Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit

Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit Hannes Fernow Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit Climate Engin...
Author: Leander Wolf
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Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit

Hannes Fernow

Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit Climate Engineering zwischen Risiko und Praxis

Hannes Fernow Universität Heidelberg Deutschland

Dissertation Universität Heidelberg, 2014

ISBN 978-3-658-06258-3 DOI 10.1007/978-3-658-06259-0

ISBN 978-3-658-06259-0 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de

Inhaltsverzeichnis

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Zum Dank

Auch wenn Danksagungen gerne überblättert werden, so gibt es in diesem Fall gute Gründe, dieser Neigung nicht nachzugeben. Vorliegende Studie ist im Geiste einer Politischen Hermeneutik geschrieben, die bereits an dem Punkt ansetzt, dass von einem Autor im merkwürdigen Modus der 1. Person Plural ausgegangen werden muss. Mein besonderer Dank gilt meinem Erstgutachter Prof. Dr. Martin Gessmann. Seine konstruktiven Anregungen und seine Ermutigung, mir eigene Wege zu bahnen und diese mit der erforderlichen Geduld auch tatsächlich zu gehen, haben die Studie geprägt und bereichert. Ferner danke ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Joachim Funke für seine hilfreichen Hinweise aus der Perspektive der psychologischen Problemlösungsforschung. Den Kolleginnen und Kollegen des Projekts »The Global Governance of Climate Enginneering« Dorothee Amelung, Prof. Dr. Werner Aeschbach-Hertig, Melanie Bräunche, Wolfgang Dietz, Prof. Dr. Hans Gebhardt, Prof. Dr. Timo Goeschl, Daniel Heyen, Prof. Dr. Thomas Leisner, Prof. Dr. Ulrich Platt, David Reichwein, Stephanie Uther und Thilo Wiertz danke ich für inspirierende Debatten und Reisen sowie kritisches Korrekturlesen einzelner Kapitel. Redaktionelle Unterstützung habe ich außerdem von Jan Fees, Giulietta della Gatta, Ulla Hullmann, Julia Katz und Marlon Meierhöfer erhalten. Anke Vogel und Britta Göhrisch-Radmacher aus dem Springer Verlag übernahmen Satz und Lektorat. Im August 2013 wurde die Arbeit an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Die Form und der Inhalt sind unter den ausgezeichneten Bedingungen eines von der Exzellenzinitiative geförderten Projekts am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg entstanden. Ein großzügiges Promotionsstipendium ermöglichte mir ein konzentriertes Arbeiten an der Publikation. Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM) und Marlon Meierhöfers wurde die Drucklegung gefördert. Berlin, im Frühling 2014

Hannes Fernow

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Inhaltsverzeichnis

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Was ist das – eine Klimaveränderung? ............................................................................. 11 i) Vorrede...................................................................................................................... 11 ii) Synopsis .................................................................................................................... 16 iii) 360 Grad – Die panoramische Methode ........................................................... 22 iv) Die Sprache des Klimas ....................................................................................... 36 1

Zukunftswissen im Spannungsfeld von vorsorgender Krisenintervention und globalem Experimentalismus ........................................................................... 45 1.1 Der rote Planet oder das Oxymoron des ewigen Eises .............................. 45 1.1.1 Der Klimawandel............................................................................. 45 1.1.2 Klimapolitische Kontexte .............................................................. 49 1.1.3 Sage und Vorhersage ....................................................................... 51 1.2 Der weiße Planet oder die Fiktion einer globalen Kühlung ....................... 53 1.2.1 Climate Engineering ........................................................................ 53 Das Klima blei bt dynamisch .......................................................... 71 1.2.2 1.3 Wer zügelt Phaethons Sonnenwagen? Engineering aus gesellschaftswissenschaftlicher Perspektive................................................... 74 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4

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Das Risiko der Forschung – Wenn der Unterschied zwischen Experiment und Anwendung verschwimmt ............................. 75 Allheilmittel oder Narkotikum? Wenn Strategie B dazu verführt, Strategie A zu vernachlässigen ..................................... 81 Eine globale Superbehörde für Klimachirurgen? Wenn für Risiken und Nebenwirkungen niemand verantwortlich ist ...... 84 Betriebsschäden – Wenn die Hebel klemmen und Kapitäne versehentlich in Rettungsboote fallen .......................................... 94

Die Virtualisierung des Wissens ............................................................................... 99 2.1 Risiko und Unsicherheit ................................................................................... 99 2.1.1 Eine Charakteristik ökologischer Weltrisiken .......................... 100 2.1.2 Kritik der prophetischen Vernunft – Über das Verhältnis zwischen gegenwärtiger Zukunft und zukünftiger Gegenwart ....................................................................................... 110

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2.2 Nicht geglaubtes Wissen – Klimaforschung und Öffentlichkeit ................. 136 2.2.1 2.2.2 2.2.3

2.2.4

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Zwischen Modell und Imitation – Die forecast factory als transzendentale Bedingung klimatischer Realitäten ................ 147 Das Risiko der Risikokontrolle ................................................... 170 Risikokulturen – Kritik der Trennung zwischen dem »objektiv« Gegebenen und dem »subjektiv« Wahrgenommenen ........................................................................ 172 Kontrolle und Bescheidenheit in der Zweiten Moderne ........ 181

2.3 Die Welt als Wohnung im Weltraum ........................................................... 190 2.3.1 Innen und Außen – Von Raumschiffen, Treibhäusern und einer planetaren Immobilienkrise ....................................... 190 2.3.2 Imitation und Innovation – Die Bewirtschaftung des Möglichen ....................................................................................... 212 Das Technozän – Von der Ordnung der Dinge zum Schmelzen der Grenzen ...................................................................................................................... 225 3.1 Technik zwischen Handwerk und Teufelszeug .......................................... 228 3.1.1 Das Licht in der Finsternis .......................................................... 233 3.1.2 Das verstellende Gestell ............................................................... 237 3.1.3 Der Humanismus der neuen Nüchternheit .............................. 245 3.2 Die Natur einer Sache und die Sache der Natur ........................................ 248 3.2.1 Von den Biberburgen der Schöpfung zu planetaren Parklandschaften............................................................................ 248 3.2.2 Die Dressur des Klimas................................................................ 257 3.3 Die Dialektik des Atmosphären-Managements .......................................... 269

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Kulturelle Ressourcen für ein zukunftsfähiges Leben ........................................ 287 4.1 Vom Nutzen und Nachteil einer Klimaethik für das Leben .................... 287 4.1.1 Verantwortung und Gerechtigkeit .............................................. 297 4.1.2 Nachhaltigkeit und Vorsorge ...................................................... 319 4.1.3 Die Würde der Erde – Eine Kritik der ökologischen Vernunft .......................................................................................... 330 4.2 Die klimaästhetische Erziehung des Menschen ......................................... 350 4.2.1 Was sollen wir hoffen? Eine Befragung ausgewählter Filme, Bücher und Bilder ............................................................. 353 4.2.2 Noahs Arche – Die Einschiffungstechnik der Katastrophenrhetorik .................................................................... 376

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4.2.3

Platons Höhle – Die Geburt des Kinos aus dem Geist der Romantik ......................................................................................... 384

4.3 Klimadesign in pragmatischer Hinsicht ....................................................... 393 4.3.1 Die Renaturalisierung der Technik – Zur Wissenschaftsutopie der Klimaförster ................................................................ 396 4.3.2 Ethos und Heuristik – Sechs Faustregeln des Vertrauens ..... 414 4.3.3 Wo nicht gemessen werden kann, muss geschätzt werden – Zur Legitimation der sozialen Urteilskraft des Common Sense ................................................................................................ 439 5

Theorie und Praxis des Climate Engineering – Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................................................................................. 461 5.1 Klima und Wissen – Die Möglichkeitsbedingungen des Klimawissens ............................................................................................................... 462 5.2 Klima und Handeln – Instrumentum bonum est adaequatio instrumenti et intuitionis ................................................................................. 464 5.3 Klima und Technik – Climate Engineering im Kontext der Moderne .. 469 5.4 Fazit .................................................................................................................... 478

Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 483

i) Vorrede

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Was ist das – eine Klimaveränderung?

i) Vorrede Das Klima folgt keinem Zweck, es nimmt keine Rücksicht auf Menschen. Diesen Skandal wollen einige nicht länger hinnehmen und so schlägt man vor: Produzieren wir doch unser eigenes Klima. Die vorliegende Studie hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Bedingungen und Folgen der scheinbaren Möglichkeit einer Klimakontrolle zu diskutieren. Sie nimmt ihren Ausgang von der These, dass sowohl die wissenschaftliche Beobachtung als auch die technische Planung klimatischer Veränderungen durchaus fruchtbare Themen für eine Philosophie darstellen, der es im Sinne Hegels darum geht, ihre Zeit in Gedanken zu fassen. Die Erforschung und die mögliche Anwendung des sogenannten Climate Engineering werfen eine Bandbreite von ungeklärten Fragen auf, die letzten Endes alle Menschen auf der Erde betreffen und die seit einigen Jahren in Fachkreisen kontrovers erwogen werden. Dies ist Grund genug für eine philosophische Reflexion der vorherrschenden Argumente wie der unausgesprochenen Annahmen und Darstellungstechniken. Dabei verfolgt die Arbeit zwei Ziele. Ein erstes Anliegen ist die Prüfung etablierter Kriterien der Technikfolgenabschätzung sowie der Entwurf einer verantwortbaren Risikopraxis. Dieser Versuch einer abgewogenen Positionierung in der sich gegenwärtig neu gestaltenden Dreiecksbeziehung von Umwelt, Technik und Gesellschaft soll einen differenzierten Beitrag im wissenschaftlichen Klimawandeldiskurs leisten. Dabei gilt es die Bewusstheit der impliziten philosophischen Fragen zu fördern und die Bewertungskompetenzen zu erhöhen. Zweitens konzentriert sich die Arbeit im Rahmen einer so zu nennenden Hermeneutik der Lebenswelt auf die Erweiterung des klassischen philosophischen Problemfeldes. Der noch junge philosophische Ansatz der Politischen Hermeneutik wird in seiner Funktion als einer transdisziplinären Herangehensweise an gesellschaftsrelevante Fragestellungen dargestellt und weiterentwickelt.1 Wenn gilt, dass Climate Engineering ein Wink aus der Zukunft und die 1

Dieser methodische Ansatz sollte nicht mit einer der üblichen ethischen oder juristischen »Bereichsphilosophien« verwechselt werden, die eine bestimmte Metatheorie für die Lösung eines praktischen Gegenwartsproblems in Anschlag bringen. Unter Politischer Hermeneutik wird in der vorliegenden Arbeit eine eigenständige und theoretisch neu organisierte hermeneutica generalis verstanden, der es nicht nur um die Deutung von Literatur und Kunst, sondern ganz grundsätzlich um die Reflexion und Kritik der gemeinschaftlichen Praxis des menschlichen Lebens geht. Die hier vertretene und auf den nächsten Seiten zu erläuternde Philosophie grenzt sich somit zweitens von einer klassischen »Geisteswissenschaft« ab, weil sie nicht allein historische Rekonstruktionsarbeit betreibt. Drittens unterscheidet sie sich von dem Anspruch einer »Systemwissenschaft«, schließlich basiert sie nicht auf letzten Gründen und Prinzipien, aus denen sie alles Weitere ablei-

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Was ist das – eine Klimaveränderung?

Hermeneutik die Kunst des Zeichenverstehens ist, dann könnte es sich für diejenigen, welche die Zeichen der Zeit erkannt haben und neugierig auf die Zukunft des Klimas sind, lohnen, die Untersuchungen dieser Arbeit nicht gleich wieder aus der Hand zu legen. Doch wovon sprechen diejenigen, die über technologische Interventionen in das globale Klima reden? Genau genommen von einer »Imagination«, denn jene Technologien existieren noch nicht. Also kann man im Grunde gar nicht sagen, worum es sich einmal handeln könnte. Allerdings existieren bestimmte Vorstellungen und Vorschläge und über diese lässt sich etwas berichten. Schließlich sollte man nicht unvorbereitet in eine zukünftige Debatte stolpern. Denn die Zeit, in der Phantasien gefährlich werden können, ist aufgrund fortgeschrittener wissenschaftlichtechnischer Gestaltungskompetenzen längst angebrochen. Für diesen Bildungsprozess wurde die vorliegende Arbeit unter anderem geschrieben. Bei den bisher diskutierten Ideen bezüglich des Geo- oder Climate Engineering2 handelt es sich um unterschiedliche Weisen einer Abkühlung der durchschnittlichen Erdoberflächentemperatur. Gleich zu Beginn ist hervorzuheben, dass unter den Sammelbegriff des Climate Engineering verschiedene großtechnische Eingriffe in das globale Klimasystem fallen, die sich in ihrer räumlichen, zeitlichen und politischen Folgenreichweite erheblich unterscheiden. Zumindest zwei technische Ansätze müssen separat betrachtet werden: das sogenannte Solar Radiation Management sowie die Maßnahmen des Carbon Dioxide Removal. Die Verfahren der ersten Gruppe zielen darauf ab, einen kleinen Anteil der Sonneneinstrahlung zurück in den Weltraum zu reflektieren. Der Ansatz des zweiten Maßnahmenbündels besteht darin, der Atmosphäre Treibhausgase zu entziehen und diese unterirdisch beziehungsweise in der Tiefsee zu lagern. In beiden Fällen soll mittels der Steuerung von chemischphysikalischen Zusammenhängen die registrierte Erderwärmung verlangsamt, gestoppt oder sogar rückgängig gemacht werden. Dies ist zumindest die wissenschaftliche Zielvorstellung und genau diese zu problematisieren ist einer der zentralen Fluchtpunkte, welche die einzelnen Abschnitte der Studie einander zuordnen.

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tet; und viertens ist sie keine »Forschungswissenschaft«, da sie keine empirischen Methoden anwendet und auch nicht mit einem Fortschritt des eigenen Faches im Lauf der Zeit rechnet. In der internationalen Fachliteratur werden beide Begriffe weitgehend synonym gebraucht, wobei meistens geoengineering bzw. Geo-Engineering verwendet wird. Eine verbindliche Übersetzung ins Deutsche existiert nicht, weil es keine adäquate Entsprechung des im Englischen üblichen Begriffs engineering gibt. Der Begriff Klimatechniken kann nur im kontextspezifischen Einzelfall verwendet werden, da es bei den großskaligen technischen Eingriffen in das Klimasystem nicht um Fragen der Gebäudetechnik geht. Die vorliegende Studie arbeitet mit dem Begriff Climate Engineering, weil er enger gefasst ist als der des Geo-Engineering, schließlich handeln jene Maßnahmen nicht von Flussbegradigungen, Schneekanonen und Erdachsenverschiebungen. Die technische Kontrolle des Klimas wäre selbstverständlich nie nur eine Kontrolle des Klimas, weil das globale Klima eine hinreichende Bedingung des biologischen und sozialen Lebens darstellt. Ein Eingriff in das Weltklima würde deshalb immer auch ein Eingriff in das das Gefüge von Gesellschaften und Individuen darstellen.

i) Vorrede

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Das zunehmende Interesse für die absichtliche technische Manipulation des Klimas resultiert nicht zuletzt aus der Tatsache, dass die ausbleibenden Erfolge der internationalen Klimapolitik seit den späten 1990er Jahren den Verdacht nahe legen, dass die Bewältigung der angezeigten Klimakrise nicht durch eine politische Aushandlung von Emissionsverträgen gelingen kann.3 Deshalb rücken alternative Strategien in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dazu zählen technologische Innovationen in den Bereichen erneuerbarer Energiegewinnung, marktwirtschaftliche Instrumente wie das Emission Trading System, gezielte Anpassungsmaßnahmen an die Folgen und eben auch vorsätzliche Klimainterventionen. Diese Interessenverschiebung darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass gerade die großtechnischen Strategien einer Atmosphärenmanipulation noch vor wenigen Jahren allenfalls als mögliche Science-Fiction-Ingredienz für einen James Bond Film gegolten hätten. In den 1950er und 1960er Jahren wären sie möglicherweise als eine technische Utopie fasziniert wahrgenommen worden. Heute begegnet man den Ideen nüchterner, mitunter auch ein wenig unentschlossen. Wissenschaftliche Studien sehen in ihnen jedoch zunehmend einen durchaus ernst zu nehmenden Präzedenzfall und ein bloßer Hype ist das Thema schon längst nicht mehr. Die Vorschläge zur groß angelegten Klimaintervention dienen den philosophischen Untersuchungen der vorliegenden Arbeit als ein Ausgangsphänomen für breiter angelegte Reflexionen über das technische Zeitalter. Dass eine konkrete Technologie wie Climate Engineering dabei immer auch ein Beispiel oder ein Modell im Sinne eines pars pro toto darstellt, versteht sich von selbst. Damit ist nicht gesagt, dass alles, was für einen Teil, auch für das Ganze gilt. Durchaus aber besteht die Möglichkeit, aus einem Teil etwas für das Ganze zu lernen. Auf diesem anvisierten Panoramaweg der philosophischen Untersuchungen werden sowohl die gegenwärtig entstehende »klimapolitische Grammatik« als auch der alte Kontrollwunsch des Menschen über die Natur in einem wissenschaftstheoretischen, ideengeschichtlichen wie ethischen Gesamtzusammenhang verortet. Methodisch ist dabei zu betonen: Wenn schon das weite Feld der Erforschung, der Regulierung und der möglichen Anwendung globaler »Zukunftstechnologien« sui generis die Fähigkeit vernetzt zu denken verlangt, dann muss das philosophische Verstehen von entweder bloß verursachten oder vorsätzlichen Klimawandlungen erst recht theoretische Weltenwandler voraussetzen. Die spezifischen Einzelwissenschaften wirken eher: »wie die Scheinwerfer, mit denen man an Sonnenabenden berühmte Bauwerke für die Touristen anstrahlt: sie greifen hier einen Giebel heraus und dort ein Erkerfenster oder einen Schornstein; jedes Detail, das vom Licht erfasst wird, erscheint in blendender 3

Vgl. Prins, Gwyn et al.: Das Hartwell-Papier – Zur Neuausrichtung der Klimapolitik nach dem Zusammenbruch von 2009, online unter: http://cms.zu.de/deutsch/lehrstuehle/ecs/Hartwell_ Paper_2010_german.pdf, abgerufen am 27.07.2013.

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Helligkeit; aber die umgebende Finsternis wird dadurch nur noch schwärzer, und wir verlieren jedes Gefühl für die Proportionen des Gebäudes, das wir vor uns haben.«4

Diese Zielorientierung einer inter- und transdisziplinären Einbettung des Climate Engineering sowohl in die Klima- und Energiedebatte als auch in historisch tradierte Risiko- und Technikverständnisse ist jedoch auch deshalb notwendig, weil eine isolierte Interpretation weniger auf die Technologien selbst denn auf die fachspezifisch projizierten Assoziationen und Konzeptionen eingehen würde. Für das theoretische Verstehen wie für den praktischen Umgang ist jedoch immer die konkrete Technik in ihrem jeweiligen Kontext entscheidend. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird die Option des Climate Engineering in das Zentrum dreier Fragestellungen gestellt: (1) Was sollen wir tun? (2) Was können wir wissen? (3) Was bedeutet das alles? (1) Wenn Entscheidungen über das Klima der Zukunft anstehen, dann stellt sich die Frage nach dem Ziel des Handelns. Die unterschiedlichen technischen und politischen Maßnahmen müssen nicht nur auf ihre jeweilige Machbarkeit und Legitimität hin geprüft werden, sondern auch dahingehend, welchen Zielen und Absichten sie untergeordnet werden. Daher gilt es sich mit folgenden forschungsleitenden Teilfragen zu beschäftigen. Warum sollten Menschen das Klima absichtlich modifizieren? Haben sie das Recht dazu? Wollen wir das überhaupt? Und falls alle drei Punkte positiv beantwortet werden: Wie sollte dieser Prozess ablaufen, wer übernimmt die Regie? (2) Diese handlungsorientierten Fragen können wiederum nur beantwortet werden, wenn zuvor darüber reflektiert wird, welchen epistemischen Bedingungen die Aussagen und Urteile unterliegen, die diverse Wissenschaftskulturen über die Gründe und Ziele der Climate-Engineering-Option fällen. Schließlich bildet das »Risiko- und Klimawissen« die Basis, von der jede weitere Entscheidungsempfehlung stets ausgehen wird. Insbesondere wenn auf die Projektion eines Wandels des Klimas tatsächlich mit einer »Neukonstruktion« desselben reagiert wird, dann müssen die wissenschaftstheoretischen Kernprobleme der Vorhersage im Zusammenhang mit den gesellschaftstheoretischen Kernproblemen des Risikomanagements betrachtet werden. Das heißt, der vorliegenden Studie stellt sich die zu klärende Aufgabe, aus welchen Erkenntnisquellen die unterschiedlichen Urteile zu den einzelnen Climate-Engineering-Optionen schöpfen. Dabei gilt es die Gültigkeit der Informationsressourcen der jeweiligen Wissenschaftskulturen zu prüfen. Wo liegen die Stärken und Schwächen dieser Kriterien? Darüber hinaus wird darüber reflektiert, wer Probleme definiert und wie sie sichtbar gemacht werden.

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Toulmin, Stephen: Einführung in die Philosophie der Wissenschaft (The Philosophy of Science – An Introduction, 1953), übers. v. Eberhard Bubser, Göttingen 1969 (im Folgenden zit. als Toulmin 1969), S. 10. Bei Toulmin steht die zit. Passage in einem anderen Kontext.

i) Vorrede

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Damit sind wir zu einem Kerngeschäft der Philosophie vorgestoßen. JeanFrançois Lyotard hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Frage nach demjenigen, der weiß, was es zu entscheiden gilt, eng mit der Frage zusammenhängt: Wer entscheidet, was Wissen ist?5 Aus diesem Grund kann man die These vertreten, dass Philosophie seit Sokrates und Platon, zumindest im weitesten Sinne, immer schon Wissenschaftstheorie ist. Und zwar insofern als sie Wahrheitsansprüche von Wissen prüft, das als wahr auftritt. Diese Wahrheitsansprüche können die Religion, die Philosophie, die Naturwissenschaften, der gesunde Menschenverstand oder die Kunst hegen. Dabei geht es um die Frage, wie man entscheidet, ob eine vorgetragene Erklärung eines Sachverhaltes akzeptabel ist. Schwierig wird dies immer dann, wenn man entweder auf keine Tatsachen zurückgreifen kann, die eindeutig für sich selbst sprechen, oder wenn die gestellten Fragen nicht einfach durch richtiges Schlussfolgern beantwortet werden können. Im konkreten Fall dieser Arbeit geht es dabei um folgendes: Erstens wird die risikoökonomische Berechnung von Kosten und Nutzen untersucht; zweitens die ethische Argumentation anhand von Begriffen wie Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Verantwortung; drittens die ästhetische Vergegenwärtigung von Naturkatastrophen und technischen Rettungsaktionen in Filmen, Medien-Bildern und Romanen; abschließend wird viertens die Bedeutung und Funktion des Common Sense untersucht, der im Zuge einer allenthalben eingeforderten zivilgesellschaftlichen Partizipation zum Tragen kommen würde. (3) Um Eintritt in den dritten der zuvor formulierten drei zentralen Fragenkreise zu erhalten, muss man sich dem Problem stellen, was eine Realisierung von klimatechnischen Naturmanipulationen aus der kulturtheoretischen und technikphilosophischen Perspektive bedeuten würde. Welche Urteile lassen sich aus einer gründlichen Lektüre der Climate-Engineering-Vorschläge für die Vergangenheit und die Zukunft des technischen Zeitalters entwickeln? Anders gefragt: Wie lässt sich aus technikphilosophischer Perspektive die Idee einer Kontrolle über die Durchschnittstemperatur auf der Erde verstehen? Wir sind heute mit dem Befund konfrontiert, dass Wetter und Klima in den Einzugsbereich der menschlichen Weltgestaltung geraten sind. Folgt diese tatsächliche oder erstrebte Kompetenz der Atmosphärenmanipulation einer historischen Genese oder ist sie einem wissenschaftlich-technischen Zufall beziehungsweise einer zivilisatorischen Not erwachsen? Dafür gilt es einen Deutungsrahmen heranzuziehen, innerhalb dessen die Vielfalt der reflektierten Phänomene plastisch werden kann. Denn die sich aus einer holistischen Kontextualisierung des Climate Engineering ergebende thematische Diversität bedarf eines vereinheitlichenden Horizontes. Dieses hermeneutische Passepartout besteht in der Explikation der These 5

Vgl. Lyotard, Jean-François: Das postmoderne Wissen [1979], Wien 1993 (im Folgenden zit. als Lyotard 1993), S. 35.

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Was ist das – eine Klimaveränderung?

von der Dialektik des Technozäns. Dabei soll erstens mit der Vorstellung aufgeräumt werden, Technik sei entweder gut oder böse und zweitens wird die Annahme verabschiedet, die Zukunft sei ein offener Möglichkeitsraum und wir hätten die freie Wahl zu entscheiden, welche Maßnahme gegen den Klimawandel nun die beste und »optimale« sei. Weiterhin begreift diese These die Climate-Engineering-Technologie nicht nur als eine strukturelle Reproduktion der anthropogenen Erderwärmung durch eine intentionale Erdabkühlung, sondern insbesondere als eine strukturelle Reproduktion der mit allen Formen der Klimaveränderung einhergehenden Unsicherheiten und Risiken. Gerade indem man das Klimawandelrisiko durch eine technische Regulation minimieren will, läuft man Gefahr, neue, in ihren Folgen unabsehbare Risiken zu schaffen. Denn der mit der Bereitstellung von Climate-Engineering-Verfahren verbundene Versuch einer technischen Versicherung gegen mögliche »Klimawandelkatastrophen« birgt neue Risiken im großen Maßstab, die selbst wieder abgesichert werden müssten und so fort. Kurz, je größer die zeitliche und räumliche Einflussmacht der Technologien wird, desto klarer sollte man sich dessen bewusst sein, dass das technische Zeitalter dialektisch verfasst ist: Sicherheiten werden mit Unsicherheiten, Naturemanzipationen mit Technikzwängen und Machtzuwächse mit Ohnmachtsfallen erkauft. ii) Synopsis Die Beobachtung, dass jene drei Fragestellungen (1), (2) und (3) weit ausholen, trügt nicht. Schließlich besteht das Neue dieser Studie darin, eine mögliche Vorgehensweise der Politischen Hermeneutik aufzuzeigen und die Themen Klimawandel und Climate Engineering als genuine Problemfelder einer »poietischen« Philosophie zu erschließen. Diese ergänzt in systematischer Hinsicht die Bereiche der theoretischen und praktischen Philosophie. Dieses Vorhaben ist nicht in hundert Seiten abzuhandeln, sofern man nicht einen Großteil der Theorien und Begriffe, die den folgenden Diskussionen zugrunde liegen, einfach voraussetzt. Welchen Gewinn bringen theoretische Ausführungen, die möglicherweise kurz und knapp sind, aber letzten Endes nichts erklären? Darüber hinaus existiert im deutschsprachigen Raum bisher weder eine grundlegende Erörterung der klimaphilosophischen Problematik noch eine philosophische Monografie über das Thema Climate Engineering. 6 6

Dies gilt zumindest, wenn man davon ausgeht, dass philosophisches Denken ethische Momente zwar enthalten kann, zugleich aber darüber hinausgeht. Eine Übersicht über moralphilosophische Argumentationsstrategien in der Climate-Engineering-Debatte leistet die Studie von Betz, Gregor; Sebastian Cacean: Ethical Aspects of Climate Engineering, Karlsruhe 2012 (online unter: http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/1000028245, abgerufen am 27.07.2013). Neuere englischsprachige Buchpublikationen sind Burns, Wil C. G.; Andrew L. Strauss (Hg.): Climate Change Geoengineering – Philosophical Perspectives, Legal Issues, and Governance Frameworks, Cambridge 2013. Hamilton, Clive: Earthmasters – The Dawn of the Age of Climate Engineering,

ii) Synopsis

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Was bedeutet dieser Anspruch für den strukturellen Aufbau der vorliegenden Arbeit? In welcher Reihenfolge werden die erwähnten Themen behandelt? Die Untersuchung gliedert sich in insgesamt fünf Kapitel, die zwei übergeordneten Hauptteilen untergeordnet sind. Den ersten Teil bildet eine Epistemologie der Risiko- und Klimawissenschaften. Damit wird eine unerlässliche Basis gelegt für den zweiten Teil, der sowohl eine technikphilosophische Konzeption des technischen Zeitalters als auch eine hermeneutische Entscheidungstheorie entwickeln wird. Beide Hauptteile verfolgen zusammengenommen das Ziel, über die zuvor formulierten drei Fragestellungen ausführlich nachzudenken. Es geht dabei darum, die von Immanuel Kant formulierten Grundfragen der Philosophie in einer modifizierten Art und Weise für das Thema Climate Engineering fruchtbar zu machen: »1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?«7 Dieses Programm gilt es etwas genauer zu erläutern. Die Untersuchungen des ersten Teils der Studie, Kapitel 1 bis 2, bestehen in einer erkenntnistheoretischen Problematisierung und in einer wissenssoziologischen Kontextualisierung der Klimawissenschaften vor dem Hintergrund der »Weltrisikogesellschaft« der »Reflexiven Moderne«. Das Hauptanliegen ist die Befragung gegenwärtiger Wissenschaftskulturen hinsichtlich ihrer begrifflichen und methodischen Voraussetzungen. Dabei wird herausgearbeitet, inwiefern der Diskurs um den Klimawandel mit Begrifflichkeiten, Methoden und Prinzipien operiert, die für die Ungewissheiten globaler Chancen und Gefahren des 21. Jahrhunderts nicht mehr angemessen sind. Der Konflikt zwischen dem Anspruch auf wissensbasierte Kontrolle und technischer Kontingenz im Kontext komplexer Systeme muss geborgen und explizit gemacht werden, damit veraltete Beschreibungsmuster ersetzt werden können, die jenem Diskurs eingeschrieben sind. Die Relevanz dieser Unternehmung resultiert daraus, dass die empirischen Wissenschaften, ausgestattet mit komplexen Erdsystemmodellen, sich zunehmend in der Rolle der »besser informierten« Entscheider wiederfinden. Auch von außen werden sie mit der Erwartung konfrontiert, wissenschaftlich fundierte Politikberatung zu leisten, obwohl sie weder gewählte Repräsentanten sind noch es vermeiden können, die Welt gemäß ihrer disziplinären Weltsicht und ihres computertechnisch »massierten« Wissens notwendigerweise zu reduzieren. Insofern verfolgt der erste Teil das stets aktuelle Kantische Projekt, die unterschiedlichen Weisen des »Fürwahrhaltens«, nämlich Wissen, Glauben und Meinen zu differenzieren.8 Im zweiten Teil, der die Kapitel 3 und 4 umfasst, geht es um die Entwicklung eines technikphilosophischen Profils mit historischer und ethischer Problemstel-

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New Haven 2013. Preston, Christopher J. (Ed.): Engineering the Climate – The Ethics of Solar Radiation Management, Lanham 2012. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft [1781], Werkausgabe in 12 Bänden, Bd. IV, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1974 (im Folgenden zit. als Kant KrV), S. 677; Akad.-Ausg. B 833. Vgl. Kant KrV, S. 689; Akad.-Ausg. B 849.

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Was ist das – eine Klimaveränderung?

lung. Die Voraussetzung dafür ist die Klärung des begrifflichen Verhältnisses zwischen »Technik« und »Natur«. Diese Dichotomie ist eines der letzten Erbstücke aus der abendländischen Geistesgeschichte, das vor dem Hintergrund gegenwärtiger Forschungen in den Bereichen Biologie, Chemie und Physik neu verhandelt wird. Weiterhin evoziert das neue Gestaltungspotenzial der Technowissenschaften die Frage: »Wie wollen wir in Zukunft leben?« Vier Optionen der Urteilsbildung werden auf ihre Bedingungen und ihre Folgen hin geprüft. Erstens handelt es sich dabei um die normativen Postulate der Klimaethik, zweitens um die mögliche Vorbildfunktion einer Klimaästhetik, drittens um den Pragmatismus innovativen Klimadesigns und viertens um die Urteilsressourcen eines gebildeten Common Sense. Im Folgenden wird auf die insgesamt fünf Einzelkapitel eingegangen, die den beiden zentralen Themenblöcken untergeordnet sind. Wer sich diesbezüglich überraschen lassen will, kann gleich zur nächsten Zwischenüberschrift springen. Das 1. Kapitel ist eine Einführung in die naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse und in die sozialwissenschaftlichen Erörterungen dieser Themenkomplexe. Abschnitt 1.1 referiert den Stand der Forschung zum anthropogenen Klimawandel und 1.2 denjenigen zu Climate Engineering. Abschnitt 1.3 diskutiert die gesamtgesellschaftlichen und politischen Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben. Sie handeln beispielsweise von der Unterscheidung zwischen der Erforschung und der Anwendung einer Technologie, von den unerwünschten aber möglichen politischen Nebenwirkungen des Climate Engineering oder von der völkerrechtlichen Herausforderung einer internationalen Regulierung. Das 2. Kapitel wird diese Diskussionsstränge aufnehmen und im Abschnitt 2.1 auf die Ebene der Risikotheorie führen. Ausgehend unter anderem von Arbeiten Ulrich Becks und Niklas Luhmanns hat die argumentative Kritik der Philosophie dabei die erkenntnistheoretischen Grenzen von Kosten-Nutzen-Analysen zu untersuchen. Im Abschnitt 2.2 folgt eine Epistemologie des prognostischen Wissens auf der Grundlage einer Theorie komplexer Systeme. Als Fallbeispiel dienen numerische Klimavorhersagen. Eine leitende Frage beider Abschnitte wird lauten: Mit welchen Problemen sind positivistische Voraussagetechniken konfrontiert, und was bedeuten diese für den Anspruch der Berechenbarkeit und andere Kontrollrationalitäten von Wissenschaft und Technik? Es wird mithin geprüft, ob im Kontext komplexer Systeme die szientistische Spekulation mit zukünftigen Ereignissen nicht mit einer ganz eigenen Risikostruktur verknüpft ist. Welche Rückkopplungen entstehen, wenn das abstrakte Szenario des Klimawandels für die Öffentlichkeit numerisch konkretisiert wird? Wie wirkt die Notwendigkeit der zum Teil auch bildhaften Vermittlung auf den Erkenntnisprozess zurück? Wie entsteht durch die mediale Darstellung ansteigender Kurven und rot anlaufender Planeten ein breitenwirksames Bewusstsein für die Dringlichkeit der Technik und ihrer möglichen Gestalt? Schließlich hängt die Akzeptanz bestimmter Möglichkeiten und ihrer Alternativen von gesellschaftlich dominierenden Projektionen ab. Gegenstand der Reflexion wird

ii) Synopsis

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also in erster Linie die definitionsmächtige Rolle der Natur- und Wirtschaftswissenschaften sein, die den Anspruch verfolgen, die Zukunft des sich ändernden Klimas statistisch vorauszuberechnen und dabei zu wissen, wann ein Risiko ein annehmbares Risiko ist und wann nicht. Daraus ergibt sich der Schwerpunkt des Abschnitts 2.3. Dieser wendet sich den Konzeptionen des »ökologischen Denkens« zu, die mit den zuvor diskutierten Verstehens- und Akzeptanzfragen bezüglich des Klimawandels und seiner technischen Veränderung in einem direkten Zusammenhang stehen. Denn neben den Aussagen und Urteilen aufgrund von Modell- und Simulationsergebnissen, die im Abschnitt 2.2 reflektiert werden, stellen auch bestimmte Vorstellungen und Theorien über die »Umwelt« der politischen Entscheidungsfindung grundlegende Prinzipien zur Verfügung. Es lohnt sich darüber nachzudenken, was es heißt, wenn Klimaschützer und Geoforscher sozusagen die Umwelt vor der Umwelt schützen wollen. Kommt es zu dieser paradoxen Konstellation, weil die Differenz zwischen der Kultursphäre und der Natursphäre inzwischen veraltet ist? Denn folgt man der Logik der Ökologie, so sei jede anthropogene Beeinflussung des »Außen« zugleich eine des »Inneren« und jede Manipulation des »Inneren« wirke auf das »Außen« zurück. Wenn demnach die Rede von »Naturkatastrophen« obsolet wird, da sie ursächlich auf den Menschen zurückgingen, stellt sich die Frage, wer in der Folge die Verantwortung trägt für die Globalisierung der Bedrohungspotenziale? Die Auflösung der Differenz zwischen System und Umwelt besitzt im Rahmen des Klimawandels und der Erforschung der ClimateEngineering-Optionen sowohl auf erkenntnistheoretischer als auch auf der praktischen Ebene der politischen Steuerungsansprüche zeitdiagnostische Relevanz. Diesbezüglich soll der Versuch der ökologischen Vereinheitlichung von Gesellschaftssystem und Naturumwelt, für die die Metapher des »Raumschiffs Erde« steht, mit systemtheoretischen Argumenten kontrastiert werden. Daran schließt das 3. Kapitel und damit der zweite Hauptteil an. Die Inversion klassischer Rationalitäten – im Sinne von proportionalen Mittel-Zweck- und Ursache-Wirkung-Beziehungen oder auch im Sinne von geordneten Innen-Außen- und Subjekt-Objekt-Relationen –, bedeutet einen Strukturwandel, der zur Berücksichtigung nichtlinearer und instabiler Dynamiken führt. Dieses konzeptionelle Motiv der neuen Unordnung reicht selbst in den Bereich der Technikphilosophie. In den Abschnitten 3.1 und 3.2 folgt die Studie dem Ansatz, dass Voraussetzung für ein Verstehen der Idee einer technologischen Meisterung von Natur-Herausforderungen ein hermeneutisches Verständnis des technischen Denkens selbst ist. Dementsprechend soll dem Diskurs um Climate Engineering in einem zweiten Schritt mit einer ideengeschichtlichen Historisierung der Begriffe »Technik« und »Natur« begegnet werden. Da der Grenzverlauf zwischen dem Natürlichen, dem Technischen und dem Kulturellen zunehmend durchlässiger wird, können Technikgeschichte und Geistesgeschichte nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden. In diesem Zusammenhang steht die Sichtung technikphilosophischer Stellungnahmen, die ausgehend von den zwei Grundrichtungen technikaffiner und technikkritischer

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Positionen zuletzt auch zu normativen Aussagen führen. Dabei sind die historischen Isolinien des Nachdenkens über Technik nachzuzeichnen und der einseitigen Bewertung im Lichte der Entlastungs- und Bedrohungsthese gegenüberzustellen. Die philosophische Rekonstruktion und Weitererzählung einschlägiger Konzepte über die Natur, die Technik und die Zivilisationsgeschichte bilden die Folie für das darauf folgende 4. Kapitel, das sich den ethischen, ästhetischen und hermeneutischen Kriterien und Fragestellungen widmet. Thema des Abschnitts 4.1 ist die Darstellung charakteristischer Begründungsschemata klimaethischer und naturethischer Argumente und die philosophische Interpretation der Bedingungen und Defizite einer entstehenden Geoethik. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Gilt das Postulat vom Fortschritt der zivilisatorischen Möglichkeiten unbegrenzt oder müssen dem konsequenten Ausreizen technischer Möglichkeiten vielmehr Grenzen gesetzt werden, sofern die möglicherweise Abstand gebietenden, unsichtbaren Grenzen einer selbstursprünglichen Natur oder die Rechte zukünftiger Generationen nicht beachtet werden? Welchen normativen Kriterien müssten diese möglichen Reglementierungen von Machbarkeiten folgen? Man könnte, wie bereits angedeutet, dafür argumentieren, dass großräumig angelegte und nie vollkommen kontrollierbare technische Eingriffe in komplexe Naturzusammenhänge a priori bereits ethisch unrechtfertigbar sind. Auf Climate Engineering bezogen hieße das: Wir tun der Erde Unrecht, wenn wir es nicht dabei belassen nur unsere selbst erzeugten Autos und Büros, sondern auch das ursprünglich nicht von Menschen verantwortete globale Klimasystem zu klimatisieren. Natürlich haben wir bereits in dieses System eingegriffen, nur wieweit soll die Bewirtschaftung des Planeten getrieben werden? Wenn die Natur einen prinzipiell nicht anzutastenden Eigenwert besitzt, dann sollten wir unsere Eingriffe möglichst reduzieren und nicht noch weiter verstärken. Oder verhält es sich gerade andersherum nicht vielmehr so, dass wir in erster Linie dafür Sorge tragen müssten, dass die zukünftige Erdoberflächentemperatur die gleiche wie diejenige aus vorindustriellen Zeiten sein wird, weil nur dadurch Wohlstand und Gesundheit in der Zukunft garantiert sind? Menschen und andere Lebewesen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Ressourcen nutzen, dass sie in einem Stoffwechsel mit dem Planeten stehen. Sollten bestimmte Bereiche wie polare Eisdecken denn nicht verhandelbar sein? Besitzen hoch technisierte Wohlstandsgesellschaften nicht sogar das Recht, sich die Welt gemäß ihres Wissenstandes, ihrer Interessen und ihrer Nöte einzurichten? Der umfangreiche Anspruch der Studie würde nicht erfüllt werden, ginge man nicht darauf ein, dass neben der Ökonomie und der Ethik immer auch schon die Kunst ein Angebot gemacht hat, um gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen zu können. Die risikoethischen Perspektiven ergänzend werden daher im Abschnitt 4.2 die bildrhetorischen Darstellungen von »Naturkatastrophen« im Verhältnis zu den Wissensinszenierungen von Wissenschaft und Technik untersucht. Anhand ausgewählter Beispiele aus den Printmedien, dem Filmschaffen und der Romanwelt wird das Augenmerk darauf gelenkt, wie sich über bestimmte Darstel-

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lungsmittel Technik- und Naturmetaphern in Argumente verwandeln. Dabei handelt es sich nicht um Argumente, die diskursiv vermittelt sind, sondern sowohl um Emotionen als auch um »fiktionalisierte Rationalitäten«, die unser Vorverständnis gegenüber neuen Entwicklungen rahmen und damit möglicherweise rückwirken werden auf scheinbar unschuldig-rationale Entscheidungsempfehlungen, die im Verlauf der Studie bis dahin untersucht wurden. Eine entscheidende Frage dabei ist: Inwiefern können sich massenmediale Fiktionen zu Realitätsdrehbüchern entwickeln? Da Erwartungen und Wahrnehmungen der Öffentlichkeit sowohl historisch informiert als auch medial geformt sind, gilt es, diese Prägungen, Vorverständnisse und Interpretationen bewusst zu machen. Während die Untersuchungen des Risiko-Begriffs die Dialektik von Chance und möglichem Schaden behandeln, sich die technikphilosophischen Überlegungen zwischen der Entlastungs- und der Bedrohungsthese bewegen und moralphilosophische Argumente Gerechtigkeitsfragen abwägen, so handeln die Untersuchungen zu der medialen Repräsentation von der Auslotung der Gegensätze Information und Manipulation. Auch beim letzten Begriffspaar ging es darum, den angeblichen Dualismus entweder in einer Synthese aufzulösen oder als eine anhaltende Aporie zu kennzeichnen. Am Ende schließlich und im Anschluss an den kritischen Durchgang durch die ökonomischen, ethischen und ästhetischen Kriterien, die für eine Bewertung des Climate Engineering zur Verfügung stehen, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass man auch als philosophisch aufgeklärter Entscheider und Wähler letztlich handlungsfähig bleiben muss. Diesbezüglich wird im abschließenden Abschnitt 4.3 ein alternativer Weg auf der Suche nach praxisrelevanten Antworten eingeschlagen. Im Mittelpunkt steht die Explikation der These, dass der gebildete und mittelbar an der Technikgeschichte geschulte Common Sense im Sinne der aristotelischen Klugheit (phronesis) in komplexen Handlungszusammenhängen aussagekräftiger ist als die Wahrscheinlichkeitstheorie oder moralische Normen. Überlegungen zum »impliziten Wissen«, zum »praktischen Wissen«, zur Intuition, zum Tacit Knowing und zum gesunden Menschenverstand werden in einen theoretischen Zusammenhang gebracht. Des Weiteren wird die Relevanz dieses Ansatzes aus der Annahme abgeleitet, dass sich Technologien ohnehin erst aufgrund der Möglichkeit ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz auf Dauer als wertvoll erweisen können. Die Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Risikogebrauch wird nicht nur die technische Machbarkeit, sondern auch die Möglichkeit der politischen Kooperation und der demokratischen Institutionenbildung sein. Ohne das Vertrauen der Öffentlichkeit ist diesen Herausforderungen nicht zu begegnen. Anhand konkreter Fallbeispiele soll der Frage nachgegangen werden: Was sind die Faustregeln des Vertrauens? Welche Grundannahmen der sozialen Urteilskraft führen dazu, dass sich eine Technologie gesellschaftlich und historisch durchsetzt und welche anderen lassen eine »Wirkungsgeschichte« abbrechen? Damit würden Kriterien existieren, anhand derer

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man im Vorhinein berechtigterweise mutmaßen könnte, welche technologischen Entwicklungen zum Scheitern verurteilt sind und welche weniger. iii) 360 Grad – Die panoramische Methode Philosophen sehen sich beizeiten dem Vorwurf ausgesetzt, dass das, was sie tun »alles einfach interpretativ aus der Luft gegriffen ist«. Um diesen naiven Umgang mit dem Begriff Interpretation in jene Luft aufzulösen, aus der er angeblich schöpft, soll auf den nächsten Seiten die Vorgehensweise dieser Studie vorgestellt werden. Wenn die philosophische Hermeneutik als Anwalt des Verstehens, und weniger des naturwissenschaftlichen Erklärens oder des normativen Beurteilens, den methodischen Horizont dieser Studie darstellt, dann heißt das zweierlei. Zum einen, dass es weniger um wissenschaftliche »Entdeckungen« geht, weil die Philosophie, zumal die hermeneutische, weniger nach Kausal- denn nach Sinnzusammenhängen fragt. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass das aufklärerische Ideal des Selbstdenkens in dieser Arbeit selbstbewusst vertreten wird.9 Denn es ist geradezu die Aufgabe und Kunst der Hermeneutik, ohne eine typische Methodentechnik ein Verstehen geschehen zu lassen. Das muss natürlich erläutert werden. Das Philosophieren wird zuletzt immer ein Denken ohne Geländer sein, um an einen bekannten Satz Hannah Arendts zu erinnern, und die Berechtigung für diese wagemutige Unternehmung lässt sich aus der Perspektive der Hermeneutik damit begründen, dass philosophisches Sprechen per se seinen Ausgang von der »grundsätzlichen Welterschließungskraft menschlicher Erfahrung« nimmt.10 Auf diese kann jeder zurückgreifen und muss ohnehin jeder zurückgreifen, da ein vorurteilsfreies Urteilen nicht möglich ist. Vorwissenschaftliche Lebens- und Spracherfahrungen sind die Bedingung der Möglichkeit jeder freimütigen Rede, die als ein Akt der Reflexion zuletzt eine Manifestation der menschlichen Freiheit ist.11 Die Verwobenheit des philosophischen Urteilsvermögens mit Lebensformen und Ausdruckswelten folgt dabei dem Strukturzusammenhang von Logik und Leben, den in unterschiedlicher Ge9 10

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Vgl. Kant, Immanuel: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, Akad.-Ausg. 8 (Kant’s gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1912), S. 35 f. Gessmann, Martin: »Zur Zukunft der Hermeneutik«, in: Philosophische Rundschau, 57: 2 (2010), S. 125–153 (im Folgenden zit. als Gessmann 2010a), hier S. 141. Siehe dazu Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode – Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik [1960], Gesammelte Werke, Bd. 1 Hermeneutik I, Tübingen 1975 (im Folgenden zit. als Gadamer 1975). Vgl. zur »Parrhesie« als philosophischer Praxis par excellence Gabriel, Markus: »Analytik der Wahrheit und Ontologie der Gegenwart? Der späte Foucault über Freiheit, Wahrheit und Kontingenz«, in: Parrhesia – Foucault und der Mut zur Wahrheit, hg. v. Gehring, Petra; Andreas Gelhard, Zürich 2012, S. 33–47. Den Begriff der »parrhesia« im Sinne einer »Rede mit dem Mut zur Wahrheit« entwickelte Michel Foucault im Anschluss an die kynische Philosophie in den Jahren zwischen 1982 und 1984.

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wichtung Edmund Husserl und der späte Ludwig Wittgenstein aufgezeigt haben. Damit ist die Unhintergehbarkeit der phänomenologischen Intentionalität angesprochen, der zufolge jede Tatsache nur möglich ist als gedachte und alles Gedachte das Denken voraussetzt und alles Denken wiederum einen Denkenden, der alle unsere Vorstellungen, und damit unsere Welt, stets begleiten muss. Dieser Denkende agiert nicht in einem abgeschiedenen »blutleeren« logischen Raum, was bereits Dilthey am Neukantianismus kritisierte, sondern er hat einen Standpunkt, er steht in einer lebensweltlichen Situation mit ihren jeweiligen Regeln und Institutionen. Folglich betreibt die analytische Philosophie angloamerikanischer Prägung letztlich ein Programm der »Selbst«- und damit auch der »Weltvernichtung«. Denn die widerspruchsfreie und in Formeln sprechende Perspektivenneutralität ist allenfalls für den Preis eines Verlustes indexikalischer Eigenschaften, und damit der individuellen Phänomenalität zu bekommen. Genau dies ist auch das Dilemma der modernen Physik und der Mathematik. Allerdings, und das darf ebenso wenig verdrängt werden, kann das Denken der individuellen Phänomenalität mögliche Widersprüchlichkeiten nicht ausschließen. Diese wird desto manifester, je vollständiger und totalitärer das Ziel der Weltbeschreibung angelegt wird. Die hermeneutische Auslegungspraxis integriert die angesprochene Perspektivität aller propositionalen Gehalte insofern als sie sagt, dass unser Denken und Vorstellen sich in einem endlosen Dialog mit einem anderen Denken und Vorstellen vollziehen muss. Diese Dialogizität findet in einem historisch überlieferten Referenzrahmen statt, weil die angesprochene Lebenswelt in eine kulturhistorische Geschichte eingebettet ist.12 Die vorliegende Arbeit wird sich daher bei klassischen Werken und einschlägigen Aufsätzen informieren müssen, will sie das Klimathema angemessen interpretieren. Sie beschränkt die möglichen Gegenstände des Verstehens allerdings nicht auf Werke der bildenden Kunst und auf literarische Texte, sondern zählt Technologien und Wissenschaften ebenso zu der verstehbaren Welt, da auch diese eine gestaltete Sinndimension aufweisen. Historische Werk- und Theorie-Rekonstruktionen stehen gleichberechtigt neben dem integrierenden Beschreiben und Reflektieren alltäglicher und wissenschaftlicher Urteile der Gegenwart. Im Prozess der Reflexion wird dabei immer wieder ein distanzierender Schritt zurückgegangen werden müssen, um sich der »Sache selbst« überhaupt nähern zu können. Dabei geben keine in binärer Logik mit Ja oder Nein zu beantwortende Forschungsfragen die Richtung von vornherein vor, sondern die Studie nimmt die gestellten Frage- und Infragestellungen lediglich als Ausgangspunkt, um die dadurch in das Blickfeld kommenden Annahmen wie Vorverständnisse zu explizieren und einzuordnen. Dieser hermeneutische Zirkel bedeutete immer schon research in action. Und zwar insofern als sich das während des Forschungsprozesses optimierende Verständnis genutzt wird, um das methodische Vorgehen kontinuierlich anzupassen und zu verbessern. 12

Siehe dazu Heidegger, Martin: Was ist das – die Philosophie? [1955], Pfullingen 1956, S. 14 ff.

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Weil das hermeneutische Verstehen mit einem Bein im Dienste des unabgeschlossenen Projekts der europäischen Aufklärung steht, scheint es an der Zeit zu sein, sowohl logizistische Glasperlenspiele als auch die akademische Geschichtsverwaltung zu überwinden. Lange genug wurde der Ideenreichtum der Klassiker für das geschützte Seminarglück unter Eingeweihten archiviert, ohne ihn für die Praxis zu mobilisieren. Das heißt, die Überlieferungsgeschichte muss sich keineswegs auf gebildete Debatten beschränken, sondern darf auch für praktische Handlungsbezüge fruchtbar gemacht werden. Diese Zielformulierung ist durchaus als Kritik an einer Kathederphilosophie zu deuten, die immer noch dazu neigt, ihre eigene Arbeit mit derjenigen einer Priesterklasse zu verwechseln. Andererseits will es die vorliegende Studie vermeiden, alle in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückten Gegenstände einem zum Selbstzweck entstellten Methodengestell anzupassen. Die Arbeit wird nicht der sozial- und geisteswissenschaftlichen Übung der vergangenen Dekaden folgen, entscheidende Innovationen in dem Erlass eines epistemologischen Turns zu suchen. Diese methodisch gemeinten »Paradigmenwechsel« beleuchteten über ein paar Jahre hinweg vertraute Forschungsgegenstände ein weiteres Mal aus einem neuen Blickwinkel und führten im Laufe der Zeit entweder zu narzisstisch verstiegenen Sätzen über die Wirklichkeit im Ganzen oder zu hochprofessionalisierten Detaildebatten, die äußerst unergiebigen waren, weil das Forschungsfeld längst bestellt war. Es besteht durchaus eine wichtige Aufgabe darin, »historische Aprioris« (Michel Foucault), »Paradigmen« (Thomas S. Kuhn), »Weltbilder« (Martin Heidegger) und »Denkstile« (Ludwik Fleck) historisch zu rekonstruieren, aber sie selbst zu erfinden kann nur entweder das frivole Geschäft der postmodernen Vernunft sein oder einem Wahrheitsfundamentalismus cartesianischer Prägung das Wort reden. Die vorliegende Arbeit geht stattdessen von der Prämisse aus, dass das sachorientierte philosophische Denken einer säkularisierenden Renaissance bedarf. Man muss nicht gleich »philosophische Normalwissenschaft« betreiben, will man sich von unbegründeten Meinungen abheben können. Wirklichkeitsrelevante Arbeit am Begriff zeichnete sich seit jeher durch eine riskante Art des Fragens und Denkens im heuristischen Dialog mit sowohl alltäglichen Beobachtungen als auch philosophiehistorischen Positionen aus. Nur eine dergestalt lebensweltlich wie historisch informierte Form des Welt-, Problem- und Lösungserschließens lässt über den Rand gängiger Wahrheitskonventionen in den empirischen Wissenschaften sowie den Medien hinausdenken. Gelingt dies, dann wird vermieden, dass die für die Zukunft grundlegenden Themen der Gegenwart in den Schubladen unreflektierter Kategorien und Schlagwörter abgelegt werden. Dieses differenzierende und deutende Denken erhebt seinen traditionellen Universalitätsanspruch daraus, dass es Zusammenhänge verstehen kann, die weder empirisch zu beobachten noch mathematisch zu berechnen sind, und doch Realitätsphänomene – oder zumindest die Bedingungen der Möglichkeit von Realitätsphänomenen sind.

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Für diese Studie ist charakteristisch, dass sowohl die Wahl des Gegenstandes als auch das methodische Vorgehen ungewohnt, aber nicht neu sind. Das angestrebte Ziel besteht in einer disziplinübergreifenden und transtextuellen Anwendungsorientierung philosophischer Interpretationskunst auf die Phänomene der Lebenswelt, die in eine integrative Relektüre traditioneller Modernitätstheorien eingebunden ist. Die Zugangsweise zielt darauf ab, die klassischen Grenzen der philosophischen Schulen neu zu justieren und einige von diesen miteinander kombinierbar zu machen. Philosophische Konzeptionen müssen nicht kontinuierlich gegeneinander ausgespielt werden. Anspruchsvoller und konstruktiver ist das Aufzeigen ihrer Zusammenhänge. Wer sich auf inter- und transdisziplinäre Arbeit einlässt, wird sich ohnehin um eine durchdachte Integration vielfältiger Methoden bemühen müssen, damit der holistische Ansatz nicht zu einer unscharfen Defokussierung führt. Die Untersuchung kann sich deshalb auch nicht allein auf die TextHermeneutik Hans-Georg Gadamers verlassen. Komplementär dazu werden diskursanalytische und systemtheoretische Komponenten auf der Basis der Soziologien von Michel Foucault und Niklas Luhmann miteinbezogen, die eine Beobachtungsmatrix für die Kommunikationsverhältnisse gegenwärtiger Gesellschaften zur Verfügung stellen. Folgende Punkte zeigen, weshalb diese drei methodischen Ansätze für das Ziel dieser Arbeit relevant und warum sie miteinander kombinierbar sind. Sie alle versetzen den Denkenden in die Lage, die verschiedenen Dispositive unseres Fürwahrhaltens philosophiehistorisch herauszuarbeiten. Dadurch zeigt sich, inwiefern gegenwärtige Phänomene in sowohl traditionellen als auch lebensweltlichen Kontexten stehen. Die genannten Vorgehensweisen eint somit der Versuch, auf unterschiedlichsten Wegen die transzendentalen Bedingungen, die ideengeschichtlichen Referenzrahmen, die begrifflichen Voraussetzungen, die wissenschaftlichen Konstellationen, die gesellschaftspolitischen Situationen sowie die systemischen Umstände der Phänomens Klimawandel und der Diskursfigur Climate Engineering freizulegen. Die Studie geht folglich von der Prämisse aus, dass kein Gegenstand des Wissens autonom und ohne Relation entstehen und existieren kann. Naturwissenschaften sind deshalb gut beraten, wenn sie von Wissenschafts- und Kulturtheorien flankiert werden. Gerade bei einer sachlich erforderlichen Kooperation unterschiedlicher Disziplinen kann nur die philosophische Reflexion eine Basis zur Verfügung stellen, auf der sich die sozialen wie rechtlichen, ökonomischen wie geografischen und zuletzt rein physischen Aspekte des Climate Engineering im Rahmen einer Gesamtdeutung anthropologisch-historischen Zuschnitts integrieren lassen. Dieser universalistische Anspruch steht selbst wiederum im Kontext einer langen Tradition, woran Georg Simmels Erörterung über das Wesen der Philosophie erinnert: »Der Mensch ist im allgemeinen […] immer auf irgend welche Einzelheiten gerichtet; mögen sie sehr klein oder groß sein: der tägliche Broterwerb oder die Kirche, ein Liebesabenteuer oder die Entdeckung der Periodik der chemischen Elemente – es bleiben

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immer Einzelheiten, die das Sinnen, das Interesse, die Betätigung erwecken. Der Philosoph aber hat […] einen Sinn für die Gesamtheit der Dinge und des Lebens, und […] die Fähigkeit, diese innere Anschauung oder dieses Gefühl des Ganzen in Begriffe und ihre Verknüpfungen umzusetzen.«13

Simmel zufolge wird bei diesem Versuch, die Gesamtheit der Dinge zu denken entweder inhaltlich oder formal vorgegangen. Die erste Option vertreten mystische und theologische Philosophien, die zweite die Kantische Tradition. In beiden Fällen ist »die Welt« nicht ohne die vereinheitlichende Funktion eines »Geistes« zu denken. Anders als die empiristischen und positivistischen Erkenntniswege der Naturwissenschaften besteht die Position der Philosophie demnach darin, jene Ganzheit auf einen Modus des »Geistes« zurückzuführen. Platzhalter dafür können sein: göttliche Ideen, der menschliche Verstand, das Ich, das Wollen, das Bewusstsein, die Sprache, der Diskurs, das soziale System. Auch für die Lebenswelt-Phänomenologie Martin Heideggers bedeutet Philosophieren Reflektieren, allerdings versucht sie sowohl gegenüber den Subjektphilosophien als auch gegenüber den positivistischen Wissenschaften eine scharfe Kehre zu vollziehen und sich von dem Anspruch »das Ganze« vorzustellen zu verabschieden. Diese Wende hat sich in anderen Wissenschaftskulturen nach wie vor kaum herumgesprochen. Heidegger hebt den epistemologischen Subjet-Objekt-Dualismus insofern auf, als das praktisch-zeitliche In-der-Welt-Sein des Daseins jenes Sein ist, das wir selbst sind und das wir immer schon verstehen, sofern wir sind.14 Alles, was vernünftige, endliche Wesen erforschen, erklären oder verstehen wollen, ist immer schon da, weil dasjenige, was kein Aspekt des Daseins ist, diesem weder zugänglich ist noch jemals zugänglich werden kann. Sachverhalte sind demnach zum einen nicht einfach »objektiv« vorhanden, als wären sie vom Menschen unabhängige, vor ihm liegende Dinge, von denen er a priori nichts weiß. Denn dann, so das skeptische Argument, werden wir von ihnen auch niemals etwas wissen können, worauf Platons Menon bereits hingewiesen hat. Zweitens sind wirkliche Sachverhalte nicht einfach »subjektive« oder »soziale« Konstruktionen eines Subjekts oder einer Gesellschaft. Denn dann stünden wir plötzlich im Nichts, wenn diese kognitiven und sozialen Ingenieurleistungen einmal aussetzen würden. Das heißt, die Unterscheidung zwischen propositionalen Einstellungen wie glauben, meinen, fürchten und beispielsweise dem Gegenstand des Tigers, von dem wir glauben, meinen, fürchten, dass er vor uns steht, würde unter jener Voraussetzung hinfällig werden. Demzufolge wären wir im Notfall gerettet, wenn wir einfach beschließen würden zu meinen, der Tiger existiere gar nicht in der Realität. Mit Heidegger lässt sich sagen: 13 14

Simmel, Georg: »Vom Wesen der Philosophie« [1910], aus: Gesamtausgabe, Bd. 12, hg. v. Otthein Rammstedt, Aufsätze und Abhandlungen 1909–1918, Bd. 1, hg. v. Kramme, Rüdiger; Angela Rammstedt, Frankfurt a. M. 2001, S. 71. Heidegger, Martin: Sein und Zeit [1927], Tübingen 2001(im Folgenden zit. als Heidegger SuZ).

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Alles, was der Fall ist, ist weder eine schiere Einbildung und bloße Möglichkeit noch eine objektive Tatsache, sondern ein Moment des sich räumlich, zeitlich und sozial ereignenden Daseins. Immerhin existiert es in der Umgebung des praktischen Umgangs und des Angegangen-Werdens, mithin des Tuns und des Leidens. Die Aufgabe der Philosophie sei es nun, ein Licht auf diese Umgebung zu werfen, damit sie sich uns zeigen könne, wie sie für uns ist. Doch aus der These der Beschreib- und Begehbarkeit der Welt folgt nicht, sie müsse auch im Ganzen sinnvoll, regelhaft, bedeutsam und zielorientiert sein. Ganz im Gegenteil ist gerade die Pluralität von Fraktionen und nicht die absolute Einheit Garant eines Verstehens, das immer das Verstehen einer Sache ist, die sich von anderen unterscheidet. Ebenso ist nie ein Strich unter eine fiktive Summe dieser Sachen zu setzten, weil dann dieser Strich selbst wiederum dazugerechnet werden müsste. Schon Hegel hat darauf aufmerksam gemacht, dass alles Abgegrenzte nur denkbar ist, wenn es auf der anderen Seite, hinter der Abgrenzungslinie weitergeht. Absolute Vollständigkeit ist allein für den Preis der Widersprüchlichkeit zu haben. Der für die folgende Erörterung entscheidende Aspekt besteht nun darin, dass wir uns mit jenen »Tat-sachen« ursprünglich in einem praktischen Austausch befinden. Sie »gehen uns zur Hand« und »liegen uns zu Füßen«. Die Welt, mit der wir alltäglich umgehen, und zwar sowohl in der natürlichen als auch der theoretischen Einstellung, kann demzufolge nicht gedacht werden ohne die Praxis des Stehens, Laufens, Sehens, Greifens, Zeigens, Besorgens, Liebens, Denkens.15 Von daher können die philosophischen Fragen der vorliegenden Arbeit nur lauten: Wie sehen, berechnen und beantworten die sich dafür zuständig fühlenden gesellschaftlichen Gruppen den Klimawandel? So wäre der Klimawandel eine Frage, zu der Politiker, Wissenschaftler und Ingenieure Antworten im Sinne einer kommunikativen Praxis entwickeln. Wie bei der historisch-kritischen Analyse von geschriebenen Texten, geht es sodann darum, die entsprechenden Denktraditionen, begrifflichen Kategorien und Urteilskriterien herauszuarbeiten, die jene politischen und technischen »Antworten« rahmen und organisieren. Warum? Um sie besser zu verstehen. Einer philosophischen Arbeit wie der vorliegenden geht es um nicht mehr und nicht weniger als um eine begriffliche Deskription von klimarelevanten Kommunikationszu15

Folgende Überlegung liegt diesem Gedanken zugrunde. Alle praktischen Akte sind Versuche, dem kontinuierlichen Überwältigt-Werden durch das Rauschen des Seins aktiv entgegen zu handeln. Das, was wir vernehmen wird erst dadurch wirklich, dass wir etwas mit ihm machen: es anschauen, es erinnern, es berühren. Diese codierenden und damit Welt-konstituierenden Handlungen sind allesamt Phasen eines umfassenden Ereignisses, das seit Descartes dualistisch in »Ich« und »Welt« aufgespalten wird. Wenn aber Wirklichkeit »Information«, also »Geformtsein« bedeutet und die ursprüngliche Weise jener »Weltbildung« die menschliche Praxis ist, dann ist man berechtigt allgemein zu urteilen: Wirklich ist immer das, was ein Moment einer Handlung ist – oder: Sein, das verstanden werden kann, ist Praxis. Und weil nun, wie bekannt ist, sich jede Handlung bestimmter Techniken bedient, ist die Technikphilosophie in diesem anspruchsvollen Sinne ein unverzichtbarer Bestandteil einer Hermeneutik der Lebenswelt.

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sammenhängen in einer bestimmten Hinsicht; und zwar des Versuchs, ihre Voraussetzungen, Gründe und Folgen für das Denken transparent zu machen. Denken heißt in diesem Zusammenhang: durchschauen wollen. Die Geltung dieser Auslegung wird sich nicht danach bestimmen, ob sie im formallogischen Sinne »wahr« statt »falsch« ist, ob sie im metaphysischen Sinne Teil an »der Wahrheit« hat oder ob sie im enthusiastischen Sinne »evident« und »gewiss« ist.16 Die Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Wissen, als den »begründeten, wahren Überzeugungen« und den bloß begründeten Meinungen wird erkenntnistheoretisch überschätzt.17 Sie würde das nicht, wenn der Begründungsprozess eo ipso auf Wahrheit stoßen würde. Dafür ist allerdings eine platonische Metaphysik notwendig, was heute wenig attraktiv erscheint. Um jene Unterscheidung durchhalten zu können, müsste man jedenfalls wissen können, wann eine Begründung eines synthetischen Urteils »Wissen« stiftet und wann nicht – die Möglichkeit Unwahres zu begründen müsste ausgeschlossen werden können. Im Gang des Gründe-Gebens wird man jedoch nie auf externe, ewige Kriterien für »letzte Gründe« zurückgreifen können, sondern man wird immer mit irgendeiner Meinung beginnen müssen. Wenn man auf jene externen Kriterien für absolutes Wissen zurückgreifen können will, dann müsste man aus seinem Bewusstsein und seiner Zeit herausspringen können, um in der Lage zu sein, einen Nicht-Standpunkt einzunehmen, was offensichtlich einen Selbstwiderspruch darstellt. Die vorliegende Studie sieht sich nicht dazu veranlasst, den Wissensbegriff komplett zu verwerfen, aber der Gedanke, dass Wissen geschichtlich und fehlbar ist, stellt für sie eine notwendige Bedingung dar. Denn unsere Gründe, mit denen wir einen Satz rechtfertigen, müssen nicht immer die eigentlichen Gründe für dessen Geltung sein, mögen sie noch so berechtigt sein. Auch gut begründete Überzeugungen können falsch sein, obwohl das, wovon man überzeugt ist, ein wahrer Sachverhalt ist. Das heißt, aus der Tatsache, dass eine Aussage möglicherweise falsifiziert werden kann und dass diese Aussage in bestimmten Fällen aufgrund neuer Umstände möglicherweise anders begründet werden muss, folgt nicht, dass sie kein Wissen sei.

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In all diesen Fällen werden Konzeptionen durchdekliniert, die entweder extrem voraussetzungsreich oder formalistisch trivial und für synthetische Urteile nicht hinreichend sind. Darüber hinaus ist die Auffassung, dass »Wahrheit« sich allein im Prinzip der disponierenden Ordnung und der hierarchischen Unterordnung manifestiere, spätestens seit Adorno als ein Mythos der Rationalität entlarvt. Demzufolge spiegle sich in jeder geometrischen Epistemologie immer auch der »Militarismus« gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse (vgl. Horkheimer, Max; Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung – Philosophische Fragmente [1947], Frankfurt a. M. 2006 (im Folgenden zit. als Horkheimer/Adorno 2006), S. 20, 28). Auch für den Machthistoriker Michel Foucault sind Wahrheitsakte kaum mehr als gehorsame Geständnisse. Siehe zu den disziplinierenden Prozeduren von Wahrgeständnissen, die heutzutage nur noch wenige aufmerken lässt, Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen – Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt a. M. 1983, S. 77 f. Zu einem Klassiker der Erkenntnistheorie ist diesbezüglich der kurze Essay von Gettier geworden, vgl. Gettier, Edmund L.: »Is Justified True Belief Knowledge?«, in: Analysis 23: 6 (1963), S. 121–123.

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Dies vorausgesetzt, gehen die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit davon aus, dass sich der Wert einer Aussage vielmehr und in erster Linie an der Frage bemisst, ob das Ausgesagte sprachlich so formuliert wurde, dass Mitmenschen sich sagen können: Hier wird eine Sache dergestalt begründet und verdeutlicht, dass sie sich mir in ihrem praktischen oder theoretischen Gebrauch erschließt. Oder: Hier fällt ein Licht auf jenes Phänomen, sodass erstens dieses überhaupt erst als solches sich zeigt und zweitens, dass von möglichen Wahrnehmungs-, Verstehens- und Verwendungsweisen Kunde gegeben wird. Die dabei eingeforderte Allgemeingültigkeit verlangt nicht nach Urteilen, die Zustimmung erfahren, wohl aber nach Urteilen, die für die Allgemeinheit zustimmungsfähig sind. Wenn in der Folge mit einer Theorie oder einem Gedanken bestimmte Erscheinungen besser oder zumindest anders verstanden werden können als man es bisher gewohnt ist, dann ist damit alles erreicht, was berechtigterweise verlangt werden kann.18 Diese kurze Einführung in die wissenstheoretischen Positionen der vorliegenden Arbeit zeigt, dass sich ihr methodisches Kohärenzideal kaum an den klassischen Metaphern des sich verzweigenden Baumes oder des roten Fadens orientieren kann, auf den im Vorhinein genau abgezählte Bausteine additiv aufzureihen sind. Denn man hat es hierbei mit einem erkenntnistheoretischen Modell zu tun, demzufolge allein allem Festen und Separierten ein Anspruch auf Wahrheit zusteht, während alles Fluide und Gemischte nur falsch sein kann. Doch die Annahme, dass Bedeutung allein durch eine »klare und deutliche« Analyse entwickelt werden kann, ist irreführend.19 Denn eine Vorgehensweise, die immer schon eine dichotom und hierarchisch verfasste Welt der Sachverhalte voraussetzt, wird der Ambiguität des Konkreten diesseits der vereinfachten Labor-, Simulations- und Umfragewirklichkeiten nicht gerecht. Spätestens seit Ferdinand de Saussures Semiotik, dank methodischer Weiterentwicklungen bei Jacques Derrida oder auch dank der »Rhizom«Theorie von Gilles Deleuze und Felix Guattari, kann man in der Semantik nicht mehr über das dynamische Netzwerkdenken hinweggehen, das besagt: Identität und 18

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Die vertretene »Wahrheitstheorie« dieser Studie ist demnach eine pragmatische, insofern als sie von dem Kriterium der »berechtigten Behauptbarkeit« ausgeht und sie ist eine praxeologische, insofern als Aussagen über Wirkliches immer Aussagen über praktische Vollzüge sind. Darüber hinaus wird die These vertreten, dass Wissen nicht notwendig propositional verfasst sein muss, sondern nur das explizite und technische Wissen. Andernfalls wäre das implizite Wissen von Kunstwerken, Intuitionen oder Analogien ausgeschlossen. Die Arbeit wird noch auf Michael Polanyis Credo »We can know more than we can tell« zurückkommen. Aussagende Urteile können jedenfalls nur innerhalb des Horizontes eines Weltverständnisses gefällt werden, der zuvor aufgespannt werden muss. Auch dieser grundlegende Weltkontakt ist ein verstehender; er weiß nichts Bestimmtes über eine Sache, aber er weiß die Welt als einen Bereich von Bereichen. Das cartesianische Ideal der klaren und deutlichen Einsicht (»clare & distincte«) findet seine Erfüllung im Grunde nur in tautologischen Urteilen oder in Teilgebieten der Mathematik; siehe zu dieser Wahrheitsregel Descartes, René: Meditationen über die Erste Philosophie (Meditationes de Prima Philosophia, 1641), Dritte Meditation, übers. u. hg. v. Gerhart Schmidt, Stuttgart 2012 (im Folgenden zit. als Descartes Meditationes), S. 101 (AT VII, S. 35).

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Relation sind gleichursprünglich. Diesen Ansätzen zufolge ist eine analytisch aufteilende Repräsentation dessen »was der Fall ist« unmöglich, weil jeder einzelne Sachverhalt sich verändert, löst man ihn aus seinem Kontext heraus. Das heißt erstens, dass alles Einzelne seine Bestimmung erst in der Differenz zum Anderen erhält und dass es zweitens seine Bestimmung durch den Akt des Differenzierens stets verändert. Jede notwendig isolierende Forschung und jedes scheinbar passive Nacherzählen greift konstruktiv in das Erzählte ein, indem dieses immer nur im Lichte der jeweiligen Erzähllogik existiert – wie man wiederum bei Paul Ricœur nachlesen kann. Vor diesem Hintergrund ist es ist immer wieder erstaunlich, dass in der akademischen Welt nach wie vor atomistische Epistemologien vorherrschen. Die vorliegende Arbeit orientiert sich dagegen an dem Anspruch, durch wiederholte Perspektivverschiebungen dem Ziel eines dynamischen und mehrdeutigen Verweisungszusammenhangs nahe zu kommen. Damit stellt sie dem zweiwertigen Rationalismus – und der sich dabei vollziehenden tiefenphilosophischen Verdrängungen der logischen Abgründigkeit der Negation – die Logik eines dynamisch vernetzten Hypertextes zur Seite. Diese Infrastruktur des Verstehens verlangt, dass die Räume des Wissens durch plurale und miteinander verbundene Wege erschlossen werden. Denn man wird keine vernünftige Karte einer Stadt erstellen können, wenn man auf geradem Weg durch sie hindurch eilt. Demzufolge legt die panoramische Methode besonders Wert auf folgenden Unterschied: Wenn Körper einen Weg zurücklegen, dann gehen sie im linearen Sinne von einem Punkt A zu einem Punkt B und sie sind in B dieselben wie in A. Die Vorgehensweise von Gedanken und Kommunikationsformen ist anderer Natur. Sie ist vergleichbar mit den Emissionen von Gasen, mit feurigen Explosionen, mit der Verbreitung von Viren und der Verteilung eines Tropfen Wassers, der ins Wasser fällt. Die Präsenz des Denkens ist schwankender und flackernder, ihre Verlaufsform ist gewundener. Gedanken können an mehreren Orten zugleich sein. Diesem Muster folgt auch die Strukturlogik der panoramischen Methode. Sie breitet sich konzentrisch wie das Licht einer Lampe von einem Punkt in die Umgebung aus. Ist das auszuleuchtende und auszumalende Gebiet ein weites Feld, dann bedarf es mehrerer solcher Zentren. 20 Wenn mithin der Facettenreichtum ein methodisches Ziel darstellt, dann ist die Geltung des analytischen tertium non datur aufgehoben. Auf diese Diagnose einer Fehlentwicklung der verwissenschaftlichten Philosophie, die eine Tendenz zum Ausschluss der abgründigen und analytisch nicht feststellbaren Wirklichkeit aufweist, antwortet die vorliegende Studie mit einer Inklusion des vielfältigen Stimmenspektrums. Aus diesem Grund werden für sie nicht nur naturwissenschaftliche Papiere und philosophische Monografien konsultiert, sondern die Studie lässt sich ebenso von Zeitungsartikeln und Romanen Auskunft geben. Da jedoch selbst Texte und Diskurse in einem weiteren Sinne nicht die einzigen Repräsentationssysteme 20

Vgl. zum Prinzip der Kommunikation als einer nichtlinearen Distribution Serres, Michael: Atlas [1994], Berlin 2005 (im Folgenden zit. als Serres 2005), S. 245–257.

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von Gesellschaften und der menschlichen Lebenswelt sind, rücken auch Bilder, Filme, Technologien und Klimasimulationen in den Fokus des Interesses. Allerdings, das sei an dieser Stelle mit Nachdruck betont, ist mit dieser Methodenreflexion nur jenes Niveau markiert, das nicht mehr unterboten werden darf. Die epistemologische und methodologische Ausrichtung dieser Arbeit geht noch einen Schritt darüber hinaus, denn poststrukturalistische Dekonstruktionen stehen nach dem Ende der Postmoderne nicht mehr im Zentrum dieser Studie. Nach den von Prismatikern und Analytikern ebenso wie von epistemologischen Turns und Paradigmenwechseln geprägten Jahrzehnten befinden wir uns derzeit an der Schwelle zu einer Zeit, an der die Philosophie sowohl den methodischen Formalismus als auch den skeptizistischen Relativismus überwinden muss, um sich wieder »den Sachen selbst« zuzuwenden, wie Edmund Husserl es seinerzeit formulierte. Warum sollten sich alle anderen Berufe an einem gesellschaftlichen Bedarf orientieren, die professionelle Philosophie jedoch nicht? Einem erfrischend eigenständigen Zugriff auf lebensweltliche Phänomene verschreibt sich gegenwärtig die postkonstruktivistische Schule aristotelischer Synthetiker.21 Auch die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, die skeptische Fragmentierung von Schein-Einheiten auf der einen Seite und das dogmatische Herausarbeiten dramaturgisch schlüssiger Argumentationsplots auf der anderen wieder miteinander zu verbinden. Denn sie geht von der Annahme aus, dass erst die Vermittlung zwischen der »Hermeneutik des Verdachts« und der »Hermeneutik des Vertrauens« den Weg zu den Tatsachen selbst wieder frei räumen kann.22 Dieser Weg hat sein Ziel in der Restitution eines synoptischen Denkens jenseits des analytischen Spezialistentums angloamerikanischer Prägung und tiefenpsychologischer Dekonstruktion französischer Schule. Eine wertkonservative Polemik wie diese hat ihre Gründe nicht zuletzt darin, dass die beschleunigte und vernetzte Lebenswelt nicht mehr im Rhythmus von Jahrhunderten, sondern alle zehn Jahre drängende und folgenreiche Fragen aufwirft, für die die Ressourcen der Philosophie gebraucht werden. Denn diese Fragen beziehen sich auf komplexe Probleme, die zum einen in den Kontext anderer Probleme eingebettet werden müssen und zum anderen verlangen, dass über ihre zeitlichen und situationsspezifischen Grenzen hinaus gedacht wird.23 Die Philosophie hat aufgrund ihrer zweieinhalbtausend jährigen Geschichte ein gewisse Übung und Erfahrung in diesem »systemischen Denken«. Dieses gilt es wieder zu rehabilitieren, allerdings weniger im hierarchischen Modus einer Verordnung von Offenbarungswissen, sondern im Sinne des dialogischen Gebens und Nehmens von Gründen. 21 22 23

Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich: Präsenz, Frankfurt a. Main 2012; Ders: Diesseits der Hermeneutik, Frankfurt a. Main 2004, Gessmann, Martin: Die Zukunft der Hermeneutik, München/Paderborn 2012. Vgl. Gessmann 2010a, S. 135. Vgl. Dörner, Dietrich: Die Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen, Reinbek bei Hamburg 2003 (im Folgenden zit. als Dörner 2003), S. 14.

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Für das methodische Organisationsmodell der vorliegenden Arbeit bedeuten diese Überlegungen, dass nicht nur der Vergleich mit einer sich analytisch verzweigenden Baumstruktur inadäquat ist, sondern ebenfalls der Vergleich mit einer spekulativen Rhizomatik. Die Methodik der vorliegenden Studie orientiert sich stattdessen an der elektrotechnischen Metapher einer bestückten Leiterplatte. Methodologisch wichtig ist, dass die Platine in ihrer Netzstruktur nicht hierarchisch geordnet ist, sondern jeder Blickwinkel und jedes Detail gleichwertig neben dem anderen steht. Nicht ganz zufällig erinnern verschaltete Platinen im Lichte einer geschickten Beleuchtung an die Strukturkomplexität einer modernen Großstadt, die ebenfalls nicht mehr nur ein einziges Zentrum hat. Bezüglich des funktionalen Aspekts ist vor diesem Hintergrund der Vergleich mit der auf Gerhard Mercator zurückgehenden Tradition der projektiven Geoinformation aufschlussreich. Denn die vorliegende Studie kann in ihrer Funktion auch mit einer Karte beziehungsweise mit einem Panoramabild verglichen werden, welches das diskursive Klima des Klimawandels simuliert. Dabei liegt der Schwerpunkt weniger auf der abstrakten Repräsentation denn der handlungsorientierten Auslegung.24 Damit lässt sich nun auch besser verstehen, worum es der Politischen Hermeneutik letztlich geht: um die Arbeit an einem deutenden Panorama sozial relevanter Gegenstände. Diese dezidiert phänomenologische Form der Hermeneutik ist eine Philosophie, die gerade dadurch aufschlussreich interpretiert, dass sie nüchtern beschreibt. Sie bedient sich einer Deskription, welche die wissenschaftlichen Spezialbefunde komprehensiv und komplementär aufnimmt und – aus heuristischen Gründen – mit grundlegenden Thesen aus der Philosophiegeschichte doppelbelichtet. Dieses Verfahren gründet auf dem Befund schon der klassischen Hermeneutik, im eigentlichen Sinne kein Wissen zu schaffen, sondern sich deutende Zugänge zu ihm zu verschaffen. Das heißt, die Hermeneutik legt das Wissen aus, indem sie strukturelle Voraussetzungen frei legt. Dabei verfährt sie natürlich selektiv, was indes nicht bedeutet, sie handle willkürlich. Denn als historisch gebildete nimmt die philosophische Urteilskraft für sich in Anspruch zu wissen, welcher Unterschied den Unterschied macht: Ein bloß Kuriositäten ausstellendes Panoptikum für philosophierende Sonntagsspaziergeher soll gerade nicht angeboten werden. Ebenso wenig erliegt die Arbeit der Versuchung einer Restitution des enzyklopädischen und exklusiven Wissensanspruches. Sie versucht sich nicht an einer neuen Übersichtlichkeit und sie meldet auch kein Welt24

Vgl. zur Struktur raum-zeitlicher Modelle, Pläne und Karten Serres 2005. Die Idee der panoramischen Methode knüpft unmittelbar an den in einer früheren Arbeit entwickelten Begriff des zyklischen Erinnerns an (vgl. Fernow, Hannes: Zyklisches Erinnern – Alfred Hrdlickas Radierzyklus »Wie ein Totentanz« – Die Ereignisse des 20. Juli 1944, Wien 2012, S. 87–97; im Folgenden zit. als Fernow 2012). Während ich am Beispiel eines Kunstwerkes das zyklische Erinnern als eine veritable künstlerische Methode für die »Vergangenheitsbewältigung« entwickelt habe, schlage ich in der vorliegenden Arbeit am Beispiel einer Großtechnik das panoramische Denken als eine philosophische Methode für die »Zukunftsbewältigung« vor. Siehe zum komprehensiven Denken Fuller, Richard Buckminster: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde (Operating Manual for Spaceship Earth, 1969), hg. v. Joachim Krause, Hamburg 2008 (im Folgenden zit. als Fuller 2008), S. 10–20.

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geist-Versteher-Monopol an. Andere Panoramablicke können folgen und diesen ergänzen oder ersetzen. Das heißt allerdings nicht, dass einzelne Wissensregionen nicht mehr für eine bestimmte Dauer gründlich vermessen werden könnten. Des Weiteren antwortet das methodische Modell dieser Studie auf eine konkrete Herausforderung: Die mit der Climate-Engineering-Option aufgekommenen Informationen und Meinungen sowie die Vielfalt der philosophischen Fragen, die diese Techniken aufwerfen, sind unabgeschlossen, unübersichtlich, verwinkelt und verworren. Aus diesem Grund braucht es komplexitätsreduzierende, verdeutlichende und wegweisende Karten und Panoramen, die jene Wissenslandschaft erstmals lesbar machen. Insofern wird der auf den folgenden Seiten entfaltete Ausblick kein Selbstzweck sein. Er dient der Orientierung und dem Verstehen, dem Voranund dem Ankommen, dem Besser- und Weitersehen. Er dient sowohl demjenigen, der aus Neugierde zu einer Reise in ein ihm fremdes Gebiet aufbricht, als auch demjenigen, der zufällig in dieses Gebiet hineingeraten ist. In diesem Sinne kommt es bei der Komposition der Arbeit darauf an, auf folgende Strukturmerkmale zu achten: Wo verlaufen die gebietserschließenden Wege des behandelten Themas, die zu gehen es sich lohnt? Welche Grenzlinien begrenzen und unterbrechen das Wissensgebiet? Welche Bereiche und Brennpunkte sind als gliedernde Elemente besonders hervorzuheben? Welche Merkzeichen sind erinnerungswürdig?25 Anders formuliert: Das Ziel der Studie ist, die den besten Überblick verschaffenden Aussichtspunkte einzuzeichnen, vor konzeptionellen Abgründen zu warnen und jene Wege im Gelände hervorzuheben, die keine Sackgassen sind, sondern gut mit anderen verknüpft. Nur dadurch kann das relativ unbekannte Terrain des Climate Engineering philosophisch erschlossen werden. Dies soll allerdings nicht nur für das hügelige Climate-Engineering-Gebiet gelten, sondern auch für die Metropolregion Wissenschaft-Technik-Natur. Vor diesem Hintergrund gliedert sich die Vorgehensweise der panoramischen und kartografierenden Methode in die drei klassischen, sich komplementär ergänzenden phänomenologisch-hermeneutischen Schritte: Deskription, Kontextualisierung und Reflexion. Zuerst stehen Auskundschaftungen und Sammelgänge in der DiskursWirklichkeit an: Welche Themen und Begrifflichkeiten herrschen vor und werden vornehmlich besprochen? Anschließend gilt es die gemachten Beobachtungen inhaltlich zu sortieren und die impliziten Diskursfäden und Traditionslinien freizulegen. Abschließend folgt die eigentliche philosophische Arbeit der Kritik und der Deutung. Dabei hängt viel von der Wahl des »richtigen« Standpunktes ab und das heißt natürlich: von der Höhe dieses Ortes. Für Panoramablicke ist der »erhöhte Standpunkt« eine konstitutive Voraussetzung, weil erst dieser die Ruhe und Fern25

Diese fünf Strukturmerkmale einer Stadt sind entnommen aus: Lynch, Kevin: Das Bild der Stadt, Basel 1968, S. 60–63. In unserem Zusammenhang handelt es dabei nur um abstrakte symbolische Formen. Ein Bereich ist beispielsweise die Klimaethik, ein Merkzeichen der Begriff der Generationengerechtigkeit und ein Weg eine begründende Argumentationskette.

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sicht einer guten Aussicht verspricht, was phänomenal leicht überprüfbar ist. Die Zeiten, in denen dieser durch Platons olympische Geistesgröße, Nietzsches Adlerblicke aus Sils-Maria oder Heideggers Schwarzwaldhüttenfenster ermöglicht wurde, sind wohl vorüber. Wenn Wissen tatsächlich nur von einem einzigen gedacht und nur für ihn allein gelten könnte, dann wäre es kaum vom Quatsch unterscheidbar. Nicht zuletzt deshalb bedarf es des vernetzten Denkens im Austausch mit den lebenden und den verstorbenen Kollegen. Dennoch ist nach wie vor die Abstraktion, die Reduktion auf die »Grundbegriffe« und die »Grundstimmungen« in den Texten und Kontexten der Welt wesentlich, um im Besonderen das Allgemeine zu erkennen. Philosophisches Begreifen vollzieht sich über das Erschaffen und Gebrauchen von Begriffen, Metaphern und Beispielen, weil dadurch ein Distanz einräumender Schritt zurückgegangen werden kann und sich das Verstehen ereignet. Erst auf der Ebene des Begriffs können die zeitlich und logisch im Hintergrund stehenden Voraussetzungen freigelegt werden.26 Dabei verschiebt sich der Horizont so, als stiege man – um im Bild zu bleiben – Stück für Stück eine Anhöhe hinauf. Insofern bedeutet philosophische Zeugenschaft von Schiffbrüchen und Klimaveränderungen immer noch, nicht Teilnehmer, sondern Beobachter zu sein. Bei der Arbeit an einem Thema wiederholt sich dieser Prozess mehrmals – je nachdem, welcher Blickwinkel den Ausgangspunkt bildet. Und er wird stets im Wechselspiel mit verschiedenen Autoren vollzogen. Die Kunst besteht sodann darin, die polyperspektivischen Einzelaufnahmen so zusammenzufügen, dass dem Rezipienten eine panoramische Apperzeption ermöglicht wird. Um etwaigen Missverständnissen zuvorzukommen, sei gleich zu Beginn auf zwei Differenzierungen eingegangen: Was als ein defizientes Zufalls- und eklektisches Stückwerkverfahren erscheinen mag, ist ein konstitutives Grundprinzip der per definitionem multiperspektivischen panoramischen Methode.27 Ohne »Facettenaugen« sind Rundumblicke kaum möglich. Vielfalt muss deshalb statt als Zerfall als Gegensatz zu Einfalt verstanden werden. Schon für die kontroversen und ab und an überflüssig erscheinenden Beiträge in den Dialogen Platons hatte gegolten, dass sie zusammengenommen für den Dialogverlauf notwendig waren und im Rückblick sogar die Bedingung für eine spannungsreiche Kohärenz darstellten. Natürlich wissen viele von faserig-phrasenhaften Podiumsdiskussionen zu berichten, doch auch in diesem Fall hängt die Konsistenz einer Geschichte am Ende nicht von der Anzahl ihrer Teile, sondern von der Regie über die Teile ab. Zweitens greift das szientistische Primat des Spezialisten vor dem Generalisten in unserem Kontext nicht, weil eine ernst gemeinte Philosophie gerade das Expertentum für die allgemeinen Zusammenhänge bedeutet.28 In diesem Sinne geht die 26 27 28

Vgl. Deleuze, Gilles; Félix Guattari: Was ist Philosophie? Frankfurt a. M. 2000, S. 9 ff. Vgl. Sternberger, Dolf: Panorama – Ansichten vom 19. Jahrhundert [1938], Hamburg 1955 (im Folgenden zit. als Sternberger 1955), S. 11. Der Schein-Gegensatz von »Professionalität« und »Dilettantismus« ist damit aufgehoben. Dies ist im Übrigen je nötiger, desto folgenschwerer der separierte Perfektionismus im falschen System ist. Siehe

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Politische Hermeneutik davon aus, dass erst die integrative Topografie dem Rezipienten einen erkenntnisreichen Überblick ermöglicht über zeitlich, räumlich und logisch Heterogenes – indes gleichwohl faktisch Existierendes. Dies gilt natürlich nur unter der Voraussetzung, dass sich erstens jener Rezipient diesen Überblick lesend und denkend erarbeitet. Zweitens ergibt sich ein Panorama nicht von selbst und additive Basteleien allein konstituieren noch keinen welterschließenden Rundund Ausblick. Dieser muss mehr sein, als die Summe seiner Perspektiven, denn Ansichten allein sind noch keine Einsichten.29 Es kommt wie bereits erwähnt auf die Regie des geschulten Dirigenten an. Als Kriterien des Gelingens dieser Dirigentenkunst kann man die von Kevin Lynch entlehnten Kategorien »Identität« (profilierte Zielsetzung), »Struktur« (schlüssiger Gesamtzusammenhang), »Einprägsamkeit« (Lesbarkeit) und »Bedeutung« (zeitgenössische Relevanz) heranziehen. Am Ende wird demzufolge entscheidend sein, ob die einzelnen Segmente mit tektonischem Proportionsbewusstsein angelegt worden sind und vor allem, ob ein adäquates Verhältnis zwischen Detailtreue und der Erfassung der großen topologischen Linien vorherrscht, also zwischen dem mikroskopischen und dem teleskopischen Blick. Textkritischer Genauigkeit und dem Überblick über weite Gedankenräume will die Studie gleichermaßen gerecht werden, weil die szientistische Duplikation dessen, was der Fall ist, sprich: eine Karte im Maßstab 1 : 1, erstens keinen Erkenntnisgewinn bringt und zweitens die Orientierungslosigkeit befördert. Im gelingenden Fall dagegen würde die interessierte Öffentlichkeit auf ein Bild zurückgreifen können, das im Gegensatz zu einer journalistischen Skizze oder dem fokussierten Bildausschnitt einer einzelnen Expertenkultur tatsächlich dazu befähigt, sich in schwierigen Gegenwartsthemen zu orientieren. Letzteres kann sich natürlich auch in der Form eines dezidierten Widerspruchs zu dem inhaltlichen Angebot dieser Studie vollziehen. Ambivalent wäre das Ergebnis, käme man am Ende mit Michel Houellebecq zu dem Schluss: »Die Karte ist interessanter als das Gebiet.«30 Doch

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dazu auch Brentano, Margherita von: »Philosophie als Beruf« [1981], in: Akademische Schriften, hg. v. Peter McLaughlin, Göttingen 2010, S. 420–433. Brentano konstatiert eine Dringlichkeit für eine Theorie, welche die Kluft zwischen »Computerrationalität« und Lebenspraxis bedenke. Die panoramische Methode impliziert ein multiples Argumentieren, das die Brüche, Übergänge und Überschneidungen des jeweiligen Themas transparent machen will. Wenn dafür auf die Struktur-Metapher der Weltkarten und Stadtpläne zurückgegriffen wird, dann stellt sich natürlich das Montageproblem. Im Zeitalter der Mechanik war dies eine Angelegenheit des Klebens, Nähens und Tackerns. Die Falt- und Entfaltungskunst des Origami oder Buckminster Fullers DymaxionKarten (entwickelt zwischen 1927–1954) verfahren bei dieser Projektionssaufgabe weitaus eleganter. Diese Analogie soll uns ein Vorbild für die panoramische Montagetechnik sein. Houellebecq, Michel: Karte und Gebiet (La carte et le territoire), Köln 2011, S. 78. Wenn wir bezüglich des methodischen Gerüstes dieser Studie an ein Panoramabild denken und dieses per definitionem eine Bildtechnik ist, dann ist damit die Dialektik von mimetischer Darstellung und konstruktiver Weltbildung bereits mitreflektiert. Dieses Wechselverhältnis ist ein Charakteristikum jeder Wissenschaft, auch wenn Begriffe wie Empirie, Exaktheit, Objektivität, Wiederholbarkeit, Vorher-

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wenn wie bei einem Memory-Spiel am Ende alle einzelnen Karten nicht nur aufgedeckt, sondern auch aufgehoben wurden, dann dürfte selbst dies gerechtfertigt sein. iv) Die Sprache des Klimas Nach der Darlegung des Forschungs-Programms sowie der Erläuterung der Vorgehensweise und der erkenntnistheoretischen Grundannahmen wird dennoch die Frage im Raum stehen, warum sich die Philosophie überhaupt dem Klimawandel und seiner technischen Meisterung zuwendet und sich damit einem Gegenstand denkend nähert, der doch eigentlich eine Sache der Beobachtung und der Berechnung darstellt. Diese Frage ist Thema des folgenden Abschnitts. Nicht nur Martin Heidegger war der Auffassung, dass das Denken mit einer Stimmung beginnt, von der es durchstimmt und getragen wird.31 Dieses pathos, dieser disponierende Zustand des Reflektierens war für Platon und Aristoteles das Staunen.32 Die neuzeitliche Philosophie seit Descartes steht im Spannungsverhältnis zwischen dem Zweifel auf der einen Seite und der Hoffnung auf wissenschaftliche Gewissheit auf der anderen. Nervosität und Angst charakterisierten den Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert. Welche ist nun die Grundstimmung zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Das optimierte Leben im metaphysischen Leerlauf führt zu einer ambivalenten Stimmungslage zwischen Schwere- und Bodenlosigkeit. Damit wäre eine Stimmung gemeint, die sich nicht nur über dieses oder jenes wundert, die nicht nur über dieses oder jenes verunsichert ist und in Verlegenheit gerät; sondern eine Stimmung, die sich sicher ist, dass etwas nicht stimmt, aber nicht genau sagen kann, was nicht stimmt. Alles scheint einer permanenten Optimierung zu folgen, die sich selbst genügt. Denn scheinbare Ziele wie die Versicherung und Vermehrung des Vermögens sind in der Tat fadenscheinige Ziele, weil ein symbolisches Zahlungsmittel wie Geld seiner Struktur nach ein Mittel und keinen Zweck darstellt. Die Stimmung der Schwere- und Bodenlosigkeit wäre somit eine Stimme, die auf den Abgrund des Substanziellen, auf die Aufhebung von stabilen Zuschreibungen sowie das Verschwimmen von Zweckvorstellungen verweist. Doch es kann auf Dauer ermüden, wenn alles effizient vernetzt, präsent und in der Schwebe bleiben muss. Diese Einsicht in den fragwürdigen Charakter des Daseins sollte im Übrigen nicht

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sagbarkeit und Intersubjektivität dazu tendieren, das notwendig konstruktive und reduktionistische Moment jeder »empirischen« Realitätsbeschreibung zu verschleiern. Heidegger, Martin: Die Grundbegriffe der Metaphysik, Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Freiburger Vorlesung Wintersemester 1929/30 [1983], Frankfurt a. M. 2004 (im Folgenden zit. als Heidegger Grundbegriffe), S. 9 f., 100 f., 205. In diesem Werk steht die Grundstimmung der Langeweile im Mittelpunkt. Vgl. Platon: Theaitetos, 155d, Sämtliche Werke, Bd. 3, übers. v. Friedrich Schleiermacher, hg. v. Ursula Wolf, Hamburg 2004, S. 170; Aristoteles: Metaphysik A 2, 982b 12, übers. und hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 2005, S. 21.

iv) Die Sprache des Klimas

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psychologisch-existenziell missverstanden werden und sich nicht ausschließlich auf das gegenwärtige Leben des Individuums beziehen. Es handelt sich vielmehr um eine politische Befindlichkeit in Anbetracht von ungewissen, aber potenziell gestaltbaren Zukünften.33 Ginge man von einer Stimmung wie dieser aus, dann würde eine Situation wiederkehren, die bereits den Vorsokratikern vertraut gewesen sein könnte. Mit Thales von Milet beginnt die Philosophiegeschichte nicht zuletzt deshalb, weil er einer der ersten war, der das Feste und Stabile infrage stellte und dem Menschen in gewisser Weise den Boden unter den Füßen wegzog, weil er diesen Boden zu einem schwimmenden Floß auf dem Prinzip des Flüssigen und Schwankenden erklärte.34 Wenn uns heute wissenschaftliche Befunde darüber vorliegen, dass das scheinbar ewige Eis der Gletscher und Polkappen übermorgen fast schon geschmolzen sein könnte, dann wiederholt sich mithin eine philosophische Urerfahrung, denn schon im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung brach ein Zeitalter der neuen Unsicherheit an. Thales’ exklusive Prognosen einer Sonnenfinsternis oder einer reichen Olivenernte sind in diesem Kontext als die ersten Theorieerfolge eines prospektiven Spekulanten in die abendländische Geschichtsschreibung eingegangen – auch wenn der Himmelsforscher dafür in einen Brunnen steigen musste und sich in der Folge dem Gespött einer Magd ausgesetzt sah.35 Da die vorliegende Studie sowohl das theoretische Zukunftswissen um Klimawandelfolgen diskutiert als auch die praktische Option einer absichtlichen und gezielten Atmosphärenmanipulation reflektiert, muss sie zu Beginn an jene anfänglichen Spekulationen vor etwa 2600 Jahren erinnern. Selbstverständlich ist das Geschäft der Zukunftsschau und der Einsicht in die ursächlichen Prinzipien und Universalien alles Seienden inzwischen nicht mehr das der Philosophen. Doch mögen sie auch keine himmelsguckenden Naturphilosophen oder metaphysischen »Hinterweltler« mehr sein, der seltsamen Exzentrizität des Theoretikers, der sich um die Aufklärung der Möglichkeitsbedingungen sowohl des alltäglich Begegnenden als auch der wissenschaftlichen Befunde bemüht, tut das keinen Abbruch. Diese Fremdheit und Distanz gegenüber dem scheinbar Vertrauten, Naheliegenden und längst Bewiesenen ist aber auch eine Chance. Solange letzte Antworten auf Fragen, 33

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Vgl. für das Motiv des sich entziehenden Bodens, des Leerlaufs oder der verschwimmenden Rollenzuschreibung – nicht im Sinne eines Beweises (evidence), sondern eines Beispiels (instance) – Filme wie den Klassiker »Vertigo – Aus dem Reich der Toten« (USA 1958, R.: A. Hitchcock), »2012« (USA 2009, R.: R. Emmerich), »Skyfall« (UK/USA 2012, R.: S. Mendes), »Cloud Atlas« (GER/USA 2012, R.: T. Tykwer; A. Wachowski und L. Wachowski), »Gravity« (USA/UK 2013, R.: A. Cuarón) oder auch die Gemälde von Georg Baselitz und den Essay von Minkmar, Nils: »Die große Müdigkeit«, in: FAZ, Nr. 300, 24.12.2012, S. 23. Vgl. Diels, Hermann; Walther Kranz (Hg.): Die Fragmente der Vorsokratiker 11 B 3 (I 80), 3 Bd., Berlin 1951/1952, S. 80. Vgl. Blumenberg, Hans: Das Lachen der Thrakerin – Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt a. M. 1987 (im Folgenden zit. als Blumenberg 1987), S. 12 ff.

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die unser aller Leben betreffen, noch von keinem Kalkül errechnet werden können, ist auch die Philosophie durch die exakten Wissenschaften nicht überwunden. Nach wie vor darf zu den Aufgaben der Philosophie gezählt werden, für die Sachthemen der Gegenwart ein inspirierendes Interpretationsangebot zu machen. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass die Philosophie in der Lage ist, die Hintergründe, Konsequenzen und etwaigen Widersprüche von wissenschaftlichen Tatsachenaussagen und weltverändernden Handlungen aufzuzeigen – und zwar ohne sich dabei in der Rolle des nicht ganz ernst genommenen Moderators und Kommentators im Dialog der einzelnen Spezialdisziplinen verlieren zu müssen. Eher noch kann sie als eine Metawissenschaft bezeichnet werden, die wissenschaftliche Herangehensweisen und Grundannahmen zu prüfen hat und die im transdisziplinären Sinne in der Lage ist, pluralisierte Kenntnisse in einen integrierenden Gesamtzusammenhang zu stellen. Diese Integration unterschiedlicher Blickwinkel zu einem ruhigen und fernsichtigen Rundblick ist die Voraussetzung dafür, dass sich ein »Zeitgeist« zeigen kann, in dem sich herrschende Denkstile und Sprachregelungen geordnet abzeichnen. Und je abhängiger man vom Wissensangebot weniger Experten ist, desto wichtiger wird der aufmerksame Rund- und Röntgenblick auf herrschende Interpretamente. Gerade die Angewandte Hermeneutik muss sich beharrlich darum bemühen, sich vom »metaphysischen Geist der Rache« loszusagen, der immerzu das »Falsche« und angeblich »Anachronistische« meint aufspüren und in Verruf bringen zu müssen. Diese Herabsetzung der Anderssehenden geht mit einer merkwürdigen Überschätzung der eigenen Sensorien einher, als wäre die dadurch ermöglichte, per definitionem partikuläre Blickrichtung in irgendeiner Weise gegenüber anderen privilegiert.36 Die Politische Hermeneutik macht es sich stattdessen zur Routine, im Geist der Freundschaft zu leben und Differenzen und den Wandel der Dinge herzlich willkommen zu heißen. Doch worin liegt zuletzt die Berechtigung des philosophischen Anspruches, sich dem unabsichtlichen Klimawandel und der gezielten Klimagestaltung verstehend und deutend überhaupt zuwenden zu können? Dieser Anspruch geht von der Prämisse aus: Das Klima spricht. In früheren Zeiten gehörten Wetter und Klima zum Aufgabengebiet der Götter, des Schicksals und später des Zufalls, die es nicht zu verstehen, sondern zu erdulden und zu ertragen galt. Auch Orakelsprüche, Regentänze und Bauernregeln halfen nur denjenigen weiter, die fest daran glaubten. Im Medienzeitalter des späten 20. Jahrhunderts haben Meteorologen die Bürger zu einem Wetterpublikum erzogen, das allabendlich die Wetterberichte rezipiert wie ehemals Theateraufführungen.37 Am nächsten Morgen konnte dann die Fiktion mit 36 37

Vgl. zum »Geist der Rache« Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra [1885], KSA Bd. 4, hg. v. Colli, Giorgio; Mazzino Montinari, München 1988 (im Folgenden zit. als Nietzsche Zarathustra), S. 180. Vgl. Sloterdijk, Peter: Sphären – Plurale Sphärologie, Bd. 3, Schäume, Frankfurt a. M. 2004, S. 170. Siehe in diesem Zusammenhang auch den kurzen ideengeschichtlichen Rückblick zu den Themen

iv) Die Sprache des Klimas

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der Realität verglichen werden, was in der Regel einen ausgezeichneten Gesprächsstoff für den Plausch mit den Kollegen lieferte. Die Klimaforschung des frühen 21. Jahrhunderts hat demgegenüber nicht nur vorgeschlagen, statt über das Wetter über das Klima zu reden, sondern sie hat auch deutlich zu machen versucht, dass die Stücke des »Klima-Theaters« von uns und unseren Eltern mehr oder weniger bewusst selbst geschrieben worden sind. Darüber hinaus würden sich in Zukunft jene besorgniserregenden Klimakapriolen nicht nur auf Bildschirmen und Bühnen abspielen, sondern der ehemals distanzierte Betrachter scheint nun involviert und zum Mitmachen gezwungen zu werden. Infolgedessen kann man sich gegenwärtig kaum noch des Eindrucks erwehren, dass im Zeitalter des anthropogenen Klimawandels auch die ganz realen Stürme, Dürren und Überschwemmungen uns etwas zu erzählen hätten. Ob sie uns bloß warnen oder bereits über uns spotten, ist gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Die eigentliche Pointe der Klima-Geschichten wurde allerdings erst vor wenigen Jahren publik: Seit dem Jahre 2006 melden sich vermehrt Klimaingenieure zu Wort, die nicht nur die ernüchternde Botschaft überbringen, dass Klimaereignisse keine natürlichen Ereignisse mehr sind, sondern aus der Tatsache, dass Menschen als dilettierende Autoren und Regisseure des Klimas auftreten, die naheliegenden Konsequenzen ziehen. Sie teilen uns nämlich mit, dass die Grammatik des globalen Klimas verhandelbar geworden ist und dass der Planet ein Labor für therapeutische Interventionen werden könnte. Im frühen Stadium solcher Linguistic Turns, die über der Entdeckung eines logos in der Welt ins Staunen geraten, ist es üblich, über die expertokratische Konzeption von Privatsprachen und Philosophenkönigen nachzudenken. Wenn die Welt ohnehin »sprachlich«, also technisch verfasst ist und wenn die Geschichte, die das Klima schreibt, umformulierbar ist, dann könne man es doch auch gleich richtig und ordentlich machen und zwar in sowohl theoretisch beschreibender als auch in praktisch vorschreibender Hinsicht. »Das gute Klima« müsse daher eine Sache der wissenschaftlichtechnischen Justierung sein. In diesem Sinne sind Klimaingenieure legitime Erben des alten Platon, des jungen Wittgenstein sowie George Orwells »1984«. Die vorliegende Arbeit wird jedoch die These entwickeln, dass derlei Versuche zum Scheitern verurteilt sind und dass die Sprache des Klimas eine Sache aller ist: Wenn das Klima ein Politikum ist, dann soll es demokratisch regiert werden. Das heißt, falls es zu einer Neuauflage des Klimawandels – und zwar zu einem temperaturtechnisch umgekehrten und vorsätzlich geplanten Klimawandel – kommen sollte, dann spricht sich diese Arbeit für eine Wikipedia-Kultur aus, die für Transparenz und PartizipaWetter und Klima in Serres 2005, S. 81–108; Michel Serres betonte insbesondere die Differenz zwischen den deterministischen, berechenbaren Phänomen der Astronomie und den kontingenten, unvoraussehbaren Phänomen der Meteorologie. Seit Descartes sei eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Gegenstand und der angeblichen Voraussicht (prévision) der Wetterkunde zu beobachten. Serres zufolge bieten sich Wetter und Klima in ihrer Eigenschaft als komplexe Systeme jedoch ausgezeichnet als ein philosophisches Modell für unsere Zeit an.

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tion eintritt. Alle, die betroffen und in der Lage sind, qualitätsvolle Beiträge zu beizusteuern, sollen sich im Rahmen von ausgehandelten Regeln an der Abfassung beteiligen dürfen. In diesem Sinne geschieht die Bereitstellung eines exoterischen Bewertungsund Deutungsangebotes bezüglich der Climate-Engineering-Option in der Absicht, die gegenwärtigen klimapolitischen Kontexte, in deren Bedeutungsnetzwerke wir immer schon eingewoben sind und die wir ständig mitspinnen, dadurch nicht unbedingt besser, zumindest aber anders, alternativreicher zu verstehen. Damit soll eine Grundlage zur Verfügung gestellt werden, von der aus Handlungsvorschläge für ein demokratisches Leben im Technozän erarbeitet werden können. Befinden wir uns doch in einer Zeit, in der sich immer augenscheinlicher die alte Utopie verwirklicht, der zufolge wir technisch alles zu verwirklichen in der Lage sind, was wir uns wünschen. Doch wenn wir alles können, was wir wollen, fragt sich umso dringlicher, was wir eigentlich und wer wir sein wollen. Das wissenschaftliche, politische und mediale Großereignis Global Change wirft all diese Fragen öffentlichkeitswirksam auf. Seit einiger Zeit scheinen wir uns in einem virtuellen Labor zu befinden, in dem die Erde in ein Zukunftsprojekt verwandelt wird. Das ambivalente Schillern dieses Projekts verwirrt die möglichen Handlungsstränge indes mehr, als dass es sie klärt. Ironischerweise gerade deshalb, weil die verschiedenen Deutungsfacetten im wissenschaftlichen Meinungswettstreit, der eindeutige Antworten präferiert, allzu selten differenziert behandelt werden. Ohne Unterlass ist man mit beharrlich reproduzierten Routinewahrheiten und einer enervierenden Skandalrhetorik konfrontiert, wie sie Friedrich von Borries in den einleitenden Worten der Ausstellungs-Publikation »Klimakapseln« ironisiert: »Vertraut man den Aussagen der Wissenschaft, steuern wir auf eine Klimakatastrophe zu. Erderwärmung. Polkappenschmelze. Dürre und Überschwemmung. Unfruchtbarkeit. Eine Welt mit verstärkter globaler Ungleichheit, Klimaflüchtlingen, Ressourcenkriegen. Wenn wir den Klimawandel nicht abwenden, müssen wir uns anpassen. Unsere Wohlstandsinseln werden technologisch perfekte Klimakapseln, militärisch und atmosphärisch geschützt. Diese Zukunft kennen wir bereits. Aus Kunst, Design, Architektur, Science-fiction. Aus Blockbustern im Kino. Die Welt wird sich ändern und wir uns auch. Was sind die Überlebensbedingungen im Klimawandel? Wie prägen sie unser Verhalten, Denken, Fühlen? Und: Wollen wir so wirklich leben?«38

Wie schon angekündigt wird es dieser Studie in Zeiten einer versandenden Postmoderne nicht mehr nur darum gehen, hegemoniale Denkstile – wie Ludwik Fleck und Michel Foucault es nennen würden – zu ironisieren und zu dekonstruieren. Die Lage ist für derlei Theoriefrivolitäten wahrscheinlich zu ernst und die anstehenden gesellschaftspolitischen Veränderungen zu drängend. Dies trifft besonders dann zu, 38

Borries, Friedrich von: Klimakapseln – Überlebensbedingungen in der Katastrophe, Berlin 2010 (im Folgenden zit. als Borries 2010), S. 7 ff.

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wenn man sich die möglichen Konsequenzen der gegenwärtigen Erforschung des Climate Engineering vor Augen führt. Wenn im Folgenden die impliziten Interfaces des Wissens explizit zur Sprache gebracht werden, so geschieht dies im Interesse der Menschen, die verstehen wollen, um dadurch handlungsfähig und frei zu sein. Handle es sich dabei um wissenschaftliche Aussagen und meteorologische Modellszenarien oder um mediale Narrative und Bilder – der Nichtfachmann soll jedenfalls nicht konstatieren müssen: »Signal außerhalb der Reichweite« – no signal detected. Aus diesem Grund müssen die theoretischen und praktischen Bedingungen wie Konsequenzen des Klima-Wissens und der Klima-Technisierung auch so ausführlich beschrieben und reflektiert werden. Denn noch immer gilt, dass jedes politische Glücksversprechen zur Ideologie und dadurch zum Terror werden kann und gerade für die versprochene Regelung klimatischer Unannehmlichkeiten darf dieser Verdacht noch geäußert werden. Hannah Arendt warnte 1970 vor der »hypnotischen Wirkung«, die von kalkulierenden Zukunftsprojektionen ausgeht, die als schlüssige Theorien auftreten.39 Arendt zufolge sei der oftmals desavouierte gesunde Menschenverstand, zumindest als philosophisch informierter und geschliffener, durchaus in der Lage, das futurologische Denken von Klimaalarmisten und Klimaskeptikern aufzuklären. Der Topos einer Global Governance von großräumigen Klimainterventionen sollte jedenfalls nicht den Blick darauf verstellen, dass gut gemeinte Normierungsbemühungen der Forschung unter der Hand zu einer Normalisierung jener Klimatechniken beitragen können. Die Konstruktion einer ökonomisch, juristisch und politisch organisierten Normalität ist deshalb zu hinterfragen, weil deren zugrunde gelegten Prinzipien Differenzen und Ausgrenzungen schaffen. Dadurch entstehen unflexible Geltungen, die zu routinierten Entscheidungen führen, die im Einzelfall oder in nur leicht verschobenen Kontexten plötzlich außerordentlich kurzsichtig erscheinen. So ist es beispielsweise für die Medizin selbst in vielen nicht unbedingt notwendigen Fällen »normal«, den »Kranken« mit dem OP-Messer zu »heilen«. Wenn nun die Forschung noch ausstehende Fortschritte erzielt, dann kann es ebenso normal werden, »Klimakatastrophen« aus Vorsorgegründen mit stratosphärischen Schwefelwolken zu »bekämpfen«. Gerade wissenschaftliche Vor-Definitionen bezüglich des Risiko-, des Vorsorge- oder des Gerechtigkeitsbegriffes können zu einem Legitimationsrahmen führen, auf den wegen fehlender Alternativen in öffentlichen Debatten dann zurückgegriffen werden kann. Der vorliegende Text bietet somit die Gelegenheit, noch einmal innezuhalten und über die begrifflichen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen der gegenwärtigen Entwicklung zur Potenz einer weitreichenden und teilweise irreversiblen Erdgestaltung in futuristischer Weise nachzudenken. Peter Sloterdijk hat bereits vor

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Arendt, Hannah: Macht und Gewalt (On Violence, 1970), übers. v. Gisela Uellenberg, München/Zürich 2008 (im Folgenden zit. als Arendt 2008), S. 12.

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einigen Jahren Philosophen dazu ermutigt, die Bedingungen des »AtmosphärenManagements«40 explizit zu machen: »Das Thema der Kulturwissenschaften im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert lautet also: Making the air conditions explicit. Sie betreiben Pneumatologie in empirischer Einstellung. Dieses Programm kann zur Stunde nur rekonstruktiv und sammelnd bearbeitet werden, weil die ›Sache selbst‹, das Universum der beeinflußten Klimata, der gestalteten Atmosphären, der modifizierten Lüfte und der eingestellten, gemessenen, verrechtlichten Umwelten, nach den sehr weit getriebenen Explikationsschüben im naturwissenschaftlichen, technischen, militärischen, gesetzgeberisch-juristischen, architektonischen und bildnerischen Raum einen kaum noch einholbaren Vorsprung vor der kulturtheoretischen Begriffsbildung erreicht hat.«41

Für die vorliegende Studie heißt das, dass die Arbeit ihren Reflexionsfokus letztlich auf das technologische Zeitalter im Allgemeinen richten muss, ist dieses doch der modernitätstheoretische Kontext aller weiteren Spezialkontexte. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig den Sinn dafür zu schärfen, dass »wir Gottlosen« keineswegs atheistisch leben. Längst hat sich herumgesprochen, dass Fortuna die Gottheit der Neuzeit ist. Den Abenteurern der Renaissance war sie noch die mittelalterliche Schicksalsgöttin, deren Glücksgabe bedeutete, dass man eben »Glück gehabt hatte«: Ihr Geben und Nehmen war unverfügbar. Moderne Risikokalkulatoren waren dagegen der Überzeugung über Verfahren zu verfügen, mit der die Schicksalstranszendenz überwindbar sei. Ihr Credo hieß, man könne selbst des Glückes Ingenieur werden, wenn man sich nur einen günstigen Kredit und die passende Versicherung besorgte. Seit einigen Jahren geht nun das Gerücht um, dass Fortuna sich so leicht dann doch nicht überlisten lasse und totgesagte Unwahrscheinlichkeiten lebendiger und Zahltage näher sind als man bisher vermutet hat. Falls dem zuzustimmen ist und nicht nur die »Optionsgesellschaft«, sondern die von Ulrich Beck so genannte »Weltrisikogesellschaft« die Schicksalsgesellschaft ersetzt hätte, dann hieße das: Das von Natur aus Gegebene haben wir zwar selbst in die Hand genommen und als das Machbare in den Bereich der technischen Reproduzierbarkeit gelegt; zugleich stellt sich jedoch heraus, dass dies noch lange nicht heißt, wir hätten alles im Griff. Jedenfalls scheint immer unklarer zu werden, welches Glück wir im Angesicht der unendlichen Möglichkeiten und der nicht auszuweichenden Risiken eigentlich schmieden wollen und welches Unglück wir hinzunehmen bereit sind. Insofern

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Sloterdijk, Peter: »Wie groß ist ›groß‹?« (Erstveröffentlichung am 17.12.2009 in der Tageszeitung Die Welt), in: Das Raumschiff Erde hat keinen Notausgang, mit Texten v. Paul J. Crutzen, Mike Davis, Michael D. Mastrandrea, Stephen H. Schneider, Berlin 2011 (im Folgenden zit. als Sloterdijk 2011), S. 93–110, hier S. 94. Sloterdijk, Peter: Luftbeben, Frankfurt a. M. 2002 (im Folgenden zit. als Sloterdijk 2002), S. 85.

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münden alle Teiluntersuchungen dieser Studie in die tatsächlich zunehmend wichtiger werdende Grundfrage: Wie wollen wir leben?42 Im Jahre 1970 diagnostizierte Hannah Arendt eine eklatante Diskrepanz zwischen den von Wissenschaft und Technik zur Verfügung gestellten Handlungsoptionen und den Unsicherheiten in der praktischen Urteilsbildung: »Wenn Macht im Unterschied zum bloßen Können meint: wir-wollen-und-wir-können, dann liegt in der heutigen sich ständig noch steigernden Macht der Menschen auf der Erde ein seltsames Element der Ohnmacht; denn der Fortschritt der Wissenschaft ist von dem, was wir tun wollen, fast unabhängig geworden; seine Rasanz ist, wie die Wissenschaftler uns immer wieder erklären, nicht mehr zu stoppen, so wenig wie die scheinbar unaufhaltsame Entwicklung der Technik. Der Fortschritt folgt seinen eigenen unerbittlichen Gesetzen und zwingt uns, ohne Rücksicht auf die Folgen zu tun, was immer wir tun können.«43

Nehmen wir diese Mahnung ernst, das technisch Mögliche dahingehend zu prüfen, ob wir auch wollen, dass es Wirklichkeit werde, dann stellt sich beispielsweise die Frage: Wäre es im Lichte der praktischen Philosophie tatsächlich eine kluge Entscheidung, sich gegen die unangenehmen Folgen einer globalen Erwärmung dadurch zu schützen, dass man sich von technischen Steuerungen einer nie vollständig steuerbaren Erdoberflächentemperatur abhängig macht? Doch was, wenn es hier wenig zu entscheiden gäbe und diese Entwicklung aus umweltökonomischen und realpolitischen Gründen »alternativlos« wäre: Welche Haltung ist dieser klimatechnisch veränderten Welt gegenüber angemessen? Friedrich von Borries erinnert daran, dass diese Fragen der Positionierung und theoretischen Verortung nicht ganz einfach zu beantworten sind: »Wir leben in einer gebrochenen Moderne. Einerseits gibt es den Glauben an die Technik, andererseits die Angst vor technischen Lebensbedingungen. […] Wir sind fasziniert von Künstlichkeit und sorgen uns zugleich vor dem Verlust von Wirklichkeit durch Künstlichkeit.«44

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An diese Frage dachte bereits Thomas Malone in einem bekannten Global Change-Artikel mit einem Fokus auf die Atmosphärenwissenschaften: »What kind of a world do we have? What kind of a world do we want? What must we do to get what we want?« (Vgl. Malone, Thomas F.: »Global Change – Past, present and future«, in: Tellus 43: 4 (1991), S. 182–187, hier S. 183). Arendt 2008, S. 86. Zit. nach Stiekele, Annette: »Flucht unter die rettende Kapsel«, in: Hamburger Abendblatt, Nr. 60, 25.05.2010, S. 4.