Der Geist weht, wo er will

Der Geist weht, wo er will Predigt zu Joh 3,7-15 (Ost/02/Di) – am 29. April 2014 im Albertinum/Bonn In den Kursstunden ging es heiß her. Da prallten ...
Author: Gerrit Brodbeck
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Der Geist weht, wo er will Predigt zu Joh 3,7-15 (Ost/02/Di) – am 29. April 2014 im Albertinum/Bonn

In den Kursstunden ging es heiß her. Da prallten die Meinungen aufeinander. Und unser Spiritual hatte seine liebe Mühe, die Hitzköpfe zu beruhigen, Argumente zu entschärfen, die Wogen zu glätten und den Haufen zusammenzuhalten. Besonders heiß umstritten war das Thema Spiritualität: Was ist das überhaupt? Wie kann man mit den unterschiedlichen Spiritualitätskonzepten umgehen? Bleiben sie nebeneinander stehen – oder muss es verbindende Kernpunkte geben? Für mich waren das damals böhmische Dörfer. Ich kam aus einer traditionell katholischen Familie mit einer bodenständigen Normalfrömmigkeit, die von Übertreibungen nichts wissen wollte. Bei den hitzigen Debatten um die Spiritualität war ich meist still – und fragte mich insgeheim: Hast Du überhaupt eine Spiritualität? Oder hinkst du deinen Kollegen meilenweit hinterher? An diese Anfangserlebnisse im Würzburger Priesterseminar musste ich denken, als ich den heutigen Evangeliumsabschnitt las. Denn da geht es um Spiritualität im besten Sinn des Wortes: um diejenigen, die aus dem Geist geboren werden (Joh 3,8). Im Nikodemusgespräch umschreibt das Johannesevangelium das Christsein als eine Neugeburt von oben. Nicht als zweite Geburt aus menschlichem

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Fleisch, sondern als ein neues Leben, das seinen Ursprung im Geist Gottes hat. Und das Johannesevangelium greift zu einem plastischen Vergleich: Ein solch vom Geist geborener Mensch, also ein spiritueller Mensch – mit dem verhält es sich wie mit dem Wind: „Der Wind weht, wo er will, du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht“ (Joh 3,8). Anders gesagt: Man spürt die Kraft des Windes, hört sein Brausen, aber man kann seinen Ausgangspunkt nicht fassen – und weiß auch nicht im voraus, in welche Richtung er sich bewegt. So sind geistliche Menschen: Sie sind in Bewegung gebracht. Sie spüren eine innere Antriebskraft. Aber sie können sie weder packen noch dirigieren. Sie lassen sich von dieser Kraft leiten, ohne zu wissen wohin sie führt. Das klingt ganz schön gefährlich. Und das ist es auch. Das Johannesevangelium führt es an einzelnen Figuren vor. Da ist Nikodemus selbst, ein Lehrer Israels. Der sich in religiösen Dingen auskennt. Aber durch diesen Jesus wird er aus der Bahn geworfen. Ist vielleicht alles doch ganz anders als es die Schultheologie seit Jahrhunderten lehrt und treu überliefert? Bei Nacht schleicht er sich zu Jesus, zu diesem anderen Rabbi. Niemand soll es sehen, dass er als alter Mann unsicher geworden ist – und sich vergewissern will. Dass er aus der Riege der angesehenen Ratsherren, die sich eindeutig gegen Jesus stellen, ausschert – und am Ende ddabei ist, die Seite zu wechseln.

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Als er in einer Ratsversammlung – das wird im 7. Kapitel des Johannesevangeliums erzählt – vorsichtig für Jesus Partei ergreift, wird er von seinen Amtskollegen schroff zurechtgewiesen – und als Überläufer verdächtigt: „Bist etwa auch du aus Galiläa?“ (Joh 7,52). Eine geistliche Neugeburt wirft einen aus den sicheren sozialen Gleisen und kann einen schnell zum Außenseiter machen. So eine Neugeburt kann aber auch sehr schmerzhaft sein. Das sieht man an der Samaritanerin: Sie lässt sich von Jesus in ein Gespräch verwickeln, in dem sie ihren ungestillten Lebensdurst zugibt und Jesus den wunden Punkt ihres Lebens offenlegt. Aber auf einmal ist die scheue Frau nicht wiederzuerkennen: Sie lässt ihren Wasserkrug, mit dem sie gekommen war, einfach stehen – und macht etwas, was sie vorher stets vermieden hat: Sie geht auf die Leute ihres Ortes zu und bringt auch sie in Bewegung – mit einer Frage: „Vielleicht ist der Mann da draußen der Messias?“ (Joh 4,29). Aber so eine Neugeburt gelingt nicht immer. Das sieht man an Pilatus, den Jesus neugierig gemacht hat; dem aber der Weg, auf den Jesus ihn führt, zu unsicher wird. Ein Königtum nicht von dieser Welt? Ohne Absicherung durch Macht? Das würde ihm Amt und Würde, Kopf und Kragen kosten. Da bleibt er lieber beim Kaiser und seinem Heer. Liebe Mitbrüder, mehrmals formuliert das Johannesevangelium die entscheidende Testfrage für alle, die von oben, aus dem Geist, geboren werden wollen. Symptomatischerweise

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sofort bei der ersten Jüngerberufung – und am Ende des Evangeliums: am Ostermorgen. Die ersten beiden Jünger, die hinter ihm herlaufen, fragt Jesus: „Was sucht ihr?“ Es ist das erste Wort, das Jesus im Johannesevangelium spricht. Nachfolger werden vom johanneischen Jesus dadurch qualifiziert, dass sie auf der Suche sind. Und am Ostermorgen wird Maria von Magdala von dem Mann, den sie für den Gärtner hält, gefragt: „Wen suchst du?“ Ihre Ostererfahrung besteht darin, dass sie kapiert, dass der Wind aus einer anderen Richtung weht. Den sie sucht, der ist anders, als sie sich ihren Jesus vorgestellt hat. Und das ist „der Herr“. Das Johannesevangelium sagt mir: Spirituelle Menschen, die sich vom Geist leiten lassen, sind auf der Suche – und lassen sich überraschen. Sie sind mutig, weil sie sich auf nicht Erprobtes, vom Mainstream noch nicht Anerkanntes einlassen – und dafür Partei ergreifen. Sie spüren: Da ist etwas, das mich innerlich antreibt. Ich muss mich bewegen lassen, auch wenn ich noch nicht weiß, wohin der Weg führt.

Einleitung Manche Gespräche bleiben einem immer im Ohr. Für mich gehört dazu, was mir einmal am Anfang meiner Tätigkeit Studierende in Münster gesagt haben, als ich sie fragte, warum sie sich so zögerlich auf die historischkritische Exegese einlassen.

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Sie sagte mir: Wissen Sie, als Theologiestudenten werden wir ständig angefragt. In der Mensa, in Seminaren anderer Fachrichtungen. Wenn ich da sage, dass ich Theologie studiere, ernte ich bestenfalls ein müdes Lächeln. Wenn ich mir nicht sogar anhören muss: „Wie kann man denn so etwas studieren. Ist das überhaupt eine Wissenschaft?“ In den Vorlesungen erwarten Bestätigung und Sicherheit. Und dann werden sogar die Bibeltexte kritisch hinterfragt …“ Ich habe seitdem die jungen Leute besser verstanden. Und trotzdem meine ich: Die Herausforderung durch ständiges Angefragtsein ist der Anfang eines spirituellen Lebens.

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