, sollte doch jeder Vernünftige biilig voraussetzen, daß mit Gewißheit erkannt wäre, welchen Verlauf die Krankheit ohne solches ärztliches Verfahren, ohne die Anwendung dieses bestimmten Arzneimittels genommen haben würde . . . Welchen nachteiligen Einfluß die Verdrängung der alten Lehre von der Heilkraft der Natur und von ihren Wirkungen in dem erkrankten Organismus auf die Bearbeitung der Heilkunde hervorbrachte, ist bekannt. Niemals wurde so stürmisch und gewaltsam der Verlauf der Krankheiten gestört, die heilsamen Bestrebungen der Natur so sehr pertubiert als in dieser Zeit des medizinischen Terrorismus." Das ist geschrieben 1805! Was würde der Autor heute festzustellen haben? Bedeutung einer Entzündung

Sicher hat sich die Situation sehr wesentlich verändert, aber nicht in der Richtung auf eine bessere Kenntnis dessen, was das Leben in biologischer Hinsicht erfordert. Wüßten wir um die Gesetze des Lebens, so hätte es nie-

mals eine Umweltverschmutzung geben können, niemals eine solche Vermehrung chronisch kranker Menschen. Wie falsch werden heute die eigentlichen Regulationsvorgänge im Organismus gedeutet. In einem Aufsatz „Winke über Behandlung der Fieber und Entzündungen" schreibt 1823 Gruithuisen: „Der Praktiker hat nicht zu vergessen, 1. daß Entzündung und Fieber keine Krankheiten, sondern immer nur Symptome sind, mit denen sich die Natur gegen die Krankheit wehrt; 2. daß diese beiden heilenden Tätigkeiten aber häufig Exzesse machen, die nicht selten schädlicher werden als die Krankheit selbst; 3. daß, wenn nun der Arzt gegen sie wirksame Mittel anwendet, er in der Vertreibung des Fiebers und der Entzündung nicht auch Exzesse begehen darf; 4. daß er beide so gebrauchen sollte, wie der Seemann Wind und Strömung, um den Hafen der Gesundheit ohne Schaden zu erreichen; und 5. daß er nie die spezifische Behandlung des Wesens der Krankheit außer acht lassen dürfe . . . Denn tilgt er (wenn er je imstande ist) das Fieber ganz, so bleibt ihm die Krankheit zurück. Was macht er nun? — Ganz genau ist es so mit der Entzündung." Diese Warnung vor der restlosen Austilgung von Fieber und Entzündung ist nicht beachtet worden und hat sich gefährlich ausgewirkt, worüber von mir a. O. berichtet wird. Die akuten und chronischen Entzündungen, sagt Rayer, haben manchmal eine heilsame Wirkung. Es werden eine ganze Reihe von Fällen geschildert, in denen ganz besonders durch Hautexazerbationen innere Krankheiten geheilt werden konnten. Peter Frank gedenkt eines Falles von Hirnentzündung, die ein Erysipel glücklich entschied. Es wird von Gefahren durch plötzliches Zurücktreten von Hautentzündungen gesprochen. Rayer schreibt: „Die Häufigkeit solcher Fälle, wo beim Verschwinden einer Hautentzündung ein Innerer Entzündungszustand zum Vorschein kommt oder Fortschritte macht, hat vor deren Unterdrückung und Heilung Furcht eingeflößt. Sobald ein und derselbe Kranke gleichzeitig an einer inneren und einer äußeren Affektion leidet, ist es gefährlich, dieser letzteren kräftig entgegenzutreten." Ich selbst habe im ersten Weltkrieg an über tausend Typhuskranken, die ich selbst betreut habe — meine Doktorarbeit stammt daher —, das Verschwinden des Typhusfiebers nicht selten beobachten können, wenn ein Typhusabszeß auftrat, in dem sich eine Reinkultur von Typhusbazillen befand. H. H. Reckeweg3) hat im Sinne dieser alten Auffassungen eine Lehre vom Vicariationseffekt aufgestellt. Neuburger zitiert den englischen Chirurgen Astley Cooper, der schreibt: Konstitutionelle Reizung dürfe nicht zu schnell unterdrückt werden, da ein gewisser Grad von Irritation zeige, daß die Natur versucht, den Heilungsprozeß vorzunehmen. Entzündung sei das Mittel, durch welches örtliche Verletzungen ausgeglichen werden, sie können daher als das restaurierende Prinzip angesehen werden. Entzündung sei bei einer gesunden Konstitution die vis medicatrix naturae und entstünde um der Heilung willen. Er spricht auch von dem Vorteil der Eiterung. Wenn sich die Konstitution seit langer Zeit an den Ausfluß aus einem Geschwür gewöhnt hat, so sei einige Vorsicht bei seiner Heilung nötig, denn wenn diese zu plötzlich erfolge, so kämen sehr leicht hektische oder apoplektische Symptome zum Vorschein. Besonders interessant war die Zeit der 2. Wiener Schule, von der Neuburger schreibt: „Nirgends wohl wurde damals weniger über die Heilkraft der Natur spekuliert und nirgends der expektativen Behandlungsweise mehr gehuldigt als im Allgemeinen Krankenhause zu Wien; manche der fremden Ärzte, •welche diese altberühmte Pflegestätte der ä

) H. H. RECKEWEG, Homotoxine und Homoloxikosen, Aure!ia-V., Baden-Baden 1955.

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Wissenschaft und Humanität in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts besuchten, gaben ihrem Erstaunen darüber Ausdruck, welch einfache, insbesondere der Venaesection abholde Therapie die Kliniker (v. Hildebrand, Raimann) und Primarärzte dort zumeist anwandten." — „In bezug auf die Anerkennung der Naturheilkraft kann als Wortführer der Wiener Schule der philosophisch so hochstehende und als Praktiker verdienstliche Ph. K. Hartmann angesehen werden, ein Pathologe von weitreichender Bedeutung." Besonders bekannt wurde der Aderlaßbekämpfer Jos. Dietl, der schon früh seinen Skeptizismus gegenüber der damaligen Therapie bekundet hat. Streng genommen, meint er, gibt es keine eigentlichen Heilmittel, weil kein sogenanntes Heilmittel die Krankheit geradezu angreift, unmittelbar mit ihr in Berührung kommt, auf sie unmittelbar einwirkt — und unmittelbar heilt. Das Leben, die Lebenskraft, die Natur ist es im Menschen, die das Geschäft der Heilung vollbringt. Denn so wie im Menschen eine Krankheit sich entwickelt, so beginnt zugleich ein Kampf zwischen der Krankheit und dem widerstrebenden Leben, das rastlos seinen neuen Feind zu überwältigen sucht — eine Tatsache, die seit Jahrtausenden ausgemacht und allgemein anerkannt ist . . . Kein Arzt heilt, sondern die Natur heilt alle Krankheiten. Eine große Wahrheit ohne Zweifel! Die Grundlage der ganzen Medizin, welche ohne dieselbe weder bestehen noch reellen Wert haben könnte. Neuburger schreibt weiter: „Von den Physiologen der naturphilosophischen Epoche wurde das Problem der Naturheilkraft eingehend erörtert und die Restitution der Norm nicht als Wirkung einer besonderen Potenz, sondern als Äußerung des Lebensprozesses überhaupt aufgefaßt, als Äußerung der dem Leben zugrundeliegenden bildenden und ernährenden Kraft. Selbstheilungsbestrebungen In der Verherrlichung der Macht und Größe der natürlichen Heilungsvorgänge noch weitergehend als Sydenham, wagt Ferd. Jahn den Satz aufzustellen, „daß, wo immer der Organismus der Krankheit gegenüber regelrechte Reaktionen zu entwickeln vermag und dieselben nicht ausarten und abnorm werden, keine Krankheit, auch nicht die gewaltigste, zum Tode führen kann". Das war 1831. Aber auch Hufeland betont: Es gibt keine Krankheit, die nicht schon durch die Natur allein geheilt worden wäre (1833). Innerhalb der 2. Wiener Schule war es der pathologische Anatom Rokitansky und sein kongenialer Mitarbeiter Skoda, die wie Dietl in der Naturheilung das höchste Grundgesetz der praktischen Medizin erblickten. „Solange wir nicht wissen, was die Natur zu leisten imstande ist, solange können wir nicht wissen, was wir zu leisten haben . . . Solange wir der Natur keine Gerechtigkeit widerfahren lassen, wird auch uns keine werden" (Dietl). Von dieser Epoche schreibt Neuburger: „Das von der Wiener und Prager Schule gegebene Beispiel wirkte weithin — es war ein therapeutisches Massenexperiment, das in der gesamten Geschichte der Medizin kaum seinesgleichen hat." Aber diese Epoche ging zu Ende um die Wlitte des 19. Jahrhunderts. Das kausalanalytische Denken nahm seinen Anfang. Teleologisches Denken schien entbehrlich. Die Fakten des riesigen Massenexperimentes wirkten sich nicht aus. Neuburger hoffte es noch. Die Zeit ist darüber hinweggeschritten. Aber ein August Bier und ein Ferdinand Hoff kennen noch das Heilfieber und die Heilentzündung. Sie kommen ohne ein gewisses Maß an teleologischem Denken nicht aus. Ferd. Hoff schreibt 1970: „Als ersten Grundsatz möchte ich hervorheben, daß es keine therapeutische Methode gibt, die im Sinne einer einfachen physikalischen Kausalität auf ein krankes Organ oder auf das komplexe Phänomen Krankheit einwirkt. In jedem Fall 258

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ist zwischen dem angewandten Heilmittel und dem krankhaften Vorgang der Gesamtorganismus mit seinen vielfältigen und individuell so unterschiedlichen Regulationen und Reaktionsmöglichkeiten eingeschaltet." F. Marchand1) unterscheidet wie Goldschneider die unmittelbaren Folgen der ursächlichen Einwirkungen (Störungen, Schädigungen) von den sich daran anschließenden Gegenwirkungen (Reaktionen) des Organismus. Das ist 1924 geschrieben. Bei den Kausalanalytikern fällt diese Unterscheidung fort. Bereits der Pathologe Henle hat 1840 zum Reaktionsbegriff gesagt: „Diese organische Kraft, die den äußeren Einflüssen entgegenwirken soll, ist eine mythische Figur." Lebendiges Geschehen wurde nicht mehr als ein autonom-eigengesetzliches Geschehen erkannt. Die Naturheitfähigkeit, die sich so tausendfältig als Faktum bewiesen hatte, fiel allmählich in Vergessenheit. Umweltverschmutzung — Abwehrkraft In der modernen Literatur ist von den natürlichen Heilkräften so gut wie nirgends mehr die Rede. Nur so konnten wir in das furchtbare Dilemma unserer Tage geraten, das dadurch gekennzeichnet ist, daß nunmehr die Naturkräfte tatsächlich zu versagen begonnen haben, sichtbar im Versagen der Selbstreinigung der Natur, der Flüsse, der Seen, der Luft und des Bodens und nicht zuletzt unserer eigenen Abwehrfähigkeit. Aber noch ein Gerhard Domagk sagte nach Hoffs Bericht: „Die Chemotherapie muß versagen, wenn die Abwehrkräfte des Organismus versagen." Und F. Hoff fügt hinzu: „Das war für mich, und ich glaube auch für alle anderen Teilnehmer der Ärztetagung, damals ein großes Erlebnis." Damit, meine ich, sind die Zeichen gesetzt für eine Wandlung des heutigen Denkens im Sinne der Wiedergeburt lebensgesetzlichen Geschehens an Stelle der Einseitigkeit unlebendig physikalisch-chemischer Fakten, mit denen wir außerstande sind, die Ordnung, Intaktheit, Ganzheit, Sinnhaftigkeit des Lebens wiederherzustellen oder gar aufzubauen. Die Prominenz unserer heutigen Physiker lehnt es sogar ab, aus der Naturwissenschaft von heute eine Weltanschauung aufzubauen oder anzugeben, was geschehen soll (W. Heisenberg). Wir sind dabei, die Abwehr-, Heil- und Lebenskräfte weiterhin zu schädigen, ja abzubauen. Nur ein einseitig kausalanalytisch alles Ganze isolierendes und auflösendes Denken hat es fertig gebracht, uns den Blick für die Ordnung, Ganzheit, Gesundheit lebendigen Geschehens zu verstellen. In zwei Vorträgen vor der Steirischen Akademie und dem Weltbund zum Schutz des Lebens habe ich5) über die Gefährdung der lebendigen Ganzheit durch analytisches Denken gesprochen. Wenn es mit C. F. von Weizsäcker6) vernünftig ist, Ganzes als Ganzes zu sehen, dann ist es unvernünftig, Ganzes analytisch so aufzulösen und zu isolieren, daß der Wiederaufbau zum lebendigen Ganzen nicht mehr möglich ist. So ist die Wiederherstellung der Ordnung, Ganzheit, Intaktheit, Gesundheit der Natur, unseres Lebens entscheidend von dem Wissen um diese Ordnung und Ganzheit abhängig. Letzten Endes geht es darum, die Selbstordnungskräfte des Lebens, der gesamten Natur, wieder wirksam werden zu lassen, d. h. also die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie wieder wirken können. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Karl Kötschau, 8021 Schloßberg, Lindenweg 23 4

) F. MARCHAND im Handbuch der Allgemeinen Pathologie von L. KREHL und F. MARCHAND, 4. Bd., 1. Abt., S. 85. S. Hirzel, Leipzig 1924. s ) K. KGTSCHAU, Die Zukunft, Vorträge der Steirischen Akademie 1969, Steiermärkische Landesdruckerei Graz. K. KOTSCHAU, Gefährdete Schöpfung, Bircher-Benner-Verlag, Bad Homburg 1969. ') C. F. VON WEIZSÄCKER, Rundfunkvortrag Bayr. Rundf. 25. Dez. 1970.

Aus der Neurochirurgischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt (Vorstand: Prim. Prof. Dr. Walter Bischof)

w. Bischof Rehabilitation nach Eingriffen und Verletzungen am Zentralnervensystem Nach anatomischen, physiologischen und pathophysiologischen Vorbemerkungen werden die häufigsten Schädelverletzungen und -tumoren besprochen und Winke für die oft entscheidende Nachbehandlung gegeben. Die Therapie und Rehabilitation von Querschnittsverletzungen und besonders der damit verbundenen Blasenstörungen sowie von schwersten Schmerzzuständen bi/den den Schfuß der Arbeit. Das Zentralnervensystem besteht aus dem somatischen und vegetativen Nervensystem. Diese beiden Systeme sind eine Funktionseinheit. Seit Head wissen wir, daß besonders im Rückenmarksegment eine funktioneile Einheit zu sehen ist. Schmerzreize oder auch thermische Reize führen im Bereich des segmental zugeordneten inneren Organs zu einer Funktionsumstellung. In gleicher Weise sehen wir auch bei Erkrankungen innerer Organe hyperaesthetische Zonen im zugeordneten Hautsegment. Diese Beeinflußbarkeit eines inneren Organs von der Haut aus wird bei der Akupunktur und bei der Neuraltherapie angewandt. Auch die Erfolge der Hydrotherapie dürften zum Teil in ähnlicher Weise zu erklären sein. Zur Pathophysiologie Die Schädigungen des somatischen Nervensystems unterteilen wir nach ihrer Lokalisation und Axt. Zur Unterteilung der Lokalisation verwenden wir die anatomischen Gegebenheiten und trennen Prozesse im Großhirn, im Hirnstamm, im Rückenmark und den peripheren Nerven. Unter den Großhirnprozessen besteht je nach Lokalisation ein verschiedenes neurologisches Syndrom. Schädigungen des rechten Stirnhirns z. B. führen nur zu vorübergehenden psychischen Störungen, während derselbe Prozeß in der Zentralregion zu einer schlaffen Hemiparalyse, später zu einer spastischen Lähmung führt. Schädigungen des Hirnstammes, besonders in Höhe des Nucleus ruber, führen zur Enthirnungsstarre. Bei Hirnstammschädigungen, wie wir sie nach Schädelunfällen sehen, kommt es entsprechend dieser patho-physiologischen Vorgänge zu einer Pronation und Strecktendenz der Extremitäten. Schädigungen des Rückenmarkes können total und partiell sein. Anfänglich kommt es zur schlaffen Paralyse, später zu einer spastischen Lähmung der Beine. Die peripheren Nervenschädigungen zeichnen sich durch Reflexlosigkeit, Atrophie und schlaffer Lähmung aus. Zum Verständnis der Arteinteilung der Prozesse im ZNS bedarf es einer patho-physiologischen Vorbemerkung. Jede Volumenszunahme in der allseitig geschlossenen Schädelkapsel und dem knöchernen Spinalkanal führt im ZNS zu einer lokalen Druckwirkung. Deshalb spielt die intracranielle Drucksteigerung in der Pathogenese cerebraler und medullärer Prozesse eine hervorragende Rolle. Die Raumbeengung einer Hemisphäre führt im Laufe der Zeit zu einer Prolapsneigung von Hirnlappen, die das bekannte Einklemmungssyndrom hervorrufen. Die Schädigung kann sich in Form eines lokalen Druckes, wie z. B. beim Meningeom oder beim subduralen Haematom, auswirken. Der Prozeß schiebt sozusagen das gesunde Gehirn vor sich her. Das Meningeom, das von den Hirnhäuten ausgeht, drückt lokal das gesunde Gehirn. Es werden vorerst die Reserveräume, die Subarachnoidalräume und Ventrikelräume, verbraucht. Wenn der Prozeß langsam fortschreitend ist, kommt es erst dann zu einer lokalen Druckwirkung und zu lokalen Druckzeichen. Eine andere Art der Schädigung ist die substantielle Läsion

des Gehirns, wie wir sie z. B. akut nach einem Unfall in Form einer Contusion sehen. In diesem Fall geht Hirngewebe primär zugrunde. Beim Gliom, das vom Hirngewebe selbst ausgeht, wird durch das Tumorwachstum ebenfalls Hirngewebe zerstört und es treten spezielle Lokalzeichen auf. Schließlich gibt es noch eine diffuse Druckschädigung des Gehirns, z. B. beim entzündlichen Aquaeductverschluß. Das Hirnwasser hat keinen Abfluß mehr und staut sich in den Hirnkammern zurück, die dadurch mächtig erweitert werden können. Es handelt sich dann um eine diffuse intracranielle Drucksteigerung mit entsprechenden, diffusen Symptomen. Auch ein Gefäßprozeß kann z. B. zu einer diffusen Schädigung des Gehirns führen und zwar über eine Durchblutungsstörung. Die Symptomatik ist ähnlich der intracraniellen Drucksteigerung und dem intracraniellen Unterdruck.

Zur Therapie Die Behandlungen der Schädigungen des ZNS können chirurgisch oder konservativ sein. Verständlicherweise ist die causale Therapie, wenn diese möglich ist, allen anderen Behandlungsarten vorzuziehen. Es wird z. B. das Meningeom möglichst frühzeitig entfernt, oder eine Blutung, die auf das Gehirn drückt, möglichst bald entleert. Damit kann eine vollkommene Wiederherstellung möglich sein. Die entlastende Operation hat in der Neurochirurgie schon wegen der Wichtigkeit der vorgeschilderten Drucksteigerung eine entsprechende Bedeutung. Wir sehen regelmäßig bei offenen Hirnverletzungen einen besseren Verlauf, als bei geschlossener Schädelkapsel mit Contusionen. Die intracranielle Drucksteigerung kann sich bei der offenen Hirnschädigung durch einen Gehimprolaps ausgleichen. Auch bei Gliomen, die in lebenswichtigen Zentren lokalisiert sind, kann eine entlastende Operation die Bewußtseinslage deutlich bessern. Als dritten Punkt habe ich die symptomatische Therapie angeführt. Als Beispiel führe ich die Spastik an. Bei irreparablen Schäden des ZNS mit einer Spastik kann eine symptomatische Behandlung dieser Spaistik notwendig sein. Auf diese Behandlung kommen wir später noch zurück. Die konservative Behandlung besteht in einer Besserung der Restfunktionen durch Übungsbehandlung und physikalischer Therapie in weitestem Sinne. Die Ersatzfunktionen können durch ungekreuzte Bahnen und durch Umschulungen vom Rechts- zum Linkshänder unterstützt werden. Rehabilitation Die Rehabilitation hängt in erster Linie ab von der Dauer der Entstehung des Schadens. Bei akut auftretenden Schäden wie z. B. beim Unfall, kommt es plötzlich zum Untergang vom Gehirn und Rückenmarksgewebe. Das ZNS hat in diesem Falle keine Zeit, sich der neuen Situation anzupassen. Bei langsam zunehmendem Druck auf das ZNS ist eine weitgehende Angleichung an die neue Situation möglich, so daß z. B. ein Rückenmark bis auf Millimeter Dicke komprimiert sein kann und trotzdem seine Funktion noch ausführt. Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972 2 5 9

In zweiter Linie ist die Dauer des Druckes auf das ZNS von Bedeutung und die Intensität des Druckes. Weiter ist die Rehabilitation abhängig vom Ausmaß der substantiellen Läsion und von der Lokalisation im ZNS. Die entscheidenden Faktoren bei der Rehabilitation sind: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

angeborene Hemiparese Epilepsie Aphasie psychische Störung erworbene Hemiparese posttraumatisches Syndrom Liquorfistel Spastik Rückenmarkserweichung Blasenfunktionsstörung Schmerz periphere Lähmung

An Hand von Beispielen möchte ich Ihnen diese einzelnen Faktoren vorstellen: Ein 12jähriger Junge hatte bereits seit dem dritten Lebensjahr Jacksonanfä//e rechts, die als Fieberkrämpfe aufgefaßt wurden. Im Alter von sechs Jahren fiel eine Verkürzung der Extremitäten rechts auf. Außerdem ist es zu einer rechtsseitigen spastischen Parese gekommen. Erst im Alter von 12 Jahren wurde eine klinische Durchuntersuchung und Angiographie durchgeführt. Die Angiographie zeigt die drei mächtig erweiterten Zuflüsse des arteriovenösen Angioms, das, wie in einer auswärtigen Klinik festgestellt wurde, im Bereiche der Zentralregion gelegen ist. Die Abflüsse münden breitbasig in den Sinus sagittalis superior. Die Operation dieses angeborenen arternio-venösen Kurzschlusses wurde von einer auswärtigen Klinik abgelehnt. Wir haben die Operation trotzdem durchgeführt. !n einem zweiten Fal! des arüeno-venösen Ang/oms bei einer 45jährigen Frau trat als Erstsymptom ein akutes Ereignis im Sinne von Bewußtseinstrübung auf. Es handelte sich um eine Blutung aus einem angeborenen arteriovenösen Angiom. Nach der Operation ist bei dieser Frau, da durch den linken Temporallappen eingegangen wurde, eine gemischte sensorisch-motorische Aphasie aufgetreten. Wir haben bei der Pat. nach der Operation wegen dieser Sprachstörung Sprachübungen durchgeführt und vor allen Dingen die Pat. aufgefordert, mit der linken Extremität möglichst viel Geschicklichkeitsübungen durchzuführen. Wir haben in solchen Fällen das Bestreben, die Patienten auf Ambidexter umzuschulen, so daß also die rechtshimigen Strukturen auch für die Sprache verantwortlich werden. Sind psychische Störungen gleichzeitig vorhanden, ist diese Umschulung erschwert. In unserem Fall aber war die Antriebskraft, die Kritikfähigkeit der Pat. weiter vorhanden. Die Schulungsbehandlung führte zu einer vollkommenen Wiederherstellung der Sprache. Im folgenden Faile eines 28jährigen Mannes ist es plötzlich zu einer Bewußtseinsstörung gekommen. Das Angiogramm zeigte ein Aneurysma im Bereiche der Arteria cerebri anterior, aus dem es, wie das ap-Bild zeigte, zu einer Blutung in das rechte Stirnhirn gekommen ist. Da der junge Mann ein Rechtshänder war, hat die Blutung im rechten Stirnhirn nach Abklingen der reaktiven Schwellung nur geringe Zeichen einer psychischen Störung hinterlassen. Bei der Operation wurde das Aneurysma gekuppt und die Blutung im Marklager des rechten Stirnhirns ausgeräumt. Nach der Operation erholte sich der junge Mann rasch. Die psychischen Störungen haben nur einige Wochen gedauert. Wir sprechen beim rechten Stirnhirn von einer stummen Region. Die Alterskurve der sackförmigen Aneurysmen zeigt, daß diese Aneurasmablutungen vorwiegend zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auftreten. Der nächste Patient zeigte im Angiogramm einen gefäßfreien Bezirk parietal im ap-Bild mit Ausweichen der Gefäße. Im Seitenbild sah man in ähnlicher Weise einen gefäßfreien Bezirk präzentral lokalisiert. Klinisch bestand eine zunehmende Hemisphäre links ohne sonstige Ausfälle. Im venösen Bild sahen wir eine riesige Abflußvene, die einem Hindernis ausweicht. 260

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Bei der Operation zeigte sich, daß diese große Abflußvene mit dem präzentralen Meningeom im Zusammenhang stand. Wir waren deshalb gezwungen, diese Vene zu unterbinden. Nach der Operation ist es durch die Unterbindung dieser großen abfließenden Vene zu einer Hemiparalyse links gekommen. Unter aktiven und passiven Übungsbehandlungen ist diese Hemiparalyse innerhalb von Wochen zurückgegangen. Die Wiederherstellung erfolgte von proximal nach distal, d. h. vorerst konnte der Pat. das Bein im Hüftgelenk, später im Kniegelenk bewegen. In ähnlicher Weise war auch die Schuitermuskulatur, Oberarm- und später Unterarmmuskulatur wiedergekommen. Durch Unterbindung der großen abfließenden Vene ist es zweifellos zu einer Ernährungsstörung der Hemisphäre und der Zentralregion gekommen. Bei einer 48jährigen Frau, bei der in der Vorgeschichte lediglich psychische Störungen vorhanden waren, fanden wir im Angiogramm eine große Raumbeengung im Bereiche des Stirnhirns beiderseits. Die Arteria cerebri anterior ist bogig beidseits nach hinten verlagert, entsprechend dem großen raumfordernden Prozeß im Bereich der vorderen Schädelgrube. Außer den psychischen Störungen klagte sie in der Vorgeschichte über Sehverschlechterungen. Augenärztlicherseits wurde eine beginnende Opticusatrophie beidseits festgestellt. Das Olfaktoriusmeningeom wurde total exstirpiert. Es hat die vordere Schädelgrube beidseits vollkommen ausgefüllt und das Chiasma gedrückt. Die Verlagerung der fronto-basalen Struktur führte zu psychischen Veränderungen. Nach der Totalexstirpation dieses großen Meningeoms bestand noch durch Monate ein Psycho-Syndrom. Die augenärztliche Kontrolle drei Monate nach der Operation zeigte bereits ein normales Gesichtsfeld und eine weitgehende Wiederherstellung des Visus. Schädigungen beider Stirnhirne, besonders der basalen Strukturen, führen zu längerzeitiichen psychischen Veränderungen im Sinne von Kritiklosigkeit, Verantwortungslosigkeit und Witzelsucht. Eine Wiederherstellung der prämorbilen Persönlichkeit ist aber nach der Entfernung eines solchen Tumors zu erwarten. Das akute subdurale Haematom, das sich im Angiogramm sichelförmig darstellt, ist in den meisten Fällen begleitet von contusionellen Schäden des Temporallappens. Die rasch auftretende Raumbeengung, begleitet von der Gontusion des Temporallappens, führt zu einem schweren psychischen Bild. Das ZNS hat in diesem Falle keine Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Die Mortalität des akuten subduralen Haematoms ist deshalb heute noch sehr hoch. Obwohl in diesem Falle eines chronischen, subduralen Haematoms die Anteriorveranlagung erheblich ist, war das Krankheitsbild bei diesem 54jährigen Mann um vieles geringer. Es bestand lediglich eine geringe Halbseitensymptomatik und keine sichtbare Bewußtseinstrübung. Nach der Entleerung dieses chronischen subduralen Haematoms, das mindestens vier Wochen alt war, kam es zu einer vollkommenen Wiederherstellung. In diesem Falle war die Raumbeengung langsam zunehmend aufgetreten. Das ZNS hatte also Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen und hat trotz der großen Verlagerung die Funktion voll ausgeführt. Rückenmarksläsionen Wie eingangs bereits erwähnt, kann unsere Therapie nicht immer causal, sondern oft symptomatisch sein. Haben wir eine irreversible Lähmung, z. B. bei Rückenmarksläsion, vor uns, sind wir gezwungen, die Spastik zum Zwecke der weiteren Rehabilitation zu beseitigen. Anfänglich wurde vorwiegend am Erfolgsorgan, das ist die Muskulatur, und an den Sehnen operativ eingegriffen. Später wurden auch große Muskelgruppen durch Nervenunterbrechungen zur Tonussenkung ausgeschaltet. In der Übersicht greifen die tonussenkenden Operationen vorwiegend im Bereich des peripheren Reflexbogens ein.

Bei einer supranuclearen Schädigung des Ruckenmarkes kommt es erfahrungsgemäß zu einer Überfunktion des penpheren Reflexbogens, der mit einem Stromkreis zu vergleichen ist Der penphere Reflexbogen besteht aus dem afferenten und efferenten Schenkel Afferent werden die Reize von der Haut über die penpheren Nerven hintere Wurzel Hinterhorn ms Ruckenmark geleitet Wird die Leitung nach zentral unterbrochen werden die Meldungen über die Koliateralen Kolleckers dem jeweiligen segmentalen Vorderhorn zugeleitet Vom Vorderhorn aus beginnt der efferente Schenkel über die vordere Würze! penpheren Nerven zur Muskulatur Dieser Reflexbogen erreicht bei zentralen Schaden eine Überfunktion Es besteht also eine Hyperreflexie Die Eingriffe im Bereich des Reflexbogens senken den Tonus Aus dieser Erkenntnis wurden die Eingriffe im Bereich der penpheren Nerven, im Bereich der hinteren Wurzel und im Bereich der vorderen Wurzel durchgeführt Wir haben versucht im Ruckenmark selbst den Reflexbogen zu unterbrechen und haben die Vorder-Hinterhornverbmdung dazu gewählt Schon die Vielzahl der Operationen und vor allen Dingen der Vorschlag der doppelseitigen Beinamputation von Wilms und Lindberg weisen auf die Schwere des Problems der Spastik hin Auch die Myelektomie ist in ähnlicher Weise aufzufassen Letztlich ist die Caudadurchtrennung mit der Myelektomie auch vergleichbar Die Spastik und vor allen Dingen die Beugesynergismen die bei jedem afferenten Reiz auftreten behindern eine Rehabilitation Wir sind deshalb in diesen Fallen auf operative Maßnahmen, die den Tonus senken angewiesen Boldt und Huttner haben im Bereich des Plexus brachiahs partielle Kabeldurchschneidungen durchgeführt, um den Tonus der oberen Extremitat zu senken Im Bereich der Cauda wurden sowohl vordere Wurzeln als auch Caudadurchtrennungen durchgeführt Munro hat 1945 bei Spastik der Beine die vorderen Wurzeln durchschnitten und damit eine schlaffe Lahmung erzielt Die Caudadurchschneidung von Meirowsky, Scheitert und Hinchey haben 1950 bei Spastik der Beine und der Blase die vorderen und hinteren Wurzeln, also die ganze Cauda, durchtrennt Die frontale Spaltung die wir bei der Spastik angegeben haben haben wir bei gleichzeitiger Tonussteigerung der Blase bis S 5 verlängert Die Entfernung des Ruckenmarks beim gleichen Krankheitsbild hat McKarty durchgeführt Die von uns angegebene frontale Spaltung des Markes im Bereich der lumbalen Indumenszenz unterbricht den Reflexbogen im Rückenmark selbst und zwar vor allen Dingen die Vorder-Hinterhornverbmdung wobei die vordere und hintere Wurzel bestehen bleibt Eventuell noch vorhandene sensible Funktionen werden dabei geschont Eine Patientin die mit maximal gebeugten Knie- und Hüftgelenken bei jedem afferenten Reiz einen Synergismus bekommt, kann keiner psysikahschen Therapie zugeführt werden Nach der frontalen Spaltung des Markes können die Beine passiv gestreckt werden Es ist auch eine Gehfahigkeit durch Versorgung mit Schienenapparaten möglich Bei Wirbelsaulenverletzungen kommt es in vielen Fallen nicht nur zu substantiellen Schädigungen des Ruckenmarks, sondern auch zu Durchblutungsstörungen infolge gleichzeitiger Gefaßverletzungen Unsere Untersuchungen in bezug auf vaskulare Mitbeteiligung bei Huckenmarksverletzungen haben ergeben, daß in einem hohen Prozentsatz nicht nur die substantielle Schädigung des Markes sondern auch die Gefaßverletzung eine Rolle spielt Bei Verletzungen der unteren HWS mit Markbeteihgung kommt es in vielen Fallen zu einem Quer-

schnittsyndrom in Hohe Th 4 oder entsprechend der unteren großen Zuflußarterie in Hohe L 1 Dies erschien uns beweisend für die Annahme der vaskularen Beteiligung Die geschilderten Erweichungsherde im Ruckenmark durch Gefaßverletzungen sind pathologisch-anatomisch in stiftformigen Hohlenbildungen zu sehen Diese Cysten können aber in der Folge einer Rehabilitation durch Druck auf die langen Bahnen raumfordernd wirken und damit ein progredientes klinisches Syndrom hervorrufen so daß z B ein Querschnittverletzter der in der Rehabilitation als Oberkorpera^hiet trainiert ist zunehmend Lahmungen und Sensibilitatsstorungen an den oberen Extremitäten bekommt In diesen Fallen ist eine Eröffnung dieser Cyste möglichst am unteren Pol notwendig Es wird eine Fensterung des Hinterstranges durchgeführt Blasenfunktionsstörungen Ein großes Problem der Rehabilitation Querschnittsverletzter ist die Blasenfunktionsstorung In der Übersicht zeigt sich daß die Reflextatigkeit der Blase nach Ruckenmarksverletzungen in unterschiedlicher Häufigkeit je nach Hohe der Verletzung eintritt Die Übersicht zeigt daß bei Cervikalmarkverletzungen die Reflextatigkeit der Blase in 14 Prozent, bei Thorakalmarkverletzungen in 34 Prozent, bei Lumbalmarkverletzungen in 16 Prozent auftritt Bei Schädigungen des Sacralmarkes kommt es erfahrungsgemäß zu langandauernden Blasenatonien und Retentionen Die Ausbildung einer Reflextatigkeit der Blase das ist das Ausstoßen des Harns bei einer gewissen Füllung, ist deshalb von entscheidender Wichtigkeit, weil dadurch das Kathetensieren und damit Infektionen vermieden werden können Früher vor dem letzten Weltkrieg sind an den Komplikationen des Urogenitaltraktes über 80 Prozent der Querschruttverletzten gestorben Heute ist die Prognose durch die Antibiotica deutlich besser geworden Die cystometrische Untersuchung der Blasenfunktion ist deshalb wichtig weil die Blasenkapazitat und die RestHarn-Werte bekannt werden Außerdem können wir cystometnsch auch die Kraftleistung des Musculus detrusor feststellen Bei einer normalen Cystometne kommt es bei einer Füllung der Blase von 300—400 ccm zunächst zum Harndrang dann zur Entleerung der Blase bei einer Kraftleistung von mindestens 70 mm'Hg Bei der atonen Blasenstorung nach Caudaverletzungen sehen wir bis zu einer Füllung von 600—1000 ccm keine Kontraktion des Blasenmuskels Bei erhaltener Bauchdeckenmotonk kann die Blase bis zu geringen Rest-Harn-Werten ausgedruckt werden Die Eigentatigkeit der Blase nach Denervierung tritt, wie Muller bereits vor Jahrzehnten festgestellt hat Wochen nach der Verletzung zweifellos ein doch kommt es oft zwischenzeitlich zur Blasenulberdehnung und zu Biasenmfektionen so daß das Erfolgsorgan die Blase selbst zusätzlich erkrankt ist und die Etgentatigkeit deshalb nicht eintritt Die Wandveranderungen der Blase nach Uberdehnung und Infektionen sind in den meisten Fallen so enorm, daß eine Schrumpfblase oder eine bleibend atone Blase als Folge zurückbleibt Bei der Reflexblase unterscheiden wir eine tonusschwache und eine hypertone Reflexblase Die schlechte Reflexblase zeichnet sich durch immer wiederkehrende Kontraktionen des Blasenmuskels aus Die Kontraktionen sind aber zur Blasenentleerung zu gering Auch bei größeren Fullungszustanden werden diese Kontraktionen nicht kraftiger so daß es zu einer klinischen Retention kommt Die hypertone Reflexblase untersteht der Reflexsteigerung des somatischen Nervensystems Bei einem geringen Fullungszustand kommt es bereits zu überschießenden Kontraktionen des Btasenmuskels so daß der Harn bei gePhys Med u Reh

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ringer Füllung der Blase bereits ausgestoßen wird. In unserem Beispiel hier kam es bei einer Füllung von 100 ccm bereits zu einer BlasenkouUaktion von 70 mm/Hg und damit zur Blasenentleerung. Bei der hypertonen Reflexblase wird die Blase also bei geringen Füüungszuständen bereits entleert. Auch afferente Reize besonders im Segment fuhren auch bei geringem Fullungszustand zur Kontraktion. In diesen Fallen droht die Blase zu schrumpfen. Wird durch die Blasentatigkeit die Kapazität nicht gesteigert, muß eine tonussenkende operative Maßnahme ergriffen werden. Die Operationen bei Blasenhypertonie haben wir vorhin bei den Durchschneidungen der Cauda und des peripheren Reflexbogens schon erwähnt Bei der Myelotomie haben wir die frontale Spaltung des Lumbaimarkes auch einseitig im Bereiche des Sacralmarkes fortgesetzt und damit den Tonus gesenkt bzw die Kapazität der Blase vergrößert Starke Schmerzzustände Ein großes Problem der Rehabilitation ist der Schmerz Schmerzzustande, deren Ursache nicht entfernt werden kann, bedürfen einer besonderen Behandlung Die Leukotomie, in den letzten Jahrzehnten als Schmerzoperation empfohlen, ist jetzt bereits wieder verlassen. Es ist bekannt, daß nach der beidseitigen Leukotomie, das ist die Stirnhirndurchtrennung, erhebliche psychische Veränderungen der Persönlichkeit eintreten und die früher geklagten Schmerzen korperfern empfunden werden, also von der Persönlichkeit nicht mehr in gleicher Form verarbeitet Wochen spater bessert sich die psychische Veränderung, und frühere Schmerzzustande treten in gleicher Form wieder auf. Voraussetzung dieser Wiederkehr der Psyche ist lediglich ein gesundes übriges Gehirn Wie beim Olfaktonusmeningeom bereits erwähnt, können wir also auch bei beidseitiger Stirnhirnschadigung auf eine Wiederherstellung, bei erhaltenem übrigem Gehirn, rechnen. Wir unterscheiden chronische Schmerzzustände und Schmerzzustande bei malignen Prozessen Als Beispiel eines chronischen Schmerzzustandes erwähne ich den Phantomschmerz bzw. den Neuromschmerz nach Amputation. Schmerzzustande bei maiignen Prozessen seinen wir z B , wenn ein Uteruscarcmom den Plexus lumbalis umwachsen hat. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß die Dauererfolge bei den chronischen Schmerzzustanden sehr verschieden sind, wahrend die Erfolge der Schmerzoperationen bei malignen Prozessen gut zu bezeichnen sind Wir gehen von den Gedanken aus, daß wir den Störherd vom akzeptierenden Zentralorgan trennen müssen und fuhren eine Schmerzbahndurchschneidung oberhalb des Storherdes durch Nachuntersuchungen von Patienten, bei denen eine Chordotomie wegen chronischen Schmerzzustandes durchgeführt wurde, haben gezeigt, daß nur die wenigsten auf Dauer eine Schmerzlinderung angegeben haben Man ist heute nicht mehr berechtigt, bei einem chronischen Schmerzzustand eine operative Behandlung durchzufuhren. Konservative Maßnahmen haben hier den Vorrang Bei malignen Prozessen fuhren wir heute noch die Schmerzbahndurchschneidung durch. Forster hat 1910 die isolierte Schmerzbahndurchschneidung durchgeführt, und zwar handelt es sich um das Areal des Vorderseitenstranges. In diesem Bereich sind die segmentalen Bezüge entsprechend ihrer Hohe in Lamellenform angeordnet Die afferente Schmerzleitung geht über den peripheren Nerven, hintere Wurzel, Hinterhom ins Ruckenmark Dort kreuzt die Schmerzbahn die Seite und legt sich segmental geordnet an die Innenseite des Vorderseitenstranges an Will man nun die obersten Segmente, 262

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z B die Bezüge des Armes, bei einer Durchschneidung im Halsmark mit einbeziehen, muß man die letzte hinzugekommene Faser mit durchschneiden, d, h die Durchschneidung im Vorderseitenstrang muß möglichst tief durchgeführt werden, was im Halsmark nicht ungefährlich ist wegen der nahegelegenen Pyramidenbahn. Bei Schädigung der Pyramidenbahn kommt es zu homolateralen Lahmungen, weil diese Bahn erst im Hirnstamm kreuzt. Man fuhrt diese Schmerzbahndurchschneidung deshalb im Bereich des Hirnstammes durch Die Schmerzbahn kann aber auch im Bereich der Kreuzung durchtrennt werden, und zwar gelingt dies durch eine sagittale Spaltung des Ruckenmarkes Man muß allerdings über diese Segmente die Spaltung durchfuhren, die man abschalten will. Diese Operation hat Putnam erstmals 1934 durchgeführt Die Durchschneidung der Schmerzbahn in der Sagittalebene eignet sich dann, wenn beidseits Schmerzen, z B im Bereich der Arme, vorliegen Ebenfalls Forster hat die Hinterwurzeldurchschneidung anfänglich bei Arthetosen durchgeführt Über die hinteren Wurzeln kommen die Schmerzabflusse in das Ruckenmark; deshalb folgt dieser Operation eine Sensibilitätsstorung für alle Qualitäten Interessant ist aber, daß es nach der Hinterwurzeldurchschneidung häufig zu Schmerzrecidiven kommt Eine vollkommene Daefferenzierung einer Extremitat fuhrt verstandlicherweise auch zu einem Ausfall des Lagegefuhls Damit ist die Extremität unbrauchbar geworden. Die Hinterwurzeldurchschneidung wird heute vorwiegend noch im Bereich des Brustmarkes angewandt. In diesem Zusammenhang soll noch ein Wort über die 77/gemmusneuralgie gesprochen werden. Wir unterscheiden die symptomatische von der ideopathischen Trigeminusneuraigie. Die symptomatische Neuralgie sehen wir bei Acusticus- und Trigeminusneurinomen. Bei Acusticusneurinomen finden wir die gleichseitige Horstorung und Vestibulansstorung meist auch mit Sensibilitatsstorungen im Gesicht. Die Schmerzattacken entsprechen zwar meist denen der ideopathischen Neuralgie. Oft kommt es aber auch zu einem gleichzeitigen Dauerschmerz, besonders beim Trigeminusneurmom Bei der symptomatischen Trigeminusneuralgie wird die causale Therapie in Form der Tumorentfernung durchgeführt Bei der ideopathischen Neuralgie aber ist die Therapie heute noch recht verschiedenartig Für eine ideopathische Neuralgie bezeichnend ist der anfallsweise auftretende blitzartige Schmerz im Versorgungsgebiet eines Astes des Trigeminus Das ist entweder der Stirnast, Oberkiefer- oder Unterkieferast. Als auslosendes Moment gibt der Patient Waschen, Sprechen, Luftzug und andere afferente Reize an Man hat den Eindruck, daß ein geringer Zusatzreiz bereits zu einem Schmerzanfall führt Man versucht einerseits, eine zentrale Dampfung durchzufuhren, in Analogie zur Epilepsie in Form von Tegretol, in der Annahme, daß man damit die Reizschwelle erhöht, oder man versucht, die atferenten Impulse durch Abschaltungen penpherer oder zentraler Nerven zu verringern. Jeder Sensibilitatsausfall im Versorgungsgebiet des Trigeminus führt zur Anfallsfreiheit Da zentrale Durchschneidungen im 1. Trigeminusast wegen der Mitversorgung des Auges gefährlich sind, hat man beim 1 Trigeminus häufig Durchschneidungen dieses Nerven am Augenbrauenbogen durchgeführt Die Denervierung des Auges fuhrt häufig zur Keratitis neuroparalytica Im Bereich des 2. und 3. Trigeminusastes sind zentrale Durchschneidungen nicht gefährlich. Wir haben gesehen, daß auch partiell temporäre Abschaltungen einzelner Trigeminusaste zur Schmerzfreiheit fuhren Eine Durchschneidung der peripheren Trigeminusäste ist deshalb zu ver-

meiden, weil erfahrungsgemäß nach dieser Durchschneidung Recidive auftreten, die sich auch in Form eines Dauerschmerzes manifestieren. Wir haben also das Krankheitsbild nach einer peripheren Durchschneidung verschlechtert, wenn der Dauerschmerz hinzugekommen ist und die attackenweise auftretenden Anfälle auch noch auftreten. Nach peripheren Novocaininfiltrationen kommt es in vielen Fällen auch zum Recidiv, aber diese Injektionen kann man jederzeit wiederholen. Der Dauerschmerz tritt bei dieser Behandlung erfahrungsgemäß nicht auf. Ist eine Neuralgie therapieresistent, entscheiden wir uns mit Ausnahme beim 1. Trigeminusast für eine Unterbrechung im Bereich des Ganglion bzw. retroganglionär. Die häufigst geübte Operationsmethode ist heute die retroganglionäre Durchschneidung des Trigeminus nach Frazier, wobei zwei Drittel des Trigeminus hinter dem Ganglion von einer rechtstemporalen Freilegung aus durchschnitten werden. Erhalten bleibt der 1. und der motorische Ast. Nach dieser Operation kommt es zu einer Sensibilitätsstörung im Bereich des 2. und 3. Trigeminusastes der gleichen Seite und zum Sistieren der Anfälle. Die nachuntersuchten Recidive nach retroganglionärer Trigeminusdurchschneidung zeigten alte eine erhaltene Sensibilität, so daß angenommen werden mußte, daß in diesen Fällen die Durchschneidung unvollständig vorgenommen wurde. Eine andere schonende Methode der Trigeminusunterbrechung ist die Coagulation des Ganglions mittels Punktion nach Kirschner. Besonders bei alten Patienten mit Kontraindikation zur Operation wird diese Methode angewandt. Die Ergebnisse sind mit der retroganglronären Trigemnusdurchschneidung direkt vergleichbar. Die Durchschneidung des absteigenden Trigeminusastes im Hirnstamm nach Sjöquvist ist heute vielfach verlassen. Die Durchschneidung des Hirnstammes ist verhältnismäßig technisch schwierig, und es kommt oft nach der Operation zu einer homolateralen Ataxie, die eine gewisse Fingerfertigkeit ausschließt. Ais Beispiel einer peripheren Schädigung des ZNS führe ich noch den Bandscheibenvorfall an. Vorwiegend bei jugendlichen Leuten, im Durchschnitt im 30. Lebensjahr, beginnen die Schmerzen von Seiten der LWS bei Bandscheibenvorfällen. Durch den aufrechten Gang bedingt, kommt es im Bereich der Wirbelsäule, vorwiegend im unteren Abschnitt der HWS und LWS, zu vorzeitigen Verschleißerscheinungen.

Rolf v. Leitner

Wir unterscheiden drei Stadien beim Bandscheibenvorfall: Im ersten Stadium bestehen Rückenschmerzen, im zweiten Stadium ausstrahlende Schmerzen in eine untere Extremität, und im dritten Stadium treten Lähmungen auf. Kommt es nun akut zu einem Bandscheibenvorfall oder zu einer Zunahme der Protrusion, so kann eine oder mehrere Nervenwurzeln von diesem Bandscheibenvorfall komprimiert werden. Im Endstadium ist es möglich, daß eine Ischialgie plötzlich sistiert, aber gleichzeitg Lähmungen auftreten. Wir sprechen in diesen Fällen vom Wurzeltod, d. h. die Intensität der Kompression ist so groß, daß die Wurzel unterbrochen wird. Klinisch äußert sich dies im Sistieren der Schmerzen und im Auftreten von Lähmungen. Nach unseren Untersuchungen darf diese Kompression vier Stunden nicht überschreiten. Patienten, bei denen diese Kompression länger angedauert hat, bleiben gelähmt. Es ist in diesen Fällen notwendig, akut einzugreifen und die Operation auch nachts durchzuführen. Das Myelogramm zeigt in solchen Fällen eine Unterbrechung des Kontrastbandes in Höhe des Vorfalls. In einem Fall tritt dieser Bandscheibenvorfall plötzlich ein, im anderen kommt es langsam zunehmend zu Lähmungen. Die Prognose ist, wie eingangs bereits erwähnt, abhängig von der Dauer der Entstehung der Läsion, von der Dauer des Druckes und der Intensität des Druckes. Bei diesen Wurzelschädigungen kommt es zu Reflexlosigkeit, Atrophie und schlaffen Lähmungen der entsprechenden Muskulatur. Ich habe versucht, Ihnen eine kurze Übersicht über die wichtigen Rehabilitationsprobleme in der Neurochirurgie zu geben. Mir ist vollkommen bewußt, daß es sich dabei nur um eine Rehabilitätsvorbereitung, nicht um die endgültige Rehabilitation der Patienten handeln kann. Die Wiederherstellung und Eingliederung in den Arbeitsprozeß obliegt in den meisten Fällen der Heilgymnastik und Üburgsbehandlung. Unsere Arbeit im Sinne der Vorbereitung zur Rehabilitation kann aber nur von Nutzen sein, wenn die Nachbehandlung dieser Patienten in inniger Zusammenarbeit mit der physikalischen Therapie durchgeführt wird.

Anschrift des Verfassers: Prof. Prim. Dr. WALTER BISCHOF, A-9020 Klagenfurt, Allgemeines Krankenhaus.

W a s ist A k u p u n k t u r ?

Die altchinesische Diagnostik- und Therapie-Methode ist in letzter Zeit auch bei uns aktuell geworden und beschäftigt in vielen Ländern Wissenschaftler und Kliniker. Der nachstehende Vortrag wurde auf der Frühjahrstagung 1972 des ZÄN in Freudenstadt gehalten. Der Verfasser zeigt aus seinen jahrelangen Erfahrungen Möglichkeiten auf, die die Akupunktur auch uns Ärzten heute bietet. Anschließend folgt ein Bericht über eine in Akupunktur-Analgesie durchgeführte Tonsillektomie. Im letzten halben Jahr ist in der in- und ausländischen Presse sehr viel über die Akupunktur geschrieben worden. So ist es wohl an der Zeit, daß wir dieser Heilmethode — wie übrigens bereits vor vier Jahren an gleicher Stelle — einen Vortragsnachmittag widmen. Ich möchte in meinem Vortrag die über Akupunktur erschienenen Beiträge ergänzen und zunächst die Grundkonzeption dieser Methode aus altchinesischer Sicht erläutern. In der mir zur Verfügung stehenden Zeit werde ich dem Kenner vielleicht nichts Neues bieten, dem Anfänger möglicherweise zu schnell vorgehen. Ich bitte die davon Betroffenen um Verständnis. Wie u. a. auch Dr. Bachmann in seinem Buch „Die Akupunktur, eine Ordnungstherapie" feststellt, dürfte die Aku-

punktur vor ungefähr 4000 Jahren entstanden sein. Die Methode wurde im Laufe der Zeit imimer mehr verfeinert. Sie hat also erst nach und nach den Grad der heutigen Perfektion erreicht. Geschichtliches Den ersten schriftlichen Niederschlag über die Akupunktur finden wir im Jahre 200 v. Chr. im Buch „NeiTsing", jedoch dürfte es sich hierbei um die Zusammenfassung verschiedener Erfahrungen, Experimente und Lehren aus früherer Zeit handein. Für diese Annahme gibt es bestimmte konkrete Hinweise. Zu Beginn unserer Zeitrechnung wurde die Akupunktur auch in Japan, Korea und Indochina ausgeübt. Auf ein Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

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näheres Eingehen auf die umfangreiche Literatur aus den folgenden Jahrhunderten in den verschiedenen Landern kann ich im Rahmen dieser Abhandlung verzichten. Vor rund 300 Jahren kam die Akupunktur durch Missionare, Arzte und andere Reisende auch nach Europa und faßte nach anfänglichen Fehlschlagen vor ca. 100 Jahren m Frankreich festen Fuß. Dort ist die Akupunktur heute eine anerkannte Heilmethode und wird auch von der Sozialversicherung bezahlt Durch ministeriellen Erlaß ist diese Behandlung dort ausschließlich approbierten Ärzten vorbehalten. Im Gegensatz dazu ist die Akupunktur in Deutschland noch nicht anerkannt und wird infolgedessen auch nicht als Versicherungsleistung angesehen Trotz dieser Tatsache schlössen sich die deutschen Akupunkturarzte vor über 20 Jahren — am 19 11 1951 — zur „Deutschen Gesellschaft für Akupunktur" zusammen und wählten den leider allzu früh verstorbenen Dr. Bachmann zu ihrem ersten Präsidenten.

ndian gibt es neben anderen einen Tomfizierungs- (Kraftigungs-) und Sedierungs- (Beruhigungs-) Punkt, einen Quellpunkt von ambivalenter Wirkung, einen Alarm- und einen Passagepunkt Je nachdem, welchen Punkt ich also steche, erhalte ich eine andere Wirkung. Hier ist auch die Wahl des Metalls entscheidend. Eine Goldnadel aktiviert, eine Silbernadel beruhigt Auch die Einstichrichtung ist wichtig, ferner die Große der Nadel und die Tiefe des Einstichs. Nicht alle Punkte, die ein Organ beeinflussen können, liegen auf dem betreffenden Organmeridian So hat fast jedes Organ auf dem Blasenmendian, der beiderseits der Wirbelsaule liegt, einen sogenannten ILJ-Punkt, d h Zustimmungspunkt Diese Punkte stimmen nicht in allen Fällen mit den Maximalpunkten der Segmenttherapie überein. Darüber hinaus gibt es auch noch einige wirksame Akupunkturpunkte „extraordinäre Punkte" außerhalb der Organlmien. Doch darauf kann ich hier nicht naher eingehen.

Organbeziehungen Die klassische Akupunktur beruht auf dem Gesetz der Erhaltung der Energie Die einzelnen Energiestrome oder Potentiale müssen aber in einem bestimmten Verhältnis zu einander stehen Wo zuviel Krait ist herrscht Krankheit, und wo zuwenig Energie, d. h Schwäche, ist, kann auch keine Gesundheit sein Kraft (YANG) ist nach chinesischer Auffassung das männliche Prinzip. YIN ist der Ausdruck des Weiblichen Nur im YIN-YANG-Gleichgewicht liegt die Gesundheit Nach moderner Nomenklatur konnte man vom Sympatikus-Parasympatikus-Gleichgewicht reden. Jedes Organ hat bestimmte Organlinien (Meridiane), die als Verbindungslinien zwischen den zu den Organen gehörenden Funktionspunkten anzusehen sind. Die „YANGOrgane" sind die Arbeitsorgane und dienen der grobstofflichen Zerkleinerung der Nahrung und der Resorption bzw der aktiven Ausscheidung

Zeit-Beziehungen Wir sprachen anfangs vom Gesetz der Erhaltung der Energie Der Energiestrom durchfließt in ganz bestimmten Zeiteinheiten bestimmte Organmeridiane und kann zu seiner , Optimalzeit" besonders gut sediert (d. h. beruhigt) werden. Die beste Stärkung eines Organs erreicht man kurz nach der Maximaizeit. Der Chinese hat folgendes Schema aufgestellt Die einzelnen Zeiten und die Richtungen des Energiestromes sind aus der sogenannten Organuhr zu ersehen.

Zu den YANG-Organen gehören Magen, Dünndarm, Dickdarm, die Gallenblase, Blase, einschl der ableitenden Harnwege. Diese Organe unterliegen als Hohlorgane mit starker nervlicher Versorgung erheblichen Spannungsunterschieden und können dadurch von Krämpfen und Koliken befallen werden. YANG-Organe haben auch YIN-Bestandteile - wie auch umgekehrt Die YIN-Organe sind Speicherorgane. Sie haben also die zerkleinerte Nahrung zu speichern. Infolge ihres geringen YANG-Anteils sind die YIN-Organe gar nicht oder geringfügiger schmerzhaft. Hier gibt es allerdings zwei Ausnahmen Herz und Leber. Beide besitzen als YINOrgane Vio YANG- und nur 3/io YIN-Anteile Infolgedessen sind sie in verstärktem Maße geistigen und psychischen Einflüssen ausgesetzt Durch den starken YANG-Anteil mit der intensiveren nervlichen Versorgung neigen sie zu Krampfzustanden und Koliken. Ich erinnere hier nur an das Asthma. Aber auch hier — oder gerade hier — kann die Akupunkturnadel einen ausgezeichneten Funktionsausgleich erzielen Es spricht für das Funktionsempfinden der Chinesen, daß sie als sechstes YANG-Organ den sogenannten DreifachErwarmer kennen, der den Brustraum mit dem Bauchraum und der Genitalsphare verbindet. Der entsprechende YIN-Meridtan heißt „Meister des Herzens" oder „Kreislauf-Sexualität". Er entspricht der Blutmenge und regelt den Blutchemismus und die hormoneile Steuerung zwischen den einzelnen Organen Die Akupunktur-Nadeln Wie ich schon erwähnte, verbindet ein Meridian die verschiedenen Funktionspunkte eines Organs Auf jedem Me264

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YANG» £ > Wir haben folgende Maximalzeiten: Herz Dünndarm Blase Niere „Meister des Herzens" . . . „Dreifach-Erwärmer" . . Gallenblase Leber . . . . .

11-13 13-15 15-17 17-19 19—21 21—23 23- 1 1- 3

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Lunge

3—5 Uhr

Dickdarm Magen Milz-Pankreas

5 - 7 Uhr 7 — 9 Uhr 9—11 Uhr

.

. . .

Dadurch ist eine gute Onentierungsmoglichkeit gegeben Im übrigen folgen auf zwei YIN-Organe immer zwei YANGOrgane Auf die entsprechende Nutzanwendung mochte ich noch spater kurz eingehen Neben dem großen geschlossenen Energiekreislauf, der die 12 Meridiane durchfließt, kennen wir noch einen gesonderten Energieumlauf der in zwei sogenannten Gefäßen verlauft Der JENN'-MO — oder das Gefäß der Empfängnis steigt auf der vertikalen Seite in der Mittellinie von unten nach oben und ist dem YIN zugeordnet Sein Gegenspieler ist der TOU-MO, der Gouverneur oder das Lenkergefaß Dieses Gefäß liegt bezeichnenderweise auf der Wirbelsaule also über dem Ruckenmark und verlauft ebenfalls von unten nach oben und ist dem YANG zugeordnet Die Puls-Diagnose Die Starke eines Organs oder auch das Ausmaß seiner Funktionsstörung kann ich mit Hilfe der Pulsdiagnose ermitteln, auf die ich hier auch nur kurz eingehen kann Der Chinese unterscheidet 14 verschiedene Pulse, die an drei topographisch genau festgelegten Stellen der rechten und Unken Arteria radialis zu tasten sind

diagnose wird aus dem Vergleich der einzelnen Pulsqualitaten gestellt In vielen Fallen wird es möglich sein, schon auf Grund der Lokalisation der Beschwerden — seien es nun Spontanschmerz, Druckschmerz Lahmungserscheinungen oder Verkrampfungen — aus seiner Lage auf einen Akupunkturpunkt oder einem Meridian oder in seiner unmittelbaren Nahe diagnostische Sch\usse zu ziehen Auch die Bauchdiagnostik mit der Beurteilung der Fülle und Leere der Spannung und Erschlaffung des Bauches und viele andere Korpersymptome können zur Beurteilung des Krankheitsbildes herangezogen werden Der gewissenhafte Arzt wird im Rahmen der gegebenen Notwendigkeiten und Möglichkeiten den Befund durch zusätzliche Untersuchungsmethoden — wie z B durch Labor oder Röntgen weiter abklaren und dann entsprechend therapieren Sehr oft wird ein Spannungsausgleich im Organismus mit Hilfe der Akupunktur durch Änderung im YIN-YANG-Verhaltms mit Hilfe der Gold- und Silbernadeln möglich sein Vielfach ist eine akute Gallenkolik durch Stechen eines einzigen Akupunkturpunktes zu beseitigen Oft bringt aber auch erst die Akupunktur verschiedener Punktkombinationen den Erfolg Durch den Energieausgleich mit Hilfe der Nadeln kann der geübte Akupunkteur unter Umstanden eine drohende Blinddarmentzündung verhindern Auch seine Therapieerfolge bei Asthma, Migräne Herz- und Magensensationen, bei vielen physischen und psychischen Symptomen sind bekannt und jederzeit reproduzierbar — sofern keine größeren Substanzverluste vorliegen Ich denke hier an größere Gewebsdefekte oder an das Vorhandensein bösartiger Geschwülste

Akupunktur in der Anästhesie In vielen Fallen wird die Akupunktur auch nur als wertvolles Zusatztherapeuticum einzusetzen sein So wurde z B in letzter Zeit in in- und ausländischen Fernsehprogrammen viel auf die Möglichkeit der Anästhesie durch Akupunktur hingewiesen In all diesen Therapiebereichei wird die Akupunktur keineswegs den alleinigen Totalitatsanspruch erheben — aber man sollte in vielen Fallen doch auch an die Akupunktur als eine mögliche Therapie denken Die Lage 1 ertastet man distal von der Radiusapophyse, die Lage 2 auf der Apophyse, die Lage 3 dicht proximal von der Apophyse Am li Puls entspricht die Lage 1 oberflächlich dem Dünndarm in der Tiefe dem Herzen, in Lage 2

oberflächlich der Gallenblase m der Tiefe der Leber in Lage 3 oberflächlich der Blase, in der Tiefe der Niere

Am re Puls entspricht die Lage 1 oberflächlich dem Dickdarm, in der Tiefe der Lunge,

die Lage 2 oberflächlich dem Magen, in der Mitte Pankreas in der Tiefe Milz in Lage 3 oberflächlich dem ,Dreifach-Erwarmer , in der Mitte dem Kreislauf und in der Tiefe der Sexualität Am letztgenannten Punkt können geübte Akupunkteure mit etwa 9 0 % Treffsicherheit feststellen ob eine Gravidität vorliegt und ob ein Junge oder ein Madchen geboren wird Auf die nähere Differenzierung der Pulse und der einzelnen Pulsqualltaten und ihre Zuordnung zum YIN oder YANG kann ich in diesem Rahmen nicht eingehen Selbstverstandlich gibt es hier ganz genaue Angaben und Regein Jede einzelne Pulsaussage gibt uns die Möglichkeit einer entsprechenden therapeutischen Anwendung Die Puls-

E\n Leiden kann in der Akupunktur nicht nur durch Anstechen eines Akupunkturpunktes auf einem bestimmten — zum Organ gehörenden — Meridian behandelt werden Ich kann unter anderem z B auch die „Wlutter-Sohn-Regel anwenden Da die Richtung des Energiestromes ja bekannt ist — ich verweise auf die Organuhr — kann ich ein Organ auch dadurch starken, daß ich das im Energiekreislauf vorhergehende Organ ebenfalls starke Auf diese Weise wurde dem im Energiekreislauf nachfolgenden Organ mehr Kraft zugeführt werden Eine stärkere Beruhigung erreiche ich dadurch, daß ich neben dem zum erkrankten Organ gehörenden Meridian auch den nachfolgenden Meridian sediere, z B neben dem Blasenmeridian auch den Nierenmendian Es gibt auch noch andere Beeinflussungsmoglichkeiten die ich hier nicht auffuhren kann Es sei nur darauf hingewiesen, daß es zwischen den einzelnen Meridianen auch Querverbindungen gibt Einzelne Akupunkturpunkte wirken auf diese Weise als Umschaitstationen zu den verschiedenen Organen Die Verbindungswege zwischen diesen .Schaltstationen" werden als Wundermendiane bezeichnet d e Schaltstationen als Kardinalpunkte Als eine besondere Form der Akupunktur ist übrigens die Ohr-Akupunktur anzusehen Von topographisch genau festgelegten Punkten auf der Oberflache der Ohrmuschel kann ich die gleichen therapeutischen Effekte erzielen, die eingangs schon geschildert wurden Phys Med u Reh Heft 9 1972 2 6 5

Es ist mir klar, daß ich mit diesen Ausführungen nur einen ganz kleinen Ausflug in das Gebiet der Akupunktur machen konnte. Ich wollte nur zeigen, daß die Akupunktur eine Methode ist, wo nach ganz klaren Vorstellungen über ganz bestimmte Punkte und Leitbahnen Organfunktionen beeinflußt und dadurch Leiden gebessert und geheilt werden können. Diese Punkte und Leitbahnen decken sich nicht mit den anderen Begriffen unserer westlichen Medizin. Dadurch erfordert dieses Verfahren ein zweigleisiges medizinisches Denken. Vielleicht liegt es daran, daß diese Methode in unserer gehetzten Welt bei der zunehmenden SuperSpezialisierung — die selbstverständlich für bestimmte Krankheitsgruppen auch sein muß — nur von wenigen Ärzten ausgeübt wird. Dabei erstrebt die Akupunktur im Sinne der modernen Ganzheitsmedizin einen Ausgleich zwischen allen Lebensfunktionen im menschlichen Organismus. Gesellschaften für Akupunktur Auf diesem Gebiet gibt es einen intensiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch mit allen AkupunkturgeseUschaften der Welt. Der letzte Weltkongreß für Akupunktur fand 1969 in Paris statt. Als nächster Tagungsort wurde Seoul in Südkorea bestimmt (vom 6. bis 10. 5. 1973). Die voraussichtlich ziemlich starke deutsche Gruppe wird zusammen mit der französischen Gruppe bei den Zwischenlandungen u. a. in Bangkok, Singapur, Tokio und Hongkong ausgedehnten Meinungsaustausch mit den dortigen Akupunkturgesellschaften über spezielle Arbeitseinrichtungen pflegen. Seit vielen Jahren bemühen sich Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften in vielen Ländern der Erde um die experimentelle Untermauerung der Akupunkturlehre. Bis dato ist folgendes einwandfrei erwiesen: Bei der histologischen Untersuchung zeigt es sich, daß ein Schnitt durch einen Akupunkturpunkt eine ganz andere Struktur aufweist als das umliegende Gewebe (Professor Pischinger und Kellner von der Wiener Schule). Aus vieien Ländern der Erde wird von Universitäten und wissenschaftlichen Gesellschaften bestätigt, daß bei physikalischen Messungen an Akupunkturpunkten ganz andere Widerstandswerte gefunden werden als in der Umgebung.

Bioelektrische Phänomens Mit diesen bioelektrischen Phänomenen befaßt sich die Grundlagenforschung schon längere Zeit. In vielen europäischen und außereuropäischen Ländern wurden Apparate zur Verifizierung der Akupunkturpunkte gebaut. Literaturangaben liegen aus Frankreich, Deutschland und anderen Ländern vor. In Deutschland wurde u. a. vor allem von Dr. VolS über die Elektro-Akupunktur und von Dr. Croon über die Elektro-Neuraldiagnostik berichtet. Auch die Russen und Rumänen haben auf diesem Gebiet größere Erfahrungen. Im Kongreßbericht vom Therapiekongreß in Moskau vom 8. bis 11. 6. 1960 erschien eine russische Arbeit von S.-D. Nowinsky „Über neue Instrumente und Methoden zur Bestimmung chinesischer Punkte". Im gleichen Jahr erschien in der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur eine Arbeit von dem japanischer; Kollegen Dr. Manaka über „Elektrischer Hauttest und die Theorie der Akupunktur". Die Titel der chinesischen und sonstigen asiatischen Arbeiten auf diesem Gebiet sind mir leider nicht genau bekannt. In ihrem Buch über „Chinesische Medizin" schreiben aber Pierre Huard und Ming Wong, beide Mitglieder der Academie Internationale d'Histoire de ia Medicine: „Lange Zeit wurde die Wirkung der Akupunktur auf das normale Individuum verkannt. Man weiß heute, daß sie auf das Hämogramm wirkt, auf die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, auf den Gehalt an Hämoglobin und Fi-

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brinogen, auf die Agglutinine und Hämolysine im Serum, auf die Gerinnungszeit, auf den Blutzuckerspiegel, den Kalziumspiegel, die Elektrophorese, das reticulo-endotheliale System, die endokrinen Drüsen, das neurovegetative und das Zentralnervensystem. Die letztere Wirkung ließ sich mit Hilfe der Encephalographie systematisch nachprüfen."

Akupunktur und Stoiiwechse\ Über die Wirkung der Akupunktur auf das Stoffwechselgeschehen möchte ich aus dem europäischen Schrifttum folgende Arbeiten erwähnen: 1956 veröffentlichte unser Kollege Dr. Prinzing in der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur seinen Beitrag „Stoffwechseldiagnostik mit Hilfe einer Farbreaktion des Urins und ihrer Veränderungen durch Akupunktur". 1958 gab Kasil eine Darstellung über „Einige humorale und endokrine Abweichungen bei der Nadelung", wie wir aus dem Bericht vom allrussischen Kongreß in Gorki entnehmen. Im gleichen Jahr erschien im Kongreßbericht aus Moskau eine Arbeit von Frau Professor Tykoschinskaja und Schapiro „Die Wirkung der Nadelung auf die Dynamik des weißen Blutbildes". Zwei bemerkenswerte Beiträge lieferten die Rumänen in der DZA und zwar 1959 „Die Wirkung auf die Gallenabsonderung und der komperative Effekt von Silber- und Goldnadeln auf die Cholorese" und „Experimentelle Studien auf dem Gebiete der Akupunkturwirkung auf die Nebennieren". Beide Arbeiten stammen aus der Feder von Prodescu Stoicescu und Bratu. Die genannte rumänische Forschergruppe wurde übrigens 1959 zur „Sektion für Akupunktur" in der staatlich gelenkten „Wissenschaftlichen medizinischen Gesellschaft" zusammengefaßt. 1952 machte die Weltgesundheitsorganisation auf die Akupunktur — das absonderliche Heilverfahren mit Nadeln — aufmerksam. Diese Aufzählung der wissenschaftlichen Arbeiten ließe sich mühelos weiterführen. Ich wollte nur zeigen, daß in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alles getan wird, um die wissenschaftlichen Grundlagen der Akupunkturlehre zu vervollständigen. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß das russische Gesundheitsministerium kürzlich die Forderung aufgestellt hat, daß die Akupunktur in der UdSSR weiter verbreitet werden muß. Der russische Gesundheitsminister nannte dafür drei Hauptgründe: 1. ist die Akupunktur — finanziell gesehen — eine der billigsten Behandlungsmethoden überhaupt. Sie wirkt auch krankheitsvorbeugend und medikamenteneinsparend. 2. kann durch Akupunktur kein gesundheitlicher Schaden, jedenfalls kein Dauerschaden, angerichtet werden. 3. verhütet die Akupunktur Schäden, die durch das langfristige Einnehmen von Tabletten und anderen Medikamenten entstehen. Diese Feststellungen und auch die Tatsache, daß sich in der westlichen Welt — so auch seitens des amerikanischen Gesundheitsministeriums - immer mehr Ärzte für die Akupunktur interessieren, möge dazu beitragen, daß diese Heilmethode auch bei unseren deutschen Kolleginnen und Kollegen mehr Freunde und echte Anhänger gewinnt.

Anschrift des Verfassers: Dr. med. Rolf v. LEITNER, 1 Berlin-Charlottenburg, Sybelstraße 37.

o. Buchinger

Heilfasten zur Steigerung der Abwehrkräfte

Über die Bedeutung des Heilfastens für die Steigerung der Abwehrkrafte berichtet der Verfasser aus seiner jahrelangen Sanatoriumserfahrung und bringt hierzu klinische und experimentelle Untersuchungsergebnisse Dabei wird auch das Problem einer besseren Krebs-Resistenz behandelt. Noch in der Mitte des Jahres 1937 befand ich mich in dem Glauben, daß die Beobachtung des sog. opsonischen Index, des unspezifisch humoraien Abwehrfaktors im Blute, einen Anhaltspunkt böte, um die A b w e h r k r a f t e des Organismus beurteilen zu können. Doch aus zweierlei Gründen mußte ich die Arbeit abbrechen: Den Untersuchungen stellten sich unüberwindliche technische Schwierigkeiten entgegen. Hinzu kam die Gewissensfrage. Was stellten wir uns wirklich unter den Abwehrkraften vor? Man könnte geneigt sein, mit Faust zu fragen: „Wo faß ich dich, unendliche Natur", ohne daß uns gar so eilig das feurige Zeichen, in unserem Falle das des Mikrokosmos, als Antwort zuteil würde. Der Begriff der körpereigenen ABWEHRKRÄFTE rückte zum erstenmal ein in die Bereiche wissenschaftlich-exakter Begreifbarkeit mit der modernen Haematologie Otto Naegelis und Ludwig Aschoffs. Schon um die Jahrhundertwende stand dabei die Untersuchung des weißen Blutbildes im Vordergrund des Interesses Wenn man die Medizinfr/sfo/ve im Zusammenhang mit dem Begriffe der körpereigenen Krankheits-ABWEHR vor dem geistigen Auge Revue passieren läßt, so ist man einerseits voller Bewunderung über die Erforschung dessen, was wir als KRANKHEITS-RESISTENZ, als quasi mitgebrachte Nichtanfalligkeit des Menschen und was wir im übrigen als Immunität, als im Verlaufe des Lebens erworbene Widerstandskraft, auffassen können. Vielleicht sind wir doch etwas spottisch veranlagt und glauben, nach der wechselnden Art des Umgangs der medizinischen Wissenschaft mit dem Begriffe der Abwehrkräfte an ein Phänomen des von dem nachkantischen Philosophen Vaihinger geschilderten FIKTIONALEN DENKENS. Zwar ist es richtig, die ABWEHRvorgänge deutlich als einen HILFSbegriff zu kennzeichnen, doch haben wir zugleich jeden Anlaß, diese Abwehrkrafte als etwas absolut Konkretes aufzufassen, das freilich schwer, wie z. B. in der Immunologie, eindeutig zu fassen ist. Selbst das modern eingerichtete Laboratorium sieht sich, wie noch vor rund zehn Jahren Hermann Schultze, der wissenschaftliche Leiter der Behnng-Werke, sagte, AUSSERSTANDE, zu verhehlen, daß man z Z noch im Bereiche der Immunologie den Nachteil des Unvollständigen und Hypothetischen in Kauf nehmen müsse. Die heutzutage durch die Illustrierten und das Fernsehen gebildete Laienwelt empfindet die Doppeldeutigkeit des Begriffs der ABWEHRKRÄFTE unseres Organismus durchaus Denn diese Abwehr ist einerseits etwas Wünschenswertes, um Krankheits- und Vergiftungsgefahren gewachsen zu sein, andererseits aber liest der Laie dramatische Berichte über die notwendige Unterdrückung der körpereigenen Abwehrmechanismata mit Hilfe von Immunsuppressiva bei Organtransplantationen.

Was bedroht unsere Gesundheit? Die Bedrohung der Gesundheit kann sowohl exogener Herkunft sein, kann durch Bakterien und hineingelagerte Gifte, als auch endogenen Ursprungs sein, wozu wir degenerative Einflüsse rechnen wollen, während exogene wie auch endogene Momente zu chronischen Krankheiten fuhren können. Was alles aber setzt die Weisheit der Gottnatur ein {um diesen Goetheschen Begriff zu verwenden), um gewissermaßen von fünf Marschrichtungen her dem Ziele der Genesung entgegenzustreben? Das ist der fünffache Weg: Weil

unser Organismus hierarchisch aufgebaut ist, wird es wohl in erster Linie der Hypophysenvorderlappen-NebennierenWlechamsmus sein, gekoppelt mit den Bindegewebs- und Steroidhormonfunktionen. Von diesen Momenten hängen die Entzündungsvorgänge in beiderlei Richtung ab. Nummer zwei betrifft die Aktivierung des Reticulodendothelialsystems, der weißen Haematopoese und der Gammaglobulin-Antikörperbildung Unter Nummer drei verstehe ich die heutzutage erst richtig gewürdigte Funktion des Bindegewebes, dessen große Bedeutung bereits im Jahre 1912 von Felix Buttersack umfassend beschrieben und mit der Bezeichnung „omnipotentes Mesenchym" charakterisiert wurde. Für Buttersack (von dem man heute in dem Hochgefühl der 1957 offiziell geschehenen akademischen Entdeckung des Bindegewebes leider gar nicht spricht) war das Mesenchym, wie er sagte, das GRUNDgewebe schlechthin, und durch die ebenfalls 1912 erfolgte Schadesche Darstellung der Physikochemischen Medizin funktioneil durchschaubar. Zabel und Buchinger wiesen nachdrucklich auf die überragende Bedeutung des auch im Zusammenhang mit den Abwehrfunktionen wichtigen Mesenchyms hin Nummer vier hingegen betrifft die — wie die bereits vorher genannten drei Faktoren, auch humoralpathologisch zu verstehenden — Leber- und Nierenfunktionen im ganzen Abwehrmechanismus, wahrend Nummer fünf im Zusammenhang steht mit dem gesamten Hirn- und Nervensystem Von hier ausgehend finden wir zwei Einflüsse maßgebend wirksam Das geistige Moment des Menschen, das sich des Hirns wie eines Pianos (manchmal freilich sehr forte) bedient, um gedankliche und emotionelle Impulse in die vielfältige Sprache des Korpers zu übersetzen Andererseits besteht auch eine enge Verbindung des Zentralnervensystems mit dem Bindegewebe über das fortschreitende mesenchymale Schachtelsystem des Endoneuriums Der Kreis schließt sich, denn der Organismus ist vom mesenchymal-neuralen Großgeflechtsystem durchwoben, in dem das omnipotente Bindegewebe mindestens (da wir ja von dem Abwehrmechanismus sprechen) als Depot- und Puffersystem wirkt und als vielfaltiges Durchgangsorgan zugleich, wenn wir uns im übrigen damit begnügen wollen, auf die mesenchymale Regelung des Wasserhaushalts und des lonengleichgewichts hinzuweisen Wir hatten vor, sowohl das Hauptprinzip der zellularen Abwehr nach den Lymphozyten, wie auch, konnte man es nur möglich machen, nach der Phagozytose zu beobachten und nach dem Verhalten der Immunglobuline Doch ausgerechnet zu jener Zeit stieß solche Absicht auf personelle Schwierigkeiten. Selbst ein nahegelegenes, großes wissenschaftliches Labor konnte mir nicht behilflich sein. Denn aktive Antikörper finden sich zwar in der Gammaglobulinfraktion, doch wissen wir von dieser, daß sie außerordentlich heterogen ist. Das kann man mit Hilfe der Chromatographie, der Elektrophorese und der Ultrazentnfugierung feststellen Und das hülfe uns erst dann weiter, wenn man die Gammaglobuline scharf genug von den Betaglobuhnen in der Elektrophorese trennen könnte So wird daher mein Referat in puncto exakter wissenschaftlicher Aussagen kaum befriedigen Denn ich kann Phys. Med u Reh

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Ihnen allein nur Konkretes von den fastenärztlichen Erfahrungen berichten! Nur? Leben wir nicht ohnehin in einer Zeit moderner Auffassungen, in der man geneigt ist, die Empirie mit skeptischem Sinn mehr in die zweite Reihe zu schieben und dafür der statistisch-dokumentarischen Auswertung mit einer gewissen Hybris allzu gern den Vorrang zu lassen? Das Ergebnis solcher Haltung ist einerseits die bewundernswerte Höhe naturwissenschaftlich-exakter Forschung, doch andererseits auch die wachsende Unsicherheit des praktizierenden Arztes, und wäre diese Unsicherheit noch so gut verborgen. Das Heilfasten Allgemeines über den therapeutischen und präventiv-medizinischen Segen des Heilfastens im Zusammenhang mit der Steigerung der Abwehrkräfte finden wir in dem Buche des hallenser Ordinarius für innere Medizin Friedrich Hoffmann aus dem Jahre 1719, und nicht minder deutlich beschrieben von Richard Kapierer, Gustav Riedlin, kurz vor und nach dem ersten Weltkrieg, und in geradezu klassischer Form von Otto Buchinger sen. im Jahre 1935, ferner finden wir solche Darstellungen in souveräner wissenschaftlicher Weise veröffentlicht von Werner Zabel, 1949, und in umfassender, verdienstvoller Akribie 1951 von Eugen Heun, der überhaupt eine reiche Publizistik für das heilende Fasten entfaltete. 1949 glaubte ich, die Abwehrkräfte würden gesteuert vom Hypophysen-Diencephalonbereiche, und eben dort griffe die vis regenerativa des heilenden Fastens ein in der Weise eines positiven Streß-Einflusses. Darüber korrespondierte ich damals mit dem kanadischen Endrokrinologen Hans Selye, der im vergangenen Januar 65 Jahre alt wurde. Selye stimmte meiner Vermutung zu, über die ich 1950 nur en passant veröffentlichte. Überhaupt wurde kaum in einer der bisher erwähnten Veröffentlichungen expressiv verbis über das Fasten und die Abwehrkräfte des menschlichen Organismus mehr als nur andeutungsweise geschrieben. Man begnügte sich eben mit dem großen und überzeugenden Erfahrungs-Schatz. Bedarf dieser überhaupt noch, vom Standpunkte des Fastentherapeuten und des Fastenden, einer wissenschaftlich-exakten Untermauerung? Gerade diese Empfindung mag der psychologische Grund dafür sein, daß wenig an wissenschaftlicher Literatur vorhanden ist. E. G. Schenck ist der Autor des Buches, das 1938 beträchtliches Aufsehen erregte wegen der erfolgreichen Bemühung, mit Hilfe des Labors der Heidelberger Universitätsklinik dem Heilfasten laborwissenschaftliche Fundamente zu liefern. Schenck, unterstützt durch seine zehnköpfige Assistentengruppe, stellte hinsichtlich der körpereigenen Abwehr im Fasten fest, daß die aus irgendwelchen Gründen zuvor vermehrt gewesenen Lymphozyten sich renormalisierten, und die segmentkernigen Leukozyten sich vermehrten. Er wies weiter nach, daß die Bakterizidie des Blutserums gegenüber haemolysierenden Streptokokken sich schon mit Fastenbeginn stark erhöhte, doch gegenüber symbiontischen Colibakterien sich anfangs verminderte. Von einer erheblichen und sehr gesteigerten Bakterizidie gegen Colibakterien kann erst von dem Beginn der dritten Fastenwoche an die Rede sein, wenn die umstimmende Säurekrisis einsetzt, die sog. Azidosis. Soweit Schencks Ergebnisse. Auswirkungen des Fastens Andere Autoren bestätigten Schencks Erfahrungen mit der gesteigerten Bakterizidie im Blutserum im Fasten: So E. Lenz gegenüber Staphylococcus aureus, Druschky gegen268

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über dem Milzbranderreger. Von Fahrner stammt die ausgezeichnete und ausführliche Zusammenfassung über die prophylaktische und kurative Wirkungsweise des HeilFastens, veröffentlicht in „Hippokrates" 17 66. Unter Punkt 7 streift Fahrner neben der (seit einer langen Zeit schon von vielen Chirurgen bestätigten) guten Wundheilung und Blutgerinnung im Fasten auch die guten Bakterizidie-Erfahrungen. Der Autor weist lediglich auf gelegentliche Beobachtungen milder Manifestationen bestimmter Prozesse im Lippen- und Mundhöhlenbereiche hin, die im Fasten auftreten können und auf herpetiforme oder aphtöse Viruskörperchen zurückzuführen seien. Das ist gewiß richtig. Aber anders als Fahrner finde ich den Schlüssel zum Verständnis in Schencks Beobachtung, daß im Fastenanfang die Bakterizidie im Blutserum gegenüber dem symbiontischen Bact. Coii herabgesetzt sei. Vielleicht sind überhaupt die gelegentlichen und immer sehr milden Ausbrüche von Herpes labialis und hin und wieder auch einmal von Stomatitis aphtosa im Fasten ais eine Re-Akutisierung zur Überwindung aufzufassen. Denn auch diese Viren sind Symbionten. Eine Fülle namhafter Autoren bezeugt die guten Erfahrungen mit dem Fasten zur Krankheitsüberwindung, zur Vorbeugung und zur günstigen Operationsvorbereitung. Ich nenne nur die Namen August Bier, Ferdinand Sauerbruch, Kalk, Grote, Brauchle, Sievers, Hermansdorfer, Dewey> Panchet, Mulzer und Fischer. Doch auch dieser namhaften Zeugen bedürfte es eigentlich nicht! Einem jeden Pädiater ist die instinktive Nahrungsenthaltung im Prodromalstadium einer Krankheit bekannt, ja, sie gilt sogar als Hinweis auf eine wahrscheinlich sich anbahnende Krankheit. Mit unzweifelbarem Recht dürfen wir auch auf die statistisch gesicherte Tatsache hinweisen (der Hinweis ist Parade zu verdanken), daß in der Zeit der strengen Lebens- und Nahrungsmittelrestriktion von 1939 bis 1949 Krankheiten, die der Albdruck von Ärzten, Patienten und Nochgesunden sind, wie die bösartigen Geschwülste, wie Herzinfarkt, Angina pectoris, Diabetes und andere mehr, ganz entschieden in der Zivilbevölkerung zurückgegangen seien. Der Wunschtraum eines jeden Arztes, nun schien er sich zu erfüllen: Nach einer gewissen Übergangszeit senkten sich die Kurven der bedrohlichen Krankheiten, die freilich — mit Einsetzen des pausbäckigen Wohlstandes nach 1951 — wieder besorgniserregende Höhen erreichten. Gern fragt man nach dem Wert der Heilfastentherapie zur Krebs-Vorbeugung. Unserer besonders guten Erfahrung nach konnte man gar nichts besseres als das Fasten empfehlen! In unserem Pyrmonter Haus wurden in den letzten 20 Jahren etwa 15 000 Heilfastenkuren absolviert. Die Majorität unserer Kurpatienten — und darüber sind wir sehr froh — kommt Jahr um Jahr zu ihrer Behandlungs- und Vorbeugungskur, so daß wir sie über einen großen Zeitraum in der Entwicklung ihres Gesundheitszustandes beobachten können. Selbstverständlich ist mit dem Kuraufenthalt auch eine unaufdringliche, doch konsequente Gesundheitsschulung verbunden, etwa im Sinne der traditionellen englischen „adult schools". Die Erfahrung lehrt, daß diese erzieherischen ärztlichen Hilfen, die sich aus der gemeinsamen Betrachtung der Ursachenzusammenhänge ohne weiteres ergeben, im allgemeinen nur etwa drei bis vier Monate fruchtbar sind. Wenig später beginnen meist die Vorsätze einer vernünftigen Lebens- und Ernährungsweise zu erlahmen im Drange des Berufs- und Gesellschaftslebens. Doch können wir, ebenso wie alle fastenärztlichen Kollegen, mit Gewißheit sagen: Das Carcinom ist ein auffallend seltenes Ereignis unter denjenigen, die Jahr um Jahr zu ihrem Vorbeugefasten kommen! Wann wird endlich diese begeisternde Möglichkeit einer Krebsprophylaxis ein allgemein

akzeptiertes ärztliches Wissen und - last not least — geradezu von Staats wegen propagiert? Der Arzt hat die Gewohnheit, sich nach dem Wie, nach dem Ursachenzusammenhang dieser Beobachtungen zu erkundigen. M. E. ist es legitim, das erfreuliche Phänomen zusammen zu sehen mit der Tatsache der Krebsseltenheit unter den Vegetariern, oder, um es mit einem Ausspruch zu sagen, der wohl von Metschnikolfstammt: „Le microbe n'est rien, le terrain c'est tout!" — Das Terrain, der Nährboden ist alles. Und dieser kommt im Organismus des Vegetariers ebenso wenig zustande wie in einem sich auf wiederholte Fastenperioden einstellenden Organismus. Da Krebs vorzugsweise in mehr alkalischem Gewebsmilieu gedeiht, nehmen wir an, daß wohl die Säurekrisis, die Azidosis also, die mt dem Übergang zur drtten Fastenwoche einsetzt, den carcinomfeindlichen Einfluß zustande bringt. Freilich ist in jedem Falle das Vo//-Fasten als unmittelbare Krebstherapie abzulehnen. Die Domäne dieser königlichen Therapie ist und sollte bieiben die Vorbeugung und die Nachbehandlung eines möglichst früh erkannten und operierten Carzinoms. Kein Arzt wird sich jedoch allein mit Operation des Patienten begnügen, da es geradezu unerläßlich ist, sich in Form einer heilenden Seelenführung weiter um den Krebsbefallenen zu kümmern und um die Änderung seiner bisherigen Lebens- und Ernährungsweise. Etwa ein Vierteljahr nach der Krankenhausentlassung sollte der Patient die erste und ausführliche Heilfastenkur absolvieren, um die sonst noch weiterbestehende Praecanzerose zu eliminieren. Ich zweifle nicht daran, daß man auf diese Weise die Rezidivhäufigkeit der Malignome endlich entschieden verringern könnte.

stärkter thymolymphatischer Involution, aber auch mit einer engen diencephalo-hypophysären Nebennierenbeziehung reagiert auf einen Streß im Sinne des sog. ADAPTATIONSSYNDROMS nach Hans Selye. In diesem Zusammenhang finde ich den Schlüssel zum Verständnis der imponierend guten Fastenwirkung.

Ich bin mir dessen wohl bewußt, was ich vielleicht an Fragen und Debatten mit diesen ein wenig vorsichtig gehaltenen Hinweisen heraufbeschwören könnte. Möglichen Einwänden trete ich deshalb von vornherein entgegen mit dem Hinweis, daß ich an Hand einer Fülle von Erfahrungen spreche, für die jedoch ein Beweis im wissenschaftlichkritischen Sinne nie erbracht werden kann. Wer wird überhaupt die erfolgreiche Fasten-Krebsprophylaxis BEWEISEN können, wenn die Summe der Erfahrung nicht akzeptiert wird? Wer wird exakt abgrenzen können, was ä conto Fasten und was zugunsten der Änderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zu buchen sei? Wer wird einem Patienten das experimentum crucis zumuten, gegen seine bessere Oberzeugung das Nachsorgefasten zu unterlassen und möglicherweise solcher Art ein sonst vermeidbares Rezidiv zu riskieren? Seien wir infolgedessen dankbar für die großartige Möglichkeit, im Heilfasten eine so scharfe Waffe gegen die Übel der Überzivilisation und eben auch gegen das Kretoselend zu besitzen.

Unsere Zeit, so sagt man, sei geprägt von der Angst, sei es in Gestalt der Real-Angst oder der neurotischen Angst, die identisch ist mit der Furcht auch vor den eigenen Unsicherheiten. Die GEWISSENS-Angst aus dem Freudschen Über-Ich bedarf wohl weniger einer Hervorhebung, da man, wie es scheint, sie gewiß heutzutage weniger trägt. Der Angst kommt eine zentrale Stellung in der Persönlichkeitsdynamik und in der Krankheitsentstehung zu. Es handelt sich oft um einen Spannungszustand mit überraschenden Verhaltensweisen und nicht minder überraschenden Motivationen. Zu dem psychoanalytischen System der im Individuum befindlichen Abwehrmechanismata gehört ein großer Katalog von Zusammenhängen, die näher zu bestimmen sich die Zauberpriester unserer säkularisierten Religion, nämlich die Soziologen und die ihnen nahestehenden Psychologen, anheischig machen.

Wie ist nun die eindrucksvoll günstige Wirkung des Heilfastens auf die Resistenzerhöhung, als Methode der Wahl zur Krankheitsbehandlung und Krankheitsvorbeugung insgesamt zu sehen und zu verstehen? Das Fasten bedeutet, bei regelrechter Indikationsstellung, eine Total-Mobilmachung ALLER noch vorhandenen Selbstausheilungskräfte eines Organismus, ein Heilungsweg, der allein nur dem intelligenten Wesen Homo sapiens offensteht, und durch den er seine souveräne Stellung in der Schöpfung bestätigt. Jejunium totalster et aequaliter purgat saepe sanat! Die Fülle der ältesten und der modernen, auch wissenschaftlich fundierten Erfahrungen legt ein unmißverständliches consilium PRO jejunio ab. Doch genügt uns diese allzu pauschale Erläuterung noch immer nicht. Es ist seit langem bekannt, daß unser Organismus auf alle exogenen und endogenen Reize verschiedener Art mit Leukozytose und Neutrophilenerhöhung, mit Eosinopenie oder Eosinophilie, mit Hypoglykämie, mit ver-

Wiederum erwähnen wir den Begriff der „Streß-Condition" nach Selye und sollten nicht vergessen, daß bei der Definition der Gesundheit wie auch der Krankheit (die ja die Mobilisierung der Abwehrkräfte bewirkt) die PERSÖNLICHKEIT des Kranken oder des Nochgesunden mindestens ebenso berücksichtigt werden muß, wie der jeweilige gesamtkörperliche Zustand mit seinen Eigenarten, den Lebensgewohnheiten und den Schicksaiszusammenhängen, mit den möglichen Ehekonflikten und der eventuellen Berufs- und Lebensfrustration. Die fasten ärztliche Seelenführung ist ein kaum entbehrlicher Begleitumstand der Kur, eine schier unentbehrliche Arznei, die Otto Buchinger senior THEURGIE im Fasten nannte, wahrhaftig eine Mangelarznei in unserem Krankenkassenzeitalter. Der Arzt tritt freilich seinem Patienten nicht in der Rolle eines Vorgesetzten oder gar eines weisen Marabut gegenüber oder in einer schulmeisterlichen Hypochondrie. Die Arzt-Patient-Begegnung besteht in dem Zusammentreffen zweier Menschen auf der gemeinsamen Bühne des Lebens, beglückt durch Freuden und heimgesucht durch Leid. Der Arzt kann Verständnis und menschliche Nähe fühlen lassen und manchen guten Rat geben. Vergessen wir also nicht die Stärkung der seelischen Abwehrkräfte, die beinahe eine unabdingbare Voraussetzung zur Genesung sind!

M. E. aber sollte .sich jeder Arzt dagegen wehren, um der Einmaligkeit und der Würde des Menschen willen, daß man krankheitsverursachendes Schicksal als ein bloßes soziologisches Schiefliegen bezeichnet oder im Krankenkassenwesen lediglich als einen Verwaltungsakt und kaum mehr. Zurückgezogen in seine Fastenzeit wie „Hieronymus im Gehäus" findet der an seinem Schicksal und auch an körperlichem Mißgeschick Leidende zu sich selbst im heiligen Rausch der Nüchternheit des Fastens, wie Schoeps sich ausdrückte. Psychophysisch tritt eine Neuordnung und ein neues Verständnis seines Lebens ein. Hier kann der Arzt dem Patienten zur Seite stehen, als Mediziner wie auch als Psychotherapeut, der in rechter Weise zu verhindern versteht, daß aegrotante Lebensschwierigkeiten nur unterwunden statt ÜBER-wunden werden. Mit der erneuten Bekräftigung der sinnvollen eigenen Existenz werden demnach im Fasten nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz konkret auch die körperlichen Abwehrkräfte gefördert.

Anschrift des Verfassers: Dr. OTTO BUCHSNGER, 32S Bad Pyrmont. Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

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E. Bmgmann

Zusätzliche Möglichkeiten der Rehabilitation in der Praxis

Hinweise darauf, wie wichtig bei Herz-Kreislaufleiden, insbesondere aber nach Herzinfarkt, eine schon im Krankenhaus beginnende, vor allem aber im Anschluß daran einsetzende Übungstherapie mit systematischem sportlichen Training sind. „Praxis" heißt in diesem Sinn praktische Methode zur Prophylaxe und Rehabilitation, vor allem von Herz- und Kreislaufschäden. Zwischen der Krankenhaus- und Klinikbehandlung, dem Aufenthalt in Sanatorien und Heilstätten (Anschlußverfahren) und der Eingliederung in das tägliche Leben klafft eine Lücke. Oft lernt zwar der Patient, durch Bewegungstherapie den Heilprozeß zu fördern, aber im häuslichen Milieu wird er sich nicht mehr aktiv betätigen. An anderer Stelle bin ich auf diese Dinge ausführlicher eingegangen (1, 2). Ein besonderer Hinweis sei auf Gossner (3) gestattet, der Organisationen fordert, die diese Aufgabe übernehmen können. Die Erhebungen von Krasemann (4) haben gezeigt, daß eine Koordination in den meisten Fällen fehlt. Er führte eine Befragung von 200 Patienten drei Monate nach dem Herzinfarkt durch und mußte feststellen, daß sowohl Krankenhausärzte als auch die Kollegen in der Praxis nur selten im Gespräch mit den Patienten Hinweise auf das Verhalten bezüglich eines Übungsprogramms nach der Entlassung geben. Neben gut geleiteten Turn- und Sportvereinen sollten örtliche Zentren verschiedenster Art geschaffen werden (Kneipp, Volkshochschule, Praxisgemeinschaften). Auch Einrichtungen, wie sie Eberlein und Schwarzweller vorschlagen, sind geeignet. Als Richtlinie könnte das „Mindener Modell" dienen, bestehend aus individuellem Lauf, Gemeinschaftsgymnastik im Lauf (mit Ball) und Stand sowie Spiel (Prellball); anschließend warm und kalt brausen. Gesamtdauer IV2 Stunde, ein- bis zweimal wöchentlich. Die beste Zeit ist in etwa 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr, so daß der Abend noch zur freien Verfügung steht. Auch die Trimm-Dich-Aktion hat hier neue Wege gewiesen. Leichte Insuffizienzen sollten medikamentös kompensiert werden (Miroton, Gradulon). Die Übungen dürfen nicht auf Kraft und Schnelligkeit, sondern in erster Linie auf Aus-

G. Brandau

Die Bewegungstherapie sei aber nicht nur Arznei, sondern auch Vergnügen. Freude an der Bewegung und der Wille, sich körperlich in Form zu halten, lassen den Menschen so 20 Jahre länger jung bleiben. Heute bewirkt unsere Lebensgestaltung, daß ein 50- bis 60jähriger Mann nicht als ehrfurchtgebietender Greis und eine Frau in den 40- bis 50er Jahren als würdige Matrone bezeichnet werden müssen. So kommt der Forderung, in jedem Lebensalter Sport zu treiben, eine große Bedeutung zu. Jeder moderne Mensch ist hierzu aufgerufen, ob einzeln oder in einer Gemeinschaft. Sinnvoll betriebene Leibesübung vermittelt uns ein lebenswertes Leben in jedem Alter. Literatur: 1. 2. 3. 4.

BROGMANN, E.: Münch. med. Wschr. 110, 1609-1611 (1968), Nr. 27. BROGMANN, E.: Fortschr. Med. 87, 895 f. (1969), Nr. 22/23. GOSSNER, E.: Dtscti. Ärztebl. 66, 91 f. (1969), Nr. 2. KRASEMANN, E. O.: 3. sozialmed. Kolloquium über „Das Leben nach dem Herzinfarkt", Bad Nauheim 1971, S. 45-56. 5. BAUM, K. V.: Sportarzt u. Sportmed. 22, 20 (1971), Nr. 1. Anschrift des Verfassers: Dr. med. E. BRÜGMANN, 495 Minden (Westf.), Nibelungenweg 2.

Ärztliche Gesichtspunkte aus der Praxis des Jugendversehrtensportes, ein Beitrag zur Rehabilitation

Angeregt durch die umfassende Darstellung des Versehrtensportes und seiner Auswirkungen auf den einzelnen Behinderten und die Gesellschaft von Plietz (Heft 11 u. 12/ 1971 - Sportarzt und Sportmedizin) wivd in nachstehenden Ausführungen auf sportliche Möglichkeiten des Schwimmens von jugendlichen Versehrten eingegangen. Sie stützen sich auf die Beobachtung der Jugendversehrtengruppe der VSG Dillenburg.1) Das Kind und im besonderen Maße das behinderte Kind ist viel mehr als der Erwachsene auf die stützende, anregende und auch bergende Betreuung durch die Umwelt, insbesondere der Eitern, angewiesen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß Jugendversehrtensport das Elternhaus einbeziehen muß. Psychodynamische Gesundheitserziehung zwecks Aktivierung, Pflege von verbliebenen Funktionen, Aufzeichnungen von Kompensations- und Verselbständigungsmöglichkeiten ist dann am erfolgreichsten, wenn die 1

) Der Dillkreis umfaßt etwa 500 qkm1 und hat 101 000 Einwohner.

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dauer und Koordination ausgerichtet sein (Spiel!). Selbstkontrolle (neben ärztlicher Überwachung) kann durch die ßatvmsche Pulsregel (5) einigermaßen gut erfolgen, d. h. von der Zahl 170 werden die Lebensjahre abgezogen, z. B. 170 — 50 (Jahre) = 120. In diesem Fall könnte also eine Belastung etwa bis zur Pulsfrequenz von 120 erfolgen. Körperliche Betätigung sollte auch durch vernünftige Ernährung und Abhärtung ergänzt werden. Es ist empfehlenswert, daß gerade beim Sport auch einmal Licht, Luft und Sonne an die Haut kommen. Viele Sportarten können im Frühjahr, Sommer und Herbst mit knapper Bekleidung betrieben werden. Abhärtung und damit Schutz vor Erkältungskrankheiten ist der Lohn dieser Bemühungen. Außerdem ist es ratsam, wenn nur eben möglich, alle Leibesübungen barfuß zu betreiben.

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tragenden Familienmitglieder, — auch die Geschwister — in den Rehabilitationsplan einbezogen werden. Die Physiotherapie bietet sich als optimaler Träger dieser psychologisch-pädagogisch-soziologischen Entwicklungsmöglichkeiten an. Besonders günstig für praktisch alle Behinderungsarten jeden Alters ist bekanntlich der Schwimmsport. Denn im Wasser ist die Schwerkraft fast völlig aufgehoben. Die Muskulatur hat anders als auf festem Boden keine statische Haitungsarbeit zu leisten, sondern steht ganz für dynamische Arbeiten zur Verfügung. Schon aus diesem Grund können Bewegungen im (genügend warmen) Wasser leichter und lockerer entwickelt und vollzogen werden als auf der Erdoberfläche. Insbesondere Spastiker und Kinder mit Behinderungen an den Beinen- können so in den Genuß des für sie einmaligen Erlebens kommen, sich ohne •fremde Hillsmittel oder Helfer fortbewegen zu können, und zwar sogar teilweise in ästhetisch sehr befriedigender Form. Schon bei schwer betroffenen Kleinkindern, die nicht allein gehen können, schlägt sich dieses Erleben, auch als

Erfolgserlebnis so wichtig in dem strahlenden Gesicht und der Gelöstheit der Bewegung wider Geradezu wonnig aalt sich beispielsweise ein 7jahnger (V) ununterbrochen eine Stunde lang im Schwimmbecken mit und ohne Schwimmfluge! Da sich infolge der starken Eigenbeweglichkeit und des guten Trainmgszustandes Unterkuhlungserscheinungen nicht bemerkbar machen, bestand von Anfang an von sportarztlicher Seite kein Anlaß, diesen Bewegungsdrang zu bremsen Ansonsten ist dieser Junge durch schwere Tetraspastik und Dysarthne tagtäglich hoch frustriert trotz liebevoller aktivierender Einbettung in der Familie und der Volksschule Er kann nicht aWein gehen, taghch brmgt ihn die Mutter mit Pkw zur hochgelegenen Dorfschule Es ist jetzt lediglich noch notig, die Kopfhaltung beim Ruckenschwimmen zu bessern, damit der Luftpfropfen der Nase nicht beim Ruckwartsneigen des Kopfes entweicht Denn dies fuhrt regelmäßig zur Auslosung des Nies- und Hustenreflexes, was beim Schwimmen sehr stört, zumal dieser wohl zentral enthemmt zu sein scheint Ferner haben wir den Vater eingewiesen mit V vor allem das aktive Drehen von der Bauch- in die Ruckenlage zu üben und umgekehrt, damit der sich kraulende Junge die notige Sicherheit und Eigenständigkeit im Schwimmbecken bekommt und die Schwimmlage selbst andern kann Dann kann er ohne Begleiter schwimmen Dieser Fall ist zweifelios extrem gelagert, und zwar bezüglich der Schwere der Behinderung der sozialen Integnerung und der erreichten Schwimmfähigkeit Letzteres ist eindeutig das Verdienst des unermüdlich aktiven ,Ubervater' so mochte man fast sagen Es beleuchtet aber die Aufgabe des Versehrtensportarztes schlaglichtartig Sie ist bekanntlich sport-, heil- und soziotherapeutisch ausgerichtet Im übrigen liegt bei jedem behinderten Kind eine einmalige Konstellation bezüglich Schaden, Alter und der Umwelt vor, so daß immer individuelles therapeutisches Vorgehen notig ist Im Februar 1971 konnte in der Zeit zwischen 18 00 bis 19 30 Uhr die Schwimmhalle Haiger für die Jugendversehrten des Diükreises gemietet werden2) Die wöchentliche Sportstunde wird durch den hessischen Sozialminister finanziell gefordert Für den einzelnen jugendlichen Versehrten bzw dessen Fahrer, meist nahe Verwandte wie Eltern, Tante oder auch Bekannte wird ein Fahrtkostenzuschuß in der Hohe bezahlt, was ein öffentliches Verkehrsmittel kosten wurde (Um diese Zeit bestehen nämlich keine Bahn- oder Busverbindungen nach Haiger mehr, so daß die Anfahrt praktisch nur mit privatem Pkw möglich ist) Wir betrachten es als einen gunstigen Umstand, daß die VSG Dillenburg anschließend bis 21 Uhr ihre Schwimmstunde für Erwachsene abhält Dadurch wird das Zusammenwachsen der alten und der jüngeren Generation begünstigt Die Kontinuität der Arbeit im Versehrtensport ist dadurch gewährleistet Der Vorstand der VSG und der Versehrtensportarzt legen zudem größten Wert darauf, daß sich ein positives Miteinander der jungen und deren Eltern mit den erwachsenen Versehrten in der Schwimmstunde und bei Geselligkeiten einstellt Dies erfordert gerade von der Kriegsgeneration ein Umdenken, ein Offnen nach unten, ein Einsteigen in vater- und opaahnhche Rollen gegenüber den Kindern Bis zum 31 12 1971 hatten Eltern insgesamt 63 Versehrte Kinder angemeldet Die meisten sind inzwischen regelmäßige Besucher der Schwimmstunde (bis zu 30 pro Abend) Überraschend häufig lehnen angesprochene Jugendversehrte den Eintritt in die Jugendgruppe ab, vor allem dann, wenn sie schon schwimmen können Wahrscheinlich handelt es sich dabei um unbewußte Verdrän2

) Für das Entgegenkommen der Stadt Haiger, insbesondere des aufgeschlossenen Herrn Burgermeisters sei an dieser Stelle gedankt

gungen des Schadens, am ehesten als ein nicht Wahrhabenwollen zu verstehen Sie halten offenbar lieber mit gesunden Kameraden mit und ertragen die körperlich bedingten Nachteile, was durchaus positiv zu werten ist Meist handelte is sich um schulisch gut angepaßte Jugendliche nicht selten mit erheblicher Bewegungsbehinderung infolge Spastik oder Gelenkschaden Vielleicht wurde solchen Behinderten jedoch die Identifikationsmoglichkeit die durch das Zusammenleben mit erwachsenen Behinderten beim Versehrtensport entsteht, eine unbeschwertere weniger verkrampfte Einstellung zu ihrer Behinderung erleichtern Zusammenstellung der Jugendgruppe des VSG Dillenburg (Stand 1 1 1972) EM 5 0 % 5 0 - 8 0 % über 8 0 % ICP i(Infantile Cerebralparese) „Spastiker'

3

Schlaffe Lahmungen a) Pohob) Geburtsc) Querschnitts(Myelocele Hamatomyelie)

4 2

Gliedmaßenschaden 0 a) Traumat b) Operation (Malignom) c) Contergan d) Fehlbildungen an den Beinen 2 wie Klumpfuß, Hohlfuß e) Dys-Ektomelie Arme f) Andere 2 Gelenkschaden a) connatale Huftdysplasie b) Perthes c) Andere

2 6

2

1 3

1

2

Muskelkran kheiten Progressive Muskel-Dystrophie Sklerodermie

2

1 1

Allgemeine Schaden a) Herzfehler b) Embryopathie (Rothmund-Syndrom) c) Taubheit

1 1 2 25

23

15

Der Übergang zu sich mehr im intellektuellen Bereich manifestierten Behinderungen ist erfahrungsgemäß fließend Geistig Behinderte werden in der heilpadagogischen Kindertagesstätte und der SSPB (Sonderschule für Praktisch Bildbare) betreut Sie nutzen ebenfalls wöchentlich einmal die physiotherapeutischen Möglichkeiten des Schwimmens bzw Spielens im Wasser im Hallenbad aus Über den Ablauf der Versehrtensportstunden der VSG wurde nachstehender Jahresbericht abgegeben der die soziologischen und pädagogischen Gesichtspunkte besonders herausstellt Versehrtensportarzthcher Bericht 1971 Die gesundheitsfördernden Möglichkeiten, die der Wersehrtensport bietet wurden von der Versehrtensportgruppe Dillenburg weiterhin in der wöchentlichen Sportstunde in Dillenburg Realschulturnhalle und in der Schwimmstunde in Haiger (donnerstags) ausgenutzt Jeder einzelne Behinderte wurde vom Sportarzt angehalten, sich selbst so zu Phys Med u Reh Heft 9 1972 2 7 1

fördern, daß er diese Anstrengungen als angenehm empfand. Dies stellt die beste, weil biologisch begründete Möglichkeit der Auseinandersetzung des Behinderten mit seinem ihm vom Schicksal zugemessenem Handikap dar. Bei auf Schonung und Bequemlichkeit angelegten Maßnahmen oder Haltungen fehlt diese positive Auswirkung und die stets vorhandene seelisch-emotionale Rückkoppelung. Diese erkennt man an der psychischen Stimulation, die bei jeder spielerisch-sportlichen Betätigung auftritt. Insbesondere in der Schwimmstunde mußte darauf geachtet werden, daß die Kreislaufanregung durch Vergrößerung der Schwimmstrecke und Einlegen von Intervallen im Wechsel mit stärkerer Anstrengung mehr ausgenutzt wird. In die Praxis umgesetzt bedeutet das, daß man die Längsbahnen mehr benutzt als die Querbahnen. Dank der guten Zusammenarbeit und großen Erfahrungen, Einsatzfreudigkeit und Engagement der Sportwarte, Herrn H. Wehrmann, Herrn D. Neumann und Frl. E. Flemming und neuerdings Frl. B. Hartmann, wurde auch für besondere Einzelfälle ein gutes Maß gefunden für die Stärke der Bewegungsbelastbarkeit. Die gute, freundliche, lebensbejahende Atmosphäre in der Sportstunde zeigt, daß dabei auch gruppendynamische Prozesse im erwünschten Maße ablaufen. Die ärztliche Betreuung wurde von Herrn Dr. Weimer, der vorwiegend in Dillenburg tätig ist, und von mir wahrgenommen. Durch erfolgreiche Gesundheitsaufklärung bei dienstlich zu betreuenden Behinderten konnten neue Mitglieder für die Gruppe gewonnen werden. Die im Februar 1971 angelaufene Jugendversehrtenschwimmstunde in Haiger ist zu einem durchschlagenden Erfolg geworden. Der Besuch war in letzter Zeit so stark, bis zu 30 Behinderte, daß der Platz in der Halle teilweise nicht ausreichte. Da es sich zum großen Teil um sehr schwer behinderte Kinder handelt, kommen wir in dieser Veranstaltung ohne starken Eltern- und Geschwisterneinsatz nicht aus. Nur durch Einbau der Angehörigen in das Übungs- und Aktivitätsprogramm kann man den ständig größer werdenden Aufgaben gerecht und gezielte Bewegungstherapie unter sportlichen und krankengymnastischen Gesichtspunkten im genügenden Ausmaß dem Kind zugute kommen lassen. Im Laufe der Zeit hat sich ein sehr gutes Gruppenklima eingestellt. Dieses wird bestimmt von der großen Bereitschaft der anwesenden Eltern, Geschwister und Kindern, sich gegenseitig zu helfen und gemeinsam die besonderen Lebensprobleme zu lösen, auch gemeinsam das Leid zu tragen, für das dem einzelnen, auf sich allein gestellt, oft die Kräfte kaum ausreichen. Die Durchmischung von Behinderten und Gesunden in Gruppen ergibt besonders gute soziale Entwickiungsmöglichkeiten. Es erhöht die Anpassungsfähigkeit des Behinderten und fördert positive, sozial stützende und helfende Haltungen bei Gesunden. Gruppenspezifische Einengungen und Abkapselungen, wie sie bei der Betreuung von Behinderten oft vorkommen, werden dadurch von vornherein völlig vermieden. Auch die Vielfältigkeit der Behinderungsarten und des Lebensalters (2 bis 18 Jahre umfassend) und die Unterschiedlichkeit der Behinderungsgrade begünstigt die Entwicklung normaler Umweltbezüge und gute Lebensanpassung. Dieses Vorgehen entspricht der Moritessori-idee. Als äußerlich sichtbarer Erfolg hat sich eine Verschiebung in der Schwimmstunde ergeben. Durch zahlreiche Halbschwimmer wird der tiefe Teil des Beckens jetzt stärker frequentiert, während sich früher die krankengymnastische Arbeit nur im Nichtschwimmerbecken abspielte. Die ersten Jugendlichen haben sich jetzt freigeschwommen. Weil ständig Ausprobieren und Anpassen der Übungsprogramme an die Behinderungsart, den Entwicklungsfortschritt unter Beachtung von aktuellen Schwierigkeiten nötig ist, kann der Versehrtensportarzt im Rahmen einer

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so stark besuchten Übungsstunde kaum noch allen anfallenden Aufgaben gerecht werden. Neben der Einweisung der Krankengymnasten und Eltern lallen zwangsläufig sehr viele psychohygienische und beruflich-schulische Eingliederungsfragen an. Einige Mitglieder der Jugendversehrtenschwimmstunde kommen übrigens aus dem benachbarten Teil des Kreises Biedenkopf. Mit weiterem größeren MitgSiederzugang dieser Gruppe ist nicht zuletzt wegen meiner beruflichen Erfassungs- und Einwirkungsmöglichkeit als Schularzt zu rechnen. Es drängt die Zeit, daß das im Bau befindliche Rehabilitationszentrum Dillenburg mit seinen Sporteinrichtungen für den Versehrtensport zur Verfügung steht. Mit seiner Fertigstellung ist 1973/74 zu rechnen. Unfälle oder belastende Zwischenfälle sind im Berichtsjahr nicht beobachtet worden. Für mich stellt die Arbeit im Versehrtensport einen sehr großen beruflichen Gewinn dar. Immer wieder werde ich durch positive Entwicklungskompensations- und Entfaltungsmöglichkeiten von auch sehr schwer Behinderten beeindruckt, die durch den Versehrtensport angekurbelt und ausgebaut werden können. Die Besserung der Integrationsrnögiichkeit des Behinderten in seine Umwelt, besonders in die Schule und Berufswelt ist eine positive Begleiterscheinung, die im Einzelfall die rein gesundheitlichen Effekte sogar übertreffen können. Bei der Betreuung von Spastikern ist die Kenntnis der primitiven, posturalen Haltungs- und Stellreflexe nötig, weil diese bekanntlich bei pathologischem Sistieren die Entwicklung normaler Bewegungsmuster und Feinmotorik insbesondere den Haltungsreflexmechanismus z. B. durch Tonuserhöhung stören, u. U. sogar unterbinden. Auch die pathologischen Mitbewegungen und Koordinationsstörungen erfordern behutsames Einfühlen des Physiotherapeuten. Zur Gewinnung besserer Eigenbeweglichkeit sind individuell spielerische, motorisch ergiebige Bewegungsmuster zu entwickeln. Einheitliche Direktiven können den speziellen Problemen des einzelnen Behinderten nicht gerecht werden. Bewegung im Wasser ist, wie schon gesagt, besonders günstig, weil die Körperhaltung tonische Muskelarbeit überflüssig macht. Auch E. Bobath und die Kinesiologie (Vojta) stellen diesen Vorgang als wesentlich 1ür die Ursache der Spastik bzw. von path. Bewegungsabläufen heraus. Es handelt sich um ein Durchschlagen phylogenetisch alter Labyrinth- und Nackenreflexe. Bekanntlich können affektive Vorgänge allein, besonders solche der Angst, der Unsicherheit, aber auch solche der Freude selbst bei Gesunden abnorme Muskeltonuserhöhung und pathologische Bewegungsformen auslösen, die auch bei jedem Menschen subcortical vorhanden sind. Dies ist die Folge der überaus engen Verzahnung von Affekt mit dem Muskeltonus im Bereich des Stammhirns, was übrigens auch elektromyographisch nachweisbar ist. Zur Vermeidung ungünstiger affektiver Muskeltonuserhöhung ist beispielsweise Wassergewöhnung beim jungen Versehrten noch wichtiger als bei Gesunden. Sie muß das Erleben vermitteln, daß das Wasser trägt, daß die Eigenbeweglichkeit im Wasser besser ist als auf ebener Erde. Die daraus resultierende allgemeine Lockerung und psychische Stimulation, gepaart mit Bewegungs- und Lebensfreude, schafft eine günstige pädagogische Atmosphäre. Dies ist ja vom kindlichen Spiel im und mit Wasser allgemein bekannt. Besonders nachteilig für die Eigenbeweglichkeit ist es, wenn spastische Kinder sich an Eltern klammern und dadurch die affektiv ausgelöste spastische Muskelerhöhung auch die Beine ergreiit. Verselbständigen über spielerisch-

sportliche Betätigung mit dem Krankengymnasten oder andere Helfer sowie das Ablösen der meist pathologisch persistierenden Eltern-Krnd-Symbiose ist dabei besonders wichtig. Als technische Hilfsmittel haben sich dabei Schwimmflügel bewährt, vereinzelt auch „Schwimmreifen". So konnte dadurch nach langen Versuchen die 8jährige Martina, schwer tetraspastisch gelähmt, „falsch programmiert" (Volksschülerin, kann allein gehen), erstmals erleben, daß sie sich ohne den sichernden Handkontakt ihres Betreuers selbständig im Wasser bewegen kann und zwar leichter als auf ebener Erde. Sie hatte bis dahin trotz großer eigener Mühegabe nicht auf den sichernden HautKontakt des Betreuers — meist des Vaters — verzichtet. Selbst beim Anfassen am Rumpf verstärkte sich die Spastik im Wasser aus Angst sehr.

aus ihrer natürlichen Bewegungsveranlagung heraus diese Fähigkeiten allein erworben — ohne Anleitung — und bewegt sich wie ein Fisch in und unter Wasser. Die aktive Teilnahme an der Demonstration des Hessischen Versehrtensport-Verbandes am 16. 10. 1971 in Wiesbaden anläßlich dessen 20jährigen Bestehens wurde für acht Jugendliche der VSG Dillenburg ein einmaliges Erlebnis. Obwohl völlig fremd und unsicher, ob sie würden mithalten können, fühlten sie sich dort sofort in die fröhliche Gemeinschaft auf- und durch die Öffentlichkeit angenommen. Sie legten Zeugnis ab von ihrem Wollen und den Fähigkeiten zum Ausgleich ihrer Behinderungen. Nach Hause zurückgekehrt, strahlten sie Zuversicht und Optimismus auf die ängstlich noch zu Hause gebliebenen Kameraden aus.

Bei gliedmaßen-gestörten Kindern ist ebenfalls gute Beobachtung der möglichen Bewegung nötig. Oft entwickeln"die Kinder spontan die günstigste, effektvollste Bewegungsform, die man auch dann nicht unterbrechen sollte, wenn sie aus dem Rahmen der Lehrbuchnorm herausfällt. Bei einem an den Armen stark geschädigten, sehr sportlichen „Contergankind" — Volksschüler, — der vor der Bebetreuung durch uns vom Vater stark trainiert war und Brust- und Rückenschwimmen beherrscht, ist jetzt noch das Problem zu bewältigen, die Schwimmlage selbständig zu ändern. Er muß noch lernen, auf der Stelle zu treten. Durch neurotische Unsicherheit, die er sonst motorisch gut überspielt, hat er diese zur Sicherheit im Wasser unbedingt notwendige Anpassung noch nicht erreicht. Als sehr hinderlich macht sich so das Fehlen der Wassergewöhnung als Grundlage spielerischen Bewegens im Wasser bemerkbar. Ein anderes, völlig armlos gleichaltriges Mädchen spornt den Jungen und dessen Eltern an. Sie hat nämlich

Zusammenfassung Auf Grund einjähriger Verlaufsbeobachtung werden soziologische, heilpädagogische und physiotherapeutische Gesichtspunkte erörtert, die beim Schwimmen mit jugendlichen Versehrten zu beobachten sind. Besonders wichtig erscheint Einbeziehung der Eltern und Geschwister in den Rehabilitationsplan. Schwierigkeiten können entstehen, wenn ungünstige Bewegungsabläufe beim Schwimmen schon zu fest eingefahren sind (Fehlprogrammierung). Die Möglichkeiten einer allgemeinen psychischen Dynamisierung der Versehrten Kinder, die sich aus der Vielfältigkeit deren Behinderungen und den verschiedenen Altersstufen ergeben, werden aufgezeigt. Wesentlich erscheint neben gezielter krankengymnastischer Betreuung die Anfachung gruppendynamischer Prozesse, die zu allgemeiner persönlicher Stimulation führen. Anschrift des Verfassers: Dr. Brandau, Obermedizinalrat, Kreisschularzt, Dillenburg, Wilhelmstraße 20

Aus dem Bakteriologisch-Serologischen Institut des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg. Chefarzt: Doz. Dr. med. habil. H. Lodenkämper.

H. Lodenkämper und Über die Beteiligung der peripheren Nerven am dentogenen H. Meyer-Döring Herdgeschehen*) **) Zusammenfassung Entgegen der heutigen Auffassung wird festgestellt, daß Antigen-Antikörper-Reaktionen mit beliebig gebildeten Antikörpern (Hammelserum, Schweineserum, Bakterientoxin, Infektionserreger) am peripheren Nerven ablaufen können. Der Nachweis wurde durch ein Null-Wenden des RuhepotentiaSs und pathohistologische Veränderungen (Oedembildung, Faserdegeneration!) erbracht. Ausgangspunkt für diese Untersuchungen waren klinische Beobachtungen, welche die Realität der Fokalinfektion in hohem Grade wahrscheinlich machen. Auf die Bedeutung der Antigen-Antikörper-Reaktion am Nerven für die Lehre von der Herdinfektion wird hingewiesen. Es werden Nachweismethoden diskutiert. Rost und andere Autoren fanden an retinierten Zähnen in sehr starkem Maße Veränderungen der Pulpa im Sinne degenerativer und atrophischer Veränderungen. Begleitet waren diese Veränderungen von einer Sekretstauung. Bei der Bedeutung dieser pathologisch-histoiogischen Befunde können auch die Folgen einer abgelaufenen Antigen-Antikörperreaktion an den Pulpanerven in Betracht kommen. Wie kommen diese immunologischen Vorgänge pathogenetisch zustande?

Bakterien auch in gesunden Geweben Nach den umfangreichen Untersuchungen von Lodenkämper (etwa 200 Zähne!) muß man mit dem Vorkommen von *) Nach einem Vortrag gehalten auf der 27. Arbeitstagung der Internationalen Gesellschaft für Elektroakupunktur am 12. 9. 1971. **) Herrn Professor Dr. HANS SCHMIDT zum 90. Geburtstag in dankbarer Verehrung gewidmet.

Bakterien in fast allen, auch gesunden Zähnen rechnen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Infektion, sondern um eine z. Z. noch heftig umstrittene Bakterienbesiedlung eines gesunden Gewebes. Lodenkämper erklärt die klinisch symptomlose Bakterienbesiedlung der Pulpa mit dem Vorhandensein eines „antibakteriellen Prinzips" in der Pulpahöhle, welches er aus den Untersuchungsergebnissen von Spreter von Kreudenstein und Mitarb., /. Stuben, ferner Ravnik und Mitarbeitern herleitet. Es sind vorerst avirulente Keime („latenter Mikrobismus": Gotschlich u. a.), worauf vor allem ihr äußerst verzögertes Wachstum hinweist. Die Anwesenheit von Sphaeroplasten oder Protoplasten (sehr wahrscheinlich mit den zyklischen Formen von Lodenkämper identisch!) in den Zähnen — worunter man Bakterien mit einem veränderten Membranaufbau versteht, — muß nach den bakteriologischen Erfahrungen, die Lodenkämper bei den Zahnuntersuchungen gemacht hat, Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

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als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Durch unspezifische Reizungen der Pulpa (Trauma), Beschleifen der Zähne, Kälte- oder Wärmereize, Virusinfektion, z. B. Grippe usw.) kommt es in der Pulpa über entzündliche Vorgänge zu einer Störung des „biologischen Gleichgewichtes". Daran schließt sich eine Infektion mit betonter Vermehrung der ansässigen Bakterien an, was das Ende der Bakterienbesiedlung bedeutet (Lodenkämper). Vom latenten Mikrobismus zur Infektion Man kann zuverlässig annehmen, daß der menschliche Organismus bald Antikörper mehr oder werniger schnell gegen alle auf seinen Schleimhäuten vorkommenden Bakterienarten bildet. So konnte Lodenkämper experimentell beim Menschen bald das Auftreten von teilweise erheblichen Antikörpermengen gegen oral bzw. rectal verabfolgte E. coli-Bakterien bzw. nach Verzehr von getrockneten Blutkörperchen verfolgen. Bei einer kindlichen Listeriose, welche auf einen „latenten Mikrobismus" mit Listeria monocytogenes-Erregem auf der Vaginalschleimhaut der Mutter zurückging, wurde von ihm ebenfalls die Bildung von Antikörpern mitgeteilt. Hier wäre auch die stumme Feiung (z. B. gegen Salmonella, Pertussis, Grippe u. a.) zu nennen. Antikörper-Bildung Da die von Lodenkämper in den Zähnen nachgewiesenen Bakterienarten normaliter auf den Schleimhäuten der Mundhöhle bzw. des Magendarmtraktes anzutreffen sind, so ist somit gewöhnlich mit der Bildung von entsprechenden Antikörpern zu rechnen. Bemerkenswerterweise hat man auch mit der Zeit eine Antikörperbildung gegen jene Bakterienarten beobachtet, bei denen sie erfahrungsgemäß nur schlecht und verzögert in Gang kommen. So hat man in menschlichem Serum Antikörper gegen die Streptokokken der Typen A bis H und gegen ihre Enzyme nachgewiesen. Gegen die in den Zähnen häufig vorkommenden grampositiven Kokken kann sich sogar eine Überempfindlichkeit (Anaphylaxie) entwickeln (Angevine). Das Ausbleiben der Antigen-Antikörper-Reaktion beim Bestehen eines „latenten Mikrobismus" (Gotschlich) ist nach den heutigen Erkenntnissen mit einer veränderten Bakterienmenbran, weiche allgemein für die Pathogenität der Bakterien verantwortlich gemacht wird, zu erklären. Die entzündliche Pulpa, ihres „antibakteriellen Prinzips" beraubt, erlaubt nunmehr die ungestörte Bakterienvermehrung. Sie wird durch die nun möglicherweise einsetzende AntigenAntikörper-Reaktion in ihrem entzündlichen Zustand gesteigert. Hierauf weisen die pathologisch-histologischen Befunde von Rost hin. In diesem Zusammenhang ist bedeutungsvoll, daß auch der bakterielle Antigenreiz auf die Dauer fast immer zu einer lokalisierten allergischen Umstimmung führt. Dabei ist die Neigung zur „verstärkten Granulombildung bei alten Individuen" wesentlich vermehrt (Junge — Hülsing u. a.). Eine ganz erhebliche Bedeutung kommt der Frage nach einer Beteiligung des Zentralnervensystems an den immunologisch-allergischen Reaktionen im Organismus zu. Die spezifisch gegen das Hirn-Nervengewebe gerichteten, experimentell mit Hilfe von Freundschem Adjuvans erzeugten Auto-Antikörper können wir zunächst einmal hier übergehen, weil sie ätiologisch für unser Problem nicht in Betracht kommen. Bei unseren Untersuchungen gingen wir nämlich davon aus, daß auch das Ze n t ra I n e r v e n g e w e be a n a l o g d e n a n d e r e n G e websarten durchaus die Fähigkeit besitzt, beispielsweise gegen Bakterien gerichtete A n t i k ö r p e r zu b i n d e n . Allerdings wird sie nicht allgemein bei allen Menschen angetroffen. Sie zeigt vielmehr ein ausgesprochen individuelles Verhalten und wird durch

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selektive Eigenschaften von einzelnen Teilen des Zentralnervensystems weiterhin charakterisiert (Lodenkämper). Veränderungen an peripheren Nerven Unsere Untersuchungen (1962—1971) führten wir am peripheren Nerven (N. ischiacVicus!) des Sebenden Frosches durch, deren Ergebnis nach den allgemeinen Erkenntnissen der Neurophysiologie ohne weiteres auf den Menschen übertragbar sind. Die Sensibilisierung der Versuchstiere (Antikörperbildung!) erfolgte entweder durch die Injektion von artfremdem Serum (z. B. Hammelserum u. a.), durch Bakterientoxin oder durch Erzeugung einer Herdinfektion in der Gaumenschleimhaut. Nach Bildung der Antikörper wurden in situ das betreffende Antigen z. B. bei mit Hammelserum sensibilisierten Tieren Hammelserum und bei Tieren mit der Herdinfektion das entsprechende Bakterientoxin auf den freigelegten Nerv aufgetragen. Dabei kam es bei den Nerven zu einem Null-Werden seines Ruhepotentials. Ein weiterer Beweis für die abgelaufene AntigenAntikörper-Reaktion waren die pathologisch-histologischen Veränderungen am Nerven1). Es wurden Oedembildung und degenerative Veränderungen festgestellt. Von allergrößter Wichtigkeit ist die Tatsache, daß gleichzeitig dieselben Erscheinungen, d. h. ein Null-Werden des Ruhepotentials und die histologischen Veränderungen auch am unbehandelten Nerven des gleichen Tieres auf der anderen Seite auftraten. Diese Beobachtungen sind u. E. für die Erklärung des Huneke-Phänomens von allergrößter Wichtigkeit. Nur wenige von uns bisher durchgeführte Versuche zeigten ein positives Hune/ce-Phänomen. Jedoch erlauben unsere niedrigen Versuchszahlen noch keine allgemein gültige Aussage. Die experimentell am peripheren Nervensystem nachgewiesene Antigen-Antikörper-Reaktion findet auch durch klinische Beobachtungen ihre Unterstützung. Es gelang nämlich in mehreren Fällen durch eine Extraktion beherdeter Zähne bzw. Behandlung infizierter Kopfhöhlen u. a. schwerste, jahrelang bestehende Trigeminusneuralgien (Meyer-Dörnig) und Neuritiden anderer Nerven restlos zum Verschwinden zu bringen. Parade und Gutzeit fanden eine durch Zahnherde bedingte neuritische Atrophie der Handmuskulatur. Von einem von uns (Meyer-Döring) wurde einmal eine Atrophie der Vorderhandmuskulatur mit einer Entartungs-Reaktion des nervus radialis festgestellt, die von einer Nervenklinik als Multiple Sklerose aufgefaßt wurde. Die Patientin konnte durch eine sorgfältige Gebißsanierung in verhältnismäßig kurzer Zeit ad integrum geheilt werden. Dies sind nicht die einzigen einschlägigen Erkrankungsfälle unserer ärztlichen Erfahrung. Die Erklärung für die Pathogenese dieser von einer Atrophie begleiteten Parese liegt nach unseren Untersuchungen in den am Nerven ablaufenden Antigen-Antikörper-Reaktionen. Ein Nerv, der durch allergisch bedingte Oedeme und degenerative Veränderungen geschädigt ist, kann natürlich keine Reize an die Muskelfaser weiterleiten. Eine Inaktivitäts-Atrophie ist die Folge. Der Ausfall der Schmerzempfindung ist ebenfalls verständlich. Welche Vorgänge verlaufen nun am Ort des Herdgeschehens? Die heutige physikalische Chemie erklärt den zuerst von Hippokrates und später Celsus aufgestellten Symptomenkomplex: tumor, rubor et calor bei der Entzündung. In normalphysiologischem Gewebe ist das Potential der Zelloberfläche durch das Donansdne Gleichgewicht bestimmt. Ändert sich die Elektrolytkonzentration im Gewebe, was ') Dankenswerterweise von Herrn Professor SELBERG, Prosektor am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Barmbek durchgeführt.

bereits bei der unspezifischen Reizung des Mesenchyms der Fall ist und erst recht für die Entzündung im infizierten Gewebe zutrifft, so ändert sich auch damit das Zelloberflächenpotential (Donan Potential)- Damit ist eine Veränderung des pH-Wertes verbunden. So andern sich beispielsweise die elektrokinetischen Potentiale von Gewebskulturzellen nach Infektion mit Coxsackie B3 Virus im Sinne einer Verringerung der Meßwerte (Sachtleben, P.K Schmist, G. Klein). Eine Änderung der Oberflachenladung von Zellmembranen kann auch durch chemische und physikalische Einwirkungen erfolgen (Fermente: Neurammidase; Hitze, Röntgenstrahlen, Sauve, Lauge Formol, Aceton, Äthanol und Perjodat) (Fuhrmann, Granzer, Bey u. Ruhenstroth-Bauer). Im Zusammenhang mit der erhöhten Permeabilität der Gefäß- und Kapillarwände nach einer unspezifischen Reizwirkung erscheint uns die Wirkung zweier Faktoren des menschlichen Komplementes auf die Zellmembran von Säugetierzetlen sehr bedeutungsvoll. Es konnte von Arnold, Boehmer und Ruhenstroth-Bauer gezeigt werden, daß zumindest kein vollständiges Komplementsystem an der Reaktionsbeteihgung vorliegt. Somit ist die Beobachtung von Celsus vom „tumor" über einen Quellungsvorgang der Kolloide physiologisch erklärbar. Dazu kommt noch die erhöhte Durchlässigkeit der Zellmembranen einschließlich jener der Gefäß- und Kapillarwände Die Ursache für das Zustandekommen der den Entzündungsvorgang begleitenden Hyperaemie ist unbekannt. Sie kann einmal durch eine Nervenbeeinflussung des Parasympathikus-SympattMkus-Systems, welches die Arteriolen versorgt, erfolgen oder durch die pH-Änderungen, welche direkt auf die Kapillaren wirken. Damit ist die zweite Forderung des Celsus, das Symptom „rubor" physiologisch erklart. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß mit vermehrter Durchblutung der Kapillaren auch das Symptom „calor" erklärbar ist. Der bei der Entzündung auftretende Schmerz ist auf die Veränderung der Elektrolytkonzentration (KCI-NaCI-lonenpumpe von Hopkins) der Nerven zurückzuführen. Der gewöhnlich bei der Herdinfektion vermißte Schmerz hängt mit der bereits erwähnten Schädigung des das Entzündungsgebiet versorgenden Nerven durch die vorausgegangene Antigen-Antikorper-Reaktion zusammen. Die Schmerzlosigkeit chronisch entzündlicher Prozesse dagegen gehen auf eine unspezifische Nervenatrophie zurück. Möglicherweise treten nach neueren Untersuchungen weitere physiologische Störungen von Seiten der Neurohormone durch die örtliche Nervenschadigung auf, welche im Thalamus gebildet werden und als Transportwege zur Peripherie den normalen Nerven benutzen. Die bei Herdinfektionen beobachteten Fernwirkungen z. B. Neuralgien sind durch unsere oben erwähnten experimentellen Untersuchungen verständlich geworden.

Das Zelloberflächen-Potential Die Messung des Zelloberflächen-Potentials ist physikalisch an der Einzelzelle mit einer sehr aufwendigen Apparatur möglich. Dertartige Messungen setzen einmal einen Faraday-Kafig mit hohem Aufwand wegen der erforderlichen elektrischen Entstörungen voraus. Oft sind wegen lokaler Gegebenheiten ein Sonderraum mit Paraffinwänden, eine tiefere Erdung und Bestimmung des erdmagnetischen Feldes erforderlich (Magnetische Waage'). Auch werden Verstarker mit hochohmigem Eingangswiderstand, welche sehr storungsempfindlich sind, benotigt Die Verwendung der erwähnten Apparaturen setzt gute Kenntnisse der physikalischen Meßtechnik und Beherrschen der höheren Mathematik einschließlich Programmieren des Computers in einer der angewendeten Sprachen voraus. Verstandlicherweise scheidet diese Untersuchungsmethode bereits aus methodischen Gründen, abgesehen von der Kostenfrage, für die Praxis aus. Dagegen ist die Messung der Leitwertveranderung, durch die Änderung der Elektrolytkonzentration im Gewebe bedingt, leicht durchfuhrbar. Entsprechende Apparaturen sind im Handel erhältlich. Nicht schwierig ist die Bestimmung des pH-Wertes mit Hilfe einer hochohmigen Glaselektrode, die u. a. in der Physiologie gebräuchlich ist Erstaunhcherweise haben diese relativ einfachen Meßmethoden keinen Eingang in die Praxis gefunden Dagegen setzt die Kapazitatsmessung wiederum einen sehr hohen physikalischen Aufwand voraus. Sie bedarf wegen ihrer vielen Fehlermoglichkelten ebenfalls einer gründlichen Kenntnis der physikalischen Meßtechnik und eines erheblichen mathematischen Aufwandes, wie wir sie bereits oben bei der Potentialmessung näher erläutert haben

Literatur 1. ANGEVINE. Z. exp Med 64 (1939) 211 2 ARNOLD, R , H v. BOEHMER und G BUHENSTROTH-BAUER. Expenmental Cel Research 50 (1968) 562-580. 3 FUHRMANN, G F , E GRANZER, E BEY, G RUHENSTROTHBAUER. Zeitschrift für Naturforschung 19/7 (1964) 614-620 4 GOTSCHLICH, E1 Hdb d path Mikroorganismen Kolle, Kraus, Uhlenhuth, Bd 1 (1929) 33 und 267 5 GUTZEIT u PARODE zit bei Proeil 1 c 6. JUNGE-HULSING zit b Hauss, Junge-Hulsing, Gerlach „Die unspezifische Mesenchymreaktion 7 LODENKAMPER, H • Physik Med u Reh 1972 195 8. LODENKAMPER, H . Pleomorphie und Zyklogenie d Bakterien, Schriften der Konigsberger Gelehrten Gesellschaft (1939) 15 Jg 9 LODENKAMPER, H : Wiener Klin Wschr. 111 (1964) 860. 10 MEYER-DDRING, H • Unveröffentlicht 11 PROELL Dentale Herdinfektion, Verlag Th Stemkopff 1947 12 RAVNIK u Mitarb • Path Microbiol 30 (1967) 208-214 13 ROST A Dtsch Zahnarztl Z 18 (1966) 793 14 SACHTLEBEN, SCHMIST und KLEIN (Homburg): Klin. Wschr 11 (1966) 15 SPRETER v. KREUDENSTEIN, TH • Schweiz Med Wschr. Jg 88 (1958) 635 16 STUBEN, J Dtsch Zahn- Mund- u Kieferheilk 26 (1957)180 Anschrift des Verfassers- Dozent Dr med habil. HANS LODENKAMPER, 2 Hamburg 1, Lohmuhlenstraße 5

Aus Praxis und Forschung H. Peter Steigerung der unspezifischen Abwehr trotz spezifischer Heilmittel? Orzechowski hat die spezifische und unspezifische Abwehr des öfteren nach den dabei ablaufenden biochemischen, hormonalen, nervalen und pharmakologischen Vorgängen ausführlich dargestellt. Bei deren Einheitlichkeit kommt es zu der Frage, ob es überhaupt möglich ist, spezifische und unspezifische Abwehrreaktionen zu trennen. Hierzu ist zu sagen, daß eine Therapie so lange als unspezifisch anzusehen ist, wie ihr Wirkmechanismus unbekannt bleibt. Ist er schließlich geklärt, so wird der Eingriff zum spezifischen.

Daher kann man „spezifisch" und „unspezifisch" klar auseinanderhalten, wenn man unter ersterem den kausalen Eingriff zur Verhütung und Behandlung einer Krankheit, und unter letzterem Hilfsmaßnahmen versteht. Dies sei an einigen Beispielen erläutert die Bluterkrankheit hat ihre Schrecken verloren, nachdem sie als Mangel des Gerinnungsfaktors VW (Hamophilie A) oder IX (Hamophilie B) erkannt worden ist und diese beiden Faktoren aus menschlichem Blut isoliert werden können. Durch ihre Injektion wird nicht nur eine Blutung Phys Med u Reh Heft 9 1972 2 7 5

gestoppt, sie laßt sich bei planmäßiger prophylaktischer Gabe in der Regel auch verhindern Unter ihrem Schutz kann man eine leichte Gymnastik durchfuhren und so die Gelenksynovia und -gefaße trainieren, also resistenter machen Dadurch wird die Blutungsanfalligkeit herabgesetzt, und man vermag nach einiger Zeit die vorbeugenden Gaben z B von Faktor IX zu reduzieren So wäre eine relative Heilung der Hamophilie B durch .spezifische' Substitution des Faktors IX, unter zusätzlichem „unspezifischen" Training von Gelenken, Bindegewebe und Gefäßen, und etwa der Zustand eines mit Insulin eingestellten Diabetes erreicht Auch bei allen unseren Impfstoffen und Heilseren handelt es sich um ein streng kausales Prinzip, denn ganz geringe Mengen schützen gegen die betreffende Krankheit, aber auch nur gegen diese Hier sei auf die eindrucksvollen Ergebnisse bei der Poliomyelitis, bei der Diphtherie und beim Tetanus hingewiesen Sie sind so überzeugend, daß man bei anderen Krankheiten, z B der Virus-Hepatitis geradezu auf einen Impfstoff oder ein spezifisches Heilserum wartet um die bedrohliche Zunahme und ihre Folgen aufzuhalten Vielleicht fuhren die Arbeiten über AustratiaAntigen zu Ergebnissen in dieser Richtung Wenn Impfungen nicht absolut vor Erkrankungen schützen, so liegt das auch daran, daß sich aus der nunmehr erreichten Sicherheit die Impfmoral lockert Daher sollten uns gelegentliche Zwischenfalle bei der Pockenschutzimpfung nicht dazu veranlassen, sie ganz zu unterlassen sondern d>e Impfstoffe weiter zu verbessern (Ehrengut, Stickt u a ) Wir kennen zwar den Pockenbefail und -verlauf unter der gesetzlichen Impfpflicht, nicht aber den nach ihrem Fortfall Hierzu sehe man sich die Pockenstatistik der 2 Hälfte des 19 Jahrhunderts an (Kolle und Schloßberger) Alle Schutzimpfungen können aber nur voll wirken, wenn sie an gesunden Menschen vorgenommen werden Liegen Eiweiß-Synthese-Storungen z B bei Lebererkrankungen Agammaglobulinamien oder andere immunologische Abwehrschwachen vor, so müssen sie entsprechend behandelt oder durch unspezifische Therapie beseitigt werden Damit gelingt es, wie gezeigt werden wird, spezifische Antikörper bis auf das Zehnfache zu steigern Auch für die Therapie mit antnnfektiosen und antitoxischen Heilseren können solche unterstutzenden Maßnahmen von Wichtigkeit sein Der Organismus braucht in diesem Falle zwar zunächst nicht selbst Antikörper zu bilden Er muß damit aber bald beginnen, wenn er genesen soll, also dazu auch in der Lage sein Man kann heute die Serumtherapie wesentlich gefahrloser als früher und auch wiederholt durchfuhren Denn neben Heilseren von Tieren, die die Gefahr der Entstehung einer

Allergie gegen tierisches Eiweiß in sich tragen, gewinnt man jetzt immun-gamma-Globuline von spezifisch immunisierten Menschen, die also spezifische Antikörper gebildet haben. Diese erzeugen keine Anaphylaxie und können unbedenklich mehrfach gegeben werden Mit solchem gegen den Rhesus-Faktor D gerichteten Immun-gamma-Globulin gelingt es auch, die Rhesus-Erythroblastose zu verhüten wahrend und nach der Geburt dringen bei Ablösung der Plazenta geringe Mengen kindlicher Rh-positiver Erythrozyten in den mutterlichen Kreislauf ein Schon em Tropfen dieses kindlichen BSutes genügt zur Bildung von Anti-D-Antikorpern bei der rhesus-negativen Mutter Um dies durch Elimination der kindlichen Erythrozyten zu verhindern, spritzt man der Mutter sofort oder bis zu 3 Tagen nach der Geburt Anti-D-Immunglobulin ein Das fuhrt wahrscheinlich zur unschädlichen Lyse der kindlichen Blutkörperchen im Kreislauf der Mutter So bleibt sie frei von Rh-Antikorpern und kann weiterhin gesunde Kinder bekommen Auch dies stellt einen streng , spezifischen Eingriff dar, der .unspezifisch" nicht ersetzt werden kann Die Anwendung von Antibiotica und Sulfonamiden kann man ebenfalls noch zu den spezifischen Behandlungen rechnen, wenn sie glücklicherweise auch einen breiten Fächer von Erregern erfassen Diese Therapie ist aber gefahrlos nur unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen durchfuhrbar Hierzu gehören bei den Antibiotica die Prüfung 1 ob der Erreger überhaupt durch das Präparat erfaßt wird 2 ob er nicht bereits resistent ist, 3 ob der Patient nicht allergisch gegen das Antibioticum ist Selbst wenn danach eine Anwendung in Frage käme, bleibt immer noch zu entscheiden, ob man das Präparat geben und damit die Entstehung einer Allergie riskieren will Das heißt kurz zusammengefaßt Antibiotica eignen sich nicht zur automatischen Rezeptierung etwa bei jedem banalen Infekt Denn es konnte einmal ein schwererer zu behandeln sein, bei dem sie dann nicht mehr oder doch nur unter dem Risiko eines schweren anapylaktischen Schocks eingesetzt werden können Hier öffnet sich also der unspezifischen Abwehrsteigerung bereits ein weites Gebiet, das auch beim Hospitalismus gegebenenfalls prophylaktisch angewandt werden muß Hierbei kommen bekanntlich in einer Klinik Krankheitserreger endemisch vor denen jeder eingewiesene Patient schutzlos ausgeliefert ist Da sie meist bekannt sind, konnte man eine Vakzine daraus herstellen und damit die Patienten spezifisch schützen. Dies ist naturgemäß nur bei einem vorher geplanten Krankenhausaufenthalt oder bei einer vorhersehbaren Operation möglich Stehen die Erreger nicht zur Verfugung so kann man den Patienten vor der

Hyperfarat

Antidepressivum Psychoregulans

Indikationen: Depressionen, Angst- und Spannungszustande, nervöse Unruhe, physische und psychische Erschöpfung, klimakterische Beschwerden, Wetterfuhligkeit, Enuresis, Stottern Zusammensetzung: Extr fl Herb Hypenci (Johanniskraut) stand auf 2mg HYPERICIN pro ml Dosierung. Tropfen. 2—3 mal tag! 20—3Q Tropfen, Oragäes. 2.—3 mal tagt. 1—2 Dragees Handelsformen 30 ml DM 5 80 50 ml DM 8 95 100 ml DM 15 95, 30 Dragees DM 4,45 100 Dragäes DM 11 95, EAmp DM6 80,10 Amp DM12,90

Dr. Gustav Klein, Arzneipflanzenforschung, 7615 Zeü-Harmersbach/Schwarzw. 276

Phys Mecf U Reh

Heft 9 1972

Einweisung unspezifisch durch Steigerung seiner Abwehr schützen. Die vielen Möglichkeiten der unspezifischen Abwehrsteigerung sind bekannt. Soweit es Medikamente betrifft, stammen die meisten aus dem Pflanzenreich (Orzechowski). Wesentlich ist, daß man ihre Wirkung tierexperimentell prüfen und dadurch eine Wertbemessung vornehmen kann. Ich habe hierfür einen einfachen Mäusetest angegeben:

Ergebnis: alle injizierten Lösungen erwiesen sich als sehr gut verträglich. Bei einmaliger Gabe der Verdünnung 10—3 und dreimaliger der Verdünnung 10—6 konnte eine Steigerung der Phagozytoserate im Testsystem beobachtet werden (Abb. 1).

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Kollektive von je 5 weißen Mäusen erhalten abgestufte Mengen des jeweiligen Mittels bzw. 5 Kontrolltiere physiologische Kochsalzlösung i. v. injiziert. Unmittelbar davor und 4 Stunden nach der Injektion wird bei jedem Tier das weiße Blutbild differenziert. Daraus wird der Mittelwert und die Standardabweichung der Linksverschiebung ermittelt, die proportional der vorgegebenen Dosis verläuft. Aus der Größe der akuten Wirkung lassen sich Schlüsse auf den abwehrsteigernden Effekt ziehen. Es gibt nun in neuerer Zeit neben den pflanzlichen Präparaten zur unspezifischen Resistenzsteigerung auch solche aus dem Tierreich. Sie beruhen auf den Vorstellungen der zytopasmatischen Therapie nach Theurer und wirken bereits in der Größenordnung von Mikro- und Nanogramm. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den pflanzlichen Medikamenten, von denen um einige Zehnerpotenzen höhere Dosen benötigt werden. Mayr und Buschmann haben mit solchen zytoplasmatischen Präparaten im Phagozytosetest und, ebenso wie Sorkin, auch im Jerne-TesX beträchtliche Steigerungen immunologischer Prozesse festgestellt. Der Phagozytose-Versuch verlief folgendermaßen: Kollektive von je 12 weißen Mäusen erhielten je 0,3 ml pro Tier des Präparates Nr. „65 neu" subkutan3 injiziert und6 zwar das 1. Kollektiv die Verdünnung 10— , das 2. 10— und das 3.10—9. Nach 3 Tagen erhielt jede Maus 16 mg/100 g Körpergewicht einer Rußdispersion (C 11/1431 a) i. v. In Abständen von 1, 5, 10, 15 und 20 min wurde dann den Tieren je 0,025 ml Blut entnommen, das in 3 ml einer 0,1prozentigen Sodalösung hämolysiert und dessen Absorption bei 675 mikro-mm im Spektralphotometer gemessen wurde. In einem 2. Versuchsansatz erhielten die Mäuse nicht nur einmal, sondern an 3 aufeinander folgenden Tagen je 0,3 ml der Verdünnungen 10—' und 10—9 des Präparates Nr. „65 neu" subkutan. Die Messung der Ausscheidungsrate erfolgte am 2. Tage nach der letzten Applikation. Als Kontrollen dienten jeweils Mäuse, die mit entsprechenden Mengen physiologischer Kochsalzlösung vorbehandelt worden waren. Die Berechnung der Ausscheidungsrate aller Tiere eines Kollektivs erfolgte mittels des sogenannten PhagozytoseIndex, der die Steigerung der Regressionsgraden der logarithmischen Rußkonzentration im Blut der Mäuse in Abhängigkeit von der Zeitdauer nach der Rußinjektion angibt.

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dreimalige imalig Applikation der Ott, 6Sneu t

Abb. 1: Phagozytose-Steigerung an der weißen Maus durch Revitorgan-Präparat „65 neu" (Prof. Dr. A. Mayr, Inst. f. Mikrobiol. d. Tiere, Universität München) Mayr und Buschmann haben auch die Stimulierung hämolysinbiidender ZeUen in der MHz der weißen Maus durch das Präparat Nr. „65 neu" festgestellt. Sorkin erhielt den gleichen Effekt durch andere zytoplasmatische Präparate. Der Jerne-Test von Mayr und Buschmann verlief folgendermaßen: je 48 weiße Mäuse erhielten 2,5x108 gewaschene Schaferythrozyten in 0,1 ml physiologischer Kochsalzlösung i. p. in Mischspritze mit 0,1 ml der jeweiligen Verdünnung des Präparates Nr. „65 neu". Kontrollmäuse bekamen die gleiche Menge Schaferythrozyten ohne Zusatz von „65 neu". In Abständen von 2, 3 und 4 Tagen wurden jeweils 16 Mäuse getötet, die Milz entnommen, eine Milzzellsuspension in Humanserum-Aibumin hergestellt und zusammen mit Agar und Schaferythrozyten in Petrischalen mit einer geringen Menge Basisagar ausgegossen. Nach 1 stündiger Inkubation erfolgte die Entwicklung der plaque-bildenden Zellen mit 1:10 verdünntem Meerschweinchenkomplement. Dann wurde die Zahl der plaque-bildenden Zellen in der Milz pro Maus aus Milzgewicht und Zahl abgelesener Plaques sowie der Mittelwert aller Tiere und die Standardabweichung errechnet. Ergebnis: die Verdünnung 10—6 und 10—' des Präparates Nr. „65 neu" steigerten die Zahl der 19 S-hämolysinbildenden Zellen in der Milz erheblich.

Prastatmed

für den Prostatiker

Indikationen: Prostatahypertrophie, Prostataleiden, Miktionsbeschwerden, Prostatitis, Urethritis, Nachbehandlung Operierter, Kombinations- u. Intervalliherapeutikum bei Hormonkuren Zusammensetzung: Kürbisglobulin 0,1 g,Kürbismehl 0,2 g, Extr. fI. Solidago 0,04 g, Extr. fI. Pop. trem. 0,06, Kakao 0,05, Sacch. lact. ad 0,5 g Dosierung: 3 mal täglich 2—4 Tabletten zerkauen und mit Flüssigkeit hinunterspülen. Handelsformen: 60 TabLDM 5,80; 120 Tabl.DM 9,90; 360 TabLDM 25,85

Dr. Gustav Klein, Arzneipflanzenforschung, 7615 Zell-Harmersbach/Schwarzw. Phys. Med. u. Reh. Heft 9, 1972

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IKROPLEX ®

Biokatalysatoren der funktioneilen Therapie

Ursprung der Spurenelemente Mikroplex® KUPFER Zusammensetzung: Kupferglukonat 0,2590 g Isotonische Lösung ad 100 ml Indikationen: Infektiöse und entzündliche Zustände, Viruserkrankungen, Grippe, akute bakterielle Infektionen.

Mikroplex® MANGAN-KUPFER Zusammensetzung: Manganglukonat 0,0295 g Kupferglukonat 0,0259 g isotonische Lösung ad 100 ml

Indikationen-. Chronische infektiöse Diathese, chron. Bronchitis, Bronchialasthma, Rhinopharyngitis.

Kontraindikationen und Nebenwirkungen: keine. Handelsform und Preis: Flasche zu 60 ml Lösung (ausreichend für 4—6 Wochen) DM 15,65 Hersteller: LABCATAL, Montrouge/Frankreich

Vertrieb: DR. HERBRAND KG., 7614 Gengenbach/Baden, Postfach 1107 Die Verdünnung 10—3 führte dagegen zu einer starken Verminderung dieser Zellen. Im einzelnen zeigt dies Abb. 2.

exakt dosiert werden muß; zum anderen aber zeigt sie die Möglichkeit, durch geeignete höhere Dosen des Präparates „65 neu" eine unerwünschte Antikörperbildung, z. B. bei einer Allergie zu hemmen.

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