Regionale Gewerkschafts Blätter Heft 36

Der Kapp-Putsch 1920 Ein Lesebuch über Ereignisse in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

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GEGEN DAS VERGESSEN

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Seite 2

Thematische Einführung

Seite 3

Die deutsche Reichsregierung in den Tagen des Kapp-Putsches 1920

Seite 5

09. März 1920 - Bekanntgabe eines Beschlusses …

Seite 5

12. März 1920 - Mitteilungen …

Seite 5

12. März 1920 - Bericht des Chefs der Admiralität …

Seite 6

13. März 1920 - Bericht des Chefs der Heeresleitung … Seite 8 13. März 1920 - Bericht des Unterstaatssekretärs …

Seite 10

14. März 1920 - Aufruf der Reichsregierung …

Seite 11

15. März 1920 - Der Reichsinnenminister …

Seite 13

16. März 1920 - Verhandlungen des Reichskabinetts … Seite 14 17. März 1920 - Verhandlungen Reichsjustizminister… Seite 16 18. März 1920 - Verhandlungen mit Gewerkschaften… Seite 18 22. März 1920 - Tagebuchaufzeichnung …

Seite 23

März 1920 in Braunschweig

Seite 25

März 1920 in Dessau

Seite 37

März 1920 in Halle/Saale

Seite 41

März 1920 in Hannover

Seite 49

März 1920 in Magdeburg

Seite 55

März 1920 in Osnabrück

Seite 60

März 1920 in Quedlinburg

Seite 65

Korrespondenzblatt „Der Generalstreik gegen den Monarchistenputsch“

Seite 69

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VORWORT

Das vorliegende „Lesebuch“ erinnert an den Kapp-LüttwitzLudendorff-Putsch vom 13. März 1920 gegen die junge Weimarer Republik. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) haben diese vier Tage im März 1920 einen hohen Stellenwert. Reaktionäre Offiziere und nationalistische Kräfte aus Bürgertum und Beamtenschaft haben, wenn auch dilettantisch durchgeführt, gegen die demokratisch gewählte Regierung unter Reichskanzler Gustav Bauer geputscht. Dank des entschlossenen Widerstands der Arbeiterbewegung konnte dieser Angriff auf die Verfassung abgewehrt werden. Dies zeigt den Mut von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, für die damals junge und ungeübte Demokratie in Deutschland ein eindeutiges Signal zu - das Signal, dass Demokratie ein hohes Gut für alle Menschen ist. Diese Erinnerung zu erhalten ist bis zum heutigen Tag für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ein verbindendes Element geblieben. In dem vorliegenden Heft wird das Engagement, aber auch die Unterschiedlichkeit der Menschen in den Tagen des März 1920 beschrieben. Die verschiedenen Formen der „Berichterstattung“ - Zeitzeugenberichte, Presseartikel und ein Romanausschnitt - und damit auch die verschiedenen Blickrichtungen sollen das Einstehen für eine demokratische Orientierung darstellen. Der 90. Jahrestag dieses Staatsstreiches erinnert uns daran, dass die demokratischen Verhältnisse, in denen wir heute leben, nicht selbstverständlich sind. Werte wie Freiheit, Gleichheit und Toleranz müssen in jeder Generation immer wieder erlernt und gelebt werden, nur so können wir den demokratischen und sozialen Rechtsstaat vor Aushöhlung und Verfall schützen. Die jüngere deutsche Geschichte zeigt uns eindringlich, wohin es führen kann, wenn Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität durch Unrecht, Ignoranz und nationalistischen Größenwahn verdrängt werden.

Hartmut Tölle DGB-Bezirksvorsitzender Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt

Hannover, im Februar 2010

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Die deutsche Reichsregierung in den Tagen des Kapp-Putsches 1920 Grundlage für diesen Text sind Protokolle und Notizen aus der Reichsregierung Müller im März 1920*)

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer - Band 1 Dokumente Nr. 184, Kabinettssitzung vom 9. März 1920]

*) Die Unterlagen wurden aus der Internet-Adresse „www.bundesarchiv/ aktenreichskanzlei/ 1919-1933/“ herausgezogen. Um die Lesbarkeit zu erhalten, wurden nicht alle Anmerkungen aus den Dokumenten berücksichtigt.

09. März 1920: Bekanntgabe eines Beschlusses der Reichsregierung an das Heer über das Fortbestehen des Heeres und über die den Truppen zustehenden Gebührnisse und Versorgungen. Der Reichswehrminister trug den Inhalt seines Schreibens vom 4. März 1920 […] vor, nach dem gewisse Bezüge an die zurzeit noch im Heere bleibenden Mannschaften gezahlt werden sollten. Im übrigen glaubte er auf die Leitsätze16 [Leitsätze für den Beschluß des RKab. als Anlage zum Schreiben des RWeM vom 4.3.20 (R 43 I/690, Bl. 91–93). Darin wird zunächst die Aufstellung des Übergangsheeres gemäß dem Kabinettsbeschluß vom 24. 2., TOP 2, angekündigt] verweisen zu können. Unterstaatssekretär Moesle erwiderte, daß er mit der Angelegenheit noch nicht befaßt gewesen sei, daß er sie aber am nächsten Tage in einer Chefbesprechung regeln wolle. Das Kabinett stimmte der Vorlage zu vorbehaltlich einer Verständigung des Reichsministers der Finanzen mit dem Reichswehrminister über die strittigen Fragen.

12. März 1920: 3. Mitteilungen des Reichswehrministers über das Bevorstehen eines militärischen Putsches. [In der vom RJM Schiffer „nach persönlichen Erinnerungen“ nach 1941 angefertigten Niederschrift „Der Kapp-Putsch“ heißt es dazu: „In der Sitzung wurde zunächst der sachliche Teil der Tagesordnung erledigt. Alsdann wurden die Referenten entlassen, und die Minister blieben allein, um die Lage vertraulich zu besprechen. Noske gab in großen Umrissen ein Bild der Situation, wie sie sich nach den Ereignissen der letzten Tage herausgestellt hatte. Er hielt sie für gespannt, glaubte zwar immer noch, sie, was auch kommen möge, zu beherrschen, rechnete aber damit, daß etwas kommen könne. Seine Zuhörer waren weniger pessimistisch. Sie nahmen an, daß alle diese Zuckungen sich beruhigen und alle diese Ansätze zu Unruhen im Sande verlaufen würden. […] Der Reichswehrminister teilt mit, daß nach sicheren Nachrichten seit einiger Zeit in einem engen Kreise regelmäßige Besprechungen stattfänden, mit dem Ziele, eine andere Zusammensetzung der Reichsregierung herbeizuführen. Man habe versucht, zu diesen Besprechungen auch Offiziere hinzuzuziehen.

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In diesen Besprechungen sei betont worden, daß die Regierung in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu schwach sei, […] Vor 14 Tagen habe man in diesen Kreisen überlegt, die Wilhelmstraße zu besetzen und eine Umbildung des Kabinetts herbeizuführen. Die Bestrebungen würden geleitet von Generallandschaftsdirektor Kapp und dem Hauptmann von [!] Pabst. Er, der Reichswehrminister, habe es für richtig gehalten, die in Bildung begriffene Organisation sofort zu zersprengen. Er habe deshalb die Verhaftung der Hauptbeteiligten angeordnet. Zurzeit gehe das Gerücht, dass gewisse Truppenteile, insbesondere die Marinebrigade, mit der Absicht umgingen, die dargelegten Pläne in der kommenden Nacht zu verwirklichen. DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 186, Kabinettssitzung vom 12. März 1920]

Er habe deshalb den Alarmzustand und verschärfte Bewachung angeordnet. Die Nachricht von dem bevorstehenden Marsch der 2. Marinebrigade auf Berlin scheint der RWeM während der Kabinettssitzung erhalten zu haben.

12. März 1920 Bericht des Chefs der Admiralität über seine Inspektion des Lagers Döberitz am 12. März 1920 [RWeM Noske hatte am 12. 3. während der Sitzung des RKab. die Nachricht erhalten, daß die 2. Marinebrigade unter KKpt. Ehrhardt plane, in der Nacht zum 13. 3. vom Lager Döberitz aus Berlin zu besetzen. In einer Besprechung mit GenMaj. Reinhardt und VAdm. von Trotha äußerte der RWeM zunächst den Wunsch, selbst nach Döberitz zu fahren, um „mit den Leuten [zu] sprechen und festzustellen versuchen, was eigentlich im Gange sei“, wogegen Reinhardt unter Hinweis auf die Gefahr einer Verhaftung des RWeM Einspruch erhob. Daraufhin beauftragte Noske VAdm. von Trotha, „der dazu keine rechte Neigung hatte“, „nach Döberitz zu fahren, sich von dem Stand im Lager zu unterrichten und mit Ehrhardt zu sprechen“ […] Trotha will dagegen vorgebracht haben, daß er keine Befehlsgewalt mehr über Ehrhardt habe. Seine ablehnende Haltung zu einem Militärputsch kenne Ehrhardt; sei dieser dennoch entschlossen, in der Nacht zu marschieren, so werde er, der ChdAdm., „ihn so wie seine Natur ist, jetzt nicht mehr umstimmen“ können.] […]

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Ich habe dem Herrn Reichswehrminister nach meiner Rückkehr aus Döberitz am Freitag, den 12. März abends, ungefähr um 8.30 [Uhr] folgende mündliche Meldung in Gegenwart des Majors von Gilsa erstattet: Ich habe – telephonisch angemeldet – bei meiner Ankunft in Döberitz dort vollkommene Lagerstille angetroffen. Beurlaubte passierten das Tor, der Eindruck war ein völlig friedlicher, auch als ich zu Fuß bis zur Baracke des Kpt. Ehrhardt ging. Ich habe E[hrhardt] dann unter 4 Augen gesprochen, habe ihm die in Berlin eingegangene Nachricht mitgeteilt und ihn kurz noch einmal darauf hingewiesen: er wisse, wie ich solche Pläne verurteile3, ich könne nur noch einmal auf das Ernsteste davor warnen; die Verantwortung wüchse noch höher, nachdem nunmehr mit vorbereitetem Widerstand zu rechnen wäre. Ich sage ihm hier noch einmal in meiner dienstlichen Stellung, dass er eine solche Tat unter keinen Umständen ausführen dürfte. […] E[hrhardt] habe mir persönlich einen ganz veränderten Eindruck gemacht. Er sei mir gegenüber gedrückt und „verbaast“ gewesen und hätte dabei zum Ausdruck gebracht, dass er allerdings durch die Geschehnisse der letzten Tage für manche Persönlichkeit, vor der er bisher Achtung besessen hätte, eine gründliche Nichtachtung sich angeeignet habe. […] Warnung von Kapp-Putsch-Soldaten an die Berliner Bevölkerung

Auf eine Zwischenbemerkung des Reichsministers: wenn er nur nicht heute Nacht marschiert, bis morgen haben wir die Stimmung schon so hochgebracht, daß keine Gefahr mehr besteht, – habe ich gesagt: Ich hätte die Truppe in völliger Ruhe angetroffen; ich wisse nicht, wie viel Zeit zur Alarmierung gehöre. Ich könne mir aber denken, dass wenn E[hrhardt] um 1 Uhr marschieren wolle, er erst um 12 Uhr alarmiere. Was die Stimmung von Kpt. E[hrhardt] angehe, so wäre sie m[einer] A[nsicht] nach eine Folge davon, daß sich um die Truppe seit 36 Stunden ein Wirbelwind von Befehlen, Beeinflussungen und Rücksprachen gedreht hätte, die dort den Eindruck erwecken müßten, dass in Berlin alles vor der Truppe vor Angst zittere; ein Beweis für mich, dass ich am Donnerstag [11. 3] Nachmittag vollkommen recht gehabt hätte, als ich dringend vor dem Befehl gewarnt hätte, die Unterstellung der Truppe zu ändern (sie wurde dem

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DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 187, Bericht des Chefs der Admiralität über seine Inspektion des Lagers Döberitz am 12. März 1920]

General von Lüttwitz fortgenommen und mir unterstellt) […] Die Stimmung, in der sich E[hrhardt] und die Marinebrigade jetzt befände, wäre allerdings eine solche, daß auf solchem Boden allerhand Unfug wachsen könne. Ich bemerke noch, dass die M[arine-]Brigade, als ich draußen war, mir befehlsgemäß nicht unterstand, sondern dem Oberkommando in den Marken, das für die Truppen um Berlin – auch, wie ich besonders festgestellt habe, für die M[arine-]Brigade – eine gewisse Alarmbereitschaft befohlen hatte. (Trotha will sich bei Gen. von Oldershausen rückversichert haben, daß durch den Alarmbefehl des RWeM der „militärische Befehlseinfluß“ zwischen ihm und Ehrhardt wieder unterbrochen worden war]. Begleitet hat mich, auf Vorschlag des Majors von Gilsa, der Kapitänleutnant Canaris, der aber der Besprechung nicht beiwohnte. Ich hatte gegen ein Angebot des Generalmajors Reinhardt mich, wenn ich wünschte, zu begleiten gestimmt, aus der Erkenntnis heraus, dass der General R[einhardt] bei der Brigade sehr stark angefeindet war, wollte ich einen Einfluss ausüben, so konnte seine Anwesenheit nur nachteilig sein. gez. von Trotha

13. März 1920 Bericht des Chefs der Heeresleitung über die Kabinettssitzung Morgens. Über diese entscheidende Kabinettssitzung vor der Verlegung des überwiegenden Teils der RReg. nach Dresden liegt ein von Beamten der Rkei in der herkömmlichen Form gefertigtes Protokoll nicht vor. […] Dem Ersuchen des Herrn Untersuchungsrichters beim Reichsgericht um einen Bericht über den Verlauf der Kabinettssitzung am 13. März morgens komme ich durch die folgende Darstellung nach mit dem Vorbehalt, daß meine Schilderung ganz nach dem Gedächtnis gegeben wird, da ich keine Aufzeichnungen gemacht habe. Der Reichswehrminister Noske bat den Reichskanzler etwa um 2 [Uhr] morg[ens] telefonisch, die Kabinettsmitglieder zusammenzurufen, nachdem er durch Rücksprache mit einzelnen Generalen und Stabsoffizieren der Berliner Militärischen Dienststellen sowie mit Offizieren der Admiralität den Eindruck gewonnen hatte, dass die Abwehr des in der Entwickelung gemeldeten Ehrhardt-Angriffes von Döberitz her auf das Regierungsviertel voraussichtlich mißlingen werde.

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[…] Die Kabinettsmitglieder kamen zwischen 3 u[nd] 4 Uhr morgens zusammen, hörten die Lage und Auffassung der Generale, Admirale und Stabsoffiziere, die den Reichswehrminister in die Reichskanzlei begleitet hatten, schon während ihrer Versammlung im Bibliothekssaal und zogen sich, nachdem die Mehrzahl der Minister und auch der Reichspräsident eingetroffen waren, in das Arbeitszimmer des Reichskanzlers zur eigentlichen Kabinettssitzung zurück, während die Offiziere im Bibliothekssaal auf die Entscheidung warteten.[…]Teilnehmer: Ebert, Bauer, Schiffer, Noske, Koch, Giesberts, David sowie, später hinzukommend, Schlicke, Albert, Riezler und Rauscher. An der eigentlichen Kabinettssitzung nahmen von den Offizieren nur Gen. Reinhardt und Maj. von Gilsa teil. […]

Putschende Soldaten in Berlin

Die Beratung lief erregt und ohne strenge DebattenOrdnung im wesentlichen auf die Beantwortung folgender Fragen hinaus: 1. Sollen die Ehrhardtschen Forderungen angenommen werden? 2. Soll überhaupt mit Ehrhardt verhandelt werden? 3. Soll Ehrhardt mit der Waffe bekämpft werden? 4. Soll die Regierung, wenn nicht oder erfolglos in Berlin gegen Ehrhardt gekämpft würde, sich vergewaltigen lassen oder Berlin verlassen und sich an einen sicheren Ort verlegen? 5. An welchen Ort? Ehrhardt hatte eine Reihe ultimativer Forderungen den Generälen von Oven und von Oldershausen am Abend des 12. 3. bei deren Besuch in Döberitz mit dem Auftrag übergeben, sie an das RKab. weiterzuleiten. Gemäß dem Vortrag Oldershausens in der Nachtsitzung im RWeMin. lauteten sie: „1. An die Spitze der Armee tritt ein General. 2. Eine größere Anzahl von Ministerien ist durch Fachminister zu besetzen. 3. General der Infanterie von Lüttwitz ist wieder in der Armee zu verwenden. 4. Den Politikern, die an dem Unternehmen teilgenommen haben, wird Straffreiheit zugesichert (Kapp, Pabst, Bauer, Schnitzler u. a.). 5. Die Truppen, die an dem Unternehmen beteiligt sind, gehen straffrei aus.“ Eine Antwort erwartete Erhardt am 13. 3., morgens 7 Uhr, an der Siegessäule im Berliner Tiergarten […]

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Aus dem Hin und Her der Meinungen ergab sich zu 1 u[nd] 2 Ablehnung, zu 3 Ablehnung auf Grund der vom Reichswehrminister Noske dargelegten Auffassung der Generale v[on] Oven, v[on] Oldershausen und v[on] Seeckt, die von einem nach ihrer Ansicht gegen die Ehrhardtschen überlegenen Angreifer hoffnungslosen Verteidigungskampf abgeraten hätten. Ich hatte am vorhergehenden späten Abend einzelne Führer der Verteidigungstruppen an ihre ernsten Pflichten gemahnt und die Überzeugung, daß sie diese den Meuterern gegenüber erfüllen würden. […] DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer , Band 1 Dokumente Nr. 188, Bericht des Chefs der Heeresleitung über die Kabinettssitzung vom 13. März 1920]

Ich schätzte zwar die Erfolgsaussichten für das Festhalten der Wilhelmstraße gleichfalls nicht hoch ein, hielt aber einen örtlichen Mißerfolg für weniger schädlich und eher in Kauf zu nehmen als ein kampfloses Preisgeben der Regierung mit seinen schweren Rückwirkungen auf das ganze spätere Verhältnis zwischen Regierung, Reichswehr und Volk.

13. März 1920 Bericht des Unterstaatssekretärs Albert über die Vorgänge in der Reichskanzlei am 13. März 1920 morgens […] Die Vorgänge, welche zur Verdrängung der Regierung und des Chefs der Reichskanzlei am 13. März 1920 führten, haben sich im Wesentlichen wie folgt abgespielt. […] Über den fluchtartigen Aufbruch des RKab. und des RPräs. liegen zahlreiche Berichte vor. Über die Flucht RWeM Noskes, der mit Maj. Gilsa und Hptm. Hahn direkt im Anschluß an die Nachtsitzung des RKab. mit dem Auto nach Dresden fährt, […] Am Sonnabend den 13. März vormittags etwa um ¾7 Uhr betraten 3 Herren, nämlich Kapp, von Falkenhausen und von Jagow das Gebäude des Reichskanzlers und wurden hier von dem als Portier diensttuenden Kriminalwachtmeister Süßmann gemeldet. Ich trat den Herren in der Halle entgegen und fragte sie, was sie wünschten. Darauf erwiderte Kapp, dass sie die Regierungsgewalt ergriffen. Auf die Frage, mit welcher Legitimation dies geschehe, erwi-derte Herr v[on] Jagow: „Mit dem Recht des 9. November 1918.“ Daran knüpfte Herr Kapp die Frage, ob ich der frühere sozialdemokratische Unterstaatssekretär sei. Ich verneinte dies mit dem Bemerken, dass ich nicht der frühere, sondern der gegenwärtig amtierende Unterstaatssekretär und Chef der Reichskanzlei sei.

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DOKUMENT:

Hierauf erwiderte Herr Kapp: „Das werden Sie die längste Zeit gewesen sein.“ Ich forderte die Herren auf, das Haus zu räumen, worauf sie unter Hinweis auf ihre Machtposition – mit einer Handbewegung wurde auf die draußen versammelte Militärmacht hingewiesen – eine solche Aufforderung als zweck- und nutzlos bezeichneten. Hieran schloß sich nun ein schärferes Hin- und Herreden über Formfragen an, indem ich Herrn Kapp wegen der Nachlässigkeit und Hochmütigkeit seines Auftretens um Wahrung der Form ersuchte, während er behauptet[e], die Form gewahrt zu haben. Diese Erörterung wurde dann damit beendet, daß Herr von Falkenhausen eine formelle Vorstellung vornahm. Die Herren fragten dann, wer von den Mitgliedern der Regierung im Hause wäre, worauf ich erwiderte, daß der Vizekanzler Schiffer in Vertretung des abgereisten Kanzlers Bauer die Geschäfte übernommen habe. Darauf wurde mir mitgeteilt, dass die Herren mit dem Herrn Vizekanzler zu sprechen beabsichtigten. Sie wurden darauf von dem Portier in das Bibliothekzimmer geführt. Dort richteten sie sich sofort mit dem allmählich nachgeströmten Personal vollständig ein und begannen eine geschäftliche [!] Tätigkeit. […]

[Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 189, Bericht des Unterstaatssekretärs Albert vom 13. März 1920]

Kapp ernannte nachfolgend von Jagow zum PrIM, während von Falkenhausen die Geschäfte eines Chefs der Rkei übernahm, die er jedoch am 14. 3. mittags wieder niederlegte. gez. Albert

Eine Anordnung wird verlesen

14. März 1920 Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“ Die nach Dresden ausgewichene RReg. hatte bereits am 13. 3. einen ersten Aufruf an das dt. Volk erlassen, in dem der Staatsstreich Kapps und Lüttwitz’ als „Akt der Tollheit“ hingestellt, die von ihnen verfügten Anordnungen als rechtsungültig bezeichnet und die Gefahren geschildert werden, die drohen, „wenn das Volk die Besonnenheit verliert“. […] Es ist nicht wahr, daß die verfassungsmäßige Reichsregierung abgedankt hat. Die verfassungsmäßige Reichsregierung denkt nicht daran, abzudanken. Sie hat nur dasselbe getan, was sie im Februar 1919 tat, als sie nach Weimar übersiedelte. Um ruhig und sicher arbeiten zu können, ist sie nach Dresden übergesiedelt und nimmt mit dem Zusammentreten der Nationalversammlung ihren Sitz in Stuttgart.

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Was in Berlin vorgeht, ist eine „Cöpenickiade“ im Großen. Die Berliner müssen sich den politisch klaren Blick bewahren. Für die Cöpenick-Regierung Kapp besteht keine Möglichkeit zu regieren; ihr Gebäude ist innen hohl. Sie kann weder Kohlen noch Nahrungsmittel beschaffen. Ohne Arbeiter kann man nicht regieren. Berlin kann nicht von sich selbst leben. In wenigen Tagen bricht dies System zusammen. Jeder, der es unterstützt, lädt den Fluch der Verantwortung auf sich.

Reichspräsident Friedrich Ebert

Beamte! Euch bindet nicht nur die politische Einsicht, sondern auch der Eid auf die Verfassung. Ihr habt nur den Befehlen der verfassungsmäßigen Reichsregierung zu gehorchen. Wer die neue Regierung unterstützt, bricht seinen Eid. Es ist nicht wahr, dass die Beamten am 9. November 1918 das Gleiche taten. Damals dankte der Kaiser ab, der vom Kaiser eingesetzte Reichskanzler Prinz Max von Baden gab mit der Abdankung des Kaisers seine eigene bekannt und übertrug selbst die Reichskanzlerschaft dem heutigen Reichspräsidenten Ebert. Er forderte die Beamten auf, der neuen Regierung zu gehorchen. Heute hat die Reichsregierung nicht abgedankt und die Usurpatoren in Berlin sind von keiner befugten Stelle eingesetzt. Wer ihnen dient, wird entlassen. Die Mehrheitsparteien stehen fest zusammen. Kapp, von Jagow und Genossen, diese reaktionären Frevler, finden keinen Widerhall im deutschen Volke. Für sie war schon die Deutsche Tageszeitung ein radikales linkes Blatt, das sie verbieten mussten. Und das Ausland? Eine Militärdiktatur, eingesetzt von den Baltikumtruppen, von der reaktionärsten preußischen Militärpartei, die wird uns keine Erleichterung des harten Friedens, keinerlei wirtschaftliche Hilfe bringen. Die der verfassungsmäßigen Regierung in Aussicht gestellte große Ententeanleihe wird Kapp und Genossen nicht gewährt. Der Wert des deutschen Geldes, der eben mit starkem Ruck in die Höhe ging, fällt tiefer als je. Sorge jeder dafür, dass diese Militärdiktatur an ihrer inneren Ho[hl]heit so schnell wie möglich zusammenbricht. Sämtliche Landesregierungen, die westlichen preußischen Oberpräsidenten, die Zentralverbände der deutschen Arbeiter- und Angestellten, die staatlichen

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DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 192, Aufruf der Reichsregierung „An das deutsche Volk!“ vom 14.März 1920]

Unterbeamten, der Reichswirtschaftsverband deutscher Berufssoldaten mit 96 000 Mitgliedern, sämtliche süddeutsche Reichswehrteile und eine Reihe preußischer, darunter das besonders wichtige Wehrkreiskommando Watter (Ruhrbezirk) stehen fest hinter der verfassungsmäßigen Regierung. Dresden, den 14. März 1920. Der Reichspräsident gez. Ebert. Die Reichsregierung Bauer. Müller. Koch. Giesberts. Noske. Geßler. David.

15. März 1920 Der Reichsinnenminister an den Reichsjustizminister. Stuttgart [Betrifft: Kapp-Lüttwitz-Putsch.] Lieber Schiffer! In Eile ehe der Kurier abgeht: 1. Die gesamte Regierung bittet dringend, die Tagung der Nationalversammlung nicht durch Vorschläge, in Berlin zu tagen, zu stören. Das gibt nur Verwirrung, da die Abgeordneten teils hierhin teils dorthin gehen würden. Wir können dort auch nicht in Ruhe tagen. Unsere Anordnungen beruhen auf Kenntnis der Verhältnisse des Reichs. Es gibt Gefahren von rechts und links. Der letzteren gegenüber können wir uns in Berlin nicht durch die verräterische Soldateska schützen lassen, ohne uns ungeheuer zu kompromittieren. Hier ist Heer und Volk ruhig und treu. Wir hoffen, dass Sie hierher kommen, sobald es möglich ist und alle anderen mitbringen. Alles kommt auf Sammlung hier an, wenn sie auch allmählich erfolgt. 2. Verhandlungen mit Kapp zu führen, ist zwecklos. Es stärkt ihn, diskreditiert uns und führt nur zur Verlängerung der Krise. Kapp muss zurücktreten oder seine Sache muss ausbrennen. Wir dürfen nicht in die Verantwortung und Krisis Kapps hineingezogen werden. Maerckers Angebot, mit Kapp zu verhandeln, ist deshalb von uns abgelehnt worden und seiner Reise nach Berlin haben wir widerraten. Er wollte erst Geßler und mich bewegen, führend in die neue Regierung einzutreten, und als wir Sonderverhandlungen rund ablehnten, hat er in demselben Sinne mit der Gesamtregierung verhandelt. Wir haben ihm nur erklärt, er möge seinen Einfluss auf Kapp dahin ausnützen, dass er zurücktrete. Wir haben durch Wolff auch dementiert, dass wir Verhandlungen mit Kapp führen, habe ich das heute

12 in der hiesigen Pressekonferenz mitgeteilt. – Wir bitten Sie dringend, nicht mit Kapp über Bedingungen zu verhandeln. Er muß zurücktreten. 3. Es ist unwahr, dass unsere Regierung zum Generalstreik aufgefordert habe. Es handelt sich um eine plumpe Mystifikation6. Bauer hat das heute der Pressekonferenz erklärt, und Wolff wird es dementieren sowie darauf hinweisen, dass die Nationalversammlung zusammentreten muss und wir erst mit dieser, soweit es noch erforderlich ist, über das weitere Vorgehen gegen Kapp Beschluss fassen werden.

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 194, Der Reichsinnenminister an den Reichsjustizminister vom 15. März 1920]

4. Draußen steht alles gut. Die Berliner Gewalthaber haben nur im Norden und Osten sich durchgesetzt. Die Reichswehr im Westen ist entweder treu (Kassel, Industriebezirk) oder passiv oder hält sich hinter Stacheldraht in ihren Kasernen. Ergeben[st] Koch

16. März 1920 Verhandlungen des Reichskabinetts mit den Berliner Abgesandten, insbesondere dem General Maercker. Die Mission Gen. Maerckers und verschiedener Politiker der Mehrheitsparteien war der RReg. bereits am 15. 3. abends telefonisch angekündigt worden. In der Begleitung Maerckers, der sich durch die Übernahme der Vermittlungsaktion „zwischen zwei Stühle gesetzt“ hatte (Koch), befanden sich Oberstlt. Hasse und von Metzsch, der PrIM Heine, StKom. Berger sowie weitere Reichswehr- und SipoOffiziere und -Beamte. […]

Reichswehrminister Gustav Noske

Reichsminister Koch: Ich bin Gegner der Reise Maerckers von Dresden nach Berlin gewesen. Kapp hat diese Tatsache benutzt, um in einer Proklamation vorzuspiegeln, dass Maercker Unterhändler der Reichsregierung sei und dass die Reichsregierung sich mit ihm einigen wolle. Die Reichsregierung könne sich gegenüber den Putschisten von rechts nicht anders verhalten als den Kommunisten gegenüber. Gerade eine Einigung mit Kapp würde den Bürgerkrieg gegen Unabhängige und Kommunisten bedeuten.

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Wir sind auf jeden Fall im Stande, die Kappregierung zu unterdrücken, wollen aber Gewaltmittel, die uns bis jetzt angeboten sind, vorläufig noch nicht benutzen. Die Verantwortung für alle Folgen tragen die Putschisten. […] Reichsminister Bell wies auf die Abneigung der Bevölkerung der besetzten Gebiete gegen die jetzigen Berliner Machthaber – die Kriegshetzer von ehemals – hin.

Reichskanzler Gustav Bauer (bis 26.03.1920)

Präsident Fehrenbach: Eine Verhandlung der Reichsregierung mit Kapp und einem meineidigen General ist unmöglich, da verlören wir erst recht die Reichswehr. Er wies auch darauf hin, dass eine Einigung auch schon aus politischen Gründen unmöglich sei. Die Reichsregierung muß stark bleiben, sollte auch Blut fließen. Süd- und Westdeutschland hält fest gegen ostelbische Machthaber zusammen. General Maercker warf ein, dass Truppe nicht gegen Truppe kämpfe. Die Reichsregierung brauche ja nicht zu verhandeln, sie könne ja annehmbare Forderungen nach Berlin stellen. Reichskanzler Bauer möchte am liebsten auch ohne Blutvergießen durchkommen. Wir würden die Bedingungen stellen. Wesentlich ist unter anderem Abtransport der Marinebrigade und ihre Demobilisation. Unterstellung unter andere Offiziere. Wenn Bürgerkrieg ausbrechen sollte, dann trifft der Fluch Kapp und seine Leute. Wir können und wollen, wenn nötig, Gewalt gebrauchen.

Reichskanzler Herrmann Müller (ab 27.03.1920)

Präsident Ebert: Ich kann mit Kapp nicht verhandeln. Die Vorschläge des Generals Maercker halte ich für ehrlich gemeint. Wenn wir verhandeln, droht uns die Gefahr des Bolschewismus und der Absplitterung von Süd- und Westdeutschland. Wir müssen, wenn unbedingt nötig, kämpfen, erst mit wirtschaftlichen Mitteln, dann mit Waffen. Meine persönliche Meinung ist übrigens, daß die Wahl zum Reichstag möglichst früh stattfinden müsse. Aber diese Äußerung ist unabhängig von den jetzigen Verhandlungen. Auf Anregung von Minister Heine erhält General Maercker nochmals das Wort6. Er teilt mit, über welche Bedingungen in Berlin verhandelt sei: Reichsminister Müller wies noch darauf hin, daß die Falschmeldung der Kapp-Regierung, daß Verhandlungen mit der verfassungsmäßigen Reichsregierung schwebten,

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in Paris einen sehr schlechten Eindruck gemacht habe8. Truppen würden in Straßburg gesammelt. Der Württembergische Minister des Innern Heymann erklärte, dass Württemberg fest hinter der jetzigen Regierung stände, unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit Kapp verhandele. Die Nachricht über die vermeintlichen Ausgleichsverhandlungen hatte UStS Haniel am 15. 3. an alle dt. Auslandsvertretungen telegrafiert. Am 16. 3. antwortet der Gesandte Dr. Mayer, daß die „falsche Nachricht“ über den Kompromiß in Paris eine starke Wirkung ausgelöst habe. „Man betrachtet Kompromiß als Sieg der Rechten, die alles erreicht habe.“ In der Presse werde die alte Reg. als kompromittiert und „die Sache als abgekartetes Spiel hingestellt“. Er habe dem Quai d’Orsay vom Stuttgarter Dementi sofort Mitteilung machen lassen. […] DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 198, Verhandlungen des Reichskabinetts mit den Berliner Abgesandten, insbesondere dem General Maercker vom 16. März 1920]

Auch der Vertreter Badens erklärte, dass die Aufnahme von Verhandlungen Bürgerkrieg zur Folge habe. Dann könne sich auch die jetzige badische Landesregierung nicht halten. Reichsminister Noske gab darauf die durch General Maercker an die Regierung Kapp telephonisch zu übermittelnden Kapitulationsbedingungen bekannt.

17. März 1920 Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur Beendigung des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Kabinettssitzung. Von Berlin nichts Neues. Aus München böse Nachrichten. Die neue Beamtenregierung benimmt sich so dumm wie alle Beamtenregierungen. Sie verbietet den Streik und will die Streikführer verhaften. Sie verhängt in Nürnberg, das ruhig ist, den Belagerungszustand. Sie hält ihre Reden nur gegen Links. Ich will mich äußern, da kommt mein Telefongespräch mit Schiffer. Das ist nun unerhört und wirkliche Felonie. Der Reichskanzler sagt: Die können nichts machen. Wir lehnen die Sache ab und es bleibt bedeutungslos. Aber es schwächt uns doch, scheint mir. […] Der Reichskanzler kommt wieder: „Ich bin überrascht, ich habe ganz anderen Bericht. Schiffer spricht mit Hülsen. Die Lage ist bedrohlich. Die einzige Differenz sei Rückziehung

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der Truppen. Die Verhandlungen mit Kapp dagegen sind gescheitert. Denn Hirsch sagt, dass die Berliner Funktionäre ganz auf meinem Standpunkt stehen. Schiffer habe ich gesagt, daß ein Vergleich ganz unmöglich ist.“ Geßler: Preger hat mit mir gesprochen: Schiffer ist nicht für Verhandlungen, sondern für Rücktritt. Die alte Regierung muß nach Rückkehr folgende 4 Maßnahmen treffen: Amnestie an das Militär, Reichstagswahlen innerhalb von 60 Tagen, Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk, Umbildung der Regierung.

Verantwortlicher des Putsches Wolfgang Kapp

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 201, Aufzeichnung über die Kabinettssitzung... Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur Beendigung des KappLüttwitz-Putsches vom 17. März 1920]

Koch: Ich bleibe bei meinem Bericht, Schiffer verhandelt nicht mit Kapp, sondern beschließt vorher mit seinem Gremium, was geschehen soll. Nachher erfolgt dann der Rücktritt. Schiffer hat mir übrigens gesagt – ich habe das zu sagen vergessen –, dass er seine Person zum Opfer zu bringen bereit sei für das, was er beschließen lasse. Man wird uns nachher vorwerfen, dass wir ein doppeltes Spiel treiben, wenn wir nicht erfüllen, was der Vizekanzler beschließen lässt. Reichskanzler: Ich bin doch dafür, dass wir Kapp verständigen, dass niemand in Berlin Recht hat, zu verhandeln oder zu beschließen. Reichspräsident: Entschieden dagegen. Wir können ohne Kenntnis der Dinge Schiffer nicht desavouieren. Wir wollen Alberts Ankunft abwarten. Alles ist einig, dass Erfolg verpfuscht, wenn tatsächlich solche Beschlüsse gefasst werden, aber Ebert siegt mit der Auffassung, dass die Sachlage unklar ist und zunächst nichts geschehen darf, ehe Albert da ist. […]

18. März 1920 Verhandlungen mit den Gewerkschaften - Bedingungen der Gewerkschaften für den Abbruch des Generalstreiks. Anwesend: Mitglieder der preußischen Regierung, Reichsregierung, Gewerkschaftsbund, Vertreter der Mehrheitsparteien, Freie Angestelltenverbände, Gewerkschaftsbund Deutscher Beamtenvereine im Staatsministerium.

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Legien: Sprecher für die Arbeitsgemeinschaft der Freien Angestelltenverbände und des Deutschen Beamtenbundes und der Gewerkschaften. Gestern Forderung, den Generalstreik zu verschärfen, weil Kapp-Regierung noch Verbindungen habe. Selbstverständlich bereit dazu, wenn es notwendig wird. Diese Notwendigkeit war nicht gegeben. Dennoch gestern Abend beschlossen, dass Generalstreik fortgesetzt werden soll, weil die Beseitigung der […] 1. Regierung Kapp-Lüttwitz keine Bedeutung hat, sondern weil vor allen Dingen die Besetzung Berlins durch meuternde Truppen erledigt sein muss. Vorher wird der Generalstreik nicht abgeblasen. 2. Noske darf nicht mehr als Wehrminister zurückkehren. Noske hat uns in den Mehrheitsparteien und in der sozialdemokratischen Fraktion ständig erklärt, dass die Reichswehr zur Regierung stehe. Er hätte müssen den Einbruch abwehren mit seiner Person. Weil er es nicht getan hat, deswegen Rücktritt. 3. Entscheidender Einfluss auf Neuordnung der Dinge. Auf dem Boden der Verfassung bleiben, aber wir sagen so: Die Reichsregierung hat Berlin verlassen, Reichsregierung hat die Arbeitnehmerschaft aufgefordert, auch Angestellte und Beamte, in den Generalstreik einzutreten. Dieser Aufforderung sind wir gefolgt. Alle Arbeitnehmerkreise sind für den Generalstreik gewonnen worden. 4. Einzelne sozialpolitische Forderungen. Heine: Nationalversammlung ist versammelt. Hier keine Beschlüsse möglich. Nationalversammlung soll nach Berlin. Das dauert Tage. Wenn Generalstreik so durchgeführt wird, kann Regierung keine Kundgebung machen, während Kapp noch die Möglichkeit hat. Gebührender(m) Einfluss der drei Verbände bleibt jede Möglichkeit, wenn Reichsregierung und Reichsparlament in Berlin sind. Aufhäuser: Wir haben auch Interesse an Sicherheit gegen Verbrecher und Plünderer. Das wird aber möglich sein ohne die Truppenteile, die wir bezeichnet haben. Legien wird noch über die Sicherung Groß-Berlins sprechen. Bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit soll die Arbeiterschaft herangezogen werden.

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Nicht nur nach rein militärischen Gesichtspunkten, sondern innere Beruhigung der Berliner Arbeiterschaft mitverantwortlich für die Sicherheit. Frage Noske: Zum mindesten muss unterbleiben, was neuen Zündstoff in die Arbeiterschaft wirft. Abschaffung eines bestimmten Systems. Wir suchen einen Weg, um eine dauernde Sicherung von Berlin zu schaffen.

Carl Legien Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB)

Siegfried Aufhäuser Vorsitzender des Allgemeinen freien Angestellten-Bundes (AfA)

[…] Entscheidender Einfluss der organisierten Arbeiterschaft. Warum so wenig Verständnis? Vor wenigen Tagen hat (wurde?) die Berliner Arbeitnehmerschaft von der alten Regierung aufgefordert, von dem äußersten Kampfmittel Gebrauch zu machen. Die alte Regierung rief die Geister! Jetzt kann man sie nicht mehr wieder ausschalten. In den Organisationen besteht ein gewisser Mangel an Vertrauen, ob es der Regierung allein gelingen würde, die nötigen Reformen durchzuführen. Diese Garantien sehen wir in dem entscheidenden Einfluss der Arbeitnehmerforderungen. Keine Ausschaltung der Demokratie und der Verfassung. Wie das geschehen kann, darüber kann gesprochen werden. Vorschlagsrecht allein genügt nicht; ein gewisses Einspruchsrecht mit der Möglichkeit, dass die Beschlußfassung den parlamentarischen Stellen verbleibt. Es handelt sich auch um die Neuordnung des Systems, und darüber ist sich die Arbeitnehmerschaft einig. Die Nationalversammlung hat in dieser Krise versagt und musste versagen. Die Arbeiterschaft allein war die entscheidende Stelle, die uns wieder aus der Misere gebracht hat. Wir führen den Generalstreik nicht zugunsten der jetzigen Regierung, sondern zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Zustände. Man sagt, wenn die Gewerkschaften das verlangen, könnte auch jede andere Gruppe es verlangen. Aber das ist nicht richtig. Alles und jedes hängt nur von der Arbeiterschaft ab. Im Sinne der gesamten Bevölkerung ist es gelegen, wenn man die Gewerkschaften mit diesem erhöhten Einfluss ausgestaltet. Wir haben die Fühlung mit der hiesigen und auswärtigen Arbeiterschaft. Der Kampf ist keineswegs so abgebrochen, wie das hier scheinbar teilweise angenommen wird. Es wird den Gewerkschaften nicht leicht sein, die gesamte Arbeiterschaft zum Abbruch zu bewegen. Wir wünschen aber, dass die Arbeiter(schaft) mit gutem Gewissen ihr Kampfmittel aus der Hand legt. Nicht eher, bevor sie bestimmte Sicherheiten hat. […]

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Rausch [Gemeint ist der Vorsitzende der Berliner Gewerkschaftskommission, Rusch]: Forderungen: Die Minister haben erklärt, dass sie nicht legitimiert sind, Forderungen entgegenzunehmen. Aber sie werden diese Forderungen wohl der Regierung unterbreiten. Gewerkschaftskommission hat beschlossen, Streik weitergehen: Im folgenden wird die Schreibweise stillschweigend verbessert. 1. Völlige Neubildung des Kabinetts, nur sozialdemokratische Arbeiter als Regierende. Bisher arbeiterfeindliche Regierung. Wir betrachten eine Verfassung nicht als nichtabänderlich. Also Abänderung der Verfassung. 2. Sofortige Zurückziehung aller meuternden Truppen und Auflösung und Entwaffnung. Arbeiter müssen in die Truppenteile mit hinein. Dann Entwaffnung und Beseitigung der Meuterer. 3. Das bisher militaristische Regime hat dem Kapital als Schutzgarde gedient, gegen Streikende. Deshalb Auflösung der gesamten Söldnerscharen, auch der Einwohnerwehren. 4. Auflösung der Technischen Nothilfe. Dafür Arbeiterwehr zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit. 5. Entscheidende Mitwirkung bei der Neuordnung. 6. Sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes. Ehe diese Forderungen nicht erfüllt sind, haben wir nicht die Absicht, mit Ihnen (ihnen?) weiterzuverhandeln oder Streik abzublasen. […] Über Antrag Schulz keine Entscheidung. Legien hat eine Reihe von Forderungen überreicht. Legiens Vorschläge werden durchgeschlagen [sic]. Legien weiter vorgeschlagen, dass heute keine Entscheidung, sondern vertagt wird bis morgen abend. Zu diesen Forderungen müssen die Mitglieder der Regierungen und die Vertreter der Mehrheitsparteien Stellung nehmen. Frage, ob Mitglieder der Regierungen und Parteien gemeinsam tagen sollen oder getrennt? – Also gemeinsame Tagung. Um 3 Uhr. Wels Wunsch ausgesprochen, Reichsregierung nach Berlin zurückzukehren. Die Benachrichtigung der Regierung geschieht durch Wels und Krüger.

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DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 201, Aufzeichnung über die Kabinettssitzung... Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur Beendigung des Kapp-Lüttwitz-Putsches vom 18. März 1920]

Der Streik der Eisenbahner dauert fort, bis die Forderungen bewilligt worden sind. Hirsch: Vorschlag: Gesamtsitzung um 7 Uhr. Auch im Staatsministerium. Die Aussprache wird gegen 22 Uhr vertagt […]in einer Nachtsitzung vom 19./20. 3. zwischen Vertretern der RReg. (RWiM Schmidt, RArbM Schlicke), der PrReg., der Koalitionsparteien im Reich und in Preußen sowie Funktionären des ADGB unter Führung Legiens, der Afa des DBB und der Berliner Gewerkschaftskommission am 20. 3. um 5 Uhr morgens zum Abschluss. Als Ergebnis wird wiederum eine neun Punkte umfassende Vereinbarung ausgehandelt, die zwar auf dem Neun-Punkte-Programm der Freien Gewerkschaften vom 18. 3. basiert, jedoch stellenweise hinter den dort gesteckten Zielen zurückbleibt. […] Die Freien Gewerkschaften erklären daraufhin am 20. 3. um 7.05 Uhr den Generalstreik für beendet. Legien: Wenn USPD mitmachen will, bestehen dagegen Bedenken? Hirsch hat keine Bedenken. Aber keine neuen Forderungen! Das bestätigt Legien. Ein Eisenbahner will Vertreter der Eisenbahner dabei haben. Das wird abgelehnt.

22. März 1920 Tagebuchaufzeichnung des Reichsinnenminister [Innenpolitische Lage; Abbruch des Generalstreiks.] […] Die Gewerkschaften stellen weitgehende Forderungen, die man nach Bauer erfüllen muss, um die Mehrheitssozialisten von den übrigen Gewerkschaftlern abzusprengen, da man der einheitlichen Front nicht gewachsen sei. Die Bedingungen sind: 1. Aufhebung des verschärften Belagerungszustandes, 2. Eintritt von Arbeitern in die Sicherheitswehr, 3. Zurückziehung der Truppen aus Berlin. Diese drei Forderungen trägt Bauer als zunächst zu erfüllen vor. 4. Bildung einer reinen Arbeiterregierung. […] Wenn wir [Reichsregierung] Punkt 1, 2, 4 bewilligen, so können auch die Mehrheitssozialisten uns nicht gegen Punkt 3 helfen. Dann wird die Arbeiterregierung entweder mit oder gegen sie gemacht. Diese Regierung aber ist die Räterepublik, denn [sic] meine Freunde und ich sind nicht bereit, einer solchen Regierung auch nur einen Tag unser Vertrauen zu gewähren. Sie verwechseln Berlin mit Deutschland. […]

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Anmerkung zu „strengsten Bestrafung“: 775 Offiziere, waren am Kapp-Putsch beteiligt, davon: 486 Verfahrenseinstellungen, 91 Beurlaubungen, 57 Versetzungen, 48 Dienstenthebungen, 13 disziplinare Erledigungen, 74 mal noch 1923 keine Entscheidung, sechs Verabschiedungen; die Gesamtstrafe: fünf Jahre Gefängnis.

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Ebert: Kein Anlass zur Verzweiflung. Es fehlt klare, feste Haltung der Regierung. Taktik der Radikalen geht immer auf Zermürbung unserer Position. Wir dürfen uns von Verfassung und Demokratie nicht ablenken lassen. Es ist die Gefahr, dass man abwärts gleitet wie in München. Militärisch darf man nicht nachlassen. Aber schnelle Säuberung des Heeres und Hochverratsverfahren. Das muss alsbald in die Bevölkerung durch Zeitungen. Streik ist erst zu Ende, wenn Kraftwerke, die in Händen wirklicher Kommunisten sind, wieder in Gang gebracht werden. Alles andere hilft nichts. […]

DOKUMENT: [Das Kabinett Bauer, Band 1 Dokumente Nr. 209, Innenpolitische Lage; Abbruch des Generalstreiks vom 22. März 1920]

Auf der Grundlage der vorstehenden Kabinettsentscheidungen beraten die Führungsgremien des ADGB, der Afa, der Berliner Gewerkschaftskommission, der USPD und der SPD bis gegen 24 Uhr. Sie einigen sich schließlich, den Streikenden die Beendigung des Generalstreiks vom 23.ab zu empfehlen, da die RReg. neben der „Anerkennung“ der Vereinbarungen vom 20. 3. die „bindende Erklärung“ abgegeben habe, „1. daß die Truppen in Berlin bis auf die Spreelinie zurückgezogen werden, 2. [daß] der verschärfte Belagerungszustand aufgehoben wird, 3. daß die bewaffneten Arbeiter, insbesondere im Ruhrrevier, nicht angegriffen werden sollen, 4. [daß] mit den gewerkschaftlichen Verbänden über die Einreihung der Arbeiter in die Sicherheitswehren in Preußen verhandelt werden soll“.

Abkürzungen: ChdAdm GenMaj KKpt Kpt Oberstlt PrIM RJM RKab RPräs RReg RWeM(in) RKab StKom UStS VAdm

Chef der Admiralität Generalmajor Korvettenkapitän Kapitän Oberstleutnant Preußischer Innenminister Reichsjustizminister Reichskabinett Reichspräsident Reichsregierung Reichswehrministerium Reichskabinett Standortkommandant Unterstaatssekretär Vizeadmiral