Eder Otto Brantschen Karin

Debriefing Psychologische Nothilfe Ein Leitfaden bei Unfällen Verbrechen Ereignissen mit Gewaltcharakter

Praxisforschung

Nr. 2 / 2002

© vipp Praxisforschung, Luzern, 2002 Praxisforschung ist die systematische Reflexion der eigenen beruflichen Praxis. Sie will den beruflichen Alltag als Erkenntnispotenzial für die praktische Arbeit nutzbar machen. Der Verband der Innerschweizer Psychologinnen und Psychologen (vipp) veröffentlicht Ergebnisse der Praxisforschung, damit die erzielten Erkenntnisse auch in der Alltagspraxis von Kolleginnen und Kollegen integriert werden können. Bezugsadresse: Schulpsychologischer Dienst des Kantons Luzern Zentralstrasse 28 6002 Luzern Tel.: 041 228 52 66 / Fax: 041 228 52 69 / Mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Seite 1. Vorausgehende Überlegungen für DebrieferInnen

2

2. Interventionszeitpunkt/Ablaufschema

3

3. Debriefing/Handhabung

4

3.1 Einführung 3.2 Geschichte 3.3 Denken und Werte 3.4 Emotionen 3.5 Information 3.6 Rituelle Integration 3.7 Wiedereintritt

4. Eigene Reflexion nach der Durchführung des Debriefings

5

5. Kritische Überlegungen zum Debriefing

6

6. Anhang: Sieben Schritte des Debriefings

7

1. Vorausgehende Überlegungen für DebrieferInnen

Unterstützung durch KollegInnen

Mentale, persönliche Vorbereitung

Genügend Vorinformationen über Ereignis und über Personen des Informationsempfangs

Wissen über den Umgang mit Stress

Reaktionen bis zu 10 Minuten abwarten, bis die Betroffenen auch zu sprechen beginnen

Emotionen aushalten, nicht trösten, jedoch ruhig bleiben

Selbstvorwürfe ernst nehmen. Relativieren und nicht ausreden wollen

Auf Gegenüber eingehen

Situation sachlich und ruhig darstellen

Name der toten Person erwähnen

Auf Wünsche der Betroffenen soweit wie möglich eingehen und sie gegebenenfalls nicht allein lassen

2. Interventionszeitpunkt/Ablaufschema

Triage

Zeit Debriefing II

Defriefing I

72 + Std. Erste Hilfe

sofort

6 – 8 Wochen

Defusing

Einsatz

Ereignis

Interventionszeitpunkt

Therapie © Barbara Schlepütz, 11/2001

Ablauf eines Debriefings Kognition

Kognition 

1 Einführung

7 Wiedereintritt

2 Geschichte

6 Rituelle Integration

3 Denken und Werte

5 Information 4 Emotionen

3. Debriefing/Handhabung 3.1 Einführung Vorstellen der DebrieferIn Regeln, Ablauf, Zeit, Vertraulichkeit

3.2 Geschichte Was haben Sie/du gesehen, gehört, getan? Roten Faden bilden: wer - wie - was - wann – wo Anfang / Geschichte / Ende

3.3 Denken/Werte Was haben Sie gedacht? Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen? Was denken Sie jetzt? Was bedeutet das für Sie? Warum ist das wichtig für Sie? 3.4 Emotionen Was war schlimm? Was haben Sie gefühlt? Was fühlen Sie jetzt, wo und wie? 3.5 Information Reaktionen und der Umgang mit ihnen Natürlichkeit und Normalität betonen Strukturierte Tagesabläufe einhalten Stressmanagement (Übungen) 3.6 Rituelle Integration Ritual zur Verbesserung der persönlichen Situation und zum Neubeginn festlegen 3.7 Wiedereintritt Zusammenfassung Was ist abgelaufen? Welche Ziele wurden gesteckt? Welches Ritual wurde erarbeitet? Meldung an DebrieferInnen nach dem Ritual Ev. nächste Kontaktaufnahme Quelle: A. Strelecek, Kantonspolizei Basel-Stadt, Hilfe für Helfer, Interventionen

4. Eigene Reflexion nach der Durchführung des Debriefings

Ein Debriefing war gut, wenn am Schluss:

Die TeilnehmerInnen gestärkt sind (gegenseitige Unterstützung)

Die Geschichte für alle vollständig ist

Alle wichtigen Stressreaktionen bearbeitet wurden

Alle konkrete Anregungen bekamen (Psychoedukation)

Triage-Fälle diskret weitergeleitet wurden

Konkretes „Ritual“ vereinbart ist

Keine Re- oder Sekundärtraumatisierung passiert ist

Vor- und Nachbereitung für DebrieferInnen sichergestellt ist. Supervision, Intervision für die eigene Psychohygiene

Quelle: Barbara Schlepütz, 2000 / Qualitätskriterien in der Ausbildung und Durchführung von psychologischen Debriefings

5. Kritische Überlegungen zum Debriefing Debriefing hilft den HelferInnen. Einmalige Sofortintervention ist keine wirksame, profitable Massnahme für posttraumatische Belastungsstörungen. Kognitive Verhaltenstherapie hingegen kann deutlich wirksamer sein, mit etwa 5 Sitzungen.

Problemfelder des Debriefings sind:

zu viele Ziele in zu kurzer Zeit

unterschiedliche Perspektiven können die Probleme bei einzelnen Personen verstärken Emotionalität kommt zu wenig zum Tragen Presseaktivität und Befragungen wirken durch das provokative Vorgehen von JournalistInnen in vielen Fällen sekundär traumatisierend.

6. Anhang: Sieben Schritte des Debriefings Der strukturierte Prozess des Debriefings besteht aus sieben Schritten, welche von der Kognition über die Emotionen wieder zur Kognition führen.

1. Einführung Setzen eines kognitiven Rahmens Festhalten von Zweck des Debriefings Gruppenregeln Absolute Vertraulichkeit des Besprochenen

2. Geschichte Ordnung der Tatsachen des Geschehens Erarbeiten von zwei Sicherheitssäulen Die erste Sicherheitsheitssäule vom letzten guten Moment vor dem Ereignis, die zweite von der wiedererlangten relativen Sicherheit. Erstellen einer logischen Geschichte mit einem roten Faden Durch Benützung der fünf W-Fragen: Wer, wann, wo, wie, was Durch Benützen der Verben: sehen, hören, tun Aufgabe der DebrieferIn ist es, in dieser Phase durch geschicktes Fragen das Aufsteigen von Gefühlen zu verhindern. Emotionen müssen auf später verschoben werden. Präzise Zusammenfassung als Abschluss dieses Schrittes unter Einbezug der beiden Sicherheitssäulen. Die DebrieferIn beschreibt das Ganze wie einen Film ausschliesslich auf der visuellen und auditiven Ebene.

3. Denken/Werte Eingehen auf die beim Geschehen und jetzt (wieder) auftretenden Gedanken Dieser Schritt darf spontan zum nächsten Schritt, der Beschäftigung mit den Emotionen, führen. Schritt 3 erleichtert häufig den Zugang zu vorher abgespaltenen und nicht bewusst wahrgenommenen Emotionen.

4. Emotionen Eingehen auf die Gefühle Die beim Ereignis aufgetretenen Gefühle werden in diesem Moment meist wegen der Dissoziation nicht wahrgenommen, nachher aber als um so störender erlebt. Gefühle nicht nur aufzählen, sondern in ihrer ganzen Intensität reaktualisieren oder überhaupt zum ersten Mal erleben lassen. Dazu Technik des „Focusing“ oder Technik der Hypnose einsetzen Benennung und Wahrnehmung aller unangenehmen und schrecklichen, häufig auch tabuisierten Gefühlen durch die Konzentration auf den eigenen Körper Durch das Benennen wird eine kognitive Kontrolle über vorher diffuse, deswegen als unkontrollierbar empfundene unangenehme Gefühle erreicht. Kognitive Zusammenfassung der erlebten Gefühle markiert den Abschluss des 3. Schrittes. Häufig kommt es zu einer Neuinterpretation des Geschehens

5. Information Betonung der Natürlichkeit und Normalität der eben erarbeiteten und definierten Gefühle Erarbeiten von Informationen über die Möglichkeit von Zuständen/Verhalten, die den drei Gruppen der traumatischen Reaktionen (Übererregung, Dissoziation, Intrusion) zugeordnet werden können.

Besprechung von Möglichkeiten, wie mit diesen Reaktionen umzugehen ist (Bewältigungsstrategien) Sport, um sich fit zu halten und über Ermüdung Schlaf zu finden Atemübungen, um ruhig zu werden und um damit die Übererregung und die Intensität und Häufigkeit der Flashbacks zu dämpfen. Training, um die phobischen Vermeidungsreaktionen zu verunmöglichen Die Empfehlungen sollten nie im leeren Raum stehen bleiben, sondern von den einzelnen TeilnehmerInnen als Hausaufgaben angenommen werden. Die Informationen sollten direkt an die Aufforderung knüpfen, alles zu tun, um so schnell wie möglich, über die an sich normalen, doch lästigen Reaktionen MeisterIn zu werden. Das Übertragen von Verantwortung im möglichen Tun, um die eigenen psychische Gesundheit zu fördern, muss in der Hausaufgabe deutlich sein.

6. Rituelle Integration Ritual als Markierung, dass das Geschehene vorbei ist und ein neuer Abschnitt im Leben im Dieser Akt kann das Setzen eines Zeichens (Memorial) für verlorene Gruppenmitglieder sein, der Dank für Unversehrtheit, das Pflanzen eines Baumes; wesentlich ist, dass der Akt besprochen und in seiner Wichtigkeit hervorgehoben wird. In diesem Akt wird die Zukunft neu und bewusst geöffnet, und der Blick in diese gerichtet.

7. Wiedereintritt Rückkehr in die aktuelle Realität Der Debriefer gibt zu verstehen, dass das Ganze ausserhalb der Norm steht und nun als abgeschlossen angesehen werden kann, da die Geschichte bekannt und die Emotionen mitgeteilt wurden. Die TeilnehmerInnen wissen wie sie mit dem Trauma umgehen müssen und wie das Erlebte abgeschlossen werden kann/soll.

Quelle: Perren-Klinger, G. (2000). Debriefing. Erste Hilfe durch das W