DAS HAUS. Zum weissen Adler IN STEIN AM RHEIN

DAS HAUS Zum weissen Adler IN STEIN AM RHEIN VORWORT Im Jahre 1978 kaufte die Zunft ‹zum Kleeblatt› das Haus ‹zum weissen Adler›. Damit gelangte das...
Author: Adam Friedrich
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DAS HAUS Zum weissen Adler IN STEIN AM RHEIN

VORWORT Im Jahre 1978 kaufte die Zunft ‹zum Kleeblatt› das Haus ‹zum weissen Adler›. Damit gelangte das kunsthistorisch bedeutendste Privathaus der Stadt in die Obhut der traditionsreichsten Gesellschaft Stein am Rheins. Sowohl das Gebäude wie die Zunft können nämlich auf eine weit über 500jährige Geschichte zurückblicken. Ihr historischer Ursprung lag in der Zeit, als Stein am Rhein noch unter österreichischer Herrschaft gestanden hatte, und ihre Geschichte umfasst die Epochen der freien Reichsstadt Steins über die Oberhoheit Zürichs und der französischen Besetzung bis zur Eingliederung der Stadt in den Kanton Schaffhausen. Die reichhaltige Vergangenheit, welche die Kleeblattzunft und der ‹weisse Adler› mit seiner prächtigen Fassade fast unbeschadet durchlebt haben, verdient es zweifellos, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Die ausgezeichneten Arbeiten, die darüber verfasst wurden, sind jedoch schon seit Jahren vergriffen oder in verschiedenen Fachbüchern und Zeitschriften abgehandelt und für den interessierten Laien deshalb kaum erreichbar. Es war deshalb der Wunsch der Zunft ‹zum Kleeblatt›, diesen Mangel durch eine Neuveröffentlichung dieser verschiedenen Beiträge abzuhelfen. Die Vereinheitlichung der Arbeiten warf allerdings Probleme auf, denn die Entstehungszeit und damit der Forschungsstand liegen recht weit auseinander. Der älteste, stilistisch und an Phantasie aber hervorragende Aufsatz von Ferdinand Vetter über den ‹weissen Adler› (1923) enthält in der Fassadenbeschreibung deshalb zahlreiche Fehler, wogegen die nüchterne, aber präzise kunsthistorische Arbeit Reinhard Frauenfelders (1957) in vielen Bereichen zu knapp ausfällt, indem sie die Kenntnis über die bildlich dargestellten Szenen voraussetzt. Wir haben uns deshalb entschlossen, die beiden Verfasser dort zu Wort kommen zu lassen, wo ihre Stärken liegen. Der kulturgeschichtliche Hintergrund Vetters über die Entstehungszeit der Malerei wurde gewissermassen als Einleitung vorangestellt und seine prägnanten Erklärungen der einzelnen Szenen als Anmerkungen der Arbeit Frauenfelders beigefügt. Das gleiche gilt für die Untersuchungen Heinrich Waldvogels. Seine 1964 erschienene, umfassende Hausgeschichte ersetzt diejenige von Frauenfelder, wogegen auf seine von diesem übernommene Fassadenbeschreibung verzichtet werden konnte. Einfacher war es mit der Geschichte der Zunft ‹zum Kleeblatt›. Die Abhandlung von Heinrich Waldvogel aus dem Jahre 1930 steht bisher alleine da und wurde deshalb, abgesehen vom Vorwort und dem Urkundenanhang, vollständig übernommen. Nur weniges ist diesen Aufsätzen beizufügen. Das Innere des Hauses wird in keinem der Aufsätze erwähnt, da durch die Renovationen und Umbauten des 19. und 20. Jahrhundert der ursprüngliche Charakter verloren ging, und kaum noch etwas Sichtbares vorhanden war, das hervorzuheben sich lohnte. Erst 1975 wurden durch Zufall im ersten Stock auf der Südseite Wandmalereien entdeckt, die 1976 durch Oskar Emmenegger restauriert wurden. Dargestellt wird, umgeben von zahlreichen Ranken mit darauf sitzenden Vögeln, die Enthauptung es Holofernes durch Judith. Links oben die Jahreszahl

1566 und das stilisierte Wappen der Schmid mit den Initialen I.S. Da der Ratsherr Johann Georg Schmid das Haus 1780 umfassend renovieren liess, dürften diese beiden Buchstaben mit ihm in Verbindung zu bringen sein. Die Malerei wurde der Datierung nach von Hans Henseler (Hensaler) veranlasst, der das Haus zwischen 1544 und 1568 besessen hatte. Ebenfalls erwähnenswert ist die prächtige spätgotische, ursprünglich rot gefasste Balkendecke im selben Raum. Bei der Voruntersuchung für eine Restaurierung durch das Atelier Arn im Jahre 1979 kamen ausserdem zahlreiche Malereien aus dem 16. Jahrhundert zum Vorschein, allerdings von durchwegs schlechtem Erhaltungszustand, was eine eindeutige Interpretation der figürlichen Malerei verunmöglicht. Vermutlich handelt es sich bei der Südwand im zweiten Stock in der Fensterleibung links um eine Darstellung der Diana mit Bogen und rechts um einen Herkules mit Keule (?). Im Südwestlichen Raum ist ausserdem ein alter Archivschrank eingemauert. Peter Scheck Stadtarchivar

DER WEISSE ADLER Eine Laienpredigt der Humanistenzeit auf dem Marktplatz zu Stein am Rhein

Zur Zeitgeschichte Nach den Stürmen der Reformationszeit, die im eidgenössischen Thurgau und Hegau wie überall die Gemüter und die Begehrlichkeiten der Bürger und der Bauern mächtig erregt hatten, war auch in der kleinen ehemaligen Reichsstadt und nunmehrigen Zürcher Untertanenstadt Stein am Rhein eine Zeit ruhigen Behagens eingekehrt. Die Schmerzen, die der Handel mit der Regierung in Zürich wegen der Klostergüter hinterlassen hatte, waren bei den Bürgern überwunden: sie erwarben dafür in der Umgebung eine schöne Besitzung nach der anderen; sie lebten und liessen leben, sie ‹freieten und liessen sich freien›, sie handelten und wandelten und liessen zumeist – wie noch heute – den Herrgott einen guten Mann sein. Die Geistlichen predigten und schulmeisterten Sonn- und Werktags, was das Zeug hielt, und trösteten daneben die armen verurteilten Hexen durch die Aussicht auf den Himmel nach überstandener Feuer- und Höllenqual. Die städtische Obrigkeit übte im Namen der Regimentsstadt ebenso schneidig und brünstig mit Schwert und Feuer die hohe, wie der Zürcher Amtmann im aufgehobenen Kloster – mild, doch bestimmt – die einträglichere niedere Gerichtsbarkeit. Aber auch die edle Kunst die der letzte Abt David durch seine Baumeister und Maler eifrig und glänzend gepflegt hatte, fand jetzt bei den wohlhabend gewordenen Bürgern Verständnis und Förderung. Sie liessen nicht nur beim Bildersturm von 1525 wenigstens die reich geschnitzten Chorstühle der dem Abte abgetrotzten alten Klosterkirche bestehen und bewahrten dieselben samt den später von der Zürcher Regierung dorthin gestifteten Wappenmalereien der Fenster an Ort und Stelle auf, bis vor hundert Jahren der nachträgliche Reformations- und neuzeitliche Aufklärungseifer mit all diesem alten Kram aufräumte: die Bürger selber bauten nun (1539) am Hauptplatz des Städtchens neben der noch vor dem kirchlichen Umschwung von ihnen errichteten (heute halb im Boden vergraben) Beinhauskapelle ihr eigenes neues Markt- und Rathaus, das als schlichter, aber landwüchsiger Riegelbau auf massigem steinernem Erdgeschoss bis zur letzten Restauration vor 20 Jahren das Stadtbild würdig schmückte und beherrschte. Von den eidgenössischen Ständen und den Nachbarstädten aber erhielt das neue Haus damals (1542) den herrlichen Schmuck seiner Glasgemälde, die heute wieder, nach zeitweiliger Entfremdung, vereinigt mit den wenigen erhaltenen Stücken der ehemaligen glasmalerischen Ausstattung des Klosters, den Stolz der Stadt bilden und ihr den Ruf der klassischen Stätte schweizerischer Profanglasmalerei weiterhin sichern, trotzdem ihr der grössere Teil ihres ehemaligen Besitzes an gemalten Scheiben (in der Stadtkirche, im Kloster, in

den Zunfthäusern, im Mittleren Hof, im Schwarzen Horn, um nur das sicher Festgestellte zu nennen) längst abhanden gekommen ist. Solch reicher Kunstbesitz und eigener tätiger Kunsteifer wirkt nun vom Reformationszeitalter her noch heute nach in den Zeugen der anderen künstlerischen Besonderheit Steins: im äussern malerischen Schmuck des Privathauses. Und hier nimmt innerhalb des uns noch erhaltenen Bestandes alter Fassadenmalereien das Haus von dem wir hier sprechen wollen, der Weisse Adler – der Zeit und der Eigenartigkeit der dargestellten Gegenstände nach – den ersten Rang, innerhalb der uns in deutschen Landen bekannt gewordenen Häusermalereien eine ganz einzige Stellung ein. Der Mann, der den Auftrag gab, diese Hausfront zu bemalen – und vermutlich auch schon das Haus zu erbauen, hier am Hauptzugang des Marktplatzes vom Reiche her – muss ein eigenartiger und selbständiger Kopf gewesen sein. Die anderen in der Reformationszeit malerisch ausgestatteten Häuser Steins zeigen meist Darstellungen aus der damals für das Volk neu entdeckten biblischen Geschichte (der auf der anderen Seite des Platzes stehende Rote Ochse z.B. den Goliath mit David, die Judith, die 10 Jungfrauen an der Himmelspforte – neben Lukrezia und Curtius, Fortuna, Sapientia und Melancholia – , im Innern den Erzvater Noah die Arche verlassend). Dagegen hat der Mann vom Weissen Adler unter Ausschluss jeglichen christlichen und biblischen Stoffes oder heimatlich-patriotischen Gegenstandes, aus eigenem Nachdenken und aus dem Studium seiner Bücher heraus, einen rein menschlichen und weltlichen Gedanken von seinem Maler durchführen lassen: den der G e r e c h t i g k e i t . Dieser Gedanke konnte in dem sinnigen und beschaulichen Geiste des damaligen Hausbesitzers leicht aufsteigen, wenn er aus den Fenstern seines neu erbauten oder schon des früher an dieser Stelle von ihm bewohnten alten Hauses das Treiben der dazumal noch zahlreicheren Wochenmarktbesucher auf dem Marktplatz und vor der Kornhalle überblickte und in die ihm gerade gegenüberliegende Ratsstube hineinsehen konnte, zu der vermutlich schon damals die seit der ‹Restauration› ungeschickt auf die Marktseite versetzte Eingangstür und die vor Beobachtern gedeckte Haustreppe für alle Rechtsuchenden und Rechtsprechenden hinein- und hinaufführte. ‹Gerechtigkeit erhöhet ein Volk›, Gerechtigkeit und Weisheit sollen in diesem Rathaus wohnen und uns Glück bringen: das wollte dieser weise und in altem und neuem Schrifttum belesene Laie von seiner bemalten Hausfront herab seinen Mitbürgern predigen.

Fassadenbeschreibung Äusseres. Die Türeinfassung aus Sandstein ist um 1780 entstanden. Der Scheitel des Korbbogens enthält eine Rokokokartusche mit dem Allianzwappen Schmid-Ammann. Zartes Gitter im Oberlicht. Der Fenstereinbau links kam laut Datum im Sturz erst 1903 an Stelle eines ‹kleinen, traulichen HansSachs-Fensters› (F. Vetter) zur Ausführung. Die Fenstereinteilung der drei Obergeschosse ist, mit Ausnahme des zweiten, unregelmässig und seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts nie mehr verändert worden. Die äusseren Sparren des ziemlich weit vorstehenden Dachvorsprungs sind als Fratzen behandelt. Die Wandmalereinen. Hans Rott war der erste, der in dem Schaffhauser beziehungsweise Steiner Künstler THOMAS SCHMID (etwa 1490-1550/60) den Maler unserer Fresken vermutetet. Seitdem wird im Grossteil der Fachliteratur die Vermutung als feststehende Tatsache ausgesprochen, was unseres Erachtens zu weit geht. So sehr auch eine Verwandtschaft der Weiss-AdlerFresken mit denjenigen kurz vorher im Festsaal des Klosters St. Georgen entstandenen¹ in die Augen springt, so reichen bei genauerer Überprüfung der Details die Merkmale für eine absolute Gewissheit nicht aus, obwohl ja ein Auftrag an einen in Stein am Rhein beheimateten Künstler das Gegebene wäre. Im weiteren erschwert der Umstand, dass der ‹Weisse Adler› im 18. Jahrhundert übermalt und 1885 sozusagen von Grund auf überholt worden ist, eine erspriessliche Werkvergleichung. Trotzdem sind unsere Fresken, qualitativ zwar ein Werk eines nicht erstrangigen Lokalmeisters, in ikonographischer Hinsicht und hierzulande als einzige erhaltene Renaissace-Fassadenmalerei wertvoll. Letztere ist ‹ein hübsches Gegenstück zu der untergegangenen HANS HOLBEINS am Hertensteinhause zu Luzern von etwa 1517/19, wobei sich wohl thematisch wie formal Beziehungen ergeben, zugleich aber auch der Abstand deutlich wird … Hier wie in Luzern wird durch geringe architektonische Elemente die Mauerfläche nach der Gegebenheit der Fensterzonen in Bildfelder unterteilt› (Reinle). ‹Holbeinisch› sind auch die Ornamentik und die Behandlung der Scheinarchitektur. Wir erinnern etwa an die Friese, an die birnenförmigen und marmorierten Schäfte der Säulen und an die kassettierten Bogenhallen, wie sie auch auf dem Entwurf Holbeins für die Fassade des Hauses ‹zum Tanz› in Basel wiederkehren (1530/31). Das Datum der Entstehung variiert in der kunstwissenschaftlichen Literatur von 1515 bis 1530. Doch darf es aus stilistischen und thematischen Gründen auf die Jahre 1520 bis 1525 präzisiert werden.

¹ Bei denen aber Thomas Schmid nur einer der verschiedenen Maler war, deren Hände sich zudem kaum aus einander halten lassen (vgl. Kunstdenkmäler der Schweiz, Schaffhausen II, S. 122ff.)

Der Gesamtausbau der Wandbilder entwickelt sich im Rahmen einer Scheinarchitektur im Stile des beginnenden 16. Jahrhunderts. Die ergänzten Eckpfeiler2 im Erdgeschoss haben den ganzen Oberbau zu tragen, unterstützt im ersten Obergeschoss durch zwei kleinere Eckpfeiler und vier marmorierte Rundsäulen mit korinthischen Kapitellen. Die von den Fenstern unterbrochene Mauerfläche ist aufgeteilt in einzelne, unregelmässige Felder, in die das Bilderprogramm hineinkomponiert wurde. Die Einzelbilder sind mit bordürenartig ornamentierten, dem zeitgenössischen Buchschmuck entlehnten Randleisten eingefasst. Farblich stellt der heutige Zustand nur ein schwaches Abbild der originalen Fassung dar. Immerhin ist eine merkliche Vorliebe für die abwechseln verwendeten Tinkturen von Grün, Gelb und Weiss festzustellen. Als oberer Abschluss verläuft unter dem Dachvorsprung ein Fries mit spielenden und tanzenden Putti. Die Einzelbilder. Von oben nach unten und jeweils von links nach rechts. Sie verteilen sich folgendermassen: I. neben, II. unter den Fenstern des dritten Obergeschosses, III. neben, zwischen und unter den Fenstern des zweiten Obergeschosses und IV. seitlich der Aussenfenster des ersten Obergeschosses (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1 2

Seit 1931 lauten die Vermerke betreffend Restauration und Servitut über und unter dem Kapitell des rechten Pfeilers: ‹Chr. Schmidt rest. 1885› und ‹MvK·JR·SV·FV·ThdeS· Restauriert und unter Bundesschutz gestellt 1931›. Auflösung der Initialen (Konsortium zum Schutz des Weissen Adlers): Johann Jakob im Hof-Rüsch, Gerold Meyer von Knonau, Johann Rudolf Rahn, Theodor de Saussure, Ferdinand Vetter und Salomon Vögelin. Unter den Fenstern des ersten Obergeschosses Spruch von Ferdinand Vetter: ‹Vierhundert Jahr schier dauert′ ich, Verjüng′ nun als ein Adler mich, Zu künden heut und fürderhin, Der Väter Kunst und Biedersinn. Erneuert 1922 F.V. 24.XI.›

I 1 ‹Gerechtigkeit› als Frauengestalt mit verbundenen Augen. Sie hält in der Linken ein Schwert, in der Rechten eine Waage. Zu Füssen ein ruhender Löwe. In der rechten oberen Ecke Beischrift: ‹IVSTITIA›. I 2 Doppelbild. Oben: Frauengestalt auf kostbarem Thron, dessen Wangen mit Masken verziert sind. In der Rechten hält sie ein geöffnetes Buch (2a). Unten: In rechteckiger Umrahmung als Andeutung der Hölle liegt ein hässliches Weib mit wallendem Haar rücklings auf dem Boden. Ihr linkes Bein überschneidet in einer Art barocker Vorwegnahme den unteren Bildrand erheblich (2b). Beischrift: ‹MALITIA›. Sinn des Doppelbildes: Verurteilung des Bösen durch die Weisheit (Sapientia). I 3 Frauengestalt zu Pferd mit kostbarem Kelch in der Rechten und einem Schwert in der Linken. Die Kugel unter den Vorderfüssen des Tieres weist darauf hin, dass hier eine Allegorie der ‹Fortuna› vorliegt. I 4 Auf einem Scheinpfeiler ein pfeilschiessender Amor mit riesigem Phallos. Darunter Beischrift: ‹CUPIDO›. II 1 Eine nackte Frau, belegt mit einem schleifenartigen Band, hält in der Linken einen Himmelsglobus. Ohne Zweifel eine ‹Prudentia›. Unten rechts eine Flasche3.

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Wir vermuten ein Missverständnis des Restaurators von 1885. Es sollte nämlich ein Stundenglas sein. Ob das um die Frau gewundene Band ursprünglich nicht eine Schlange war? Schliesslich lässt der Himmelsglobus auf dem Photodruck von 1883 (Beilage zu Vögelin) auf einen Spiegel schliessen: alles Attribute der Prudentia.

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Von S. Vögelin als ‹einen ins Antike übersetzten St. Georg›, Stadtpatron von Stein, charakterisiert.

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‹Der alte König ist gestorben; die erledigte Krone trägt am Ende der offenen Halle, in der die Szene vorgeht, der Richter oder Reichsverweser auf seiner linken Hand, mit der Rechten ernsten Blickes darauf hinweisend. Denn um die Krone und Reich wird hier Gottesgericht gehalten: drei Söhne, von denen man weiss, nur einer sei der mit der rechtmässigen Gattin erzeugte und daher des Thrones würdige Sprosse, machen sich Erbe und Reich streitig. Niemand kann den Hader schlichten oder gültiges Zeugnis darin abgeben. Da tut der weise Richter den salomonischen Spruch: der von den dreien sei der echte Sohn, der im Wettschiessen auf die Leiche des Königs diesen ins Herz treffe. Der Leichnam lehnt nun im weiten weissen Totengewand, Hände und Füsse wie zum Hohn zusammengebunden, an der einen Halle der Schmalwand; bereits steckt ein Pfeil des ältesten Sohnes, der in Federhut und geschlitztem Wams mit erregter Gebärde seitwärts vor dem Altar steht,

II 2 (Abbildung 2) Parabel von der Macht der Einigkeit. Ein König im Ornat sitzt auf einem Thron, dessen Wange einen Helden zeigt, der mit dem Speer einen Delphin tötet4. Vor dem König stehen zwei Söhne. Der eine bricht mühelos einen Stab, der andere versucht vergeblich, dasselbe mit einem Bündel von Stäben zu tun. Weiter rechts zuschauende Hofleute. Darüber die wahrscheinlich erst 1780 in dieser Form aufgemalte Beischrift: ‹Bey der Figur man hie erkent, was Bruderbund zertrent, hingegen was dieselb erhalt, mit Einigkeit man vil verwalt›. Zeitgenössische literarische Vorlagen standen dem Maler zur Verfügung in den von SEBASTIAN BRANT herausgegebenen ‹Äsop-Fabeln›, mit Holzschnitten, Basel 1501, wo der Vater ein Bauer ist, und im ‹Narrenschiff› von GEILER VON KAISERSBERG, Strassburg 1520, wo der Vater als Sultan erscheint, also ein Fürst wie auf unserem Bild. In formaler Hinsicht fällt die Ähnlichkeit der Gewänder mit denjenigen im Festsaal zu St. Georgen auf, wobei wir insbesondere an die geschlitzten Ärmel und an die schwarz gerandeten Mäntel denken.

Abbildung 2 diesem in der Brust. Da spannt auch schon der zweite Sohn, der zum Überkleid auch noch das Wams abgelegt hat, den linken Fuss schützenmässig vorgesetzt, den Bogen zum Schuss, sich zu der Königswürde auch den Schützenpreis zu erwerben, der in Gestalt eines gedeckten Bechers auf dem marmornen Untersatz einer Säule steht. Aber hinter ihm, neben dem Richter, sieht man den jüngsten Sohn seinen weiten, pelzverbrämten Samtmantel eilig mit der Linken vor dem Leib zusammenraffen und mit der hoch über den Kopf erhobenen Rechten Bogen und Pfeil zu Boden werfen, um die Mordwerkzeuge mit Füssen zu treten. Und der von dem Richter vorgesehene Erfolg wird nicht ausbleiben: der Richter wird die Stimme der Natur erkennen, die damit aus dem jüngsten der Bewerber gesprochen hat, wie einst zu Jerusalem aus der echten Mutter des strittigen Kindes; er wird ihn als den echten Sohn erklären und ihm das Königreich von Rechtswegen zusprechen›. (Nacherzählt von Ferdinand Vetter, Weissadlerbüchlein, S. 14-16).

II 3

(Abbildung 3) Schuss auf den toten Vater5. Ein in ein weisses Leichentuch gehüllter, toter Greis ist aufrecht an eine Säule gestellt. Rechts seine drei Söhne. Der erste hat bereits einen Pfeil in den Toten geschossen, der zweite ist eben im Begriff, es zu tun, der dritte – er ist der einzige legitime Spross – weigert sich und wirft mit der Rechten den Bogen und Pfeil zu Boden. Rechts der Reichsverweser mit der für den Thronfolger bestimmten Krone. Das alte, schon in orientalischen Quellen belegte Motiv6 vom ‹Schuss auf den toten Vater›, das dem pietätvollen nichtschiessenden Sohne die Krone zuspricht, dürfte der Maler aus zahlreichen Ausgaben der ‹Gesta Romanorum› entnommen haben, wobei er aus Platzgründen die Zahl der vier Söhne auf drei reduzierte.

Abbildung 3 II 4 Als Pendant zum Cupido darüber, wiederum als Pfeilerschmuck, eine nachte Frau mit Beischrift: ‹VENUS›.

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Das gleiche Motiv war auch auf dem oben erwähnten, fast gleichzeitigen Fresko HOLBEINS am Hertensteinhause in Luzern abgebildet.

III 1

(Abbildung 4) Unter einer Arkade ist eine Schandsäule aufgestellt. An dieselbe ist ein nacktes Liebespaar gebunden. Links ein vornehmer Herr zu Pferd mit zwei Assistenzpersonen. An der linken Bogenleibung ein Putto als Tambour auf niedriger Rundsäule. Im Hintergrund eine Stadt. In den Zwickeln seitlich des Bogens Rundmedaillons mit antikischen Köpfen. Das Bild illustriert die Geschichte von Gianni von Procida und seiner Geliebten Restituta aus BOCCACCIOS ‹Decamerone›: sechste Novelle des fünften Tages7. Dieses berühmte Buch lag 1473 in einer zu Ulm gedruckten deutschen Übersetzung vor. Auch hier stellen gewisse Details, etwa die Decke des Pferdes oder die Zwickelköpfe, eine Verbindung zum Festsaal von St. Georgen her. Im weiteren verraten die mit Rosetten besetzten Kassetten des Bogens holbeinischaugsburgischen Einfluss.

Abbildung 4

Abbildung 5

III 4 (Abbildung 5) Bild 4 sei vorweggenommen, weil es sich um ein Gegenstück mit gleichem formalen Aufbau zu Nr. 1 handelt. Auch die literarische Vorlage ist dieselbe: die siebte Novelle des vierten Tages aus dem ‹Decamerone›. Auch die literarische Vorlage ist dieselbe: die siebte Novelle des vierten Tages aus dem ‹Decamerone› mit der Geschichte vom vergifteten Salbeibusch8. Im Vordergrund liegt Pasquino tot auf dem Boden. Hinter ihm die des Mordes verdächtigte Simone und der Richter zu Pferd mit einem Begleiter. Auf einer Säule an der rechten Bogenwandung abermals ein Amor. III 2

Zwischen den beiden Fenstern und zugleich im Zentrum des Gesamtfreskos als Hauszeichen ein weisser Adler. Beschriften, seitlich: ‹Um 1520-1885 und darunter: ‹Dies Haus steht in Gottes Hand 17 Zum Weissen Adler 80 Jst is genannt›.

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‹Der junge Gianni zu Neapel liebte eine schöne Jungfrau auf der benachbarten Insel Ischia – der Erzähler nennt sie wegen ihrer nachherigen Schicksale Restituta, die Wiedergeschenkte – und besuchte sie vom Festlande heimlich hinüberschwimmend auf ihrem heimatlichen Eiland, wo sich die beiden ewige Treue schwuren. Aber sizilianische Seeräuber entführten die Einsame und schenkten sie, da sie sich über ihren Besitz nicht einigen konnten, dem jungen König Friedrich von Sizilien (es war der nachmalige letzte grosse Hohenstaufenkaiser) der die Jungfrau vorerst in dem Garten Cuba bei Palermo verwahren liess. Gianni erkundete ihren Aufenthalt, schlich sich, sie zu befreien in das Gartenhaus, wo die glücklich Wiedervereinigten die erste Liebesnacht feierten. Aber der König überraschte die Schlafenden und befahl in seinem Zorn, die beiden, nackt wie sie waren, mit Tagesgrauen in die Stadt zu führen, sie auf dem Marktplatz, mit dem Rücken gegeneinander gekehrt, an einen Pfahl zu binden und bis zur dritten Stunde des Nachmittags zur Schau zu stellen, alsdann aber verdientermassen öffentlich zu verbrennen. Schon ward vor den Augen der Gefesselten der Holzstoss geschichtet, als unter dem gaffenden Volk auf der Admiral des Königs, Herr Ruggieri dell′ Oria, erschien und den Jüngling erkannte, der ihm seine Geschichte erzählen musste. Gianni bat ihn nur, beim König Führsprache dafür einzulegen, dass dieser ihn und Restituta, anstatt Rücken gegen Rücken, vielmehr Antlitz gegen Antlitz gekehrt, möchte den Tod erleiden lassen. Ruggieri aber eilte zum König, nannte ihm die Namen der Verurteilten und entschuldigte aufs Wärmste das Vergehen, zu dem eine alte Liebe die beiden getrieben. Zugleich erinnerte er ihn an die Dienste, welche die Familien Giannis und Restitutas ihm erwiesen hätten. Friedrich bereute seinen übereilten Befehl, hiess die Liebenden losbinden und aufs beste bekleiden, feierte dann selbst ihre Verlobung und entliess sie reich beschenkt in ihr Heimat›. (Nacherzählt von Ferdinand Vetter, Weissadlerbüchlein, S. 17-19). ‹Liebende, mit dem Geliebten im Garten lustwandelnd, weist ihn an, mit einem Salbeiblatt sich die Zähne zu reiben, was diesen zuträglich sei: er tut es und fällt sofort tot nieder. Herbeikommende bringen den Fall vor den Richter; das Mädchen ist des Mordes an dem Jüngling dringend verdächtig. An die Unglücksstelle zurückgeführt, erzählt sie was geschehen, und zur Erklärung pflückt sie selbst ein Blatt von dem Busch und führt es an die Lippen: da stürzt auch sie tot neben den Toten hin. Man gräbt nach den Wurzeln der verhängnisvollen Staude und findet dort eine grosse Kröte, die mit ihrem Gift das doppelte Unheil angerichtet hat. Sie wird verbrannt, die beiden Liebenden aber ehrenvoll bestattet›. (Nacherzählt von Ferdinand Vetter, Weissadlerbüchlein, S. 20-21).

III 3 (Abbildung 6). Das von uns erstmals richtig gedeutete Bild ist in einem langrechteckigen Fries eingespannt. In der Mitte steht auf einem Kapitell einer kaum noch angedeuteten Säule ein Standbild eines Löwen. Links von ihm ein Kaiser im Ornat und zwei Hofleute, rechts die Kaiserin, die die Schwörfinger in den Rachen des Löwen steckt. Neben ihr ein sie berührender Narr, dann drei Hofdamen. Alle Personen nur als Brustbilder. Wir haben hier das auf eine lange literarische Vorgeschichte zurückgehende und aus Rom stammende Motiv der ‹Bocca della Verità› vor uns. Es ist die Illustration einer ‹Wieberlist›. Die schlaue, mit Recht des Ehebruchs verdächtigte Kaiserin schwört wahrheitsgemäss (aber verschleiernd), ausser vom Kaiser und dem sie im Moment umfassenden Narren von keinem Manne je berührt worden zu sein, weshalb der sonst bei Unwahrheit zubeissende Löwe sich still verhält. Das Thema lag zur Entstehungszeit des Weiss-Adler-Freskos sozusagen in der Luft. Als literarische Vorlage unseres Males kommt am ehesten die Schwanksammlung ‹Schimpf und Ernst› des Franziskaners JOHANNES PAULI in Betracht, die 1522 zu Strassburg gedruckt wurde. Schwank 206: ‹Eine Kaiserin stiess ir Hand in das Maul Vergilii›9. Ist dem so, so hätten wir einen terminus ante10.

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‹Ein Keiserin stiess ir Hand in das Maul Vergilii. Vergilius hat zu Rom ein Angesicht an einem Stein gemacht, da beert man die, die da Eid schwuren. Wan einer unrecht geschworen het, so beisst das Angesicht dem die hand, wan er im die hand in das Maul stiess. Het er recht geschworen, so geschach im nichtz. Also werden vil überwunden, das sie meineidig waren. Es begab sich, das ein Keiser die Keiserin in dem Argwon het, wie das sie schimpft mit einem Ritter [‹Schimpfen› nicht im Sinne von ‹schelten›, sondern Unrechtes oder Schändliches tun, vgl. die Redewendung: ‹Schimpf und Schande›]. Der Keiser strafft sie offt mit Worten, wan im etwas gesagt ward. Uff einmals sprach er: ‹Frau, die Sachen gon nit recht zu. Wöllen ir euch vor dem Stein Virgilii purgieren und reinigen, das ir schweren und die Hand in das Maul stossen, so will ich euch glauben›. Die Frau sprach Ja. Der Tag ward gesetzt, das es geschehen solt. Da der Tag kam, da kam der Keiser mit seiner Ritterschafft dar. Die Keiserin was auch uff dem Weg mit iren Junckfrawen und Frawen, die ir das Geleit gaben, und lieffen die Lüt schier alle herzu, die in Rom waren, und was ein gross Wesen. Es begab sich, da man also anhin zoch, da kam ein Nar in einem Narrenkleid, der trang durch alle Fawen hinzu und fiel der Keiserin an den Hals und anderen Frawen auch und küsset sie vor aller Welt. Die Keiserin weint und gehub sich übel. Der Nar ward verloren. Da nun die Keiserin kam zu dem Stein, da der Keiser stund, da schwur sie also sprechende: ‹Als warlich als kein Man mein Leib berurt hat da allein der Keiser und der unselig Nar, der mich da vor aller Welt geschent hat, so warlich stoss ich mein Hand da hinyn›. Und hub sie lang daryn. Da het der Keiser ein frumme Frawen! Sie hat recht geschworen, der Nar was derselbig Ritter in dem Narrenkleid›(Aus: Das Bocca della Verità-Motiv am ‹Weissen Adler› zu Stein am Rhein, Ikonographische Studie, von REINHARD FRAUENFELDER, in: Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 32, 1955, S. 39-40). Immerhin sei bemerkt, dass schon frühere literarische Fassungen vorlagen, in unserem Kulturkreis etwa FELIX HEMMERLINS von Zürich ‹Opuscula et tractatus›, Strassburg 1497. Auch gehen einige wenige bildliche Darstellungen dem ‹Weissen Adler›voraus: von ALBRECHT ALTORFER, 1512, und von LUCAS VAN LEYDEN, um 1518. Bei beiden aber ist die ehebrecherische Gemahlin eine Bürgersfrau, nicht eine Kaiserin.

Abbildung 6 IV 1 Linkes Randbild. Ein hässliches Weib hält die Frucht ihrer Sünde, ein kleines Kind, in den Armen. Vom Unterleib an abwärts weist sie Bocksgestalt auf. Es ist die Luxuria11 (Unkeuschheit, Wollust). IV 2 Rechtes Randbild, als Pendant zur Luxuria: Landsknecht mit Dirne12, ein typisches Genrebild der Reisläuferzeit in der Art eines URS GRAF oder NIKLAUS MANUEL.

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In dem nur wenige Jahre nach unserem Bilde erschienen ‹Emblemata› von ALICIATI (1531) wird die Luxuria, zwar als Mann, auch mit Bocksfüssen wiedergegeben.

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Ob der als Glocke restaurierte Gegenstand in der Hand der Dirne nicht eher eine nach untern gerichtete Ampel (Lampe) als Attribut einer törichten Jungfrau (MANUEL) darstellen soll?

Zusammenfassend sei festgestellt, dass die Bilder im gesamten nicht ein zusammenhängendes, logisch aufgebautes Ganzes darstellen. Es handelt sich vielmehr um ein Kompositum von Themata verschiedenen Charakters, die, summarisch gesehen, im Sinne einer Laienpredigt wirken möchten. Ikonographisch sind die Wandbilder deshalb interessant, weil sie gerade an einem Wendepunkt stehen: teilweise sind sie noch im Mittelalter verwurzelt, teilweise bewegen sie sich schon auf dem Wege, der über gewisse Zwischenstadien zu der späteren Emblematik des Barocks führt. Als Beispiel für die letzte Gruppe erinnern wir an die ‹Fortuna›, die in der zeitgenössischen Kunst (Dürrer, Holbein u.a.) oft wiederkehrt. Beiläufig sei vermerkt, dass der die Königin Semiramis darstellende Holzschnitt in Herolds ‹Heidenwelt›, Basel 1554, auffallend der Fortuna am ‹Weissen Adler› gleicht, nur dass er die Kugel rechts bringt. Mittelalterlich dagegen sind die Begriffe der Tugenden und Laster: Justitia, Prudentia, Spientia und Luxuria. Mittelalterlich ist auch die Platzierung nach dem Rechts- und Linksschema: auf der heraldisch rechten als der ehrenvollen Seite Justitia und Prudentia, heraldisch links Cupido und Venus. Direkten literarischen Vorlagen sind entnommen: Brechen der Stäbe (Eintracht), Schuss auf den toten Vater (Liebe zu den Eltern), Bocca-Motiv (Weiberlist) sowie Decamerone-Szenen, letztere als typische RenaissanceIllustrationen ohne Symbolgehalt. Aus: REINHARD FRAUENFELDER, Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Schaffhausen II, S. 258-263.

Geschichte des Hauses zum weissen Adler Mit der Geschichte des Hauses hat man sich bisher noch nie eingehender befasst. Das war ja auch zur Beschreibung des Hauses und zum Verständnis seines Fassadenschmuckes nicht unbedingt notwendig. Die Malereien am Hause ‹Zum weissen Adler› zu Stein am Rhein werden als das früheste noch erhaltene Werk der Renaissance-Fassadenmalerei der Schweiz angesprochen und stehen auch unter Einbezug von Süddeutschland in vorderster Reihe. Das Haus verdient es darum gewiss, dass man das, was man über seine Geschichte und über die Reihe seiner Besitzer urkundlich sicher erfahren kann, einmal festhält. Wenn wir das für das Haus ‹Zum weissen Adler› hier tun, so dienen uns neben einigen Urkunden die Seckelamtsrödel, die Steuerbücher, vor allem aber die Wachtgeldrödel im Steiner Stadtarchiv als die zuverlässigsten Quellen für die Suche nach bestimmten Häusern. Solange die mittelalterliche Ordnung bestand und noch weit darüber hinaus, hatte jeder Hausbesitzer von jedem Haus, das sein Eigen war, ein bestimmtes Wachtgeld, das sich, wie es nach den Einträgen scheint, nach der Grösse des Hauses richtete, an die Stadt zu bezahlen, die dann ihrerseits für den geordneten Wachtdienst sorgte. Der Kontrolle des Wachtgeldbezuges dienten die Wachtgeldrödel, die nach Quartieren, und innerhalb denselben, soweit dies möglich war, nach Strassenzügen angelegt sind; sie weisen bei der Aufzählung der Häuser sozusagen immer dieselbe Reihenfolge auf. Diese Rödel enthalten wohl die Namen der Häuserbesitzer und den Betrag des Wachtgeldes, nicht aber, oder nur ganz ausnahmsweise die Namen der Häuser. Die Steiner Säckelamtsbücher beginnen mit dem Jahr 1463. Ausgehend von der im Wachtrodel von 146313 genannten Kaufleutstube (Obere Stube) ergibt sich stadteinwärts gerichtet die Reihe folgender Hauseigentümer: Kaufleutstube, Benz Trayer (Rehbock), Konrad Steffen14, das Spital (ist nicht genannt, weil es als städtisches Institut nicht steuerpflichtig war) und dann folgt Heinrich von Payer. Im Seckelamtsrodel für das Jahr 146415 ist die Häuserreihe in umgekehrter Richtung aufgezählt, ergibt aber genau das gleiche Resultat. Die Seckelamtsbücher und zugehörigen Rödel bis 1472 fehlen. Für die Jahre 1463 und 1464 ist damit Heinrich von Payer, ursprünglich von Konstanz, eindeutig als Besitzer des Hauses westlich des Spitals, als des ‹Weissen Adler› festgestellt. Heinrich von Payer erscheint in einem Vermächtnisbrief vom 1. Juli 1433 als Schultheiss von Stein am Rhein16. Als solcher siegelt er einen Kaufbrief vom 16. Mai 143617 und einen Schuldbrief vom 6. Februar 144118. In einer gerichtlichen Kauffertigung vom 7. Dezember 1444 siegelt Heinrich von Payer als Amtsmann des Albrecht von Klingenberg19, und nach einem Schadlosbrief vom 9. September 1456 schuldet Ritter Hans von Klingenberg dem Schultheissen Heinrich von Payer 400 Gulden, für welche die Stadt Bürge ist20. Im ältesten Spitalurbar von

1473 wird gesagt, dass Junker Heinrich von Payer und Elsbeth Galyatzin seine Frau dem Steiner Spital einen jährlichen Zins von 2 Malter Kernen ab einem Haus in der Stadt und ab einem Weinberg an der Klingenhalde geschenkt haben21. Heinrich von Payer war der letzte Schultheiss Steins unter österreichischer Herrschaft. Ob er schon seit seiner Schultheissenzeit, d.h. seit ca. 1430 im ‹Weissen Adler› sass, ist wahrscheinlich, kann aber nicht aktenmässig belegt werden, weil die Wachtgeldrödel für die Zeit vor 1463 nicht mehr vorhanden sind. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der ‹Weisse Adler› seinen in der Fenstergestaltung der Fassade z.T. noch erhaltenen spätgotischen Charakter unter Schultheiss Heinrich von Payer erhalten hat. Mit einem Pergament vom 9. Dezember 1469 urkunden Bernhart von Payer und seine Ehefrau Margreth geb. Münchwil, dass sie das Bürgerrecht der Stadt Stein am Rhein für die nächsten 5 Jahre erhalten haben. Sie bezahlen jährlich 12 rheinische Gulden Steuer. Von ihren beiden Häusern in der Stadt entrichten Bernhart von Payer und Frau das ordentliche Wachtgeld ‹wie das von alters herkommen ist›, sind aber von anderen Lasten frei22. Weil immer wieder behauptet wird, der ‹Weisse Adler› sei früher Wirtshaus gewesen, soll erwähnt werden, dass die Urkunde vom 9. Dezember 1469 u.a. bestimmt: ‹Dann ob wir win schenken wöllten und den zu schenken uff täten, davon söllen wir ouch dz ungelt (Weinumsatzsteuer) verbunden sin zu geben als ander ingesessenen Burger.› Es besteht also für Junker Bernhart von Payer die Möglichkeit, im ‹Weissen Adler› Wein, aber vielleicht nur selbstgebauten Wein auszuschenken, jedoch kennen wir keinen Beweis dafür, dass es getan wurde. Im weiteren wird in derselben Urkunde gesagt: ‹Wer ouch Sach und sich fugte über kurtz oder langtzit, sonder in den 5 Jaren, dz sich unser vatter Heinrich von Payer und unser muter sin wib, oder min Bernhartz unberautu geschwistergit ains ouch her gen Stain zutz unns oder in sonderhait setzen und hushablich hier sitzen wölten, so söllen sie mit verdingten worten in dieser stür und burgrecht wie obstaut verfasset und begriffen sin.› Das will sagen, dass der ehemalige Steiner Schultheiss Heinrich von Payer nicht mehr in Stein wohnhaft und in Bezug auf den Besitz des Hauses ‹Zum weissen Adler› sein Sohn Bernhart von Payer getreten ist. Sowohl Vater als auch Geschwister des Bernhart von Payer können, wenn sie das wünschen, in Stein am Rhein im ‹Weissen Adler› oder in einem anderen Hause zu denselben Bedingungen Wohnsitz nehmen wie Bernhart von Payer. – Der Steuerrodel von 1472/73 nennt Junker Bernhart von Payer als Besitzer des Hauses ‹Zum weissen Adler›23. Damit erscheint diese Familie letztmals in den Steiner Steuerbüchern und im Zusammenhang mit dem ‹Weissen Adler›. 13

Stadtarchiv Stein (STA Stein) Fi. 265 Dieses Haus wurde erst 1662 dem Spital einverleibt 15 STA Stein Fi. 265 16 Urkundenregister für den Kanton Schaffhausen (UR) 1877 17 STA Stein Kbr. 67 18 STA Steins Ss. 2 14

Ab 1474 bis 1484 fehlen die Steiner Steuerbücher und die zugehörigen Rödel. In den Wachtgeldröderln von 1485 bis 1511 sind der Steiner Ratsherr Konrad Vels24, von 1512 bis 1515 dessen Erben Eigentümer des ‹Weissen Adler›25. Die Vels waren ein alteingesessenes Bürgergeschlecht, das seine Vertreter im Rat und in verschiedenen Ämtern hatte. Ein Konrad Vels war 1474, ein Hans Vels 1510 bis 1512 Bürgermeister zu Stein. Im Wachtgeldrodel von 1515/16 erscheinen Hans Albrecht26, und in denjenigen von 1518 bis 1523 ein ‹Herr Flar› als Besitzer des oft genannten Hauses27. ‹Herr Flar› ist allerdings schon im Wachtgeldrodel von 1515/16 verzeichnet, jedoch für ein Haus beim Oehnigertor. Sigmund Flar war Bürgermeister von Konstanz gewesen, floh aus politischen Gründen als eidgenössisch Gesinnter von dort und liess sich, nachdem er vorerst Bürger von Zürich gewesen war, 1510 in Stein am Rhein nieder. 1523 ist er immer noch, vermutlich mehrere Jahre darüber hinaus, Besitzer des ‹Weissen Adler›28. Vom 14. Oktober 1510 ist die Urkunde datiert, mit welcher Bürgermeister und Rat zu Stein am Rhein dem Sigmund Flar das Recht erteilten, sich mit Frau und Kindern in unserer Stadt für die nächsten 5 Jahre ‹hushablich› niederzulassen. Sigmund Flar war Handelsmann, und es wurde ihm vom Steiner Rat auch das Recht zugestanden, seinem eigenen Gewerbe frei nachzugehen, zu kaufen und zu verkaufen was ihm beliebe, ausgenommen Salz, für welches die Stadt das Handelsmonopol am Platze besass. Flar hat der Stadt jährlich zu huldigen, seine Knechte ihr zu schwören. In Streitsachen mit Steiner Bürgern hat Sigmund Flar in Stein Recht zu suchen. Er geniesst Schutz und Schirm zu Stein wie andere Bürger. Für alle diese Rechte bezahlt Sigmund Flar 10 Gulden jährlich, ist aber von allen anderen Abgaben und Diensten frei. Flar, oder wenn er sterben sollte, seine Frau und Kinder können Stein sogar ohne Bezahlung einer Abzugssteuer verlassen29. Mit einer Urkunde vom 16. März 1515 werden das Niederlassungsrecht für Sigmund Flar und Familie und alle Rechte für den Betrieb seines Handelsgeschäftes erneuert30, und nach einem Reversbrief vom 5. Juli 1521 erhält auch Katharina Flar, Witwe des Junkers Ulrich Blarer von Konstanz mit drei Kindern des Junkers Wilhelm von Payer-Blarer die Niederlassungsbewilligung in Stein am Rhein31. Sigmund Flar hat also Verwandte nach Stein kommen lassen. 1523 erscheint Sigmund Flar letztmals in den Steiner Steuerbüchern; offenbar muss er von hier weggezogen sein, denn wir hören nichts mehr von ihm in unseren Archivalien. 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

STA Stein Bv./J.1 STA Stein St. 48 STA Stein Spi. 558, S. 29 STA Stein BN3 STA Stein Fi. 267 STA Stein Fi. 268-288 STA Stein Fi. 289-293 STA Stein Fi. 294 STA Stein Fi. 298-302 R. FRAUENFELDER, Kunstdenkmäler des Kantons Schaffhausen II, S. 255

Nach der Ansicht von Kunsthistoriker sollen die Fassadenmalereien am ‹Weissen Adler› etwa in der Zeit um 1520 entstanden sein. Alles sorgfältige Suchen nach einem aktenmässigen Beleg, der uns Auskunft über den Meister und die Entstehungszeit dieser Malerei geben könnte, war erfolglos. Aus stilkritischen Gründen wird in einem Teil der Fachliteratur angenommen, die Fassadenmalereien am ‹Weissen Adler› seien wahrscheinlich dem Meister der malerischen Ausstattung des Festsaales im Kloster St. Georgen, dem Steiner Maler Thomas Schmid wenigstens teilweise zuzuschreiben. Thomas Schmid schuf sein Werk im Kloster in den Jahren 1515 und 1516. Die künstlerische Verwandtschaft der beiden Werke ist gewiss auffallend, ob sie aber zu dem genannten Schluss führen kann, möchten wir nicht entscheiden. Den Maler Thomas Schmid finden wir als Steuerzahler in den Seckelamtsbüchern von 1515 und 151632. Sonst aber ist der Maler Thomas Schmid in den Steiner Archivalien von 1500 bis 1530 nirgends anzutreffen. Er wird also mindestens in der Zeit der Entstehung der Malereien am ‹Weissen Adler›, die vermutlich im Auftrag von Sigmund Flar geschaffen wurden, nicht in Stein am Rhein Wohnsitz gehabt haben. Alle bisher in der einschlägigen Literatur geäusserten Erklärungen kommen über Vermutungen nicht wesentlich hinaus. Nach den Wachtgeldrödeln von 1524-1525 war ein Hans Wirt Eigentümer des ‹Weissen Adler›33. Nach dessen Tode, d.h. von 1526 bis 1537 erscheint dessen Witfrau Margaret Züst als Hausbesitzerin34. Die Wachtgeldrödel bis 1524 fehlen, und 1543 ist Thomas Wirt, ein Sohn des Hans Wirt auf dem ‹Weissen Adler›35. Am 10. Februar 1535 verkauft Margaretha Züst, die Witwe des Hans Wirt, ihr ‹Hinterhus mit aller begriffung, gerechtigkait und zugehör zu Stain in der Statt zwüschen des spitals hoff und Jacoben Lewerers seligen huss gelegen› um 230 Gulden an den Spital zum Heiligen Geist zu Stein am Rhein36. Zu diesem Verkauf schreibt Prof. F. Vetter37 unter Bezugnahme auf eine Notiz des Chronisten Georg Winz38, dass in dieser Verkaufsurkunde das Haus ‹Zum weissen Adler› mit seinem Namen genannt sei. In der Urkunde ist dieser Name nicht zu finden, sondern nur als Dorsualaufschrift, die aber von einem Schreiber des 17. Jahrhunderts stammt. Es bestehen auch hier keinerlei Anhaltspunkte für die Angabe Prof. F. Vetters, dass die Familie Wirt im ‹Weissen Adler› eine Wirtschaft betrieben habe. 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

STA Stein BN 8 STA Stein BN 10 STA Stein BN 12 STA Stein Fi. 296 und 297 STA Stein Fi. 303 und 304 STA Stein Fi. 305-313 STA Stein Fi. 315 STA Stein Spi. 49 F. Vetter, Weissadlerbüchlein 1923, S. 24 Georg Winz, Sammlung Stadt Steinischer Actorum Bd. VIII (nicht III, wie von F. Vetter irrtümlich zitiert) S. 512 Ein Verwandter der von 1507-1577 in Stein und Umgebung wirkenden Steinmetzmeisters Marin und Nikolaus Hensaler

Die erste urkundliche Nennung des Hausnamens ‹Weisser Adler› erfahren wir erst aus einem Schuldbrief vom 29. September 1544, den der Gerber Hans Hensaler39 und seine Frau Anna geb. Veser für die frühere Hausbesitzerin Margaretha Züst, der sie 200 Gulden schulden, ausstellen. Hans Hensaler und seine Frau verschreiben hier als Sicherheit ‹Huss und Hoff mit aller zugehörd genannt zum wissen adler in der statt zwischen dem spital und Anna Leweris huss gelegen›40. Im Besitze des Gerbers Hans Hensaler blieb das Haus bis 158641. In den Wachtgeldrödeln von 1570 ist ein Hans Heinrich Winz42, von 1574 bis 1589 ein Hans Koch, Krämer, als Besitzer des ‹Weissen Adler› verzeichnet43. An die Stelle des Hans Koch tritt ab 1593-1601 ein Christoff Graff44. Ab 1602 existieren keine Wachtgeldrödel mehr. Die Erträge des Wachtgeldes sind nur noch als Sammelposten in den Stadtrechnungen eingetragen. Andere ähnliche Rödel, die für unsern Zweck benützt werden könnten, sind keine vorhanden. Man ist ganz auf die Kauf- und Schuldprotokolle angewiesen, die 1575 beginnen, aber erst ab 1730 registriert sind. Eine zuverlässige Durchsicht der unregistrierten Folianten ist, weil viel zu zeitraubend, für diesen Aufsatz nicht möglich. In den Registern der Kauf- und Schuldprotokollbücher von 1730 bis 180345 ist der Name des Hauses ‹Zum weissen Adler› nicht ein einziges Mal aufgeführt. Dagegen finden wir im ältesten Liegenschaftenkataster vom Jahr 178046 und im ältesten Brandkataster von kurz nach 1800 den Ratsherrn Johann Georg Schmid als Besitzer des ‹Weissen Adler› eingeschrieben47. Aus dem Eintrag im Liegenschaftenkataster ist ersichtlich, dass Johann Georg Schmid dieses Gebäude schon vor 1780 besass. Der Umstand, dass in den Auf- und Schuldprotokollen ab 1730 keine Eintragungen über Handänderungen des ‹Weissen Adler› bestehen, zeugt vielleicht dafür, dass das Haus schon längere Zeit Eigentum der Familie Schmid, Gerber, war. Zwischen den Fenstern des 2. Stockwerkes der Fassade ist auf grünem Feld das Hauszeichen, ein weisser Adler, gemalt. Dabei findet sich der Spruch: ‹Dies Haus steht in Gottes Hand – 17 Zum weissen Adler 80 – Ist es genannt.› Die Jahrzahl 1780 weist auf eine damals vorgenommene Renovation des Hauses hin, bei welcher die alten Fresken offenbar ziemlich roh übermalt worden sind. Aus derselben Zeit stammt auch die heutige Türeinfassung, die im Scheitel ihres Korbbogens das Allianzwappen Schmid-Ammann in Rokokomanier zeigt. Ratsherr Johann Georg Schmid war mit einer Ammann verheiratet. Der Zeit um 1780 gehören auch noch einige Türen und Treppengeländer im Innern des Hauses an. Aufzeichnungen über die Restaurationsarbeiten von 1780 konnten keine gefunden werden. Im Jahre 1884 ging das Haus ‹Zum weissen Adler› aus dem Besitze des Johann Georg Schmid, Gerber, in das Eigentum von Prof. Ferd. Vetter und Konsorten über, welche es nur zum Zwecke der Erhaltung der wertvollen Fassadenmalerei erworben hatten. Die Malereien wurden denn auch 1884/85 von Maler Christian Schmidt, Zürich, restauriert. Gleichzeitig wurde dem seit

1780 gewölbten Dachvorsprung die alte offene Form wieder gegeben. Nach Prof. F. Vetter sollen die alten vorspringenden Rafenköpfe einst ‹zierlich in Holz› gearbeitet gewesen aber verloren gegangen sein. Die heutigen zwei geschnitzten Fratzenköpfe der Eckrafen stammen vom Dach der Vetterlischen Mühle zu Wagenhausen48. Im Jahre 1888 ging der ‹Weisse Adler› wieder in privaten Besitz, nämlich in denjenigen von Jakob Genner, Lehrer in Stein am Rhein, über. Seine Erben verkauften 1919 das Haus Emil Knecht-Genner, Fabrikant in Stein. 1921 wird Emil Meier-Müller Besitzer des ‹Weissen Adler›. Er richtete im Parterre ein Molkereigeschäft ein, das heute noch besteht, jedoch mit der Liegenschaft 1943 an Friedrich Mumenthaler und 1963 an Walter Roth kam. Bei der Einrichtung des vorderen Parterrelokales als Laden der Molkerei erfuhr dessen Fenster etwelche Veränderungen. Aus: HEINRICH WALDVOGEL, Das Haus ‹Zum weissen Adler› in Stein am Rhein, in: Schaffhauser Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 41, 1964, S. 78-85

40 41 42 43 44 45 46 47 48

STA Sein AH 8 STA Stein Fi. 316-338 STA Stein Fi. 339 STA Stein Fi. 340-350 STA Stein Fi. 351-358 STA Stein KSB 6-9 STA Stein Grb. 5 Haus Nr. 164 F. Vetter, Weissadlerbüchlein, S. 33

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