Der Begriff Inklusion in Zeiten zunehmender Ausgrenzung

Der Begriff „Inklusion“ in Zeiten zunehmender Ausgrenzung Unabhängiges Forum kritische Soziale Arbeit/ AG Theorie und Praxis In sozialwissenschaftlic...
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Der Begriff „Inklusion“ in Zeiten zunehmender Ausgrenzung Unabhängiges Forum kritische Soziale Arbeit/ AG Theorie und Praxis

In sozialwissenschaftlichen Diskursen um soziale Ungleichheitsverhältnisse werden Praktiken sozialer Differenzierungen seit geraumer Zeit beleuchtet. Insbesondere die Intersektionalitätsforschung sowie die Disability Studies untersuchen sowohl das Zusammenwirken verschiedener Analysekategorien wie beispielsweise Behinderung, Ethnizität oder Geschlecht als auch die Bedeutung von Behinderung als kulturelles oder soziales Phänomen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse und Unterdrückungsstrukturen (z.B. Lutz/ Vivar/Supik 2010, Groenemeyer 2010, Klinger/Knapp/Sauer 2007). Kategorien wie Behinderung, Krankheit und Gesundheit, Geschlecht oder Ethnizität werden aus dieser Sichtweise als soziale, kulturelle und politische Ordnungsdimensionen begriffen, mit denen gesellschaftliche Ein- und Ausschlussprozesse verbunden sind. In den jeweiligen Begrifflichkeiten und Klassifikationen wie „Behinderung“ treten Normierungsansprüche hervor, die nicht nur (als Konstruktion betrachtet) etwas Gemachtes, sondern als Resultat historischer Strukturierungsprozesse immer auch etwas Gewordenes sind (Becker-Schmidt 1993) Nach Winkler (2010) wird mit dem Begriff „Inklusion“ das „anspruchsvolle Programm vorgetragen, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer je besonderen Verfassung, die sie aufgrund ihrer Naturausstattung, ihrer Lebensgeschichte, aufgrund von Krankheit oder besonderer biographischer Entwicklung haben oder erleiden mussten, zuerst Würde zukommen zu lassen …“ „Menschen sollen also – und das klingt angesichts der Dramatik von Exklusionsprozessen sehr versprechend – durch unterschiedlichste Maßnahmen in eine Gesellschaft zurückgeführt werden, aus der sie ausgeschlossen worden sind“ (Winkler 2010). Die im Jahr 2006 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention1 fordert Inklusion in dem Sinne, die Differenzierung zwischen Behinderung und Nicht- Behinderung aufzubrechen, so dass idealerweise alle Menschen gleichberechtigt in einer Gesellschaft leben können. Sie richtete in Folge 2008 an alle Staaten die Aufforderung zur Umsetzung von Inklusion. Das

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http://www.behindertenrechtskonvention.info/ 1

zog u.a. entsprechende Aktionspläne der Bundes- und Landesregierungen nach sich, das Bundesteilhabegesetz von 20142 usw. In der Konvention heißt es dem Sinne nach: Es geht nicht mehr um Integration, sondern um Möglichmachung der uneingeschränkten Teilnahme aller an allen Aktivitäten. Normalität soll ein gemeinsames Leben aller Menschen mit und ohne Behinderung sein, nicht der Mensch mit Behinderung hat sich anzupassen, sondern das gesellschaftliche Leben Aller muss für alle ermöglicht werden. Dies soll sich z.B. im Zugang zu Justiz, Bildung, Gesundheit, Wahlrecht niederschlagen. Besonders intensiv wird inklusive Bildung diskutiert. Der Normalfall soll nicht länger der Ausschluss vom obligatorischen Schulbesuch sein, sondern der Zugang für jeden zum allgemeinen Bildungssystem. Eine besondere Bedeutung erhält dies im Kontext der Beschulung behinderter Kinder: „Die noch vor vierzig Jahren völlig gängige Praxis der Segregation, Isolation, Fremdbestimmung und Benachteiligung von behinderten Menschen, deren Alltag von der Exklusion in Sondereinrichtungen und dem abgeschnitten Sein von allgemeinen gesellschaftlichen Ressourcen geprägt war, mündete zu dieser Zeit in einer immer stärker werdenden Protestbewegung gegen diese Ungleichbehandlung. … Im Fokus der gegenwärtigen Diskussion stehen besonders die schulischen Veränderungen“ (Siegel 2014). In Abgrenzung zum Begriff der „Integration“ meint „Inklusion“ also, Menschen als Individuen mit ihren Unterschiedlichkeiten und Differenzierungen völlig gleichberechtigt an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen; besser noch: ihre Beteiligung gesellschaftlich durchzusetzen und im Zweifelsfall auch zu erkämpfen. Die Akzeptanz von Andersartigkeit, das Recht auf Scheitern und Abweichungen von der Norm bestimmen das Maß an Inklusion. Inklusion im beschriebenen Sinne kann damit als das Gegenteil von Exklusion bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass in unserer Gesellschaft Exklusion auf vielfältige Weise seit langem praktiziert wird: Allerorts in der aktuellen Flüchtlingspolitik, und z.B. beim Thema Gentrifizierung wird unverhohlen über Exklusionsprogramme gesteuert. Die Idee der Inklusion steht zu diesen Realitäten in einem krassen Gegensatz. Das allerdings ist nicht weiter verwunderlich, weil die kapitalistische Verwertungslogik auf Ein- und Ausschlussprozessen beruht und durch kein noch so fortschrittliches Programm darauf verzichten kann (Marx 1890/1977).

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http://www.behindertenrechtskonvention.info/uebereinkommen-ueber-die-rechte-vonmenschen-mit-behinderungen-3101/

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Inklusion muss praktisch und faktisch ermöglicht werden Zurück zur Behindertenrechtskonvention. Wie schon oben erwähnt, sollen die Staaten – siehe z.B. Artikel 30 des Vertrags - geeignete Maßnahmen sicherstellen, um den politischen Willen zur Inklusion zu gewährleisten3. Das heißt, die Umsetzung des Inklusionskonzeptes erfordert immer die Bemühung und den politischen Willen, die Bedingungen zu schaffen, die Inklusion möglich machen. Dies ist jedoch keineswegs zwangsläufige Praxis. Nicht selten gerät der Begriff Inklusion zu einer bloßen moralischen Aufforderung, ohne dass die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. Wo aber die Fahne der Inklusion hochgehalten wird, ohne für die Betroffenen die Voraussetzungen für eine gelungene Inklusion sicherzustellen, ist Inklusion nicht mehr als eine Worthülse. Ein lernbehindertes Kind z.B. einfach in eine Regelschule zu setzen und sich einzureden, dass es allein durch seine Anwesenheit in der Regelschule nun die gleichen Chancen habe wie die anderen Kinder, das wäre ein Versuch, der statt zu inkludieren zu seinem Gegenteil führen kann. Das aber bedeutet: Inklusion kostet also Geld, muss also im Haushalt eingeplant werden, weil sie ohne Schaffung der notwendigen Bedingungen nicht realisierbar ist. Wenn der Begriff Inklusion aber dazu genutzt wird, um Spar- und Rationalisierungsabsichten durchzusetzen, dann wird er missbraucht. Und wenn Inklusion sogar nur dazu dient, Differenzierungen wegzudiskutieren, um der Notwendigkeit einer besonderen Unterstützung und Berücksichtigung spezifischer Eigenarten, Schwierigkeiten oder Beeinträchtigungen von Menschen zu entgehen, dann liegt eine grobe Täuschung vor. In einem Artikel in der FAZ von Christian Geyer „Warum werden Wesensmerkmale wie Behinderung, Begabung oder sexuelle Identität wegdiskutiert? Das Neueste aus dem Paradiesgärtlein der Inklusion“ vom 21.07.2014 heißt es: „Heute steht man vor dem Paradox, dass die begriffliche Gleichstellung der Unterschiede – ihr Unsichtbar werden – recht eigentlich erst die lebensweltliche Diskriminierung schafft, die man doch verhindern will. Man kann im Interesse der Betroffenen nur davor warnen, die unterschiedlichen Bedürfnisse so weit zu nivellieren, dass sie am Ende nicht mehr geltend gemacht werden können.“ Unter solchen Bedingungen bedeutet Inklusion nicht: „Hereinlassen, willkommen heißen, dem Eingelassenen Raum geben für seine eigene Identität“. Unter solchen Bedingungen kann sie vielmehr zu einer Art “Einschluss“ verkommen, bei dem sich die Gesellschaft die zu Inkludierenden quasi einverleiben, sie sozusagen mit ihrer Besonderheit im Allgemeinen verschwinden lassen will. Wer als Hilfebedürftiger seine Hilfebedürftigkeit nicht mehr zeigen darf, wer als „ganz normal“ hochgelobt wird, obwohl er besondere Unterstützung von der Gesellschaft brauchen würde, der bleibt so im Regen stehen. Das „Dürfen“ zu gewähren ist

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Bundesteilhabegesetz von 2014 (http://www.gemeinsam-einfachmachen.de/BRK/DE/StdS/Home/stds_node.html

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eben das eine und das kostet kein Geld. Dafür zu sorgen, dass die, die jetzt dürfen, es auch können, das ist das andere und das muss im Haushalt eingeplant werden. Für Menschen, die mit den Erwartungen einer Inklusion überfordert sind und Menschen, die vergeblich auf die notwendige Unterstützung warten, wird Inklusion zur Falle und letztlich zur neuen Ausschließung. Die Kinder z.B., die früher in der Sonderschule (im besten Fall) eine besondere Betreuung, Förderung und Behandlung erhielten, müssen heute in der Regelschule mitkommen und irgendwie funktionieren. Die Unterstützung ist im Vergleich zu der Situation in einer Sonderschule massiv zusammengeschrumpft: In der Regelschule erhalten Kinder nur noch einmal pro Woche Übungseinheiten durch eine ambulant herumreisende Sonderschulpädagogin und müssen den Rest ihres Schulalltags ohne Begleitung und direkte Unterstützung bewältigen. Hier scheint es vorprogrammiert, dass SchülerInnen scheitern werden oder sozusagen in der Inklusionssituation eine Exklusion erleiden und vielleicht irgendwann als nicht beschulbar ganz ins Aus gestellt werden. Dass schulische Inklusion aber auch anders umgesetzt und realisiert werden kann, nämlich so wie die Konvention sie versteht, zeigen Beispiele aus anderen Ländern: So bewegt sich die finnische Bildungspolitik schon seit Mitte der 1990er Jahre weg von der eigenständigen Sonderschule hin zu flexiblen sonderpädagogischen Organisationsformen in der finnischen Gesamtschule. Seit 1999 ist in Finnland gesetzlich geregelt, dass die Kommunen dafür Sorge tragen müssen, dass alle die neunjährige Gesamtschule besuchen können: Schüler und Schülerinnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden prioritär in Regelklassen unterrichtet. Ist das Lernen eines Schülers im Regelunterricht jedoch nicht möglich oder im Hinblick auf die Entwicklung des Schülers nicht zweckmäßig, erfolgt der Unterricht teilweise oder ganz in einer sonderpädagogischen Gruppe. Brigitte Schumann (2010) beschreibt in ihrem Aufsatz „Inklusive Bildung in den nordischen Ländern im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung“4 die Situation folgendermaßen: Anders als in Deutschland wird individuelle Unterstützung Schülern nicht erst dann gewährt, wenn umfängliche Lernschwierigkeiten festgestellt worden sind: Bevor der Erfolg eines Schülers in einem Unterrichtsfach als mangelhaft bewertet wird, muss ihm ein auf Grundlage eines individuellen Lernplans ein Einzel- oder Gruppenförderunterricht angeboten werden. Dabei ist ein erklärtes Ziel, jede Stigmatisierung der Schüler mit Sonderbedarf zu vermeiden. Inklusion für wen? Ein großer Teil der Kinder, die als „lernbehindert“ gelten und bisher in einer Sonderschule untergebracht waren, leiden nicht an einer klassischen Lernbehinderung (z.B. durch eine 4

http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/138/138 :

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frühkindliche Hirnstörung), sondern haben auf grund ihrer Herkunftsmilieus zu wenig frühkindliche Förderung und nicht selten auch zu wenig Zuwendung erfahren und zeigen jetzt Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten, Konzentrationsmangel und anderen Lernstörungen. Ursachen solcher Lernstörungen sind aber oft Armut und soziale Ausgrenzung und fehlende Hoffnung auf Teilhabe und nicht ein persönliches Defizit.

Von der Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Menschen aufgrund ihrer Armut bzw. ihrer angeblichen Nutzlosigkeit zu „Überflüssigen“ ist im Zusammenhang mit Inklusion eher nicht die Rede. Aber auch und gerade die sozial Benachteiligten gälte es zu inkludieren, statt sie auszugrenzen. So gesehen hat die überwiegende Klientel der Sozialen Arbeit einen Anspruch auf Inklusion und Teilnahme. Aus dieser Perspektive heraus sind z.B. auch die Hilfe zur Erziehung, die Jugendarbeit, die Drogenarbeit, die Arbeit mit Wohnungslosen oder mit Migranten etc. Arbeitsfelder, bei denen es um die Inklusion der betroffenen Menschen geht. Die Soziale Arbeit wäre damit in all ihren Arbeitsfeldern eine der wichtigsten Instanzen, die Menschen durch die Schaffung der erforderlichen gesellschaftlichen, materiellen und individuellen Voraussetzungen bei dem Prozess der Inklusion unterstützen kann. Die angemessene personelle und materielle Ausstattung ihrer Arbeitsfelder ist damit auch in diesen Bereichen Voraussetzung dafür, dass Inklusion in dieser Gesellschaft nicht nur auf dem Papier steht, sondern tatsächlich realisiert werden kann. Eine solche Diskussion wird aber bislang nicht wirklich geführt.

Vereinnahmung und neoliberale Auslegung des Begriffes Inklusion durch den aktivierenden Staat Die Vertreterinnen der neoliberalen Ideologie bedienen sich des eigentlich humanistisch gemeinten Begriffes Inklusion, deuten ihn um und benutzen ihn für ihre Zwecke. Alle weiter oben erwähnten Formen des Missbrauches und der Verkehrung des Begriffes Inklusion in sein Gegenteil sind im Rahmen der neoliberalen Politik in Deutschland zu beobachten: Oben wurde dargestellt, dass die Umsetzung von Inklusion unbedingt die notwendigen Mittel erfordert, um die Betroffenen in die Lage zu versetzen, ihre Inklusion zu bewältigen und erfolgreich zu gestalten. Genau das aber wird im neoliberalen Kontext mehr oder weniger verweigert bzw. generell geleugnet. Man erhebt die Inklusion zu einer alternativlosen moralischen Forderung, aber man versucht, sich vor der Schaffung notwendiger Voraussetzungen zu drücken. Die Schaffung geeigneter Infrastruktur, die Kompensation bestehender sozialer oder anderer Benachteiligung, Behinderung und mangelnder Ressourcen wird als nicht notwendig eingestuft. Indem man für eine Umsetzung des Inklusionskonzeptes die Schaffung und Finanzierung von Unterstützungsleistungen für mehr oder weniger überflüssig hält, macht man aus dem Konzept der Inklusion ein „perfektes Sparprogramm“. Inklusion wird damit zu einer Art Zaubermittel für den kostengünstigen Sozialstaat. 5

In vielen Bereichen der Sozialen Arbeit sowie der Gesundheits-, Sozial- und Bildungspolitik ist man seit Jahren dabei, die Ressourcen einzufrieren bzw. zu verknappen. Das ist keine angemessene Voraussetzung für eine Umsetzung gesellschaftsweiter Inklusion. Aber es geht bei dem Missbrauch des Begriffes Inklusion durch den aktivierenden Staat keineswegs nur ums Sparen. Es geht auch um die Durchsetzung der neoliberalen Ideologie von der alleinigen Selbstverantwortung der Menschen für ihre Problemlagen und um die Zurückweisung der Verantwortung der Gesellschaft bzw. des Staates. So zeigt sich auch die im Rahmen der neoliberalisierten Sozialen Arbeit deutlich, dass die Praktiken, die sich aus der Vorstellung ableiten, der Einzelne sei für sich ganz alleine selbst verantwortlich, zu einer neuen Art von Exklusion führen. Winkler (2010) stellt in diesem Kontext aus Sicht der Betroffenen dar: „… der Gewinn der Inklusionsstrategie verkehrt sich also gegen sie, weil sie unter individuellen und sozialen Bedingungen die eigene Individualität geltend machen sollen und müssen, unter denen sie eben dies nicht können. … Die für autonom erklärten Subjekte dürfen, können und müssen sich in einer diffusen Welt orientieren, für die sie eigentlich nicht befähigt wurden. Man nimmt ihre Eigenarten hin, erklärt die als Ausdruck von Autonomie und überlässt sie sich selbst, die begleitende und unterstützende Hilfe wird faktisch verweigert, weil sie im Konzept nicht vorgesehen ist.“ Die Inklusionsthematik transportiert hier die zentralen neoliberalen Vorstellungen von der Selbstverantwortung des Einzelnen, bringt die liberalistische Ideologie mehr oder wenig verbrämt zum Ausdruck und transportiert sie auch und gerade in die Soziale Arbeit hinein. Ähnlich wie schon der Begriff „Aktivierung“ versteht die neoliberale Politik auch „Inklusion“ als ein Angebot an Betroffene, zu dessen Realisierung die Gesellschaft nur sehr begrenzt und befristet Unterstützung leistet. Der Betroffene bleibt sich letztlich selbst überlassen. Das Angebot der Inklusion wird damit zur Farce. Es wendet sich dann letztlich, interpretiert als selbstverschuldet, als Exklusion gegen die Betroffenen. In Ansätzen gilt dies heute auch schon für den Behindertenbereich. Dort aber, wo es um soziale Behinderungen und Benachteiligungen geht, ist diese Praxis längst an der Tagessordnung (s. Hartz IV, Obdachlose usf.). Hier wird deutlich, dass Inklusion innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft immer eine halbe Sache und oft nur eine Illusion bleiben muss. Als aktuelle, globale Variante des Kapitalismus zeigt der Neoliberalismus hier deutlich, dass sein Ziel keineswegs eine egalitäre Gesellschaft ist und dass Inklusion nicht wirklich auf seiner politischen und wirtschaftlichen Agenda steht. Wie schon oben gesagt, basiert die kapitalistische Verwertungslogik auf Einund Ausschlussprozessen. Damit gehört die Exklusion zu den Wesensmerkmalen dies Kapitalismus: So ist für ihn ist die Teilung in Arme und Reiche kein Problem. Im Gegenteil, Armut wird als Motor des wirtschaftlichen Wachstums begriffen.

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Inklusion und Soziale Arbeit Soziale Arbeit wird im Rahmen ihres Mandates durch den Staat heute grundsätzlich aufgefordert, Inklusion im neoliberalen Sinne zu verstehen und sie auch ohne Bereitstellung der notwendigen Bedingungen umzusetzen. Dies gilt für viele Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit in hohem Maße. Betrachtet man die Soziale Arbeit insgesamt als eine Instanz zur Verbesserung der Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen aller Art, so wie wir es oben erläutert haben, so muss leider festgestellt werden, dass der Einsatz von Mitteln in nahezu allen Bereichen zurückgedrängt wurde. Hinzukommt die in den meisten Arbeitsfeldern heute durchgesetzte Verbetriebswirtschaftlichung der Sozialen Arbeit, die ihrerseits dazu führt, dass Leistungen zurückgefahren, standardisiert und zum Teil auch ganz abgeschafft werden. Angebote haben sich heute vor allem zu rechnen. Klienten können „effizient“ aber auch „ineffizient“ sein. Investiert wird in der Tendenz nur in Projekte und Menschen, die sich als „effizient erweisen“. Auch die zunehmende Sanktionierung und Paternalisierung in vielen Feldern der Sozialen Arbeit konterkariert Inklusionsprozesse. Angesichts der Unmöglichkeit, unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen Inklusion tatsächlich durchgreifend umzusetzen, muss sich Soziale Arbeit darüber immer im Klaren sein, dass eine widerspruchsfreie Praxis nicht möglich ist. Die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit und die ihr gesetzten Rahmenbedingungen, in die die Praktikerinnen und Praktiker stets eingebunden sind, begrenzen Handlungsalternativen (insoweit die Inklusion als solche betrachtet wird) immens.

Fazit: Soziale Arbeit hat aus unserer Sicht die Aufgabe, sich für die Durchsetzung der berechtigten Inklusionsforderung von Behinderten und allen Benachteiligten und Exkludierten einzusetzen und die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wir wenden uns gegen die missbräuchliche Verwendung des Inklusionsbegriffes im erläuterten Sinne und warnen davor, diese Tendenz zu übersehen oder zu verharmlosen.

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Literatur: Becker-Schmidt, R. (1993): Geschlechterdifferenz-Geschlechterverhältnis: soziale Dimension des Begriffs „Geschlecht“ In Feministische Studien 4, Heft 2.S.93-104 Bude, H./Willisch, A. (Hrsg.) (2008): Exklusion. Die Debatte über die »Überflüssigen« Frankf.a.Main. Geyer, Ch. (2014): Warum werden Wesensmerkmale wie Behinderung, Begabung oder sexuelle Identität wegdiskutiert? Das Neueste aus dem Paradiesgärtlein der Inklusion (FAZ 21.07. 2014) Groenemeyer, A. (Hrsg) (2010): Doing Social Problems. Mikroanalysen der Konstruktion sozialer Probleme und sozialer Kontrolle in institutionellen Kontexten. Wiesbaden. Klinger, C./Knapp, G.A./ Sauer, B. (2007) (Hrsg). Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt. Lutz, H./Vivar, M.T.H./Supik, L. (2010) (Hrsg.): Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes. Wiesbaden. Marx, K. (1890/1997): Das Kapital, MEW 23. Berlin. Michael W. (2010): Profession braucht Inklusion - Zum Selbstverständnis sozialpädagogischer Berufe in Kindertagesstätten; GEW-Tagung am 29. / 30. Oktober 2010 in Fulda Siegel, M. ( 2014): Inklusion - eine Vision vom Miteinander durch Teilhabe; Hausarbeit. Berlin

12.9.2015 Unabhängiges Forum kritische Soziale Arbeit /AG Theorie und Praxis Beate Köhn Julia Forgber Eva Schmitz Mechthild Seithe Corinna Wiesner-Rau

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