Das Selbstbestimmt-Leben-Prinzip und die (nicht)inklusive Hochschule

Bereich Behinderung und Studium Das Selbstbestimmt-Leben-Prinzip und die (nicht)inklusive Hochschule Fachtagung zu Bildungsgerechtigkeit, Diskriminie...
Author: Günter Fuchs
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Bereich Behinderung und Studium

Das Selbstbestimmt-Leben-Prinzip und die (nicht)inklusive Hochschule Fachtagung zu Bildungsgerechtigkeit, Diskriminierungskritik und Diversity 12.11.2015 in Esslingen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Überblick •

Situation behinderter und chronisch kranker Studierender an deutschen Hochschulen



Das Selbstbestimmt-Leben-Prinzip und Dortmunder Arbeitsansatz



Verpflichtungen aus der UN-BRK: Disability-Management oder Graswurzel-Arbeit?

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

20. Sozialerhebung

(Stand SS 2012)



14 % aller Studierenden sind behindert / chronisch krank



7 % aller Studierenden sind im Studium beeinträchtigt im Zusammenhang mit Behinderung/chronischer Krankheit



1,9 % aller Studierenden (27 %) sind im Studium stark beeinträchtigt



42 % aller beeinträchtigten Studierenden haben eine psychische Erkrankung Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Indikatoren (20. Sozialerhebung) • jede/r 4. Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung wechselt Fach oder Studienrichtung (28% zu 16%) • jede/r 5. Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung wechselt den Studienort (22% zu 16%) • jede/r 4. Studierende mit gesundheitlicher Beeinträchtigung (jede/r 2. mit starker Beeinträchtigung) unterbricht das Studium (27% zu 8%) Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Statistik vor Ort? kleine Hochschule • 2.000 Studierende • 140 behinderte Studierende davon • 38 mit hohem Unterstützungsbedarf mittlere Hochschule • 29.000 Studierende • 2.030 behinderte Studierende davon • 551 mit hohem Unterstützungsbedarf Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Best-Studie (SoSe 2011) Behinderte Studierende: •

(nur) 6 % haben eine sofort für Dritte sichtbare Behinderung



2/3 haben eine langfristig nicht sichtbare Behinderung



25% erwerben ihre Beeinträchtigung im Studium

• •

nehmen häufig Nachteilsausgleiche nicht wahr nehmen Beratung oft nicht wahr



bemängeln fehlende Akzeptanz bei den Lehrenden



bemängeln fehlende Berücksichtigung ihrer Bedarfe in Lehrveranstaltungen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

nicht in Sozialerhebung/Best-Studie •

unterrepräsentiert sind:  Studierende aus der Population von Schüler_innen mit Förderbedarf  Studierende mit Asperger-Syndrom  Studierende, die über Gebärdensprache kommunizieren  Studierende, die unterstützt kommunizieren  ausländische behinderte Studierende  behinderte Studierende mit Migrationshintergrund  behinderter wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN, 2008; 2013)  ... Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Diversität der Studiensituationen Studierende mit •

Hör- und Sehbeeinträchtigungen



chronisch-somatischen Erkrankungen



Teilleistungsstörungen



psychischen Beeinträchtigungen



körperlichen Behinderungen



multiplen Beeinträchtigungen

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Selbstbestimmt Leben heißt •

zwischen gleichwertigen Alternativen wählen zu können



gleiche Rechte auf Zugang zum Lernen, auf Partizipation, auf Teilhabe, auf volle Bürgerrolle, auf Rollenvielfalt zu haben



Unterstützung zu haben, eigene Wege zu gehen und Lebens-Muster zu verlassen



Barrierefreiheit



Ressourcenorientierte Beratungs- und Unterstützungs-Angebote nutzen zu können Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Status Quo •

Mitmachen darf, wer sich erfolgreich einen Studienplatz erkämpft hat



Mitmachen darf, wer seine Bedarfe selbstständig zu decken vermag



Mitmachen darf, wer sich Räume, Lehrende und Lehrstoff eigenständig zu erschließen vermag



Mitmachen darf, wer fähig und willens ist, sowohl ‘restrictions of activity‘ als auch ‘restrictions of participation‘ eigenständig zu kompensieren

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Beratung nach dem Selbstbestimmt Leben - Prinzip (peer counseling) • Beratung ist mehr als das „helfende Gespräch“ • (Ressourcenorientierte) Beratung umfasst das Aufzeigen und das Erschließen vorhandener Ressourcen und • Beratung umfasst das Aufzeigen und Einfordern nicht existenter oder vorenthaltener legitimer Ressourcen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Beratung nach dem Selbstbestimmt Leben - Prinzip (peer counseling) • (Ressourcenorientierte) Beratung umfasst Einzelunterstützung, Unterstützung der (kollektiven) Selbsthilfe sowie Strukturarbeit (Disability Mainstreaming) In der Konsequenz: • Behinderte und chronisch kranke Studierende und ihre Hochschulen sind auf ein qualifiziertes professionelles Beratungsangebot angewiesen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Grundsatz DoBuS • Alle Studierenden müssen unabhängig von der Art ihrer Beeinträchtigung die Möglichkeit haben, an der gewünschten Hochschule das gewünschte Studienfach studieren zu können. • Aussondernde Bedingungen mit dem damit einhergehenden Zwang zur individuellen Kompensation müssen durch Angebote der Hochschulen für behinderte Studierende ersetzt werden. Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Aussondernde Bedingungen Bedarfe behinderter Studierender • • • •

Gestaltung der Unterrichtsräume Gestaltung der Lehrmaterialien Vermittlung von Lehrinhalten Vermittlung von beeinträchtigungs-spezifischen Softskills • Studieren in individueller Geschwindigkeit • Modifikation von Prüfungsformen

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Dortmunder Arbeitsansatz

Mainstreaming

Beratung und Unterstützung Einzelner bei der Realisierung ihres Studiums

Einzelfall-Akkomodation der Hochschule

Sammlung, Systematisierung und Analyse des Problems

Entwicklung von Lösungsmodellen

Modifizierung von Strukturen

Aufbau spezifischer Bausteine

Förderung der kollektiven Selbsthilfe

Partizipation

Abbau von Barrieren und Benachteiligungen

Verbesserte Strukturen

Herausforderung / Chance UN-BRK Art. 24 Abs. 1 und Abs. 5 BRK: • Gewährleistung eines diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugangs zu allgemeiner Hochschulbildung • Sicherstellung angemessener Vorkehrungen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Herausforderung / Chance UN-BRK Art. 9 und Art. 5 BRK: • Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) • Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung (Sicherstellung angemessener Vorkehrungen)

Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Herausforderung / Chance UN-BRK Die BRK fordert disability mainstreaming (Art. 4 Abs. 1 c) BRK

Behinderung muss auch im Kontext von Intersektionalität mitbedacht werden (Art. 6 BRK und § 4 AGG)

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MR-Charakteristika barrierefreier Lehre (Marianne Hirschberg, 11/2015, Berlin)

Art. 24 Abs. 5, in Verb. m. Art. 4 Art. 2 Abs. 5 • Universelles Design Art. 21 a • Zugang zu Informationen Art. 5 Abs. 4

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Besondere Herausforderung?! für Fakultäten, die • zu Inklusion forschen, • Inklusionsorientierung lehren, • Universal Design lehren, • behinderte Studierende zu hochqualifizierten Expert_innen in eigener Sache ausbilden wollen • …. Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Standards Vereinbarung von Standards für Barrierefreiheit an Hochschulen für •Zugangsvoraussetzungen •Hochschulbauten •Logistik •Hochschul-Didaktik Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Vor Ort oder im Verbund Sicherung angemessener Vorkehrungen durch •Sensibilisierung •Weiterbildung •Vor-Ort-Angebote •Leasing-Mittel •Dienstleistungen •Verbundlösungen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Hochschul/rechtliche Regelungen • Sicherung chancengleicher Bedingungen bei der Zulassung zu grundständigen und Master-Studiengängen • gesetzliche Verankerung des Amtes des/der Behindertenbeauftragten (mit Rechten und Ressourcen) • Regelung der Zuständigkeit für die Kosten der angemessenen Vorkehrungen Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Besondere Herausforderung Hochschuldidaktik     Ti i ufg , i  u Bug ymic i b Bg v Sui mi Biug iubi (HRK-Empfehlung „Eine Hochschule für Alle“, 2009) Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

HRK-Empfehlung „Eine Hochschule für Alle“ (2009) Besondere Herausforderung „Inklusive Hochschuldidaktik“ „Lehrende sollten es als Teil ihres Lehrauftrags ansehen, in Lehre und Beratung systematisch die besonderen Belange von Studierenden mit Behinderungen einzubeziehen.“ Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Ihre Erfahrungen und Ideen Ich habe großes Interesse mit Ihnen zu diskutieren – über Ihre Erfahrungen und Ideen zum Umgang mit der Herausforderung Inklusive Hochschule! Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Kontakt Dr. Birgit Rothenberg TU Dortmund – Zentrum für HochschulBildung Bereich Behinderung und Studium (DoBuS) 44221 Dortmund [email protected]

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Literatur / Links •





Beier, C. / Bürger, I. (2010): „Eine Uni für alle – Studium und Behinderung“: Chancengleichheit für Studierende mit Behinderung an Hochschulen. Projektbericht und Leitfaden zur Umsetzung des Potsdamer Modellprojekts zur Qualifizierung von Erstsemestertutor/innen an anderen Hochschulen. Berlin: DSW. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2008). Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN). Bonn. Deutsches Studentenwerk (DSW) (Hrsg.) (2012): Beeinträchtigt studieren. Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011. Berlin. Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Literatur / Links •





• •

Deutsches Studentenwerk (DSW) (Hrsg.) (2012): Beeinträchtigt studieren. Datenerhebung zur Situation Studierender mit Behinderung und chronischer Krankheit 2011. Berlin. Drolshagen, B. / Klein, R. / Rothenberg, B. / Tillmann, A. (2001). Eine Hochschule für alle. Das Pilot-Projekt zur didaktischstrukturellen Verbesserung der Studiensituation behinderter Studierender. Würzburg. Hochschulrektorenkonferenz (2009). Eine Hochschule für Alle [online]. Verfügbar unter: http://www.hrk.de/de/download/dateien/ Empfehlung_Eine_Hochschule_fuer_Alle.pdf. Niehaus, M. & Bauer, J. (2013): Chancen und Barrieren für hochqualifizierte Menschen mit Behinderung. Rothenberg, B. (2012): Das Selbstbestimmt Leben-Prinzip und seine Bedeutung für das Hochschulstudium. Bad Heilbronn. Dr. Birgit Rothenberg (TU Dortmund), 12.11.2015 in Esslingen

Literatur / Links • •



Rothenberg, B. (2012): Barrierefreie Hochschuldidaktik. In: journal hochschuldidaktik 1-2/2012, S. 30 - 33. Rothenberg, B. (2015): Der Arbeitsansatz des Dortmunder Zentrums Behinderung und Studium als übertragbarer Weg zu einer „Hochschule für Alle“. In: Degener, Theresia/Diehl, Elke (Hrsg.): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Bonn: bpb, S. 160-167 Rothenberg, B., Weltzel, B. & Zimmermann, U.: Behinderung und Diversitätsmanagement - Von der Graswurzelarbeit zum Disability Mainstreaming. In: Klein, U. & Heitzmann, D. (Hrsg.) (2016): Inklusive Hochschule. Neue Perspektiven für Praxis und Forschung. Weinheim

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Literatur / Links •

Schramme, S. (2012): Wo bleibt die Behinderung? Hochschuldidaktische Intention, Genderdimension und mögliche Relevanz für Menschen mit Behinderung von Projekten und Arbeitskontexten des Expert/inn/enkreises „Genderkompetenz in Studium und Lehre. Vortrag auf der Tagung: Gender als Indikator für gute Lehre 2010 an der Universität Duisburg-Essen. http://www.unidue.de/imperia/md/content/genderportal/schrammebehinderung.pdf

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