Der Bayerische Krippenfreund 378

Der Bayerische Krippenfreund 378 Zeitschrift des Verbands Bayerischer Krippenfreunde · Dezember 2016 Rainer Zimmermann Ein Juwel der Krippenbaukun...
Author: Clara Kästner
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Der Bayerische Krippenfreund 378

Zeitschrift des Verbands Bayerischer Krippenfreunde · Dezember 2016

Rainer Zimmermann

Ein Juwel der Krippenbaukunst in Tittmoning Wechselvolle und dramatische Geschichte der barocken Figuren Ab dem ersten Adventssonntag bis Mariä Lichtmess ist in der Tittmoninger Stiftskirche St. Laurentius die wunderschöne Barockkrippe zu bestaunen. Sie kann Montag bis Freitag von 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr und Samstag und Sonntag von 8.00 Uhr bis 17.30 Uhr besucht werden. Gruppenführungen können jederzeit im Pfarramt angemeldet werden: Telefon: 08683-263, E-Mail [email protected] Beachtliche Größe und schwere Schicksalsschläge Im 17. Jahrhundert zog der Barock in die Gotteshäuser des Fürsterzbistums Salzburg ein. Tittmoning gehörte bis 1803 zu diesem Kirchenstaat. Man erbaute zur Ehre Gottes prächtige und künstlerische Kirchen. Ebenso wurden die Krippen dem Zeitgeschmack angepasst. Bereits vorhandene Figuren wurden barockisiert oder komplett neu angefertigt. Als älteste Figuren der Tittmoninger Krippe gelten das Christkind, die Gottesmutter Maria und die Engel. Wer sie hergestellt hat, ist nicht überliefert. Eine Rechnung aus dem Pfarrarchiv hält aber fest, dass der berühmte Wachsposier Johann Baptist Cetto 1706 diese Figuren renoviert bzw. ergänzt hat. Cetto hat auch in den folgenden Jahren mitgeholfen, die Krippe aufzubauen, und immer wieder kleinere Ergänzungen vorgenommen. Bei allen Figuren der Tittmoninger Krippe handelt es sich um Gliederpuppen. Kopf, Arme und Beine sind aus Wachs oder Holz. Der Rumpf der Figur kann aus einem Stück Holz, einem mit Sägemehl gefüllten Stoffbeutel oder einem alten Gebetbuch bestehen. Diese drei Varianten wurden bei den Restaurierungen immer wieder entdeckt. Die Arme und Beine sind mit Draht an dem Rumpf befestigt und somit beweglich, ein großer Vorteil, da man die Körperhaltung und Mimik der Figuren Prunkvolle, renovierte Barockfiguren dem aktuellen Anlass anpassen kann. Die Gesichter wurden aus Wachs modelliert und mit Kreide überzogen. Die Augen sind aus mundgeblasenem Glas und in das Wachs hinein modelliert, eine Arbeit, die so zeitaufwändig ist, dass sie heute fast unbezahlbar erscheint. Im Laufe der Zeit wurden immer wieder Neuanschaffungen für die Krippe der Stiftskirche getätigt. So wuchs der Krippenfundus mit den Jahren auf eine beachtliche Größe. Die Blütezeit der Krippen fand mit der Säkularisation um 1803 ein jähes Ende, da die Kirchen durch finanzielle Misslage die gewaltigen Krippenszenerien nicht mehr erhalten Der Bayerische Krippenfreund 378 - 12/2016

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„Die Anbetung der Könige“ als aufwändigste von insgesamt sieben weihnachtlichen Szenen

und pflegen konnten. Es wurde auch von der Obrigkeit nicht mehr gern gesehen oder verboten, Krippen in den Kirchen auszustellen. Einen sehr schweren Schicksalsschlag bedeutete für die Tittmoninger Pfarrei der Kirchenbrand im Jahre 1815. Die gesamte Kirche brannte lichterloh. Nur die Kreuzkapelle und die beiden Sakristeien, links und rechts an den Chorraum angefügt, überstanden die Katastrophe. In der Sakristei an der Südseite waren alle Krippenfiguren eingelagert, die durch den damaligen Obermesner Matthias Sutor unter Lebensgefahr gerettet werden konnten. Vor einigen Jahren machte man bei der Restaurierung der Schafe eine erstaunliche Entdeckung. Nach dem Entfernen der oberen Farbschichten kamen Brandflecken und Ruß zum Vorschein, ein Zeichen dafür, dass diese Figuren nur in letzter Sekunde vor den Flammen geborgen werden konnten. Ab ca. 1850 erinnerten sich die Tittmoninger Bürger wieder an ihre schöne und prächtige Krippe. Allerdings war kein Geld für eine dringend notwendige Restaurierung vorhanden. Der Krieg 1870/71 und die beiden Weltkriege verhinderten alle Pläne einer Renovierung. Stark zugesetzt hat der Krippe der Zweite Weltkrieg. Ausgelagert auf der Tittmoninger Burg kam sie in den Nachkriegsjahren wieder zurück in die Kirche. Der Schock war groß, als man die Krippe näher betrachtete. Viele Figuren waren stark ramponiert. Die Kleidung war von Motten zerfressen und die Arme und Beine der Figuren waren durch die Feuchtigkeit morsch geworden. Leider ging durch die Auslagerung auch eine komplette Szenerie verloren: Die Hochzeit zu Kana. Nur einige Figuren der Hochzeitsgesellschaft sind heute noch erhalten. Sie können im Heimatmuseum Rupertiwinkel, auf der Tittmoninger Burg bei einer Führung besichtigt werden. Von 1960 bis 1970 retteten beherzte Pfarrangehörige die Krippe vor dem endgültigen 100

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Aus. Viele Tittmoninger Frauen erwarben sich in dieser Zeit besondere Verdienste. Über einen sehr langen Zeitraum kleideten sie alle Figuren im Stil und Geschmack der 1970er Jahre mit Lurexstoffen neu ein. Welche Pracht musste das damals gewesen sein, als sich die Krippe mit den farbenfrohen und funkelnden neuen Gewändern präsentierte! Wären diese Frauen und der damalige Mesner nicht gewesen, hätten Motten, Holzwurm und Feuchtigkeit diese Tittmoninger Krippengeschichte für immer beendet. Sieben Szenen aus dem Weihnachtsfestkreis Heute besitzt der Krippenfundus der Stiftskirche über 100 Figuren. Die kleinsten messen gerade einmal zehn Zentimeter, die größten fast einen Meter. Insgesamt werden sieben Szenen dargestellt. Ende der 1970er Jahre wurden einige Figuren der Krippe aus der Klosterkirche in den Krippenfundus der Stiftskirche übertragen. Diese Figuren wurden von den Englischen Fräuleins bei ihrem Weggang aus Tittmoning zurückgelassen. Aufgebaut wird die Krippe alljährlich zum ersten Adventssonntag. In der ersten Szene wird die Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria dargestellt. Die zweite Szene zeigt Mariä Heimsuchung: Maria eilt übers Gebirge zur Base Elisabeth und stimmt den berühmten Lobgesang, das Magnificat, an. In der dritten Szene suchen Maria und Josef vergebens eine Herberge in der Stadt Betlehem. Die vierte Szene stellt die Geburt des Herrn dar: Heerscharen von Engeln umschweben die ärmliche Unterkunft der Heiligen Familie, Maria und Josef behüten den Schlaf des Kindes. Überall von Feldern der Umgebung kommen die Hirten herbeigeeilt, denen ein Engel verkündet hat, dass ihr Retter in dieser Nacht geboren wurde. Die fünfte und aufwändigste Szene präsentiert die Anbetung durch die Heiligen Drei Könige. Sie kommen mit ihrem gesamten Hofstaat, um dem Christkind zu huldigen und bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke. Seit 2012 ist auch die Königin von Saba mit ihrer Dienerschaft im Königszug aufgebaut. Sie wird von vier Dienern auf einer Sänfte getragen und ist reich behangen mit Seide, Gold und Edelsteinen. Ebenso kann man seit zwei Jahren König Salomon wieder in der Krippe bewundern! Er leistet der Königin von Saba und ihrem Hofstaat nun Gesellschaft. Begleitet wird König Salomon von zwei Beratern. In der Tittmoninger Krippe reisen sie alle gemeinsam mit den Weisen aus dem Morgenland an. Dies wird dem Matthäusevangelium nicht gerecht, bezieht sich aber auf Jesus Christus als den verheißenen Friedenskönig und damit auf den Psalm 72,10-11: „Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben. Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen.“ Oder bei Jesaja 60,2-3 und 5-6 heißt es: „Über dir (Jerusalem) geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. […] Der Reichtum des Meeres strömt dir zu, die Schätze der Völker kommen zu dir. Zahllose Kamele Kunstvoll gestaltete Gesichter und kostbare bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa. Bekleidung Der Bayerische Krippenfreund 378 - 12/2016

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Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn.“ Die Kernaussage könnte lauten: An der Krippe sind alle vereint! Und die Krippe ist wieder um eine Rarität reicher. Das sechste Szenario stellt die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten dar: Josef führt sicher den Esel, auf dem Maria und das Jesuskind sitzen, durch das Dunkel der Nacht in das Land des Pharaos. Die siebte und letzte Szene zeigt das „Haus Nazareth“: Jesus ist bereits zum Knaben herangewachsen und hilft seinem Pflegevater Josef bei Holzarbeiten im Garten. Maria hat schon die Brotzeit im Haus vorbereitet und vertreibt sich die Wartezeit mit Spinnen. Der Großteil der Figuren wurde ab 1995 bis 2014 auf Initiative von Stiftsdekan Mi- Vor der Renovierung: Szene „Geburt des Herrn“, 1977 chael Wehrsdorf restauriert. Rosi Bauer aus Siegsdorf führte alle notwendigen Arbeiten aus, kleidete die Figuren nur mit alten barocken Stoffen neu ein und hat mit ihrer Fachkompetenz wesentlich zum Erhalt der Tittmoninger Krippe beigetragen. Jedes Jahr endet nach dem Fest Mariä Lichtmess die Krippensaison in Tittmoning. Der Mesner und seine Helfer verstauen alle Figuren gut in den Schränken der Sakristei. Ohne Zweifel kann gesagt werden, dass die Tittmoninger Krippe zu den schönsten, größten und prächtigsten Krippen in der Region zählt. In der Kreuzkapelle findet sie alljährlich eine wunderbare und passende Kulisse: Mit der Krippe wird die Geburt des Herrn dargestellt, am Kreuz im Altar der Kapelle sieht man Christus den Gekreuzigten und im Fenster links den Triumph Jesu Christi über den Tod.

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„Lass doch das Lied, das Maria uns lehrte, Brücke der Freude sein, die uns zu dir führt“ Zur Alpenländischen Krippenwallfahrt nach Stein am Rhein Bereits in der Spätantike befand sich auf dem heutigen Stadtgebiet Stein am Rhein eine römische Grenzfestung, die eine Rheinbrücke kontrollierte. 1007 wird die Stadt erstmals in einer Urkunde erwähnt. Der Deutsche Kaiser Heinrich II. erlaubte den Mönchen von St. Georgen die Verlegung ihres Klosters an den Rhein. Stein am Rhein wird Handelsstadt, Fischer und Bauern lebten bereits hier. In der Umgebung wirkten weitere Klöster und Wallfahrtsorte. Weltlicher Arm zur Durchsetzung der Gerichtsbarkeit waren ab dem 12. Jahrhundert die Herren von Hohenklingen mit ihrer markanten Burg über der Stadt.

Wandbild aus dem 14. Jahrhundert in der Pfarrkirche: Hl. Drei Könige und Adelige von Hohenklingen auf der Suche nach dem Jesuskind

Im „Gloria“ (61-1/2014), der Zeitschrift der Schweizerischen Vereinigung der Krippenfreunde, kann man lesen, dass sich zwei wunderbare Krippendarstellungen in der Stadt finden. Eine in der Stadtkirche (ehemals Benediktiner Kloster St. Georgen), wo sich über der Grabnische die adligen Herren von Hohenklingen verewigt haben als Heilige Drei Könige. Die andere Darstellung entdeckt man in der Burg (älteste Kirche des Kantons Schaffhausen) zusammen mit den Visionen der Heiligen Birgitta. Als Exklave ist man hier gewohnt, verschiedene Kulturen zu verstehen und miteinander zu leben. In der Reformation hat Stein am Rhein, damals unter Zürcher Herrschaft, die neue Religion rasch angenommen. Die ganze Umgebung ist katholisch geblieben. Mit Eröffnung der Krippenwelt im Oktober 2011 sind die Krippen zurückgekehrt. Stein am Rhein war auch Rastort der Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Eine stattliche Zahl von 250 modernen Pilgern zog am Samstag, 17. September, angeführt von der Fahne der Schweizerischen Vereinigung der Krippenfreunde und zusammen mit Tiroler und Bayerischen Fahnen, in die Stadtkirche ein. Der Bayerische Krippenfreund 378 - 12/2016

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„Auch im Herbst kann es weihnachtlich zu- und hergehen“, begrüsste die reformierte Pfarrerin Johanna Tramer zur 13. Alpenländischen Krippenwallfahrt. Texten und Bildern, die eigentlich im Advent und an Weihnachten ihren Platz haben, würde man im Gottesdienst begegnen. So sang man den Lobgesang für Maria, das Magnificat, und betete es im Wechsel Männer und Frauen. Umrahmt wurden Betrachtungen und Fürbitten vom Weihnachtslied „Gott aus Gott und Licht aus Licht“ sowie Orgelspiel. Weihnachtlich war auch die Lesung aus dem Matthäusevangelium. In Vers 1-11 sind die Könige auf der Suche nach Krippenwallfahrer mit Fahnen dem Jesuskind unterwegs. Auch auf dem Wandbild aus dem 14. Jahrhundert in der Kirche ist das zu sehen, mit ihnen die Stifter des Bildes, die Vertreter des Hauses Hohenklingen mit ihren Gattinnen. Diese stellen sich genauso gross wie Mutter, Kind und Könige dar. Machterhalt war Zweck des Bildes im Gegensatz zu den Königen, die überwältigt waren vor Freude, als sie das Kind fanden. „Darum zieht es uns an die Krippe und darum bringen wir uns selbst mit und lassen uns verändern.“ In Versen 11-18, die Alfred Hartl, Gründer und zusammen mit Monika Amrein Besitzer der KrippenWelt Stein am Rhein, las, ist Flucht das Thema. Er zeigte dazu eine Krippe aus dem Museum, die Christi Geburt auf einem Sklavenschiff darstellt. Dabei dachte er auch an die Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer. Der Einsatz für den Erhalt der Krippe in der Familie sei gerade heute wichtig, sie gäbe dem Leben Sinn und Halt. Hartl rief auf, die Herzen zu öffnen, den Menschen eine Botschaft zu hinterlassen durch die Liebe zur Krippe.

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In der Schweiz: nach romanischen Motiven von Hand geschnitzte Krippe der Bethlehem-Schwestern aus Südfrankreich

Anschließend dankte der Präsident der Schweizerischen Krippenfreunde, Josef Brülisauer, den Mitwirkenden und Helfern. Herzlich begrüsste er alle Krippenfreundinnen und Krippenfreunde von Bayern, Rheinland und Westfalen, von Tirol und Oberösterreich, aus dem Südtirol, aus dem Fürstentum Liechtenstein und die Mitglieder aus der Schweiz. Er hoffte, dass alle einen unvergesslichen Tag verleben, Gelegenheit zu freundschaftlichen Kontakten haben und wieder gut nach Hause kommen. Auch Anni Jaglitsch, die Landesobfrau der Tiroler Krippenfreunde, begrüßte alle herzlich zur 13. Wallfahrt, dankte den Schweizer Krippenfreunden für die Einladung, „um uns zu treffen, ins Gespräch zu kommen und sich zu begegnen“. Sie meinte, so ein ökumenischer Gottesdienst sei für viele doch noch nicht so selbstverständlich und verkündete dann den Ort der nächsten Wallfahrt. Diese findet in Salzburg statt am 16.9.2017 in St. Leonhard bei Gröding. Mit dem Segen wurde der Gottesdienst beschlossen, und ein letztes Orgelspiel leitete über zum gemütlichen Teil der Wallfahrt, zum Mittagessen, zu Begegnungen und Gesprächen, bevor am Nachmittag die Museen besucht und die Stadt besichtigt wurden. Einer der Treffpunkte war natürlich die KrippenWelt mit ihrer Ausstellung von Krippen aus aller Welt. Zahlreiche Objekte stammen ursprünglich aus dem Privatbesitz der Münchner Familie Hartl, die über viele Generationen hinweg dort Krippen sammelte. Eugenia Bolli

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