DAN BURSTEIN · ARNE DE KEIJZER (Hrsg.)

Die geheime Bruderschaft

Buch Alles beginnt mit einem mysteriösen Verbrechen: Der Heilige Stuhl ist in Gefahr, und die geheime Bruderschaft der Illuminati (Erleuchtete) steht unter Tatverdacht. Der sympathische Harvard-Professor Robert Langdon nimmt die rasante Jagd nach den Tätern auf und bekommt es mit mächtigen Gegenspielern zu tun, die ihm für knappe 24 Stunden Romanhandlung das Leben schwer machen. Stehen wissenschaftliche Erkenntnis und kirchliches Dogma in unversöhnlichem Gegensatz zueinander? Dan Burstein und sein Expertenteam liefern einmal mehr fundiertes Hintergrundwissen zu den wichtigsten Aussagen des Romans »Illuminati«. Sie untersuchen Rätsel und Anspielungen, die im Roman versteckt sind, beleuchten Handlung und Charaktere auf Plausibilität und decken für ihre Leser die dunkelsten Geheimnisse des Vatikans auf. Wer verbirgt sich hinter den Verschwörern gegen die katholische Kirche? Freimaurer, Templer, Assassinen, Alchemisten, Mystiker, Satanisten? Was wissen wir wirklich über diese Geheimgesellschaften?

Herausgeber Dan Burstein ist mehrfach ausgezeichneter Journalist, Autor verschiedener erfolgreicher Sachbücher und erklärter Dan-Brown-Fan. Er gründete die »Millennium Technology Ventures« in New York, eine Firma, die in innovative Unternehmensideen investiert. Burstein, der sich bislang vorrangig mit Zukunftsfragen beschäftigte, beleuchtet in diesem Buch Geheimnisse und Ungereimtheiten der Vergangenheit. Arne de Keijzer war bereits an Dan Bursteins erfolgreichem Sachbuch »Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code« beteiligt. Als Ko-Autor hat er zusammen mit Burstein außerdem ein politisches Sachbuch über die aktuellen Entwicklungen in China verfasst.

Dan Burstein Arne de Keijzer (Hrsg.)

Die geheime Bruderschaft Dan Browns »Illuminati« entschlüsselt

Aus dem amerikanischen Englisch von Michael Müller, Andrea Ott und Sebastian Vogel

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Secrets of Angels & Demons« bei CDS Books, New York. Deutsche Erstveröffentlichung Einleitung und die Kapitel 3 und 4 übersetzte Michael Müller, Kapitel 1 und 5 übersetzte Andrea Ott, Kapitel 2, 6 und 7 sowie den Anhang übernahm Sebastian Vogel.

Umwelthinweis Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend.

Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH. 1. Auflage Deutsche Erstausgabe April 2005 © 2005 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH © 2004 der Originalausgabe by Squibnocket Partners LLC. Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: Zefa/Rossenbach (30000000565) Karten im Innenteil: © General Cartography, Inc. All rights reserved. Innenteil-Illustrationen: © Elisa Pugliese. All rights reserved. Ambigramm: © Scott Kim. All rights reserved. Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Verlagsnummer: 15359 Redaktion: Robert Fischer (www.vrb-muenchen.de) KF · Herstellung: Sebastian Strohmaier Made in Germany ISBN 3-442-15359-X www.goldmann-verlag.de

Für Julie, den Engel, der meine Begegnung mit Rom im Jahr MCMLXXI und mein ganzes Leben seither erleuchtete: »Bella … Molto Bella!« Auf alle künftigen römischen Ferien und italienischen Abenteuer … Und für David, Dauerexperte für Bestsellerlisten, Latein und die Ähnlichkeiten zwischen Harry Potter und Robert Langdon: »Plötzlich wurde ihm alles klar.« DB

Für Hannah, die in meinem Herzen tanzt, und für Dick, Steve, Brian, DDJ, Clem und meine ganze außergewöhnliche, weitläufige Familie Und vor allem für Helen, »Wenn jemals ich dein Bild erblickt, Ersehnt, erlangt, so war es nur ein Traum von dir.« JD

Inhalt

Zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung: Die dunklen Geheimnisse der Menschheit . . . . . . . . . . . . . .

15

1 Der Vatikan von innen Habemus papam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Greg Tobin

29

Engel, Teufel und der nächste Papst . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Amy D. Bernstein

48

Die Kür der Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Greg Tobin

65

Päpste in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft . . . . . . . Ein Gespräch mit Richard P. McBrien

70

Wer liegt im Grab des heiligen Petrus? . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbemerkung des Herausgebers

77

Jenseits des Grabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Tom Mueller

79

»Auf diesen Felsen …« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Deirdre Good

89

Der Vatikan zur Zeit von Galilei und Bernini . . . . . . . . . . . Ein Gespräch mit John O’Malley

95

7

Die Kirche seit Galilei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Ein Gespräch mit John Dominic Crossan 2 Galilei: Der fromme Ketzer Wie Galilei die Neuzeit aus der Taufe hob . . . . . . . . . . . . . 117 Von John Castro Auf Kopernikus’ Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Ein Gespräch mit Owen Gingerich Galilei: Der richtige Inhalt zur falschen Zeit . . . . . . . . . . . . 140 Ein Gespräch mit Steven J. Harris Der Galilei-Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Ein Gespräch mit Wade Rowland Blinder Ehrgeiz und ehrliche Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . 176 Ein Gespräch mit Marcelo Gleiser Rache für Galilei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Von Stephan Herrera 3 Von Verschwörungen und Verschwörern: Die »Erleuchteten« werden durchleuchtet Den Illuminati auf der Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Von George Johnson Über den Versuch, eine neue Weltordnung zu schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Ein Gespräch mit Michael Barkun Assassinen und Illuminati: Eine »okkultische« Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Ein Gespräch mit James Wasserman

8

Im Inneren von Amerikas mächtigster Geheimgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Ein Gespräch mit Alexandra Robbins »Die Fröhlichen leben in einem fröhlichen Universum, die Traurigen in einem traurigen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Ein Gespräch mit Robert Anton Wilson 4 »Gott ist tot.« Oder? Leonardo Vetras Bücherbord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Von Arne de Keijzer Wer regiert die Welt: Gott oder die Gesetze der Physik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Von George Johnson Brauchen wir einen göttlichen Planer? . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Von Paul Davies Jenseits des Horizonts: Gott als Hypothese . . . . . . . . . . . . . 296 Von Neil deGrasse Tyson Die Tragik der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Ein Gespräch mit Richard Dawkins Das Gottes-Gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Ein Gespräch mit Dean Hamer Die Religion im Laboratorium: Bewusstseinsforschung und die neuralen Grundlagen des Glaubens . . . . . . . . . . . . 322 Von Hannah de Keijzer Adam gegen Atom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Von Josh Wolfe

9

5 Robert Langdons Rom: Kunst und Architektur Von Engeln geleitet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Von Susan Sanders Tatort Kunst: Bernini und die Illuminati . . . . . . . . . . . . . . . 346 Von Tod Marder Berninis Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Ein Gespräch mit Mark S. Weil Mythos und Magie in Berninis Skulpturen . . . . . . . . . . . . . 374 Ein Gespräch mit George Lechner Das Geheimarchiv des Vatikans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Von Michael Herrera Bibliothek der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Von Tod Marder Vier Kunstwerke, vier Morde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Von Diane Apostolos-Cappadona Rom, Stadt der Engel und der eingebildeten Teufel . . . . . . . 417 Von David Downie 6 Wissenschaft und Technik in Illuminati Tod und Verderben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Ein Gespräch mit dem Gerichtsmediziner Cyril H. Wecht Auge um Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Von James Carlisle und Jennifer Carlisle Dan Brown, der Sprung aus dem Hubschrauber und die Antimaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Von David A. Shugharts Vom Staub der Sterne: eine unendliche Geschichte . . . . . . . 466 Ein Gespräch mit Marcelo Gleiser 10

Ein Tag ohne Gestern: Georges Lemaître und der Urknall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 Von Mark Midbon Antimaterie in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Von Stephan Herrera Der Heilige Gral der Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Ein Gespräch mit Amir D. Aczel 7 Dan Brown und die Kunst, »Fakten« zur Fiktion zu machen Sie waren noch nie mit einer Yoga-Meisterin im Bett? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Von David A. Shugharts Der Name der Rose: Das Who is Who der geheimen Bruderschaft . . . . . . . . . . . . 538 Von David A. Shugharts Die Geheimnisse der Ambigramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Von David A. Shugharts und Scott Kim Erleuchtete Worte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Von Geoffrey K. Pullum Metaphysik im Roman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Von Glenn W. Erickson Vox Populi: Dan Brown als Kultobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Von Leigh-Ann Gerow »Art Fiction«: eine Art Fiktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 Von Diane Apostolos-Cappadona Autoren und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

Zur deutschen Ausgabe

Dan Brown hat sich offenkundig viel vorgenommen. Engel und Dämonen begleiten seinen Weg und prägen sein Werk, das viele mit »spannender als James Bond« (DER SPIEGEL) beurteilen. Doch Spannung allein genügt dem erfolgreichen Romancier nicht. Wie bereits in seinem Bestseller Sakrileg, dessen Hintergründe in dem ebenfalls bei Goldmann erschienenen Buch Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code entschlüsselt werden, geht es Dan Brown auch in Illuminati um nichts Geringeres als die Aufdeckung des »Geheimen Wissens der Welt«. Dass dieses Geheimwissen in Wahrheit ein ganz anderes ist als das von der Kirche überlieferte und gehütete, versteht sich von selbst. Dan Brown fahndet nach den Verschwörern und fragt nach deren Motiven und Methoden. Im Mittelpunkt seines Roman Illuminati steht der jahrtausendealte Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion: auf der einen Seite der Vatikan als Gralshüter der dogmatischen Tradition, auf der anderen Seite Wissenschaftler wie Galilei, Kopernikus und Einstein bis hin zu den modernen Forschern der Nanotechnologie. Wer sich wie Millionen Leserinnen und Leser auf Dan Browns Szenario einlässt, könnte annehmen, dieser Konflikt nähere sich allmählich auf höchst dramatische Weise seiner Entscheidung: Wie in einem guten Western stehen sich Gut und Böse gegenüber. Dabei irritiert allein die Tatsache, dass »Gut« und »Böse« heutzutage kaum eindeutig zu definieren, manchmal nicht einmal voneinander zu unterscheiden sind. Gibt es sie denn tatsächlich, die eine, die »wahre« Wahrheit? Je mehr wir wissen, desto drängender werden unsere Fragen. 13

Ausgerechnet im so genannten Informationszeitalter, in dem noch die abseitigsten Wissensfragmente binnen kurzem per Mausklick verfügbar sind, versinken wir in einer Fülle von Daten und Fakten, ohne das Wesentliche zu erkennen. Verbirgt sich dahinter womöglich eine perfide Strategie? Gibt es eine groß angelegte Verschwörung, die die Menschheit bewusst im Unklaren über das »wahre«, aber geheime Wissen lassen will? Und ist die Frage nach denjenigen, die uns dieses Wissen vorenthalten, nicht ebenso spannend wie diejenige, ob es überhaupt das eine, das »wahre« Wissen gibt? Dan Browns Bücher bieten Gelegenheit, über solche Fragen nachzudenken. Sein großes Verdienst ist es, diese Themen für eine breite Leserschaft leicht verständlich und so eindringlich zu erörtern, dass sich die meisten nicht mit der Lektüre seiner Bücher begnügen. Wo Illuminati den Zwängen des Genres gehorchend nur Denkanstöße geben kann, bietet Die geheime Bruderschaft profundes Hintergrundwissen. Die Herausgeber erläutern zusammen mit ausgewiesenen Experten ihres Fachs die zahlreichen Anspielungen und Metaphern des Romans, erklären die historischen wie die technologischen Fakten, decken Irrtümer auf und vertiefen jene Ideen, die Dan Brown, um seine Handlung voranzutreiben, oft nur kurz andeuten kann. Am Ende ergibt sich nicht nur ein wesentlich klareres Bild, sondern es stellt sich heraus, dass die Wirklichkeit oft viel spannender ist als ein Roman. Für die deutsche Ausgabe dieses Buches wurden sämtliche Beiträge neu übersetzt. Das gilt, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben wurde, auch für zitierte Quellen. Die Rechte an den einzelnen Beiträgen liegen bei den Verfassern – eine Kurzvorstellung der Autoren finden Sie am Ende des Buches. Der Verlag

Einleitung Die dunklen Geheimnisse der Menschheit

Schon beim allerersten Mal, als ich vor einer größeren Zuhörerschaft über Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code sprach – das Buch über die Geschichten und Geheimnisse hinter Dan Browns Mega-Bestseller Sakrileg (engl. The Da Vinci Code) – stand einer der Anwesenden auf und wollte wissen, ob ich einen ähnlichen Band zu Browns Illuminati (engl. Angels and Demons) vorlegen würde. Als ich im Lauf des Jahres 2004 durchs Land reiste, um Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code vorzustellen – und Fragen beantwortete wie die, ob Jesus und Maria Magdalena wirklich verheiratet waren, ob auf Leonardos Abendmahl eine als Jünger getarnte Maria Magdalena zu sehen ist oder ob die Priorie de Sion tatsächlich existiert hat – wurde ich ebenfalls häufig gebeten, auch etwas zu Illuminati sagen. Eine von mir durchgeführte informelle Umfrage ergab, dass ungefähr einer von fünf Lesern Illuminati interessanter fand als Sakrileg – und das obwohl sich damals bereits abzeichnete, dass Dan Browns zweiter Roman1 eines der erfolgreichsten und am meisten diskutierten Bücher aller Zeiten werden 1 Von Dan Brown sind bislang vier Bücher erschienen. The Digital Fortress wurde 1996 in den USA zunächst als E-Book, dann als Taschenbuchausgabe veröffentlicht, eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Diabolus erschien im Jahr 2005. Als Nächstes folgte im Jahr 2000 Angels and Demons (dt. 2003 Illuminati). Im Jahr darauf, 2001, erschien Dan Browns drittes Buch, Deception Point (dt. ebenfalls 2003 Meteor) und 2003 The Da Vinci Code (dt. 2004 Sakrileg). Da sich der Herausgeber hier auf einen Vergleich von Illuminati und Sakrileg konzentriert, spricht er im ersten Fall von Dan Browns erstem Buch, im zweiten von Dan Browns zweitem.

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würde. Während Illuminati nach seiner Erstveröffentlichung im Jahr 2000 (drei Jahre vor dem Erscheinen von Sakrileg) nur einen vergleichsweise bescheidenen Absatz gefunden hatte, verkaufte es sich 2004 im Schlepptau von Sakrileg ebenfalls wie rasend und brachte Milliarden von US-Dollar ein. Illuminati wurde in einer Auflage von fünf Millionen Exemplaren neu gedruckt und kletterte in den Bestsellerlisten sowohl für Hardcover- wie für Paperbackausgaben sogar noch höher als das später erschienene Werk. Also unterzog ich auch Illuminati einer genaueren Lektüre. Erneut war ich von den vielen Ideen und Themen, die in diesem Buch berührt werden, ebenso gefesselt wie von der spannenden Kriminal geschichte, in die diese Themen eingebettet sind. Als ich meine Lektüre beendet hatte, sammelte ich zuerst einmal meine Gedanken. Zunächst kam mir Illuminati wie ein Entwurf für Sakrileg vor, und ich folgerte: Jeder, der Sakrileg wirklich verstehen wollte, würde den früheren Roman lesen müssen. In ihm hatte Brown die Gestalt Robert Langdons geschaffen. Obwohl er ihn noch nicht als »Symbolologen« bezeichnete wie später in Sakrileg, brillierte der Harvard-Professor schon hier mit seinem kunstgeschichtlichen Fachwissen und seinen Kenntnissen auf dem Gebiet religiöser Ikonografie. Was den Aufbau der Handlung und die beteiligten Charaktere angeht, sind beide Thriller enge Verwandte. In beiden Büchern beginnt die Handlung in einer europäischen Stadt – und zwar damit, dass ein herausragender Wissenschaftler, der über besondere Fachkenntnisse verfügt, brutal abgeschlachtet wird. In beiden Fällen ist der Mörder ein außergewöhnlicher Mensch, der einer uralten geheimen Sekte angehört. Beide Morde weisen ungewöhnliche forensische Charakteristika auf – Leonardo Vetras aus seiner Höhlung geschnittener Augapfel liegt in einem Flur des CERN-Forschungszentrums2 auf 2 CERN ist die Abkürzung für Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, das europäische Zentrum für Teilchenphysik in Genf, wo unter anderem das Konzept des world wide web (www) entwickelt wurde.

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dem Boden, und Jacques Saunières hat sich im Sterben wie der nackte Mann auf Leonardos berühmter Proportionsstudie auf dem Fußboden eines Saals des Louvre arrangiert. In beiden Romanen wird Langdon von einem überraschenden Telefonanruf aus dem Schlaf gerissen und wegen seiner einzigartigen Kenntnis okkulter Geschichte und der religiösen Symbolik wie ein postmoderner Sherlock Holmes auf die Jagd nach einem Verbrecher angesetzt. Und im einen wie im anderen Fall steht ihm einzig und allein eine wunderschöne, kluge junge Frau zur Seite, deren Adoptivvater beziehungsweise Großvater das Opfer des brutalen Mordes ist, mit dem alles beginnt. Die junge Dame hilft Langdon dabei, Spuren zu deuten und apokalyptische Rätsel zu lösen. Sowohl in Illuminati als auch in Sakrileg fühlt Langdon sich mehr als einmal physisch zu seiner Partnerin hingezogen – im ersten Buch heißt sie Vittoria, im zweiten Sophie –, und jedes Mal endet die Geschichte mit einem verheißungsvollen Ausblick auf eine sexuelle Vereinigung. Doch anders als in den meisten Werken dieses Genres verwenden die Hauptpersonen im Verlauf der Handlung beider Romane – viel zu viel Zeit darauf, die Geheimnisse der westlichen Zivilisation zu lösen, als dass ihnen dabei noch die Muße bliebe, sich sexuell zu vergnügen. Außerdem spielt sich jede der beiden Geschichten trotz der wild bewegten und verzweigten Handlung in nur vierundzwanzig Stunden ab – das will Dan Brown uns jedenfalls glauben machen. In Illuminati ist Bernini der im Vordergrund stehende Künstler, da sein Werk die Hinweise enthält, die man entschlüsseln muss, um zu begreifen, wann und wo die nächsten Morde geschehen werden und was der Grund dafür ist. Rom gibt die Kulisse für fast die gesamte Handlung von Illuminati ab. In Sakrileg gilt das Hauptinteresse dem Werk Leonardos, und Paris ist der wichtigste Handlungsort. Im ersten Roman ist es die uralte Geheimsekte der Illuminati, die die Fäden zieht, im zweiten Werk tritt die Priorie de Sion an ihre Stelle. Spielen in Illuminati fiktive verloren gegangene Schriften von Gali17

lei eine Rolle, wertet Brown in Sakrileg die sehr realen und für echt befundenen gnostischen Evangelien aus. Hinzu kommen die Dossiers Secrets, deren Authentizität nicht erwiesen ist. Und während in Illuminati Ambigramme eine große Bedeutung haben (ein punktsymmetrisches Symbol oder Wort, das um einen bestimmten Winkel – meist 180 Grad – gedreht wieder das gleiche Symbol oder Wort ergibt), sind es in Sakrileg Anagramme (die Umstellung von Buchstaben eines Wortes etwa zur Bildung eines Decknamens). Beide Bücher setzen sich vor allem mit der katholischen Kirche auseinander. Sie befassen sich mit der langen und komplizierten Geschichte des christlichen Glaubens. In Sakrileg beschäftigt Brown sich mit Themen, die die Ursprünge und die Kodifizierung, die systematische Erfassung des Christentums betreffen. In Illuminati steht ein Problem im Mittelpunkt, mit der sich der Vatikan seit Galilei auseinander setzen muss: der Widerstreit zwischen naturwissenschaftlichen und religiösen Kosmologien. In Sakrileg sind sowohl die Vertreter des orthodoxen Katholizismus als auch die Angehörigen der Priorie de Sion davon überzeugt, die richtige, die wahre Version ihrer Religion zu praktizieren. In Illuminati wird suggeriert, dass auch der CERN eine Art religiöse Institution sei, die aber der vom Vatikan verkörperten diametral entgegengesetzt wäre. In der »Kathedrale des Wissens«, dem CERN, wird tief unter der Erde Antimaterie gelagert, während in den Katakomben unter der »Kathedrale des Glaubens«, dem Petersdom, die Reliquien des heiligen Petrus aufbewahrt werden (oder vielleicht auch nicht – siehe Kapitel 1 des vorliegendes Buches). Bei der Lektüre von Illuminati erinnerte ich mich an meine Jugend, in der ich einige denkwürdige Monate in Rom verlebt hatte. Deshalb kenne ich die Straßen, Baudenkmäler und andere Monumente der Stadt recht gut. Da ich auf dem College die Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts studiert habe, bin ich auch mit der Welt von Bernini, Galilei, Milton, Bruno sowie mit der Reformation und der Gegenreformation einigermaßen vertraut. Außerdem habe ich nicht wenig über die moderne Quantenphysik und Kos18

mologie gelesen. Browns Illuminati kitzelte mein Interesse für all diese Themen erneut wach. Wie nach der Lektüre von Sakrileg stürzte ich auch diesmal wieder in in meine örtliche Buchhandlung, um Dutzende von Sachbüchern zu mehr als dreißig verschiedenen Themen (von der Antimaterie bis zu den Gegenpäpsten) zu kaufen. Auf diese Weise wollte ich mir ein tieferes Verständnis des fiktiven Plots von Illuminati verschaffen. Denn Dan Brown ist mit Sicherheit ein umstrittener Autor. Theologen haben ihn der Blasphemie bezichtigt, Schriftsteller haben ihn des Plagiats angeklagt. Ernsthafte Wissenschaftler warfen ihm vor, das breite Publikum mit seiner ungewöhnlichen Mischung von Fakt und Fiktion zu verwirren. Er selbst beharrt jedoch darauf, dass der reale Hintergrund seiner Bücher nicht erfunden sei, obwohl es sich dabei ganz klar um Romane handelt und sie auch ausdrücklich als solche vermarktet und verkauft werden. Meiner Meinung nach betrachten alle diese Kritiker das Phänomen unter einem falschen Blickwinkel. Ich bin der Ansicht, dass unsere Kultur nach einer intellektuellen Diskussion über die großen Fragen unserer Zeit förmlich lechzt. Wir vermögen die Zeichen und Symbole nicht mehr zu deuten, die unsere Vorfahren noch ganz intuitiv verstanden. Wir sind dabei, die Wurzeln unseres kulturellen Erbes zu verlieren, werden hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Impulsen, die auf der einen Seite in Richtung auf Glauben und Spiritualität gehen und auf der anderen Wissenschaft und Technologie verehren lassen. Je mehr unser Leben von Logik und Technologie dominiert wird, desto mehr sehnen sich einige von uns nach Spiritualität und einer Rückkehr zu den Werten der Vergangenheit. Während einige immer skeptischer werden und zu der Überzeugung gelangen, dass Gott tot oder bedeutungslos sei, kehren andere fast manisch in den Schoß der Kirche zurück. Und je globalisierter und materialistischer unsere Kulturen werden, desto mehr kleinere Gruppierungen scheinen sich zu höchst unlogischen, unhaltbaren, extremistischen und gefährlichen religiösen Lehren hingezogen zu fühlen. 19

Dan Brown erweckt mit seinen Büchern ein enormes Interesse, doch dabei muss er den Gesetzen des Genres folgen: Um einen möglichst spannenden Plot zu entwickeln, kann er den Hintergrund der von ihm angerissenen Themen allenfalls skizzieren. Wer es genauer wissen, sich ein eigenes Urteil bilden will, der wird in diesem Band zum Beispiel etwas über die tatsächliche Geschichte der Papstwahl erfahren und darüber, was passieren könnte, wenn die Kardinäle des Vatikans sich beim nächsten Mal ins Konklave begeben – und wen sie dann vielleicht zum nächsten Pontifex ernennen. Wer bereits zu wissen glaubt, wer Galilei war und was sich bei dem berühmten Prozess gegen ihn abspielte, der werfe mal einen Blick in einige der in Kapitel 2 versammelten Aufsätze. Er wird dann sicher einiges aus einer neuen Perspektive sehen. Und nachdem wir Sie in Kapitel 4 mit den Ansichten einiger der führenden Naturwissenschaftler, Theologen und Philosophen der Welt vertraut gemacht haben, sind Sie vermutlich eher in der Lage, Ihre persönliche Kosmologie kritisch zu überdenken. Wenn Sie sich für Bernini interessieren (und ich muss gestehen, dass ich kein besonders großes Interesse an ihm und seinem Werk hatte, bevor ich mit den Recherchen für dieses Buch begann), dann können Sie sich in Kapitel 5 darüber aufklären lassen, in welch umfassendem und entscheidendem Maße er das Erscheinungsbild und die Atmosphäre der Ewigen Stadt mit geprägt hat. Und wenn es Ihnen Freude bereitet, Faktisches und Fiktives in der Handlung des Romans auseinander zu halten: In diesem Buch kommen Enthüllungsreporter, Gerichtsmediziner, Technologen, Bernini-Spezialisten und Fachleute in Sachen Verschwörungstheorien zu Wort, die Ihnen sagen können, wo Dan Brown in Illuminati die Tatsachen richtig wiedergibt und wo nicht. Sie können zum Beispiel an der Debatte darüber teilhaben, ob ein herausgeschnittener Augapfel dazu benutzt werden könnte, einen RetinaScanner zu überlisten und so eine Tür zu öffnen. Ob Bernini mit seiner in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria stehenden Skulptur Santa Theresa in Ekstase eine Frau darstellen wollte, 20

die von einer religiösen Vision in Verzückung versetzt wird, einen »heftigen Orgasmus« hat (Browns Formulierung) oder – das ist die dritte Möglichkeit – beide Erfahrungen gleichzeitig durchlebt. Illuminati verhalf mir nicht nur dazu, Sakrileg besser zu verstehen, sondern ließ mich auch darüber spekulieren, womit sich Dan Brown in seinem nächsten Roman beschäftigen wird. In unserem Buch Die Wahrheit über den Da-Vinci-Code hatten unsere Rechercheure und Experten bereits die verschlüsselte Botschaft auf dem Schutzumschlag der amerikanischen Ausgabe von Sakrileg dechiffriert (Buchstaben in einem leichten Prägedruck, die aneinander gereiht die Frage ergeben: »Is there no help fort the widow’s son?« (Gibt es keine Hilfe für den Sohn der Witwe?) Unser Team hatte bereits öffentlich die Meinung vertreten, Dan Brown werde in seinem nächsten Buch die Freimaurer in den Mittelpunkt stellen und vermutlich Washington, D.C., zum Hauptschauplatz der Handlung machen. Kurze Zeit danach teilte Dan Brown bei einem seiner seltenen Auftritte in der Öffentlichkeit mit, dass er tatsächlich an einem Buch arbeite, das in Washington, D.C., spiele. Wer Sakrileg und Illuminati sorgfältig gelesen hat, wird sich entsinnen, dass Robert Langdon in beiden Büchern die Gelegenheit erhält, sich über die Bedeutung des Auges, das auf der Rückseite der Eindollarnote über der unfertigen Pyramide schwebt, zu äußern: Er führt dieses Symbol auf die Freimaurer und/oder Illuminati zurück und behauptet, dass es deren Einfluss auf die Gründerväter der USA widerspiegele. In Illuminati verschmilzt der Autor die Geschichte der Freimaurer mit jener der Illuminati. In der Tat war es so, dass Brown auf seiner ersten Lesereise mit Illuminati eher auf die in seinem Buch vorgestellte Geschichte der Freimaurer abhob als auf die der Illuminati. Dabei ließ er häufig einfließen, dass dies ein Thema ist, das ihn sehr interessiert. Und wenn Sie das Kapitel 3 des vorliegenden Buches lesen, werden auch Sie darin viel über die Illuminati, die Freimaurer und die Rolle erfahren, die sie – tatsächlich oder in der Fantasie einiger Leute – in der amerikanischen Geschichte gespielt haben. 21

Es hat den Anschein, als habe Dan Brown eine Vielzahl unterschiedlicher okkultistischer Theorien zur Geschichte der Menschheit studiert. Die »Story«, die sich bei dieser Art der Geschichtsbetrachtung ergibt, muss ihn gefesselt haben: Sie beginnt in den Zeiten, als der Mensch noch in Höhlen wohnte, als dem »GöttlichWeiblichen« große Bedeutung beikam und Fruchtbarkeitsgöttinnen kultisch verehrt wurden, was nicht nur zur Ausbildung der frühesten Religionen, sondern auch zu den ersten künstlerischen Vorstellungen führte. Ihre Fortsetzung findet diese »Story« im alten Ägypten, wo die Erbauer der Pyramiden und die Anhänger von Göttinnen-Kulten geheimes Wissen erwarben – Kenntnisse in der Errichtung von Monumenten, der Alchemie und Magie. Danach setzt sich die Geschichte in Griechenland und auf Kreta fort, ebenso in anderen Kulturbereichen des Mittelmeerraums (einschließlich des jüdischen). Die technischen Kenntnisse dieser Zeiten – etwa die Fähigkeit, große Pyramiden und Tempel zu bauen – gehen ständig einher mit der Verehrung einer weiblichen Gottheit, mit geheimen religiösen Riten und Kodizes, in denen das okkulte, mathematische und magische Wissen niedergelegt wurde (zum Beispiel in der Kabbala der Juden). Hinzu kommen gelegentlich auch ekstatisch zelebrierte Sexualrituale als besonderer Ausdruck religiöser Verehrung. Mit Jesus Christus wird dann der Faden der »Story« wieder aufgenommen (Dan Brown bezeichnet Jesus in Sakrileg als den »ersten Feministen«, und zu den handelnden Personen gehören nun auch Maria Magdalena und die frühchristliche Gruppierung der Gnostiker). Die Römer verschmelzen Aspekte ihrer heidnischen Religion mit dem neuen christlichen Glauben, und danach kommen die Tempelritter. Zu deren »Geheimwissen« – auf das sie während der Zeit stießen, da sie den Tempel Salomons besetzt hielten – gehört, dass sie Maria Magdalena mit dem »Heiligen Gral« verbinden. Nach der Zerschlagung des Templerordens und dem Massaker an seinen Rittern wird die Geschichte von vielen Splittergruppen fortgesetzt – von den Freimauern bis zur Proirie de Sion und den Illuminati, die angeblich 22

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Dan Burstein Die geheime Bruderschaft Dan Browns ILLUMINATI entschlüsselt Taschenbuch, Broschur, 608 Seiten, 12,5 x 18,3 cm 30 s/w Abbildungen

ISBN: 978-3-442-15359-6 Goldmann Erscheinungstermin: Mai 2005

Dan Brown gibt seinen Lesern neue Rätsel auf. Was ist Fakt, was Spekulation und was gar pure Erfindung in seinem Bestseller „Illuminati“? Wird die Geschichte des Abendlandes tatsächlich von geheimen Bruderschaften gesteuert, die einen mythologischen Kampf gegen die katholische Kirche führen?