DER MYSTIKER UND PHILOSOPH MEISTER ECKHART

SWR2 GLAUBEN Visionen der Einheit DER MYSTIKER UND PHILOSOPH MEISTER ECKHART Von Michael Reitz SENDUNG 01.01.2011 /// 12.05 UHR Bitte beachten Sie: ...
Author: Fritzi Junge
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SWR2 GLAUBEN Visionen der Einheit DER MYSTIKER UND PHILOSOPH MEISTER ECKHART Von Michael Reitz

SENDUNG 01.01.2011 /// 12.05 UHR

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Musik, unter Text: Propaganda „Dream within a dream“

Zitator: Füllt man ein Fass mit Wasser, so ist das Wasser im Fass mit dem Fass vereint, aber nicht mit ihm eins. Denn wo Wasser ist, da ist nicht das Holz des Fasses, und wo Holz ist, da ist nicht das Wasser. So ist es aber mit der Seele nicht. Die wird eins mit Gott und nicht vereint, denn wo Gott ist, da ist die Seele, und wo die Seele ist, da ist Gott.

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Sprecherin: Gedanken, die über siebenhundert Jahre alt sind. Sie stammen von dem Theologen und Philosophen Meister Eckhart, der wahrscheinlich um 1260 in der Nähe des thüringischen Gotha geboren wurde und der bis heute als einer der einflussreichsten Denker und spirituellen Lehrer gilt. Wer war dieser Mann, der auf Lateinisch schrieb aber auf Deutsch predigte, weil er von den einfachen Leuten verstanden werden wollte? Der das religiöse Denken und Empfinden des Spätmittelalters wie kaum ein anderer beeinflusste und der schließlich in Köln der Ketzerei angeklagt wurde? Bereits früh tritt Eckhart von Hochheim in den Dominikanerorden ein. Er studiert an der Hochschule seines Ordens in Erfurt Philosophie und Theologie, gilt bei seinen Lehrern als hochbegabt und extrem belesen. Nach seinem Abschluss schickt ihn die Ordensleitung zum Studium nach Paris – eine enorme Auszeichnung, denn die dortige Lehranstalt gilt in der damaligen Zeit als Eliteuniversität. Eckhart von Hochheim erwirb den Titel des Meisters und wird an der Pariser Hochschule zum Professor ernannt. Schon ein Jahr später kehrt er nach Deutschland zurück und wird Ordensprovinzial für Sachsen, später auch für Böhmen. Ihm obliegt die Beaufsichtigung der dominikanischen Klöster in diesen Gebieten. Gleichzeitig predigt und schreibt Meister Eckhart – und was er denkt und nach außen trägt, sind alles andere als beruhigende Sonntagsreden. Denn der Meister ist kein Theologe der Beschwichtigung: Er bringt das damalige Massenelend und die Prunksucht des adligen Reichtums zur Sprache, wie Edward Fröhling, Theologe an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar erzählt. 2

O-Ton (1) Fröhling: Die Gesellschaft damals im Spätmittelalter, die wohl auch eine sehr zerrissene Gesellschaft gewesen ist, die Armutsbewegung, der Eckhart als Dominikaner ja angehört hat, die haben sich sehr ausdrücklich gegen ungerechte gesellschaftliche Strukturen gewandt, im bewussten Verzicht auf persönlichen Reichtum – auch als Kritik natürlich am Wirtschaftsleben der explodierenden Städte. Dann liegt es nicht sehr weit zum Thema zu kommen, dass der Mensch im Grunde seinen Wert nicht durch seinen Besitz, wie auch immer der geartet ist, oder sein Wissen erhält, sondern in der wirklich Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen begründet, einen Reichtum hat, der unabhängig ist von seinem materiellen Besitz.

Zitator: Einmal kam ein Mensch zu mir und sagte, er hätte einen großen Besitz weggegeben an Land und Gütern, zu dem Zweck, dass er seine Seele rettete. Da dachte ich: Ach, wie wenig und Unbedeutendes hast du doch losgelassen! Es ist eine Blindheit und eine Torheit, solange du noch auf das schaust, was du gelassen hast. Hast du dich selbst gelassen, dann hast du wirklich losgelassen.

Sprecherin: Erst wenn der Mensch von sich selber absieht, von dem, was er nach außen hin sein möchte – so Meister Eckhart, ist er in der Lage, zu einer Erkenntnis des Göttlichen zu gelangen. Diese Betonung des Loslassens hat oft dazu geführt, in ihm einen Mystiker zu sehen, einen Visionär, der die verstandesmäßige Erkenntnis Gottes bestreitet, nur

seinem

religiösen

Gefühl

und

der

Praxis

der

völligen 3

Weltabgeschiedenheit vertrauend. Doch ganz so einfach ist die Verortung der spirituellen Dimension Meister Eckharts nicht. Denn sein Denken ist vielschichtig und widersetzt sich eindeutigen Zuordnungen. Das beginnt schon bei dem Begriff „Mystik“, erläutert der Münsteraner Philosoph und Yogalehrer Eckard Wolz-Gottwald.

O-Ton (2) Wolz-Gottwald: Das ist ein Begriff, der heute vielfach gebraucht wird (...) man spricht ja von mystisch und von Mystik, wenn man in der Dunkelheit ein paar Kerzen aufstellt und eine mystische Atmosphäre herstellt. Manche gehen dann weiter und sagen, Mystik ist, wenn

der

Mensch

sich

für

Jenseitserfahrungen

öffnet,

für

Transzendenzerlebnisse, für Visionen. Wenn wir Eckhart mit Mystik in Verbindung bringen, dann geht es mehr um Mystik als einen Weg der inneren Transformation,

des Loslassens,

des Öffnens für

ein

ursprüngliches Leben. Wenn wir Mystik so verstehen, als einen Lebensweg zu einer ursprünglichen Existenz, zu einer Erfahrung des ursprünglichen Lebens, dann müsste Meister Eckhart wohl in den Bereich Mystik eingeordnet werden.

Sprecherin:

Das

Wort

Mystik

stammt

ursprünglich

aus

dem

Altgriechischen und bedeutet „sich verschließen“ oder auch „die Augen und Ohren absperren“. Heute wird der Begriff meist in einer den Verstand ausschließenden Weise verstanden. Wer sich in diesem Sinne der mystischen Dimension des Lebens öffnen möchte, müsse den Verstand ausschalten und sich nur dem Gefühl, der Intuition

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überlassen. Eine Vorstellung, die dem Denken Meister Eckharts nicht gerecht wird, wie Edward Fröhling meint.

O-Ton (3) Fröhling: Die Mystik oder das, was man darunter oft versteht, hat halt immer diesen Beiklang des Irrationalen oder des nicht Beweisbaren, nicht Nachvollziehbaren, etwas, was Privatbesitz eines einzelnen ist. Und dagegen wehrt sich Eckhart sehr vehement. Das, was er verstanden hat, sagt er, das ist jedem Menschen zugänglich. Dafür brauche ich keine Sonderbegabung – auch keine religiöse Sonderbegabung –, sondern das kann ich als Mensch. Rein sachlichtheologisch würde ich sagen, ich kann Eckhart gut als Mystiker bezeichnen, aber das, was heutzutage auf dem Büchermarkt als Mystik läuft, davor würde ich Eckhart gerne schützen, weil ich finde, das misshandelt ihn wirklich.

Sprecherin: Meister Eckhart geht es sehr wohl um die Erfahrung der Einswerdung mit Gott, jener „Unio Mystica“, von der in der mittelalterlichen Theologie so oft die Rede ist. Doch sieht er sie nie als etwas, das nur den Wenigsten möglich ist – etwa nach jahrelangen entsagungsvollen Übungen. Für ihn sind die Orte der Verschmelzung des Menschen mit Gott denkbar einfach: die eigene Seele sowie das alltägliche Leben.

O-Ton (4) Fröhling: Die Einheit des Menschen mit Gott - die ist eben nicht durch Meditation zu erreichen, sondern auf der einen Ebene besteht diese Einheit und sie kann durch Schärfung der Vernunft im 5

Alltag wirksam gemacht werden (...) Eckhart sagt manchmal, dieses Innere, was mich schon längst prägt, das soll sich entäußern. Es muss wirksam werden. Und dadurch werde ich das, was ich im Grunde schon längst bin (...).

Sprecherin: Gott und Seele sind ebenbildlich, jedoch ist der Mensch sich dessen nicht bewusst. Hier kommt für Meister Eckhart der Verstand ins Spiel. Er ist einer der ersten Theologen, die ihm eine mindestens ebenso wichtige Rolle zubilligen wie dem Glauben. Die Bochumer

Theologin

und

Meister

Eckhart-Forscherin

Irmgard

Kampmann.

O-Ton (5) Kampmann: Er hat die Theologie auf eine Weise betrieben, die in der damaligen Zeit eigentlich unzeitgemäß war. Man hatte sich nach Thomas von Aquin darauf geeinigt, dass die Theologie und die Philosophie getrennte Wege gehen. Und die Quelle für theologisches Wissen ist die Offenbarung und die Quelle für die Philosophie ist die natürliche Vernunft. Eckhart hatte sich aber zum Programm gemacht, ein älteres Verständnis von Theologie, nämlich die Bibel, mit der Vernunft auszulegen, mit den natürlichen Gründen der Philosophen auszulegen und zu gucken, welche Bedeutung dann aus den alten Bibelworten zutage tritt für alle Menschen – also nicht nur Sicherung der Institution Kirche und zur Stärkung ihrer Interessen, sondern für den einzelnen suchenden Menschen.

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Sprecherin: Diesem einzelnen suchenden Menschen vermittelt Meister Eckhart, dass die Evangelien eine Quelle vernünftiger Einsicht sind und er fordert dazu auf, die Nachfolge des Gottessohnes in der alltäglichen Praxis zu leben. Das ist die pragmatische und von der Vernunft geleitete Seite der Theologie Eckharts: werde Sohn, lebe du selbst heute das Leben des Gottessohnes. Auf der anderen Seite betont er jedoch, dass das Mysterium Gottes durch den Verstand allein nicht zu erfahren ist. Die Wahrheit, die sich dahinter verbirgt, tut sich erst in Lebensexperimenten auf, die nichts als feststehend und für immer gültig betrachten, die weiterfragen und auf intuitive Erkenntnis vertrauen. Meister Eckhart empfiehlt einen Lebensweg, den der Dichter Hermann Hesse – selbst ein glühender Verehrer des Philosophen – in seinem Roman „Das Glasperlenspiel“ aufgegriffen hat: ständig zwischen der vita activa und der vita contemplativa hin und her zu wandern, zwischen dem betriebsamen Dasein einerseits und der betrachtenden, meditativen Existenz andererseits. Ein Prozess der permanenten Gott-Annäherung, den Meister Eckhart in einem Gleichnis beschreibt:

Zitator: Gott strebt danach, dass er sich uns völlig gebe. In gleicher Weise, wie wenn das Feuer das Holz in sich ziehen will und sich wiederum in das Holz; dann befindet sich das Holz als ihm ungleich. Darum bedarf es Zeit. Zuerst macht das Feuer das Holz warm und heiß. Und je heißer das Holz dann wird, desto stiller und ruhiger wird es, und je gleicher das Holz dem Feuer ist, desto friedlicher ist es, bis es ganz und gar Feuer wird. 7

Musik: Propaganda „Dream within a dream“

O-Ton (6) Kampmann: Und wenn ich mich dann der Wirklichkeit zuwende, also ein offener und gelassener Mensch, der nicht seine eigenen Schemen nur verfolgt und seinen Tunnelblick hat, sondern wirklich offen der Wirklichkeit begegnet, dann sagt mir die Wirklichkeit von sich her, was zu tun ist. Deswegen ist der Begriff der Gerechtigkeit bei Eckhart dann auch so wichtig, die für Gott ein Synonym ist. Die Gerechtigkeit sollen wir lieben und das Gerechte sollen wir hier und jetzt tun wollen. Es ist einerseits eine ganz empfängliche Grundhaltung, mich wirklich einzulassen auf die Wirklichkeit und das andere ist von da ausgehend, an der Gerechtigkeit orientiert, wirklich auch die Ärmel hochzukrempeln und die Welt zum Besseren zu verändern.

Sprecherin: Die Welt hatte es auch schon damals nötig, sich zum Besseren verändern zu lassen. Ein Indiz dafür sind die sogenannten Beginen - die wahrscheinlich erste weibliche Selbsthilfegruppe der Menschheitsgeschichte. Zumeist Witwen von Kreuzrittern, waren sie in der spätmittelalterlichen Gesellschaft vollkommen rechtlos und verarmt. Sie schlossen sich in den Städten zu Gemeinschaften zusammen und halfen

sich

gegenseitig.

Außenseiterinnenlage

stellten

Aufgrund sie

ihrer in

der

gesellschaftlichen mittelalterlichen

Ständegesellschaft, in der alles seinen Platz hatte, einen politischen Unsicherheitsfaktor dar. Modern gesprochen waren sie sozialer Sprengstoff, der jederzeit explodieren konnte - zumal niemand so 8

genau wusste, was die Beginen in ihren Häusern eigentlich machten. Sie waren eine oppositionelle und zeitkritische Komponente, berühmt für ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein. Ihnen galt Meister Eckharts Sympathie, wie Edward Fröhling erzählt.

O-Ton (7) Fröhling: Bei den Beginen würde ich sagen, dass es wirklich in erster Linie die Frage nach der Freiheit und Verantwortlichkeit des Einzelnen ist, also die Frage: Dürfen Frauen in selbstständigen Kommunitäten leben, ohne männliche Aufsicht? Dürfen Frauen Theologie betreiben? Können die das überhaupt? Sind Frauen vernunftbegabt? Das ist etwas Interessantes: Der Eckhart ist da sehr sublim. Der spricht einfach, finde ich, bei vielen Punkten, wo seine Zeitgenossen Männern etwas zusprechen, grundsätzlich dann vom Menschen. Und man weiß, dass er auch vor den Beginen (...) gepredigt hat und dass diese Gedanken offensichtlich diese Frauen ermutigt haben, ihren eigenen Weg zu gehen, unabhängig von kirchlicher, aber auch gesellschaftlicher Kontrolle – selber zu denken, eigenständig zu leben, sich der eigenen Vernunft zu bedienen, kann man fast modern dann schon sagen.

Sprecherin: In seinen Predigten und Traktaten erwähnt Meister Eckhart die Beginen mit keinem Wort – wahrscheinlich auch deshalb, weil für ihn als Dominikanermönch selbstverständlich ist, auf ihrer Seite zu stehen. Denn sein Orden hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht in der Einsamkeit, sondern mitten in der Stadt zu leben, um das Elend der Menschen, den täglichen Kampf ums Dasein zu teilen. Hinzu kommt 9

das Motto der Dominikaner: „Contemplari et contemplata aliis“ – Betrachten und die Resultate des Betrachtens an die Mitmenschen weitergeben. Meister Eckhart radikalisiert dieses Prinzip, indem er es auf die gesellschaftliche Realität ausweitet: Reichtum – ob materieller oder spiritueller Art – ist dazu da, etwas davon abzugeben.

Zitator: Soll man nicht ungelehrte Leute lehren, so wird niemals wer gelehrt, und so kann niemand dann lehren oder schreiben. Denn darum belehrt man die Ungelehrten, dass sie aus Ungelehrten zu Gelehrten werden. Gäbe es nichts Neues, so würde nichts Altes.

Sprecherin: Was man weiß und erfahren hat, weitergeben. Was es auch immer ist an Gaben, Fähigkeiten, Einsichten, aber eben auch an materiellem Besitz, nicht für sich zu behalten, sondern es als Geschenk zu betrachten, das auch anderen gehört. Meister Eckhart vergleicht das mit der strahlenden Sonne, die ihre Kraft spendet, ohne zu berechnen. Alles muss wieder in diesen Kreislauf eingespeist werden, der die Welt am Leben erhält. Wer so denkt und handelt, für den zählen die üblichen Maßstäbe von Verlust und Gewinn nicht mehr.

Zitator: Ich setze den Fall, ein Mensch habe hundert Taler. Davon verliert er vierzig und behält sechzig. Will der Mensch nun immerfort an die vierzig denken, die er verloren hat, so bleibt er ungetröstet und bekümmert. Wie könnte auch der getröstet sein, der sich dem Schaden zukehrt und dem Leid ...? Wäre es aber so, dass er sich den sechzig Talern zukehrte, die er noch hat, so würde er sicherlich getröstet. 10

O-Ton (8) Kampmann: Es ist ja so, dass wir Menschen oft jammern über das, was wir gerade verloren haben. Und Eckhart sagt, weite doch mal deinen Blick auf das, was du jetzt noch hast. Guck nicht so fixiert auf das Einzelne was dir fehlt, guck auf das Ganze – was hast du eigentlich? Worin besteht eigentlich dein Reichtum? Und das ist auch wieder diese Bewegung weg von der Fokussierung aufs Einzelne, hin zum Gesamtzusammenhang. Wenn ich den Gesamtzusammenhang in meinem Denken herstelle und dann auch in meinem Fühlen, dann relativiert sich der einzelne Verlust und ich kann dann sagen, ja, sicher, ich habe etwas verloren, aber eigentlich kann ich immer noch aus der Fülle leben. Und auf dieser Basis kann ich dann weitergehen, getröstet und auch ermutigt, dass mir weiter mein Leben ins Offene hinein möglich ist.

Sprecherin: Alles ist mit allem verbunden, jede Art von Trennung ist künstlich, vom Menschen geschaffen und Produkt seines egoistischen Denkens, das ihn nur an sich selbst denken lässt – so Meister Eckharts Klage über Gewinn- und Geltungsstreben. Jeder möchte etwas Besonderes sein und bemerkt nicht, dass er sich bei solchen Lebensentwürfen nur nach dem richtet, was von außen kommt. Er tut, was alle tun. Obwohl schon siebenhundert Jahre alt ist das doch eine kritische Diagnose, die auch heute noch gilt, meint der Philosoph Eckard Wolz-Gottwald.

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O-Ton (9) Wolz-Gottwald: Wenn wir uns definieren aus der Anzahl unserer Geburtstagskarten, die wir bekommen oder nach der Größe unseres Hauses oder unseres Bankkontos, dann ist das mehr unser normales Ich, unser normales Selbstverständnis, das ist schon was Besonderes, wenn es Menschen gibt, die zu sich selbst gefunden haben, die authentisch leben, die religiös formuliert aus ihrem göttlichen Urgrund leben – das ist dann vielleicht nicht spektakulär, das ist dann nicht jemand, der sagt, schaut her, was für wunderbare Erfahrungen ich gemacht habe, das sind vielleicht Menschen, die ganz einfach leben. Und Meister Eckhart beschreibt ja solche Menschen, eigentlich geht es nur dadrum, einfach das zu sein, was man ursprünglich ist, aber es scheint so schwer zu sein, das zu werden, was wir ursprünglich und eigentlich sind. Und insofern (..) ist es doch durchaus möglich zu sagen, einfach zu leben (...) das ist wirklich was Besonderes und entzieht sich auch dem normalen alttäglichen Verständnis. Deshalb wäre es auch durchaus möglich, das als Mystik zu bezeichnen.

Sprecherin: Lange Zeit galt Meister Eckhart unter Philosophen und Theologen als reiner Mystiker, der mit Johannes vom Kreuz oder Teresa von Àvila in eine Reihe gestellt wurde. Doch eine solche Etikettierung wird dem Denken dieses spirituellen Lehrers nicht gerecht, wenn man Mystik nur als der Vernunft gegenübergestellt sieht. Denn Meister Eckhart hat lange vor der Epoche der Aufklärung die Einheit von Vernunft und Glauben vertreten und immer darauf bestanden, dass Gott auch mittels der Vernunft erkannt werden kann. Für den Psychotherapeuten

und

philosophischen

Praktiker

Thomas 12

Polednitschek ist Meister Eckhart deshalb ein Vermittler zwischen den beiden Polen Verstand und Intuition, einer, der das Mysterium lehrt – ein Mystagoge.

O-Ton (10) Polednitschek: Mystagogie heißt für mich, Einweisung (..) in das Geheimnis. Ich unterscheide gerne zwischen dem Rätsel und dem Geheimnis. Rätsel sind prinzipiell auflösbar, während das Geheimnis ja eigentlich immer größer wird, je mehr ich mich auf dieses Geheimnis einlasse (...) An dieser Stelle ist Eckhart ein Einweiser in das Geheimnis, das (...) in letzter Instanz Gott selber ist, als absolutes Geheimnis.

Musik: Propaganda „Dream within a dream“

Zitator: Der Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemüt daran gewöhnen, Gott allezeit gegenwärtig zu haben im Gemüt und im Streben und in der Liebe. Achte darauf, wie du deinem Gott zugekehrt bist, wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle: Diese selbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheit.

Sprecherin: Wenn Meister Eckhart ein Mystiker ist, dann keiner von der Art, für den weltflüchtiges Nichtstun kennzeichnend ist. Für ihn kommt es darauf an, in allen Dingen und Lebenssituationen Gott zu ergreifen. Denn Meister Eckhart versteht sich nicht nur als Gelehrter, als „Lesemeister“, sondern auch als „Lebemeister“: Der Gottesdienst 13

beginnt

unmittelbar

Spätmittelalters

im

geradezu

Nächstliegenden revolutionäre



für

Gedanken,

die wie

Zeit

des

Irmgard

Kampmann meint.

O-Ton (11) Kampmann: Und die Lebemeister – das war kein Berufsstand, den es schon gegeben hätte, aber damit ist gemeint, Menschen, die etwas zu sagen haben, was uns im Leben weiterhilft. Und das ist in der Spätscholastik entstanden, im Spätmittelalter, wo der Diskurs an den Universitäten immer weiter sich entfernt hatte von den wirklichen Lebensproblemen. Am Anfang war die Scholastik im Frühmittelalter, als sie entstand, noch mit Lebensproblemen befasst, mit dem, was die Menschen wirklich umtrieb. Nicht die Handwerker, aber doch die gut ausgebildeten Leute in den Klöstern. Und dann wurde das immer mehr l’art pour l’art und drehte sich um die Probleme, die nur von Büchern aus Büchern entstanden. Das Spätmittelalter suchte doch ein Wissen, was für den einzelnen Menschen in seinen vielfältigen Lebensbezügen von Nutzen sein könnte. Und deswegen hat man dem Lebemeister,

also

demjenigen,

der

lebensrelevantes

Wissen

weiterzugeben hatte, einen höheren Rang zugesprochen als dem bloßen Universitätslehrer.

Sprecherin: Doch wie kann ein heutiger Mensch sich an Meister Eckhart orientieren, der vor über siebenhundert Jahren Lese- und Lebemeister war? Indem er von ihm lernt, dem Alltag die Bedeutung zu geben, die ihm als Ort der Gotteserfahrung und Selbsterfahrung zusteht, meint Thomas Polednitschek. 14

O-Ton (12) Polednitschek: Es gibt ein Thema, das für mich ganz wichtig ist und das ist das Thema Gewichtsverlust. Dass an Mensch und Welt kein Gewicht mehr hängt heute (...) Ich lese Eckhart als jemanden, der Mensch und Welt genau dieses Gewicht gibt, indem er eben von der Gottesgeburt in der Seele spricht, indem er das Sein mit Gott identifiziert, das also (...) in unserer geheimnisleer gewordenen Moderne (..) schon längst verlorenengegangen ist (...) Ganz viele Menschen, so wie ich sie auch begleite und wie ich sie kennen gelernt habe, leiden an diesem Gewichtsverlust (...) Das gleicht so Hans im Glück, der am Anfang einen Goldklumpen besitzt und am Ende sich glücklich wähnt, weil er gar nichts mehr hat. (...) Ich lese eben deswegen Eckhart so gerne, weil er mich zeitdiagnostisch sehr sensibel und empfindlich macht für (...) Verluste, für Themen, die also so, wenn ich mich einfach nur im Rahmen und Bewusstsein des modernen Denkens bewege nicht in den Blick kommen.

Sprecherin:

Meister

Eckhart

ist

der

Denker

des

spirituellen

Geheimnisses, resümiert Thomas Polednitschek. Gott ist für Meister Eckhart keine Person im Himmel, sondern er ist das Eine, Allumfassende. Die vielen Dinge, die uns trösten können und ablenken in unserem alltäglichen Leben stehen nur dann in einer Konkurrenz zu Gott, wenn sie losgelöst sind von dieser Einheit. Das heißt, wenn der Blick nur auf die berufliche Karriere gerichtet ist, das persönliche Renommee, das Einkommen, dann löst sich der Mensch aus seiner Eingebundenheit ins Ganze, verliert den Bezug zum Göttlichen – für 15

Meister Eckhart wäre ein solcher Weg die Garantie dafür, niemals glücklich zu werden. Was für ihn zählt, ist der Grund der Seele, auf dem die Einswerdung mit Gott geschieht, die Gottesgeburt im Menschen. Was darunter zu verstehen ist, beschreibt der Philosoph Eckard WolzGottwald.

O-Ton (13) Wolz-Gottwald: Gottesgeburt ist ja ein traditioneller Begriff, die Christen gehen davon aus, dass Gott in Jesus von Nazareth vor 2000 Jahren geboren wurde, er nimmt diesen Begriff und diesen Glauben und sagt, ja, das ist gut, wenn Gott vor 2000 Jahren geboren worden ist, aber noch besser ist es, wenn der Mensch erkennt, dass Gott in jedem einzelnen Christen geboren wurde, nicht nur geboren wurde, sondern geboren wird, und dass der Mensch sich für dieses Geborenwerden Gottes im Menschen öffnet und somit Gott lebendig werden lässt in seinem eigenen Leben.

Zitator: Wenn wir Gott alles aufdecken, so deckt er uns wiederum alles auf, was er hat. Und er verdeckt vor uns in Wahrheit nichts von alledem, was er zu bieten vermag, weder Weisheit noch Wahrheit noch Geheimnis. Decken wir ihm das Unsrige nicht auf, so ist es kein Wunder, wenn er uns das Seinige nicht aufdeckt, denn es muss ganz gleich sein: wir ihm wie er uns.

O-Ton (14) Kampmann: Er hat beides begrifflich getrennt, Seele und Seelengrund, Gott und Gottheit, und hat trotzdem gesagt, ich verzichte nicht auf diesen Begriff von Grund, weil das mir so wichtig ist, dass wir 16

dieses lebendige Leben in uns haben. Und aus dem leben wir immer schon. Es ist nicht ein jenseitiges Leben in der Einheit Gottes, was wir nach dem Tod vielleicht geschenkt bekommen, sondern das ist das Leben hier und jetzt, aus dem wir jetzt schon leben. Wir sind jetzt schon in einer Unmittelbarkeit zur Gottheit. Wir schöpfen aus dem göttlichen Leben unmittelbar. Und um diesen Gedanken zu denken und deutlich zu machen, brauchte Eckhart das Wort vom Seelengrund.

Sprecherin: Heute wissen wir zwar wenig über das Leben Meister Eckharts; es scheint jedoch sicher, dass diese Ideen zwar im Volk sehr großen Anklang fanden, bei einigen Theologen und Kirchenoberen aber nicht nur auf Ablehnung, sondern sogar auf Feindschaft stießen. Eckharts Nähe zu den Beginen, seine Betonung des tätigen Lebens, seine Beredsamkeit und seine hohe Intelligenz weckten Argwohn und Neid. Im Jahr 1324 wird Meister Eckhart von seinem Orden nach Köln geschickt, um an der dortigen Klosteruniversität zu unterrichten. Ein Jahr später wird Meister Eckhart zu einem Fall für die Inquisition. Wie es dazu kommen konnte, beschreibt der Dominikanerpater und Kirchenhistoriker Elias Füllenbach.

O-Ton (15) Elias: Er wurde der Häresie angeklagt, der Ketzerei, als würde er Lehren vertreten, die der katholischen Lehre und dem Glauben widersprächen (...) Und man hat, das war damals eigentlich ein

relativ

übliches

Verfahren

aus

seinen

Werken

Sätze

herausgenommen und die waren natürlich dann völlig kontextlos, dadurch auch missverständlich (...) Da ist so ein bisschen das Problem, 17

Meister Eckhart war ja ein sehr radikaler Denker, der grad so in seinen Predigten, in seinen spirituellen Schriften doch sehr, sehr weit gegangen ist in seinen auch Anweisungen, wie man sich Gott nähern soll. Und wenn die dann völlig aus dem Kontext herausgerissen sind, wirken die auf den ersten Blick tatsächlich erst mal missverständlich, nicht christlich, nicht der Lehre der Kirche entsprechend und das hat dann eben auch zur Verurteilung geführt.

Sprecherin: Über hundert Punkte aus der Lehre Meister Eckharts werden einer genaueren Prüfung unterzogen. Sollten sie als ketzerisch gebrandmarkt werden, würde das den Tod des Meisters bedeuten. In einem ersten sogenannten Lehrprozess wird eine Anzahl seiner Texte als mit dem Dogma der Kirche nicht zu vereinbaren erachtet. Zudem seien sie geeignet, die Ungebildeten zu verwirren. In dieser heiklen Situation wendet sich Eckhart direkt an den Papst, indem er eine Rechtfertigungsschrift verfasst. In ihr widerruft er von vorneherein alles, was zu einem Gegenstand des Prozesses werden könnte. Johannes XX. lehnt diesen Einspruch zwar ab, doch er wandelt den Prozess in ein milderes „Lehrbeanstandungsverfahren“ um. In dessen Verlauf werden nur noch achtundzwanzig Thesen Meisters Eckharts als nicht konform gesehen. Der große Philosoph und Theologe erlebt diese Wendung nicht mehr: vor Verkündung des päpstlichen Spruches verstirbt Meister Eckhart, wahrscheinlich in Avignon.

Musik: Propaganda

18

O-Ton (16) Elias: Ich glaube, dass Meister Eckhart unserer Zeit viel sagen kann. Das eine ist seine ganze Mystik, seinen ganzen Überlegungen,

wie

der

Mensch

überhaupt

in

eine

wirkliche

Gottesbeziehung kommen kann. Er sagt ja letztlich, dass das Problem beim Gebet beispielsweise nicht die Gottesferne ist, auch nicht dass ich irgendwelche bestimmten Übungen oder so etwas machen müsste, sondern dass ich letztlich beim Gebet mir selbst im Wege stehe. Dass ich selbst es bin, der eigentlich verhindert, dass eine wirkliche Beziehung mit Gott zustande kommt. Und da hakt er ein und sagt, hier kommt es jetzt darauf an, sich wirklich zu lassen (...) er sagt ja in vielen seiner Predigten, richtiges Gebet oder richtiger Glaube, der funktioniert auch am Herd und im Stall. Bei der Arbeit, in der Stadt, im Trubel.

Die Zitate sind entnommen dem Buch: Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, Joseph Quint (Hrsg.), Diogenes Verlag 1979.

Literatur: Gerhard Wehr (Hrsg.): Vom Adel der menschlichen Seele; AnacondaVerlag Thomas Polednitschek: Meister Eckard – Philosophisch leben; Herder-Verlag Irmgard Kampmann: Meister Eckhart Brevier – Worte für jeden Tag; Kösel-Verlag Eckhart Wolz-Gottwald: Meister Eckhart. Oder der Weg der Gottesgeburt im Menschen; Verlag Hinder und Deelmann

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