Der Pelikan als christliches Symbol in Kirchen des Mittelalters

FernUniversität in Hagen Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften Sommersemester 2015 BA Kulturwissenschaft (mit Schwerpunkt) Modul G2 – Geschich...
Author: Ulrich Weiner
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FernUniversität in Hagen Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften Sommersemester 2015 BA Kulturwissenschaft (mit Schwerpunkt) Modul G2 – Geschichte der Schriftkultur Kurs 03507 – Bild und Bildkultur in Alteuropa Betreuerin der Hausarbeit: Frau Dr. Zunker

Der Pelikan als christliches Symbol in Kirchen des Mittelalters Untersucht und dargestellt an Beispielen des Aachener und Kölner Doms

vorgelegt von: Philipp Martens Untergath 32 47805 Krefeld Telefon: 0176 - 955 440 36 E-Mail: [email protected] Matrikelnummer: 9568077 am: 1

Freitag, 4. September 2015

Inhaltsverzeichnis

1

Einleitung ........................................................................................................ 1

2

Funktion von christlichen Darstellungen im Mittelalter ................................. 2

3

Die Sitzordnung in Kirchen in Relation zu der Positionierung von Darstellungen .................................................................................................. 4

4

Der Pelikan als christliches Symbol ............................................................... 5

4.1 Der Physiologus .......................................................................................... 6 4.2 Die Bibelübersetzungen .............................................................................. 9 4.3 Umdeutung zum christlichen Symbol ...................................................... 10 5

Beispiele von der Verwendung des Pelikans in Kirchen des Mittelalters .... 10

5.1 Aachener Dom .......................................................................................... 11 5.1.1 Der Pelikan in den Mosaiken des Sechzehnecks ............................... 11 5.2 Kölner Dom .............................................................................................. 13 5.2.1 Der Pelikan im Chorgestühl des Domes ............................................ 13

2

6

Fazit............................................................................................................... 17

7

Quellenverzeichnis ........................................................................................ 20

8

Abbildungsverzeichnis .................................................................................. 20

9

Literaturverzeichnis ...................................................................................... 21

1

Einleitung

Der Pelikan taucht in der sakralen Kunst des christlichen Mittelalters immer wieder auf. Seine Bedeutung, als Symbol der Selbstaufgabe aus Liebe, ist jedoch im Laufe der letzten Jahrhunderte verloren gegangen. In der vorliegenden Hausarbeit soll zum einen untersucht werden wie der Pelikan als Symbol Eingang in die christliche Mythologie gefunden hat und zum anderen wie er in Kirchen des Mittelalters Verwendung findet. Diese Untersuchung soll Aufschluss geben über die Vorgänge, die zu einer Mystifizierung eines, dem Menschen des christlichen Abendlandes unbekannten, Tieres führen konnten. Darüber hinaus soll anhand der Positionierung des Symbols in zwei ausgewählten Kirchen des Mittelalters untersucht werden, welche Stände tatsächlich Zugang zu seiner

tieferen

Bedeutung

hatten.

Anhand

dieser

Relation

lässt

sich

möglicherweise ablesen, ob der Pelikan ein allgemein bekanntes oder doch eher ein klerikales Symbol darstellte. Grundsätzlich werde ich hier das christliche Mittelalter in Alteuropa im Zeitraum von 600 n. Chr. bis zum Beginn der Reformation im Jahre 1517 beleuchten. Um bestimmte Entwicklungen aufzuzeigen werde ich frühere und spätere Epochen einbeziehen. Um einen äußeren Rahmen für das Thema zu schaffen und die große Bedeutung von Darstellungen, besonders für die orale Gesellschaft des Mittelalters, aufzuzeigen, werde ich im ersten Abschnitt die Funktion von christlichen Darstellungen im Mittelalter betrachten (Kapitel 2). Anschließend werde ich aufzeigen welche Rolle die Position von Darstellungen innerhalb der Kirchen spielte und mit diesem Grundlagenwissen die Positionierung in Relation zu der Sitzordnung des Mittelalters setzen (Kapitel 3). So wird bereits die Grundlage geschaffen für die spätere Untersuchung des Pelikan-Symbols und seine Bedeutung für den einfachen oder klerikalen Stand. Um zu veranschaulichen wie der Pelikan Eingang in die christliche Symbolik fand, werde ich in den nächsten Schritten auf den Physiologus - ein Tierbuch des Mittelalters (Kapitel 4.1) - sowie auf die Bedeutung der Bibelübersetzungen -1-

(Kapitel 4.2) eingehen. Ein kurzes Fazit dieser beiden Kapitel wird dann die Ergebnisse im Sinne des Mystifizierungsprozesses interpretieren (Kapitel 4.3). Anschließend folgen nun Beispiele von der Verwendung des Pelikan-Symbols im Aachener (Kapitel 5.1) und Kölner (Kapitel 5.2) Dom. Hier werden die Beispiele dargestellt und die Positionierung der Symbole untersucht. In einem abschließenden Fazit werden die erzielten Ergebnisse, vor allem aus den Untersuchungen der Beispiele, zusammengefasst und interpretiert (Kapitel 6). Um den Fokus der Hausarbeit beizubehalten, werde ich weder näher auf die Ikonoklasmen (Byzantinisch oder Reformatorisch), die Bibelübersetzungen im einzelnen (Vulgata, Vetus Latina, etc.) oder die Architektur von Kirchen eingehen. Ebenfalls wird der Physiologus nicht eingehender betrachtet als für die Beantwortung der Fragen notwendig ist.

2

Funktion von christlichen Darstellungen im Mittelalter

Die Alphabetisierungsrate in der Zeit des Mittelalters war extrem niedrig. Schätzungen gehen von etwa neun Prozent in Deutschland um 1475 aus,1 doch fest steht, dass diese Zahlen sich erst mit der Weiterentwicklung des Buchdrucks ab dem 16. Jahrhundert veränderten.2 Die niederen Stände hatten keinen Zugang zum Erlernen der Lese- und Schreibfähigkeit, sofern sie nicht in einer Klosterschule unterrichtet wurden.3 Dort konzentrierte sich der Unterricht auf das Erlernen von Latein, sowie das Lesen und Schreiben. Ein grundlegendes Werk hierfür stellte der Psalter dar.4

1

Max Roser, Literacy rates around the world from the 15th century to present, in: http://ourworldindata.org/data/education-knowledge/literacy/ (19.08.2015) 2 Hans-Joachim Griep, Geschichte des Lesens, Von den Anfängen bis Gutenberg, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, S. 221 3 Ludolf Kuchenbuch, Vom Mönchslatein zum Schriftdeutsch: Über die Dynamik der Schriftkultur im Mittelalter, in: Gegenworte 19 (2008), S. 54 4 Griep, Geschichte des Lesens (wie Anm. 2), S. 187 -2-

Aufgrund der mangelnden Lesefähigkeit wurden Schriftstücke oft von einzelnen für größere Gruppen vorgelesen5 und die zentrale Schrift stellte die Bibel dar.6 Um nun die christlichen Lehren dennoch den Gläubigen verständlich zu machen, doch ohne dabei die Bibel allen zugänglich zu machen und somit die Deutungshoheit der Kirche nicht zu gefährden,7 wurde auf eine der einfachsten Formen

der

Darstellungen

zurückgegriffen:

Bildliche

und

plastische

Darstellungen.8 Solche Darstellungen fanden sich hauptsächlich in den Kirchen des Mittelalters, da diese einen zentralen Punkt für die Ausübung des Glaubens darstellten und den Christen als Ort galten an dem Gott selbst anwesend ist und die Menschen diese Anwesenheit durch die Betrachtung der Darstellungen daran Teil haben sollten.9 In diesem Zusammenhang spricht Horst Wenzel sogar von einer „SchauFrömmigkeit“ bei der die Menschen des hohen Mittelalters „zur Erkenntnis des Übersinnlichen durch die ‚Schau’“ kommen sollten, indem sie die Bilder, die Reliqiuien, das Ritual der Messe und die Schönheit der Kirchenausstattung betrachten.10 Um die Bedeutung von Bildern für die „Ungebildeten“, wie Thomasîn von Zerclaere (ca. 1186 – ca. 1238) sie nennt,11 aufzuzeigen, verweise ich auf einen Ausschnitt seines Gedichtes „Der wälsche Gast“:

5

Hagen Keller, Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter, Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Einführung zum Kolloquium in Münster, 17. – 19. Mai 1989, in: Hagen Keller, Klaus Grubmüller u. Nikolaus Staubach (Hrsg.), Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter, Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen (Akten des Internationalen Kolloquiums 17. – 19. Mai 1989), Fink, München 1992, S. 1-7, hier: S. 3 6 Hagen Keller, Vom ‛heiligen Buch‚ zur ‛Buchführung‚. Lebensfunktionen der Schrift im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 10f 7 Marina Münkler, Lesen verboten, in: ZEIT Geschichte Magazin 4 (2014), S. 56f 8 Gillian Evans, Die christliche Welt im Mittelalter, Herder, Stuttgart 2008, S. 77 9 Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild: Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, C.H. Beck, München 1995, S. 99 10 Ebd. 11 Ebd., S. 341 -3-

Von dem gemalten Bild werden besonders der Ungelehrte und der Jugendliche unterhalten. Wer nicht erfassen kann, was ein gebildeter Mann aus der Schrift entnehmen soll, der mag sich mit den Bildern zufriedengeben. Der Kleriker soll die Schrift erforschen, während der ungelehrte Mann die Bilder erfassen soll, da es ihm nicht gegeben ist, die Schrift auszulegen.12

Zwar ist diese Aussage nicht ganz unumstritten, doch zeigt sie zumindest auf, dass man sich bereits der Bedeutung von Bildern bzw. Darstellungen bewusst war. Dennoch argumentiert Hagen Keller, dass es falsch wäre von einer geringen Alphabetisierung auf einen geringen Bildungsgrad zu folgern. Schließlich wurde Wissen vor allem mündlich weitergegeben und so konnten auch Menschen, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren oder die kein Latein beherrschten, über einen gewissen Grad von Bildung verfügen.13 Ebenso spricht Hans Belting von einer Art „Gratis-Unterricht“ im Zusammenhang mit dem Besuch der Predigten bei der die Gläubigen Lektionen im „diskursiven Denken, in logischer Beweisführung und (...) Terminologie“ erhielten.14

3

Die Sitzordnung in Kirchen in Relation zu der Positionierung von Darstellungen

Die Kirchen des Mittelalters sind zwar in ihrer äußeren Form oft noch gut erhalten, doch hat sich die Ausstattung in den Jahrhunderten immer wieder gewandelt. Im Gegensatz zu dem heutigen Bild eines Gottesdienstes in dem die Gemeinde gemeinsam sitzend in einem großen Raum einmal täglich feiert, waren in den Kirchen des Mittelalters einzelne Bereiche voneinander abgetrennt und nur für bestimmte Personengruppen zugänglich.15 Ebenfalls gab es mehrere Altäre,

12

Thomasîn von Zerclaere, Der wälsche Gast, V. 1097ff, o.O., um 1216, zitiert nach der Edition von Horst Wenzel in: Hören und Sehen, Schrift und Bild: Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, C.H. Beck, München 1995, S. 342 13 Keller, Vom ‛heiligen Buch‚ zur ‛Buchführung, (wie Anm. 5) S. 19ff 14 Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter: Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, Mann, Berlin 1981, S. 244f 15 Gia Toussaint, Bild und Bildkultur in Alteuropa, Kurs 03507, FernUniversität in Hagen, (o.O.) 2012, S. 18ff -4-

zumindest einen für die Laien, sowie einen für den Klerus und den hohen Adel.16 Diese Aufteilung dient nicht nur liturgischen Zwecken, sondern stellte auch die soziale Ordnung demonstrativ zur Schau.17 Der Klerus und auch der hohe Adel hatte Zugang zum Altar- und Chorraum der sich auf der Ostseite, der Seite also, die dem heiligen Land zugewendet ist, befand und somit das Allerheiligste darstellt.18 Hier befand sich ebenfalls oft der Bischofssitz.19 Ein Herrscherthron wurde zumeist im Obergeschoss positioniert um durch diese Höherstellung den Status zu verdeutlichen.20 Auch Seitenräume und Emporen wurden bestimmten Personengruppen zugeordnet.21 Dem Volk war das Kirchenschiff vorbehalten. 22 Frauen hatten damals den geringsten Rang und nahmen auf der kühlen Nordseite des Kirchenschiffes ihren Platz ein.23 Die Männer hielten sich auf der etwas wärmeren Südseite auf.24 Diese Anordnung lässt den Schluss zu, dass einzelne Personengruppen nur bestimmte Darstellungen sehen konnten.25 In den Bereichen für den Klerus und den hohen Adel wurden die kostbarsten Bilder und Darstellungen aufbewahrt.26 Ebenfalls wurden hier meist die Reliquien aufbewahrt, die jede katholische Kirche beherbergt.27

4

Der Pelikan als christliches Symbol

Um zu veranschaulichen wie der Pelikan Eingang in die christliche Symbolik fand, ist es wichtig einen Blick auf den Physiologus und die Bibelübersetzungen, auf die dieser sich bezieht, zu werfen.

16

Adolf Reinle, Die Ausstattung deutscher Kirchen im Mittelalter, Eine Einführung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988, S. 4 17 Bruno Reudenbach, Die Kunst des Mittelalters, Band 1: 800 bis 1200, C.H. Beck, München 2008, S. 98 18 Ebd., S. 102 19 Ebd. 20 Wenzel, Hören und Sehen, S. 132 21 Ebd. 22 Toussaint, Bild und Bildkultur in Alteuropa (wie Anm. 15) 23 Reudenbach, Kunst des Mittelalters (wie Anm, 17), S. 102 24 Ebd. 25 Toussaint, Bild und Bildkultur in Alteuropa (wie Anm. 15) 26 Ebd. 27 Reudenbach, Kunst des Mittelalters (wie Anm, 17), S. 91 -5-

4.1

Der Physiologus

Der Physiologus ist ein weit verbreitetes Tierbuch des Mittelalters, 28 das vermutlich im 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus in Alexandrien von einem unbekannten Autor in griechischer Sprache verfasst oder kompiliert wurde.29 In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde dieses Werk in weitere Sprachen übersetzt und um zusätzliche Punkte ergänzt und so erfolgte seine Verbreitung bis in das 15. Jahrhundert vor allem im abendländischen Raum30 und wurde neben der Bibel eines der weit verbreitetsten Schriften.31 Im Laufe dieser Zeit veränderte sich auch der Inhalt vom rein deskriptiven Beobachtungswerk zum christlichmythologisierenden und interpretierenden Werk. 32 Darüberhinaus ist darauf hinzuweisen, dass in diesem Buch nicht nur nachweislich existierende Tiere beschrieben werden, sondern auch Wesen aus der Mythologie wie beispielsweise Phönixe oder Einhörner.33 Der Physiologus stellt ein Zeugnis frühchristlicher Spiritualität dar, die die geschaffene Natur als einen Kosmos von Zeichen verstand, durch die Gott zum Menschen spricht.34 Diese Vorstellung des Kirchenlehrers Augustinus (345-430 n. Chr.) ist eine weit verbreitete Vorstellung im Mittelalter und reicht bis in das 18. Jahrhundert hinein.35 36

28

Margarete Goecke-Seischab, Christliche Bilder verstehen – Themen, Symbole, Traditionen – Eine Einführung, Anaconda, Köln 2010, S. 167 29 Artikel ‚Physiologus’, in: Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI), Dritter Band, „Allgemeine Ikonographie – Laban - Ruth“, Herder, Freiburg i. Brsg., 1971; S.390ff 30 Ebd. 31 Christoph Gerhardt, Die Metamorphosen des Pelikans, Exempel und Auslegung in mittelalterlicher Literatur. Mit Beispielen aus der bildenden Kunst und einem Bildanhang, in: Jörg Hasler u.a. (Hrsg.), Trierer Studien zur Literatur, Band 1, Lang, Frankfurt am Main 1979, S. 11 32 LCI (wie Anm. 29) 33 Nikolaus Henkel, Artikel ‚Physiologus’, in: Killy Literaturlexikon - Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums, Band 9, Os – Roq, Bertelsmann, München 1991, S. 213 34 Ebd. 35 Anton Hügli u. Poul Lübcke (Hrsg.), Philosophielexikon, Personen und Begriffe der abendländischen Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Erweiterte und vollständig revidierte Ausgabe, Rowohlt, Reinbek 2013, S. 79ff 36 Henkel, Physiologus (wie Anm. 33) -6-

Es existieren mehrere Versionen des Buches, doch beziehe ich mich hier auf die sogenannte „Versio B“, die die erfolgreichste Fassung des Mittealters darstellte37 und die vermutlich auch Hieronymus, dem Verfasser der Vulgata, der ersten offiziellen Version der lateinischen Bibel, zugänglich war.38 39 Ausgenommen der Physiologus Theobaldi berichten alle lateinischen Fassungen des Physiologus vom Pelikan.40 Im untersuchten Physiologus heißt es nun über den Pelikan: 1. Dicit Dauid in psalmo centesimo primo: Similis factus sum pelicano solitudinis {Ps. 101.7} 2. Physiologus dicit de pelicano quoniam amator est filiorum nimis; 3. cum autem genuerit natos et coeperint crescere, percutiunt parentes suos in faciem; parentes autem eorum repercutiunt eos et occidunt. 4. Tertia uero die mater eorum percutiens costam suam aperit latus suum, et incumbit super pullos, et effundit sanguinem suum super corpora filiorum mortuorum; 5. et sic sanguine suo suscitat eos a mortuis. 6. Ita et dominus noster Iesus Christus per Isaiam prophetam dicit: Filios genui et exaltaui, ipsi autem spreuerunt me {Esai. 1.2}. 7. Genuit igitur auctor et conditor totius creaturae, omnipotens deus, nos; et cum non essemus, fecit ut essemus; 8. nos uero e contrario percussimus eum in faciem, seruientes in conspectu eius creaturae potius quam creatori. 9. Idcirco ascendit dominus noster Iesus Christus in altitudinem crucis, et percusso latere eius exiuit sanguis et aqua in salutem nostram et uitam aeternam. 10. Aqua enim est baptismi gratia, sanguis uero eius calix noui et aeterni testamenti;

37

Nikolaus Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter, Hermaea, Bd. N.F. 38, Niemeyer, Tübingen 1976, S. 27 38 Erwin Möde (Hrsg.), 2000 Jahre Christentum und europäische Kultur, Styria, Graz 1999, S. 57 39 Klaus Alpers, Artikel ‚Physiologus’, in, Theologische Realenzyklopädie (TRE), Studienausgabe Teil II: Katechumenat/Katechumenen, de Gruyter, Berlin 2000, S. 600f 40 Kevin Gröwig, Pelikan – C. – II.1 Physiologus, Bestiarie, in: http://www.animaliter.uni-mainz.de/2010/08/26/pelikan-c-ii-1-physiologusbestiarien/ (10.08.2015) -7-

11. quem accipiens in sanctis manibus suis gratias agens benedixit, et dedit nobis potum in remissionem peccatorum {cf. Marc. 1.4, Luc. 3.3} et uitam aeternam.41

Zu Beginn (Vers 1) wird ein Ausspruch, der König David zugeschrieben wird, angeführt, der von der großen Liebe, die der Pelikan seinen Kindern entgegenbringt, handelt. Dieser Ausspruch findet sich nach der heute gebräuchlichen hebräischen Zählung in Psalm 102.6.42 Im weiteren Verlauf (Verse 2 – 5) wird beschrieben, dass die Kinder des Pelikans kurz nach ihrer Geburt damit beginnen ihre Eltern zu schlagen. Daraufhin wehren sich die Eltern und schlagen zurück was zum Tode der Kinder führt. Über den Verlust verfallen die Eltern in tiefe Trauer. Drei Tage später durchstößt die Mutter ihre eigenen Rippen und ergießt ihr Blut über die Jungen, die so wiederum zum Leben erweckt werden. In den darauffolgenden Versen (Verse 6 – 11) wird dieses Geschehen im Sinne einer christlichen Heilsgeschichte interpretiert und durch Anführung diverser Bibelzitate gestützt. Die Mutter, die ihr eigenes Blut gibt und damit den Kindern ein neues Leben ermöglicht, wird als Sinnbild für den Tode Jesus Christus gesehen, der nach der christlichen Auffassung sein Leben für die Vergebung der Sünden der Christenheit gab. Darüberhinaus soll die Nennung König Davids, sowie die Erwähnung der Zahl „Drei“ dieser Interpretation Gewicht verleihen, da Jesus selbst als „Sohn Davids“ bezeichnet wird43 und die Zahl „Drei“ in der christlichen Symbolik für die Trinität steht.44

41

F.J. Carmody (Ed.), Physiologus Latinus: editions preliminaires versio B, (o.A.), Paris 1939, S. 17ff 42 Erich Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, 7. durchgesehene und erweiterte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 2008, S. 349ff 43 Matthäus 1,1 44 Dorothea Forstner u.a. (Hrsg.), Neues Lexikon christlicher Symbole, Tyrolia, Innsbruck 1991, S. 174f -8-

4.2

Die Bibelübersetzungen

Bereits im ersten Abschnitt im Teil des Physiologus, der den Pelikan behandelt, wird deutlich, dass sich die Interpretation sehr stark auf die Bibel bezieht. In diesem Fall bezieht sich die Übersetzung vermutlich auf die Schriften der Vetus Latina, die etwa um 200 n. Chr. entstand und die erste Bibel in lateinischer Sprache darstellt. 45 Allerdings beruhen diese Übersetzungen wiederrum auf den hebräischen Schriften des Tanach und dort heißt es in Psalm 102.7: ;‫ ִל ְקאַת ִמדְ בָּר‬,‫ כְּכוֹס ח ֳָרבוֹת דָּ ִמיתִ י‬,‫ ָהי ִיתִ י‬.46

Das Wort, das später in „Pelikan“ übersetzt wurde, lautet „‫„( “קָאַת‬qâ'ath“) und bezeichnet in erster Linie ein zeremoniell unreines Tier und wird an anderen Stellen als Pelikan oder Kormoran verwendet.47 Martin Luther übersetzte das Wort in seiner Übersetzung von 1545 später als „Rohrdommel“: „Jch bin gleich wie ein Rhordomel in der wüsten“. 48 Wobei davon auszugehen ist, dass diese Wortwahl auf sein Ziel zurückzuführen ist dem deutschen Volk die Inhalte verständlich zu machen49 und die Rohrdommel im Gegensatz zum Pelikan ein auch in Deutschland bekanntes Tier darstellte.

Ebenfalls ein Anhaltspunkt für die fehlerhafte Übersetzung und die ursprünglich gemeinte Bedeutung findet sich noch in der Elberfelder (1905) und der Schlachter (1951) Übersetzung in der im 14. Kapitel des 5. Buches Mose, das reine und unreine Tiere beschreibt, immer noch vom Pelikan gesprochen wird: „[...] diese sind es, die ihr von ihnen nicht essen sollt: der Adler [...] und der Pelikan“.50

45

Möde, 2000 Jahre Christentum und europäische Kultur (wie Anm. 38), S. 52 The complete Jewish Bible, in: http://www.chabad.org/library/bible_cdo/aid/16323/jewish/Chapter102.htm/mobile/false (29.08.2015) 47 Robert Laird Harris (Hrsg.), Theological Wordbook of the Old Testament, Moodys, London 2000, Wort 1979 48 Martin Luther, Die gantze Heilige Schrift Deudsch, Wittenberg 1545, Faksimileausgabe, hrsg. von Hans Volz, Band 1, Rogner & Bernhard, München 1972, S. 1052 49 Hans Volz (Hrsg.), Die Revision des Neuen Testaments und des Psalters, in: Martin Luther: Die gantze Heilige Schrift Deudsch, Wittenberg 1545, Faksimileausgabe, Band 1, Rogner & Bernhard, München 1972, S. 83-92, hier: S. 91 50 5. Mose, 14, 12-17 46

-9-

4.3

Umdeutung zum christlichen Symbol

Betrachtet man nun die beiden oben angeführten Faktoren der Bibelübersetzung aus dem Hebräischen und der fehlerhaften Interpretation des Physiologus in Kombination mit der damals fehlenden Nachprüfbarkeit dieser Auslegung durch die mangelhafte Alphabetisierungsrate und der fehlenden Möglichkeit im alteuropäischen Raum einen Pelikan zu studieren, ergibt sich daraus eine Übernahme der oben angesprochenen Theorie von einem Tier, das sich selbst opfert um seine Jungen zum Leben zu verhelfen. Umberto Eco beschreibt den mittelalterlichen Menschen als jemanden, der in einer Welt lebt, die „voll war von Bedeutungen, Hinweisen, Doppelsinnigkeiten, Manifestationen Gottes in den Dingen“, und schreibt weiter, dass es für den mittelalterlichen Menschen eine völlig normale Vorstellung war, dass der Pelikan seine Jungen durch das Aufreißen der Brust füttert und es somit auch zu einer Akzeptanz der eucharististischen Deutung kommen konnte, sodass auch dies eine Erklärungsmöglichkeit darstellt.51 Eine weitere Erklärung für die Wahl des Pelikans bzw. eines Tieres als christliches Symbol könnte die Bilderproblematik innerhalb der Kirche gewesen sein, die getreu dem dritten Gebot „ Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist“,52 daran festhielt keine Bilder von Jesus selbst anzufertigen.53 Durch die Verwendung eines stellvertretenden Symbols konnte dieses Problem umgangen werden.

5

Beispiele von der Verwendung des Pelikans in Kirchen des Mittelalters

Nachdem nun die Bedeutung von christlicher Symbolik im Mittelalter im besonderen Verhältnis zu ihrer Anordnung in den Kirchen, sowie die Erklärung für die Bedeutung und Entstehung des Symbols des Pelikans gegeben wurde, wird 51

Umberto Eco, Kunst und Schönheit im Mittelalter, Hanser, München 1991, S. 80ff Exodus 20,4 53 Gaetano Passarelli, Der Bilderstreit – Geschichte und Theologie, in: Tania Velmans (Hrsg.), Ikonen – Ursprung und Bedeutung, Belser, Stuttgart 2002, S. 21 52

- 10 -

innerhalb der folgenden zwei Abschnitte untersucht, wie diese Symbolik Anwendung in zwei ausgewählten Kirchen des Mittelalters fand und welche Schlüsse ihre Positionierung auf die erreichten Personengruppen zulässt.

5.1

Der Pelikan in den Mosaiken des Sechzehnecks des Aachener Doms

Vermutlich beschloss Karl der Große im Winter 788/789 in Aachen eine Reichsresidenz zu errichten und so von einem ambulanten zu einem sesshaften Herrscher zu werden.54 Entsprechend dazu benötigte er eine Pfalzkapelle, die er Ende des 9. Jahrhunderts selbst plante, wobei ihm sicherlich viele Berater zur Seite standen.55 Dennoch lässt sich festhalten, dass die ursprüngliche Form des Achtecks (Oktogons) auf ihn zurückgeht.56 Lange Zeit wurde geglaubt, dass der Bau am Dreikönigsfest im Jahre 805 fertiggestellt und geweiht wurde, doch ist dies mittlerweile widerlegt und die Fertigstellung wird um das Jahr 800 herum geschätzt.57 Das charakteristische Oktogon erreicht eine Höhe von 31,40 Metern und misst eine Spannweite von 14,45 Metern und es ist von einem zweigeschossigen sechzehneckigen Umgang umgeben.58 Die gesamten Decken des Oktogons und des Sechzehnecks sind mit Mosaiken bedeckt. Im Zentrum steht zwar das Mosaik in der Decke der Kuppel mit Jesus Christus und den vier Evangelisten, doch auch die Decken der äußeren Gänge zeigen die unterschiedlichsten Motive. Im Erdgeschoss, in der rechten Hälfte des Sechzehnecks, befindet sich im letzten Abschnitt vor dem Zugang zur Apsis das, schätzungsweise drei Meter breite und zwei Meter hohe, Mosaik eines Pelikans, der sich die Brust aufreißt (Abbildungen

54

Ernst Günther Grimme, Der Dom zu Aachen, Architektur und Ausstattung, Einhard, Aachen 1994, S. 15 55 Ebd. S. 19 56 Ebd. S. 18f 57 Ebd. S. 19 58 Helmut Maintz, Der Dom zu Aachen – Welterbestätte in kirchlicher Trägerschaft, in: ICOMOS–Hefte des Deutschen Nationalkomitees 57.3 (2015), S. 89f - 11 -

1 bis 3). Vor ihm sitzen drei Jungen, die mit ihren Schnabelspitzen auf die Öffnung weisen. Umrandet wird diese Darstellung von einem rechtwinklig zulaufenden Balken, dessen Spitze über dem Kopf des großen Pelikans zuläuft. Alle vier Tiere befinden sich in einem Nest, das auf einem Labyrinth-ähnlichen Abschluss ruht. Zu den Seiten dieses Nestes sind Pflanzen zu erkennen, die nicht eindeutig zu bestimmen sind.

Abbildung 1: Grundriss des Aachener Doms in seiner Grundform um 800 - Der Pfeil zeigt den Standort des Pelikan-Mosaiks an und wurde nachträglich vom Verfasser hinzugefügt

Abbildung 2: Mosaik eines Pelikans vor dem Zugang zur Apsis, Aachener Dom

Abbildung 3: Großaufnahme des Mosaiks, Aachener Dom

- 12 -

Die Positionierung in der Nähe der Apsis und somit beinahe im Osten, der Richtung, die nach Jerusalem weist, deutet zwar auf eine wichtige Bedeutung hin, doch konnten Untersuchungen feststellen, dass sich zur Zeit Karls des Großen hier keinerlei Darstellungen befanden und nur weißer Kalkstein zu sehen war.59 Die Mosaiken, die an byzantinische Kunst erinnern, stammen aus dem 20. Jahrhundert und wurden von Hermann Schaper 1889 geplant und zwischen 1902 und 1913 angebracht.60 Somit lässt sich zwar nachweisen, dass der Pelikan auch im 20. Jahrhundert noch ein bekanntes Symbol des Christentums war, doch lässt sich keine Relation zu den Menschen den Mittelalters herstellen.

5.1.1 Die Pelikane im Chorgestühl des Kölner Doms Der Erzbischof Konrad von Hochstaden legte im August 1248 den Grundstein für den Bau des heutigen Domes.61 Bis zu seiner endgültigen Vollendung vergingen zwar noch etwa 600 Jahre, doch 1322 wurde bereits der Chor eingeweiht und genutzt.62 Der Grund für den Bau war die Überführung der Reliquien der Heiligen Drei Könige, die bereits 1164 von Mailand nach Köln gebracht wurden.63 Das Chorgestühl zählt zu den ältesten Einrichtungsgegenständen des Kölner Domes und befindet sich im Binnenchor (siehe Abbildung 4). Untersuchungen des Holzes haben gezeigt, dass das Material aus dem frühen 14. Jahrhundert stammt und das Chorgestühl somit bereits bei der Einweihung des Chors vorhanden war.64 Auf diesem Chorgestühl können insgesamt 104 Personen Platz

59

Walter Maas, Der Aachener Dom, Greven, Köln 1984, S. 20 Grimme, Der Dom zu Aachen (wie Anm. 54), S. 117 61 Reinhard Matz u. Axel Schenk, Kölner Dom, Menschen, Engel, Ungeheuer, Ausstattungsdetails des Kölner Doms, Mit Texten von Rolf Lauer, Begleitbuch einer Ausstellung zur 750-Jahrfeier des Doms, Umschau/Braus, Heidelberg 1998, S. 6 62 Hiltrud Kier, Gotik in Köln, Wienand, Köln 1997, S. 39 63 Matz, Kölner Dom (wie Anm. 61) 64 Marc Steinmann, Chorgestühl von Südwesten, in: http://koelnerdom.de/index.php?id=17080 (19.08.2015) 60

- 13 -

nehmen, zu denen die 24 Domkapitulare,65 ihre Vertreter, sowie geistliche und weltliche Besucher des Domkapitels zählen.66 Die Gesamtlänge des Gestühls beträgt 22,80 Meter und hat eine Tiefe von 3,87 Metern.67 Es besteht grundsätzlich aus einer südlichen und einer nördlichen Seite, die jeweils in zwei Sitzreihen unterteilt werden. Unterbrochen werden die hinteren Sitzreihen nach dem 9. und dem 18. Sitz, die vorderen Reihen lediglich nach dem 13. Sitz. Auf der Nordseite ist ein Sitz dem Papst und auf der Südseite ein Platz dem Kaiser vorbehalten.68 Grundsätzlich besteht jeder Sitz aus einer klappbaren Sitzfläche und zwei Trennstücken, die mit einem Knauf verziert wurden. Unter dem Sitz befindet sich ein geschnitztes Kunstwerk, das als Vierpass bezeichnet wird. 69 Es besteht zumeist aus zwei nebeneinander liegenden Bildern und eigentlich dient es der Stabilität der Konstruktion.70

65

Ein Kapitular ist nach dem Recht der römisch-katholischen Kirche ein Priester, dem allein oder in Gemeinschaft mit anderen Priestern, dem Kapitel, die Aufgabe anvertraut ist, an einer Kathedralkirche oder einer Kollegiatkirche feierliche Gottesdienste zu halten und alle vom Bischof übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Ebenfalls beraten Sie den Erzbischof. 66 Kier, Gotik in Köln (wie Anm. 62), S. 39 67 Ulrike Bergmann, Das Chorgestühl, mit Fotografien von Reinhard Matz und Axel Schenk, in: Meisterwerke des Kölner Domes 3, Verlag Kölner Dom, Köln 1995, S. 6 68 Ebd. S. 9 69 Ebd. S. 5 70 Ebd. - 14 -

Abbildung 4: Grundriss des Kölner Doms - Die rote Markierung zeigt die Position des Chorgestühls, der Pfeil den Standort der Pelikane an und wurde nachträglich vom Verfasser hinzugefügt

Abbildung 5: Chorgestühl Südost des Kölner Doms

Die Schnitzereien dieses Gestühls zeigen die unterschiedlichsten Motive aus der antike Mythologie, der Bibel, diverse Fabelwesen, aber auch Darstellungen aus dem Alltag der Menschen sind zu finden, was dafür spricht, dass die Handwerker relativ frei in ihrer Gestaltung waren.71 Im südöstlich positionieren Teil des Chorgestühls befindet sich in der hinteren Reihe, zwischen dem 12. und 13. Sitz, ein Knauf, der einen Pelikan darstellt (siehe Abbildung 6). Dieser Knauf ist schätzungsweise zwischen 15 und 20 cm hoch, 10 cm breit und 15 cm tief. Es ist zu erkennen, dass der Pelikan seinen Schnabel leicht geöffnet auf seiner Brust positioniert hat und diese somit öffnen 71

Matz, Kölner Dom (wie Anm. 61), S. 31 - 15 -

möchte. Das Tier selbst steht auf einem Nest aus Eichenlaub. In diesem Nest befinden sich drei kleine Schnitzereien, welche die toten Jungen des Pelikans zeigen sollen. Es handelt sich somit um die im Physiologus beschriebene Szene in der der Pelikan sich selbst opfert um seine Jungen zu retten.72

Abbildung 6: Knauf SI 12/13 am Chorgestühl des Kölner Doms

Ebenfalls im diesem Bereich, jedoch in der vorderen Reihe, nur leicht versetzt zu dem vorherig beschriebenem Bild, befindet sich ein einem Vierpass eine weitere Darstellung eines Pelikans, der sich gerade die Brust aufreisst (siehe Abbildung 7). Dieser Vierpass ist schätzungsweise 50 cm breit und 25 cm hoch. Die linke Seite ziert einen Löwen, der sich im Kampf mit einem anderen Löwen befindet.

Abbildung 7: Vierpass SII.12 im Chorgestühl des Kölner Doms

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Marc Steinmann, Knauf SI 12/13, Pelikan, in: http://koelnerdom.de/index.php?id=18046 (19.08.2015) - 16 -

Diese Symbole an dieser Stelle zu platzieren machte durchaus Sinn, denn das gesamte Chorgestühl, vor allem die Knäufe, sollten der moralischen Erziehung der Geistlichen dienen. 73

Schließlich sitzen hier bis heute vor allem die

Domkapitulare, die den Erzbischof beraten sollen.74

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Fazit

Wie der Pelikan Eingang in die christliche Mythologie fand, konnte anhand der guten Quellenlage mit Hilfe des Physiologus und den diversen Übersetzungen der Bibel seit der frühchristlichen Zeit im ersten Teil dieser Hausarbeit dargestellt werden. Zum einen berichten die meisten Physiologi von dem Pelikan und der am weitesten verbreitete war dem ersten offiziellen Übersetzer der Bibel in die lateinische Sprache zugänglich. Zusammenfassend lässt sich hierzu sagen, dass eine Kombination aus Unkenntnis und mangelhaften Übersetzungen diverser Schriftstücke zu der Mystifizierung des Pelikans und zur Metamorphose zu einer Symbolfigur geführt hat. Ebenfalls lässt sich vermuten, dass die Bilderproblematik innerhalb der Kirche eine Rolle gespielt hat um möglicherweise eine alternative Darstellungsform zu Ikonen, entsprechend dem dritten Gebot bieten. Die Frage nach der Zugänglichkeit einzelner Personengruppen des Mittelalters ließ sich im zweiten Teil der Arbeit nicht vollständig beantworten. Fest steht, dass Kleriker und Menschen, die Klosterschulen besucht haben, von dem Pelikan als Symbol der Eucharistie gewusst haben. Dies lässt sich anhand der Darstellung und Positionierung des Pelikans im Kölner Dom nachweisen, sowie durch die Tatsache, dass in Klosterschulen der Psalter gelesen wurde in dem der

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Matz, Kölner Dom (wie Anm. 61), S. 35 Ute Kaltwasser, Der Kölner Dom wie ihn keiner kennt, Zeichnungen von Günter Merkenich, Vorwort von Dombaumeister Arnold Wolff, Du Mont, Köln 1980, S. 75 - 17 -

Hinweis auf dieses Tier enthalten ist. Hinzu kommt, dass der Physiologus ein weit verbreitetes Buch des Mittelalters war und es nahe liegt, dass Lesekundige („litterati“)75 seinen Inhalt kannten. Dennoch lässt sich die Frage nicht vollständig beantworten, denn allein die Tatsache, dass etwas niedergeschrieben war und zumindest Lesekundige Kenntnis von dem Symbol des Pelikans hatten, sagt uns gerade in der Welt des Mittelalters, in der Oralität eine große Rolle spielt, nicht genügend aus. Ebenfalls hinzu kommt, dass das Chorgestühl zwar von Geistlichen in Auftrag gegeben wurde und sicherlich zu einem gewissen Grad geplant wurde, doch lassen gerade die vielen Darstellungen aus dem Alltag der Menschen darauf schließen, dass die Handwerker relativ frei in ihren Gestaltungsmöglichkeiten waren. Dies könnte darauf hinweisen, dass auch die Handwerker, die zu den „illiterati“ gehörten, von dem Symbol Kenntnis hatten. Doch auch wenn wir diesen Zusammenhang nur erahnen können, lässt sich allein an der Positionierung des Symbols in den Kirchen des Mittelalters immer noch ablesen für wen dieses Symbol bestimmt war. Aber auch bei der Bestimmung von solchen Relationen eröffnen sich Grenzen, denn stilistische Ansprüche, Anpassungen an neue Gegebenheiten und Zerstörungen haben auch vor den Kirchen nicht Halt gemacht und erschweren die Möglichkeiten anhand von Positionierungen einzelner Gegenstände oder Symbole Relationen zu den Menschen des Mittelalters herzustellen, wie es sich bei dem dargelegten Beispiel am Aachener Dom zeigt. Hier waren die Wände, abgesehen von der Christusdarstellung in der Kuppel des Oktogons, bis in das 19. Jahrhundert weiß und die heutigen Mosaike wurde erst in der Neuzeit erstellt. Dennoch wirft dieses Beispiel neue Fragen auf, die einer weiteren Untersuchung würdig sind: Warum ist das Symbol des Pelikans heute weitestgehend unbekannt? Wann und warum endete der damalige Bekanntheitsgrad, wenn doch noch bis ins 19. und 20. Jahrhundert damit gearbeitet wurde? 75

Griep, Geschichte des Lesens (wie Anm. 2), S. 199 - 18 -

Abschließend lässt sich sagen, dass die Entwicklung von dem Symbol des Pelikans, der sein Leben gibt um das seiner Jungen zu retten, sicherlich ein interessantes Beispiel darstellt um aufzuzeigen wie wichtig allegorische und metaphorische Bilder für die Menschheit waren und sind – und dass der Ursprung, in diesem Fall eine fehlerhafte Beobachtung, immer wieder in den Hintergrund tritt.

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Quellenverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 (S. 12): Georg Dehio, Die kirchliche Baukunst des Abendlandes, Band 1, Zweites Buch: Der romanische Stil, Cotta, Stuttgart 1892, S. 153 Abbildung 2 (S. 12): Archiv des Verfassers, Aufnahme vom 11. Juli 2015 Abbildung 3 (S. 13): Archiv des Verfassers, Aufnahme vom 11. Juli 2015 Abbildung 4 (S. 15): Ernst Götzinger, Reallexicon der Deutschen Altertümer, Urban, Leipzig 1885, S. 304 Abbildung 5 (S.15): Dombauhütte Köln, Matz und Schenk, in: http://koelnerdom.de/index.php?id=17077 Abbildung 6 (S. 16): Dombauhütte Köln, Matz und Schenk, in: http://koelnerdom.de/index.php?id=18046

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Abbildung 7 (S. 16): Ulrike Bergmann, Das Chorgestühl, mit Fotografien von Reinhard Matz und Axel Schenk, in: Meisterwerke des Kölner Domes 3, Verlag Kölner Dom, Köln 1995, S. 18

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