DAS PALAIS EPSTEIN Ein Haus mit Geschichte

01epstein7lowres.e$S:Layout 1 16.03.2009 12:09 Uhr DAS PALAIS EPSTEIN Ein Haus mit Geschichte Führungen durch das Palais Epstein. Ein Leitfaden. 1...
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DAS PALAIS EPSTEIN Ein Haus mit Geschichte

Führungen durch das Palais Epstein. Ein Leitfaden. 1. Auflage

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Esther Deutsch Maria-Luise Janota Nicola Sekyra

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DAS PALAIS EPSTEIN Ein Haus mit Geschichte

Führungen durch das Palais Epstein. Ein Leitfaden. 1. Auflage

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Esther Deutsch Maria-Luise Janota Nicola Sekyra

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Inhaltsverzeichnis Vorwort des Parlamentsdirektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Weitere Nutzung des Palais Epstein bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5

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Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein . . . . . . . . . . . . . . Nutzung für das Parlament oder Haus der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heutige Nutzung des Palais Epstein – die Demokratiewerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aufstieg einer Prager Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gustav Ritter von Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Spuren der Familie Epstein bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orte der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hansen und Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Wiener Ringstraße im Spiegel der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Palais Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eine Prachtstraße und eine neue Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Verlauf der Ringstraße und ihre bedeutendsten Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertreter der Ringstraßenarchitektur im Überblick . . . . . . . Soziale Aspekte zur Bauzeit der Wiener Ringstraße . . . . . . .

Außenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nutzung des Palais durch die Familie Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Räume und ihre Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Palais Epstein und die Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Blick in die einzelnen Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Familie Epstein – ein Stück österreichischer (Kultur- und Wirtschafts-)Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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ANHANG 35 38 39 42

Die wichtigsten Bauten der Wiener Ringstraße und ihre Architekten im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Das jüdische Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

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VORWORT

Als am 25. Oktober 2005 das Palais Epstein nach langer, sorgsamer und vor allem auch liebevoller Renovierung dem Parlament und damit seiner neuen Bestimmung übergeben werden konnte, war dies weit mehr als eine Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten für das Hohe Haus. Es war vor allem ein symbolträchtiger Akt: Zum einen hat der Architekt des Parlamentsgebäudes, Theophil Hansen, auch das Palais Epstein gebaut (ausgeführt wurde es vom damals jungen Otto Wagner), zum anderen kann anhand der wechselvollen Zeiten dieses Ringstraßenpalais die Geschichte Wiens, vor allem des jüdischen Wiens, und die Geschichte Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert sehr anschaulich und lebensnah nachempfunden und geschildert werden. Nicht zuletzt deshalb hat im Jahr 1999 die Entscheidung der damals fünf Parlamentsparteien, das Palais für parlamentarische Zwecke zu nutzen, eine äußerst kontroversielle öffentliche Diskussion ausgelöst. Das Palais selbst vermittelt einen Eindruck vom technischen Fortschritt zur Zeit seiner Erbauung. Im Zuge der Restaurierung ist man immer wieder auf Überraschungen und bemerkenswerte Details gestoßen. Im Rückblick auf die unterschiedlichen Besitzer lässt sich die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt und des Landes gut dokumentieren. Und nicht zuletzt liest sich die Geschichte der Familie Epstein wie einem Roman von Doderer oder Musil entnommen. Eine Führung durch das Palais Epstein liefert somit über die Architektur und künstlerische Ausgestaltung des Gebäudes hinaus ausreichend Stoff für die unterschiedlichsten Interessen.

Die vorliegende Broschüre soll – in Anlehnung an die Publikation „Neu Zusammen Geführt“ für das historische Parlamentsgebäude – eine breit angelegte Information für das Führungsteam bieten, die auf sämtliche Aspekte im Zusammenhang mit dem Gebäude und der Familie eingeht. Sie soll praktischer Leitfaden und lebendige Lektüre zugleich sein, um sich auf Führungen durch das Palais Epstein vorzubereiten. Wer sich näher mit dem gesamten Themenkomplex auseinandersetzen will, findet in der Literaturliste im Anhang Anregungen für eine tiefer gehende Befassung. Zusammengestellt wurde das Kompendium von einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Esther Deutsch, Maria-Luise Janota und Nicola Sekyra. Sie konnten dabei auf vorhandene umfangreiche Texte von Günther Schefbeck zurückgreifen, die dieser im Zuge der Renovierung und Adaptierung des Palais Epstein auf Basis weitreichender wissenschaftlicher Recherchen erstellt hat. Ihm gilt daher besonderer Dank. Eine große Unterstützung waren dem Team auch die Arbeiten der Historikerin Brigitte Hamann. Ich hoffe, dass dieser Band dazu beiträgt, die Führungen durch das Palais Epstein für die Besucherinnen und Besucher spannend und abwechslungsreich zu gestalten.

Dr. Georg Posch, Parlamentsdirektor Wien, im Jänner 2009

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DIE FAMILIE EPSTEIN – EIN STÜCK ÖSTERREICHISCHER (KULTUR- UND WIRTSCHAFTS-)GESCHICHTE

Aufstieg einer Prager Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gustav Ritter von Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Spuren der Familie Epstein bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Orte der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hansen und Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Ausführungen folgen in weiten Bereichen den Arbeiten von Günther Schefbeck (Parlamentsdirektion) sowie jenen der Historikerin Brigitte Hamann und Friedrich Dahm: Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte. In: Forum Parlament, Jg. 3, Nr. 2/2005, Parlamentsdirektion Wien, S. 49–54 Hamann, Brigitte: Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein. In: Das Palais Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, S. 42–47 Dahm, Friedrich: Die Baugeschichte des Palais Epstein. In: Das Palais Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, S. 48–68

Aufstieg einer Prager Familie Als Gustav Ritter von Epstein sein Palais auf der Prachtstraße der Hauptstadt der Monarchie unter der Adresse Burgring 13 errichten ließ, konnte er auf einen über drei Generationen erfolgreichen wirtschaftlichen und damit auch gesellschaftlichen Aufstieg seiner Familie zurückblicken. Epstein zählte damals bereits zu den reichsten Männern Wiens und dokumentierte mit der Errichtung des Palais auf einem der teuersten Baugründe der Stadt seinen Eintritt in die gesellschaftliche Führungsschicht des Staates. Die Wurzeln der Epsteins liegen in Prag, wo die Familie zum guten jüdischen Mittelstand zählte. Träger des Namens Epstein lassen sich in Prag seit dem 16. Jahrhundert nachweisen. Nach dem steilen wirtschaftlichen Aufschwung im Bereich der Textilindustrie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verlegte die Familie ihren Sitz nach Wien. Der wirtschaftliche Zusammenbruch nach dem Börsenkrach 1873, der mit dem Verlust des Familienvermögens verbunden war, führte die Nachkommen Gustav Ritter von Epsteins nach Budapest, wo sein Urenkel noch heute (2008) lebt. Somit ist die Geschichte der Epsteins auch eng mit den drei wichtigsten Städten der Habsburgermonarchie verbunden. Anhand des Weges der Familie und des Palais lässt sich nicht nur die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der Monarchie und Wiens nachvollziehen, sondern er spiegelt auch die Situation der Juden im Lauf der Geschichte wider. 9

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Textilgroßhändler und Bankiers Exkurs Das Judentum in Prag geht bis ins 10. Jahrhundert zurück, als sich jüdische Kaufleute an der Moldau, unterhalb der Przemyslidenburg, angesiedelt haben. König Ottokar II. unterstellte sie als „Kammerknechte“ dem Schutz seiner Hofkammer und begründete damit ihre verhältnismäßig gesicherte Existenz in der Stadt Prag. Dem gegenüber steht der Pogrom von 1389. Das dicht besiedelte jüdische Getto von Prag war zeitweise das größte Europas. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde es geschleift, und die Wohnverhältnisse der Prager Juden verbesserten sich. Unter den rund 200.000 Einwohnern der Stadt – ohne Vororte – waren damals rund 19.000 Juden. Die nationalsozialistische Politik hat auch das Prager Judentum schwer getroffen: Von rund 39.000 Juden haben nur etwa 7.500 überlebt.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts legten die Brüder Israel und Ephraim Epstein den Grundstein zum wirtschaftlichen Aufstieg der Familie. Sie spezialisierten sich auf das Bedrucken von Baumwollstoffen, die sogenannte Kattundruckerei. Damit repräsentierten sie die Reaktion des Kontinents auf die von Großbritannien ausgehende industrielle Revolution, die gerade im Bereich der maschinellen Baumwollverarbeitung eingesetzt hatte. Die britische Konkurrenz war aufgrund ihres technologischen Vorsprungs übermächtig. Erst die von Napoleon 1806 verhängte Kontinentalsperre, ein gegen Großbritannien erklärtes Handelsembargo als Antwort auf die britische Seeblockade, entlastete die kontinentaleuropäischen Kattundruckereien. Davon profitierten auch die Prager Betriebe, und die Brüder Epstein gelangten durch strategisch geschickte Unternehmenspolitik rasch zu Wichtigkeit und Wohlstand. Nach der geschäftlichen Trennung im Jahr 1815 verlief die von Israel begründete Linie ungleich steiler als jene seines Bruders Ephraim. 1819 trat Israel Epstein die Fabrik an „seinen einzigen hierzu eigens vorgebildeten Sohn“ Lazar ab, der sich später Leopold Epstein nannte. Dieser besaß offenkundig besonderes wirtschaftliches Geschick. Unter seiner Leitung wurde die Kattundruckfabrik bald zur bedeutendsten Prags und war 1843 mit fast 1.000 Arbeitern die zweitgrößte in Böhmen.

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Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Textilproduktion entwickelte sich auch der unternehmerische Wunsch, die Produkte der Kattundruckfabriken ertragbringend zu vermarkten. Bereits 1818 hatte die Firma Israel Epstein eine kleine Niederlassung in Wien unterhalten, in der Lazar den Umsatz steigern konnte. Aus der Präsenz am wichtigsten Handels- und Finanzplatz der Monarchie ergab sich nahezu zwingend das Ausgreifen der geschäftlichen Aktivitäten in den Großhandel und in das Bankgeschäft. 1850 erhielt Lazar Epstein von der niederösterreichischen Statthalterei die Großhandelsbefugnis, worauf er die Kurrentwarenhandelsbefugnis zurücklegte („Kurrentwaren“ nannte das österreichische Handelsrecht jene Klasse von Textilien, zu der auch Baumwollgewebe zählte). In der Folge verlegte sich Lazar zunehmend auf das Bankgeschäft, vornehmlich auf Wechselstuben. Das eigene Bankhaus erwies sich als sehr zweckmäßig zur finanziellen Abwicklung der Transaktionen im Handel, und nach dem Verkauf der Fabriken sollte das Bankgeschäft schließlich ganz in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Hauses Epstein treten.

Von Prag nach Wien Mit der Verlagerung der wirtschaftlichen Interessen von Prag nach Wien verlegte Lazar, nun Leopold Epstein, auch den Wohnsitz der Familie sowie den Sitz der Firma mehrheitlich nach Wien. Damit war er ins politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum der Monarchie und zugleich an die Spitze ihrer Gesellschaft aufgerückt – oder jedenfalls der „Zweiten Gesellschaft“, wie die Vertreter des wirtschaftlich erfolgreichen Bürgertums genannt wurden. Der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde und zeitgenössische Chronist Sigmund Mayer beschrieb Leopold Epstein als einen zwar nicht sehr feinen, aber sehr gescheiten Mann, der „durch Aussehen und Wesen eine Stadtfigur“ wurde. Er sei durch seinen fülligen Körperbau aufgefallen und habe durch seinen wachen Verstand und seine geschäftliche Kompetenz beeindruckt. Als einer der reichsten Bankiers Wiens wurde Leopold Epstein unter anderem zum Direktor der Nationalbank berufen. Im Jahr 1864 starb er an den Folgen eines Schlaganfalles und wurde auf dem Währinger jüdischen Friedhof begraben. Die Kultur der Familie Epstein war deutsch geprägt: Es wurde deutsch gesprochen, in der Bibliothek befanden sich vor allem Bücher in deutscher Sprache, aber auch in Französisch und Englisch. Leopold Epsteins reiche Töchter vermählten sich standesgemäß: Antonie heiratete in die nach Wien eingewanderte jüdische Bankiersfamilie Boschan, Anna in die aus Portugal in 11

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die Niederlande emigrierte jüdische Familie Teixeira de Mattos. Auch Sohn Gustav, der mit 21 Jahren zum Leiter der väterlichen Baumwolldruckfabriken in Böhmen und mit 27 zum Prokuristen im väterlichen Großhandel in Wien berufen wurde, ging eine standesgemäße Ehe ein, und zwar mit der um acht Jahre jüngeren Emilie Wehle. Sie entstammte einer angesehenen jüdischen Familie in Prag.

Gustav Ritter von Epstein Gustav Epstein wurde als drittes Kind und zugleich ältester Sohn von Lazar/Leopold Epstein am 10. April 1828 in Prag geboren und wuchs in Prag und Wien auf. Er vollendete den gesellschaftlichen Aufstieg der Familie und starb am 23. September 1879 verarmt infolge des Börsenkrachs von 1873. Gustav Epstein (Ölgemälde von Gustav Gaul aus 1858 / Parlamentsdirektion / Foto Johann Achter)

Fabrikant wider Willen Nach dem Tod des Vaters war Gustav Epstein ein reicher Erbe mit einem geschätzten Vermögen von rund zehn Millionen Gulden, nach heutigem Wert knapp 100 Millionen Euro. Er übernahm im Jahr 1864 die Firma mit nur wenig Freude, da seine Interessen in erster Linie auf kulturellem Gebiet lagen. Vater Leopold Epstein hatte jedoch testamentarisch verfügt,

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dass sein Sohn die Firma nur dann erben könne, wenn er diese auch mindestens fünf Jahre leitet. Mit einem Teil des Kapitals gründete Gustav Epstein aber seine eigene Bank, die Bank Epstein. Ursprünglich sollte sein jüngerer Bruder Joseph in die Fußstapfen des Vaters treten und erhielt zunächst auch 1853 die Prokura im Alter von 23 Jahren. Da er aber hohe Schulden machte (über 150.000 Gulden, das entspricht in heutiger Währung kaufkraftmäßig mehr als 1,5 Millionen Euro) schied er bereits drei Jahre später aus der Firma aus. Leopold Epstein beglich zwar die Schulden seines jüngeren Sohnes, enterbte ihn aber gleichzeitig, sodass Gustav die Verantwortung übernahm, die Geschicke des Hauses zu lenken. Im Jahr 1871 zog sich Gustav Epstein aus der Geschäftsführung zurück und überließ diese seinen Prokuristen. Offizieller Grund war seine Kränklichkeit – offenbar litt er bereits damals an Kehlkopftuberkulose. Seine Neigungen und Interessen galten der Kultur, seiner Kunstsammlung und den Reisen, die nicht, wie die seines Vaters, primär geschäftlichen Zwecken dienten.

Vorstandsmitglied verschiedener großer Baugesellschaften. Dazu kamen leitende Funktionen in den Organisationen der Zucker-, Öl- und Papierindustrie und hohe Positionen in Handelskammer und Gewerbeverein. In Wien repräsentierte er ungarische und böhmische Versicherungen und vertrat umgekehrt auch Wiener Gesellschaften in Prag und Budapest. Seine internationalen Beziehungen führten ihn vor allem in die Niederlande, nach Italien und in das Großherzogtum Oldenburg, dessen österreichischer Generalkonsul er war. Von 1867 bis zu seinem Tod war er auch im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde. Das Bankhaus betrieb Gustav Epstein weiter. Für den Publikumsverkehr unterhielt es eine Wechselstube unter der Adresse Kärntnerstraße 3/Singerstraße 2, ansonsten repräsentierte es einen Geschäftstypus, der heute als Investmentbank bezeichnet würde. Betriebsgegenstand war die Verwaltung des eigenen Vermögens und der verschiedenen Beteiligungen, beispielsweise in der Zucker- und Ölproduktion, im Bankwesen und in der Versicherungsbranche.

Gustav Epstein übte weiterhin eine Reihe von Verwaltungsratsfunktionen in Gesellschaften aus, in die sein Bankhaus investiert hatte, doch handelte es sich dabei durchwegs um repräsentative und nicht um operative wirtschaftliche Tätigkeiten. Wie schon zuvor sein Vater, war er Direktor der Nationalbank sowie Börserat, darüber hinaus Verwaltungsrat der im Bau befindlichen Kaiserin-Elisabeth-Bahn (heute Westbahn) und 13

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Emilie Wehle (Ölgemälde von Gustav Gaul aus 1858 / Parlamentsdirektion / Foto Johann Achter)

Die Familie Emilie von Epstein Gustav Epsteins Gattin Emilie entstammte, wie er selbst, einer angesehenen und wohlhabenden jüdischen Prager Familie, der Familie Wehle. Die Ehe wurde am 17. August 1858 in Prag geschlossen und war, wie für bürgerliche Ehen der Zeit üblich, die Verbindung zweier Familien auf der Basis gemeinsamer Interessen. Sie sollte sich in guten wie in schlechten Zeiten bewähren: Erfüllte Emilie auf dem Gipfel der gesellschaftlichen Position ihres Ehemannes die Rolle der Hausherrin des glanzvollen Ringstraßenpalais mit Leben, so war sie nach dem wirtschaftlichen Niedergang des Hauses Epstein ihrem Mann die wichtigste Stütze unter immer schwieriger werdenden Umständen. Emilies Bruder Johann Wehle übernahm nach dem Tod ihres Ehemanns Gustav gemeinsam mit ihr die Vormundschaft über die unmündigen Kinder, und bis zu Johanns Tod im Jahre 1913 lebten die Geschwister gemeinsam in wechselnden Wohnungen in Wien. Nachdem sie ihre Töchter gutbürgerlich nach Ungarn verheiratet hatte, folgte ihnen Emilie in hohem Alter in der wirtschaftlich harten Nachkriegszeit 1919 nach Budapest, wo sie 1921 starb. Vor ihrer Übersiedlung nach Ungarn hatte sie sich noch in Wien evangelisch taufen lassen.

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Die Kinder Der Ehe von Gustav und Emilie Epstein entsprangen vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter: Der 1859 geborene älteste Sohn Friedrich Joseph war stets kränklich wie sein Vater und starb bereits im 17. Lebensjahr an Tuberkulose. Seine Krankheit und sein absehbares Lebensende waren der Hauptgrund, warum Gustav Ritter von Epstein auch nach dem Verlust seines Vermögens um jeden Preis das Palais zu halten bemüht war. Er wollte dem Sohn die gewohnte Umgebung bewahren. Das zweite Kind, die Tochter Caroline Maria, wurde 1861 geboren. Nach vorheriger Konversion zum römisch-katholischen Glauben heiratete sie 1889 den ungarischen Staatsanwalt und nachmaligen Oberlandesgerichtsrat Anton/Antal Gerö

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(ursprünglich Goldstein), der ebenfalls konvertierter Jude war. Sie starb 1940 kinderlos in Budapest. Die zweite Tochter, Margarethe, wurde 1870 geboren und heiratete wie ihre ältere Schwester nach Ungarn. Sie vermählte sich 1897, nach Konversion zum evangelischen Glauben, mit dem k.u.k. Major und späteren Honvéd-Feldmarschallleutnant Emil Schultheisz, der 1912 mit dem Prädikat „de Dévecser“ in den Adelsstand erhoben wurde. Mit ihm hatte sie vier Kinder. Sie starb, durch das kommunistische Regime von Budapest aufs Land getrieben, im Jahr 1954. Bereits nach der Aufgabe des Palais und zwei Jahre vor dem Tod seines Vaters 1877 wurde der jüngste Sohn geboren, Leopold Friedrich Julius Ritter von Epstein. Nach seinem Studium der Rechte in den Ministerialdienst eingetreten, starb er mit 29 Jahren in Obermais bei Meran, wo er sich zur Kur aufhielt, an Tuberkulose.

Kunstliebhaber und Humanist Der Wohltäter Gustav Ritter von Epstein Gustav Epstein war das Gegenbild zu seinem Vater, nicht nur vom Wesen, sondern auch in der äußeren Erscheinung. Wie man anhand eines Porträts, das vom damals Zwanzigjährigen im Jahr 1858 angefertigt worden war, feststellen kann, wirkte Gustav zart und blass, hoch aufgeschossen und schlank. Einen harten

„Wirtschaftsboss“ vermutet man nicht hinter der feinnervigen Gestalt, und in der Tat wird Gustav Epstein als distinguierte Person beschrieben, als Geschäftsmann, der Gelassenheit ausströmte und sich im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf mit nobler Zurückhaltung bewegte. Nicht nur im eigentlichen Bankgeschäft, auch an der Börse war die Geschäftsführung durchaus vornehm. Laut zeitgenössischer Charakterisierung lehnte Gustav Epstein alles ab, was nicht fair war. Auch wenn er sich diese Haltung als einer der reichsten Männer Wiens leisten konnte, sollte sie sich im Strudel des Börsenkrachs von 1873 als selbstzerstörerisch erweisen. Gustav Epstein war ein weit gereister, vielsprachiger, gebildeter Mann und großzügiger Kunstförderer, der sich als liberaler Jude den Grundsätzen jüdischer Ethik verbunden fühlte. Im Gegensatz zu vielen großbürgerlichen jüdischen Familien, die de facto bekenntnislos lebten oder zum Christentum konvertierten, war er religiös und befolgte auch die ethischen Grundsätze seiner Religion. Als Gustav Epstein nach dem Tod des Vaters die Leitung der Firma L. Epstein übernahm, nutzte er die gewonnene Dispositionsfreiheit nicht dazu, einen neuen geschäftlichen Kurs zu steuern, sondern investierte in die Errichtung seiner Badener Landvilla und des prachtvollen Stadtpalais. Sein öffentliches Engagement galt darüber hinaus der Wohlfahrt und der Kulturförderung. Sein Selbstbewusstsein schöpfte er nicht aus seinem Vermögen, sondern vielmehr aus der öffentlichen Hochachtung, die ihm nicht nur aus seinen Ämtern und

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Ehrenfunktionen erwuchs, sondern vor allem aus seinem humanitären und kulturellen Engagement. Als Mitglied des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde setzte er sich besonders für die Waisenpflege ein, doch konnte jede humanitäre Institution gewiss sein, bei ihm ein offenes Ohr wie eine offene Hand zu finden. In seiner Bank befand sich ein separater Raum, der für ein Geldinstitut eher ungewöhnlich war und ist. Hier bearbeitete ein eigens dafür angestellter Mitarbeiter Hilfegesuche von Bedürftigen und zahlte aus einer von Epstein eingerichteten Handkassa finanzielle Zuwendungen an die Armen aus. Der dafür ausgesetzte Betrag soll sich bei 30.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig nicht weniger als 300.000 Euro) pro Jahr bewegt haben. Angeblich lautete damals ein geflügeltes Wort: „Der Kaiser gibt einen Kreuzer, der Epstein gibt vier.“ Als 1866 zwischen Österreich und Preußen der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland ausbrach, brauchte der Staat dringend Geld. Als glühender Patriot stellte der kaisertreue Gustav Epstein als erster Privatmann dem Kaiser für den Krieg eine hohe Summe zur Verfügung. Am Ende des Krieges stand die verlorene Schlacht von Königgrätz, in deren Folge Bismarck Österreich aus dem Deutschen Bund ausschloss und Berlin zum politischen Zentrum Europas ausbaute. Epstein reagierte auf die große Not in der besiegten und gedemütigten Habsburgermonarchie, die auch auf die hohen Reparationskosten zurückzuführen war, und spendete weiter hohe Summen. 1866 schenkte er einer philanthropischen 16

Stiftung für die Armen- und Waisenpflege allein 100.000 Gulden in fünfprozentigen Staatspapieren. Als Dank für seine immer wieder sehr hohen Spenden erhielt Gustav Epstein im November 1866 von Kaiser Franz Joseph den Orden der Eisernen Krone 3. Klasse und damit den Adelstitel. Von nun an hieß er Gustav Ritter von Epstein.

Kunstliebhaber und Kunstförderer Neben der Wohlfahrt galt der Kunst das besondere Interesse und Engagement Gustav Ritter von Epsteins. So beteiligte er sich aktiv an der Gründung und Ausstattung des Museums für Kunst und Industrie (heute MAK – Museum für angewandte Kunst), und seine Ernennung zum Korrespondenten des Museums soll er als höchste Auszeichnung aufgefasst haben. Beim Neubau der Börse setzte er sich als Börserat und Mitglied des Baukomitees entscheidend für die Wahl Theophil Hansens als Architekt ein. Epstein war auch Vorstandsmitglied des Wiener Musikvereins und sein Name ist im Foyer des Gebäudes auf einer Ehrentafel für großzügige Spender an prominenter Stelle eingemeißelt. Seine Liebe zur Kunst schlug sich aber vor allem in seinem Palais an der Ringstraße nieder, das selbst ein Gesamtkunstwerk ist und auch seine reichen Kunstsammlungen beherbergte. Zentrum des Palais ist der prachtvolle Tanzsaal, in dem in den Jahren 1872 und 1873 wöchentlich musikalische Soireen abgehalten wurden. Diese waren insbesondere den Kom-

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positionen Beethovens und Schuberts gewidmet, die von bedeutenden Musikern und Musikerinnen meist am Klavier interpretiert wurden. Zu den Vortragenden gehörten zum Beispiel Clara Schumann und Anton Rubinstein.

der Seele suchte. Im Wintergarten des Wiener Palais schuf er ein „virtuelles Italien“, mit Pflanzen, die das Flair des geliebten Landes verströmen sollten, mit Kunstwerken, die er von seinen Reisen in den Süden mitgebracht hatte.

Klaviermusik wurde in der Familie auch aktiv gepflegt. So begann Margarethe von Epstein schon im Alter von drei Jahren im Palais zu musizieren und trat später bei den in kleinerem Kreis abgehaltenen Familienmusizierabenden als Pianistin auf. Dabei trug sie wiederholt auch ein Stück vor, das der Komponist Eduard König eigens für ihre Mutter geschrieben hatte, die „Emilien-Polka“. Deren Titel „Freudig vorwärts“ paraphrasiert die Bedeutung des im Familienwappen enthaltenen Pfeilsymbols. Das in Seide gebundene Notenalbum, in dem diese Polka neben mehreren anderen Stücken enthalten ist, wurde von Margarethe und ihren Nachkommen sorgsam gehütet und aufbewahrt, als bleibende Erinnerung an die Zeit der glänzenden musikalischen Soireen im Palais Epstein.

Ein Zeugnis dieser großen Liebe zu Italien und zur italienischen Kunst ist bis heute erhalten geblieben: die Marmorstatuette eines Genius oder Amor, die er aus Florenz mitbrachte. Sie überlebte den Verkauf der Kunstsammlungen, gelangte als Teil des Heiratsgutes von Margarethe von Epstein nach Ungarn und ist nun ins Palais Epstein zurückgekehrt.

Italien in Wien Eine Leidenschaft Gustav Ritter von Epsteins war das Reisen, nicht nur wegen seiner angegriffenen Gesundheit. Für ihn standen weniger wirtschaftliche Zwecke oder die Anbahnung und Pflege von Geschäftskontakten im Vordergrund, sondern vielmehr die kulturellen Eindrücke. Die Reisen führten ihn bis in den Vorderen Orient, nach Tunesien und Marokko, doch ein Land zog ihn besonders in seinen Bann: Italien, das er mit

Alexanderzug, Relieffries im Wintergarten (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

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Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein Das Ringstraßenpalais Als Gustav Ritter von Epstein seinen Wohnsitz nach Wien verlegte, suchte er ein seinem Reichtum und seiner gesellschaftlichen Position angemessenes Grundstück. Er fand es an der Ringstraße, „an der Bellaria“, gegenüber der Hofburg. Es handelte sich dabei um eines der teuersten für private Verbauung freigegebenen Grundstücke der Stadt. Das Palais sollte aber nicht nur geografisch seine Position widerspiegeln, Gustav Epstein wollte vor allem einen seinem Kunstsinn angemessenen Wohnsitz schaffen. Um diesen Wunsch zu realisieren, beauftragte er seinen Lieblingsarchitekten Theophil Ritter von Hansen mit der Planung, der nicht nur für den baukünstlerischen Entwurf verantwortlich zeichnete, sondern auch die bildnerische und kunsthandwerkliche Ausschmückung entwarf. Die Bauführung wurde dem jungen Otto Wagner übertragen. Das Palais, für das 1868 die Baubewilligung erteilt worden war, konnte nach drei Jahren Bauzeit 1871 bezogen werden. Dreistöckig, auf einer Grundfläche von 1367 m2 errichtet, war es für das Repräsentations- und Wohnbedürfnis selbst eines der reichsten Männer Wiens viel zu groß. Es wurde in der damals üblichen gemischten Bauweise geplant, das heißt, es gab darin auch vermietete Geschäftsräume und Mietwohnungen. Im Erdgeschoß befand sich das Bankhaus Epstein mit Büros. In der prachtvollen Beletage mit einer eigenen Prunkstiege 18

wohnte die Familie Epstein. Im zweiten Stock erstreckte sich eine der teuersten und elegantesten Mietwohnungen Wiens, zugänglich über eine eigene Herrschaftsstiege, daneben lagen weitere elegante Wohnungen. Die Mietwohnungen im dritten Stock waren bereits preiswerter, und im Dachgeschoß, in den kleinen, lichtlosen Räumen an der Hinterseite des Gebäudes sowie im niedrigen Mezzanin gab es, wie in allen Ringstraßenbauten, kleine Dienstbotenzimmer. Das Erdgeschoß nahm nicht nur das Epstein’sche Comptoir auf, sondern umfasste auch vermietete Geschäftslokale. Der Keller schließlich enthielt neben Heiz- und Vorratsräumen auch Ställe für 14 Pferde, die jedoch nach dem heutigen Verständnis von Tierschutz nicht artgerecht gehalten wurden. Erwähnenswert sind auch die für damalige Zeiten modernen Sanitärräume. Sowohl das Badezimmer als auch die Toiletten waren hell, gut zu beheizen und hygienisch, all dies Standards, die damals nicht selbstverständlich und in anderen Palais auch nicht zu finden waren. Nicht einmal der Kaiser verfügte über eine derartige Bequemlichkeit, da Schönbrunn nur mit einem fahrbaren Waschbecken und einem Leibstuhl ausgestattet war.

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Exkurs zur Herkunft und ursprünglichen Bedeutung des Begriffs „Bellaria“ Der Text folgt weitgehend den Ausführungen von Günther Schefbeck.

Maria Theresia, die mit ihrem Gemahl Kaiser Franz I. den Leopoldinischen Trakt der Hofburg bewohnte, ließ in den Jahren 1755 und 1756 an der dem heutigen Ballhausplatz zugewandten Schmalseite dieses Traktes einen erhöhten Vorbau errichten. Dieser war über eine Rampe mit dem vor der Burg gelegenen Befestigungswerk (Kurtine) verbunden und konnte direkt von den kaiserlichen Gemächern aus betreten werden. Im Gegensatz zu den Innenräumen der Burg herrschte hier oft „gute Luft“, was zur Bezeichnung „Bellaria“ führte, schließlich wurde damals am Hof noch oft italienisch gesprochen.

Die Badener Villa Gustav Ritter von Epstein ließ nach seiner Übersiedlung von Prag nach Wien nicht nur das Ringstraßenpalais errichten. Zum großbürgerlichen Lebensstil, dem Ideal adeligen Lebens nachgebildet, gehörte auch eine Sommerresidenz. Dafür wählte er die Stadt Baden bei Wien, die durch ihre beschauliche Atmosphäre ebenso wie durch ihre Heilbäder Erholung versprach. Überdies galt Baden als liberale Stadt mit stetig

Die barocke „Bellaria“ der Hofburg wurde zwar 1875 durch einen neuen historistischen Vorbau mit im Erdgeschoß gelegener Einfahrt vom Ballhausplatz ersetzt, der Begriff „Bellaria“ war aber bereits auf den direkt gegenüber gelegenen Bereich der neuen Ringstraße übertragen worden. Die hier einmündende, in Verlängerung der Burggasse gelegene Straße, zu der die Südfront des Palais Epstein ausgerichtet ist, wurde 1869 Bellariastraße benannt. Die „Bellaria“ bildet den Fluchtpunkt wichtiger Ausfallstraßen, die durch den 7. in den 16. Gemeindebezirk führen. Verkehrsgeografisch ein wichtiger Knoten, über den die Innere Stadt und die Ringstraßenzone mit den Vorortbezirken verbunden sind.

Villa in Baden (Parlamentsdirektion)

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wachsender jüdischer Gemeinde, in der schon 1848 erstmals ein Jude die Berechtigung erhalten hatte, in eigenem Namen ein Haus zu kaufen. Am Ausgang des Helenentals erwarb Gustav Ritter von Epstein 1867 ein großes Grundstück, auf dem der junge Architekt Otto Wagner eine großzügige Landvilla konzipierte. Sie wurde von einem im Stil eines englischen Gartens angelegten Park umgeben. Wie in Wien trat Epstein auch in Baden als Wohltäter auf und finanzierte unter anderem die Einrichtung der öffentlichen Gasbeleuchtung. Die Gemeinde benannte nach seinem Tod eine Gasse nach dem Förderer, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1938 aus „rassischen“ Gründen in Kornhäuselgasse umbenannt wurde. Der Verlust seines Vermögens nach dem Börsenkrach von 1873 zwang Gustav Ritter von Epstein freilich noch im gleichen Jahr, die Villa an den ihm freundschaftlich verbundenen Erzherzog Rainer zu verkaufen.

Der dramatische Fall der Familie Epstein Das Testament Gustav Ritter von Epsteins endet mit den Worten: „Ich habe viel Unglück gehabt, bin aber kein Menschenfeind geworden.“ Dies ist bezeichnend für den Mann, der trotz des eigenen wirtschaftlichen Ruins anderen bis zur Selbstaufgabe unter die Arme gegriffen hat.

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Der „Börsenkrach“ von 1873 und seine Folgen Das Jahr 1873 bedeutete für die wirtschaftliche und politische Geschichte Österreichs einen Wendepunkt: In der Zeit seit 1867, als sich mit dem wirtschaftlichen auch der politische Liberalismus durchgesetzt hatte, erreichte auch die „gründerzeitliche“ Euphorie ihren Höhepunkt. Aktiengesellschaften wuchsen aus dem Boden, an der Börse waren binnen kurzer Zeit hohe Kursgewinne zu erzielen. Zwar begannen sich schon zu Beginn des Jahres 1873 die Insolvenzen zu häufen, doch die „Blase“ platzte erst am 9. Mai, der als „Schwarzer Freitag“ in die Börsengeschichte eingehen sollte. Wenige Tage nach Eröffnung der Wiener Weltausstellung, mit der die „Gründerzeit“ stolz ihre Erfolge präsentieren wollte, erreichte die Zahl der Insolvenzen mit 120 ihren Höhepunkt, und der Aktienhandelsverkehr an der Wiener Börse brach zusammen. In der Folge sollten rund 90 Prozent der Wiener Aktientitel den Verkehr einstellen. Mehr noch als das Vertrauen in die Wirtschaft war das Vertrauen in den politischen Liberalismus erschüttert und dessen Ende eingeläutet. Damit einher ging eine Zunahme des Antisemitismus, wurde doch die Schuld an der Krise den Spekulationen jüdischer „Kuponschneider“ angelastet. Gustav Ritter von Epstein befand sich am „Schwarzen Freitag“ auf einer seiner Italienreisen, um sein langwieriges Halsleiden zu lindern. Er kehrte überstürzt nach Wien zurück und sah sich plötzlich mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. Auch hinsichtlich seiner persönlichen Situation blieb kein Stein auf dem

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anderen. Eine Zeitung schrieb: „... er verließ Wien als Millionär und kehrte als Bettler zurück ...“ Das wirtschaftliche Chaos forderte seine Opfer, eine Selbstmordwelle erschütterte Wien und traf Epstein zunächst mit dem Tod eines Neffen (Boschan) schwer. Das Palais Epstein war jedoch nicht nur durch den materiellen Ruin des Bankhauses betroffen, es war auch Schauplatz eines spektakulären Selbstmords: Der 34-jährige Adolf Taussig, Kassier des Bankhauses Epstein, hatte sich vom vierten Stock des Palais auf die Lothringergasse gestürzt. Taussig, der als Mitarbeiter über einen außerordentlich guten Ruf verfügte, war in zwei Jahren durch Spekulation steinreich und nun plötzlich bettelarm geworden. Seine riesigen Schulden hatte er aus der Firmenkassa beglichen, wofür er in seinem Abschiedsbrief Epstein um Verzeihung bat. Dieser war „durch die entsetzliche Tat auf das tiefste ergriffen. Er erklärte der noch anwesenden Commission, dass er eine Untersuchung durch die Strafbehörde nicht wünsche, und verzichtete auf einen Schadenersatz“, berichtete die Neue Freie Presse.

„In Ehren“ verarmt Ohne Rücksicht auf die eigene Situation und wohl auch in realitätsferner Überschätzung seines Vermögens und in Unterschätzung der Tragweite seines Handelns half Epstein auch anderen vom Börsenkrach Betroffenen mit Garantien für Summen, deren Höhe er nicht ahnte. Auch stand er nicht nur für

Schulden ein, die seine Prokuristen in der Geschäftsführung gemacht hatten, sondern sogar für Verbindlichkeiten, die sein Kassier unredlicherweise eingegangen war, um an der Börse zu spekulieren. Und er griff, soweit er noch konnte, Freunden und Verwandten unter die Arme. Die durch ihn Geretteten behielten dank seiner Güte ihre Häuser und Werte. Epstein selbst verlor sein gesamtes Vermögen, das in drei Generationen solide erworben und angelegt worden war: Aktien, Häuser, Grundstücke, den Familienschmuck und vor allem seine geliebten Gemälde, darunter zwei Porträts von Frans Hals. Andere in seiner Situation wären wohl untergetaucht und hätten ihr Vermögen in Sicherheit gebracht, Epstein aber folgte seinen ethischen Grundsätzen, bezahlte seine Gläubiger und beglich Schulden anderer. Nur mit Mühe konnte er den Konkurs seiner Bank vermeiden. Hinter dem Bankhaus Epstein standen weder Fabriken noch umfassender Grundbesitz. Ging die Bewertung der Wertpapiere, in denen das Vermögen angelegt war, zurück, konnten sie auch nicht mehr belehnt und Forderungen nicht mehr beglichen werden – Zahlungsunfähigkeit war unvermeidlich. Während jedoch andere Häuser in der gleichen Situation eine für sie günstige Ausgleichsquote auszuhandeln bemüht waren, ging Gustav Ritter von Epsteins Ehrgeiz dahin, alle Gläubigerforderungen zu befriedigen. Am 11. August musste er seine Wechselstube verkaufen, die Liquidation des Bank- und Großhandelshauses wurde in den folgenden Jahren im Stillen durchgeführt, sodass die Bank „in Ehren“ geschlossen wurde. Epstein war damit einer der wenigen 21

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in Wien, die aus dem Börsenkrach sauber, wenn auch ruiniert herauskamen. Das Wiener Palais konnte mithilfe von Hypotheken mühsam gehalten werden, da Epstein seinen schwerkranken Sohn Friedrich so lange wie möglich im gewohnten Heim belassen wollte. Nachdem der 17-Jährige im Jänner 1876 verstorben war, räumte die Familie das Palais und übersiedelte in eine Mietwohnung im Haus des Niederösterreichischen Gewerbevereins (Eschenbachgasse 11 im 4. Wiener Gemeindebezirk), dessen prominenter Funktionär Epstein jahrelang war. Gustav Ritter von Epstein starb am 23. September 1879 verarmt im Alter von 51 Jahren an Kehlkopfkrebs. Das einstige Vermögen war aufgezehrt. Hatte er unmittelbar nach dem Börsenkrach noch seinen Verwandten und Freunden geholfen, so war er in den letzten Jahren seines Lebens selbst auf die Hilfe von Verwandten angewiesen: Insbesondere seine Schwester Antonie lieh ihm hohe Summen auf die wenigen ihm noch verbliebenen Immobilien. Der Nachlass Gustav Ritter von Epsteins war mit mehr als 350.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund 3,5 Millionen Euro) überschuldet. Gustav Ritter von Epstein ist in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs begraben.

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Die Spuren der Familie Epstein bis heute Der Weg nach Ungarn Bald nach dem Tod Gustav Ritter von Epsteins übersiedelte seine Witwe Emilie mit ihren drei Kindern Caroline, Margarethe und Leopold in eine Wohnung im Haus Reichsratsstraße 5, hinter dem Parlamentsgebäude, unweit ihres einstigen Palais. Einige Jahre später zog ihr Bruder Johann Wehle zu ihr, und bis zu seinem Tod im Jahre 1913 lebten die Geschwister in gemeinsamem Haushalt. Die Adressen allerdings verschlechterten sich mit abnehmender Finanzkraft – von der inneren über die äußere Ringstraßenzone in die Vorstadt. Immerhin gelang es Emilie von Epstein, ihrem Sohn Leopold das Studium der Rechte zu ermöglichen und ihre beiden Töchter Margarethe und Caroline gutbürgerlich zu verheiraten. Die Schwiegersöhne gehörten nicht der Schicht der Bankiers und Großhändler an, sondern jener der Beamten und Offiziere, in die auch Leopold als Ministerialbeamter eintrat, ehe er in jungen Jahren starb. Beide Schwiegersöhne stammten aus Ungarn: Der eine war Staatsanwalt und schlug die richterliche Laufbahn ein, der andere war k.u.k. Major und wechselte zur ungarischen Landwehr, weil er sich dort bessere Karrierechancen versprach. Bevor sie sich vermählten, wechselten Caroline und Margarethe von Epstein die Konfession und ließen sich taufen. Als nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zumindest die Versorgungslage in Ungarn besser schien als in Wien, übersiedelte auch die nach

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dem Tod ihres Bruders vereinsamte Emilie von Epstein nach Budapest, wo sie von ihren Töchtern aufgenommen wurde und ihr Leben beschloss.

Die Familien Schulteisz und Gerö Der stark ausgeprägte Familiensinn der Familie Epstein lebte in Gustavs Töchtern fort. Sie blieben auch nach ihrer Verehelichung in engem Kontakt und unterstützten einander stets. Während die Ehe Carolines mit dem Staatsanwalt Anton/Antal Gerö kinderlos blieb, entstammten der Verbindung Margarethes mit dem k.u.k. Major Emil Schultheisz vier Kinder. Nach seinem Aufstieg zum Honvéd-Generalmajor wurde er 1912 mit dem Prädikat „de Dévecser“ geadelt. Im Ersten Weltkrieg reaktiviert, spielte er eine wichtige Rolle bei den Kämpfen in der Bukowina und wurde Feldmarschallleutnant. Nach dem Krieg aus Pressburg/Bratislava vertrieben, nahm die Familie Wohnsitz in Budapest. Auch dort blieb die Familiensprache Deutsch; die Familie Schultheisz, die sich nun Schulteisz schrieb, stammte aus Westfalen.

Der Urenkel Nur der Ehe von Stefan/Istvan, dem dritten Sohn von Margarethe und Emil, entsprang ein Kind – ein Sohn, der nach dem Großvater Emil getauft wurde.

1923 geboren, durchlebte Emil Schulteisz, der Urenkel Gustav Ritter von Epsteins, die typische Jugend eines Offizierskindes: In nicht weniger als neun verschiedenen Städten besuchte er die Schule, er studierte in Ödenburg/Sopron, Klausenburg, Debrecen und Budapest zunächst evangelische Theologie, dann Latein, Griechisch und Philosophie, schließlich Medizin. 1949 promovierte er zum Doktor der Medizin. Ein halbes Jahr lang hatte er die Möglichkeit, bei Professor Karl Fellinger in Wien seine Studien zu ergänzen. Er wurde Internist, Chefarzt am staatlichen Zentralkrankenhaus in Budapest und Universitätsprofessor für Geschichte der Medizin an der Budapester Universität. Elf Jahre hindurch, von 1973 bis 1984, wirkte er, ohne der Kommunistischen Partei beigetreten zu sein, als ungarischer Gesundheitsminister. Als Medizinhistoriker war er auch nach seiner Emeritierung weiter an der Universität tätig. Professor Emil Schulteisz hat schon als Kind durch die Erzählungen seiner Großmutter Margarethe, der Tochter Gustav Ritter von Epsteins, einen sehr persönlichen und authentischen Zugang zur Persönlichkeit seines Urgroßvaters und zur Geschichte der Familie gefunden. In diesen Erzählungen blieb der Glanz des Geschehens im Palais Epstein erhalten, aber auch einige Objekte überdauerten die Wirrnisse des 20. Jahrhunderts und dokumentieren heute das Leben im damaligen Palais Epstein: Möbel, die für das Palais gefertigt wurden, und Gegenstände aus dem persönlichen Gebrauch von Gustav und Emilie von Epstein. Dank dem Entgegenkommen von Professor Emil Schulteisz sind diese Objekte ins Palais Epstein zurückgekehrt. 23

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Orte der Erinnerung Was blieb von der Familie Epstein, außer dem Palais, das ihren Namen trägt? Wer das Foyer des 1870 eröffneten Musikvereinsgebäudes betritt, findet den Namen Gustav Ritter von Epstein an prominenter Stelle auf einer Gedenktafel eingraviert, die an die Förderer der Errichtung des Gebäudes erinnert. Epstein zählte zu den „Stiftern“ der Gesellschaft der Musikfreunde. So wurden jene Menschen bezeichnet, die den Bau mit einer Spende von 2.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund 20.000 Euro) unterstützt haben. Jeder Spender erhielt zwei „StifterSitze“ im Großen Musikvereinssaal zugewiesen und das vererbliche Recht zur Präsentation und unentgeltlichen Ausbildung eines Konservatoriumsschülers. Orte der Erinnerung an die Familie Epstein bleiben ihre Gräber. Im Familiengrab auf dem Währinger jüdischen Friedhof sind Lazar/Leopold Epstein, seine erste Frau Caroline, sein Sohn Joseph und sein früh verstorbener Enkel Friedrich beigesetzt. Gustav Ritter von Epstein hat seine letzte Ruhestätte in der Ehrenreihe der jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofes gefunden. Im gleichen Grab ruht auch sein Sohn Leopold. Unweit seiner Grabstätte sind auch die zweite Frau seines Vaters, Rosalie, sowie sein Schwiegervater Leopold Wehle und sein Schwager Johann Wehle beigesetzt. Seine Witwe und seine beiden Töchter sind in Budapest begraben. 24

Bis 1938 erinnerte an Gustav Ritter von Epstein eine Straße in Baden, nach dem „Anschluss“ wurde sie in Kornhäuselgasse umbenannt. Erst im Jahr 2005 wurde durch die Benennung eines Alleestücks in einem kleinen Park nahe dem Badener Bahnhof nach Gustav Ritter von Epstein ein bescheidener Ersatz geschaffen.

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Hansen und Epstein Es ist nicht bekannt, wie sich Theophil Hansen und Gustav Ritter von Epstein kennengelernt haben und wie ihre Verbindung begann, die in einer sehr engen und erfolgreichen Zusammenarbeit beim Bau des Palais Epstein ihren Ausdruck fand. Möglich wäre, dass der kunstsinnige Gustav von Epstein bereits beim Bauauftrag für das Musikvereinsgebäude mit dem Architekten zusammentraf. Für Hansen war dies der erste „Monumentalbau“, während Epstein zu den besonderen (finanziellen) Förderern des Projektes zählte. Hansen könnte aber auch vom Großherzog von Oldenburg, einem Freund Epsteins, als Architekt vermittelt worden sein. Der Prachtraum des Palais Epstein, der Fest- bzw. Tanzsaal, war ursprünglich für das Schloss des Großherzogs entworfen worden. Weil diesem die Realisierung zu teuer war, übernahm Epstein den Plan für sein Wiener Palais (und auch der Oldenburger Historienmaler Christian Griepenkerl übersiedelte für die Arbeit nach Wien). Belegt ist jedoch, dass sich Epstein beim Auftrag für das neue Börsegebäude – in seiner Funktion als Börserat war er auch Mitglied des Baukomitees – immer wieder für das Konzept von Hansen eingesetzt hatte und dieser letztendlich auch zum Zug kam. Die Zusammenarbeit zwischen Epstein und Hansen als Bauherr und Architekt des Palais Epstein kann auf das Ergebnis bezogen

nur als gelungen bezeichnet werden. Epstein stellte höchste Ansprüche an einen Architekten und Hansen befand sich zu der Zeit auf der Höhe seines Schaffens. Günstig wirkte sich sicher das große Verständnis und die Kenntnis Epsteins für Kunst und Architektur aus – und dass Geld kein Problem darstellte. Hansen war als unbeugsamer Architekt bekannt, der sogar die Bezahlung aus eigener Tasche anbot, wenn der Auftraggeber am falschen Platz sparen wollte. Was die Außenfassade betrifft, sind drei Entwürfe bekannt, bis der Bauherr mit dem Ergebnis zufrieden war. Epstein wollte ein Palais, das nach außen nicht allzu auffällig gestaltet war und seine Pracht den Bewohnern und Gästen erst im Inneren offenbarte, vor allem in der Beletage. Aufgrund einer gewissen Parallelität erscheint ein Element der Beziehung zwischen Gustav von Epstein und Theophil von Hansen heute interessant: Epstein – 1828 in Prag geboren – erhielt im November 1866 von Kaiser Franz Joseph den Orden der Eisernen Krone 3. Klasse und damit den Adelstitel. Hansen – 1813 in Kopenhagen geboren – wurde 1867 in den Ritterstand und 1884 in den Freiherrnstand erhoben. Beide brachten es durch eigene Leistung in Wien zu erheblichem Ansehen, wie nicht nur die Auszeichnung des Adelsstands bezeugt. Hansen, der 15 Jahre älter war als Epstein, überlebte diesen um 12 Jahre. Gemeinsam war ihnen das kompromisslose Eintreten für höchsten baukünstlerischen Anspruch, der ihren bedeutenden Anteil an der Ringstraßengestaltung der Gründerzeit unterstreicht. 25

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Außenarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Nutzung des Palais durch die Familie Epstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Räume und ihre Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Palais Epstein und die Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ein Blick in die einzelnen Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Palais Epstein ist auf dem Höhepunkt der sogenannten „Gründerzeit“ entstanden, in einem relativ kurzen Zeitabschnitt, der durch enorme wirtschaftliche Entwicklung, ungehemmten Kapitalismus und unerschütterlichen Fortschrittsglauben gekennzeichnet war, doch mit dem Börsenkrach von 1873 ein abruptes Ende fand. Das Gebäude hat zahlreiche Besitzer beherbergt und unterschiedliche Nutzungen erfahren. Es macht damit auch einen Teil österreichischer Geschichte greifbar. Die Beschäftigung mit all den Facetten, die das Palais im Laufe der Jahre umgeben, lässt nicht nur die Geschichte Wiens in ihrer politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Dimension im ausgehenden 19. sowie im 20. Jahrhundert nachvollziehen: Sie erlaubt auch Einblicke in konkrete Lebenssituationen, eingebettet in die Gesamtentwicklung, und sie lässt die kulturelle Aufbruchstimmung der Zeit seiner Erbauer spüren. In ihrer Kernfunktion – den sozialen Status ihrer Bauherrn und Eigentümer zu repräsentieren – unterscheiden sich die bürgerlichen Ringstraßenpalais nur wenig von den barocken Adelspalästen. Wesentliche Elemente der Innenraumgestaltung sind in beiden Gebäudetypen gleich. Dem Zweck, Gäste auf repräsentative Weise empfangen zu können, dienten Prunktreppen ebenso wie ein Empfangssalon, ein Festsaal oder ein Speisesaal, also jene Räume, die im Palais Epstein zentral im ersten Stock, der Beletage, angeordnet sind. Dennoch gibt es Unterschiede, so spiegelt etwa ein gemeinsames Schlafzimmer für die Eheleute neue, „intimere“ bürgerliche

Das Palais Epstein (Österreichische Nationalbibliothek)

Lebensformen wider. Die wirtschaftliche Nutzung der Ringstraßenpalais atmet durchaus den kapitalistischen Geist der Zeit. Das in den Bau eines Palais investierte Kapital sollte sich rentieren, weshalb in der Regel in den höheren Stockwerken Mietwohnungen und im Erdgeschoß vermietbare Geschäftslokale vorgesehen waren. Diesen Typus des „Zinspalais“ repräsentiert prototypisch das Palais Epstein.

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Außenarchitektur Die Fassade des Palais Epstein wurde von Theophil Hansen im Stil des Strengen Historismus sehr schlicht gestaltet. Diese noble Zurückhaltung, die Pracht und Prunk des Inneren nicht erahnen lässt, war der Wunsch des Bauherrn, Gustav Ritter von Epstein. Lediglich die prominente Lage am höchsten Punkt der Ringstraße und das von Karyatiden gerahmte Portal weisen auf die sozial gehobene Stellung des Eigentümers hin.

Exkurs

Palmettenfries am Hauptgesims (Foto Helga Loidold)

Strenger Historismus Der Strenge Historismus ist in seiner Architektur um Formenklarheit bemüht und bevorzugt Stilelemente der Renaissance. Karyatiden Als Karyatiden werden stehende weibliche Figuren bezeichnet, denen in der Bauplastik die Funktion zukommt, das darüber liegende Gebälk zu stützen. In der Ringstraßenarchitektur war die Verwendung von Karyatiden, aber auch ihrer männlichen Gegenstücke, der Atlanten, sehr beliebt. Sie finden sich sowohl bei öffentlichen Monumentalgebäuden wie dem Parlament als auch bei privaten Palais.

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Das Gebäude ist als geschlossener Baublock mit vier Geschoßen angelegt. Das Erdgeschoß setzt sich durch roh bearbeitetes Quadermauerwerk ab und ist von großen Rundbogenfenstern geprägt. Nach oben hin wird die Gestaltung der Außenfassade mehr und mehr verfeinert und dadurch die Wirkung gesteigert. Vor allem das Attikageschoß ist mit überreichem Schmuck versehen. Hansen wählte dafür Hermenpilaster mit dazwischen liegenden Reliefs, beides aus Terrakotta gefertigt. Den Abschluss bildet ein ausladendes Kranzgesims.

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Markantestes Gestaltungselement der Ringstraßenfront des Palais Epstein ist die im Vergleich zu anderen Palais ungewöhnlich breite Portalzone des Erdgeschoßes. Sie ist auch der einzige aus der Fluchtlinie vorspringende Gebäudeteil. Gebildet wird sie von vier Karyatiden, die den Balkon der Beletage tragen. Sie sind ein Werk von Vincenz Pilz, einem der Lieblingsbildhauer Hansens, der bereit war, die Ausgestaltung der Plastik ihrer architektonischen Funktion unterzuordnen. Das Portal selbst war ursprünglich mit zwei mächtigen bronzenen Türklopfern geschmückt, die heute leider verschollen sind. Durch das Portal und das Vestibül gelangt man in den mit Glas überdachten Innenhof, von dem aus sich das Gebäude den Besucherinnen und Besuchern erschließt.

Theophil Hansen, Ausführungsplan, Schnitt durch das Palais Epstein; Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Beletage Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Erdgeschoß Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Grundriss Palais Epstein: Keller Allgemeine Bauzeitung, Bd. 36, 1871 (Österreichische Nationalbibliothek)

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Die Nutzung des Palais durch die Familie Epstein Im Jänner 1872 bezog die Familie Epstein das Palais und wohnte dort bis 1877.

Von außen lassen sich keine Rückschlüsse auf die Nutzung des Gebäudes ziehen. Wie viele andere Ringstraßenpalais diente das Palais nicht nur als Wohnhaus, sondern auch als Geschäftssitz. Einige Geschäftslokale im Erdgeschoß sowie die Wohnungen im zweiten und dritten Stock des Gebäudes waren zur Vermietung bestimmt, wie es der typisch gemischten Nutzung eines „Zinspalais“ entsprach.

Vestibül, Innenhof und bedauernswerte Kreaturen im Keller Das Vestibül war so konzipiert, dass es als Einfahrt für Kutschen diente, mit denen man bis zur Feststiege vorfahren konnte. In der Kuppel des Vestibüls war die Devise Epsteins „Sis qui videris“ (Sei, der du scheinst) zu lesen. Überträgt man diesen Leitspruch des architektonischen Konzepts für das Palais auf die Persönlichkeit seines Eigentümers, so bedeutet das: außen vornehme Zurückhaltung, innen der Reichtum der schönen Seele. Der vordere Bereich des Erdgeschoßes hatte primär die Funktion, von der äußeren zur inneren Repräsentationssphäre des Palais überzuleiten. An der Rückseite des glasüberdachten Innenhofs waren die Remise für die Kutschen und die Sattelkammer untergebracht. Festsaal (Foto Helga Loidold)

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Innenhof (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

stand war im Wesentlichen die Veranlagung und Verwaltung des großen Vermögens Gustav Ritter von Epsteins. So wurden beispielsweise Beteiligungen an anderen Banken und Versicherungsunternehmen sowie an Betrieben der Zucker- und Ölindustrie erworben. Da mit dieser Art von Geschäften so gut wie kein Publikumsverkehr verbunden war, nahmen die Kontorräume der Bank auch nur einen Teil der Ringstraßenfront in Anspruch. Lediglich in einem Raum des Epstein’schen Kontors herrschte größerer Publikumsandrang: Dieser war für die sogenannte „Armenbeteiligung“ vorgesehen. Ein Mitarbeiter der Bank betreute darin eine Handkassa, aus der er Bedürftigen, die sich anonym an ihn wenden konnten, finanzielle Hilfen auszahlte.

Eine vom Hof erreichbare Rampe führte in den Keller, wo sich die Pferdeställe, Heizungseinrichtungen, Kellerräume und das Eishaus befanden. Insgesamt 14 Pferde fristeten dort ihr Dasein in völlig dunklen Räumen ohne direkte Belüftung.

Bankhaus Epstein Im Erdgeschoß des Palais befand sich neben dem „Gewölbe“, das waren die vermieteten Geschäftslokale an der linken Gebäudeseite, auch das „Comptoir“, also die Räume des Bankhauses Epstein an der rechten Seite. Der Unternehmenszweck des Bankhauses ist heute mit der Funktion einer Investmentbank vergleichbar. Betriebsgegen36

Die Treppen des Palais Epstein – Spiegel der sozialen Struktur der Ringstraßengesellschaft Von den unterschiedlichen Zugangserschließungen durch insgesamt drei im Gebäude angelegte Treppen lassen sich Abstufungen hinsichtlich der Wertigkeit ihrer Benutzer/innen ableiten. Die grundsätzliche Aufteilung war dergestalt, dass die Räumlichkeiten des Hausherrn und seiner Mieter/innen zur Ringstraße bzw. zu den Schmalseiten des Gebäudes hin ausgerichtet waren und die der Dienerschaft zur Rückfront. Auch die für die Infrastruktur wichtigen Einheiten wie Küche, Vorratsraum

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und Garderobe befanden sich im hinteren Teil des Hauses. Bemerkenswert ist, dass dort auch das Badezimmer des Hausherrn untergebracht war – dieses stand den Dienstboten allerdings nicht zur Verfügung. Die großzügig geführte und reich mit verschiedenfarbigen Marmorarten sowie mit Stuckmarmor ausgestattete Prunktreppe führt an der linken Seite des Innenhofs in den ersten und weiter in den zweiten Stock. Anders als in vergleichbaren Zinspalais erschließt sie damit nicht nur die Wohnung des Eigentümers in der Beletage, sondern auch die großzügig angelegte Mietwohnung darüber, die in ihren Ausmaßen mit der Epstein’schen Wohnung im ersten Stock vergleichbar ist. Aufgrund dieser „sozialen Gleichstellung“ ist davon auszugehen, dass Gustav Ritter von Epstein diese Wohnung als künftiges Domizil für seinen Sohn vorgesehen hatte. Die beiden Nobelgeschoße im ersten und zweiten Stock sind an der Außenfassade durch Balkone betont, die von vier Karyatiden getragen werden.

sowie schlecht belichtet und belüftet aus, dass ihnen die baubehördliche Bewilligung versagt blieb. In dieser baulichen Struktur spiegelt sich die soziale Realität der Ringstraßengesellschaft wider: Herrschende und dienende Schicht sind eng miteinander verbunden und dennoch scharf separiert. Die Unterschiede zwischen den Klassen werden auch in der baulichen Struktur abgebildet. Im Zuge der Restaurierung des Palais wurde der Dienstbotentrakt zur Gänze entkernt, an seiner Stelle wurde eine moderne Stiegen- und Liftanlage eingebaut.

Feststiege (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

Die drei weniger großzügig konzipierten Mietwohnungen im dritten Stock sind nur durch die engere Treppe an der rechten Seite des Innenhofs zu erreichen. Am engsten nimmt sich schließlich die Treppe im Hoftrakt aus – die „Dienstbotenstiege“. Über sie konnte das Personal in seine zum Teil im niedrigen Mezzanin gelegenen, vielfach lichtlosen Kammern gelangen. Durch das Einziehen von Zwischendecken fielen die Räume für die Bediensteten derart klein und niedrig 37

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Erster Stock oder Beletage Die prachtvoll ausgestatteten und reich möblierten Räume im ersten Stock bewohnte ab 1872 die fünfköpfige Familie des Eigentümers, bestehend aus Gustav von Epstein und seiner Frau Emilie sowie ihren Kindern Friedrich, Caroline und Margarethe. Die drei zentralen Räume an der Ringstraßenfront – der Empfangssaal, der Fest- bzw. Tanzsaal und der Speisesaal – waren der Repräsentation gewidmet. Die daran anschließende linke Gebäudeseite beherbergte, mit Ausnahme des gemeinsamen ehelichen Schlafzimmers, überwiegend die Räume der weiblichen Familienmitglieder, im rechten Gebäudeflügel waren die Zimmer der Herren untergebracht. Die Tatsache, dass die Eheleute Epstein gemeinsam in einem Zimmer nächtigten, dokumentiert den Umstand, dass für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Intimität bereits etwas war, worüber man nicht nur reden konnte, sondern das man auch räumlich in Form eines gemeinsamen Schlafzimmers versinnbildlichte. Diese Art des Umgangs wäre in den barocken Adelspalästen der Innenstadt undenkbar gewesen. Den gebildeten Angehörigen des Personals wie den Gouvernanten bzw. dem Hauslehrer des Sohnes wurde seitens der Herrschaft keine übermäßige Wertschätzung entgegengebracht, was die Unterbringung betraf. Den Gouvernanten wurden kleine Räume im hinteren Bereich des Hauses zugewiesen, der Hauslehrer bewohnte ein Schlauchzimmer mit Blick in einen Lichthof über der Rampe für die Pferde. 38

Die Räume und ihre Gestaltung Das Bild der Beletage, das sich einem Gast im Hause Epstein kurz nach der Errichtung des Gebäudes geboten haben muss, kann heute nur mehr beschränkt nachvollzogen werden. Obwohl man von der Opulenz der Dekorationsvielfalt mit ihren unzähligen Details fast erdrückt wird, hat die Fülle, die durch Möblierung, Gemälde und Kunstgegenstände entstanden sein muss, den Eindruck des Reichtums wohl ins Unermessliche gesteigert. Theophil Hansen hat das Palais Epstein in den Repräsentationsräumen der Beletage als Gesamtkunstwerk konzipiert, indem er nicht nur für die architektonische Gestaltung verantwortlich zeichnete, sondern auch für die Entwürfe des Mobiliars. Die Ausstattung der an der Frontseite des Hauses gelegenen Prunkräume zeigt noch heute eine Vielfalt von Materialien und Techniken, die je nach Raum in unterschiedlicher Kombination und Farbe eingesetzt wurden. Die Oberflächengestaltung imitiert in fast spielerischer Weise unterschiedliche Materialien, insbesondere Stein bzw. Marmor oder verschiedene Holzarten. Diesem Verfahren lag kein Spargedanke zugrunde, sondern es stellte eine besonders aufwendige Art der Ausstattung dar. Mithilfe dieses Kunstgriffs konnten Kompositionen aus Formen und Farben geschaffen werden, die auf herkömmlichem Weg, durch das Verwenden der natürlichen Materialien, oft nicht möglich gewesen wären. Die Malereien wurden meist mit Leimfarben ausgeführt.

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Bildliche Darstellungen der vollen Ausstattung, die einen Eindruck des ursprünglichen Überflusses vermitteln könnten, sind leider nicht erhalten. Der Parlamentsdirektion gelang es allerdings, einige wenige noch im Besitz von Nachfahren der Familie Epstein befindliche Objekte zu erwerben. Diese wurden zu einer kleinen Ausstellung arrangiert.

Das Palais Epstein und die Technik Der Standard der ursprünglichen technischen Ausstattung des Gebäudes war für die damaligen Verhältnisse enorm hoch. Der Bauherr Gustav Ritter von Epstein entschied sich unter Anleitung des Architekten nur für die modernsten und teuersten Lösungen.

Festsaal (mit Schiebetür zum Empfangssaal) (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

Nach seinem Bankrott im Jahr 1873 war Gustav Ritter von Epstein gezwungen, das Gebäude und seine wertvolle Kunstsammlung wie auch Teile des exquisiten Mobiliars zu verkaufen. Viele Stücke gingen nach seinem Tod durch Erbfolge an verschiedene Familienmitglieder, und so wurde der Großteil der mobilen Bestandteile des Palais in alle Himmelsrichtungen verstreut.

Licht, Lüftung und Beförderung Die Reste der Gasleitungen zu den Beleuchtungskörpern in den einzelnen Räumen zeigen, dass nicht nur das dekorative, sondern auch das technische Konzept des Architekten Theophil Hansen ausschließlich höchste Qualität duldete. Die Umstellung von der ursprünglich installierten Gasbeleuchtung auf elektrisches Licht erfolgte zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Auch das verwendete Heizlüftungssystem ist eine Besonderheit: Lüftungsschächte reichen vom Keller, in dem eine Luftheizung vorhanden war, bis in das Dachgeschoß. Sie versorgten die 39

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Empfangssaal: Lüftung (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

Räume des Hauses über Lamellengitter mit Zu- und Abluft, wobei die Lüftungsklappen geschlossen werden konnten und sich die einzelnen Lamellen bei Überdruck öffneten. Die Gitter sind bemalt und in die dekorative Ausstattung der Räume eingebunden. Heute ist das Palais Epstein an die Fernwärme angeschlossen. Wo es dem Architekten sinnvoll erschien, kombinierte er Zweckmäßiges mit Schmuckvollem, wie zum Beispiel im Spielzimmer. Hier befand sich im Zentrum der Decke ein Gasanschluss, der in ein Ziergitter integriert war, das wiederum einen Teil der Raumbelüftung ausmachte. Ebenfalls an der Decke montiert, verbergen Pinienzapfen aus Gips den Auslass der Entlüftung. Ihre Bemalung lässt sie wie kunstvolle Holzschnitzereien wirken. Mit einem Materialaufzug, dessen Schacht vom Erdgeschoß in den Gang nahe dem Speisezimmer im ersten Stock führte, konnten Lebensmittel und kleinere Gegenstände rasch transportiert werden.

Schiebetüren und versenkbare Türgriffe Die mittlere Türöffnung zum Fest- bzw. Tanzsaal konnte man bereits zu Epsteins Zeiten mit einer großen, schweren Glasschiebetür schließen, die im Wintergarten hinter die bemalte Holzverkleidung geschoben wurde. Der Griff des Mechanismus lässt sich nach Gebrauch unsichtbar hinter einer Metallklappe verstauen. 40

Auch zwischen dem Festsaal und den angrenzenden Räumen – dem Empfangssaal und dem Speisezimmer – wurden zweiflügelige Schiebetüren eingebaut, deren Teile sich zu beiden Seiten in einem Schlitz in der Mauer verbergen lassen. Mittels Drehmechanismus lassen sich auch die Türschnallen in den Hohlräumen der Wand versenken.

Sicherheitsmechanismus im Bankhaus In den Verkleidungen der Fenster des Erdgeschoßes sorgten Kurtinen für die Sicherheit des Bankhauses Epstein. Eine mit

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Kurbel und großen Zahnrädern ausgestattete Konstruktion ermöglichte es, eine dreiteilige Panzerplatte mit einer Kette nach oben zu heben, um das jeweilige Fenster vollständig zu verschließen. Diese Anlage wurde aus England importiert, wo damals die innovativsten und ausgereiftesten Techniken auf dem metallverarbeitenden Sektor zur Verfügung standen. Im Zuge der Restaurierung wurde eine dieser Kurtinen zu Schauzwecken wiederhergestellt. Exkurs: Kurtinen Unter Kurtinen versteht man ursprünglich einen verbindenden Wall oder eine Mauer zwischen zwei Verteidigungspunkten einer Festung, wie Bastionen, Türme oder Rondelle. Die Theatersprache versteht darunter den mittleren Vorhang der Bühne. Kurtine (Foto Helga Loidold)

Eine weitere Sicherheitsvorkehrung, die jedoch nicht zu besichtigen ist, befindet sich im Mezzanin. Dort wurde ein Tresorraum eingebaut, der offenbar zur Gänze mit Eisenplatten ausgebaut und mit einer gepanzerten Tür verschlossen war. Es konnte aber nicht endgültig festgestellt werden, ob dieser Raum von Anfang an da war, auf alle Fälle wurde er aber vor 1902 eingerichtet, also vor dem Einzug des Verwaltungsgerichtshofs in das Palais. Ebenfalls der Sicherheit dienten die zwischen der Feststiege und dem Vorzimmer im ersten Obergeschoß entdeckten Falttüren, mit denen der Zugang zur Beletage abgeriegelt werden konnte.

Das Eishaus Wie in vielen Gebäuden des damaligen Wien gab es auch im Palais Epstein einen Eiskeller, der jeden Winter mit Eisblöcken oder Schnee befüllt wurde. Das Niveau dieses Raums lag noch tiefer als das übliche Kellerniveau. Er war mit einem eigenen Abflusssystem ausgestattet, wobei das Schmelzwasser über Rinnen im Boden abtransportiert wurde. 41

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Ein Blick in die einzelnen Räume Der Innenhof Künstlerischer Mittelpunkt des überdachten Innenhofs ist ein Brunnen des Bildhauers Vincenz Pilz. Er wird von einer Figur der Hygieia mit einer Äskulapnatter dominiert, der griechischen Göttin der Gesundheit, Tochter des Asklepios und Enkelin von Apoll. Gustav Ritter von Epstein wählte sie vermutlich wegen seiner zeitlebens angeschlagenen Gesundheit als Motiv. Die zahlreichen rötlichen Terrakotten an der Fassade wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Ziegelproduktion ihren Höhepunkt erreichte, industriell in riesigen Mengen und in unüberschaubarer Vielfalt gefertigt. Die Bauherren konnten aus einem reichhaltigen Katalogangebot die gewünschten Zierelemente wählen. Einer der Hauptproduzenten für den Wiener Markt war die Firma Wienerberger. Ihr Besitzer Heinrich Drasche war ein guter Freund Hansens, der sich wiederum als Aktionär an den Ziegelwerken beteiligte. Derartig überdachte Innenhöfe sind typische Elemente der Hansen-Objekte, sowohl bei den Palais als auch bei den Monumentalbauten. Abgesehen von seiner Schönheit, hatte der Innenhof auch eine „Verteilerfunktion“, da man über ihn in alle Teile des Palais gelangte. 42

Innenhof mit Hygieia (Foto Helga Loidold)

Comptoir (Kontor) Wie in den Ringstraßenpalais üblich, befanden sich auch im Erdgeschoß des Palais Epstein Geschäftsräumlichkeiten. Bei jenen im linken Flügel handelte es sich um ehemalige vermietete Geschäftslokale, eines davon ist auf einer Abbildung identifizierbar, nämlich das Antiquariat H. Cubasch an der Ecke zur Bellariastraße. Auf alten Bildern ist auch noch der eigene Eingang zu sehen. Die Geschäftsportale an den Seitenfassaden wurden wahrscheinlich nach 1883 vermauert. Im rechten Flügel des Gebäudes war das Comptoir des Bankund Großhandelshauses Epstein untergebracht. Heute bringen

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die zahlreichen Kinder, die im Rahmen des Angebots der „Demokratiewerkstatt“ eine Art Basisschulung in Sachen Demokratie und Parlamentarismus erhalten, neues Leben in diesen Teil des Hauses. Eine besondere Überraschung bot sich den Architekten bei der Wiederinstandsetzung der Geschäftsräume der Epstein-Bank. In den Fensterverkleidungen fanden sich die bereits erwähnten Kurtinen, Eisenplatten, die nach oben gezogen werden konnten und damit das Bankhaus vor ungebetenen „Gästen“ sicherten. Diese Konstruktion ist nicht nur technisch ausgefeilt, sondern wirkt auch ästhetisch. Daher wurde eine davon wieder funktionstüchtig gemacht, um Besuchern/-innen die Handhabung im Rahmen einer Führung demonstrieren zu können.

Im Schlitz dieser Sicherheitskonstruktion wurden später auch zahlreiche Papierfunde sichergestellt, beispielsweise Briefe russischer Besatzungssoldaten. Diese sind in den Vitrinen im Vorzimmer zu sehen. Besondere Beachtung sollte im Erdgeschoß den Decken in den ehemals vermieteten Geschäftsräumen geschenkt werden. Der größere Raum wird in den Plänen von 1862 als „Gewölbe“ bezeichnet. Die Decke zeigt acht quer verlaufende, teils geteilte Intarsienfelder. Diese sind in Goldgrund mit Groteskenmalerei in mehrfarbiger Lüstrierung ausgeführt. Die Farben des gemalten Holzes sind dunkel, an den Rändern erscheinen sie fast schwarz. Die Decke des kleineren Raums ist ähnlich, wirkt durch die hellere Farbgebung jedoch etwas leichter.

Die Feststiege

Eröffnung der Demokratiewerkstatt (Parlamentsdirektion / Foto Mike Ranz)

Über die freitragende Feststiege gelangt der Gast in die Prunkräume der Beletage im ersten Obergeschoß. Treppe, Geländer und Handlauf sind in hellem Stein ausgeführt, die kannelierten (mit senkrechten Rillen versehenen) Säulen sind aus rotem Veroneser Marmor. Sie ruhen auf schwarzen Sockeln aus belgischem Marmor, die Kapitelle aus weißem Marmor bieten einen schönen Kontrast. Die Wandflächen im Stiegenbereich sind vorwiegend in grauem und rotem Stuccolustro ausgestattet. Vor allem die Vielfarbigkeit verleiht dem Stiegenhaus seinen besonderen Glanz. 43

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Exkurs: Stuccolustro Stuccolustro (italienisch: blanker Stuck) ist eine Version der Fresko-Technik, die bereits in Pompeji eingesetzt wurde und in Italien im 18. Jahrhundert unter anderem als Marmorimitation wiederauflebte. Dabei wird eine Paste aus Marmorstaub, Farbe und Weißkalk auf feuchten Unterputz aufgetragen, mit Kalkseife (Seifenlauge und Kalk) bestrichen und bemalt. Die Malerei wird dann mit heißen Streichblechen geglättet und mit Bienenwachs oder Venezianerseife (Kernseife, der Olivenöl beigemengt wird) eingelassen, was den Farben starke Leuchtkraft und Glanz verleiht.

Das Vorzimmer Das Vorzimmer führt von der Feststiege zum Empfangssaal und zum Wintergarten. Aufgrund seiner Verbindungsfunktion war es ebenso reich ausgeführt wie die angrenzenden Räume. Zwischen zwei Türen befinden sich zwei als Scheinarchitektur (= trompe l’oeil) gemalte Säulen mit Kapitellen, die als Fortsetzung der Säulengliederung der Feststiege zu verstehen sind. Diese Wanddekoration wurde später übermalt und bei der Sanierung in Fragmenten freigelegt. Sie stellt die einzig noch erhaltene dekorative Verbindung zwischen Feststiege und Prunkräumen dar. Heute ist im Vorzimmer eine Ausstellung von Fundstücken (vor allem aus der Zeit der sowjetischen Stadtkommandantur) unter44

gebracht, die im Zuge der Restaurierung sichergestellt wurden. Den Großteil fand man im Erdgeschoß hinter der Fensterverkleidung mit dem Stahlplattenmechanismus. Zu sehen gibt es Briefe und Umschläge, Dinge des täglichen Lebens wie Zigaretten, Zündholzschachteln etc., aber auch eine Armbinde der Militärpolizei hat sich in den Zwischenraum verirrt.

Der Empfangssaal Die glänzenden Wände des eleganten, dunkel gehaltenen Prunkraums zur Begrüßung der Gäste sind mit beinahe schwarzem Stuccolustro überzogen. Seine Felder sind von einem roten Stuccolustro-Band eingerahmt, auf dem in der Mitte ein Palmetten-Rosetten-Fries aus vergoldeten Metallapplikationen platziert ist. Die Türgerichte wurden aus ockerfarbenem Stuckmarmor gefertigt.

Exkurs: Türgerichte Türgerichte bestehen aus Stuckmarmor. Dabei wird Gips angerührt und in verschiedenen Farben eingefärbt. Die unterschiedlichen Gipsmassen werden – ähnlich wie bei einem Marmorgugelhupf – aufgetragen und anschließend fein geschliffen. Durch das Schleifen entsteht ein steinähnlicher Effekt.

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Deckengemälde von Christian Griepenkerl, einem Schüler von Carl Rahl, stellen Genienpaare als Allegorien der bildenden Kunst, der Musik, des Schauspiels und des Tanzes sowie Sinnbilder für Harmonie (auf einem Löwen), Friede, Liebe, Treue und Fleiß dar. Sie sollen die Gäste auf das Beisammensein in gemeinsamer Freude an der Kunst einstimmen.

Exkurs: Belüftung und Fehltramdecke Gerade im Empfangssaal kann man sehr gut das ausgeklügelte Be- und Entlüftungssystem der Beletage betrachten. Versteckt hinter den Pinienzapfen, nur an den kleinen schwarzen Feldern zu erkennen, führt die Entlüftung im Zwischendeckenbereich zu den Außenwänden.

Empfangssaal (Foto Helga Loidold)

Die Stuckdecke imitiert unterschiedliche Hölzer in einer Vollendung, dass sogar ein namhafter Kunsthistoriker dieser optischen Täuschung auf den Leim ging und in seiner Beschreibung von einer „geschnitzten Nussholzdecke mit Palisander-Inkrustationen“ spricht. Auch die Pinienzapfen, die aus der Decke herausragen, sind aus Stuckmarmor gearbeitet.

Bemerkenswert sind auch die sogenannten Fehltramdecken. Ein Tram ist ein Holzbalken, der von der Außenwand zur Mittelmauer gespannt wird. Darüber wurde eine Schalung gelegt und darauf eine Beschüttung aufgebracht. Hier gibt es unter dem normalen Tram einen Hohlraum und einen weiteren Tram – den Fehltram, dessen Aufgabe es ist, einzig und allein die Decke zu tragen. Dadurch konnte man die Fußbodenkonstruktion im darüberliegenden Raum von der Decke entkoppeln und Erschütterungen oder sogar Risse vermeiden.

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Der Festsaal oder: „ Der Tanzsaal, der keiner war ...“ Der wichtigste Raum, gleichsam das gesellschaftliche Zentrum der Beletage, greift in seiner künstlerischen Ausgestaltung Pläne auf, die Theophil Hansen gemeinsam mit dem Historienmaler Carl Rahl ursprünglich für den Festsaal im Schloss des Großherzogs Nikolaus Friedrich Peter von Oldenburg konzipiert hatte. Nachdem sich der Großherzog aus Kostengründen außerstande sah, das Konzept zu verwirklichen, ermöglichte Gustav Ritter von Epstein, der den Großherzog von gemeinsamen Italienreisen kannte und auch als Oldenburgischer Generalkonsul in Wien fungierte, seinem Architekten, die Entwürfe wiederaufzunehmen und – übertragen auf die kleineren räumlichen Dimensionen des Palais – umzusetzen. Dies verdeutlicht auch die bürgerliche Finanzkraft gegenüber dem Adel. Da das Ehepaar Epstein musikbegeistert war, lud es regelmäßig zu musikalischen Abenden, bei denen Pianisten/-innen wie Clara Schumann und Anton Rubinstein unter anderem Interpretationen von Werken Schuberts und Beethovens zum Besten gaben. Tatsächlich wurde in diesem Saal zu Zeiten der Familie Epstein mehr musiziert als getanzt, weswegen die Bezeichnung „Festsaal“ zutreffender ist. Festsaal (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

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Die Ausstattung des Raums mit hellem, sandfarbenem Stuckmarmor steht in bewusstem Kontrast zur düsteren Ausführung des Empfangssaals. Der Architekt Theophil Hansen verwendete hier detailgenaue Zitate von Gestaltungselementen der Renaissancekirche Santa Maria dei Miracoli in Venedig, die er eingehend studiert und deren Innenansichten er in zahlreichen Skizzen verarbeitet hatte. So sind zum Beispiel die Frontflächen der Pilaster (flach aus der Wand hervortretender Pfeiler, gegliedert in Sockel, Schaft und Kapitell) mit Stuck verziert, der dieselben Motive wie in der genannten Kirche aufweist. Bei den Darstellungen handelt es sich um fantastisch geformte Tier- und Pflanzenverzierungen im Stil der Renaissance (= Groteskendarstellungen). Die bemalte Stuckdecke ist als Marmorimitation mit vergoldeten Ornamenten gestaltet. Deckengemälde im Festsaal: Geburt der Venus (Foto Helga Loidold)

Auch in diesem Saal zeichnet Christian Griepenkerl für die Ausführung der Deckenmalereien verantwortlich. Der gebürtige Oldenburger lehrte in den Jahren 1874 bis 1910 an der Wiener Akademie, an der er ab 1877 eine Spezialschule für Historienmalerei leitete. Für eine ganze Generation war er bevorzugter Lehrer österreichischer Maler. Der berühmteste war Egon Schiele, zu dem der konservative Historienmaler freilich ein sehr gespanntes Verhältnis hatte. „Sagen sie um Gotteswillen niemandem, dass Sie bei mir gelernt haben“, soll er Schiele gegenüber geäußert haben. Griepenkerl war es auch, der Adolf Hitler 1907 bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie wegen „ungenügender Probezeichnungen“ durchfallen ließ. Hätten

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die Nationalsozialisten, denen das Epstein zwischen 1938 und 1945 als „Reichsbauamt“ diente, dies gewusst, könnten die Deckengemälde wahrscheinlich heute nicht mehr bestaunt werden. Vier Darstellungen an den Seiten zeigen folgende Szenen: „Hochzeit von Amor und Psyche“, „Tanz der Musen“, „Bacchus, Quellwasser in Wein verwandelnd“ und „Apoll unter den Hirten“. In den Ecken befinden sich Abbildungen von Attributen antiker Gottheiten; dabei stehen die Lyra für Apoll, der Thyrosstab für Bacchus, die Getreideähren für Ceres und der Pfau für Juno. Im ovalen Mittelfeld ereignet sich die „Geburt der Venus“, seitlich flankiert von Grazien, drei römischen Göttinnen für Anmut und Schönheit, und Horen, griechischen Göttinnen der Jahreszeiten und der (sittlichen) Ordnung. In den Zwickeln der Rundbögen posieren aus Stuck geformte Bacchantinnen und unterstreichen gleichsam das Programm von Theophil Hansen und Carl Rahl, den Festsaal zu einem „Tempel der wahren Geselligkeit“ zu machen, „die die Kunst sinnig mit den Freuden des Lebens verbindet“.

Entdeckungen bei der Sanierung des Palais im Zusammenhang mit dem Festsaal Bei den Restaurierungsarbeiten wurden in einem Raum des ehemaligen Dienstbotentrakts Parkettplatten gefunden, deren Abmessung ergab, dass es sich dabei um den Original48

Fußboden des Festsaals handelte. Die Platten wurden gereinigt, holztechnisch saniert und wie bei einem Puzzle entsprechend der ursprünglichen Anordnung eingepasst. Gemäß historischen Vorbildern wurde die gereinigte Oberfläche mit speziellen HarzÖl-Wachs-Schichten behandelt, um so den ursprünglichen Charakter der Holzoberfläche wiederherzustellen. Das Tafelparkett ist sehr weich und bedarf wegen seiner Empfindlichkeit besonderen Schutzes und sorgfältiger Pflege. Die Schiebetürblätter aus Spiegelglas für die zu Beginn der Restaurierung des Palais noch zugemauerte Türöffnung zwischen Festsaal und Speisezimmer wurden auf dem Dachboden sichergestellt und konnten ohne Beeinträchtigung ihrer Funktionstauglichkeit eingebaut werden. Rätsel gibt nach wie vor das Produktionsverfahren für das Glas der mächtigen Spiegelglas-Schiebetür zwischen dem Festsaal und dem Wintergarten auf, die während der Sanierung in einer Nische entdeckt wurde. Das heute übliche „Floatglas-Verfahren“, bei dem flüssiges Glas auf eine Quecksilberfläche aufgebracht wird, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch unbekannt. Damals wurden die Glasscheiben zu einem Ballon mundgeblasen, der aufgeschnitten und behutsam aufgelegt werden musste, um zu einer geraden, glatten Glastafel zu kommen. Schließlich wurden die Spiegel auch noch geschliffen. Unerklärlich ist, wie es den Glasbläsern unter den damaligen technischen Voraussetzungen gelang, derart große und makel-

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lose Flächen herzustellen. Die größte Sorge des Sanierungsteams war, dass die Original-Spiegel im Zuge der Renovierung zu Bruch gehen könnten, da ein Austausch nur sehr schwer möglich gewesen wäre. Es kann jedenfalls als Verdienst der für den jahrzehntelangen Umbau Verantwortlichen betrachtet werden, dass die ausgebauten Teile meist zwischengelagert und nicht einfach entsorgt wurden. Eine weitere Überraschung bereitete die Entdeckung, dass die originalen Messing-Wandarme im Festsaal nie elektrifiziert worden waren und zu diesen Leuchten nur eine alte, stillgelegte Gasleitung führte. Unter Heranziehung einer Spezialfirma gelang es, die Leitungsführung zerstörungsfrei zu gestalten und durch akrobatisch anmutende Schrägbohrungen mit Hilfe eines drei Meter langen Bohrers nahezu ohne Schäden am Stuckmarmor und an den Stuccolustro-Flächen die notwendigen Installationen durchzuführen.

Der Wintergarten Der Wirkungsbereich des Festsaals wird durch Öffnung einer großen Spiegelglas-Schiebetür in den sogenannten Wintergarten hinein erweitert. Die derart erzielte räumliche Konzeption vermittelt ein Gefühl luftiger Offenheit.

Alexanderzug, Relieffries im Wintergarten (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

Im schwarz-weißen Bodenmosaik wiederholt sich das Muster des Tafelparketts im Festsaal. Dies war nach Auffindung der Parkettplatten im Dienstbotentrakt ein wichtiges Indiz für ihre Zuordnung. Zur Zeit Gustav Ritter von Epsteins war dieser Raum mit Pflanzen ausgestattet, die italienisches Flair verströmen sollten. In der mittleren Fensternische befand sich ein Marmorbrunnen mit der Statue eines Fauns. Hierher zog sich der Hausherr gerne zurück, wenn ihm das Treiben im Rahmen der musikalischen Soireen zu anstrengend wurde. So konnte er das Geschehen von einem geschützten Bereich aus beobachten, ohne selbst Teil davon sein zu müssen. 49

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Besonders erwähnenswert ist die Kopie eines Relieffrieses des dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen, das den Triumphzug von Alexander dem Großen in Babylon zeigt. Das Original wurde 1811 von Kaiser Napoleon in Auftrag gegeben und befindet sich heute im Appartamento Napoleonico des Palazzo Quirinale in Rom.

Der Speisesaal Nach einer Soiree begaben sich die Gäste in den Speisesaal links neben dem Festsaal. Für den Plafond zog Theophil Hansen die Decke der römischen Basilika San Lorenzo fuori le Mura als Vorbild heran. Die roten Wände des Raums sind ausschließlich in Stuccolustro-Technik gestaltet, und auch in diesem Saal ist die als Kassettendecke ausgeführte Stuckdecke mit Holzimitationsmalerei versehen. Einige der wertvollen Originale aus der Gemäldesammlung Gustav Ritter von Epsteins zierten die Wände des Speisesaals. Diese Sammlung machte er der Öffentlichkeit bei der Wiener Weltausstellung 1873 wenige Tage vor dem Börsenkrach zugänglich. Danach war er gezwungen, sein persönliches Kunstmuseum zu verkaufen, um die Forderungen der Gläubiger befriedigen zu können.

Speisesaal (Foto Helga Loidold)

Der Rauch- und Spielsalon Betrat ein Gast diesen Raum, ging er vom öffentlichen in einen halb öffentlichen Bereich über, in dem das gesellige Beisammensein in einem kleineren Kreis fortgesetzt wurde. Von den Fenstern aus ist die Seitenfront des Parlaments zu sehen.

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Epstein selbst reiste mit zunehmendem Alter seiner angegriffenen Gesundheit wegen immer weniger und schuf mithilfe der Malerei eine Möglichkeit, sich zumindest virtuell an den Orten seiner Sehnsucht aufhalten zu können und seine Gäste in diesem Raum – gleichsam als „Nabel der Welt“ – daran teilhaben zu lassen. Die sogenannten „Zonenbilder“ stammten vom Landschaftsmaler Josef Hoffmann. An der Ausführung waren – vermutlich wegen des Zeitdrucks – auch Eduard Bitterlich und Christian Griepenkerl beteiligt, die ebenfalls Schüler von Carl Rahl waren. Die Werke gelangten nach dem Verkauf des Palais an Otto Wagner, wurden in dessen erster Villa in Hütteldorf zur Schau gestellt und sind mittlerweile verschollen. Auf eine „Neuerfindung“ der Landschaftsbilder wurde bei der Renovierung des Palais Epstein bewusst verzichtet. Decke im Rauch- und Spielsalon (Foto Helga Loidold)

Ursprünglich schmückten den Raum acht großformatige Leinwandgemälde mit Ansichten antiker Stätten, die in die Vertäfelung eingelassen waren. Unter den Landschaftsmotiven befanden sich Ellora (in Indien – Höhlen- und Felsentempel, seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe), Philae (in Ägypten – NilInsel mit Isis-Tempel, seit 1979 Weltkulturerbe), Athen und Rom, weiters Landschaften auf Korfu und Capri sowie ein Dachsteinpanorama und eine Ansicht von Wien.

Auch die Kassettendecke im Spielzimmer hat ihr Vorbild im Tonnengewölbe der Kirche Santa Maria dei Miracoli in Venedig und kann als weiteres Zeugnis von Epsteins Begeisterung für Italien verstanden werden. Sie stellt aber auch ein zusätzliches Musterbeispiel für das Bestreben Hansens dar, vergangene Kunstepochen in seine Bauwerke quasi als Zitate zu integrieren. Erstaunlicher Fund im Rauch- und Spielsalon Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurden bei der Demontage nachträglich eingebauter Türstöcke Fragmente der ursprünglichen Wanddekoration von 1872 entdeckt. An beiden Türen 51

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diagonal gestellten Quadrat dominiert, was auch der Fund eines Fragments des historischen Parkettbodens belegt. Der Türaufsatz mit einem zentralen Löwenkopf-Medaillon und Anthemion-Motiven, einem Friesband aus Lotosblüten und Palmetten, ist in farbiger Abstimmung mit Decken- und Türfassung polychrom, also vielfarbig ausgeführt. Die Wanddekoration wurde in den Bereichen um die Türrahmen sorgsam saniert und restauriert.

Das Arbeitszimmer von Gustav Epstein

Wanddekoration im Rauch- und Spielsalon (Foto Helga Loidold)

des Raums kamen Supraporten zum Vorschein, ein über einer Tür oder einem Portal angebrachtes Gemälde oder Relief. Dabei handelte es sich um eine auf eine dicke Putzschicht gemalte, Stuccolustro-ähnliche Dekoration, deren schwarz glänzender Grund von einem blattvergoldeten, diagonal verlaufenden Gitter überlagert wird. Die Raumgestaltung war somit vom 52

Das Arbeitszimmer mit Blick auf den Schmerlingplatz erreicht man vom Rauch- und Spielsalon aus. Obwohl dieser Raum im Grundriss-Ausführungsplan von Theophil Hansen als „Arbeitszimmer“ bezeichnet wird, handelte es sich dabei eher um die luxuriös-komfortable Studierstube des Hausherrn, in die er sich zu Kontemplation und Zerstreuung zurückziehen konnte. Die Einrichtung zu Zeiten Gustav Epsteins sagt sehr viel über dessen Charakter aus. Geht man vom ersten farbenprächtigen Entwurf aus, der im Kupferstichkabinett der Akademie der bildenden Künste aufbewahrt wird, so sah der Architekt in der Kassettendecke ursprünglich vier Gemälde vor: Allegorien von Handel, Industrie, Eisenbahn und Schifffahrt, also jene Wirtschaftszweige, die für den Aufstieg der Familie von Bedeutung waren. Dieses Konzept wurde von Epstein aber nicht angenommen, denn er wollte kein Arbeitszimmer, sondern ein Studierzimmer.

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gewidmet; ein geräumiger Schreibtisch, hohe Lehnstühle, ein Divan, Bücherstellen etc. bilden dasselbe ... Die Decke dieses Gemaches ziert eine höchst werthvolle Copie eines Werkes von Rubens aus dem Louvre ...“ (siehe: Das Palais Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH [Hrsg.], Wien 2005, Seite 58). Die Baubeschreibung des Jahres 1876 führt aus: „... Im Arbeitszimmer des Bankiers nebenan finden wir rothe Damastwände, massiv geschnitzte Eichenmöbel und im getäfelten Plafond ein großes Mittelbild, die gelungene Copie eines Rubens: ‚Venus und Amor’, dessen Original sich in Florenz befindet.“ Das Rubensbild dürfte von Epstein nach dem Börsenkrach verkauft worden sein.

Arbeitszimmer (Foto Helga Loidold)

Die Einrichtung blieb nicht erhalten, dürfte jedoch sehr prachtvoll und im „Rubens-Stil“ gestaltet gewesen sein, schenkt man der Beschreibung eines Zeitgenossen Glauben: „Wie prächtig und zugleich wie anheimelnd wirkt der Anblick dieses Gemaches auf uns; wir sehen da ein Meublement ganz aus Eichenholz, allen Zwecken einer confortablen Studierstube

Daraus lässt sich ablesen, dass alle Einrichtungsgegenstände und Ausstattungsstücke, die auf die Funktion eines Arbeitszimmers eines Bankiers hindeuten könnten, getilgt wurden. An ihre Stelle traten Interieurs, die den Benutzer als feinsinnigen, humanistisch gebildeten Gelehrten, als Kunstkenner, Kunstsammler und bedeutenden Mäzen ausweisen. (vgl. Das Palais Epstein. s. o. Seite 59) Wo sich früher die Kopie des Rubensgemäldes im Mittelteil der Decke befand, ist heute eine Holzkassette angebracht. Die übrige Decke ist wieder aus Stuckmarmor (gemaltes Holzimitat) gefertigt, mit wieder sehr schön gezeichneten Gehrungsschnitten, die den Eindruck einer echten Holzdecke verstärken. 53

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Exkurs Holzimitat-Bemalungen orientierten sich in der Maserung immer an der gewünschten Holzart, sie waren nie zufällig. Adolf Loos, eigentlich ein Verehrer Theophil Hansens, mochte solche Verfälschungen nicht, seiner Meinung nach sollte das Material, das verwendet wird, auch sichtbar sein. Er übertrug diesen Gedanken auch auf Speisen, deren ursprünglicher Geschmack nicht verfremdet werden sollte, etwa durch übermäßiges Dünsten oder Braten. Loos schrieb beispielsweise Traktate gegen die Einbrenn. Anekdote: Eines Abends, nachdem Loos mit einem Freund Powidltascherl genossen hatte, entkam er knapp einem Verkehrsunfall. Er war heilfroh, aber weniger, weil er noch am Leben war, sondern weil man bei einer Obduktion in SEINEM Magen Powidl gefunden hätte – bis zur Geschmacksverfremdung verkochte Zwetschken. Dies hätte sein Lebenswerk unglaubwürdig erscheinen lassen!

Sitzmöbel, jedoch nicht mit Originalstoff. Die Möbel stammen aber nicht aus dem Arbeitszimmer selbst, sondern aus dem Besitz von Professor Emil Schulteisz.

Die Bibliothek Die angrenzende Bibliothek unterstreicht die Bedeutung des Arbeitszimmers als Studierzimmer. Den Worten eines Zeitgenossen ist zu entnehmen, dass die Sammlung nicht nur groß, sondern auch sehr wertvoll gewesen sein muss. Die Bücher und anderen Sammelgegenstände waren offensichtlich in Wandverbauten untergebracht, da keine Farbreste gefunden wurden.

Unter dem schönen Kamin wurde bei der Restaurierung noch eine Fläche des originalen Parketts gefunden, sodass der Boden für den gesamten Raum rekonstruiert werden konnte.

Der zitierte Zeitgenosse beschrieb die Bibliothek folgendermaßen: „In hohen, aus Kirschholz superb gearbeiteten Schränken grüßen den Bücherfreund die auserlesendsten Werke aller Literaturen, auf dem Lesetisch liegt aufgeschlagen ein seltenes altes Buch in lateinischer Sprache, ein historisches Lexikon von einem berühmten Verfasser. Außer Bücher zieren dieses Cabinet noch verschiedene archäologische und ethnographische Merkwürdigkeiten, Marmorbüsten, Trachtengruppen etc.“ (vgl. Das Palais Epstein. s. o. Seite 59) Angeblich besaß Epstein auch eine große Sammlung an Stichen und Grafiken, insbesondere niederländischer Meister.

Eine kleine Ausstellung im Arbeitszimmer zeigt heute unter anderem Bildnisse von Gustav und Emilie Epstein sowie eine Zeichnung Otto Wagners von der Villa in Baden und originale

Die Bibliothek und die beiden angrenzenden Zimmer, das Zimmer des Sohnes und des Hauslehrers, sind nicht öffentlich zugänglich.

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Zimmer des Sohnes und des Hauslehrers Von der Bibliothek gelangt man in das ehemalige Zimmer des Sohnes, das durch eine Mauer vom Zimmer des Lehrers abgetrennt war. Letzteres ist sehr klein, ein Schlauchzimmer, und verfügt nur über ein Fenster in einen Lichthof über der Rampe für die Pferde – kein besonderes Quartier in einem Haus, das so viel auf Bildung und Kultur hielt. An der Wand des Zimmers des Sohnes konnte etwas von der ursprünglichen Malerei freigelegt werden. Dieser Ausschnitt ist durch ein Sichtfenster geschützt.

Boudoir der Damen Das Boudoir der Damen befindet sich rechts neben dem Empfangssalon. Seine Fenster an der Hauptfassade zeigen auf den Ring hinüber zum Volksgarten, jene an der Seitenfront Bellariastraße geben den Blick auf das Naturhistorische Museum frei. Als Boudoir bezeichnet man jenen Raum, in dem sich die Dame des Hauses zurückzog oder Gäste empfangen konnte. Er war in der Regel sehr elegant eingerichtet. Nach einem Konzert und dem darauf folgenden opulenten Abendessen trafen sich beispielsweise die weiblichen Gäste im Boudoir, während sich die Herren im Rauch- und Spielsalon versammelten.

Boudoir (Foto Helga Loidold)

Exkurs: Boudoir Die Bezeichnung „Boudoir“ kommt aus dem Französischen. Das Verb „bouder“ heißt so viel wie „schmollen, schlecht gelaunt sein“. Ein Boudoir ist daher eine Art „Schmollwinkel“, was nicht besonders frauenfreundlich und heute schon gar nicht „politisch korrekt“ ist. In Frankreich war dieser Begriff für ein Damenzimmer seit dem 18. Jahrhundert üblich, im deutschen Sprachraum fand er erst im 19. Jahrhundert Verwendung. Später verstand man darunter allgemein das Ankleidezimmer. Heute ist das Wort kaum mehr gebräuchlich. 55

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DAS PALAIS EPSTEIN

Nach 1920 saßen in diesem Raum Amtsführende Präsidenten/ -innen des Stadtschulrats für Wien. Angeblich soll sich hier auch das Büro des russischen Kommandanten befunden haben.

Gestaltung des Raumes Farblich wird der Raum vom Weiß der Decke und des prachtvollen Ofens sowie vom Blau der Tapete dominiert. Die Wandverkleidung, eine blaue Bespannung, ist nicht original, aber sie orientiert sich an den Farben und Farbresten, die man zu Beginn der Restaurierung freigelegt hat. Für eine originalgetreue Nachahmung der Bespannung wurden keine Unterlagen gefunden. Daher wurde in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt eine Stofftapete gewählt (alte Standardware der Firma Backhausen), die dem ursprünglichen Farbton entspricht und den Produkten der damaligen Zeit nahekommt. Das Muster ist allerdings historisch nicht ganz korrekt.

In einer Baubeschreibung des Jahres 1876 heißt es: „Das Boudoir zeigt mit himmelblauem Seidendamast bespannte Wände mit seiner Bordüre in Purpur und Gold und geschnitzten Lambris in Nußholz. Der Plafond, zartgelb und mit plastischem rankenden Goldornament belebt, hat in den Ecken Reliefmedaillons mit den vier Jahreszeiten nach Thorwaldsen und einen herrlichen Kronleuchter aus vergoldeter Bronze. Die Holzmöbel im Intarsienstyl (Ebenholz und Elfenbein), gemahnen an die Prachtstücke der Art, welche die englischen und italienischen Kunstindustriellen ... [im Rahmen der Wiener Weltausstellung] zur Ausstellung gebracht haben.“

Exkurs: Lamperie

Daraus geht hervor, dass die Decke ursprünglich bunt gewesen sein muss. Die wenigen freigelegten Fragmente ließen jedoch keinen Schluss auf die gesamte Deckengestaltung zu, daher wurde auf eine Rekonstruktion aufgrund von Spekulationen verzichtet. Diesem Prinzip folgt übrigens die gesamte Restaurierung des Palais: Wände und Decken, die nur einen fragmentarischen Bestand an Dekorationen aufwiesen, wurden in einem gebrochenen Weiß gestrichen. Dies wird zwar als ein Bruch im Ensemble empfunden, aber es ist, wie von den Verantwortlichen betont wird, ehrlicher und verträglicher als eine unglaubwürdig wirkende Rekonstruktion.

Die Bezeichnung „Lamperie“ geht auf einen französischen Wortstamm zurück: „Lambris“ bedeutet Wandverkleidung. Ursprünglich bestand eine Lamperie aus einer Holzvertäfelung, die früher vor allem in den Wiener Gaststuben zur Wärme- und Feuchtigkeitsisolierung benötigt wurde.

Geblieben sind aber die Jahreszeiten-Tondi, Allegorien in den Ecken der Decke. Sie stellen eine Nachbildung von Plastiken des klassizistischen dänischen Bildhauers Bertel Thorvaldsen dar, dessen „Alexanderzug“ sich – ebenfalls als Kopie – im Wintergarten befindet.

Eine weitere Besonderheit stellen die Lamperien aus echten Furnieren und Holz dar.

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Exkurs: Tondo Als Tondo wird ein Rundbild bezeichnet, das als Gemälde oder Relief gestaltet sein kann. Das Wort ist vom italienischen „rotondo“ abgeleitet. Tondi waren ein häufig verwendetes Gestaltungselement in der Architektur von der Antike bis zum Historismus.

Im Gegensatz zu den anderen Zimmern hängt im Boudoir noch der Originalluster. Erwähnenswert wegen seiner Schönheit ist der Ofen aus weißem Carrara-Marmor, der die Initialen der Familie Epstein zeigt. Leider ist er nicht mehr funktionsfähig.

Das gemeinsame Schlafzimmer Vom Boudoir führt eine Tür in das Schlafzimmer der Epsteins, dessen Fenster zur Bellariastraße schauen. Der Raum wird bei öffentlichen Führungen nicht gezeigt, weil die erhaltene Innenausgestaltung keine Besonderheiten aufweist und er heute als Infrastrukturraum für Veranstaltungen dient. In einer Baubeschreibung des Jahres 1873 heißt es: „Das gemeinschaftliche Schlafzimmer enthält einen vorzüglich schönen pompejanischen Plafond ...“ Das gemeinsame Schlafzimmer ist jedoch hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung von Interesse. Im Gegensatz zum Adel war für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts die Intimität bereits etwas, über das man nicht nur reden konnte, sondern das man auch in Form eines gemeinsamen Schlafzimmers zeigen konnte.

Kinderzimmer und Zimmer der Tochter Stuckdecke im Boudoir (Foto Helga Loidold)

An das Schlafzimmer schließen das ehemalige Kinderzimmer und das Zimmer der Tochter als letzter Raum auf dieser Seite an. 57

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DAS PALAIS EPSTEIN

Decke des Kinderzimmers (Foto Helga Loidold)

Beide werden heute als Büros genutzt und sind nicht öffentlich zugänglich. Der genannten Baubeschreibung des Jahres 1873 ist zu entnehmen: „... die darauf folgenden Zimmer der Kinder und der Tochter sind einfacher gehalten, im letzteren ist eine Decke mit schön gemaltem Laubwerk.“ 58

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Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein . . . . . . . . . . . . . .

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Nutzung für das Parlament oder Haus der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Heutige Nutzung des Palais Epstein – die Demokratiewerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Besitzer nach Gustav Ritter von Epstein Die Ausführungen folgen in weiten Bereichen Erich Klein und Brigitte Hamann. Klein, Erich: Fünf Hausherren und ein Haus. In: Das Palais Epstein. Geschichte, Restaurierung, Umbau. Ein neues Haus an der Wiener Ringstraße. Bundesimmobiliengesellschaft mbH (Hrsg.), Wien 2005, S. 68–86 Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein zur Zeit der ICGA, Familie Drory, Kommunalisierung, Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte. In: Forum Parlament, Jg. 3, Nr. 2/2005

Nachdem Gustav Ritter von Epstein infolge des Börsenkrachs von 1873 das Palais 1876 verkaufen musste, wurde das Haus sehr unterschiedlich genutzt. Die verschiedenen Hausherren sind ein Spiegel der Geschichte der letzten 100 Jahre.

1883–1902: Imperial Continental Gas Association (ICGA) Die ICGA (mit Stammsitz in London) war seit Beginn der Errichtung der ersten Gaswerke in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wien tätig – unter anderem bei der flächendeckenden „Illumination von Gassen und Plätzen”, die von Kaiser Franz Joseph 1867 verfügt wurde. Von 1877 bis 1899 erhielt sie sozusagen als Monopolstellung einen Vertrag über die Gasversorgung Wiens und zog in das Palais Epstein ein – als repräsentative Niederlassung in einem der prominentesten Ringstraßenpalais Wiens.

Das Palais Epstein war während dieser Zeit nicht nur Firmensitz der ICGA, sondern auch Wohnsitz der Familie Drory. Der Techniker und Erfinder Henry James Drory war Direktor der ICGA und wohnte gemeinsam mit seiner Frau, seinen vier Kindern und dem Dienstpersonal im zweiten Stock. Die noble Beletage diente repräsentativen Empfängen der ICGA sowie Firmen- und Familienfeiern, im Erdgeschoß befanden sich Büroräume. Die Monopolstellung und die daraus resultierenden überhöhten Gaspreise waren immer wieder Anlass für kommunalpolitischen Unmut und Polemiken gegen die ICGA. Schließlich wurde unter dem christlich-sozialen Bürgermeister Karl Lueger der Beschluss zum Bau des ersten Wiener Großgaswerkes (Gasometer) gefasst, das Ende 1899 in Betrieb ging. In der Folge verließ die ICGA zunächst das Palais Epstein und 1911 Wien.

1902–1922: Verwaltungsgerichtshof Der Verwaltungsgerichtshof – eine Kontrollinstanz, die bereits 1876 im Zuge einer grundlegenden Verfassungs- und Verwaltungsreform eingerichtet wurde – war von 1902 bis 1922 Hausherr des Palais Epstein. Aufgabe dieser Behörde, eines Kollegiums aus unabhängigen Richtern, war es, die Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten – ein Kampf gegen die Mühlen der Bürokratie. Der Verwaltungsgerichtshof hatte einen guten Ruf, auch bei kritischen Zeitgenossen. Nach dem Zerfall der Monarchie wurde das System der österreichischen Verwaltungs61

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Der Festsaal als Verhandlungssaal des Verwaltungsgerichtshofs (1902–1922) (Parlamentsdirektion)

Otto Glöckel (Parlamentsdirektion)

gerichtsbarkeit auch von den Nachfolgestaaten übernommen, und die Grundlagen haben auch in der Zweiten Republik Gültigkeit bewahrt.

Während dieser Zeit war der Sozialdemokrat Dr. Otto Glöckel Präsident des Stadtschulrates und leitete umfassende Schulund Bildungsreformen ein. „Demokratisierung der Schulverwaltung, Neugestaltung der Lehrerausbildung und -fortbildung (1925 wird die Pädagogische Akademie gegründet), Modernisierung des Lehrbetriebs samt umfassender Entrümpelung der Lehrpläne, bis hin zu Ansätzen einer Schülerselbstverwaltung, sowie die Einbeziehung von Psychologen sind die wichtigsten Errungenschaften der Ära Glöckel.“

1922–1938: Stadtschulrat 1 In der Ersten Republik war das Palais Epstein Sitz des Wiener Stadtschulrates. Nach der Trennung Wiens von Niederösterreich mit 1. Jänner 1922 wurde der Wiener Stadtschulrat gegründet. 62

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1938–1945: Reichsbauamt Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich wurde das Palais Epstein für das Deutsche Reichsbauamt beschlagnahmt. Entgegen ersten Ankündigungen – etwa in Wien 70.000 Wohnungen schaffen zu wollen – hielt sich die tatsächliche Bautätigkeit dieser Behörde sehr in Grenzen. Eine Reihe von monströsen Projekten blieb zum Glück „Papierarchitektur“ – ein Gau-Forum an der verlängerten Bellariastraße, ein „Haus des Führers“ gegenüber dem Naturhistorischen Museum oder die Errichtung monumentaler Aufmarschplätze, die nur durch die Schleifung von Leopoldstadt und Brigittenau realisierbar gewesen wären.

Hausherren in zehn Jahren und zunächst bei Kriegsende für die „Aufrechterhaltung der Ordnung“ und „Wiederherstellung eines normalen Lebens“ zuständig. In Wiens Straßen liegen 9.000 Tote, 36.000 Gebäude sind total bzw. bis zur Unbewohnbarkeit zerstört, die Versorgungslage ist katastrophal. Die Kommandantur setzte in Wien zunächst eine lokale Verwaltung von Bezirkskommandanten ein. Als symbolisch wohl wichtigste Handlung übergab Stadtkommandant Blagodatow am 29. April 1945 Karl Renner und seiner provisorischen österreichischen Regierung das Parlament. Der Stellenwert der Stadtkommandantur veränderte sich mit dem Einzug der westlichen Alliierten im Herbst 1945 in Wien –

Mit Beginn der Bombardierung durch die Alliierten im Jahr 1943 wurde die Errichtung von Bunkeranlagen und Flaktürmen notwendig. Die Wiener Flaktürme – Luftschutzanlagen für 40.000 Zivilisten und Geschützstellung für die Fliegerabwehr – erinnern noch heute eindringlich an den Nationalsozialismus. Im Unterschied zu benachbarten Gebäuden wie dem Parlament wurde das Palais Epstein während des Zweiten Weltkrieges nicht beschädigt.

1945–1955: Sowjetische Stadtkommandantur Warum das Palais Epstein als Sitz der sowjetischen Stadtkommandantur ausgewählt wurde, ist nicht bekannt. Generalleutnant Alexej Blagodatow ist der erste von sieben

Sowjetische Kommandantur (1945–1955) (Österreichische Nationalbibliothek)

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Palais Epstein untergebracht – einige Räume dienten offensichtlich übergangsweise als Gefängnis. Bisher sind um die 2.200 Fälle von Verschleppungen österreichischer Staatsbürger in die Sowjetunion aktenkundig. Die während dieser Zeit an der Fassade des Palais Epstein angebrachten monumentalen Bilder von Stalin und Lenin waren gleichzeitig Symbole eines totalitären Staates. Mit dem Abzug der alliierten Truppen räumten auch die Sowjets das Palais Epstein, und zwar in keinem besonders desolaten Zustand, angeblich dank der Anstrengungen eines Kulturoffiziers.

1958–2001: Stadtschulrat 2

Besatzungsalltag (Die Vier im Jeep) (Österreichische Nationalbibliothek)

die Interalliierte Kommandantur ist vor allem unter dem Schlagwort „Die Vier im Jeep“ noch heute ein Begriff. Das negative Image der Russen in Österreich war nicht nur von den Ausschreitungen im Zuge der Befreiung herzuleiten, sondern in der Zeit danach eine Folge der Verhaftungen und Verschleppungen durch sowjetische Behörden. Neben der Stadtkommandantur war auch der KGB-Vorläufer NKWD im 64

Der Stadtschulrat stellte 1955 (wie schon im April 1945) einen Antrag auf Rückgabe des Palais Epstein und dieses wurde nach umfassenden Renovierungsarbeiten 1958 wieder Sitz des Wiener Stadtschulrates. Die Leitung übernahmen aus der Emigration nach Wien zurückgekehrte Mitarbeiter des Stadtschulrates der Ersten Republik.

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Nutzung für das Parlament oder Haus der Geschichte Die Diskussion über die weitere Nutzung des Palais Epstein kam Ende der 1990-er Jahre im Zuge der Umwidmung des Palais auf. Ende 1997 beschloss der Ministerrat, das Palais zu verkaufen, am 19. November 1998 wurde in der Präsidialsitzung des Nationalrates der einhellige Beschluss gefasst, das Palais für Parlamentszwecke zu nutzen. Die Bundesimmobiliengesellschaft des Bundes kaufte daraufhin das Haus an, für das sich auch bereits eine japanische Bank interessiert hatte. In der Folge räumte der Wiener Stadtschulrat Anfang 2001 das Palais und bezog seinen neuen Amtssitz in der Wipplingerstraße. Nach einer europaweiten Ausschreibung der Generalsanierung des Palais im Frühjahr 2002 wurde das Haus unter Beiziehung des Bundesdenkmalamtes weitestgehend originalgetreu restauriert und am 25. Oktober 2005 feierlich eröffnet – als weitere Dependance des Parlaments in dessen unmittelbarer Nachbarschaft. Während dieses Zeitraums war es vor allem Leon Zelman, der Leiter des Jewish Welcome Service, der sich für eine Nutzung des Palais Epstein als „Haus der Geschichte“ bzw. „Haus der Toleranz“ einsetzte. Für ihn repräsentierte das Ringstraßenpalais Wiener Geschichte und vor allem „jene Menschen, welche Wien vor dem Zweiten Weltkrieg zur Weltstadt gemacht hätten, vom NS-Regime dann aber vertrieben wurden“ (APA655, 21. Jänner 2003). Ein „Haus der Geschichte in dem Palais hätte die

Parlamentsdirektion / Foto Carina Ott

Möglichkeit für eine Verbeugung vor jenen geboten, die Wien mit aufgebaut hätten“ (APA 439, 5. April 2002). Die Diskussion über ein „Haus der Geschichte“ bzw. „Haus der Toleranz“ und das Palais Epstein als Standort wurde von verschiedenen Seiten über Parteigrenzen hinweg teils sehr intensiv geführt – sowohl auf Bundesebene im Ministerrat und Nationalrat als auch auf Wiener Seite im Gemeinderat. Die Idee eines „Hauses der Geschichte“ hatte sich jedoch inzwischen unabhängig vom Standort des Palais Epstein manifestiert. 65

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Nachdem zunächst eine von der Regierung eingesetzte Expertengruppe mit der Ausarbeitung eines Konzepts für ein „Haus der Geschichte“ beauftragt worden war, hatte sich die Bundesregierung im Ministerrat Ende April 2008 darauf geeinigt, professionelle Museumsberatungsunternehmen mit der Detailplanung für das „Haus der Geschichte“ zu beauftragen – sowohl was Inhalt und museumsdidaktische Konzepte betrifft als auch im Hinblick auf die Standortfrage. In der daraufhin erfolgten Ausschreibung des Bundeskanzleramtes bezieht man sich hinsichtlich des Projektvolumens auf das „United States Holocaust Memorial Museum“ in Washington. Das Palais Epstein wäre für ein Museum mit diesen Vorgaben sicherlich zu klein gewesen. Im Herbst 2008 wurde dann die Gruppe Haas/LORD beauftragt, ein Detailkonzept auszuarbeiten. Bis Ende 2009 soll der Architektenwettbewerb abgeschlossen sein. Als Standort für das Museum hat man sich auf Wien geeinigt. Leon Zelman hat sich letztendlich mit der Nutzung des Palais Epstein für Parlamentszwecke ausgesöhnt, da bei Veranstaltungen besonderes Augenmerk auf die jüdische Geschichte Österreichs gelegt wird. Eine Gedenktafel, die am 11. Juli 2008 an der Ecke Schmerlingplatz/Dr.-Karl-Renner-Ring 1 am Palais Epstein angebracht wurde, erinnert an Leon Zelman, der ein Jahr davor verstorben war, an seinen Einsatz für den Dialog zwischen dem heutigen Österreich und Opfern der NS-Verfolgung.

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Heutige Nutzung des Palais Epstein – die Demokratiewerkstatt Heute wird das Palais Epstein vom Parlament in vielfältiger Weise genutzt. In den oberen Stockwerken sind Büros von Abgeordneten und deren Stab untergebracht. Die Zimmer der Beletage dienen unterschiedlichen Zwecken, sie werden als Besprechungszimmer und Ausschusslokale verwendet und bilden so wie der überdachte Innenhof den Rahmen für unterschiedliche Veranstaltungen des Parlaments. Inhaltlich betreffen die Veranstaltungen die gesamte Bandbreite des parlamentarischen Geschehens, ein Schwerpunkt liegt jedoch auf der zeitgeschichtlichen Berücksichtigung und Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit, besonders im Hinblick auf die jüdische Bevölkerung. Auch in den alten Kassensälen im Erdgeschoß wurde in den ersten beiden Jahren zu Veranstaltungen und Ausstellungen geladen. Während der rechte Saal für unterschiedliche Anlässe genutzt wurde, war im linken Saal zunächst die Dauerausstellung über die Familie Epstein untergebracht, die sich heute im Arbeitszimmer der Beletage befindet. Sowohl der Innenhof als auch die Beletage können bei einer Führung (derzeit nur samstags) besichtigt werden. Seit 25. Oktober 2007 ist im Erdgeschoß – in den ehemaligen Kassensälen bzw. Bankräumlichkeiten der Bank Gustav von Epsteins – die „Demokratiewerkstatt“ untergebracht, ein Projekt

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Neue Büroräumlichkeiten (Parlamentsdirektion / Foto Christian Hikade)

Gewölbe „Goldener Raum“ (Foto Helga Loidold)

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werkstatt – eine beachtliche Erfolgsbilanz der noch sehr jungen Einrichtung. Durch die „Demokratiewerkstatt“ trägt das historische Palais zu mehr modernem Demokratieverständnis der Kinder und Jugendlichen Österreichs bei. Verschiedene Veranstaltungen und Führungen ermöglichen auch der interessierten Öffentlichkeit einen offenen Zugang in dieses an Geschichte so reiche Haus.

Demokratiewerkstatt (Parlamentsdirkektion / Foto Mike Ranz)

zur Förderung von Demokratieverständnis und politischem Interesse für die Altersgruppe von 8 bis 14 Jahren. Die vierstündigen Workshops werden mit verschiedenen Schwerpunktthemen angeboten: Man kann sich zur „Politischen Werkstatt“, zu den „Medien-Werkstätten“, zur „Werkstatt mit ParlamentarierInnen“ oder zur „Partizipationswerkstatt“ anmelden. (http://www.demokratiewebstatt.at) Rund 11.000 Kinder und Jugendliche besuchten zwischen 25. Oktober 2007 und Ende Dezember 2008 die Demokratie68

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Eine Prachtstraße und eine neue Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Verlauf der Ringstraße und ihre bedeutendsten Gebäude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vertreter der Ringstraßenarchitektur im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Soziale Aspekte zur Bauzeit der Wiener Ringstraße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Die Ringstraße mit ihren Prachtbauten ist ein Wahrzeichen Wiens und Symbol einer vergangenen Welt, die vom Glanz der Habsburgermonarchie zeugt. Im Grunde genommen war sie Zeichen einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft. Nicht der Adel ließ sich hier in prachtvollen Palais nieder, sondern die „Zweite Gesellschaft“ – Fabrikanten, Großhändler und Bankiers, die der „Ringstraßenzeit“ ihren Stempel aufdrückten. Die noch unfertige Ringstraße bildete die Kulisse für den opulent vom Historienmaler Hans Makart inszenierten Festzug anlässlich der Silberhochzeit von Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1879. Über sie ging aber auch 1916 der Trauerzug mit dem Sarg des toten Kaisers. So war sie Schauplatz sowohl letzter Prachtentfaltung als auch Vorahnung des Schreckens, den die Stadt und das Land noch zu erdulden hatten. Die Ausrufung der Republik am 12. November 1918 vor dem Parlament leitete den Umbruch ein, ein Weg, der über die noch fragile Demokratie der Ersten Republik führte und über den Justizpalastbrand des 27. Juli 1927 in die Zeit des autoritären Ständestaats mündete. Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 und dem Ende der Besatzungszeit 1955 hat sich Österreich zu einer gefestigten Demokratie entwickelt, und das Parlament, einer der großen architektonischen Anziehungspunkte der Ringstraße, steht im Zentrum dieser Demokratie. Die Ringstraße ist heute nicht nur touristischer Höhepunkt jedes Wien-Besuchs, sie ist in erster Linie politisches und kulturelles Zentrum der Stadt, und an ihr wird Geschichte gleichsam ablesbar.

Römische Spuren Das Palais Epstein steht auf historischem Boden, dessen Besiedlung bis in die Römerzeit zurückreicht. Das ehemalige Glacis, der aus militärischen Gründen unverbaut gebliebene Platz vor den mittelalterlichen Stadtmauern, auf dem später die Ringstraße entstehen sollte, war nicht immer freies Gelände. Im Zuge des Baus der Tiefgarage unter dem Schmerlingplatz konnte anhand von Brunnen, Gräben und Gruben der Nachweis einer römischen Besiedlung im Westen des Legionslagers erbracht werden. Ausgrabungen förderten auch Keramik aus dem 14. und 15. Jahrhundert zutage und belegen gemeinsam mit Vorratsgruben und Mauerresten die Nutzung des „Josefstädter Glacis“ bis ins Spätmittelalter.

Exkurs: Glacis Das französische Wort „Glacis“ bedeutet „Vorfeld“ und wird im Zusammenhang mit dem Festungsbau verwendet. Es benennt eine leicht ansteigende Erdaufschüttung vor einem Graben. Als „Glacis“ wurden in Wien große, früher unverbaute Flächen außerhalb der Wiener Festungsmauern bezeichnet, die als freies Schussfeld bei Belagerungen dienten und Angreifern möglichst wenig Deckung boten.

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DIE WIENER RINGSTRASSE IM SPIEGEL DER GESCHICHTE

Die mittelalterlichen Lucken und die Entstehung des Glacis Unter dem Babenberger Herzog Leopold VI. (1198–1230) wurde die Wiener Innenstadt mit einem rund 4.500 Meter langen Mauerring umgeben. Auf der Fläche davor entstanden bald kleinere Vorstadtsiedlungen, die man als „Lucken“ bezeichnete. Sie wurden von Menschen der unteren Mittelschicht der mittelalterlichen Stadt bewohnt, also von jenen, die sich keine Häuser in der Stadt leisten konnten. Dabei handelte es sich in erster Linie um ärmere Handwerker und Händler. Aber auch Landwirte waren in diesen Lucken zu finden und bestellten Felder, die zwischen den einzelnen Gründen gelegen waren, und sogar kleinere Weingärten wurden ausgepflanzt. Geschützt waren die Siedlungen lediglich durch Holzverplankungen und lebende Hecken. Diese Siedlungen fielen 1529 der Ersten Türkenbelagerung zum Opfer. Aus militärischen Gründen wurde daraufhin, basierend auf einem kaiserlichen Befehl von 1558, die Errichtung von Häusern auf eine Entfernung von 95 Metern vom Stadtgraben untersagt und somit verfügt, den Streifen vor den Stadtmauern freizuhalten. Dies wurde im 17. Jahrhundert durch kaiserliche Ermächtigung nochmals bekräftigt, als die Stadtmauern ausgebaut wurden und man Wien zur mächtigsten Festung Europas machte. Es wurden Bastionen gebaut, große Mauerdreiecke, die heranrückenden Feinden wie ein Keil drohten. Verbunden waren sie durch einen vermauerten Erdwall, die eigentliche Stadtmauer. Die Stadtbefestigung hielt auch der Zweiten 72

Glacis (Parlamentsdirektion)

Türkenbelagerung im Jahr 1683 stand, und zwar fand der Angriff auf einer Front von rund 300 Metern statt – zwischen Burgbastei, die sich vor der Hofburg befand, und Löwelbastei, an der Stelle des heutigen Burgtheaters. Noch heute befindet sich an der rechten Durchfahrt des Burgtheaters ein mit Eisenklammern fixierter Quaderstein mit der Aufschrift „MDXXXXIIII“ (Jahreszahl 1544), der aus dem Bollwerk stammt. Sonst ist davon kaum etwas übrig, nur die

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zahlreichen Toten der Türkenbelagerung liegen noch heute unter dem Areal der Hofburg begraben. Die Befestigung Wiens, die sich so gut gegen den Ansturm des türkischen Heeres bewährt hatte, konnte aber nicht mehr verhindern, dass Napoleon 1805 und 1809 nach Sprengung der Vorwerke vor der kaiserlichen Burg in Schönbrunn einzog und damit die Habsburger tief demütigte. 1820 wurde das Äußere Burgtor errichtet, aber erst nach der Revolution 1848/1849 kam es zu weiterreichenden Änderungen. Der Kaiser verfügte schlussendlich im Jahr 1857, die Basteien zu schleifen und das Glacis zur Verbauung freizugeben, das von der Bevölkerung damals als Erholungsraum geschätzt wurde. Auf Anweisung Kaiser Josephs II. war 1770 rund um die Stadt eine „Chaussae“ errichtet und der Raum dazwischen einige Jahre später begrünt worden. Die noch heute gültigen Adressen wie Heumarkt, Getreidemarkt und Viehmarkt sind ein Relikt für weitere zivile Nutzungen des ehemaligen Glacis. Größere Meinungsverschiedenheiten entstanden um das Areal zwischen Schottentor und dem heutigen Standort des Parlaments. Dieser Teil des Glacis diente als Paradeplatz und sah wie eine Steppe aus. Aus dem Nachlass des liberalen Politikers Cajetan Felder, 1868 bis 1878 Bürgermeister von Wien, ist ein Zitat über den damaligen Zustand des Josefstädter Glacis übermittelt. Er bezeichnete den „großen und fast unübersehbaren Raum“ als eine „trostlose Einöde“, die bei trockener Witterung „einer

Sandwüste“ glich und die Hauptquelle der Staubentwicklung in der Stadt darstellte. Bei nasser Witterung sei er „ein Sumpf oder ein gefrorener Teich“ gewesen.

Eine Prachtstraße und eine neue Zeit Abgesehen von diesem nicht besonders einladenden Erscheinungsbild von Teilen des Glacis, gab es seit dem 18. Jahrhundert, als sich die Befestigungsanlagen im Zuge der napoleonischen Kriege als nutzlos erwiesen, immer wieder Diskussionen über die Stadtmauern. Sie verhinderten eine strukturierte Stadterweiterung und schnitten die Innenstadt von den 1850 eingegliederten Vorstädten ab, den heutigen Bezirken II bis IX. Projekte, wie man die Stadterneuerung auf dem Areal und die Anbindung zu den Vorstädten städtebaulich lösen könnte, gab es zahlreiche, keines wurde verwirklicht. Ein Projekt war sogar von Erzherzog Johann, ebenfalls erfolglos, initiiert worden. Mit seinem Handschreiben zur Stadterweiterung vom 20. Dezember 1857 an Innenminister Alexander Freiherr von Bach verfügte Kaiser Franz Joseph I. die Auflassung der Befestigung und ermöglichte damit endlich die Verbindung der Innenstadt mit den eingemeindeten Vorstädten. Die Stadterweiterung diente nicht nur dazu, die drückende Wohnungsnot zu mildern, Ziel war vor allem auch die „Verschönerung der Residenz- und Reichshauptstadt“, wie es in 73

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dem Handschreiben hieß. Mit dem Bau eines Prachtboulevards sollte ein Zeichen gesetzt werden. Man wollte anderen Metropolen wie Paris und Berlin nicht mehr nachstehen. Der Ausbau der Residenzstadt Wien sollte die Macht der Habsburgermonarchie demonstrieren. Parallel zu dieser Prachtstraße wurde eine „Lastenstraße“ für den Gewerbeverkehr geplant, die von den Wienern „Zweierlinie“ genannt wurde, nach den Straßenbahnlinien E2, H2 und G2. Diese wurden 1980 zwischen Alserstraße und Karlsplatz durch die U2 abgelöst, die heute die Strecke vom Schottenring bis zum Stadion zurücklegt. Das Handschreiben des Kaisers an seinen Innenminister Veröffentlicht in: EITELBERGER, Rudolf von (Hrsg.): Die preisgekrönten Entwürfe zur Erweiterung der inneren Stadt, Wien 1859, S. 8 f. TIETZE, Hans (Hrsg.): Alt-Wien in Wort und Bild, Wien 1925/26, S. 114 f.

Kaiser Franz Joseph I.

Handbillet vom 20. Dezember 1857 an Innenminister Alexander Freiherr von Bach Lieber Freiherr von Bach! Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und hiebei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige ich die Auflassung der Umwallung und Fortificationen der inneren Stadt, so wie der Gräben um dieselbe. Jener Theil der durch Auflassung der Umwallung, der Fortificationen und Stadtgräben gewonnenen Area und GlacisGründe, welcher nach Maßgabe des zu entwerfenden Grundplanes nicht einer anderweitigen Bestimmung vorbehalten wird, ist als Baugrund zu verwenden und der daraus gewonnene Erlös hat zur Bildung eines Baufonds zu dienen, zu welchem die durch diese Maßregel dem Staatsschatz erwachsenden Auslagen, insbesondere auch die Kosten der Herstellung öffentlicher Gebäude, sowie die Verlegung der noch nöthigen Militär-Anstalten bestritten werden sollen. Bei der Entwerfung des bezüglichen Grundplanes und nach Meiner Genehmigung desselben bei der Ausführung der Stadterweiterung ist von nachstehenden Gesichtspunkten auszugehen:

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Mit der Wegräumung der Umwallung, der Fortificationen und der Ausfüllung der Stadtgräben ist in der Strecke von der Biberbastei bis an die Umfassungsmauer des Volksgartens in der Art zu beginnen, dass längs dem Donaucanale ein breiter Quai hergestellt und der vom Schottenthore bis zum Volksgarten gewonnene Raum theilweise zur Regulierung des Exercierplatzes benützt werden kann. Zwischen diesen gegebenen Punkten hat zunächst die Erweiterung der inneren Stadt in der Richtung gegen die Rossau und die Alservorstadt zu geschehen, einerseits dem Donaucanale, andererseits der Grenzlinie des Exercierplatzes folgend, jedoch mit Bedacht auf die entsprechende Einschließung der im Bau begriffenen Votivkirche. Bei der Anlage dieses neuen Stadttheiles ist zuvörderst auf die Erbauung einer befestigten Caserne, in welcher auch die große Militär-Bäckerei und das Stabsstockhaus unterzubringen sind, Rücksicht zu nehmen, und hat diese Caserne Achtzig (80) Wiener Klafter von der Augartenbrücke nach abwärts entfernt, in der verlängerten Axe der dorthin führenden Hauptumfassungsstraße zu liegen zu kommen. Der Platz vor Meiner Burg nebst den zu beiden Seiten desselben befindlichen Gärten hat bis auf weitere Anordnung in seinem gegenwärtigen Bestande zu verbleiben. Die Fläche außerhalb des Burgthores bis zu den kaiserlichen Stallungen ist frei zu lassen. Ebenso hat der Theil des Hauptwalles (Biberbastei), auf dem die meinen Namen führende Caserne liegt, fortzubestehen.

Die fernere Erweiterung der inneren Stadt ist bei dem Kärntnerthore und zwar auf beiden Seiten desselben in der Richtung gegen die Elisabeth- und Mondscheinbrücke bis gegen das Karolinenthor vorzunehmen. Auf die Herstellung öffentlicher Gebäude, namentlich eines neuen General-Commandos, einer Stadtcommandantur, eines Opernhauses, eines Reichsarchives, einer Bibliothek, eines Stadthauses, dann der nöthigen Gebäude für Museen und Gallerien ist Bedacht zu nehmen und sind die hiezu zu bestimmenden Plätze unter genauer Angabe des Flächenausmaßes zu bezeichnen. Der Raum vom Karolinenthore bis zum Donaucanale soll ebenfalls frei bleiben, desgleichen der große Exercierplatz der Garnison vom Platze vor dem Burgthore an bis in die Nähe des Schottenthores und hat letzterer an den Platz vor dem Burgthore unmittelbar anzuschließen. Von der befestigten Caserne am Donaucanale an, bis zum großen Exercierplatze hat in gerader Linie ein Raum von Einhundert (100) Wiener Klafter Breite frei und unbebaut belassen zu werden. Sonst soll aber im Anschlusse an den Quai längs dem Donaucanale rings um die innere Stadt ein Gürtel in der Breite von mindestens Vierzig (40) Klaftern, bestehend aus einer Fahrstraße mit Fuß- und Reitwegen zu beiden Seiten auf dem Glacisgrunde in der Art angelegt werden, dass dieser Gürtel eine angemessene Einfassung von Gebäuden abwechselnd mit freien zu Gartenanlagen bestimmten Plätzen erhalte. 75

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Die übrigen Hauptstraßen sind in entsprechender Breite und selbst die Nebenstraßen nicht unter Acht Klafter anzutragen. Nicht minder ist auf die Errichtung von Markthallen und deren entsprechende Vertheilung Bedacht zu nehmen. Zugleich ist auch bei der Entwerfung des Grundplanes über die Stadterweiterung die Regulierung der inneren Stadt im Auge zu behalten und daher der Eröffnung entsprechender neuer Ausgänge aus der inneren Stadt unter Bedachtnahme auf die in die Vorstädte führenden Hauptverkehrs-Linien, gleichwie der Herstellung neuer, jene Verkehrslinien vermittelnden Brücken, die geeignete Beachtung zuzuwenden. Zur Erlangung eines Grundplanes ist ein Concurs auszuschreiben, und ein Programm nach den hier vorgezeichneten Grundsätzen, jedoch mit dem Beisatze zu veröffentlichen, dass im Übrigen den Concurrenten freier Spielraum bei Entwerfung des Planes gelassen werde, gleichwie sonstige hierauf bezügliche geeignete Vorschläge nicht ausgeschlossen sein sollen ... Die hiernach als die vorzüglichsten erkannten drei Grundpläne sind Mir zur Schlussfassung vorzulegen, sowie über die weiteren Modalitäten der Ausführung unter Erstattung der bezüglichen Anträge Meine Entschließung einzuholen sein wird. Sie haben wegen Ausführung dieser Meiner Anordnung sogleich das Entsprechende zu verfügen. Franz Joseph m/p.

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Ein Denkmal der Gründerzeit und des liberalen Bürgertums Die Ringstraße war auch als Signal nach innen gedacht, und bereits der Ablauf der Planungsphase steht für den Aufbruch in eine neue Zeit. Hatte sich das Militär zunächst den Weiterbestand des Exerzier- und Paradeplatzes auf dem Josefstädter Glacis vorbehalten und waren ursprünglich gegenüber der Hofburg noch militärische Kommandogebäude vorgesehen, so traten diese militärischen Gesichtspunkte immer mehr in den Hintergrund und verschwanden schließlich aus der Planung. An ihre Stelle traten Bauten, die den nach den verlorenen Kriegen von 1859 (gegen Italien) und 1866 (gegen Preußen) vom aufstrebenden Großbürgertum erzwungenen Übergang vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie symbolisierten. Insbesondere das Parlamentsgebäude verkörpert den politischen Sieg des liberalen Bürgertums und die Demokratisierung gegenüber dem Absolutismus. Gemeinsam mit dem Rathaus, der Universität, kulturellen Einrichtungen und der Börse bildet es ein mächtiges architektonisches Zeichen bürgerlicher, wirtschaftlicher und politischer Macht sowie sozialer und kultureller Bedeutung. Dem stehen die Symbole der kaiserlichen Macht gegenüber, wie das zunächst geplante und nicht realisierte „Kaiserforum“ mit Neuer Hofburg und Hofmuseen sowie die Votivkirche. Die ideellen Prinzipien, die den einzelnen Gebäuden zugrunde liegen, sollten durch die Wahl der Stilrichtungen zum Ausdruck gebracht und damit zusätzlich betont werden. So weist der griechische Stil des Parlamentsgebäudes auf den Ursprung der Demokratie hin, der gotische

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Stil des Rathauses wiederum gilt – wie auch die Renaissance – als Inbegriff des Bürgertums im Gegensatz zum Barock als Ausdruck absoluter kaiserlicher Macht. Der Aufstieg des bürgerlichen Liberalismus manifestierte sich jedoch nicht allein in den politischen und kulturellen staatlichen Repräsentationsgebäuden an der Ringstraße. Das selbstbewusste Bürgertum war aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs auch finanziell in der Lage, seinen gesellschaftlichen Status durch entsprechende Wohn- und Geschäftsbauten zum Ausdruck zu bringen und somit auch auf diese Weise augenscheinlich den Standesunterschied zum alten Adel zu verringern. Zwei Drittel aller Ringstraßenpalais wurden im Auftrag von Industriellen, Bankiers und Großhändlern errichtet, die damit ihren Eintritt in die gesellschaftliche Führungsschicht des Landes dokumentierten. Die wichtigsten Vertreter dieses Bürgertums, das zu einem nicht geringen Ausmaß durch das jüdische Element geprägt war, ließen sich am neuen Prachtboulevard nieder. So entwickelte sich gegenüber dem Adel, der „Ersten Wiener Gesellschaft“ mit ihren Palais in der Inneren Stadt, auf dem Areal der Wiener Ringstraße eine neue Gesellschaftsschicht, die „Zweite Wiener Gesellschaft“. Zu den bedeutendsten Palais an der Wiener Ringstraße zählen jene der Familien Todesco und Epstein.

Die Wiener Ringstraße – Gesamtkunstwerk und städtebauliche Leistung Den Startschuss für die Stadterweiterung bildete nach dem Handschreiben des Kaisers von 1857 der internationale Wettbewerb, der am 30. Jänner 1858 ausgeschrieben wurde. Aus 85 Einsendungen ging das von den Architekten Ludwig Förster, Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg und Friedrich Stache vorgelegte Projekt als Sieger hervor (Theophil Hansen konnte krankheitshalber an diesem Wettbewerb nicht teilnehmen). Es sah eine um den Stadtkern verlaufende Allee vor, an der sich die wichtigsten Verwaltungsund Kulturbauten des Reiches und der Stadt befinden sollten. Am 1. Mai 1865 konnte der Straßenzug feierlich eröffnet werden, die endgültige Verbauung zog sich aber bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hin. Indem die Wiener Ringstraße öffentliche und private Repräsentationsbauten gleichgewichtig miteinander vereint, atmet sie den Geist ihrer Epoche, der „Gründerzeit“, und ist daher auch ein beredtes Denkmal ihrer Entstehungszeit. Ein derart geschlossenes baustilistisches Gesamtkunstwerk einer Boulevardanlage wird man weltweit vergeblich suchen. Der Bau der Wiener Ringstraße eröffnete nicht nur den unterschiedlichsten Künstlern die Möglichkeit, ihre Ideen zu verwirklichen, sie stellt auch eine enorme städtebauliche Leistung dar. Noch heute profitiert das Verkehrswesen davon, dass damals die umliegenden Straßenzüge miteinbezogen wurden. Die Straße ist breit genug, sodass sie auch den modernen Verkehr 77

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bewältigt. Die Straßenbreite ist aber nicht als vorausblickende Entscheidung für ein zukünftiges hohes Verkehrsaufkommen zu verstehen, sondern hatte militärische Gründe. Im Fall einer Revolution ist eine so breite Straße kaum mit Barrikaden zu blockieren. Auch ist zu betonen, dass nahezu alle öffentlichen Gebäude bis heute ihren ursprünglichen Zweck erfüllen. Die nicht nur von den Wienerinnen und Wienern, sondern auch von den Gästen geschätzten Grünflächen in der Stadt sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass man nach der Schleifung des Glacis der Bevölkerung einen Ersatz für die nun nicht mehr zur Verfügung stehenden Erholungsräume erhalten bzw. schaffen musste. Außerdem verstärken Grünflächen die optische Wirkung der Gebäude zusätzlich. Die Lage des Palais an der Ringstraße (Parlamentsdirektion)

Am Puls des technischen Zeitalters Siehe: Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: Geschichten – Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, Wien 2007, S. 217–237

Beachtung verdienen auch die technischen Leistungen im Rahmen der Ringstraßenbauten. So entsprach beispielsweise der Brandschutz der neuen Oper den damals höchsten Sicherheitsanforderungen. Noch heute ist einer der drei Brunnen in Verwendung, die früher das ganze Haus mit Wasser versorgten. Es wurde auch in riesige Reservoire im Dachgeschoß gepumpt. In jedem Stockwerk waren hinter der Bühne schmale Löschgänge mit hitzebeständigen, mit Löchern versehenen 78

Mauern angelegt. Dahinter befanden sich Wasseranschlüsse, die vom Dachreservoir gespeist wurden. Die Feuerwehr hätte von dort aus gefahrlos löschen können, doch echte Feuergefahr bestand bis heute nicht. Als Leo Slezak als Tamino eine Kerze umwarf, bemerkte Gustav Mahler, wenn Slezak einmal exakt singe, fange es gleich zu brennen an. Während einer ToscaAufführung begann einmal die Perücke der Sängerin zu brennen. Ihr Bühnenpartner Placido Domingo löschte das Feuer geistesgegenwärtig mit der Rotweinflasche, noch bevor die Feuerwehr eintraf. Abgesehen vom umfassenden Brandschutz in der Oper, gab es auch revolutionäre Neuerungen bei den Belüftungssystemen

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der Gebäude. Entlang des Rings wurden zahlreiche Lüftungstunnels gebaut, ein Netz von Gängen verlief zwischen den Grünflächen und den Prachtbauten, versehen mit Schleusentüren, die je nach Bedarf in den Gebäuden den Zustrom von Luft regelten. Diese Kanäle waren bis zu sechs Meter hoch und vier Meter breit. Um der Luft einen Weg zu bahnen, wurde ein Schleusensystem angelegt, dessen tonnenschwere Tore mit Stahlseilen geöffnet und geschlossen wurden. So wird beispielsweise der große Festsaal im Wiener Rathaus dadurch belüftet, dass die Luft vom Rathauspark angesaugt, unterirdisch in den Keller des Rathauses geleitet wird und dort über einen Ofen läuft. Je nach Jahreszeit wird die Luft erwärmt oder direkt unter den Fußboden des Festsaals geblasen. Auch im Parlament und im Palais Epstein folgt die Belüftung diesem Schema, wobei im Parlamentsgebäude die Luft nicht nur erwärmt, sondern auch gekühlt werden konnte, indem man den Luftstrom unter den Athenebrunnen mit seinem kühlen Wasser führte. Unter den Sitzen des Historischen Sitzungssaals befinden sich Klappen mit einer Öffnung in den gleich großen Raum darunter, sodass jeder Sitz belüftet werden kann. Die Belüftung wurde aber zum Problem, da die Luft bei der Auffahrtsrampe angesaugt wurde, weshalb auch vor wenigen Jahren im Zuge des Rampenumbaus die Anlage erneuert und in einen Innenhof verlegt wurde. Im Palais Epstein befanden sich die Öfen im Keller, von hier aus gelangte die Warmluft über Lüftungskanäle nach oben. Dieses Ab- und Zuluftsystem zieht sich durch alle Räume der Beletage.

Ein beredtes Beispiel für überragende Akustik ist der Goldene Saal des Musikvereins. Theophil Hansen hat zu diesem Zweck einen Resonanzraum unter dem Saal geschaffen, der so niedrig ist, dass man nicht aufrecht gehen kann. Aber wenn im Goldenen Saal musiziert wird, schwingt dieses Untergeschoß mit. Zur besonderen Akustik trägt auch der frei schwebende Plafond bei, der nicht durch Säulen gestützt wird. Möglich ist das nur, weil das Gewicht des Dachs von einem Eisendachstuhl getragen wird. Die Kassettendecke ist vom Dachstuhl abgehängt und ruht wie eine Membran über dem Saal, die ebenfalls schwingen kann. Für die Museen wiederum war die Beleuchtung von großer Bedeutung. So plante Carl Hasenauer das Kunsthistorische Museum so, dass das Licht von außen einfällt und zwei Glasschichten durchdringt, eine am Dach und ein Mattglas. Dazwischen befindet sich der eiserne Dachstuhl. Hier wird im Sommer die Übertemperatur abgefangen, denn durch das Mattglas dringt nur das Licht in die Säle, die Hitze wird nach außen geleitet. Über Jahrzehnte blieb das Tageslicht einzige Lichtquelle im Museum, weshalb es schloss, wenn es draußen dunkel wurde. Heute wird das Gebäude elektrisch beleuchtet. Das Palais Epstein ist unter anderem ein gutes Beispiel für ein modernes Sicherheitssystem. Um die Bank im Erdgeschoß vor Einbrüchen zu schützen, wurde eine Konstruktion geschaffen, mit der die Fenster mit Stahlplatten verbarrikadiert werden konnten. Diese Stahlplatten wurden mittels Seilzügen hochgekurbelt. 79

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Die Finanzierung der Ringstraße Damals wie heute litt der Staat an Budgetknappheit. Für die Finanzierung der Prachtstraße musste man sich daher etwas einfallen lassen. Die Lösung war einfach und zweckmäßig: Man machte sich das Repräsentationsbedürfnis des finanzkräftigen Großbürgertums zunutze. Jene Grundstücke im Bereich der abgetragenen Befestigungen und des Glacis, die an den von der Regierung verwalteten Stadterweiterungsfonds übertragen und nicht für die Errichtung öffentlicher Gebäude benötigt wurden, wurden parzelliert und an private Investoren verkauft, zum Teil zu überhöhten Preisen. Mit den daraus lukrierten Einnahmen konnten die öffentlichen Bauten finanziert werden. Man vermied damit nicht nur eine Belastung der Staatsfinanzen, es konnten sogar so hohe Einnahmen erzielt werden, dass der Stadterweiterungsfonds einen Überschuss erwirtschaftete. Den Käufern wiederum wurden 30 Jahre Steuerfreiheit auf die erworbenen Grundstücke zugesichert. Das Rathaus ist das einzige öffentliche Gebäude, das von der Stadt Wien geplant wurde. Da diese aber bei der gesamten Immobilientransaktion leer ausging, achtete sie entschieden darauf, dass die vorhandenen Erholungsräume zum großen Teil erhalten blieben. Daher verfügt die Wiener Innenstadt bis heute über großzügige Grünflächen wie den Rathauspark, den Volksgarten, den Burggarten und den Stadtpark. Auch Gustav Ritter von Epstein kaufte ein solches Grundstück, und zwar das teuerste „an der Bellaria“. Es liegt am höchsten 80

Punkt der Ringstraße, die dann auf beiden Seiten zum Donaukanal wieder abfällt, und in direkter Nachbarschaft zum damals noch zu erbauenden Parlamentsgebäude. Ursprünglich war das Areal dem Adelscasino zugedacht, das sicherlich über Kapital verfügte, dem aber der Preis zu hoch war. Als Baubeginn des Palais Epstein kann 1868 gelten, denn aus diesem Jahr stammen die ersten, bei der Baupolizei eingereichten Pläne.

Der Verlauf der Ringstraße und ihre bedeutendsten Gebäude

• Schottenring – vom Franz-Josefs-Kai bis zur Schottengasse Benannt 1870 nach dem ehemaligen Schottentor und der Schottenbastei (Schottenkloster). Bedeutendste Gebäude:

• •

Votivkirche (Rooseveltplatz) Börse

• Dr.-Karl-Lueger-Ring – von der Schottengasse bis zum Rathausplatz Benannt am 27. April 1934 nach dem Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger (1844–1910, Amtszeit 1897–1910). Ursprünglich wurde dieser Teil der Ringstraße als Franzensring bezeichnet, ab November 1919 hieß er Ring des 12. November.

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Bedeutendste Gebäude:

• • • •

Palais Ephrussi (gegenüber der Universität) Universität Wien Rathaus (Rathausplatz 1) Burgtheater

• Dr.-Karl-Renner-Ring – vom Rathausplatz bis zur Bellariastraße Benannt am 18. Juli 1956 nach Dr. Karl Renner, der sowohl erstes Staatsoberhaupt der Ersten Republik 1918 als auch erster Bundespräsident der Zweiten Republik 1945 war. Ursprünglich war dieser Abschnitt der Ringstraße Teil des Burgrings bzw. des Franzensrings (heute Dr.-Karl-LuegerRing), ab November 1919 hieß er Ring des 12. November (Tag der Ausrufung der Ersten Republik), ab April 1934 Dr.-Ignaz-Seipel-Ring (Bundeskanzler vom 31. Mai 1922 bis zum 20. November 1924 und vom 20. Oktober 1926 bis zum 4. Mai 1929), ab August 1940 Josef-Bürckel-Ring (nationalsozialistischer Gauleiter), ab April 1945 wieder Dr.-Ignaz-Seipel-Ring und ab Februar 1949 Parlamentsring.

• Burgring – von der Bellariastraße bis zur Eschenbachstraße Benannt 1863 nach dem dort anliegenden Hofburgareal. Bedeutendste Gebäude:

• • •

Naturhistorisches Museum Kunsthistorisches Museum Neue Hofburg (Heldenplatz)

• Opernring – von der Eschenbachstraße bis zur Kärntner Straße Benannt 1861 bzw. ab November 1919 nach der Staatsoper. In der Zwischenzeit (1917–1919) hieß dieser Teil der Ringstraße Kaiser-Karl-Ring. Bedeutendste Gebäude:

• • •

Akademie der bildenden Künste (Schillerplatz) Staatsoper Hotel Sacher (Philharmonikerstraße 4)

Bedeutendste Gebäude:

• • •

Parlament Palais Epstein Justizpalast (Schmerlingplatz)

• Kärntner Ring – von der Kärntner Straße bis zur Schwarzenbergstraße Benannt 1861 nach der in dieser Gegend gebräuchlichen topografischen Bezeichnung. 81

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In den Jahren 1917 bis November 1919 hieß dieser Abschnitt Kaiserin-Zita-Ring.

bis zum Dr.-Karl-Lueger-Platz

Bedeutendste Gebäude:

Benannt 1861 nach dem Stadtpark.

• Palais Todesco (Kärntnerstraße 51) • Hotel Bristol • Grand Hotel • Hotel Imperial • Musikverein

In den Jahren 1910 bis 1919 hieß dieser Abschnitt der Ringstraße Kaiser-Wilhelm-Ring.

• Schubertring – von der Schwarzenbergstraße bis zur Johannesgasse Benannt 1928 nach dem Komponisten Franz Schubert (1797–1828). Vorher hieß dieser Teil der Ringstraße Kolowratring. Leopold Graf Kolowrat-Krakowsky (1727–1809) war 63 Jahre lang leitender Staatsbeamter unter vier Monarchen, unter anderem österreichischer und böhmischer Vizekanzler, Hofkammerpräsident und Oberster Kanzler und Leiter der Vereinigten Hofstelle, also der Finanz- und politischen Verwaltung. Bedeutendste Gebäude:

• Akademisches Gymnasium (Beethovenplatz 1) • Palais Ludwig Victor (Schwarzenbergplatz 1) • Palais Wertheim (Schwarzenbergplatz 17) 82

• Parkring – von der Johannesgasse

Bedeutendste Gebäude:



Palais Henckel-Donnersmarck (heute Radisson SAS Palais Hotel Vienna)



Palais Leitenberger (heute Radisson SAS Palais Hotel Vienna)

• •

Kursalon Palais Erzherzog Wilhelm (Deutschmeisterpalais, heute Sitz der OPEC)

• Stubenring – vom Dr.-Karl-Lueger-Platz bis zur Urania Benannt 1867 nach dem ehemaligen Stubentor und der Stubenbastei. Bedeutendste Gebäude:

• • • •

Museum für angewandte Kunst Universität für angewandte Kunst Ehemaliges Kriegsministerium Postsparkasse (Georg-Coch-Platz)

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Vertreter der Ringstraßenarchitektur im Überblick Die für die Planung und Ausführung der Ringstraßenbauten verantwortlichen Architekten bildeten eine Gemeinschaft von Künstlern, die beruflich, aber teilweise auch familiär verbunden waren. Arbeiteten einige in Ateliergemeinschaften zusammen, so kannten einander andere durch die Lehrtätigkeit an Architekturhochschulen oder durch ein Lehrer-SchülerVerhältnis.

• Ludwig Christian Friedrich Ritter von Förster Als ältester an der Errichtung der Wiener Ringstraße beteiligter Architekt ist Ludwig Förster das Bindeglied zwischen der Architektur des Klassizismus und des Historismus. Theophil Hansen trat später in sein Atelier ein und errichtete mit ihm gemeinsam das Palais Todesco auf der Kärntner Straße. Hansen heiratete auch die Tochter Försters.

• Theophil Edvard Freiherr von Hansen Theophil Hansen zählt neben Friedrich Schmidt, Heinrich Ferstel und Carl Hasenauer zu den vier „Architekturbaronen“, die von Kaiser Franz Joseph I. aufgrund ihrer Verdienste in den Freiherrnstand erhoben wurden. Sein Hauptwerk ist das Parlamentsgebäude, weiters ist er der Architekt unter anderem des Palais Epstein, des Musikvereinsgebäudes, der Börse und der Akademie der bildenden Künste.

• Friedrich Freiherr von Schmidt Friedrich Schmidt wird als Erbauer des neuen Wiener Rathauses auch als „Gotiker“ der Wiener Ringstraße bezeichnet, obwohl er auch zahlreiche Mietshäuser im Renaissancestil errichtete. Als Dombaumeister von St. Stephan und auch bei der Fertigstellung der Stiftskirche von Klosterneuburg stellte er sein Können und Engagement in der Denkmalpflege unter Beweis.

• Heinrich Freiherr von Ferstel Heinrich Ferstel gilt als herausragender Vertreter des Historismus. Er ging nicht nur als Sieger aus dem Wettbewerb für den Bau der Votivkirche hervor, sondern arbeitete auch bis zu seinem Tod an dem Neorenaissancebau der Neuen Universität.

• Gottfried Semper und Carl Freiherr von Hasenauer Der Hamburger Gottfried Semper wurde von Kaiser Franz Joseph I. nach Wien geholt, um strittige Fragen bei der Planung des Kaiserforums an der Ringstraße zu klären. In Kooperation mit Carl Hasenauer errichtete er die Hofburg, die beiden Hofmuseen und das Burgtheater.

• Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg arbeiteten in einer Ateliergemeinschaft zusammen und unterrichteten an der Akademie der bildenden Künste, wo sie beide Lehrer von Otto Wagner waren. Sie zeichneten für den Bau der Wiener Staatsoper verantwortlich. 83

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Soziale Aspekte zur Bauzeit der Wiener Ringstraße La toute Vienne Die Eigentumsverhältnisse an der Wiener Ringstraße belegen sehr anschaulich den gesellschaftlichen Wandel. Unter den Oberschichtangehörigen, die sich an der Ringstraße angekauft hatten, gehörten nur etwa fünf Prozent dem Hochadel an. Die hier ansässigen Familien entstammten zum geringen Teil alteingesessenen Wiener Bürgerfamilien. Die meisten sind aus verschiedenen Teilen der Monarchie zugewandert, wie die Epsteins, aber es finden sich darunter auch Bürgerliche aus dem Deutschen Reich. Repräsentiert wurde nicht nur durch prachtvolle Palais, sondern auch in den Parks und Alleen der Ringstraßenzone, wo es strenge Reglements gab. Der Corso, der sich von der Oper bis zum Schwarzenbergplatz erstreckte, wurde zur Flaniermeile. Hier traf sich „la toute Vienne“. Auch Kaiser Franz Joseph stieg aus seiner Kutsche aus und mischte sich unters Volk, genauer gesagt, unter die Repräsentanten und Repräsentantinnen des Großbürgertums und des Adels. Karl Kraus hat dem „Ringstraßencorso“ und der „Sirk-Ecke“ in seinem lange Zeit als unaufführbar geltenden Stück „Die letzten Tage der Menschheit“ ein unvergessliches Denkmal gesetzt. Wer auf sich hielt, promenierte zur Mittagszeit über diesen Ringstraßenabschnitt und demonstrierte damit, nicht an vorgegebene Arbeitszeiten gebunden zu sein. Man pflegte soziale Kontakte, fädelte Heiratsverbindungen ein 84

und hatte vielleicht das Glück, von einem Mitglied des Kaiserhauses angesprochen zu werden, was den gesellschaftlichen Status weiter anhob. Die Zugehörigkeit zur sozialen Elite wurde durch Auftreten, distinguierte Umgangsformen und entsprechende Kleidung unterstrichen. Die gleichen Verhaltensmuster galten für die Parks, etwa für den Stadtpark mit dem Kursalon, und für die Kaffeehäuser an der Ringstraße. Die soziale Durchlässigkeit war in der Gesellschaft des Großbürgertums höher als beim Adel. Ausschlaggebend für den Aufstieg war in erster Linie der wirtschaftliche Erfolg, bei Verlust des Vermögens der Abstieg in den Mittelstand und verminderte Heiratschancen kaum vermeidbar.

Die soziale Hierarchie Das Kleinbürgertum promenierte nur am Sonntagnachmittag im „Sonntagsstaat“, einer an der Oberschicht orientierten Kleidung, an der Ringstraße. Die Vorherrschaft des Großbürgertums wurde akzeptiert, die soziale Distanz blieb trotz räumlicher Nähe immer spürbar. Oft wurde den kleinbürgerlichen Spaziergängern offene Missachtung entgegengebracht. Diese vertikale Hierarchie fand auch in den Wohnverhältnissen innerhalb der Palais ihren Ausdruck. Der erste Stock, die Beletage, blieb der Familie des Eigentümers vorbehalten und diente auch der Repräsentation. Die weiteren Stockwerke wurden vermietet, wobei die Wohnungsgrößen von Etage zu Etage

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ierenden Nationalversammlung und im späteren Nationalrat der Ersten Republik war daher die soziale Besserstellung der Hausbediensteten ein wesentliches Anliegen der ersten weiblichen Abgeordneten.

Drasche, der „Ziegelbaron“ Der Bau der Wiener Ringstraße und die Stadterweiterung brachten der Baubranche ungeheuren Aufschwung. Vor allem die Ziegelindustrie profitierte von der regen Bautätigkeit. Ein beredtes Beispiel für den wirtschaftlichen Erfolg in der Bauindustrie war Heinrich Drasche, der zum führenden „Ziegelbaron“ der Ringstraßenzeit avancierte. Wienerberger war eine Großindustrie und übte beinahe ein Monopol aus, das alles umfasste, was mit Ziegeln zu tun hatte. Die Wiener Ringstraße (Ringstraßencorso) (Österreichische Nationalbibliothek)

abnahmen und die Wohnungen meist auch über separate Stiegen erreichbar waren. Die schlechtesten Räumlichkeiten, niedrige und oft fensterlose, schlecht belüftete Kammern, wurden dem Dienstpersonal zugewiesen. Dabei handelte es sich meist um Frauen aus ländlichen Gebieten, die ihren Dienst ohne jeglichen arbeitsrechtlichen Schutz versehen mussten. Lange Arbeitszeiten, keine soziale Absicherung, völlige Abhängigkeit vom Dienstgeber – das war das Arbeitslos und Arbeitsleid dieser Leute. In der Konstitu-

Bereits beim Bau des Arsenals, einem reinen Ziegelbau, konnte Drasche die Leistungsfähigkeit seines Betriebs und die Qualität seiner Arbeit unter Beweis stellen. Dabei entwickelte sich auch die Partnerschaft mit Theophil Hansen. Als Teilhaber der Firma sorgte dieser auch dafür, dass das Monopol der Firma aufrechterhalten blieb. Der Erfolg zog auch viele Arbeiter/innen an, die ein besseres Leben erhofften. Viele kamen aus Böhmen, woher auch der Ausdruck „Ziegelböhm“ stammt. Der „Böhmische Prater“ im 10. Wiener Gemeindebezirk war zu Beginn nichts anderes als eine Vergnügungsstätte für diese Arbeiter/innen. Der Eintritt in den Betrieb war mit vielen Sozialleistungen verbunden. Es gab eigene Wohnungen, Krankenversorgungs85

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galt. Sie hatten somit kaum Möglichkeiten, ihren Lohn außerhalb des Betriebsareals auszugeben, und den Wert dieses Ersatzgeldes konnte Drasche selbst bestimmen. Dazu kommt, dass die Waren bei Wienerberger im Schnitt teurer waren als außerhalb.

Heinrichshof (Österreichische Nationalbibliothek)

stellen und Kindergärten. Das ganze Leben spielte sich innerhalb des Werksgeländes ab. Dafür nahm sich Wienerberger das Recht, das Leben der Arbeiter/innen nach puritanischen Gesichtspunkten zu regeln, was so weit ging, dass die Freizeitvergnügungen eingeschränkt waren. So war beispielsweise Kegelspielen verboten. Die Arbeiter/innen wurden großteils auch nicht in bar bezahlt, sondern mit „Blechmarkerln“, einem Ersatzgeld, das nur in den Einrichtungen des Betriebs 86

Heinrich Drasche kaufte auch ein Grundstück direkt gegenüber der Oper, auf dem er von Theophil Hansen ein prachtvolles Zinshaus errichten ließ, das seinen Namen trägt: Heinrichshof. Für Hansen bot sich damit die Gelegenheit, gegenüber der Oper – und damit gegenüber seinen Rivalen van der Nüll und Sicardsburg – einen repräsentativen Bau hinzustellen. Das gelang ihm auch, da die Oper der Dominanz dieses Gebäudes unterlegen war, was wiederum öffentliche Kritik an der Oper hervorrief. Der Heinrichshof galt als schönstes Mietshaus, das an Luxus alles bisher Dagewesene übertraf. Im Café im Erdgeschoß verkehrten Musiker wie Franz Lehár und Emmerich Kálmán sowie die großen Opernsängerinnen und Opernsänger. Die Bomben, die am 12. März 1945 auf Wien fielen, beschädigten das Gebäude schwer. Da es nicht unter Denkmalschutz stand, wurde es auf Wunsch der Erben Drasches abgerissen. Heute steht an seinem Platz der wenig attraktive Opernringhof. Das Los der Bauarbeiter/innen Die Schattenseite des Baubooms war das Los der Bauarbeiter/innen, die in erster Linie als Wanderarbeiter/innen aus Böhmen, Mähren, dem niederösterreichischen Waldviertel und aus Westungarn, dem heutigen Burgenland, in überfüllten

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Zügen nach Wien kamen. Sie suchten während der Sommermonate in der Residenzstadt Wien Arbeit und kehrten mit Winterbeginn wieder in ihre Heimat zurück. Während dieser Zeit mussten vielfach die Frauen und Kinder die Arbeit in den kümmerlichen Anwesen zu Hause allein bewerkstelligen. Oft machten sich aber auch ganze Familien auf den Weg nach Wien, um auf den Baustellen Arbeit zu finden. Weil Arbeitskräftemangel herrschte, stellte man oft ungelernte Hilfskräfte an, was die Sicherheit auf den Baustellen verminderte. Durch die Beschäftigung von Arbeitern/-innen, die nicht deutsch sprachen, unterliefen die Firmen auch jene Standards, die österreichische Arbeiter/innen mühsam erkämpft hatten, ein Phänomen, das auch heute nicht unbekannt ist. Tägliche Arbeitszeiten von 14 und 15 Stunden, harte körperliche Tätigkeit und Mangelernährung führten zu schweren gesundheitlichen Schäden. Bauarbeiter/innen mussten oft bis zum Zusammenbruch arbeiten, auch das Risiko tödlicher Unfälle war hoch, was in der Öffentlichkeit allerdings kaum Beachtung fand. Zur körperlichen Ausbeutung kamen niedrige Entlohnung und katastrophale Wohnbedingungen in Massenquartieren, die den Familien keine Privatsphäre erlaubten. Es gab viele „Bettgeher“, das waren Menschen, die keine eigene Wohnung hatten und ein schlechtes Quartier mit anderen Bettgehern teilten. Kinder mussten oft schon mit zwölf Jahren arbeiten, obwohl Kinderarbeit gesetzlich verboten war. Aber die familiären Verhältnisse machten das Mitverdienen notwendig, und die Firmen hatten nichts gegen noch billigere Arbeitskräfte.

War die Situation schon während der Sommerzeit trist, so verschärfte sich die Lage im Winter, wenn es zu wenig Arbeit gab. Hunger war der ständige Begleiter dieser Menschen. Auch wenn man ein bisschen für den Winter sparen konnte, war dies armselig genug. Nahrung lieferten vielleicht ein bis zwei Ziegen, eine Kuh oder ein selbst gefüttertes Schwein. Manche Männer fanden Gelegenheitsarbeiten als Holzfäller oder Treiber bei einer Jagd. Nur wenige hatten das Glück, auch über die kalte Jahreszeit als Maurer beschäftigt zu sein, dies wurde aber von den Unternehmern ausgenützt. Sobald sich Arbeiter/innen gegen unzumutbare Zustände wehrten, wurden sie entlassen. Wer in der Stadt sesshaft war, war noch schlimmer dran. Für feuchte Wohnungen am Dachboden oder im Keller wurde hoher Zins verlangt. Die Kohle war so teuer, dass es sich die Leute kaum leisten konnten zu heizen. Die Wohnungen wurden oftmals mit anderen Mietern geteilt. Manchmal reichte der Lohn nicht aus, um ausreichend Grundnahrungsmittel zu kaufen, auch wenn die Frauen ein bisschen dazuverdienen konnten. An Sonn- und Festtagen wurde ab und zu Fleisch gegessen, aber dann Pferdefleisch. Der Börsenkrach von 1873 und der darauf folgende Niedergang der Bautätigkeit führte zu Arbeitslosigkeit. Viele konnten sich nur durch Notstandsarbeiten recht und schlecht über Wasser halten. Die Gründung der Sozialdemokratie in Österreich 1888 hatte nicht unmittelbar mit dem Bau der Ringstraße zu tun, aber durch die schlechten Arbeitsbedingungen entstand eine Dynamik, die nicht mehr aufzuhalten war. 87

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Die Gebäude der Ringstraße wurden im Stil des Historismus errichtet. Der Historismus ist ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, bei dem man auf ältere Stilrichtungen zurückgriff und diese nachahmte.

Votivkirche

• Architekt: Heinrich Ferstel • Bauzeit: 1856 bis 1879 • Stil: Neugotik • Standort: IX. Bezirk Alsergrund, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität Wien Votivkirche (Foto Elmar Bertsch)

Die Votivkirche wurde als Votivgabe (Dankgeschenk) der Völker der Monarchie als Dank dafür errichtet, dass das Attentat auf den jungen Kaiser Franz Joseph vom 18. Februar 1853 durch den ungarischen Schneidergesellen Janos Libényi fehlgeschlagen ist. Libényi wurde verurteilt und gehenkt. Der bekannt bösartige Wiener Volksmund dichtete damals: „Aber es geschieht ihm schon recht – wieso sticht er so schlecht?“ Das Kaiserhaus plante die Votivkirche ursprünglich als habsburgisches Pantheon mit Heldendenkmälern davor. Aber eine solche Idee entsprach nicht mehr der gesellschaftlichen Entwicklung, sodass man sie wieder fallen ließ. Nur auf den Turmspitzen der Votivkirche sitzt statt des üblichen Kreuzes die rudolphinische Kaiserkrone, ein letztes Relikt einer Auffassung vom Kaisertum als höchster weltlicher Hüter der katholischen Kirche. Franz Josephs Bruder, Erzherzog Ferdinand Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, rief „zum Dank für die Errettung Seiner Majestät“ zu Spenden für eine neue Kirche auf. Diesem Aufruf folgten rund 300.000 Bürger. Dennoch reichten die Spendengelder nicht aus und mussten durch eine hohe Subvention der Stadt Wien ergänzt werden. Nach 23 Jahren Bauzeit konnte die Votivkirche am 24. April 1879 anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares geweiht werden. Auf Anordnung des Kaisers war sie bis 1918 die katholische Garnisonskirche Wiens. Sie gilt als eines der bedeutendsten neugotischen Sakralbauwerke der Welt.

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Börse (Frieda Rustler Gebäudeverwaltung)

Neue Börse

• Architekt: Theophil Hansen • Bauzeit: 1874 bis 1877 • Stil: Neorenaissance • Standort: Schottenring 16 Von 1860 bis zum Einzug in das neue Börsegebäude war sie gemeinsam mit der Nationalbank im Palais Ferstel untergebracht. 92

Die Wiener Wertpapierbörse ist eine der ältesten Börsen der Welt. Auf Basis des Börsenpatents von Kaiserin Maria Theresia nahm sie mit Datum vom 1. September 1771 den Handel auf. Zunächst wurden nur Anleihen, Wechsel und Devisen gehandelt, der Aktienhandel wurde erst 1818 aufgenommen. In der sogenannten Gründerzeit (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) begünstigte eine liberale Wirtschaftspolitik übereilte und zum Teil unsolide Unternehmensgründungen. Hemmungslose Spekulationen in Zusammenhang mit der Wiener Weltausstellung (Eröffnung 1. Mai 1873) führten zum Börsenkrach vom 9. Mai, der eine schwere Rezession zur Folge hatte. Etwa die Hälfte der Aktiengesellschaften verschwand wieder vom Kursblatt, für viele bedeutete dies den finanziellen Ruin. Es dauerte Jahre, bis sich der Aktienmarkt der Wiener Börse von diesem Rückschlag wieder erholt hatte. Im Dezember 1997 wurde die Wiener Wertpapierbörse mit der Österreichischen Termin- und Optionenbörse (ÖTOB) zur neuen Wiener Börse AG fusioniert. Sie ist seit 1999 voll privatisiert und die einzige Wertpapierbörse Österreichs. Die Börse übersiedelte im Jänner 1998 in Räumlichkeiten in der Strauchgasse und Wallnerstraße. Das Börsegebäude selbst steht heute im Besitz einer Privatstiftung und wird für Events vermietet.

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Universität im damaligen Heiligen Römischen Reich und die älteste im deutschen Sprachraum. Um 1450 war sie die größte Universität des Reiches mit rund 6.000 Studenten, doch die Türkenbelagerung sowie die Glaubensspaltung führten zu ihrem Niedergang. Ferdinand I. versuchte gegenzusteuern und berief den Jesuitenorden, um die Universität zu einem katholischen Bollwerk auszubauen. Die Jesuiten behielten rund 150 Jahre ihre dominierende Stellung, und die Universität verzeichnete wieder steigende Studentenzahlen.

Universität Wien (Universität Wien)

Universität Wien

• Architekt: Heinrich Ferstel • Bauzeit: 1873 bis 1884 • Stil: italienische Renaissance • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 1 Die Universität Wien wurde am 12. März 1365 von Herzog Rudolf IV. gemeinsam mit seinen Brüdern Albrecht III. und Leopold III. gegründet. Daher kommt der Name „Alma Mater Rudolphina“. Sie ist somit nach der Karls-Universität in Prag die zweitälteste

Die mittelalterliche Universität war im sogenannten Stubenviertel der Wiener Innenstadt angesiedelt, in dem sich noch heute das Jesuitenkollegium mit der Universitätskirche befindet. In den Jahren 1753 bis 1755 ließ Maria Theresia ein neues Hauptgebäude unmittelbar neben dem Jesuitenkollegium errichten, heute Sitz der Akademie der Wissenschaften. Maria Theresia und vor allem Joseph II. drängten den Einfluss der Jesuiten gänzlich zurück, weil diese die weltlichen Fakultäten zu sehr vernachlässigten, die Universität wurde dem Staat unterstellt. Nach der Revolution von 1848, die sich auch gegen die Einschränkung der Lehr- und Lernfreiheit richtete, verankerte Unterrichtsminister Leo Thun-Hohenstein die Lehr- und Lernfreiheit. Der Artikel 17 im Staatsgrundgesetz („Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“) geht auf diese Bestrebungen zurück. Die ersten Frauen nahmen im Jahr 1897 zunächst einmal an der philosophischen Fakultät ihr Studium als ordentliche Hörerinnen auf. Die restlichen Fakultäten folgten mit einiger 93

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Verzögerung in den nächsten 25 Jahren. Nur an der katholischtheologischen Fakultät wurden Frauen erst 1946 zugelassen. Die Universität Wien erhielt im Jahr 2002 eine neue Organisationsstruktur, womit Rechtsfähigkeit und Autonomie verbunden waren. Sie beherbergt 18 Fakultäten, die medizinische Fakultät wurde als Medizinische Universität Wien ausgegliedert. Den Auftrag zum Bau des neuen Universitätsgebäudes erhielt Heinrich von Ferstel ohne Ausschreibung.

Palais Ephrussi

• Architekt: Theophil Hansen • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 14 Palais Ephrussi (Casinos Austria)

Das Palais Ephrussi wurde in den Jahren 1872 und 1873, wie die meisten Palais, als Zinshaus konzipiert, mit Verkaufslokalen im Erdgeschoß, einer prachtvollen Beletage, die nur für die Familie Ephrussi über eine repräsentative Stiege erreichbar war, sowie mit Mietwohnungen in den weiteren drei Stockwerken. Bauherr war der aus Odessa stammende Bankier und Großkaufmann Ignaz Ritter von Ephrussi, einer der reichsten Bürger Wiens. Das Bankhaus Ephrussi & Comp. war wahrscheinlich noch größer als jenes der Epsteins. Dennoch ist die Familie Ephrussi in Wien kaum in Erinnerung geblieben. Ihr Glanz verblasste nach dem Ersten Weltkrieg, die Bank war bald darauf bankrott. Victor Ephrussi, der Sohn von Ignaz Ephrussi, musste mit beinahe 80 Jahren noch die Verfolgung durch die Nazis erleiden, gemeinsam mit seinem Sohn wurde er von der Gestapo verhaftet. Er verlor alles und emigrierte nach England, wo er auch starb. Seit 1969 ist das Palais im Besitz der Casinos Austria AG, die hier ihren Firmensitz hat.

Burgtheater

• Architekten: Gottfried Semper und Carl Hasenauer • Bauzeit: 1874 bis 1888 • Stil: Neobarock • Standort: Dr.-Karl-Lueger-Ring 2 94

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ebenso uraufgeführt wie Opern von Gluck, Beethoven und Mozart.

Burgtheater (Foto Georg Soulek)

Das Burgtheater zählt zu den ältesten und bedeutendsten Bühnen Europas und ist noch immer das größte Sprechtheater im deutschen Sprachraum. Seine Geschichte begann vor rund 250 Jahren, also lange bevor das repräsentative Gebäude am Ring bezogen wurde. Damals gab Maria Theresia die Erlaubnis, ein an die Hofburg angrenzendes Ballhaus (am heutigen Michaelerplatz) als Theater umzufunktionieren (hier wurde das Jeu de Paume – ein Vorläufer des Tennis – gespielt; ein neues Ballhaus wurde in unmittelbarer Nähe errichtet und gab dem heutigen Ballhausplatz seinen Namen). Aus diesem „Theater nächst der Burg“, das bald zu Wiens beliebtestem Theater wurde, entwickelte sich eine der ersten Adressen für deutschsprachige Schauspielkunst. Werke von Grillparzer wurden dort

Am 17. Februar 1776 erklärte Kaiser Joseph II. das Theater zum „Teutschen Nationaltheater“. Ab 1794 trug es den Namen „k.k. Hoftheater nächst der Burg“. Unter dem berühmten Direktor Joseph Schreyvogel wurde Deutsch statt Französisch und Italienisch als neue Bühnensprache eingeführt. Die Habsburger betrachteten das Theater in erster Linie als Stätte zur privaten Erheiterung des Kaisers und seiner Familie, dessen Betrieb sie auch aus ihrer Privatschatulle bezahlten. Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin musste daher auch zu einem Antrittsbesuch beim Kaiser erscheinen. Es ist daher erstaunlich, dass es Gottfried Semper gelang, Franz Joseph davon zu überzeugen, das neue Hofburgtheater aus dem geplanten Kaiserforum herauszulösen und an seinem heutigen Standort zu errichten. Im Oktober 1888 übersiedelte das Theater in das neue Haus am Ring. Das Innere schmücken Gemälde von Gustav Klimt (z. B. Deckengemälde „Das Theater von Taormina“ über der Erzherzogstiege). An der Außenfassade befinden sich Porträtbüsten von Calderon, Shakespeare, Molière, Schiller, Goethe, Lessing, Halm, Grillparzer und Hebbel. Das neue Theater bot im Gegensatz zu den alten, engen Spielstätten ein weites Foyer, prachtvolle Pausenräume und einen herrlichen Blick auf die Ringstraße. Die Schauspieler/innen waren nicht so glücklich. Hugo Thimig hielt in seinem Tagebuch fest: „Es spricht sich wie am Meeresstrand, ins Endlose ... Alles ist verzweifelt über die 95

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Schwerfälligkeit des neuen Bühnenapparats“. Alle mussten wild gestikulieren und laut schreien, damit das Publikum sie wahrnehmen konnte. Das legendäre Burgtheaterdeutsch ist daher nichts anderes als eine schauspielerische Kompensation der akustischen Schwächen. Das Theater wies aber auch bauliche Mängel auf. Die Logenwände waren wegen der Feuergefahr lackiert, sodass die Wiener bald von „Badekabinen“ sprachen. Das Ensemble beauftragte aufgrund all dieser Imponderabilien Katharina Schratt, beim Kaiser für einen Umbau zu intervenieren, der dann auch stattfand und im Herbst 1897 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Das Burgtheater ging sogar in die Kriminalgeschichte ein, nachdem am 8. Mai 1925 ein bulgarischer Student ein Revolverattentat auf den Mazedonier Todor Panitza verübte. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden jüdische Schauspieler/innen entlassen oder verhaftet, der Spielplan und die Inszenierungen bedienten die NS-Ideologie. Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg beschädigten das Burgtheater schwer, es brannte fast völlig aus. Um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können, wurde nach 1945 das Ronacher als Ausweichquartier benützt. Die Schauspieler/innen konnten erst im Oktober 1955 an die alte Spielstätte am Ring zurückkehren. Diese war in der Zwischenzeit umfassend renoviert und wiederhergestellt worden. Eine neue Ära im Burgtheater wurde unter der Direktion von Claus Peymann in den Jahren 1986 bis 1999 eingeleitet. Er 96

brachte zahlreiche Uraufführungen der Stücke von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sowie von Thomas Bernhard auf die Bühne. Sein Nachfolger Klaus Bachler wird im Herbst 2009 von Matthias Hartmann als Leiter des Theaters abgelöst. Das Burgtheater ist heute eine GesmbH. Zu ihm gehören seit dem Jahr 1922/1923 das Akademietheater und seit einigen Jahren auch das Kasino am Schwarzenbergplatz als Spielstätte für Gegenwartsstücke und Spezialprojekte sowie das Vestibül im Burgtheatergebäude als Studiobühne. Gemeinsam mit der Staatsoper und der Volksoper sind Burgtheater und Akademietheater in der Bundestheater Holding GmbH zusammengefasst. Der Bundestheaterkonzern ist der größte Theaterkonzern der Welt.

Wiener Rathaus

• Architekt: Friedrich Schmidt • Bauzeit: 1872 bis 1883 • Stil: Neugotik • Standort: Rathausplatz 1 Das Wiener Rathaus ist Amtssitz des Bürgermeisters sowie Tagungsort des Gemeinderats bzw. des Landtags. Über den Bauplatz des neuen Rathauses gab es große Meinungsverschiedenheiten. Das Areal, auf dem heute die Universität, das Rathaus und das Parlament stehen, diente ursprünglich als Paradeplatz, und der Kaiser war zunächst auch gegen eine zivile Nutzung.

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Der Turm in der Mitte des Gebäudes ist 97,9 Meter hoch. Darauf steht ein Wiener Wahrzeichen, der sogenannte „Eiserne Rathausmann“, ein Standartenträger in Rüstung, 3,5 (mit Fahne 5,4) Meter hoch. Beachtenswert ist auch der Festsaal des Rathauses mit einer Länge von 71 und einer Breite von 20 Metern. Er zählt zu den schönsten und größten Sälen an der Wiener Ringstraße und wird gerne für Großveranstaltungen und Bälle genutzt, etwa für den schon traditionellen Life Ball. Die Statuen auf dem Rathausplatz standen ursprünglich auf der Elisabethbrücke über dem Wienfluss im Bereich des heutigen Karlsplatzes. (Die Elisabethbrücke, erbaut von Ludwig Förster, wurde 1897 im Zuge der Regulierung des Wienflusses abgebrochen.) Die Figuren stellen historische Persönlichkeiten dar, deren Wirken große Bedeutung für Wien hatte: Rathaus (Foto: Media Wien)

Es kostete den damaligen Bürgermeister Cajetan Felder viel Mühe und Standhaftigkeit, dem Kaiser diesen Bauplatz für die Stadt Wien abzuringen.

Babenberger Herzog Heinrich II. Jasomirgott (1141–1177): Er erhob Wien zu seiner Residenz, eine wichtige Urkunde aus seiner Zeit ist das Privilegium Minus.

Das alte Rathaus befindet sich in der Wipplingerstraße. Aufgrund der stark steigenden Einwohnerzahl Wiens und der Ausweitung der eingemeindeten Flächen im 19. Jahrhundert wurde es jedoch bald zu klein.

Babenberger Herzog Leopold VI. der Glorreiche (1198–1230): Unter ihm erhielt Wien 1221 das Stadtrecht, das babenbergische Österreich erreichte zu seiner Zeit höchstes Ansehen.

Das neue Rathaus ist der bedeutendste nicht kirchliche Bau Wiens im neugotischen Stil. Der Architekt knüpfte an die Tradition flämischer Rathäuser und damit an die mittelalterliche Tradition städtischer Freiheit an.

Rudolf IV. der Stifter (1358–1365): Zu seinen Verdiensten zählen der Ausbau von St. Stephan, die Gründung der Universität Wien und das Privilegium Maius. 97

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Niklas Graf Salm Er war der Verteidiger Wiens bei der Ersten Türkenbelagerung 1529. Rüdiger Graf Starhemberg Er verteidigte die Stadt bei der Zweiten Türkenbelagerung 1683. Johann Bernhard Fischer von Erlach Der Architekt des Barock wurde berühmt mit Bauten wie Schloss Schönbrunn und der Karlskirche. Leopold Karl von Kollonitsch Der Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn organisierte nach der Zweiten Türkenbelagerung die Betreuung von Waisenkindern und gründete die ersten Militärspitäler.

Justizpalast

• Architekten: Alexander Wielemans, Edler von Monteforte • Bauzeit: 1875 bis 1881 • Stil: Neorenaissance • Standort: Schmerlingplatz 1 Kaiser Franz Joseph I. ordnete „in steter Fürsorge für die Bedürfnisse der Rechtspflege und der Recht suchenden Bevölkerung“ den Neubau des Justizpalastes zur Unterbringung der in Wien ansässigen Gerichtshöfe an. Das Haus hatte seitdem eine bewegte Geschichte.

Joseph von Sonnenfels Als Anhänger der Aufklärung reformierte er die Verwaltung unter Maria Theresia.

Parlament Siehe Broschüre „Neu Zusammen Geführt“.

Palais Epstein Nähere Ausführungen in dieser Broschüre. 98

Justizpalast (Foto Manfred Seidl)

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Der Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 hat die Geschichte der Ersten Republik entscheidend geprägt. Bei einem Zusammenstoß zwischen Angehörigen des sozialdemokratischen „Republikanischen Schutzbundes“ und der aus antidemokratischen wie antisemitischen Kräften des nationalsozialistischen, großdeutschen und auch christlichsozialen Lagers zusammengesetzten „Frontkämpfervereinigung“ wurden zwei Unbeteiligte erschossen und fünf Schutzbündler verletzt. Im sogenannten „Schattendorfer Urteil“ vom 14. Juli 1927 wurden die drei angeklagten Frontkämpfer freigesprochen, was zu heftigen Zusammenstößen zwischen der großteils sozialdemokratisch orientierten Arbeiterschaft und der Staatsmacht führte. Die Polizei unter dem damaligen Polizeipräsidenten Johann Schober schoss wild in die Menge, dabei kamen 89 Demonstranten/-innen und vier Polizisten ums Leben, zusätzlich gab es rund 660 Schwer- und etwa 1.000 Leichtverletzte. Der Justizpalast wurde von der aufgebrachten Menge in Brand gesetzt. Im Zuge des Wiederaufbaus erhielt das Gebäude ein zusätzliches Stockwerk. Von 1945 bis 1955 beherbergte der Justizpalast die Interalliierte Kommandantur Wiens. Heute sind im Justizpalast der Oberste Gerichtshof, die Generalprokuratur, das Oberlandesgericht, die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien untergebracht. Bemerkenswert ist die große Zentralhalle oder Aula, ein dreigeschoßiger, mit Glas gedeckter Arkadenhof, der von einer überdimensionalen Statue der Justitia mit vergoldetem Schwert und Gesetzbuch dominiert wird.

Kunsthistorisches Museum und Naturhistorisches Museum

• Architekten: Gottfried Semper und Carl Hasenauer • Bauzeit: 1871 bis 1891 bzw. 1889 • Stil: italienische Renaissance • Standort: Burgring 7 Sowohl das Naturhistorische Museum als auch das Kunsthistorische Museum zählen zu den bedeutendsten und größten Museen der Welt. Zwischen den beiden Museen befindet sich das Maria-Theresien-Denkmal. Im Naturhistorischen Museum werden heute rund 20 Millionen Objekte wissenschaftlich betreut. Eine programmatische Inschrift über dem Haupteingang des Gebäudes macht die auch heute noch gültige Bestimmung des Museums deutlich: „Dem Reiche der Natur und seiner Erforschung“. Den Grundstein der Sammlung legte Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias und ein leidenschaftlicher Sammler. Er kaufte etwa um 1750 die damals größte und berühmteste Naturaliensammlung der Welt von dem Florentiner Gelehrten Johann Ritter von Baillou. Sie bestand aus rund 30.000 Objekten, darunter seltene Fossilien, Schnecken, Muscheln und Korallen sowie kostbare Mineralien. Im Gegensatz zu vielen anderen fürstlichen Wunderkammern der Zeit war diese Kollektion bereits nach wissenschaftlichen Kriterien 99

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Naturhistorisches Museum (Naturhistorisches Museum)

Kunsthistorisches Museum (Kunsthistorisches Museum)

geordnet. Franz Stephan gab für naturwissenschaftliche Sammlungsstücke enorme Summen an Geld aus, gründete 1752 die Menagerie in Schönbrunn, 1753 den Botanischen Garten und ließ auch die erste wissenschaftliche Expedition nach Übersee ausrüsten.

parierte Giraffe ein Loch in den Plafond schlagen musste, weil kein Raum hoch genug war, um sie unterzubringen.

Die Sammlungen waren im Laufe der Geschichte so umfangreich geworden, dass die Räumlichkeiten in der Hofburg nicht mehr ausreichten und ein Neubau an der Ringstraße geplant wurde. Wie unerträglich der Zustand für die Verwahrung der Objekte war, zeigt sich an der Anekdote, dass man für die prä100

Ein imposantes Detail des Neubaus ist die etwa 60 Meter hohe Kuppel. Sie wird vom griechischen Sonnengott Helios als Symbol für das Licht bekrönt. Die steinernen Statuen berühmter Wissenschaftler auf der Dachbalustrade und im prunkvollen Stiegenhaus und Stuckdekoration im Inneren versinnbildlichen die geschichtliche Erschließung der Welt und des Kosmos. Das Kunsthistorische Museum beherbergt die von den Habsburgern über Jahrhunderte zusammengetragenen Kunst-

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schätze. Acht verschiedene Sammlungen umfassen Objekte vom alten Ägypten bis zur Neuzeit um etwa 1800. Besondere Schwerpunkte liegen in der Kunst der Renaissance und des Barock. Der hohe Rang der Sammlungen und ihre Vielfalt sind zum Großteil das Resultat der Vorlieben und Interessen von Persönlichkeiten aus dem Hause Habsburg. Zur Sammlung im Museumsgebäude selbst gehören die Gemäldegalerie, die Ägyptisch-Orientalische Sammlung, die Antikensammlung, die Kunstkammer und das Münzkabinett; in der Neuen Burg das Ephesos-Museum, die Sammlung alter Musikinstrumente und die Hofjagd- und Rüstkammer; die Schatzkammer im Schweizerhof in der Hofburg sowie die Wagenburg und das Monturdepot im Schloss Schönbrunn. Das Schloss Ambras in Innsbruck ist als eigenständiges Museum ebenfalls dem Kunsthistorischen Museum zugeordnet. Seit Jänner 2001 sind dem Haus auch das Völkerkundemuseum und das Österreichische Theatermuseum im Palais Lobkowitz angegliedert. Bevor die Kunstsammlungen des Kaiserhauses im heutigen Museumsgebäude untergebracht wurden, waren sie über Jahrhunderte hinweg an verschiedenen Orten und unter beengten räumlichen Bedingungen verstreut. Kaiser Franz Joseph I. wollte dieser „kulturellen Misslichkeit“ ein Ende bereiten und nach dem Beispiel anderer Städte einen prunkvollen Museumsbau errichten.

Auch beim Kunsthistorischen Museum versinnbildlichen Außenarchitektur und Innenraum eine Programmatik. Die Fassade illustriert in ihrem Aufbau die Bedingungen, die ein Kunstwerk bestimmen: das Materielle im Parterre, das Kulturhistorische im Hauptgeschoß und als Krönung das Individuelle durch die Statuen der großen Künstler auf der Attika beziehungsweise der Balustrade. Im Inneren beeindrucken das Eingangsvestibül, das große Stiegenhaus und die zentrale Kuppelhalle.

Neue Hofburg

• Architekten: Gottfried Semper und Carl von Hasenauer, Emil Förster, Friedrich Ohmann, Ludwig Baumann

• Bauzeit:1881 bis 1926 • Stil: Neobarock • Standort: Heldenplatz Die Neue Hofburg ist die letzte große Erweiterung des gesamten Hofburgareals. Semper und Hasenauer planten zunächst ein Kaiserforum, eine zweiflügelige Anlage über die Ringstraße hinweg, mit dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum als Flanken und den Hofstallungen Fischer von Erlachs

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ter als etwa Otto Wagner oder Adolf Loos, und er verstand sich als Gegenpart zu den Erneuerern. Aber auch unter Franz Ferdinand entwickelte sich der Baufortschritt wegen Geldmangels nicht so, wie geplant. Die Arbeiter/innen, die mit gewerkschaftlicher Unterstützung Verbesserungen einforderten und zum Beispiel erfolgreich die Festsetzung eines Mindestlohns erreichten, bereiteten den Bauherrn zusätzlich Verdruss. Schließlich führte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu weiteren Hindernissen, sodass der Bau erst 1926 zu Ende geführt werden konnte.

Neue Hofburg (Österreichische Nationalbibliothek)

als Abschluss. Vollendet wurde nur etwa ein Drittel des Gesamtplans, nämlich die Neue Hofburg, die beiden Museen und die Stallungen, das heutige Museumsquartier. Die Planungen für das Kaiserforum überstiegen die vorhandenen Geldmittel, und nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths 1898 in Genf schloss Kaiser Franz Joseph endgültig mit dem Bauprojekt ab. Er löste das Hofbaukomitee auf und überantwortete das Projekt seinem Thronfolger Franz Ferdinand, der dem Architekten Ludwig Baumann die Bauleitung über die Neue Hofburg übertrug. Baumann war zur damaligen Zeit anerkann102

Heute beheimatet die Neue Hofburg die Lesesäle der Nationalbibliothek sowie das Museum für Völkerkunde und Teile des Kunsthistorischen Museums (Ephesos Museum, Hof-, Jagd- und Rüstkammer). In der Verbindung zum alten Teil liegt das 1958 geschaffene Kongresszentrum. Auf dem Heldenplatz, dem freien Gelände vor der Hofburg, stehen die Reiterstatuen der beiden bedeutendsten Feldherren, Prinz Eugen von Savoyen und Erzherzog Karl. Politisch bedeutend wurde der Heldenplatz am 15. März 1938, als Adolf Hitler vom Balkon der Neuen Hofburg, der zum Heldenplatz schaut, den „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich verkündete.

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Exkurs zum Hofburgareal Die Bauten der Hofburg gehen bis auf das 13. Jahrhundert zurück. Die Babenberger residierten vorher am Platz „Am Hof“.

• Das älteste Burggebäude ist der Schweizerhof mit dem Schweizertor, hier sind heute Schatzkammer und Burgkapelle zu sehen.

• In der Stallburg, die zwar nicht mit der Hofburg verbunden ist, aber zum Komplex gehört, ist die Spanische Hofreitschule untergebracht.

• Gegenüber der Stallburg wurde von Johann Bernhard Fischer von Erlach in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Joseph Emanuel die Winterreitschule eröffnet, die im Revolutionsjahr 1848 Tagungsort der ersten österreichischen parlamentarischen Vertretung (konstituierender Reichstag) war.

• Auf der Seite des Josefsplatzes liegt die Hofbibliothek mit dem Prunksaal der Nationalbibliothek, die von Johann Bernhard Fischer von Erlach begonnen und von seinem Sohn fertiggestellt wurde.

• Das äußere Burgtor wurde von Peter Nobile nach Plänen von Luigi Cagnola errichtet. Ursprünglich war es als Denkmal für die Völkerschlacht bei Leipzig gegen Napoleon 1813 konzipiert. 1933/1934 wurde es zum Heldendenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs umgestaltet. 1945 kam ein Ehrendenkmal für die österreichischen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus hinzu. An der dem Heldenplatz zugewandten Seite ist in lateinischer Sprache der Wahlspruch Kaiser Franz I. zu lesen: „Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Herrschaft.“

• Die Amalienburg gegenüber dem Schweizerhof ist nach der Witwe Kaiser Josephs I. benannt.

• Mit beiden verbunden ist der Leopoldinische Trakt, der unter Kaiser Leopold I. um 1660 erbaut wurde. Dieser beherbergt heute die Amtsräume des Bundespräsidenten. Gegenüber steht der Reichskanzleitrakt, wo sich zuletzt die Appartements Kaiser Franz Josephs I. befanden. Die Kaiserappartements sind dort genauso zu besichtigen wie das Sisi-Museum und die Silberkammer.

• Zwischen Winterreitschule und Reichskanzleitrakt erstreckt sich der Michaelertrakt. 103

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ANHANG: DIE WICHTIGSTEN BAUTEN DER WIENER RINGSTRASSE UND IHRE ARCHITEKTEN IM DETAIL

Akademie der bildenden Künste

• Architekt: Theophil Hansen • Bauzeit: 1872 bis 1877 • Stil: Neorenaissance • Standort: Schillerplatz 3 Die Akademie der bildenden Künste ist die älteste Kunstakademie Mitteleuropas. Sie beherbergt eine der ältesten und bedeutendsten Bibliotheken für Kunst und Architektur in Österreich mit einem Sammlungsbestand von rund 110.000 Bänden. Das Kupferstichkabinett ist mit etwa 150.000 Zeichnungen und Druckgrafiken (mit Werken Dürers, Rembrandts und vieler anderer) nach der Albertina die größte und bedeutendste Sammlung dieser Art in Österreich. Die Gemäldegalerie, Wiens älteste öffentlich zugängliche Bildergalerie, wurde ursprünglich als Vorbildsammlung von Aufnahme- oder Preisstücken zu Studienzwecken konzipiert. Heute verfügt die Akademie über den Status einer Kunstuniversität, an der so berühmte Künstler wie Fritz Wotruba und Clemens Holzmeister tätig waren. Sie versteht sich als internationales Experimentierfeld zeitgenössischer Kunst und Architektur und als Ort der Begegnung von Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst. Die an aktuellen Diskussionen und Positionen orientierte Ausbildung trägt zum internationalen 104

Akademie der bildenden Künste (Foto Roland Icking)

Erfolg der Absolventen und Absolventinnen bei, ein Beispiel ist Valie Export. Die Akademie der bildenden Künste hat ihre Wurzeln in der vom Hofmaler Peter Strudel im Jahr 1692 eröffneten privaten Kunstschule, der ersten allgemeinen Ausbildungsstätte für Künstler außerhalb der Zunftordnungen. Der Name der berühmten Strudelhofstiege im 9. Wiener Gemeindebezirk, der Heimito von Doderer mit seinem Roman ein so eindrucksvolles literarisches Zeugnis gesetzt hat, geht ebenfalls auf Strudel zurück.

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Zwischen 1812 und 1850 fungierte die Kunstschule auch als „Kunstbehörde der Nation“. 1872 wurde sie zur Kunsthochschule erhoben und bald in dem von Theophil Hansen errichteten Gebäude untergebracht. Die Bedeutung der Akademie für das künstlerische Schaffen Österreichs lässt sich auch an den zahlreichen berühmten Künstlern und Künstlerinnen ablesen, die dort studiert und gelehrt haben – so zum Beispiel Anton Maulbertsch, der die österreichische Barockmalerei zu ihrem Höhepunkt führte, Franz Xaver Messerschmidt, Georg Ferdinand Waldmüller oder Hans Makart. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem Architekten wie Theophil Hansen, Gottfried Semper, August Sicard von Sicardsburg, Otto Wagner und andere, die mit ihrem Schaffen besondere Akzente setzten und das Stadtbild der Metropolen der österreichisch-ungarischen Monarchie bestimmten.

Staatsoper

• Architekten: Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg; wiederaufgebaut von Erich Boltenstern

• Bauzeit: 1861 bis 1869 • Stil: Neorenaissance • Standort: Opernring 2

Wiener Staatsoper (Wiener Staatsoper GmbH / Foto Axel Zeininger)

Die Wiener Staatsoper zählt zu den bedeutendsten Opernbühnen der Welt und blickt auf eine lange Tradition zurück. Berühmte Direktoren waren unter anderem Gustav Mahler, Richard Strauß, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Lorin Maazel und Claudio Abbado. Seit 1991 steht das Haus unter der Leitung von Ioan Holender, dessen Funktion ab der Saison 2010/2011 an Dominique Meyer übergehen wird. Als Generalmusikdirektor wird ihm der Dirigent Franz Welser-Möst zur Seite gestellt. Die Staatsoper hat eine Repertoiresystem, sodass jährlich rund 50 verschiedene Opern gespielt werden, und zwar nahezu täglich, bis auf die Sommermonate Juli und August. Der 105

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Zuschauerraum bietet mehr als 2.250 Personen Platz. Das Orchester der Wiener Staatsoper ist Teil der Wiener Philharmoniker. Mit dem Burgtheater, dem Akademietheater und der Volksoper ist die Staatsoper seit 1999 in der Bundestheater Holding GmbH zusammengefasst. Vorgänger der Staatsoper waren das Kärntnertortheater (ungefähr dort, wo sich heute das Hotel Sacher befindet) und das ehemalige Hofburgtheater am Michaelerplatz. Die neue Heimstatt für das Hofoperntheater und die spätere k.k. Hofoper wurde als erstes Monumentalbauvorhaben an der Ringstraße ausgeschrieben. Bald stellten sich jedoch große Schwierigkeiten ein, allein die Fundierung auf dem unsicheren Grund dauerte mehr als ein Jahr. Die Architekten standen auch zwischen zwei Fronten – den staatlichen Behörden und den Sonderwünschen des damaligen Operndirektors – und litten unter dem Kompetenzwirrwarr. Der Bau selbst wurde von der Bevölkerung nicht sehr geschätzt, seine Architekten wurden deshalb auch angefeindet. Er konnte seine Wirkung gegenüber dem monumentalen Heinrichshof (wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und 1955 durch den Opernringhof ersetzt) nicht entfalten. Außerdem wurde das Ringstraßenniveau nach Baubeginn der Oper um einen Meter gehoben, sodass man im Volksmund bald von einer „versunkenen Kiste“ sprach oder einem „Königgrätz der Baukunst“. Diese kritische Haltung, die auch von Kaiser Franz Joseph I. geteilt wurde, war einer der Gründe, die Eduard van der Nüll in den Freitod trieben. Nur wenige Wochen später starb auch Sicardsburg, sodass beide Architekten die Eröffnung der Oper

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am 25. Mai 1869 mit Mozarts „Don Giovanni“ nicht mehr erlebten. So war es ihnen auch nicht vergönnt, letzten Endes doch die Ehrungen mit Ordensverleihung durch den Kaiser mitzuerleben und die Früchte ihrer Arbeit zu ernten. Die Bedeutung ihrer Arbeit lag nicht nur in dem prachtvollen Opernhaus, sondern vor allem in seiner Funktionalität und in seiner technischen Ausstattung zur Vermeidung der Brandgefahr. Im Zweiten Weltkrieg wurden der Zuschauerraum und die Bühne infolge eines Bombentreffers völlig zerstört. Nach der Entscheidung des damaligen Bundeskanzlers Leopold Figl wurde die Oper wiederaufgebaut und konnte am 5. November 1955 mit Beethovens „Fidelio“ unter der Leitung von Karl Böhm wiedereröffnet werden. In der Zwischenzeit wurden die Volksoper und das Theater an der Wien bespielt, wobei die erste Vorstellung bereits am 1. Mai 1945 gegeben wurde. Unbeschädigt blieben das Foyer und die Loggia mit den Fresken von Moritz von Schwind, das Hauptvestibül und die zentrale Treppenanlage sowie der Teesalon im ersten Stock. Die heutige Staatsoper ist eigentlich das Werk des Architekten Erich Boltenstern, der das Haus authentisch wiederaufgebaut hat. Dadurch war es möglich, die Technik dem neuesten Stand anzupassen. Ein Wunderwerk ist auch die Bühne, die man drehen, heben und senken kann. Hubpodien können Sänger/innen und ganze Bühnenbilder in die Höhe und Tiefe fahren lassen. Wird die 40 Tonnen schwere Drehscheibe nicht gebraucht, wird sie zusammengeklappt und hochgezogen. Viel Diskussion gab es um den Eisernen Vorhang, für dessen Gestaltung der NS-

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ideologisch vorbelastete Maler Rudolf Eisenmenger verantwortlich zeichnete. Künstler/innen der Moderne gestalten den Eisernen Vorhang seit 1998 jährlich neu.

Hotel Sacher (Hotel Sacher)

Hotel Sacher

• Architekt: Union Baugesellschaft, Wilhelm Fraenkel • Bauzeit: 1874 bis 1876 • Standort: Philharmonikerstraße 4 Das Hotel Sacher ist aus Wien heute nicht wegzudenken und stellt für die Touristen und Touristinnen einen fixen Programmpunkt im Rahmen jeder Stadtbesichtigung dar, auch wenn man nicht das nötige Kleingeld ausgeben will oder kann, hier ein Zimmer zu nehmen. Das Hotel wurde 1876 von Eduard Sacher eröffnet, und zwar auf jenem Grund, wo einstmals das berühmte Kärntnertortheater stand. Das Hotel lag damit genau hinter der neuen Hofoper, nannte sich daher auch Hotel de L'Opera. Sacher musste sich aufgrund der Nähe zur Oper auch im Kaufvertrag verpflichten, hier niemals Theater zu spielen, um keine Konkurrenz auf altem Theaterareal aufzubauen. Eduard Sacher war der Sohn von Franz Sacher, dem Erfinder der Original Sacher-Torte. Er heiratete 1880 die 21-jährige Anna, die nach seinem Tod 1892 das Kommando im Haus übernahm. Damit begann die eigentliche Epoche des Luxushotels, denn Anna Sacher verankerte es im Bewusstsein der noblen Welt. Ihr verdankt das Haus seinen legendären Ruf. „Der Herr im Haus bin

ich!“, soll die Grande Dame der Sacher-Dynastie gesagt haben. Legendär war ihre Vorliebe für Zigarren und für kleine Hunde, von denen sie einige Hundert besessen haben soll. Auf ihre Leidenschaft, Fotos zu sammeln, geht die Sammlung von Bildern bedeutender Gäste zurück, die in der Lobby des Hotels zu bewundern ist. Mit dem Niedergang des Hotels in Folge des Ersten Weltkriegs zog sich auch Anna Sacher mehr und mehr zurück. 1934 erwarb der Jurist und spätere Staranwalt Hans Gürtler gemeinsam mit dem Wiener Cafetier Josef Siller das Sacher, und noch heute befindet sich das Hotel im Privatbesitz der Familie Gürtler, da die Erben Sillers ausbezahlt wurden. Wieder war es eine Ehefrau, Hans Gürtlers zweite Gattin Poldi, die dem Hotel ihren Stempel 107

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aufdrückte. Nach einem Erbschaftsstreit ging das Haus auf Poldis Sohn Rudolf über, der von Hans Gürtler adoptiert worden war. Auch heute wird das Fünf-Sterne-Hotel von zwei Frauen geführt, den Eigentümerinnen Elisabeth Gürtler und Alexandra Winkler. Aber nicht nur das noble Hotel machte den Namen „Sacher“ weit über die Grenzen des Landes Österreich berühmt. Die Original Sacher-Torte, um rund 50 Jahre älter als das Haus selbst, ist heute wohl die bekannteste Torte der Welt. Die Geschichte der legendären Schokoladentorte mit Marillenmarmelade begann im Jahr 1832, als der 16-jährige Kochlehrling Franz Sacher am Hofe des Fürsten Metternich beauftragt wurde, ein besonders wohlschmeckendes Dessert für Gäste zu kreieren – die Geburtsstunde der Original Sacher-Torte. Um diese entbrannte ein jahrelanger Urheberrechtsstreit, der in den 1950er Jahren endete und dem Sacher das Recht zusprach, die im Haus produzierte Torte exklusiv als original zu bezeichnen. Noch heute wird dieses „süße Geheimnis“ in Handarbeit nach dem Rezept von 1832 zubereitet und in fast alle Länder der Welt verschickt.

Hotel Bristol

• Architekten des Umbaus 1913 bis 1916: Ladislaus Fiedler und Pietro Polumbo

• Standort: Kärntnerring 1/Kärntnerstraße 53–55 108

Am Beginn der Geschichte des Hotels steht der Umbau eines Wohnhauses an der Ecke Kärntnerring 7/Akademiestraße in ein Hotel. 1892 wurde es eröffnet und nach der englischen Stadt Bristol benannt, da zu dieser Zeit alles Englische en vogue war. Der heutige Hotelkomplex befindet sich auf einem Areal mehrerer dazu gekaufter und einverleibter Häuser, die zum Teil zu den ältesten Privatbauten der Ringstraße gezählt hatten. Vor allem das im Zuge des völligen Umbaus (1913–1916) abgerissene Wohnhaus am Kärntnerring 1 war das älteste Privathaus im Opernviertel, erbaut von Ludwig Förster. Für die Außenansicht des Gebäudes wurde der Jugendstil gewählt. Nach dem Anschluss 1938 nutzten die Nazis das Hotel, um hier hochrangige Staatsgäste zu empfangen. Zuvor wurden die jüdischen Vorbesitzer, die Brüder Schallinger, unter fadenscheinigen Gründen zu einer Verzichtserklärung „zu Gunsten des Deutschen Volkes“ gezwungen. In den Jahren 1945 bis 1955 war das Hotel Sitz der US-Botschaft, wo zahlreiche „Vier-MächteTreffen“ in angenehmer Atmosphäre stattfanden. Die Ecke Kärntnerstraße/Mahlerstraße ging als „Sirk-Ecke“ in die Gesellschaftsgeschichte ein. Sie ist nach dem vornehmen Lederwarengeschäft des Deutschen August Sirk benannt und war Treffpunkt der eleganten Welt. Von hier aus spazierte man auf dem Corso zum Schwarzenbergplatz und zurück. Karl Kraus lässt alle Akte seines Dramas „Die letzen Tage der Menschheit“ an der Sirk-Ecke beginnen.

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Palais Todesco

• Architekten: Ludwig Förster und Theophil Hansen • Standort: Kärntnerstraße 51 (gegenüber der Staatsoper) Das Palais Todesco gehört zu den bedeutendsten und frühesten Bauwerken der Ringstraßenepoche. Erbaut im Stil der Renaissance, weist es reichen figuralen Schmuck an der Außenfassade und in den prachtvollen Räumlichkeiten der Beletage auf. Das Gebäude macht das Zusammenwirken von Architektur, Malerei, Kunsthandwerk und Bildhauerei deutlich, weshalb man es als Gesamtkunstwerk bezeichnen kann. Heute gehört das Haus der Bundesländer-Versicherung. Begründet wurde der Reichtum der Familie Todesco von Hermann Todesco, einem jüdischen Händler, der eine „Baumwoll-Gespinnst und Woll-Waren-Manufaktur“ aufbaute und auch mit Seife handelte. Ähnlich wie Epstein, war auch seine Persönlichkeit durch hohe ethische und soziale Ansprüche geprägt. So entwickelte er beispielsweise ein umfassendes Sozialprogramm für Arbeiter/innen. Er war im Judentum stark verwurzelt und schenkte der Gemeinde Pressburg eine israelitische Schule, eine Knaben- und Mädchenschule sowie eine Kinderbewahranstalt. Todesco war auch Direktor der WienGloggnitzer-Eisenbahngesellschaft. Sein Sohn Eduard fiel oft durch sprachliche Entgleisungen und ungewollte Bonmots auf, die in der Gesellschaft als „Todesciana“ berühmt wurden. Auch die richtige Verwendung von Fremdwörtern war seine Sache nicht, sodass er zum Inbegriff

des unkultivierten Ringstraßenbarons wurde. Im Gegensatz dazu führte seine Frau Sophie einen berühmten Salon, in dem sich die Crème de la Crème der damaligen Kunstszene traf, darunter Hugo von Hofmannsthal. Auf sie und ihren Mann war das Wort des Schriftstellers Eduard von Bauernfeld gemünzt, der sagte: „Jedes Licht hat seinen Schatten, jede Frau hat ihren Gatten.“ Das Todesco war Schauplatz der ersten Begegnung zwischen Johann Strauß Sohn und seiner späteren Frau, der Opernsängerin Henriette Treffz, die zunächst mit einem der beiden Todesco-Brüder, Moritz, zusammengelebt hatte, mit dem sie auch zwei Kinder hatte. Nach der Trennung von Moritz erhielt sie eine großzügige Abfindung, die es Johann Strauß ermöglichte, ohne finanzielle Sorgen an seiner „Fledermaus“ zu arbeiten.

Grand Hotel

• Architekt: Carl Tietz • Standort: Kärntner Ring 9 Das Grand Hotel Wien war nicht nur das erste Luxushotel in Wien, sondern auch Europas erstes Grand Hotel, eröffnet im Jahre 1870. Zum damaligen Zeitpunkt konnte es bis zu 500 Gäste beherbergen, 200 Zimmer verfügten bereits über ein Badezimmer. Der Standort war und ist äußerst exklusiv, nämlich in unmittelbarer Nähe zum Musikverein, zum Wiener Konzerthaus und zur Wiener Staatsoper. Der Gründer des Grand 109

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Hotels, der Hotelier Anton Schneider, hatte offenbar eine gute Nase: Als der Bau der Ringstraße beschlossen wurde, ging er davon aus, dass sich die Errichtung eines Luxushotels an diesem Boulevard rechnen würde. Da er aber keine Hotelkonzession erhielt, ließ er ein Zinshaus mit rund 300 weitgehend identischen Zimmern erbauen, aber bereits so, dass es problemlos in ein Hotel umgebaut werden konnte. Das Grand Hotel spielte auch eine Rolle in den dramatischen Ereignissen von Mayerling, da sich Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera heimlich hier trafen. Mary Vetsera besuchte offiziell ihre Freundin, die Gräfin Larisch, die regelmäßig im Grand Hotel einige Zimmer bewohnte. Später war das Hotel beliebte Unterkunft für große Künstlerinnen und Künstler, wie Leo Slezak oder Paula Wessely. Ab 1989 wurde das Grand Hotel umfassend renoviert.

Hotel Imperial

• Architekten: Arnold Zanetti und Heinrich Adam • Standort: Kärntner Ring 16 Das Hotel Imperial gilt als eines der besten und bekanntesten Hotels weltweit. Ursprünglich stand das Haus im Besitz des Herzogs Philipp von Württemberg, der es in den Jahren 1862 bis 1865 als Privatresidenz erbauen ließ. Er stand in Königgrätz auf der Seite der Habsburger, und damit auf der Seite der Verlierer, was auch finanzielle Einbußen nach sich zog. Als der Herzog sich 110

Hotel Imperial (Starwood Hotels)

in seinem neuen Palais niederlassen wollte, begann man, die Fundamente für das neue Musikvereinsgebäude auszuheben. Dieses verstellte ihm den freien Blick auf die Karlskirche, sodass er keine Freude mehr daran hatte und das Palais verkaufte. Im Zuge der Weltausstellung 1873 wurde es als Hotel von Kaiser Franz Joseph I. persönlich eröffnet. Heute werden dort österreichische Staatsgäste untergebracht. Während der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg diente der Bunker auf der Seite der Canovagasse, der für die wenigen Aufenthalte Hitlers in Wien gebaut worden war, als Zufluchtsort für viele Menschen, vor allem auch für die Wiener Philharmoniker.

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Nach dem Krieg nutzten die Sowjets das Hotel. Wer sich wundert, dass die schöne Haupttreppe zur Beletage nicht in der Mitte, sondern auf der rechten Seite angelegt ist, muss sich die Situation von Wien Ende des 19. Jahrhunderts vergegenwärtigen. Das übliche Fortbewegungsmittel waren Kutschen, und diese benötigten ausreichend Platz zum Umdrehen, wenn die Herrschaft in der Einfahrt ausstieg. Daher musste die Haupttreppe ausweichen. Das vornehm ausgestattete Café Imperial wurde vom Begründer der Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, umgebaut, die Bilder malte Moritz von Schwind. Auch das Imperial ist für eine besondere Torte bekannt, die heute weltweit verschickt wird, wobei das Originalrezept aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr überliefert ist.

Musikverein

• Architekt: Theophil Hansen • Bauzeit 1866 bis 1869 • Stil: griechische Renaissance • Standort: Karlsplatz 6 Der Musikverein zählt zu den bekanntesten und schönsten Konzertgebäuden der Welt. Der Große Musikvereinssaal, der oft auch als „Goldener Saal“ bezeichnet wird, ist berühmt und geschätzt wegen seiner hervorragenden Akustik und pracht-

Musikverein (Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)

vollen Ausgestaltung – er gilt als bester Konzertsaal weltweit. Hier findet auch jährlich das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker statt, das in zahlreiche Länder übertragen wird. Träger des Musikvereins ist die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, neben der Wiener Konzerthausgesellschaft der wichtigste Konzertveranstalter der Stadt. Das Archiv enthält eine der bedeutendsten Musiksammlungen Österreichs mit wertvollen Autografen und Komponistennachlässen. Die Gesellschaft ist älter als der Hansen-Bau, sie wurde bereits 1812 von Joseph von Sonnleithner gegründet. Er kam damit der 111

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Musikbegeisterung des aufstrebenden Bürgertums entgegen und trug den Bedürfnissen eines breiteren Publikums Rechnung. Wiens Konzertleben war bis dahin eine Domäne des Adels, nun sollte die bürgerliche Öffentlichkeit die Musikpflege selbst in die Hand nehmen. Die Genehmigung durch Kaiser Franz I., der den bürgerlichen Bestrebungen skeptisch gegenüberstand, ließ zwei Jahre auf sich warten. Unterstützt wurde Sonnleithner von Erzherzog Rudolf, dem Bruder des Kaisers, der das Protektorat der schließlich 1814 offiziell genehmigten „Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates“ übernahm. Die Konzerte fanden zunächst im kleinen und großen Redoutensaal statt, ab 1831 in einem eigens errichteten Konzertsaal „Unter den Tuchlauben“, der sich mit seinen 700 Sitzplätzen bald als zu klein erwies. 1863 schenkte Kaiser Franz Joseph I. der Gesellschaft das Areal gegenüber der Karlskirche und versprach zur Errichtung die Einkünfte aus zwei Wohltätigkeitslotterien. Um weitere Geldgeber zu finden, sollte jeder, der 2.000 Gulden in den Baufonds einzahlte, den Titel „Gründer“ führen dürfen. Für Spender mit geringeren Summen gab es das Etikett „unterstützendes Mitglied der Gesellschaft“. Zu den großzügigen Förderern zählte auch Gustav Ritter von Epstein. Gleich am Eingang des Musikvereinsgebäudes ist auf einer Ehrentafel noch heute sein Name an prominenter Stelle eingemeißelt. Dennoch war es schwierig, das Geld zusammenzubekommen.

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Der von Theophil Hansen erbaute „Musikverein“ wurde schließlich am 6. Jänner 1870 feierlich eröffnet. Dass das Gebäude in Rekordzeit errichtet werden konnte, war nicht nur auf seine Arbeitswut zurückzuführen, sondern auch darauf, dass er beim Wandschmuck auf industrielle Fertigungen der Firma Wienerberger von Heinrich Drasche zurückgreifen konnte.

Palais Ludwig Victor (ab 1911 Militärcasino)

• Architekt: Heinrich Ferstel • Standort: Schwarzenbergplatz 1 Erzherzog Ludwig Viktor war der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph. Das Palais, das dem Stil der italienischen Renaissance nachempfunden ist, wurde 1869 fertiggestellt. Aufgrund seines skandalträchtigen Lebenswandels musste sich der Erzherzog auf Geheiß des Kaisers einige Zeit später nach Salzburg-Kleßheim zurückziehen. Sein Palais ging 1911 an das Militärcasino. Der Festsaal dient heute dem Burgtheater als Probebühne und Aufführungsort.

Palais Wertheim

• Architekt: Heinrich Ferstel • Standort: Schwarzenbergplatz 17

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Das Palais Wertheim wurde in den Jahren 1864 bis 1868 für den Industriellen Franz Ritter von Wertheim errichtet, der sein Vermögen vor allem durch die Produktion von feuerfesten und einbruchssicheren Safes gemacht hat. Anlässlich der Herstellung der 20.000sten Kassa dirigierte Josef Strauß die eigens für diesen Anlass komponierte Polka „Feuerfest“. Ferstel entwarf das bürgerliche Prachtgebäude als Gegenstück zum Palais für den Adeligen Ludwig Victor. Mit den beiden Gebäuden gelang es ihm, sich nach dem Bau der Votivkirche als „Ringstraßenarchitekt“ zu profilieren. 1910 wurde das Palais in ein Bürohaus umgebaut.

Akademisches Gymnasium

• Architekt: Friedrich Schmidt • Standort: Beethovenplatz 1 Das Akademische Gymnasium ist das älteste Gymnasium Wiens. Es befand sich ursprünglich im Dominikanerkloster. Im Jahr 1553 unter Ferdinand I. als Jesuitenkolleg gegründet, war es durch Jahrhunderte untrennbar mit der Universität verbunden. 1802 wurde es von den Piaristen übernommen, seither unterrichten dort weltliche Lehrer. Die nunmehrige Heimstatt des Gymnasiums am Beethovenplatz im Viertel des Schubertrings wurde von Friedrich Schmidt, wie das Wiener Rathaus, im neogotischen Stil erbaut. Zu den Schülern des Akademischen Gymnasiums zählen berühmte Persönlichkeiten der österreichischen Kultur- und

Geistesgeschichte, wie der Komponist Franz Schubert, die Autoren Johann Nestroy, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler, der Vater der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen, und der Nobelpreisträger für Physik, Erwin Schrödinger.

Palais Henckel-Donnersmarck

• Architekten: Johann Romano und August Schwendenwein • Standort: Parkring 14/Weihburggasse 32 Hugo Graf Henckel von Donnersmarck war einer der Pioniere der österreichischen Industrie. Er errichtete in Zeltweg ein Puddling- und Walzwerk, das die ersten Panzerplatten in Österreich herstellte und später in den Besitz der Oesterreichisch-Alpine Montangesellschaft überging. Anstelle des Eisenwerks in Frantschach gründete er eine Natronzellstofffabrik, aus der die heutige Frantschach AG hervorgegangen ist. Das 1871/1872 errichtete Palais im Stil der Neorenaissance war ein Geschenk an seine zweite Frau. 1945 wurde es stark beschädigt und geplündert. Heute beherbergt es gemeinsam mit dem benachbarten Palais Leitenberger das Radisson SAS Palais Hotel.

Palais Leitenberger

• Architekt: Ludwig Zettl • Standort: Parkring 16 113

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Bauherr war der Guts- und Fabriksbesitzer Baron Friedrich Franz Josef Leitenberger, dessen Urgroßvater mit Leinen- und Baumwolldruck in Böhmen zu einem der Führenden in der Branche zählte. Das Palais lag hinter dem Corso, weshalb es auch nie den Glanz anderer Palais erreichte. Die Außenansicht zeigt wenig figuralen Schmuck, umso größeren Wert legte der Bauherr auf die Innenausstattung. Das Palais war auch eines der gesellschaftlichen Zentren Wiens. Der Baron war einer der großzügigsten Kunstmäzene der Stadt und er engagierte sich besonders im Kampf gegen den Antisemitismus, was ihn auch mit Theodor Herzl zusammenführte, dennoch unterstützte er dessen Plan eines „Judenstaates“ nie. Seine Gattin Helene führte einen berühmten Salon, in dem sich viele bekannte Künstler wie Hugo Thimig und Adolf von Sonnenthal trafen.

In den Jahren 1991 bis 1993 wurde die Beletage des Palais originalgetreu restauriert, die restlichen Räume in Hotelzimmer umgewandelt. Das Gebäude gehört nun zum Radisson SAS Palais Hotel.

Kursalon

• Architekt: Johann Garben • Standort: Johannesgasse 33 Der Kursalon dient heute als Veranstaltungsort von Konzerten, Firmenfeiern, Tagungen, Kongressen, Pressekonferenzen, Bällen, Hochzeiten oder anderen privaten Festen. Das Gebäude

Im Palais Leitenberger verkehrte auch ein anderer berühmter Gast: Kronprinz Rudolf. Aufgrund seiner liberalen Auffassungen wurde er von der kaiserlichen Macht sowie von Informationen ferngehalten und suchte daher Kontakt mit gleichgesinnten Journalisten. Einer davon war Moritz von Szeps, der Leiter des Wiener Tagblatts, eine Zeitung, in der anonyme Artikel Rudolfs veröffentlicht wurden. Da es dem Tagblatt finanziell schlecht ging, intervenierte der Kronprinz bei Baron Friedrich Leitenberger, der jedoch den Ruin der Zeitung nicht aufhalten konnte. Friedrich Leitenberger, der ein Faible für schnelle Automobile hatte, kam bei einem Rennen in Bad Homburg nach einem Unfall ums Leben.

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Kursalon (Kursalon Betriebs GmbH)

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im Stadtpark, der im Stil eines englischen Landschaftsparks nach Plänen des Landschaftsmalers Josef Selleny angelegt wurde, sollte ursprünglich den Erholungswert der Parkanlage durch das Angebot von Wassertrinkkuren erhöhen. Bald nach seiner Fertigstellung im Jahr 1867 wurde der Kursalon jedoch einer anderen Verwendung zugeführt, für die er heute noch berühmt ist. Johann Strauß dirigierte 1868 hier sein erstes Konzert, womit der Kursalon mit seinen Tanzveranstaltungen und Promenadenkonzerten zum Treffpunkt der Wiener Gesellschaft avancierte, die hier Walzerseligkeit zelebrierte.

Palais Erzherzog Wilhelm (Hoch- und Deutschmeisterpalais)

• Architekt: Theophil Hansen • Standort: Parkring 8 Dieses Palais – eines der schönsten an der Ringstraße – wurde im Stil der Neorenaissance von Theophil Hansen erbaut. Da Hansen wie üblich alles bis ins kleinste Detail plante, von der Außenarchitektur bis zu den Türschnallen und Fensterverschlüssen, kann man auch hier von einem Gesamtkunstwerk sprechen. Auftraggeber war Erzherzog Wilhelm, Großmeister des Deutschen Ordens, weshalb das Gebäude oft als „Deutschmeisterpalais“ bezeichnet wird. Es diente später auch als Residenz der jeweiligen Hoch- und Deutschmeister. Da die

Ordensmitglieder bei großen Festlichkeiten meist zu Pferd erschienen, war für die Stallungen viel Platz im Gebäude vorgesehen. Dafür fehlten aber Räumlichkeiten für die Damen, zumal man in der Funktion eines Hoch- und Deutschmeisters unverheiratet sein musste. Von 1945 bis 1974 war im Palais der Sitz der Bundespolizeidirektion, seit 1981 steht es im Besitz der OPEC. Es wurde sehr aufwendig restauriert, im Inneren verändert, aber die Repräsentationsräume wurden wieder in den Originalzustand versetzt.

Museum für angewandte Kunst (MAK) und Universität für angewandte Kunst

• Architekt: Heinrich Ferstel • Bauzeit: 1868 bis 1871 bzw. 1875 bis 1877 • Stil: Neorenaissance • Standort: Stubenring 3 und 5 An der 1864 erfolgten Gründung und Ausstattung des ehemaligen Museums für Kunst und Industrie, dem heutigen Museum für angewandte Kunst (MAK), war Gustav Ritter von Epstein beteiligt. Seine Ernennung zum Korrespondenten des Museums für Kunst und Industrie soll er sogar als höchste Auszeichnung aufgefasst haben. Das Museum ist das erste Kunstgewerbemuseum auf dem europäischen Kontinent und sollte als Vorbildsammlung für Künstler, 115

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in Wien entwickelte. Sie erlangte durch die Tätigkeit namhafter Lehrer wie Josef Hoffmann, Kolo Moser und Alfred Roller hohes Ansehen. 1941 bis 1945 wurde sie als „Reichshochschule für angewandte Kunst“ geführt, 1948 als Akademie vom Staat übernommen und 1970 zur Hochschule aufgewertet. Seit 1998 ist sie Universität. Das von Heinrich Ferstel erbaute Museum wurde am 15. November 1871 eröffnet, 1877 erhielt die Kunstgewerbeschule auf dem angrenzenden Areal ihr eigenes Gebäude. Nachdem bereits 1900 die Administration des Museums und der Schule getrennt wurde, erfolgte die völlige Trennung beider Institutionen 1909. Museum für angewandte Kunst MAK (Foto Gerald Zugmann/MAK)

Ehemaliges Kriegsministerium Industrielle und Publikum sowie als Aus- und Weiterbildungsstätte für Entwerfer und Handwerker dienen. Das MAK gehört zu den österreichischen Bundesmuseen, es erhielt im Jahr 2000 die Vollrechtsfähigkeit als wissenschaftliche Anstalt. Außenstellen des MAK sind das Geymüller-Schlössel in Pötzleinsdorf (Wien, 18. Bezirk) und das MAK Gegenwartsdepot Gefechtsturm Arenbergpark im 3. Wiener Gemeindebezirk. 1995 wurde die Außenstelle „MAK Center for Art and Architecture“ in Los Angeles gegründet. Aus dem Museum ging im Jahr 1867 die Kunstgewerbeschule hervor, die sich zur heutigen Universität für angewandte Kunst 116

(heutiges Regierungsgebäude)

• Architekt: Ludwig Baumann • Bauzeit: 1909 bis 1913 • Stil: Neobarock • Standort: Stubenring 1 Das Regierungsgebäude am Stubenring ist ein riesiger Komplex mit einer Länge von 219 Metern. Es wurde als Kriegsministerium für die Armee der österreichisch-ungarischen Monarchie errichtet, nachdem das alte Gebäude des Hofkriegsrats „Am Hof“ zu klein geworden war. Ludwig

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fügte über eine synchron gesteuerte Uhr und die Zimmer selbst waren mit Tageslicht versorgt.

Ehemaliges Kriegsministerium (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit)

Baumanns klassisch historisches Projekt setzte sich beim Architektenwettbewerb gegen die sezessionistischen Entwürfe von Otto Wagner und Alfred Loos als Sieger durch und entsprach den pompösen Wünschen Franz Ferdinands, insbesondere hinsichtlich des ausladenden Dachs und der markanten Kuppeln. Vor dem ehemaligen Kriegsministerium befindet sich das Radetzky-Denkmal. Der imperiale und auch für damals nicht mehr zeitgemäße Eindruck des Gebäudes verschleiert den Blick darauf, dass eines der modernsten Bürogebäude seiner Zeit entstanden ist. Die Telefonanlage war durchgehend abhörsicher, jedes Zimmer ver-

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie wurden hier einige Ministerien untergebracht. Während der Zeit des Anschlusses bezog das Wehrkreiskommando XVII des Großdeutschen Reiches mit seinen Ämtern alle Räumlichkeiten. Dieses Kommando spielte beim letztendlich missglückten Putschversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 eine maßgebliche Rolle. Carl Szokoll war der Verbindungsmann von Claus Stauffenberg und das Kriegsministerium somit ein Zentrum der Hitlergegner. Szokoll, der unerkannt bleiben konnte, war auch eine Hauptfigur in der geheimen „Operation Radetzky“, die den herannahenden sowjetischen Truppen die Stadt Wien ohne größere Gegenwehr hätte übergeben sollen, aber die Aktivitäten wurden verraten. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude restauriert, die pompösen Kuppelaufbauten von einst sind aber ebenso verschwunden wie die Kaiserkrone auf dem Doppeladler, dessen Flügelspannweite 16 Meter beträgt. Im Gebäude sind heute Bundesministerien untergebracht. Mit dem ehemaligen Kriegsministerium verbindet man auch die Radiogeschichte Österreichs. Telefon, Radio und Telegrafie waren wichtige Kommunikationsmittel, besonders für militärische Zwecke in Zeiten der latenten Kriegsgefahr. Daher befand sich im Kriegsministerium auch eine Hochleistungssendeanlage, über die man mit den Häfen in Pula und Istrien Verbindung hatte. Dafür wurden besondere Frequenzen benutzt, die

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Sprechverbindungen über eine weite Distanz ermöglichten. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich aus dieser Sendeanlage die RAVAG, die erste österreichische Radiogesellschaft, gegründet am 14. Juli 1924, die den Wellenbetrieb für zivile Zwecke benutzte. In weiterer Folge gab es ein tägliches Musik- und Vortragsprogramm. 1926 verließ die RAVAG mit ihrem „Stubenringsender“ das Kriegsministerium und übersiedelte in die Johannesgasse, wo das erste Funkhaus entstand.

Postsparkasse

• Architekt: Otto Wagner • Standort: Georg-Coch-Platz 2 Das Hauptgebäude der Österreichischen Postsparkasse AG in Wien wurde in der Zeit von 1904 bis 1906 errichtet und stellt eines der bedeutendsten Werke des Jugendstils in Österreich dar. Die heutige Postsparkasse AG wurde 1883 nach britischem Vorbild („Post Office Savings Bank“) als „k. k. PostsparcassenAmt“ errichtet. Grundlage dafür war die Annahme des Gesetzesentwurfs „betreffend die Einführung von Postsparcassen in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern“ durch den Reichsrat im Jahr 1882. Die Regierungsvorlage wurde von Dr. Georg Coch ausgearbeitet, dem Begründer und ersten Direktor des Amtes. Man wollte damit der 118

Österreichische Postsparkasse (WAGNER:WERK Museum Postsparkasse)

Bevölkerung den Spargedanken nahebringen, wobei die Postämter als Ein- und Auszahlungsstellen fungierten. Außerdem wollte man die Sicherheit der Einlagen durch Staatshaftung gewährleisten sowie wichtige Finanzierungsmittel für den Staat bereitstellen. Arbeiter/innen und andere kleine Leute, die etwas zur Seite gelegt hatten, hatten sonst keine Möglichkeit, etwas auf ein Sparbuch bei einer Bank einzuzahlen. Ersparnisse zinsbringend anzulegen, bedeutete für viele einen Fortschritt, da Anschaffungen besser geplant werden konnten. Die Einführung des Postscheckverkehrs im Jahre 1887 war eine umwälzende Innovation. Der erste bargeldlose Zahlungsverkehr

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wurde von Georg Coch entwickelt und lenkte das Geldwesen von Österreich ausgehend international in neue Bahnen. Ab 1926 wurde die Postsparkasse eine Anstalt öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Der Anschluss Österreichs an Deutschland hatte die Eingliederung in die Deutsche Reichspost zur Folge. Alle Vermögenswerte wurden nach Deutschland transferiert. 1945 nahm das in das Bundesministerium für Finanzen eingegliederte Institut den Geschäftsbetrieb als „Postsparkassenamt“ wieder auf und erhielt 1970 mit Inkrafttreten des PSK-Gesetzes die organisatorische und rechtliche Selbstständigkeit zurück. 1996 wurde die PSK in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Durch den Erwerb der Aktien der Österreichischen Postsparkasse AG zu 74,82 Prozent durch die Bank für Arbeit und Wirtschaft AG (BAWAG) und zu 25,18 Prozent durch die PSK Unternehmensbeteiligungsgesellschaft mbH entstand die drittgrößte Bankengruppe Österreichs. Für die Beschreibung der einzelnen Ringstraßengebäude wurde auf folgende Werke und Websites zurückgegriffen:

• Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: Geschichten – Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, Wien 2007

• Dmytrasz, Barbara: Die Ringstraße. Eine europäische Bauidee. Amalthea Verlag, Wien 2008

Homepages:

• www.burgen-austria.com • www.aeiou.iicm.tugraz.at/ • www.phdl.at • www.wien-konkret.at • www.wien-vienna.at/blickpunkte • www.stadt-wien.at • www.starwoodhotels.at • www.votivkirche.at • www.wienerborse.at/about/history • www.univie.ac.at/universitaet/geschichte • www.ogh.gv.at • www.nhm-wien.ac.at • www.khm.at • www.akg-wien.at • www.kursalonwien.at/kursalonwien • www.akbild.ac.at • www.staatsoper.at • www.musikverein.at • www.mak.at • www.bmwa.gv.at/BMWA/ministerium/Haus/default.htm • www.bawagpsk.com/bawagpsk/__UeberUns/ Unternehmen/Firmengeschichte/nav.html 119

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DIE WICHTIGSTEN ARCHITEKTEN DER WIENER RINGSTRASSE Theophil Edvard Freiherr von Hansen geb. 13. Juli 1813 in Kopenhagen gest. 17. Februar 1891 in Wien

Wie so viele andere der großen Ringstraßenarchitekten war auch Theophil Hansen kein gebürtiger Wiener. Am 13. Juli 1813 in Kopenhagen geboren, besuchte er von 1824 bis 1837 die dortige Königliche Kunstakademie, lernte bei Gustav Friedrich Hetsch und wurde während eines achtjährigen Studienaufenthaltes in Athen zum Architekten ausgebildet. 1838 erhielt er ein Reisestipendium nach Deutschland, wo er in Berlin die Bauten Friedrich Schinkels studierte. Anschließend fuhr er über Dresden, Prag und München nach Italien (Verona und Venedig) und schließlich nach Athen. Von 1838 bis 1846 lebte er in Athen und befasste sich eingehend mit der antiken und byzantinischen Baukunst. Er unterrichtete an der Polytechnischen Schule (1840–1843), nahm an der Aufnahme antiker Baudenkmäler teil und errichtete seit 1842 erste selbstständige Bauten. Im Jahr 1846 übersiedelte Hansen auf Einladung des Architekten Ludwig Christian Friedrich Förster nach Wien und trat in dessen Atelier ein. Es entstanden erste Bauten in Wien in Zusammenarbeit mit Förster, dessen Tochter Sophie Hansen 1851 ehelichte.

Theophil Hansen (Parlamentsdirektion)

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Von 1852 an war Theophil Hansen als selbstständiger Architekt in Wien tätig. Hier und in Athen errichtete er zunächst vor allem Zinswohnhäuser, Palais und Villen, ab den 1860er-Jahren auch große öffentliche Bauten. In der Zeit von 1868 bis 1884 wirkte er als Professor für Baukunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien und avancierte zu einem der bedeutendsten

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Architekten seiner Zeit von internationalem Ruf und Wirkung. 1867 wurde er in den Ritterstand, 1884 in den Freiherrnstand erhoben. Seine Lehrtätigkeit setzte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1883 fort, im gleichen Jahr löste er auch sein Baubüro auf, blieb jedoch planend und zeichnerisch bis kurz vor seinem Tod am 17. Februar 1891 aktiv.

• Villa Baron Pereira in Altenberg bei Greifenstein

Während bei den Bauten seiner Frühzeit byzantinische Formen in betonter Farbigkeit überwiegen, schuf er in den 1860erJahren die meisten Bauten der Wiener Ringstraße im Stil der italienischen Hochrenaissance, um sich später einer von ihm selbst als „griechische Renaissance“ bezeichneten Formensprache des Historismus zuzuwenden.

• Evangelische Kirche am Matzleinsdorfer Friedhof in Wien

Höhepunkt seines Schaffens ist das Parlamentsgebäude in Wien, in dem er seine Idealvorstellung einer Monumentalarchitektur im hellenistischen Stil verwirklichte. Mit dem Gebäude wollte er insbesondere dem liberalen Bürgertum der Epoche nach dem Durchbruch zur konstitutionellen Monarchie ein Denkmal setzen. Prominent schräg gegenüber der Hofburg gelegen, prägt das Parlamentsgebäude bis heute den Charakter des Wiener Prachtboulevards wesentlich mit. Gemeinsam mit dem benachbarten Palais Epstein bildet es ein beeindruckendes „Hansen-Ensemble“. Seine bedeutendsten Bauten

(1846 bis 1849)

• Waffenmuseum im Arsenal (heute Heeresgeschichtliches Museum) (1850 bis 1856)

• Schloss Hernstein in Niederösterreich für Erzherzog Leopold (1856 bis 1880) (1857 bis 1858)

• Akademie der Wissenschaften in Athen (1859 bis 1887) • Evangelische Schule am Karlsplatz in Wien (1859 bis 1862) • Heinrichshof am Wiener Opernring gegenüber der Staatsoper (1945 zerstört) (1861 bis 1863)

• Palais Todesco an der Wiener Kärntnerstraße (gemeinsam mit Ludwig Förster) (1861 bis 1864)

• Hoch- und Deutschmeisterpalais für Erzherzog Wilhelm am Parkring in Wien (1864 bis 1868)

• Musikvereinsgebäude in Wien (1866 bis 1869) • Palais Epstein in Wien (1868 bis 1872) • Palais Ephrussi in Wien (1872 bis 1873) • Akademie der bildenden Künste in Wien (1872 bis 1877) • Börsegebäude in Wien (1874 bis 1877) • Parlamentsgebäude in Wien (1874 bis 1883)

• Sternwarte in Athen (1843 bis 1846) • Evangelische Kirche in Wien-Gumpendorf (1846 bis 1849) 121

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Otto Wagner geb. 13. Juli 1841 in Penzing bei Wien (heute 14. Bezirk) gest. 11. April 1918 in Wien

Von 1894 bis 1913 war Otto Wagner Professor und Leiter einer Spezialklasse für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien, die als „Wagner-Schule“ die herausragendsten Architektenpersönlichkeiten der Moderne in der Donaumonarchie hervorbrachte (Max Fabiani, Josef Hoffmann, Jan Kotera, Joseph Maria Olbrich, Josef Plecnik und andere). Die Bauwerke der ersten Schaffensperiode, die zum Teil in Zusammenarbeit mit Otto Thienemann entstanden, sind ganz in der Tradition des Historismus in Formen des Barock und der florentinischen Renaissance verwurzelt. In dieser Phase wurde auch die Villa Epstein in Baden bei Wien (1867) errichtet. Neben eigenen Bauten führte Wagner auch als Baumeister fremde Entwürfe aus, wie es beim Palais Epstein der Fall war.

Otto Wagner (Parlamentsdirektion)

Otto Wagner studierte in den Jahren 1857 bis 1859 Architektur an der Architekturschule des Polytechnischen Instituts in Wien. Von 1860 bis 1861 besuchte er die Bauakademie in Berlin bei Carl Ferdinand Busse und von 1861 bis 1863 setzte er seine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll fort. 122

In den 1880er Jahren bildete sich bei Wagner die Vorliebe für klassizistische Formen aus. Durch die Auseinandersetzung mit dem Jugendstil wandte er sich in den 1990er-Jahren zunehmend einer an Funktionalität, geometrischen Formprinzipien und konstruktiven Ordnungsprinzipien orientierten Architektur zu, die zum Bruch mit der Tradition und der Artikulierung eines „Nutzstils“ als Zukunftsstil gipfelte. Als Bahnbrecher der Moderne kommen Otto Wagner im Städtebau, in der Architekturtheorie und als Baukünstler größte Verdienste zu. In seiner Funktion als künstlerischer Beirat der Kommission für Wiener Verkehrsanlagen und der Donauregulierungskommission prägte er mit den Bauten für die Wiener Stadtbahn

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(1894–1901) und der Donauregulierung (1894–1898) das Wiener Stadtbild wie kein anderer Architekt.

Ludwig Christian Friedrich Ritter von Förster geb. 8. Oktober 1797 in Ansbach (Deutschland) gest. 16. Juni 1863 in Bad Gleichenberg

Seine bedeutendsten Bauten

• Preis im Wettbewerb um den Kursalon im Wiener Stadtpark (1863)

• Baden, Villa Gustav Epstein, Rainerweg 1–3 (1867) • Wien, Miethaus Bellariastraße 4 (1869 bis 1870) • Budapest, Synagoge (1870 bis 1873) • Wien, Grabenhof (gemeinsam mit Otto Thienemann) (1874) • Wien, Miethaus Lobkowitzplatz 1 (1884) • Baden, Villa Hahn, Weilburgstraße 81 (1886) • Wien, erste Villa Wagner, Hüttelbergstraße 26 (1886 bis 1888) • Wien, Bauten für die Wiener Stadtbahn (1894 bis 1901) • Wien, Schleusenanlage Nussdorf (1894 bis 1898) • Wien, Ankerhof, Spiegelgasse 2 (1894 bis 1895) • Wien, Miethäuser Linke Wienzeile 38 und 40 (1898 bis 1900) • Wien, Postsparkasse (1904 bis 1906; erweitert 1910 bis 1912) • Wien, Kirche am Steinhof (hl. Leopold) (1904 bis 1907) • Wien, Wilhelminenspital, Lupusheilstätte (1910 bis 1913) • Wien, Miethäuser Döblergasse 2 und 4 (1911 bis 1912) • Wien, zweite Villa Wagner, Hüttelbergstraße 28 (1912 bis 1913)

Ludwig Förster wurde am 8. Oktober 1797 in Ansbach, Deutschland geboren. Er zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des österreichischen Historismus. Sein Projekt für die Gestaltung der Wiener Ringstraße, das er gemeinsam mit Eduard van der Nüll, August Sicard von Sicardsburg und Friedrich Stache vorgelegt hatte, ging im Architektenwettbewerb als Sieger hervor. Von 1861 bis 1863 war Förster Mitglied des Wiener Gemeinderats. Kurz vor seinem Tod, am 14. Juni 1863, wurde er in den Adelsstand erhoben. Förster studierte in München und Wien. Ab 1828 leitete er eine lithografische Anstalt und gründete 1836 die „Allgemeine Bauzeitung“, die sich zum wichtigsten Publikationsorgan des Bauwesens in der Monarchie entwickelte. Von 1843 bis 1846 wirkte er als Professor an der Akademie der bildenden Künste. Ab 1839/1840 war er freischaffender Architekt. In seinem Atelier arbeitete neben Otto Wagner auch Theophil Hansen, sein Schwiegersohn. Förster war mit Hansen in den Jahren 1846 bis 1852 in Gemeinschaft tätig. Sein besonderes Interesse galt dem künstlerischen Nachwuchs und technischen Neuerungen. Seine bedeutendsten Bauten

• Synagoge in Wien-Leopoldstadt (1853 bis 1858; 1938 zerstört) • Synagoge in Budapest (1859) 123

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• Evangelische Kirche in Gumpendorf (1846 bis 1849) • Schießstätte im Arsenal (1846 bis 1849) • Elisabethbrücke über die Wien am Karlsplatz (1850 bis 1854; im Zuge der Wienfluss-Regulierung abgebrochen; die Figuren stehen heute am Rathausplatz)

• Palais Todesco in der Kärntnerstraße 51 (1861 bis 1864; gemeinsam mit Theophil Hansen)

Seine bedeutendsten Bauten

• Votivkirche in Wien (1856 bis 1879) • Palais Ferstel an der Freyung in Wien, das auch das bekannte Café Central beherbergt (war ein Bank- und Börsegebäude; 1860)

• Museum für Kunst und Industrie (das heutige Museum für angewandte Kunst; 1868 bis 1871)

• Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Heinrich Freiherr von Ferstel geb. 7. Juli 1828 in Wien gest. 14. Juli 1883 in Wien Ferstel wurde als Sohn eines höheren Bankbeamten aus Prag am 7. Juli 1828 in Wien geboren. Er studierte an der Wiener Kunstakademie Architektur bei Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg. Mit seinem Entwurf für einen neugotischen Kirchenbau im Stil der französischen Kathedralen gewann er den Wettbewerb um den Bau der Votivkirche. Damit wurde er schlagartig berühmt, errichtete weitere öffentliche Gebäude in der Wiener Innenstadt sowie an der Ringstraße und wandte sich später einem strengeren Stil zu. Als Professor am Polytechnikum in Wien beeinflusste er viele junge Architekten in stilistischer Hinsicht.

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Kunst Wien; 1875 bis 1877)

• Hauptgebäude der Universität Wien (1873 bis 1884) • Zentralanstalt für Meteorologie auf der Hohen Warte (1870 bis 1872)

• Ringstraßenpalais wie das Palais Ludwig Victor (ab 1911 Militärcasino) und das Palais Wertheim am Schwarzenbergplatz

Carl Freiherr von Hasenauer geb. 20. Juli 1833 in Wien gest. 4. Jänner 1894 in Wien Hasenauer schuf insbesondere Monumentalbauten im Stil des Neubarock. Zu seinen Lebzeiten wurde er auch der „bauende Makart“ genannt. Seine Lehrer waren August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll. In den Jahren 1872 bis 1873 war er für die Wiener Weltausstellung als Chefarchitekt

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tätig. Ein bekanntes Gebäude in diesem Zusammenhang ist die Rotunde. 1873 wurde Hasenauer in den Freiherrnstand erhoben. Gemeinsam mit Gottfried Semper entwarf Hasenauer die beiden Hofmuseen, das Burgtheater und die Neue Hofburg. Nach dem Zerwürfnis mit seinem Partner leitete er die Errichtung der Hofbauten allein. Hasenauer war immer bemüht, die Architektur nicht allein in den Vordergrund zu stellen, sondern er strebte, ähnlich wie Theophil Hansen, die Verschmelzung aller Kunstarten in einem malerisch-farbenprächtigen Gesamtkunstwerk an. Sein berühmtestes Bauwerk abseits der Ringstraße ist die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten. Seine bedeutendsten Bauten

• Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum (1871 bis 1891)

• Burgtheater (1874 bis 1888) • Neue Hofburg (1881 bis 1894) • Palais Lützow (1870) • Hermesvilla im Lainzer Tiergarten (1882 bis 1886) • Maria-Theresien-Denkmal (1888) • Grillparzer-Denkmal (1889)

Gottfried Semper geb. 29. November 1803 in Hamburg gest. 15. Mai 1879 in Rom Gottfried Semper war Architekt und Kunsttheoretiker. Nachdem er Jus und Mathematik an der Universität Göttingen studiert hatte, nahm er im Jahr 1825 das Studium der Architektur in München auf. In den Jahren 1843 bis 1849 lehrte Semper als Professor für Baukunst in Dresden und machte auch die Bekanntschaft mit Richard Wagner, musste jedoch wegen seiner Teilnahme an der Revolution 1848 fliehen. Sein Lebensweg führte ihn daraufhin nach Paris und London, wo er sich bei der Weltausstellung 1851 engagierte. Schließlich wurde Semper nach Zürich berufen, wo er von 1855 bis 1871 am Polytechnikum Professor war. In Dresden baute Semper auch die berühmte Oper, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, aber in ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild neu errichtet werden konnte. Im Jahr 1871 erhielt Semper von Kaiser Franz Joseph I. die Einladung, gemeinsam mit Carl Hasenauer das Kaiserforum am Ring zu gestalten. Dass ein Mann wie er mit dem Ausbau der kaiserlichen Residenz beauftragt wurde, ist bemerkenswert, schließlich hatte sich Semper, der im äußerst reaktionären Sachsen aufgewachsen ist, aktiv an der Revolution im Jahr 1848 beteiligt und war ein Verfechter des republikanischen Gedankens. Er stellte den Revolutionären sein Wissen für den Bau von Barrikaden zur Verfügung, die bald nach ihm benannt wurden (Semper-Barrikaden). 125

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Semper und Hasenauer bauten gemeinsam die beiden Hofmuseen und das Burgtheater. Nach Differenzen mit Hasenauer zog Semper sich 1876 aus der Bauleitung zurück und verbrachte den Rest seines Lebens überwiegend in Rom. Er beeinflusste insbesondere den Europäischen Theaterbau sowie die Entstehung der Kunstgewerbemuseen. Er ist Verfasser bedeutender kunsttheoretischer Schriften und trug vor allem zur Ausbreitung der Neorenaissance bei. Seine bedeutendsten Bauten

• Dresdner Oper (1841) • Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum (1871 bis 1891)

• Burgtheater (1874 bis 1888) • Neue Hofburg (1881 bis 1894) Friedrich Freiherr von Schmidt geb. 23. Oktober 1825 in Frickenhofen (Württemberg/Deutschland) gest. 23. Jänner 1891 in Wien Friedrich Schmidt studierte am Polytechnikum in Stuttgart Architektur und trat im Jahr 1843 als Steinmetz in die Kölner Dombauhütte ein. Er beteiligte sich auch am Architektenwettbewerb für die Wiener Votivkirche, unterlag aber seinem Konkurrenten Heinrich Ferstel. Im Jahre 1857 wurde er als 126

Lehrer für Baukunst an die Akademie in Mailand berufen, ab 1859 lehrte er als Professor für mittelalterliche Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Dort leitete er ab 1865 auch eine Spezialschule für Architektur. Im Jahr 1863 wurde er zum Dombaumeister von St. Stephan ernannt. Schmidt verhalf dem neugotischen Backsteinbau in der österreichischen Sakralarchitektur zum entscheidenden Durchbruch und etablierte den neugotischen Stil auch im Bereich der öffentlichen Gebäude, wie beim Wiener Rathaus. Als einer der Hauptmeister der Ringstraßenära genoss Schmidt internationales Ansehen und erhielt auch außerhalb der österreichischen Grenzen bedeutende Bauaufträge. Schmidt verband seine baukünstlerische Tätigkeit wiederholt mit restauratorisch denkmalpflegerischen Aufgaben. Als Denkmalpfleger baute er beispielsweise die Stiftskirche Klosterneuburg um. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit engagierte sich Schmidt auch politisch und war von 1866 bis 1870 Mitglied des Wiener Gemeinderats. 1889 wurde ihm darüber hinaus ein Sitz im Herrenhaus des österreichischen Parlaments verliehen. Er wurde geadelt und zum Wiener Ehrenbürger ernannt. Seine bedeutendsten Bauten

• Lazaristenkirche in Wien (1862) • Akademisches Gymnasium (1863) • Kirche Maria vom Siege (1875) • Neues Wiener Rathaus (1872 bis 1883)

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• Restaurierung bzw. Umbau des Stifts Klosterneuburg, der Burg Waidhofen an der Ybbs und der Pfarrkirche Jedenspeigen

August Sicard von Sicardsburg (auch: Siccard von Siccardsburg) geb. 6. Dezember 1813 in Budapest gest. 11. Juni 1868 in Weidling bei Wien Gemeinsam mit Eduard van der Nüll baute Sicardsburg die Wiener Staatsoper, den ersten Monumentalbau der Neuen Wiener Ringstraße. Die beiden Architekten prägten entscheidend die österreichische Architektur des spätromantischen Historismus und beeinflussten noch später über ihre Schüler (unter anderem Carl Hasenauer) den Baustil des 19. Jahrhunderts in Wien. Sicard von Sicardsburg studierte am Polytechnikum in Wien und wurde 1835 Assistent, in welcher Funktion er auch zeitweise seinen Lehrer Peter von Nobile unterstützte. Mit seinem Studienkollegen Eduard van der Nüll unternahm Sicardsburg in den Jahren 1839 bis 1843 ausgedehnte Studienreisen nach Italien und Frankreich. Die beiden gingen auch eine lebenslange Arbeitsgemeinschaft ein, wobei Sicardsburg mehr für den technisch-organisatorischen Teil zuständig war, Eduard van der Nüll eher für den ästhetisch-dekorativen Teil. Im Jahr 1843 erreichte ihn die Berufung als Professor an die Wiener Akademie der

bildenden Künste. Sicard von Sicardsburg starb kurz nach dem Freitod seines Geschäftspartners im 55. Lebensjahr an Tuberkulose. Seine bedeutendsten Bauten (gemeinsam mit Eduard van der Nüll)

• Hofoper (1861 bis 1869; heute Wiener Staatsoper) • Carltheater (1846 bis 1847; im Zweiten Weltkrieg zerstört) • Kommandogebäude und Kasernen des Arsenals (1849 bis 1856)

• Haas Haus am Graben (1866 bis 1868; 1945 zerstört) • Allein errichtete er den Sockel für das Erzherzog-KarlDenkmal und das Prinz-Eugen-Denkmal am Heldenplatz (1859 und 1865).

Eduard van der Nüll geb. Anfang Jänner 1812 in Wien gest. 4. April 1868 in Wien Eduard van der Nüll studierte zunächst an der Akademie der bildenden Künste bei Peter von Nobile und wurde selbst im Jahr 1844 dort Professor. Als Lehrer und Baukünstler errang er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Sicardsburg eine führende Stellung unter den österreichischen Architekten der Spätromantik. Beide entwickelten wiederholt monumentale 127

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Projekte und vertraten eine aufgeschlossene und freie Auffassung von Architektur als Gesamtkunstwerk ohne Bindung und Stilnormen. Sie konnten sich aber nicht gegen die von Friedrich von Schmidt und Theophil von Hansen vertretene Spezialisierung durchsetzen. Der Auftrag für das Wiener Opernhaus zählt zu ihren Hauptwerken, führte aber zu Anfeindungen und Schwierigkeiten. Auch Kaiser Franz Joseph artikulierte sein Missfallen. Dies ertrug Eduard van der Nüll nur schwer. Zu dieser psychischen Belastung kam eine Gefäßerkrankung, sodass er noch vor Vollendung des Baus den Freitod wählte. Seine bedeutendsten Bauten Siehe August Sicard von Sicardsburg.

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DAS JÜDISCHE WIEN Von Günther Schefbeck

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

Von der Verfolgung zur Toleranz

Die Geschichte der Juden in Wien bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Duldung und Verfolgung. 1194 erstmals in Wien nachweisbar, lebten die Juden zunächst im gettoartigen Viertel um den später sogenannten Judenplatz. Vom Babenberger Herzog Friedrich II. erhielten sie 1244 eine „Judenordnung“, die in den meisten Nachbarländern rezipiert wurde. Für die erste Welle systematischer Verfolgung und Vertreibung der Wiener Juden, die „Geserah“ in den Jahren 1420 und 1421, zeichnete Herzog Albrecht V. verantwortlich. Als Begründung wurden angebliche Verbindungen der Juden mit den Hussiten und der Vorwurf der Hostienschändung herangezogen. Die hohen Schulden, die nicht nur der Herzog bei den Wiener Juden hatte, mögen das tatsächliche Motiv gewesen sein. Die Erfordernisse der Finanzierung des Dreißigjährigen Krieges dürften Kaiser Ferdinand II. bewogen haben, den Juden 1624 die Ansiedlung im Unteren Werd zu gestatten, wo ein neues Getto errichtet wurde. Die nächste Vertreibungswelle folgte schon 1669 unter Kaiser Leopold I., und an der Stelle des Gettos entstand die Leopoldstadt. Diesmal vergingen nur wenige Jahre, bis sich Juden wieder in Wien ansiedeln durften, weil ihre Finanzkraft zur Finanzierung der Türkenkriege und des Österreichischen Erbfolgekrieges benötigt wurde. Bis zur rechtlich verbürgten Toleranz war es freilich noch ein weiter Weg: Sie gewährte erst Kaiser Joseph II.,

nachdem seine Mutter Maria Theresia noch deutliche Züge eines religiös motivierten Antisemitismus hatte erkennen lassen.

Von der Toleranz zur Gleichberechtigung Die josephinische Toleranzgesetzgebung war durch das Bestreben des Kaisers motiviert, wirtschaftlich wertvoll erscheinende Bevölkerungsgruppen nachhaltig in den österreichischen Staat zu integrieren. Dazu zählten auch die Juden, für die eigene Toleranzpatente erlassen wurden. Für Wien galt dasjenige vom 2. Jänner 1782. Wenn den Juden das Recht zur Ausübung von Handwerken und Gewerben – jedoch ohne Meister- und Bürgerrecht –, zur Errichtung von Großhandlungen und zur Anlage von Fabriken zugestanden wurde, dann machte dies die wirtschaftliche Motivation deutlich; wenn schikanöse Vorschriften wie Kleiderordnungen und Ausgehverbote für Juden aufgehoben wurden, dann stand das für eine allgemein vereinheitlichende Tendenz, die den Josephinismus kennzeichnete. Diesem Zweck diente auch die verordnete „Eindeutschung“ jüdischer Personennamen. Eine Gleichstellung insbesondere im Hinblick auf die Religionsausübung war mit der Toleranzgesetzgebung jedoch nicht verbunden. Öffentlicher Gottesdienst blieb den Juden verboten. Nach dem Tod Josephs II. wurden neue Beschränkungen für die Juden eingeführt, von denen sie erst die Revolution von 1848 befreite. Die „Pillersdorf’sche“ Verfassung gewährte erstmals allen Staatsbürgern die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit 131

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ANHANG: DAS JÜDISCHE WIEN

sowie das Recht zur Erwerbung von Grundbesitz, das den Juden bis dahin grundsätzlich vorenthalten geblieben war, Erwerbsfreiheit und freien Zugang zu allen Ämtern und Würden. In weiterer Folge wurden alle Judensteuern aufgehoben. Nach Rückschlägen in der Zeit des Neoabsolutismus erlangten die Juden aber in der konstitutionellen Monarchie ihre bleibende rechtliche Gleichstellung.

Die Juden und das Parlament Erst mit dem Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867 wurden alle noch bestehenden Beschränkungen der gleichen staats- und privatrechtlichen Stellung der Juden dauerhaft beseitigt. Dieses Staatsgrundgesetz bildete einen Teil der „Dezemberverfassung“, die das von liberalen Politikern dominierte Abgeordnetenhaus des Reichsrats dem Kaiser als Preis für seine Zustimmung zu der in Umsetzung des „Ausgleichs“ mit Ungarn erforderlichen Gesetzgebung abgerungen hatte. Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger legte deren Gleichheit vor dem Gesetz ebenso fest wie das Recht zu freiem Liegenschaftserwerb und die Erwerbsfreiheit. Es gewährleistete allen Menschen die Glaubens- und Gewissensfreiheit ebenso wie allen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften das Recht zur gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung. Die Juden galten in der österreichischen Rechtsordnung als Religionsgemeinschaft, nicht als Volksgruppe. 132

Ausständig war noch eine gesetzliche Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft. Dieses Gesetz, das auf dem Prinzip der Einrichtung einheitlicher jüdischer Kultusgemeinden mit weitgehender Autonomie basierte, wurde 1890 beschlossen. Vorangegangen waren allerdings heftige Debatten im Abgeordnetenhaus, in denen sogar die alten Ritualmordvorwürfe gegenüber den Juden wiederbelebt wurden. Erschüttert von den Äußerungen, die in der Plenardebatte gefallen waren, stellte der vom Ausschuss gewählte Berichterstatter über den Gesetzentwurf die Frage: „Sind das Taten der Nächstenliebe?“ Die liberale Ära ging zu Ende, und ein neuer Antisemitismus machte sich auch im Parlament immer stärker bemerkbar.

Jüdische Parlamentarier Bereits am Anfang des österreichischen Parlamentarismus stand in vorderster Front ein jüdischer Parlamentarier: Adolf Fischhof, der in der Märzrevolution „der Freiheit eine Gasse“ gebahnt hatte und daraufhin als einer von vier jüdischen Abgeordneten in den Reichstag gewählt worden war, wo er der Permanenzkommission präsidierte und dem Verfassungsausschuss angehörte. Auch in der weiteren Geschichte des österreichischen Parlamentarismus haben jüdische Abgeordnete stets eine wichtige Rolle gespielt. Unter ihnen befanden sich assimilierte Juden, beispielsweise in der deutschliberalen Fraktion oder im Polenklub. Ebenso gab es am jüdischen Glauben festhaltende Abgeordnete, die sich als Interessenvertreter der

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Juden ihres Wahlkreises verstanden, in den letzten Jahren der Monarchie und in den ersten der Republik auch solche, die das Anliegen des Zionismus vertraten. Die Reichsratswahlordnung von 1907 hatte fünf Wahlkreise in Galizien und der Bukowina so gebildet, dass eine Mehrheit für einen jüdischen Abgeordneten möglich war.

das kanonische Zinsverbot untersagt war, und so nahmen die Juden zum einen eine immer wichtiger werdende Stellung als „Motor der Wirtschaft“ ein, zogen aber zum anderen auch Neid und Hass ihrer Schuldner auf sich. Wenn die Vertreibung oder gar Ermordung der Juden von den bei ihnen bestehenden Schulden befreien konnte, war der Weg zum Pogrom nicht weit.

In der parlamentarischen Präsenz assimilierter Juden hatten die 1880er-Jahre eine Wende gebracht: Als sich unter den Parteien der deutschsprachigen Volksgruppe die maßgebliche Orientierung vom Deutschliberalismus hin zum Deutschnationalismus verschob, der den Antisemitismus zum Programmpunkt gemacht hatte, und in Wien die christlichsoziale Bewegung entstand, blieb vielen Juden als größere politische Partei, in der sie sich engagieren konnten, nur die aufstrebende Sozialdemokratie.

War in der kurzen liberalen Ära der 1860er- und 1870er-Jahre endlich die rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht worden, so löste bereits der „Börsenkrach“ von 1873, für den jüdische Spekulanten verantwortlich gemacht wurden, neuen Antisemitismus aus. Während sich der wirtschaftlich motivierte Antisemitismus der Christlichsozialen gegen den politischen und wirtschaftlichen Liberalismus richtete und diesen um die Mitte der 1890er-Jahre in Wien endgültig überwand, begann sich gleichzeitig immer radikaler der rassische Antisemitismus der Deutschnationalen zu artikulieren. Die ihm zugrunde liegende Rassenideologie sollte, wie ein zeitgenössischer Kritiker schrieb, einem altertümlichen Vorurteil einen „Schein der Aufgeklärtheit“ und Wissenschaftlichkeit verschaffen. Dies war das Gedankengut, das der junge Adolf Hitler kennenlernte, als er 1907 nach Wien kam.

Antisemitismus in Wien Ist der Antisemitismus auch ein Phänomen, das sich in Wien ebenso wie anderswo in Europa bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt, so haben sich Formen und Argumente doch verändert. Die Entwicklungslinie zieht sich vom religiös über den wirtschaftlich zum rassisch motivierten Antisemitismus. Freilich dürfte das wirtschaftliche Motiv schon frühzeitig auch im Hintergrund eines sich in religiöse Formen kleidenden Antisemitismus gestanden sein: Seit dem 13. Jahrhundert war den Juden das Geldverleihgeschäft eröffnet, das Christen durch

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Jüdisches Wien – Demografie, Geografie, Soziales

Die jüdische Bevölkerungsentwicklung Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lebten in der österreichisch-ungarischen Monarchie mehr als zwei Millionen Juden. Im österreichischen Reichsteil bekannten sich 4,7 Prozent der Bevölkerung zur israelitischen Religionsgesellschaft, im ungarischen 4,4 Prozent. Insgesamt dürfte damit fast ein Fünftel der damaligen jüdischen Weltbevölkerung seine Heimat in Österreich-Ungarn gehabt haben. Etwa zwei Drittel der österreichischen Juden lebten in Galizien, dann folgten zunächst Böhmen und die Bukowina. Aus Galizien und Böhmen verlegten viele jüdische Familien, nachdem die Niederlassungsfreiheit gewährleistet war, ihren Wohnsitz nach Wien, woraus sich das große Wachstum der dortigen jüdischen Bevölkerung erklärt. Waren es zunächst oft zu Wohlstand oder sogar Reichtum gelangte jüdische Familien wie die Familie Epstein, die es in die Reichshauptstadt zog, so nahm gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der armen galizischen Juden stark zu, die in Wien bessere wirtschaftliche Chancen erhofften. Für die Zeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kann die Zahl der in Wien lebenden Juden nur geschätzt werden, da viele von ihnen die Niederlassungsbeschränkungen zu umgehen vermochten. Die Zahl der offiziell „tolerierten“ jüdischen Familien wird für 1787 mit 66 angegeben. Bis zum Jahr 1847 verdreifachte sie sich auf 197. Die Schätzungen für die Zahl der tatsächlich 134

in Wien lebenden Juden schwanken für 1848 zwischen 4.000 und 20.000. Bis 1880 war die Zahl der in Wien (ohne Vororte) lebenden Juden auf rund 73.000 gestiegen, 1910 hatte sie rund 175.000 erreicht (mit Vororten). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte weniger als 1 Prozent der Juden der österreichischen Länder in Wien, 1910 waren es mehr als 13 Prozent; der jüdische Bevölkerungsanteil Wiens lag bei fast 9 Prozent.

Die Sozialstruktur der Wiener Juden Eine für das Jahr 1857 angestellte Untersuchung der Sozialstruktur der jüdischen im Vergleich zur christlichen Bevölkerung Wiens zeigt deutliche Unterschiede: Insgesamt erscheint die jüdische Sozialstruktur „moderner“, was speziell für die Berufsstruktur mit ihrer Konzentration auf Handel und Bankwesen gilt. Der Anteil an Handwerkern und Dienstboten ist wesentlich niedriger als in der christlichen Bevölkerung. Unter den Börsenmaklern übertreffen die Juden die Christen sogar in absoluten Zahlen. In der Perspektive des Jahres 1857 „modern“ wirken auch die Familienstrukturen, zum Beispiel der geringere Anteil Unverheirateter oder der geringere Altersabstand der Ehepaare. Die im Durchschnitt höhere Finanzkraft der Juden kommt in diesen sozialstrukturellen Unterschieden ebenso zum Ausdruck wie das geringere Maß an zünftischen Bindungen. Viele der „tolerierten“ jüdischen Familien hatten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Elite der Wiener Gesellschaft gezählt. 1821 gab es bereits neun adelige jüdische Familien in

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Wien, deren Nobilitierung wirtschaftlicher Erfolg in Handel und Bankwesen vorangegangen war. 1836 war die Hälfte der Direktoren der Oesterreichischen Nationalbank geadelte Juden. Diese Funktion sollten später auch Lazar/Leopold Epstein und nach ihm sein Sohn Gustav ausüben. Familien wie Arnstein, Eskeles, Wertheimer oder Gomperz, ab der Jahrhundertmitte auch Epstein, nahmen im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben Wiens eine führende Rolle ein. An der Wende zum 20. Jahrhundert hatte sich die Sozialstruktur der Wiener Juden gewandelt: Nunmehr dominierten die armen Juden galizischer Herkunft, die oft als Kleinhändler oder Handelsangestellte tätig waren. Die durch den Weltkrieg ausgelöste Binnenmigration löste eine letzte große Welle des Zuzugs galizischer Juden nach Wien aus.

Jüdische Einrichtungen in Wien Im Novemberpogrom des Jahres 1938 wurden in Wien mehr als 80 Synagogen und Bethäuser zerstört, das zeigt, wie groß die Zahl jüdischer Einrichtungen damals war. Die Anfänge waren bescheiden, denn nach der Vertreibung von 1669 hatte keine jüdische Gemeinde mehr in Wien bestanden. Die einzigen Einrichtungen waren der jüdische Friedhof in der Rossau und das auf dessen Boden 1698 vom Hofbankier Samuel Oppenheimer errichtete jüdische Spital. Die „tolerierten“ jüdischen Familien Wiens erhielten 1811 von Kaiser Franz I. die Erlaubnis zum Erwerb eines Hauses, zur Einrichtung einer Lehranstalt, eines Bethauses und eines Frauenbades. Der damals

erworbene „Dempfingerhof“ am Katzensteig, der heutigen Seitenstettengasse, wurde bereits einige Jahre später abgerissen und durch die von Joseph Kornhäusel architektonisch gestaltete Synagoge ersetzt. Sie besteht bis heute, weil sie als einzige der Wiener Synagogen das Jahr 1938 unzerstört überdauert hat. Mit der Synagoge hatte die jüdische Gemeinde Wiens ihr repräsentatives geistiges Zentrum gefunden. Als Gemeinde formell anerkannt wurde sie erst nach der Revolution von 1848. In den 1860er-Jahren bürgerte sich die Bezeichnung „Kultusgemeinde“ ein. Diese wurde zur organisatorischen Drehscheibe für alle jüdischen Einrichtungen. Dazu zählten neben den Synagogen und Bethäusern Spitäler, wie zum Beispiel das von Anselm Salomon Baron Rothschild errichtete Rothschild-Spital am Währinger Gürtel oder das von seinem Sohn Nathaniel gestiftete Neurologische Krankenhaus am Rosenhügel, aber auch Versorgungseinrichtungen beispielsweise für Blinde und Taubstumme, Altersheime, Waisenhäuser sowie Volks-, Hauptund Mittelschulen. Gustav Ritter von Epstein ließ sich als Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde insbesondere die Waisenpflege angelegen sein.

Wohnen im jüdischen Wien Stadtgeografisch verteilten sich die Wohnsitze der Wiener Juden keineswegs gleichmäßig. Vielmehr bildeten sie deutlich ausgeprägte „Cluster“ entlang weit zurückreichender 135

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Traditionslinien. Die armen Juden, die Kleinhändler, Hausierer und Kleingewerbetreibenden, insbesondere auch die Zuwanderer aus Galizien, lebten konzentriert in der Leopoldstadt, wo im 17. Jahrhundert das Getto bestanden hatte. Der Volksmund sprach spöttisch von der „Mazzesinsel“. Alte jüdische Siedlungstradition, auf das 16. Jahrhundert zurückgehend, gab es auch in der Rossau. Im späten 19. Jahrhundert siedelten sich am Alsergrund, schon der Nähe zur neuen Universität wegen, viele jüdische Gelehrte und Freiberufler an. Die Adresse „Berggasse 19“ wurde weltbekannt. Am weitesten zurück ging die Tradition jüdischer Wohnsiedlung in der Inneren Stadt, wo um den späteren Judenplatz bereits im 13. Jahrhundert das erste Getto entstand. Die Innere Stadt blieb ein Mittelpunkt jüdischen Wohnens, vor allem für die wohlhabenden und reichen Juden, die die Nähe zum Hof und zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zentren suchten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts löste sich die Konzentration auf das Viertel um die Synagoge in der Seitenstettengasse auf und es bildeten sich neue Schwerpunkte, zum Beispiel das „Textilviertel“ um den Rudolfsplatz. Die reichsten unter den jüdischen Bürgern Wiens, die großteils nobilitierten jüdischen Großhändler und Bankiers, errichteten ihre Palais an der Ringstraße, einige auch im vom Adel geschätzten 4. Bezirk. Hinzu kamen Vorstadtpalais, zum Beispiel in Döbling. Einen Querschnitt durch die Schicht des jüdischen Großbürgertums und Geldadels und die Wohnsitzverteilung der wichtigsten Vertreter dieser sozialen Schicht etwa in den 136

1880er-Jahren – könnte gleichsam ein „virtuelles Adressbuch“ von Gustav und Emilie Epstein darstellen.

Zeugnisse des Wiener Judentums Mehr als 65.000 jüdische Österreicherinnen und Österreicher sind unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet worden; über 60.000 von ihnen stammten aus Wien. Verfolgung, Vertreibung und Ermordung durch die Schergen des nationalsozialistischen Regimes haben die Tradition der jüdischen Gemeinde Wiens unterbrochen. Nach 1945 konnte nur langsam wieder daran angeknüpft werden. An das alte Wiener Judentum, insbesondere an seine Blütezeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert, erinnern eindrucksvolle Zeugnisse:

• Die

jüdischen Friedhöfe: Der älteste erhaltene jüdische Friedhof befindet sich in der Seegasse in der Rossau. Ab 1783 wurde über ein knappes Jahrhundert der Währinger jüdische Friedhof benutzt, hier liegt auch das Grab der Familie Epstein. Im Zuge der Anlage des Zentralfriedhofes wurde beim I. Tor im Jahre 1877 eine jüdische Abteilung eingerichtet, 1916 eine zweite beim IV. Tor. Einer der ersten in der Ehrenreihe Bestatteten war Gustav Ritter von Epstein.

• Die Synagoge: Die von Joseph Kornhäusel in den Jahren 1824 bis 1826 erbaute Synagoge in der Seitenstettengasse 4 ist die erste nach der josephinischen Toleranzgesetzgebung in Wien

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errichtete Synagoge, zugleich auch die einzige noch weiter bestehende. 1938 zwar verwüstet, aber nicht zerstört, wird sie seit 1945 wiederverwendet und lässt trotz baulicher Veränderungen die schlichte Eleganz ihrer Entstehungszeit erkennen. Von anderen Synagogen – wie der von Ludwig Förster in der Tempelgasse 3 errichteten – sind nur Gebäudeteile erhalten.

• Privathäuser:

Von den jüdischen Privathäusern stachen die Palais der zu Reichtum gelangten Großhändler- und Bankiersfamilien hervor. Unter den jüdischen Ringstraßenpalais in der Substanz unverändert erhalten ist allein das Palais Epstein.

Kulturgeschichtliche Bedeutung des Wiener Judentums Jüdische Identitäten Die Suche nach Identität war den Menschen in den letzten Jahrzehnten des Bestands der österreichisch-ungarischen Monarchie nicht fremd. Religiöse und soziale Bindungen waren aufgebrochen, nationale Bindungen gewannen neue, schärfere Konturen. In besonderem Maße waren die Juden mit der Frage nach ihrer Identität konfrontiert. Während sie allein im ländlichen Galizien in festgefügten dörflichen Gemeinschaften lebten, sahen sie sich überall sonst am Rande einer Gesellschaft. Nur wirtschaftlicher Erfolg im Verein mit josephinischer Toleranz

und der 1867 endlich erreichten rechtlichen Gleichstellung schien ihnen eine Chance zu bieten, aufgenommen zu werden. Assimilationsdruck und Assimilationschance gingen Hand in Hand. Erstrebenswertes Ziel war dabei die Assimilation in die jeweils dominante ethnische Gruppe: In den ungarischen Ländern waren das die Ungarn, in Galizien die Polen, in den übrigen österreichischen Ländern die deutschsprachige Bevölkerung. Auch in einer zweisprachigen Stadt wie Prag fühlten sich jüdische Familien wie die Familie Epstein daher der deutschen Sprache und Kultur zugehörig, umso mehr in Wien. Das Spektrum jüdischer Identitäten reichte weit – von der tief empfundenen und gelebten Verwurzelung im orthodoxen jüdischen Glauben bis hin zu radikaler Ablehnung alles Jüdischen, zu einer Form der Assimilation, die in Verleugnung der eigenen Wurzeln mündete. Vielfältig waren die Zwischenstufen: verschiedenste Ausprägungen religiöser Überzeugungen und Verhaltensformen zwischen Orthodoxie und Reform, zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, bis hin zur Indifferenz, ebenso unterschiedliche Verschränkungen von religiöser, sozialer und sprachlicher bzw. ethnischer Identität. Dies war oft auch im Laufe eines Lebens mancher Wandlung unterworfen, wie etwa die Biografie Theodor Herzls zeigt. Der rassische Antisemitismus, auf den Herzl mit der Entwicklung des Zionismus reagierte, zog schließlich eine Trennlinie, die auch Assimilationsbereitschaft nicht überwinden konnte.

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Jüdische Persönlichkeiten Stefan Zweig entwickelt in der „Welt von Gestern“ ein „Drei-Generationen-Modell“ speziell für jüdische Familiengeschichten: „Im allgemeinen wird angenommen, reich zu werden sei das eigentliche und typische Lebensziel eines jüdischen Menschen. Nichts ist falscher. Reich zu werden bedeutet für ihn nur eine Zwischenstufe, ein Mittel zum wahren Zweck und keineswegs das innere Ziel. Der eigentliche Wille des Juden, sein immanentes Ideal, ist der Aufstieg ins Geistige, in eine höhere kulturelle Schicht ... Darum ist auch fast immer im Judentum der Drang nach Reichtum in zwei, höchstens drei Generationen innerhalb einer Familie erschöpft, und gerade die mächtigsten Dynastien finden ihre Söhne unwillig, die Banken, die Fabriken, die ausgebauten und warmen Geschäfte ihrer Väter zu übernehmen.“ Die Familie Epstein ist ein Prototyp für diese These: Gustav, der Enkel Israels, der den wirtschaftlichen Aufstieg der Familie begründet, und Sohn von Lazar/Leopold, der den Aufstieg vollendet hatte, begeisterte sich für die Künste und engagierte sich in Wohltätigkeit, übernahm aber das Geschäft mit wenig Enthusiasmus. Familien wie Gomperz, Lieben oder Wittgenstein weisen in ihrer Familiengeschichte verwandte Muster auf, geprägt von der Verlagerung des Interessenschwerpunkts von der Wirtschaft über die Kultur bis zur Wissenschaft. Unter den herausragenden jüdischen Persönlichkeiten Österreichs im 19. und frühen 20. Jahrhundert finden sich viele Menschen, die der wirtschaftlichen Entwicklung entscheidende Impulse verliehen 138

haben, gerade zur Jahrhundertwende hin aber auch immer mehr, die sich ausübend oder fördernd bleibende Verdienste um Künste und Wissenschaften erwarben und Wien zur Kulturmetropole des „Fin de Siècle“ machten.

Berühmte jüdische Familien in Wien Als 1873 der „Börsenkrach“ der gründerzeitlichen Hausse ein Ende setzte, waren unter den 16 Börseräten der Wiener Börse neun Juden. Einer von ihnen war Gustav Ritter von Epstein, die übrigen gehörten anderen bedeutenden jüdischen Familien an, die in Bankwesen und Handel eine führende Rolle spielten. Äußerlich sichtbares Zeichen des wirtschaftlichen Erfolges und des mit ihm einhergehenden Eintrittes in die gesellschaftliche Elite war in der Regel die Nobilitierung, die Gustav Ritter von Epstein 1866 zuteil geworden war. Lag der Anteil der Juden unter den Nobilitierten im gesamten Zeitraum von 1701 bis 1918 mit 4,3 Prozent (450 von 10.414) nur geringfügig unter dem Bevölkerungsanteil, so war er gerade in der Gründerzeit deutlich höher. Die erste Nobilitierung eines ungetauften Juden war erst durch Joseph II. im Jahre 1789 erfolgt. Mehr als zwei Drittel der in den Adelsstand erhobenen Juden waren Bankiers, Großhändler und Fabrikanten. Zu den geadelten Familien zählten Arnstein, Auspitz, Biedermann, Boschan, Ephrussi, Epstein, Eskeles, Goldberger, Goldschmidt, Gomperz, Gutmann, Kaan, Königswarter, Lieben, Löwenthal, Mauthner, Minkus, Oppenheimer, Pereira, Rothschild, Schey, Springer, Taussig, Todesco, Wertheim, Wertheimer und Wodianer.

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86 der 115 geadelten jüdischen Familien Wiens sind später zum Christentum übergetreten. Gerade in der gesellschaftlichen Elite schien die Assimilation besonders attraktiv zu sein. Oft war es die Verschwägerung mit christlichen Familien, die den letzten Anstoß zur Konversion gab. In Wien scheint jedoch die Assimilationschance ebenso als überdurchschnittlich groß empfunden worden zu sein wie der Assimilationsdruck: Von 1891 bis 1914 sind in Wien mehr als 12.000 Menschen aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten.

Juden als Bauherren Erst die Aufhebung der Beschränkungen in der Immobilienbesitzfähigkeit ließ ab 1848 Juden zu Bauherren werden. Durch Errichtung repräsentativer Wohnbauten konnten sie nicht nur eine ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung entsprechende Wohnumgebung, sondern auch architektonische Denkmäler schaffen. Bis dahin hatten sie zwar Fabriken errichten dürfen, nicht aber Wohnhäuser, und wenn ihnen ein hypothekarisch belehntes Gebäude zufiel, so mussten sie es wieder verkaufen. Mit der Freiheit zum Erwerb von Immobilien fiel die Anlage der Wiener Ringstraße zusammen. So überrascht es nicht, dass die bedeutendsten jüdischen Familien Wiens ihre Palais an dem neuen Prachtboulevard erbauen ließen. Die beiden vermutlich teuersten, weil der Hofburg am nächsten gelegenen Bauplätze an der Ringstraße wurden von Juden erworben: Gustav Ritter von Epstein errichtete sein Palais nächst der Bellaria; über den

Heldenplatz hatte er freie Sicht auf die Hofburg. Weniger auffällig, aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zum Burggarten, aber ebenso prominent ist die Lage des Palais Schey, das der mit Gustav Ritter von Epstein persönlich und geschäftlich verbundene Friedrich Baron Schey von den gefragten Ringstraßenarchitekten Johann Romano und August Schwendenwein erbauen ließ. Sie waren auch für die Ausführung des Palais des Bankiers und Präsidenten der Kultusgemeinde Jonas Ritter von Königswarter am Kärntner Ring verantwortlich. Der Architekt des Palais Epstein wiederum, Theophil Hansen, zeichnete auch für das Palais Ephrussi und gemeinsam mit Ludwig Förster für das Palais Todesco verantwortlich, ein anderer der großen Ringstraßenarchitekten, Heinrich Ferstel, für das Palais Wertheim. Die jüdischen Bauherren trugen wesentlich dazu bei, der Ringstraße ihr bis heute markantes Gesicht zu verleihen.

Jüdisches Mäzenatentum Zu den glanzvollsten Salons der Ära des Wiener Kongresses zählte jener der Baronin Fanny Arnstein, Gemahlin eines reichen jüdischen Bankiers. Christen und Juden, Adelige und Großbürger, Diplomaten und Politiker trafen hier auf Dichter und Musiker wie die Schlegels, Varnhagen, Körner oder den jungen Meyerbeer. Hatten Arnstein und sein Kompagnon Eskeles zu den herausragenden Vertretern der „tolerierten“ Juden Wiens in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gezählt, so ermöglichte es die freiere Atmosphäre nach 1848 den reichen Wiener Juden umso mehr, ihre Salons zu Mittelpunkten des 139

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gesellschaftlichen und kulturellen Lebens zu machen, insbesondere durch das noch repräsentativere Ambiente der neuen Palais. Geprägt wurden diese Salons von den Gastgeberinnen wie Josephine von Wertheimstein, Sophie Baronin Todesco oder Emilie von Epstein. Die jüdischen Bankiers, Großhändler und Industriellen förderten das Wiener Kulturleben durch großzügige Spenden an alle kulturellen Einrichtungen. Ohne die Beiträge von Juden wie Gustav Ritter von Epstein hätte weder das Musikvereinsgebäude erbaut noch das Museum für Kunst und Industrie, das heutige Museum für angewandte Kunst, eingerichtet werden können. Häufig bildete die Spendenbereitschaft das Bindeglied zwischen Liebe zur Kunst und Wohltätigkeit, wenn etwa künstlerische Veranstaltungen für wohltätige Zwecke ausgerichtet wurden. Der nachmalige Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann berichtet zum Beispiel von „lebenden Bildern“ mit Musik im Hause Todesco, die 40.000 Gulden (in heutiger Währung kaufkraftmäßig rund 400.000 Euro) für das jüdische Taubstummeninstitut einbrachten. Er schreibt: „Ich selbst hatte nur einen Stehplatz am Eingang des Saales erwischt, aber hinter mir stand noch Gustav Epstein, einer der wichtigsten Wiener Bankiers ...“ Der sich so bescheiden im Hintergrund hielt, zählte stets zu den großzügigsten Mäzenen der Kunst und Spendern für die Wohlfahrt.

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Exkurs

Informationen zu gesetzlich anerkannten Kirchen- und Religionsgemeinschaften sowie zu staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften sind auf der Website des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (Kultusamt) zu finden: http://www.bmukk.gv.at/ministerium/kultusamt/ Gesetzlich_anerkannte_Ki5433.xml

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Weiterführende Literatur aus der Parlamentsbibliothek Palais Epstein, Ringstraße

Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte

Bernhard, Marianne: Zeitwende im Kaiserreich. Die Wiener Ringstraße: Architektur & Gesellschaft 1858–1906. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1993. Signatur der Parlamentsbibliothek: 51.769

Baltzarek, Franz et al.: Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Ringstrasse. Verlag Steiner, Wiesbaden 1975. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.159/5.

Dmytrasz, Barbara: Die Ringstraße. Eine europäische Bauidee. Amalthea Verlag, Wien 2008. Signatur der Parlamentsbibliothek: 73.950

Bruckmüller, Ernst: Sozialgeschichte Österreichs. Verlag Oldenbourg, Wien 2001. Signatur der Parlamentsbibliothek 48.122,2.A

Hamann, Brigitte et al.: Die Geschichte des Palais Epstein: Geschichte, Restaurierung, Umbau. Verlag Löcker, Wien 2005. Signatur der Parlamentsbibliothek: 70.012

Johnston, William M.: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte: Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848–1938. Böhlau Verlag, Wien 2006. Signatur der Parlamentsbibliothek: 71.359,4.A

Hamann, Brigitte: Das Palais Epstein im Lauf der Geschichte, in: Forum Parlament 2/2005. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-5.534/B, 2005,2

Lichtenberger, Elisabeth: Wirtschaftsfunktion und Sozialstruktur der Wiener Ringstrasse. Böhlau Verlag, Wien 1970. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.159/2

Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße: Geschichten – Menschen – Geheimnisse. Amalthea Verlag, Wien 2007. Signatur der Parlamentsbibliothek: 73.040 Springer, Elisabeth: Geschichte und Kulturleben der Wiener Ringstrasse. Verlag Steiner, Wiesbaden 1979. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.159/2

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ANHANG: WEITERFÜHRENDE LITERATUR AUS DER PARLAMENTSBIBLIOTHEK

Kaiser Franz Joseph I., Habsburgermonarchie

Geschichte Österreichs, Geschichte Wiens

Csendes, Peter [Hrsg.]: Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs I.: Österreich 1848–1918 [das Tagebuch einer Epoche]. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1991. Signatur der Parlamentsbibliothek: 65.478

Bled, Jean-Paul: Wien: Residenz – Metropole – Hauptstadt. Böhlau Verlag, Wien 2002. Signatur der Parlamentsbibliothek: 64.465

Drimmel, Heinrich: Franz Joseph: Biographie einer Epoche. Amalthea Verlag, Wien 1992. Signatur der Parlamentsbibliothek: 51.699,3.A Wandruszka, Adam et al. [Hrsg]: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. [8 Bände]. Wien: VÖAW. Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.083

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Sachslehner, Johannes: Wien: eine Geschichte der Stadt. Styria Verlag, 2006. Signatur der Parlamentsbibliothek: 70.260 Vocelka, Karl: Geschichte Österreichs: Kultur – Gesellschaft – Politik. Styria Verlag, Graz 2000. Parlamentsbibliothek: 62.033

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Impressum: Herausgeber: Parlamentsdirektion Wien Redaktion und internes Lektorat: Maria-Luise Janota und Martha Giefing Druck: Ueberreuter, Korneuburg Grafische Gestaltung: Bernhard Kollmann Lektorat: Christa Hanten Erste Auflage 2009 ISBN: 3-901991-16-6

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www.parlament.gv.at

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