Der Koran – irrtumslos und fehlerfrei?
nach im Koran angeordnet sind. Zum Zweck des Vorlesens während der 30 Tage des Ramadan2 sind die 114
Im Gespräch mit Muslimen kommt man schnell an Grenzen wenn ihrerseits behauptet wird, die Bibel sei gefälscht, der Koran aber irrtumslos und bis heute fehlerfrei überliefert. Betrachtet man jedoch die komplexe Überlieferungsgeschichte des Korans, die im Folgenden kurz dargestellt wird, so stellt man fest, dass die Entstehung und Überlieferung keineswegs so unumstritten und eindeutig war, wie angenommen wird.
Suren
in
30
Abschnitte
unterteilt worden. Nach muslimischer Vorstellung hat der Text des Korans himmlischen Ursprung (Sure 43, 3-4).3 Es wird geglaubt, dass im Himmel unter dem Thron eine wohlgehütete Tafel (Sure
85,22),
die
„Mutter
des
Buches“, aufbewahrt liegt, die eine Art
Urexemplar
des
Korans
darstellt. Diese wurde durch einen Geist Gabriel
(26,193)
oder
(2,91)
den
Engel
übermittelt
(„herabgelassen“).
Entstehung des Korans Im Islam nimmt der Koran als von Gott gegebene wörtliche Offenbarung
eine
zentrale
Stellung
im
Leben der Muslime ein und wird als heiliges Buch, als „edler Koran“ verehrt. „Koran“ bedeutet so viel wie „das zu Rezitierende“ oder „das Hergesagte“.1 Formal besteht der Koran aus 114 Suren, die, mit Ausnahme der ersten Sure, nicht chronologisch, sondern ihrer Länge
2
Ramadan ist der islamische Fastenmonat.
Er soll an die Nacht erinnern, in der Muhammed die erste Offenbarung des Koran erhalten hat (vgl. Sure 97,1; 44,3; 2, 185).
1
Wensinck, A.J. & Kramers, J.H.
3
Alle Surenangaben aus: Paret, Rudi, Der
Handwörterbuch des Islam. Leiden: Brill.
Koran, 1979, 9. Aufl. Stuttgart: W.
1976. S. 347.
Kohlhammer. 2004.
1
agwelt.de
Um den Koran und seine Bedeu-
Herabsendung
tung für Muslime zu verstehen, ist
arabischer
es
zu
(12,2) und betont mehrfach dessen
Muhammeds Leben (ca. 570-632)
arabischen Charakter. Daher wird
und Selbstverständnis zu kennen.
bis heute davon ausgegangen, dass
Nach seinem Selbstzeugnis hat er
der Koran nicht übersetzt werden
die göttliche Offenbarung erhalten,
kann.
wichtig,
einige
Eckdaten
des
Korans
Sprache
in
aufmerksam
um sie den Menschen mitzuteilen. Daher wird Muhammed im Koran
Bevor man sich der Abfolge der
am
Offenbarung
häufigsten
der
Titel
„Ge-
der
einzelnen
sandter Gottes“ oder „Prophet“ zu-
Koranteile zuwendet, ist es wichtig
gewiesen.
zu wissen, dass Muhammed in
ebenso
Diese für
verwendet
Titel
werden
andere (z.B.
Personen
Jesus
5,75).
einem
Umfeld
lebte,
das
vom
jüdischen und christlichen Glauben
Geglaubt wird, dass die einzelnen
(teilweise
Gesandten als wahre Muslime zu
Sekten) beeinflusst war.4 Es ist
unterschiedlichen Zeiten zu jeweils
beispielsweise bekannt, dass er von
einem bestimmten Volk gesandt
einem
wurden
Khadidja, Waraqa ibn Naufal, der
(10,57).
So
hätte
auch
unterschiedlichen
Verwandten5
ein
Ibrahims“, Mose die Thora und
christlicher
Jesus
gebracht.
war, über den christlichen Glauben
Inhaltlich sei es immer die gleiche
gehört hat.6 Waraqa ibn Naufal war
Botschaft über die Einheit Gottes
es
und das kommende Strafgericht
seiner ersten Offenbarung prophe-
gewesen. Da die Propheten und
zeite, der Prophet der arabischen
ihre
Nation zu sein.
Evangelium
Botschaft
jedoch
immer
auch,
einer
Frau
beispielsweise Abraham „die Blätter das
Vorsteher
seiner
Gemeinde
der
kleinen in
Muhammed
Mekka
nach
abgelehnt worden seien (23,44), hätte
Allah
einen
abschließenden
letzten
und
Propheten,
das
„Siegel der Propheten“ (33,40), zum arabischen Volk gesandt. Er sollte auf
Missstände
machen Schriften
und
die
bereinigen.
Daher lässt sich wohl auch der starke
Einfluss des Alten und Neuen Testaments auf den Koran erklären. 5
Waraqa ibn Naufal wird manchmal als
aufmerksam
Neffe des Onkels seiner Frau, manchmal
verfälschten
als Vetter seiner Frau genannt.
Aufgrund
seiner Sendung zum arabischen Volk machte Muhammed auf die
2
4
6
Hischam, Ibn. Das Leben des
Mohammeds. Bd 1. Der verfolgte Prophet in Mekka. Villach Österreich: Licht des Lebens. 1992. S. 52-53.
agwelt.de
Die
erste
erhielt
das arabische Volk aufzuschreiben.
Muhammed im Alter von 40 Jahren,
Selber ließ er nie etwas fixieren.
als er sich zu geistlichen Übungen
Dennoch wird im Koran immer
in
wieder ein „Buch“9 erwähnt, wie z.B.
einer
Offenbarung
Höhle
aufhielt.
Dort
erschien ihm im Traum ein Engel,
in
Sure
19,16.41.51.54,
der ihm ein seidenes Tuch vorhielt
heißt: „Und erwähne im Buch ...“.
und ihn immer wieder aufforderte:
Als Muhammed aber 632 starb, war
„Lies!“.7 Mehrere Male entgegnete
weder
er: „Ich bin kein Leser“. Auf hartes
Nachfolger geklärt, noch lag eine
Drängen des Engels hin wiederhol-
vollständige Zusammenfassung der
te Muhammed schließlich die Worte
einzelnen Offenbarungen vor. Es
und kehrte nach Hause zurück. Erst
gab lediglich Menschen, die Teile
durch Zureden seiner Frau und
des Korans auswendig konnten,
Waraqa ibn Naufal begann Muham-
sowie einzelne Verse oder ganze
med seine Offenbarung anderen
Suren
mitzuteilen.
(2,23; 10,38; 28,49). Als einige
die
Frage
wo
nach
niedergeschrieben
es
einem
hatten
dieser „Korankenner“ bzw. „KoranIn der darauffolgenden Zeit erhielt
leser“ starben, war klar, dass die
Muhammed über einen längeren
Offenbarungen
Zeitraum hinweg sowohl in Mekka
schriftlich fixiert werden mussten,
als auch später nach seiner Aus-
um
wanderung
Überlieferungen zu sichern.
Medina8
(622
weitere
n.
Chr.)
nach
einen
Muhammeds Fortbestand
der
Offenbarungen
und Visionen.
Zusammenstellung unter Abu Bakr und Umar
Sammlung der Korantexte Vielfach wird davon ausgegangen, Es ist nicht sicher, ob Muhammed
dass eine erste Sammlung unter
die Absicht hatte, ein eigenes heili-
dem ersten Kalifen10 Muhammeds
ges Buch in arabischer Sprache für
Abu Bakr (um 632-634) stattge-
7
In der Überlieferung wird hier für den
Befehl „Lies“ oder „Rezitiere“ das Verb
9
qara’a verwendet, wovon sich das Wort
kitab bedeutet heute „Buch“, hatte damals
Quran ableitet.
aber auch andere Bedeutungen.
8
Im Koran lassen sich deutliche
Das im Arabischen verwendete Wort
10
Kalifen sind Stellvertreter (Adam,
Unterschiede zwischen den Offenbarungen
Stellvertreter Gottes auf Erden) oder
aus mekkanischer und medinischer Zeit
Nachfolger (z.B. Muhammeds Kalifen: Abu
erkennen.
Bakr, Umar, Uthman, Ali, Hassan).
3
agwelt.de
funden
hat.
Sekretäre haben,
Er
soll
einen
Muhammeds
alle
der
gebeten
Niederschriften
auf
Damaskus,
Kufa
Basra)
geschickt, mit der Auf-forderung, alle
anderen
Zetteln, Steinen, Palmblättern und
vernichten.
die im Gedächtnis der Menschen
teilweise
enthaltenen Koranteile
abweichende
zu sam-
und
Handschriften
Dabei
wurden
zu auch
anerkannte
aber
Sammlungen,
meln. Ob dabei alle Suren und
beispielsweise
der
Verse gefunden, in rechter Weise
Abdullah
Mas‘ud,
wiedergegeben
die
Standardtext in Kufa im Irak galt,
aufgenommen
und der Kodex von Ubayy ibn Ka‘b
und
Koransammlung wurden,
ist
mit
unklar.
in
Vermutlich
in
Syrien
ibn
Kodex
wie
vernichtet.
der
von als
Begründet
übergab Abu Bakr diese Sammlung
wurde die Aktion mit dem Wunsch,
an
Kalifen
einen einheitlichen Text zu er-
Umar, der die Sammlung und die
halten, der jeglichen Streitigkeiten
Zusammenstellung
Korans
über Unterschiede aufheben sollte.
weiterführte. Umar wiederum gab
So setzte sich nach diesem Prozess
die Sammlung an seine Tochter
der „uthmanische Text“ als Stan-
Hafsa weiter, die sie dann an den dritten Kalifen Uthman weiter-
dardtext durch. Dennoch zeigen
reichte, der sie schließlich zu einem
(wie beispielsweise die bekanntes-
Buch zusammenfasste.
ten Exemplare, die im Topkapi
den
nachfolgenden des
bis
heute
erhaltene
Abschriften
Museum in Istanbul und Tashkent
Zusammenstellung unter Kalif Uthman ibn Affan (644–656)
(Samarqand),
Usbekistan
aufbe-
wahrt sind, sowie die Koranhandschriften aus dem Jemen, die auf
Westliche Islamwissenschaftler gehen heute davon aus, dass weder
Abu Bakr noch Umar eine offizielle Sammlung der Korantexte durchgeführt haben, sondern dass erst unter der Regierung des dritten Kalifen Uthman diese Sammlung zwischen
650
und
656
statt-
gefunden hat. Abschriften dieser zusammengestellten
„uthmani-
schen Rezension“ wurden in die fünf Hauptstädte (Medina, Mekka,
4
das erste islamische Jahrhundert zurückgehen), dass die Einheit des koranischen Wortlautes auch nach der Verbreitung des uthmanischen Textes
nicht
Weiterhin
gewährleistet
waren
auch
war.
andere
Varianten im Umlauf, die teilweise inhaltlich vom uthmanischen Text abwichen. Probleme
ergaben
sich
zudem
aufgrund der frühen arabischen Schrift, die sich aus einer aramä-
agwelt.de
ischen Schrift, dem Nabatäischen,
Punkte auf, die Zweifel an der
entwickelt hatte. Sie war zu dieser
Entstehung und einer fehlerfreien
Zeit nicht geeignet, neue Inhalte
Über-lieferung
niederzuschreiben,
kommen lassen:
sondern
be-
des
Korans
auf-
stand nur aus dem „rasm“, einem Buchstabenskelett mit Konsonan-
1. Schon bei der Sammlung und
ten, Diphthongen11 und zweideuti-
Zusammenstellung
gen Buchstaben, die noch nicht
Korans unter Abu Bakr stellt
durch diakritische Zeichen unter-
sich die Frage, ob wirklich
schieden wurden. Als man be-
sämtliche Verse und Suren
merkte, dass es dadurch zu einer
gefunden wurden (es waren
Mehrdeutigkeit
kam,
ja bereits einige der Koran-
versah man die Schrift mit Punkten
kenner gestorben!) und wenn
und Strichen (diakritische Zeichen
ja, ob die auswendig gelern-
und
ten
der
Vokalzeichen),
Texte
um
dieses
Abschnitte
des
fehlerfrei
Problem zu beheben. Im Rahmen
wiedergegeben und genauso
dieser Überarbeitung des Textes
fehlerfrei
kam es zu unterschiedlichen Les-
wurden.
aufgeschrieben
arten, von denen letztendlich nur
2. Eine weitere Frage stellt sich
sieben Lesearten als „kanonisch“
bei der Wahl des uthmani-
(gültig)
schen Textes als Standard-
anerkannt
wurden.12
Im
Laufe der Zeit setzten sich zwei
text:
Lesearten durch. Heute wird überall
gerechnet
der
Uthmans (recht willkürliche)
Kairiner
Text
von
1924
verwendet.
Warum
wurde
die
aus-
Sammlung
als die richtige und fehlerlose angesehen, während andere
Am Ende dieser kurzen Darstellung
Sammlungen vernichtet wur-
der Überlieferungsgeschichte des
den? Bis heute weisen die er-
Korans
haltenen Fragmente anderer
fallen
mindestens
drei
Koran-abschriften 11
Doppellaute aus zwei verschiedenen
Unter-
schiede auf, die zwar auch
Vokalen, im Deutschen z.B.: „ei“, „au“, „äu“
von islamischer Seite ent-
und „eu“.
deckt und bestätigt, jedoch
12
Nach islamischem Verständnis ist der
von Gott geoffenbarte Text keineswegs eindeutig fixiert, sondern lässt in einem genau festgelegten Rahmen Varianten der Lesung und damit der Interpretation zu.
5
nicht geändert wurden. 3. Wieso wurde der Koran in einer
Sprache
fixiert,
die
damals aufgrund der fehlen-
agwelt.de
den
diakritischen
Zeichen
und Vokalzeichen eine Mehrdeutigkeit des Textes zuließ? Bei genauerer Untersuchung der Entstehung und Überlieferung des Korans fallen sicher noch mehr Probleme auf. Die hier genannten sollen
aber
genügen,
um
zu
zeigen, dass der Koran keinesfalls so unumstritten überliefert ist, wie das von Muslimen gerne behauptet wird.
Autor: Aaron Graser (Quelle: Zeitjournal 2011) © AG Welt e.V.
6
agwelt.de