D i s s e r t a t i o n s s c h r i f t

Zusammenhänge zwischen Arbeitssicherheit und psychischer Fehlbeanspruchung – Synergien aus der habituellen und täglichen sowie einmaligen Erfassungseb...
Author: Elke Fuhrmann
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Zusammenhänge zwischen Arbeitssicherheit und psychischer Fehlbeanspruchung – Synergien aus der habituellen und täglichen sowie einmaligen Erfassungsebene

Dissertationsschrift zur Erlangung eines doctor rerum medicinalium (Dr. rer. medic.) der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden

vorgelegt von

Alžběta Jandová geboren in Brno, Tschechische Republik Dresden 2009

1. Gutachter:

Prof. Dr. med. Klaus Scheuch

2. Gutachter:

Prof. Dr.-Ing. Martin Schmauder

Tag der mündlichen Prüfung:

15. Juni 2010

gez.:__________________________________ Prof. Dr. rer. nat. Henning Morawietz Vorsitzender der Prüfungskommission

I

DANKSAGUNG

Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. med. Klaus Scheuch, für

seine

Offenheit

und

Vertrauen,

fachliche

Unterstützung

und

zielorientierte

Rückmeldungen. Des Weiteren möchte ich Frau Dr. rer. nat. Reingard Seibt danken, die immer und immer wieder bereit war, die einzelnen Arbeitsphasen auf Schwachstellen zu überprüfen und stets einen konstruktiven Rat anzubieten. Einen großen Dank verdient ebenfalls meine Kollegin und Freundin, Frau Grit KrauseJüttler, ohne deren Vorbild, Gelassenheit und unbezahlbare Unterstützung diese Arbeit nicht entstanden wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei meinen Eltern - und ganz besonders bei meiner Mama Frau Květoslava Jandová - bedanken, die es mir mit ihrer grenzenlosen und flexiblen Hilfestellung ermöglicht hatten, Dissertation und Familie unter einen Hut zu bekommen. Nicht zuletzt möchte ich den teilnehmenden Unternehmen und ihren Belegschaften für ihre Mitarbeit danken, sowie auch all denen, die mit einem guten Rat, Literaturhinweis oder einer gründlichen Korrektur (hier vor allem Herrn Diethard Kind) zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben.

Es gibt nur zwei Männer, mit denen die vielen Monate durchzustehen waren – ich danke Gunnar Kind für seine Zeit und Toleranz, seinen Rat und ungeahnte Perspektiven, seinen Antrieb und die Leichtigkeit, mit der er alle Lebenslagen meistert. Mein kleiner Sohn Leonard hat durch seine Existenz viele Probleme relativiert - und durch sein fröhliches und unkompliziertes Wesen viele disziplinierte Arbeitsstunden ohne schlechtes Gewissen ermöglicht.

II

INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVERZEICHNIS................................................................................................VII TABELLENVERZEICHNIS....................................................................................................VIII ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS.................................................................................................X 1

RELEVANZ DES THEMAS UND PROBLEMSTELLUNG ....................................................... 2

2

THEORETISCHE GRUNDLAGEN ............................................................................................ 8

2.1

Betriebliche Arbeitssicherheit: Indikatoren und Einflussfaktoren................................. 8 2.1.1 Indikatoren der Güte betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes............................ 8 2.1.2 Beinahe-Unfälle............................................................................................................... 10 2.1.3 Einflussfaktoren der Arbeitssicherheit und Ursachen für Arbeitsunfälle ......................... 12

2.2

Psychische Belastung bei der Arbeit, Fehlbeanspruchung und deren negative Folgen ................................................................................................................................. 15 2.2.1 Psychische Belastung ..................................................................................................... 15 2.2.2 Psychische Fehlbeanspruchung und deren negative Folgen ......................................... 16

2.3

Psychische Belastung, Fehlbeanspruchung sowie deren Folgen und Arbeitssicherheit ............................................................................................................... 22 2.3.1 Überforderung und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde .............................................. 22 2.3.2 Unterforderung und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde ............................................. 23 2.3.3 Soziale Belastung am Arbeitsplatz und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde ............... 24 2.3.4 Psychische Folgen einer Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde ........................................................................................................... 24 2.3.5 Handlungsrelevante Effekte psychischer Fehlbeanspruchung auf die individuelle Arbeitssicherheit.............................................................................................................. 26

3

DIE VORLIEGENDE STUDIE UND IHRE HYPOTHESEN ..................................................... 30

3.1

Untersuchung des Zusammenhangs zwischen psychischer Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit ....................................................................................................... 30

3.2

Bewertung der Tagebuchführung als Methode der betrieblichen Unfallprävention .. 32

3.3

Hypothesen ........................................................................................................................ 34

4

METHODE ............................................................................................................................... 37

4.1

Untersuchungsdesign ...................................................................................................... 37

4.2

Akquise der Stichprobe .................................................................................................... 38

4.3

Untersuchungsablauf ....................................................................................................... 39

4.4

Charakteristik der Stichprobe .......................................................................................... 41 4.4.1 Beschreibung der Fragebogen-Stichprobe ..................................................................... 41 4.4.2 Repräsentativität der Fragebogen-Stichprobe ................................................................ 42 4.4.3 Beschreibung der Tagebuch-Stichprobe ........................................................................ 43 4.4.4 Selektivität der Tagebuchführer ...................................................................................... 44

III

4.5

Erhebungsinstrumente ..................................................................................................... 46 4.5.1 Fragebogenstudie ........................................................................................................... 48 4.5.1.1 Habituelle Belastungsfaktoren bei der Arbeit ......................................................... 48 4.5.1.2 Habituell wahrgenommene Fehlbeanspruchungen bei der Arbeit ......................... 50 4.5.1.3 Mittelfristige Folgen der habituell wahrgenommenen psychischen Fehlbeanspruchung................................................................................................ 52 4.5.1.4 Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit .............................................................. 54 4.5.2 Tagebuchstudie............................................................................................................... 56 4.5.3 Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz ............................................. 59

4.6

Strategien der Datenauswertung ..................................................................................... 60 4.6.1 Analyse der Fragebogendaten (N= 212) ........................................................................ 60 4.6.2 Analyse der Tagebuchdaten (N= 915 bzw. N= 63)......................................................... 61 4.6.3 Datenübergreifende Analysen der Fragebogen- und Tagebuchdaten (N= 63) .............. 63 4.6.4 Analyse von Bewertungen im Rahmen der antizipatorischen Evaluation (N= 59) ......... 63

5

ERGEBNISSE ......................................................................................................................... 64

5.1

Fragebogendaten: Habituelle psychische Belastung und Fehlbeanspruchung, deren mittelfristige Folgen und die habituelle Arbeitssicherheit (N= 212).................. 64 5.1.1 Psychische Belastung und ihr Zusammenhang mit der habituellen Arbeitssicherheit.............................................................................................................. 65 5.1.2 Psychische Fehlbeanspruchung und ihr Zusammenhang mit der habituellen Arbeitssicherheit.............................................................................................................. 66 5.1.2.1 Überforderung ........................................................................................................ 66 5.1.2.2 Unterforderung ....................................................................................................... 67 5.1.2.3 Soziale Belastung am Arbeitsplatz ......................................................................... 69 5.1.3 Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und ihr Zusammenhang mit der habituellen Arbeitssicherheit.............................................................................................................. 70 5.1.3.1 Folgen psychischer Überforderung ......................................................................... 70 5.1.3.2 Folgen psychischer Unterforderung ....................................................................... 72

5.2

Tagebuchdaten: Tägliche/ einmalige psychische Fehlbeanspruchung, deren kurzfristige Folgen und die tägliche Arbeitssicherheit (N= 915 bzw. N= 63) .............. 75 5.2.1 Psychische Fehlbeanspruchung sowie deren negative Folgen in der TagebuchStichprobe ....................................................................................................................... 75 5.2.1.1 Psychische Fehlbeanspruchung in der Tagebuch-Stichprobe ............................... 76 5.2.1.2 Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in der Tagebuch-Stichprobe .................. 77 5.2.2 Psychische Fehlbeanspruchung und deren Folgen in Abhängigkeit vom Alter (N= 915) .......................................................................................................................... 79 5.2.2.1 Psychische Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter .................................. 79 5.2.2.2 Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter ..................... 82 5.2.3 Psychische Fehlbeanspruchung und deren Folgen in Abhängigkeit vom Alter, unter Berücksichtigung der Arbeitsschicht ...................................................................... 86 5.2.4 Individuelle Variabilität .................................................................................................... 88 5.2.5 Sicherheitsrelevante Ereignisse...................................................................................... 89 5.2.5.1 Sicherheitsrelevante Ereignisse in einzelnen Altersgruppen ................................. 90 5.2.5.2 Sicherheitsrelevante Ereignisse in einzelnen Arbeitsschichten ............................. 91 5.2.6 Überprüfung der Hypothesen: Zusammenhang zwischen täglicher/ einmaliger psychischer Fehlbeanspruchung bzw. deren Folgen und täglicher Arbeitssicherheit.............................................................................................................. 92 5.2.6.1 Psychische Fehlbeanspruchung und tägliche Arbeitssicherheit ............................ 92 5.2.6.2 Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und tägliche Arbeitssicherheit ............... 93

5.3

Verknüpfung der habituellen und der einmaligen/ täglichen Erfassungsebene: Datenübergreifende Regressionsanalysen .................................................................... 95 5.3.1 Einmalige/ tägliche Prädiktoren vs. Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit ............. 95 5.3.1.1 Psychische Fehlbeanspruchung ............................................................................ 95 5.3.1.2 Folgen psychischer Fehlbeanspruchung ............................................................... 98 5.3.2 Habituelle Prädiktoren vs. Kriterien der täglichen Arbeitssicherheit ............................. 100

IV

5.4

6

Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz ......................................... 103 5.4.1 Akzeptanz der Tagebuchmethode unter den Teilnehmern .......................................... 103 5.4.2 Anwendbarkeit der Tagebuchmethode in der Praxis .................................................... 104 5.4.3 Subjektive Bewertung der unfallpräventiven Effektivität der Tagebuchführung ........... 105 DISKUSSION ........................................................................................................................ 107

6.1

Diskussion der Ergebnisse ............................................................................................ 107 6.1.1 Habituelle und tägliche psychische Belastung, Fehlbeanspruchung sowie deren Folgen und ihr Zusammenhang mit sicherem Verhalten am Arbeitsplatz (Hypothesen H1a, H2a, H3a und H4a) ......................................................................... 107 6.1.2 Habituelle und tägliche psychische Belastung, Fehlbeanspruchung sowie deren Folgen und ihr Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten Ereignissen (Hypothesen H1b, H2b, H3b und H4b) ......................................................................... 109 6.1.3 Tägliche psychische Fehlbeanspruchung, deren Folgen und Arbeitssicherheit in verschiedenen Altersgruppen (Hypothesen H5a, H5b und H5c) .............................. 114 6.1.4 Altersunterschiede in der Wahrnehmung psychischer Fehlbeanspruchung sowie derer Folgen in Abhängigkeit von der Arbeitsschicht ......................................... 118 6.1.5 Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz (Hypothesen H6a und H6b) .......................................................................................... 119 6.1.5.1 Tagebuch als Untersuchungsmethode ................................................................ 119 6.1.5.2 Tagebuch als Methode der Unfallprävention ....................................................... 119

6.2

Diskussion der Studiendurchführung........................................................................... 121 6.2.1 Methodische Einschränkungen der Studie ................................................................... 121 6.2.2 Methodische Erkenntnisse aus der vorliegenden Studie .............................................. 124

6.3

Schlussfolgerung und Ausblick .................................................................................... 126

7

ZUSAMMENFASSUNG ........................................................................................................ 129

8

LITERATUR .......................................................................................................................... 132

ANHANG

A

VERWENDETE INSTRUMENTE......................................................................................... 147

A1

Fragebogen..................................................................................................................... 147

A2

Übersicht der verwendeten psychologischen Skalen................................................. 153

A3

Übersicht der Items zur Erfassung sicheren Verhaltens (Index)............................... 155

A4

Tagebuch: Einleitung und Beispiel-Tagebuchblatt..................................................... 156

A5

Tagebuch: Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz..................... 160

B

STICHPROBE...................................................................................................................... 162

B1

Beschreibung der Fragebogen-Stichprobe: Soziodemographische Daten, Skalenmittelwerte und Angaben zur Arbeitssicherheit N= 234 bzw. N(Männer)= 212......................................................................................... 163

B2

Beschreibung der Tagebuch-Stichprobe: Soziodemographische Daten und Aggregate psychischer Fehlbeanspruchung sowie deren FolgenN(FB+TB vollständig)= 63.............................................................................................. 165 V

B3

C C1 C2

Selektivitätsanalyse: Vergleich der Tagebuchführer mit nichttagebuchführenden Studienteilnehmern – Angaben in (Skalen- )Mittelwerten/ SD bzw. Häufigkeiten (%)................................... 167

ERGEBNISSE...................................................................................................................... 169 Korrelationsmatrix aller Variablen aus der Fragebogenstudie (N= 212)................... 170 Korrelationsmatrix aller Variablen aus der Fragebogen- und Tagebuch-Studie (N= 63)............................................................................................... C2.1 Korrelation aller Fragebogenvariablen (N= 63).......................................................... C2.2 Korrelation der Fragebogen- mit den Tagebuchvariablen (N= 63)............................. C2.3 Korrelation der Tagebuchvariablen (N= 63)...............................................................

171 171 172 173

C3

Zusammenhangshypothesen: Detaillierte Darstellung der Tests aus den Kapiteln 5.1, 5.2.6 und 5.3, aufgeteilt nach abhängigen Variablen............. 174 C3.1 Sicheres Verhalten (Indexvariable)............................................................................ 174 C3.2 Häufigkeit der Beinahe-Unfälle in der typischen Arbeitswoche.................................. 175 C3.3 Beinahe-Unfall in den letzten vier Wochen (ja/ nein)................................................. 176 C3.4 Meldepflichtiger Arbeitsunfall und/ oder Verletzung in den letzten sechs Monaten (ja/ nein)............................................................................................ 177 C3.5 Sicherheitsrelevantes Ereignis (meldepflichtiger Arbeitsunfall/ Verletzung/ Beinahe-Unfall) während der Tagebuchführung (ja/ nein)......................................... 177

C4

Unterschiedshypothesen: Detaillierte Darstellung der Tests aus den Kapiteln 5.2.2, 5.2.3 und 5.2.5........................................................................................ 178 C4.1 Unterschiede in wahrgenommener psychischer Fehlbeanspruchung und in deren negativen Folgen in einzelnen Altersgruppen (Ergebnisse der Kruskal-Wallis-Tests sowie der Mann-Whitney-Tests)............................................... 178 C4.2 Unterschiede in wahrgenommener psychischer Fehlbeanspruchung und in deren negativen Folgen in einzelnen Altersgruppen, unter Berücksichtigung der Arbeitsschicht (Ergebnisse der Mann-Whitney-Tests)......................................... 180 C4.3 Unterschiede in der Häufigkeit berichteter Verletzungen und Beinahe-Unfälle in einzelnen Altersgruppen......................................................................................... 184 C4.4 Unterschiede in der Häufigkeit berichteter Verletzungen und Beinahe-Unfälle in einzelnen Arbeitsschichten..................................................................................... 184 C4.5 Unterschiede in wahrgenommener psychischer Fehlbeanspruchung und in deren negativen Folgen in beteiligten Unternehmen (Mittelwerte/ SD aus den aggregierten Summenvariablen; Ergebnisse der einfaktoriellen ANOVA)................. 185

C5

Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz: Deskriptive Statistik (Häufigkeit und %)....................................................................... 186

VI

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 2.1:

Darstellung der Wechselwirkung zwischen Belastung, Beanspruchung und individuellen Voraussetzungen (nach Scheuch, 2003, S.570) ………..... 17

Abbildung 3.1:

Modelldarstellung der in der vorliegenden Studie bearbeiteten Fragestellung..................................................................................................

31

Übersicht der mit Fragebogen bzw. Tagebuch erfassten Belastungen, Formen der Fehlbeanspruchung sowie deren mittelfristige Folgen (in Anlehnung an Zapf, 1999; Richter & Hacker, 1998)……………….

47

Abbildung 4.5:

Abbildung 5.7:

Verteilung der individuellen Summenvariablen innerhalb der Merkmale psychischer Fehlbeanspruchung (Median, 25.+ 75. Perzentil)……………..... 76

Abbildung 5.8:

Verteilung der individuellen Summenvariablen innerhalb der negativen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung (Median, 25. + 75. Perzentil)……..

78

Abbildung 5.26:

Akzeptanz der Tagebuchmethode unter den Teilnehmern............................. 103

Abbildung 5.27:

Anwendbarkeit der Tagebuchmethode in der Praxis...................................... 104

Abbildung 5.28:

Subjektive Bewertung unfallpräventiver Effektivität der Tagebuchführung..... 106

VII

TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 4.1:

Übersicht der Rücklaufquoten der teilnehmenden Unternehmen.....................

38

Tabelle 4.2:

Beschreibung der Tagebuchbefragung und deren Rücklauf............................

40

Tabelle 4.3:

Repräsentativität der Stichprobe hinsichtlich der Altersstruktur sowie der erreichten Ausbildungsabschlüsse der Beschäftigten................................

43

Tabelle 4.4:

Vertretung der Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen der TagebuchStichprobe......................................................................................................... 44

Tabelle 4.6:

Übersicht der materiellen und körperlichen Belastungsfaktoren......................

49

Tabelle 5.1:

Signifikante Korrelationen zwischen wahrgenommenen Belastungsfaktoren und Kriterien der Arbeitssicherheit...................................................................

65

Signifikante Korrelationen zwischen Überforderung und Kriterien der Arbeitssicherheit...............................................................................................

66

Signifikante Korrelationen zwischen Unterforderung und Kriterien der Arbeitssicherheit...............................................................................................

68

Signifikante Korrelationen zwischen sozialen Belastungsfaktoren und Kriterien der Arbeitssicherheit..........................................................................

69

Signifikante Korrelationen zwischen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und Kriterien der Arbeitssicherheit...................................

70

Übersicht der signifikanten Beziehungen zwischen den untersuchten habituellen Prädiktoren und Kriterien der Arbeitssicherheit..............................

74

Vertretung der Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen der Tagebuch-Stichprobe.......................................................................................

79

Tabelle 5.2: Tabelle 5.3: Tabelle 5.4: Tabelle 5.5: Tabelle 5.6: Tabelle 5.9: Tabelle 5.10:

Wahrnehmung psychischer Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter........................................................................................................... 80

Tabelle 5.11:

Signifikante Unterschiede (p< .01) in psychischer Fehlbeanspruchung zwischen einzelnen Altersgruppen...................................................................

81

Tabelle 5.12:

Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in einzelnen Altersgruppen..............

83

Tabelle 5.13:

Signifikante Unterschiede (p< .01) im Ausmaß der Folgen psychischer Fehlbeanspruchung zwischen einzelnen Altersgruppen..................................

84

Übersicht der psychischen Fehlbeanspruchung und derer Folgen in einzelnen Altersgruppen...............................................................................

85

Klassifizierung der Arbeitszeiten mit den dazugehörigen Tagebucheinträgen...........................................................................................

86

Unterschiede zwischen Gruppe 0 (kein Schichtwechsel) und Angaben der Schichtarbeiter, die aus verschiedenen Arbeitsschichten stammen, getrennt nach Alter der Arbeitnehmer..............................................................

87

Individuelle Variabilität psychischer Fehlbeanspruchung und derer Folgen.....................................................................................................

89

Tabelle 5.14: Tabelle 5.15: Tabelle 5.16:

Tabelle 5.17:

VIII

Tabelle 5.18:

Verteilung der sicherheitsrelevanten Ereignisse in einzelnen Altersgruppen.................................................................................................... 90

Tabelle 5.19:

Verteilung der sicherheitsrelevanten Ereignisse in einzelnen Arbeitsschichten................................................................................................ 91

Tabelle 5.20:

Signifikante Korrelationen zwischen psychischer Fehlbeanspruchung und dem Vorkommen eines sicherheitsbezogenen Ereignisses......................

93

Signifikante Korrelationen zwischen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und dem Vorkommen eines sicherheitsbezogenen Ereignisses...................................................................

94

Signifikante Korrelationen zwischen täglichen/ einmaligen psychischen Fehlbeanspruchungen und Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit...............................................................................................

96

Signifikante Korrelationen zwischen kurzfristigen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und den Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit...............................................................................................

98

Tabelle 5.21:

Tabelle 5.22:

Tabelle 5.23:

Tabelle 5.24:

Habituelle Prädiktoren in einem signifikanten Zusammenhang zum Kriterium der täglichen Arbeitssicherheit.......................................................... 100

Tabelle 5.25:

Übersicht der signifikanten Beziehungen zwischen den untersuchten Prädiktoren und Kriterien der Arbeitssicherheit................................................ 102

Tabelle 6.1:

Angenommene und verworfene Hypothesen der vorliegenden Studie............. 120

IX

VERZEICHNIS VERWENDETER ABKÜRZUNGEN Abs.

-

Absatz

AGS

-

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Al-Mg

-

Aluminium-Magnesium(-Mischung)

ANOVA

-

Analysis of Variance (Varianzanalyse)

AOK

-

Allgemeine Ortskrankenkasse

ArSchG

-

Arbeitsschutzgesetz

AU

-

Arbeitsunfall

BAuA

-

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Beta

-

Standardisierter Regressionskoeffizient Beta

BG

-

Berufsgenossenschaft

BGIA

-

Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz

BGW

-

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege

BMS

-

Beanspruchungsmessskalen

BU

-

Beinahe-Unfall

bspw.

-

beispielsweise

bzw.

-

beziehungsweise

ca.

-

circa

df

-

Freiheitsgrad

DGUV

-

Deutsche gesetzliche Unfallversicherung

d.h.

-

das heißt

EBF

-

Erholungs-Belastungs-Fragebogen

ENBGF

-

Europäisches Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung

etc.

-

et cetera

evtl.

-

eventuell

EXP(B)

-

Odds-Ratio (Wahrscheinlichkeitsverhältnis „Ereignis tritt ein“ vs. „Ereignis tritt nicht ein“)

EZ

-

Eigenzustand

F

-

F-verteilte Prüfgröße (Varianzanalyse, Modelltest bei Regression)

FB

-

Fragebogen

FehlB

-

Fehlbeanspruchung

GDA

-

Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie

GG

-

Grundgesetz

H

-

Hypothese

HVBG

-

Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften

i.d.R.

-

in der Regel

IHK

-

Industrie- und Handelskammer

insb.

-

insbesondere

ISTA

-

Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse

KMU

-

kleine und mittelständische Unternehmen X

Langw.

-

Langeweile

M

-

Mittelwert

Max.

-

Maximum

Min.

-

Minimum

mittel.

-

mittelmäßig

MMS

-

Mensch-Maschine-System

Mrd.

-

Milliarde(n)

N

-

Stichprobengröße

o.ä.

-

oder ähnliche

o.g.

-

oben genannt

p

-

Irrtumswahrscheinlichkeit

r

-

Korrelationskoeffizient

2

-

Determinationskoeffizient

S.

-

Summenvariable

SALSA

-

Salutogenetische subjektive Arbeitsanalyse

SD

-

standard deviation (Standardabweichung)

SGB

-

Sozialgesetzbuch

sig.

-

signifikant

SMWA

-

Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit

sog.

-

so genannt

SPSS

-

Statistical Package for the Social Sciences

T

-

T-verteilte Prüfgröße (Test der Regressionskoeffizienten)

TB

-

Tagebuch

TICS

-

Trierer Inventar zum chronischen Stress

u./o.

-

und/ oder

u.ä.

-

und ähnliche

Üb.

-

Überforderung

Unt.

-

Unterforderung

V

-

Verletzung

vgl.

-

vergleiche

vs.

-

versus

WZ

-

Wirtschaftszweige

zit.

-

zitiert

R

XI

Relevanz des Themas und Problemstellung

„Arbeitsschutz umfasst den Erhalt und die Verbesserung der Sicherheit und der Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit. Ein moderner Arbeitsschutzansatz muss die gemeinsamen Interessen der Arbeits-, Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, der Arbeitgeber und Unternehmer sowie der Beschäftigten nach wettbewerbsfähigen Betrieben

und

menschengerechten,

gesundheitsförderlichen

Arbeitsbedingungen

miteinander verknüpfen. Sichere und gesunde Arbeitsplätze liegen im Interesse der Beschäftigten und sind eine wesentliche Voraussetzung für den Erhalt und den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten sind vom wirtschaftlichen Erfolg nicht zu trennen (…).“

(Präambel der Rahmenvereinbarung über das Zusammenwirken der staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Länder und der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), geschlossen zwischen den gewerblichen Unfallversicherungsträgern sowie den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand und dem Land Brandenburg am 11. Juni 2009)

1

Relevanz des Themas und Problemstellung

1

In

RELEVANZ DES THEMAS UND PROBLEMSTELLUNG

der

Forderung

nach

menschengerechter

Arbeit,

die

die

Merkmale

der

Schädigungslosigkeit, Ausführbarkeit, Zumutbarkeit, Persönlichkeitsförderlichkeit und Sozialverträglichkeit vereinen sollte (Hoyos, 1999), reflektiert sich der Wunsch nach Humanisierung der Arbeit. An erster Stelle, im Einklang mit dem im Grundgesetz verankerten Recht auf körperliche Unversehrtheit (GG, Artikel 2 Absatz 2), steht „Schädigungsfreiheit“ - die moralische und humanitäre Verpflichtung der betrieblichen Entscheidungsträger und der Mitarbeiter gleichermaßen, alle Verletzungen und Arbeitsunfälle mit leichten, schweren sowie tödlichen Folgen zu verhindern. Das seelische Leid der Betroffenen – der Verletzten sowie der Angehörigen – ist enorm, wenn auch schwer in Zahlen zu fassen. Es steht fest, dass jeder Arbeitsunfall ein Unfall zu viel ist, aus menschlicher sowie aus der wirtschaftlichen Sicht. Das wichtigste Motiv für einen ausgereiften,

ganzheitlich

angelegten

Arbeitsschutz

und

umfassende

Gesundheitsförderung im Betrieb bleibt jedoch selbstverständlich die Humanität. Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer stellen gesamtgesellschaftliche Anliegen dar. Die Intensivierung der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung (gern auch plakativ als Globalisierung umrissen) bringt für Unternehmen nicht nur mehr Konkurrenz und Kostendruck, sondern mit der Schnelllebigkeit vieler Produkte auch hohe Anforderungen an unternehmerische Flexibilität und Dienstleistungsorientierung. All diese Faktoren setzen Arbeitgeber unter Leistungsdruck, der oft zu Einsparmaßnahmen und singulärer Konzentration auf Produkt und Produktion führt. Das Beibehalten der gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Standards scheint daher bei vielen Unternehmen in den Hintergrund zu rücken. Jedoch ist eine ausschließliche Marktorientierung nur eine Seite des unternehmerischen Erfolgs. Die andere Seite stellen die Ressourcen dar – die materiellen wie beispielsweise Anlagen und Immobilien, sowie die immateriellen wie Patente, Teamarbeit oder Corporate Identity (Müller-Stewens & Lechner, 2003). Mit dem andauernden und ununterbrochenen Wandel der Arbeitswelt in Richtung Dienstleistungswirtschaft markieren die immateriellen Organisationsfaktoren für den Unternehmenserfolg einen immer wichtiger werdenden wirtschaftlichen und moralischen Fixpunkt des langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs. Der Schutz der Ressource Mensch gewinnt dabei an Bedeutung, denn die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter wird zunehmend das Wirtschaftsergebnis bestimmen (Badura, 2009). 2

Relevanz des Themas und Problemstellung

Neben dem sozialen Motiv ergeben sich für eine mitarbeiterorientierte Strategie der Unternehmensführung daher drei weitere Funktionen - die jedoch nicht exklusiv, sondern als miteinander verwoben zu verstehen sind (vgl. Badura, Litsch & Vetter, 2000).

Verfügbarkeit und Kostenreduktion Gezielte

Maßnahmen

zur

Förderung

der

Gesundheit

und

Arbeitssicherheit

im

Unternehmen verbessern die Arbeitsfähigkeit des Menschen und tragen erheblich zur Reduktion der Fehlzeiten bei. Zu beachten ist ebenfalls die Tatsache, dass die betrieblichen Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter üblicherweise weit niedriger sind als Kosten, die aus einem unfall- oder krankheitsbedingten Produktionsausfall resultieren

(Loeppke,

Taitel,

Haufle,

Parry,

Kessler

&

Jinnett,

2009).

Aus

betriebswirtschaftlicher Sicht belaufen sich die (über alle Branchen gemittelten) Kosten, die aufgrund eines Arbeitsunfalls dem Unternehmen entstehen, auf ca. 500 Euro1 pro Tag (HVBG2, 2007). Auch in der volkswirtschaftlichen Rechnung machen sich die Kosten, die im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten entstehen, bemerkbar: Im Jahr 2007 betrug die Summe aller Entschädigungsleistungen, die von den gewerblichen Berufsgenossenschaften an die Verletzten, Erkrankten sowie Hinterbliebenen ausgezahlt worden sind, insgesamt 8.6 Mrd. Euro (DGUV, 2009). Die in dem gleichen Jahr aufgrund von Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Bruttowertschöpfung beläuft sich schätzungsweise auf 73 Mrd. Euro, was 3.0% des Bruttonationaleinkommens darstellt. Allein die Diagnosegruppe Verletzungen und Vergiftungen verantwortet den Anteil von 9.1 Mrd. Euro bzw. 0.4% des Bruttonationaleinkommens (BAuA, 2009a).

Wettbewerbsfähigkeit Zum einen wirkt sich die wahrgenommene Investition des Arbeitgebers in das Wohlergehen der Belegschaft auf deren Leistungsvermögen, Produktivität und Qualität der Arbeitsleistung aus (Randall, Cropanzano, Bormann & Birjulin, 1999). Der Wettbewerbsvorteil durch Arbeitsschutz zeigt sich nicht nur auf der Unternehmenssondern auch auf der Landesebene: Länder wie beispielsweise die Schweiz, in denen Arbeitsschutz auf einem hohen Niveau betrieben wird und die Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle niedrig bleibt, gehören auch zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt (HVBG, 2007).

1

In dieser Summe sind die Kosten der sozialen Sicherungssysteme und Versicherungen nicht berücksichtigt. Der Hauptverband der beruflichen Berufsgenossenschaften (HVBG) bildet seit dem 01.07.2007, zusammen mit dem Bundesverband der Unfallkassen, den Spitzenverband Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). 2

3

Relevanz des Themas und Problemstellung

Zum anderen gehört auch die Reputation des Unternehmens zu den Faktoren, die den unternehmerischen Erfolg zunehmend stark beeinflussen. Es handelt sich nicht nur um die Sensibilität der Kunden für Produktimage, das unter anderem durch negative Publizität bezüglich der betrieblichen AGS-Situation geschädigt werden kann (Miller & Haslam, 2009). Es sind auch Wettbewerbsvorteile, die bei der Gewinnung hochqualifizierter Mitarbeiter auf dem Fachkräftemarkt ausschlaggebend sein können.

Nachhaltigkeit der Arbeitskraft Bevölkerungsbezogene

Entwicklungen,

die

‚Demographischer Wandel‘ zusammenfasst –

man

unter

der

Bezeichnung

niedrige Geburtenraten und längere

Lebenserwartung, um medienpräsente Beispiele zu nennen – machen deutlich, dass die Beschäftigung und eine den technischen Trends folgende Weiterbildung älterer Arbeitnehmer für viele Unternehmen zukünftig eine Notwendigkeit darstellen wird (Nickel, 2003). Intensive und gezielte betriebliche Gesundheitsförderung ermöglicht lange Beschäftigungszeiten wertvoller, hochqualifizierter und spezialisierter Arbeitskräfte. Durch diese Investition in das Humankapital werden krankheitsbedingte Frühverrentungen vermieden und das Management des betriebsinternen Wissens optimiert. Die Veränderungen in der Wirtschaftswelt haben zwangsläufig Auswirkungen auf die individuelle

Arbeitswelt.

Die

Anforderungen

an

Flexibilität

sowie

Lern-

und

Anpassungsbereitschaft, die in den letzten Jahren die Arbeit zunehmend bestimmt haben, wirken sich auf das psychische Wohlbefinden der Arbeitnehmer aus. Eine 1998/1999 durchgeführte repräsentative Umfrage unter 35 000 Deutschen ergab, dass sich ca. 50% der Beschäftigten einer Zunahme von Zeit- und Leistungsdruck innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Befragung bewusst waren (BAuA, 2007). Die Zunahme an psychischer Belastung

führt

Fertigkeiten,

zur

verstärkten

gegebenenfalls

zur

Inanspruchnahme

individueller

Fehlbeanspruchung3.

Die

Fähigkeiten

und

Untersuchung

des

Wissenschaftlichen Instituts der AOK aus dem Jahr 2005 brachte folgende Ergebnisse: Jeweils ca. ein Drittel der 32 000 Befragten fühlte sich bei ihrer Arbeit durch Hektik, Zeitund Termindruck, hohes Arbeitstempo und große Arbeitsmengen stark beansprucht (Vetter & Redmann, 2005). Ob eine hohe Anforderung durch die Arbeitsaufgabe zur Herausforderung oder zur Fehlbeanspruchung für den Arbeitnehmer wird, hängt von seinen individuellen Voraussetzungen und den Arbeitsbedingungen ab (Scheuch, 1998). Eine Fehlbeanspruchung führt zur Störung der biologischen, psychischen und/ oder sozialen Homöostase, die sich kurzfristig durch Zustände wie Ermüdung, Monotonie oder 3

Die Begriffe „Psychische Belastung“ und „Fehlbeanspruchung“ werden im Kapitel 2.2 genau definiert.

4

Relevanz des Themas und Problemstellung

Stress manifestiert. Wird ein Mensch chronisch fehlbeansprucht, ist mit einer Reihe gesundheitlicher

Beeinträchtigungen

zu

rechnen.

Der

Zusammenhang

zwischen

chronischer psychischer Fehlbeanspruchung und Gesundheit wurde in den letzten Jahren intensiv untersucht – gesichert ist die Mitwirkung von Stress u.a. bei Herz-KreislaufErkrankungen, Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sowie des Verdauungssystems, bei Tinnitus oder Hauterkrankungen (vgl. Novack, Cameron, Epel, Ader, Waldstein, Levenstein, Antoni & Wainer, 2007; Scheuch, 2007). Arbeitsbedingte psychische Fehlbeanspruchung führt ebenfalls zu psychischen Gesundheitsstörungen wie Burnout, chronische Erschöpfung und depressive Verstimmungen (Siegrist & Rödel, 2005). Im Gegensatz zum Ausmaß der psychosomatischen Medizinforschung wird die Rolle der psychischen Belastung bei der Entstehung von Arbeitsunfällen bisher wenig beachtet (Elfering,

Semmer

&

Grebner,

2006).

Dabei

sind

es

gerade

psychosoziale

Belastungsfaktoren wie Zeitdruck oder soziale Konflikte am Arbeitsplatz, die die Wirkung von Arbeitsschutzmaßnahmen und kostspieliger sicherheitsfördernder Ausstattung vieler Unternehmen aushebeln und behindern. Nicht uninteressant ist dabei die Tatsache, dass – im Gegensatz zur Chronizität der krankmachenden Stressbelastung - auch akute, lediglich einmalig oder selten auftretende Fehlbeanspruchungen zu einem Arbeitsunfall führen können. Dieser Aspekt wurde in der bisherigen Forschung zu diesem Thema außer Acht gelassen. Die vorliegende Studie, deren methodischer Schwerpunkt auf der Erfassung von psychischen Fehlbeanspruchungen mit Hilfe der selten eingesetzten Tagebuchmethode liegt, soll diese Lücke schließen. Somit bewegt sich das bearbeitete Thema an der Schnittstelle zwischen klassischer Unfallforschung (Untersuchung von Faktoren, die unmittelbar und sofort negative gesundheitliche Folgen mit sich bringen) und der Stress- und Belastungsforschung, die sich mit den Effekten von langfristig wirkenden Faktoren beschäftigt. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz und ihre Auswirkung auf die Arbeitssicherheit finden ihren festen Platz in der strategischen Ausrichtung der bundesweiten Aktivitäten der AGS-Akteure. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) stellt eine wichtige politische Ausgangsplattform für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit dar. Sie wurde 2008 aufgrund der Notwendigkeit einer Handlungsabstimmung zwischen dem Bund, den Unfallversicherungsträgern und den Bundesländern ins Leben gerufen. Ihre gesetzliche Verankerung findet sie im Arbeitsschutzgesetz (Abschnitt 5, §§ 20a, 20b) und Sozialgesetzbuch VII (§14 Absatz 3). Das Hauptziel dieser grundsätzlich geänderten AGS-Strategie ist die Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer

5

Relevanz des Themas und Problemstellung

sowie die Optimierung des wirtschaftlichen Erfolgs deutscher Unternehmen. Dies soll geschehen durch (zit. nach Pernack, 2009, S. 2): -

„(…) präventiv ausgerichteten und systematischen Arbeitsschutz, ergänzt durch Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung,

-

Stärkung des Sicherheits- und Gesundheitsbewusstseins bei Arbeitgebern und Beschäftigten

-

Einbeziehung der Beschäftigten und der betrieblichen Akteure als zwingendes Erfordernis

-

Verbindung

zu

den

auf

die

gesamte

Bevölkerung

bezogenen

Präventionsansätzen.“ Die Ziele und Kernelemente der GDA orientieren sich gleichermaßen an europäischen wie internationalen Trends und werden verbindlich für bestimmte Perioden spezifiziert (BAuA, 2009b). Für den Zeitraum 2008 bis 2012 lautet eines ihrer drei spezifischen Ziele, die Anzahl der Arbeitsunfälle um 25% zu senken, wobei die Reduktion der psychischen Fehlbeanspruchung eine besondere Berücksichtigung erfahren soll. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein genaueres Verständnis des Zusammenhangs zwischen psychischer Belastung bzw. Fehlbeanspruchung am Arbeitsplatz und der Arbeitssicherheit notwendig. Diese

Fragestellung

wird

im

Rahmen

dieser

Arbeit

bearbeitet.

Besondere

Berücksichtigung finden hier die Merkmale der Über- und Unterforderung der Beschäftigten. Die bereits erwähnte Anwendung der Tagebuchmethode besitzt neben der Datenerhebungsfunktion ebenfalls ein Präventionspotenzial im Bereich Unfallverhütung, das in dieser Arbeit ebenfalls eruiert wird. Es wird angenommen, dass die tägliche Aufzeichnung von Risikosituationen bei der Arbeit (d.h. Beinahe-Unfällen) zur Stärkung des Sicherheitsbewusstseins der Arbeitnehmer führen wird. Zum Erfolg und zur Zielerreichung der GDA leistet die vorliegende Arbeit somit einen Beitrag auf zweierlei Art – einerseits erweitert sie den Stand der Grundlagenforschung zum Thema psychische Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit; andererseits testet sie

anwendungsorientiert

einen

Ansatz

zur

Unfallreduktion,

der

eine

Sensibilisierung auf Arbeitssicherheit und hohe Partizipation der Beschäftigten in sich vereinen kann. Die arbeitspsychologische sowie die arbeitsmedizinische Forschung stellen den theoretischen Rahmen dieser Arbeit dar. Im Theorieabschnitt (Kapitel 2) der vorliegenden Arbeit

werden

zunächst

die

Kriterien

und

Einflussfaktoren

der

betrieblichen

Arbeitssicherheit vorgestellt. Anschließend wird die Auswirkung der Berufstätigkeit auf die Beschäftigten aus der Perspektive des integrierten Belastungs-Beanspruchungs6

Relevanz des Themas und Problemstellung

Bewältigungsansatzes beleuchtet (Scheuch, 2003). Aus den Konsequenzen der psychischen Beanspruchung für die Leistungsfähigkeit wird die Forschungsfrage abgeleitet, deren

vorliegende theoretische

Untermauerung

im

letzten

Teil

des

Theorieabschnitts folgt. Nach der detaillierten Formulierung der Hypothesen (Kapitel 3) erfolgt im Kapitel 4 die Darstellung und Begründung der verwendeten Methodenauswahl (Stichprobe, Erhebungsinstrumente und Methoden der statistischen Datenanalyse). Die Ergebnisse der Datenanalysen werden getrennt nach Datenquelle sowie in Kombination derselben dargelegt (Kapitel 5). Das darauffolgende Kapitel 6 widmet sich zunächst der Diskussion festgestellter Effekte anhand vorliegender Forschungsergebnisse. Darüber hinaus wird das verwendete Methodendesign kritisch betrachtet. Neben Einschränkungen der Studiendurchführung, die bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet werden sollten,

werden

auch

methodenbezogene,

für

die

Folgeforschung

relevante

Beobachtungen aufgeführt. Schließlich werden im letzten Kapitel Empfehlungen zur Lösung festgestellter Problemschwerpunkte sowie Hinweise für weitere mögliche Forschungsfelder formuliert.

7

Theoretische Grundlagen

2

THEORETISCHE GRUNDLAGEN

2.1

Betriebliche Arbeitssicherheit: Indikatoren und Einflussfaktoren

2.1.1 Indikatoren der Güte betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes Die Qualität des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes drückt sich vor allem in der Anzahl der Arbeitsunfälle sowie in der Menge der Tage aus, an denen die Betriebsangehörigen unfall- oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind. Wie der zugrunde liegenden Fragestellung zu entnehmen ist, liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf dem Unfallgeschehen. Im Folgenden werden die statistischen Indikatoren zur dessen empirischen Erfassung vorgestellt. Als Unfälle gelten Arbeitsunfälle und Wegeunfälle. Ein Arbeitsunfall ist ein zeitlich begrenztes (maximal auf die Dauer einer Arbeitsschicht), von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt und in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (vgl. § 8 Absatz 1 SGB VII). Als Wegeunfall wird jedes Unfallereignis bezeichnet, das eine versicherte Person auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden, unmittelbaren Weg zu bzw. von der Arbeitsstätte erleidet (vgl. § 8 Absatz 2 SGB VII). Meldepflicht an den Versicherungsträger entsteht für den Arbeitgeber dann, wenn diese Person durch den Arbeits- oder Wegeunfall getötet oder in dem Ausmaß verletzt wird, dass sie mehr als drei Tage

arbeitsunfähig

Zusammentreffen

von

ist



193

Mensch

SGB

und

VII).

Verletzungen,

Gegenstand,

können

bedingt

durch

beispielsweise

das durch

mechanische Gefährdungen, Gefahrenstoffe, elektrische Gefährdungen, Brand und Explosion, Strahlung sowie heiße oder kalte Medien entstehen (BAuA, 1997). Im Jahr 2007 kam es in Deutschland zu 1 055 795 meldepflichtigen Arbeitsunfällen, von denen 812 tödlich ausgingen (BAuA, 2009a). Zur besseren Vergleichbarkeit zwischen Subjekten (Bundesländer, Unternehmen usw.) wird die Unfallquote pro 1000 Vollarbeiter angegeben, die in Deutschland für den genannten Zeitraum im Durchschnitt 28 meldepflichtige Arbeitsunfälle pro 1000 Vollarbeiter beträgt. Langfristig ist ein allgemeiner Rückgang der beiden Zahlen zu beobachten. Dies betrifft jedoch nicht alle Bundesländer und alle Wirtschaftszweige gleichermaßen.

8

Theoretische Grundlagen

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist in Brandenburg und Bayern in den letzten drei Jahren eine leicht steigende Tendenz der Anzahl meldepflichtiger Unfälle zu verzeichnen (BAuA, 2009a). Sachsen weist hier eine sinkende Tendenz auf. Es wurden im Jahr 2007 jedoch 32 schwere und tödliche Arbeitsunfälle mehr berichtet als im Vorjahr (251 vs. 219 im Jahr 2006) (SMWA, 2008). Absolut gesehen werden die meisten meldepflichtigen Arbeitsunfälle von gewerblichen Arbeitnehmern verursacht. Bezogen auf die Anzahl der im jeweiligen Wirtschaftssektor beschäftigen Personen weist jedoch die Landwirtschaft die meisten Unfälle auf: 52 Arbeitsunfälle pro 1000 Mitarbeiter, verglichen mit 28 gewerblichen Arbeitsunfällen bzw. 21 Arbeitsunfällen pro 1000 Mitarbeiter, die von den Versicherungsträgern der öffentlichen Hand bearbeitet wurden (BAuA, 2009a)4. Auf der Ebene einzelner Wirtschaftszweige ist es das Baugewerbe, in dem bereits seit einigen Jahren die höchste Unfallquote herrscht, gefolgt von der Holz-, Nahrungs- und Genussmittel- sowie der Metallindustrie (BAuA, 2009a). In Sachsen ereignet sich laut des Jahresberichts der Gewerbeaufsicht jeweils mehr als ein Drittel der schweren und tödlichen Arbeitsunfälle in der Baubranche sowie im verarbeitenden Gewerbe4. Hier wurde auch der höchste Anstieg seit 2006 verzeichnet (SMWA, 2008). Bei den gewerblichen Versicherungsnehmern ergeben sich Unterschiede hinsichtlich der Betriebsgröße.

Die

wenigsten

Unternehmen

gemeldet,

die

Arbeitsunfälle mehr

als

pro

500

1000

Mitarbeiter

Vollarbeiter

werden

beschäftigen.

aus Eine

überdurchschnittlich hohe „1000-Mann-Quote“ herrscht in kleinen und mittelständischen Unternehmen, deren Belegschaften nicht mehr als 250 Personen zählen (DGUV, 2009). Im

Jahr

2007

mussten

die

deutschen

Arbeitgeber

insgesamt

437.7

Mio.

Arbeitsunfähigkeitstage ihrer Arbeitnehmer verbuchen. Davon gingen 54.4 Mio. Tage (12.4%) auf die Folgen einer Verletzung oder Vergiftung zurück (BAuA, 2009a). Die Ausfallkosten sind im produzierenden Gewerbe (ohne Baubranche) aufgrund der höchsten durchschnittlichen Gehälter am stärksten ausgeprägt: Im Jahr 2007 sind in diesem Wirtschaftszweig aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Mitarbeiter insgesamt 4

Nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ 2008, Statistisches Bundesamt, 2007) lässt sich die deutsche Wirtschaft in fünf Bereiche aufteilen: 1. Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, 2. Produzierendes Gewerbe, 3. Handel, Verkehr und Gastgewerbe, 4. Unternehmensdienstleister, 5. Öffentliche und private Dienstleister. Der Wirtschaftszweig ‚Produzierendes Gewerbe’ umfasst fünf Abschnitte (Aufzählungszeichen entsprechen dem Original): B – Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden C – Verarbeitendes Gewerbe D – Energieversorgung E – Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung; Beseitigung von Umweltverschmutzung F – Baugewerbe In der vorliegenden Arbeit werden bei statistischen Quellen grundsätzlich Angaben zum ‚Verarbeitenden Gewerbe’ bevorzugt, bei nichtvorhandenen Daten wird jedoch auf den Gesamtbereich ‚Produzierendes Gewerbe’ Bezug genommen.

9

Theoretische Grundlagen

12.9

Mrd.

Euro

Produktionsausfallkosten

entstanden.

Allein

Verletzungen

und

Vergiftungen haben 1.9 Mrd. Euro Ausfallkosten verursacht (dies entspricht 14.7% der Gesamtkosten) (BAuA, 2009a). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in der Anzahl der jährlich verzeichneten meldepflichtigen Arbeitsunfälle in Deutschland eine sinkende Tendenz beobachten lässt. Trotzdem verursachten die über eine Million Arbeitsunfälle, die im Jahr 2007 gemeldet wurden, hohe emotionale, betriebswirtschaftliche sowie volkswirtschaftliche Kosten. Der Arbeitsschutz in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) weist die größten Defizite auf. Am stärksten betroffen ist das produzierende Gewerbe. Zum einen weist dieser Wirtschaftssektor die höchste Unfallquote und eine negative Entwicklung derselben auf. Zum anderen sind hier die Ausfallkosten, bedingt durch das hohe Gehaltsniveau, am höchsten. Aus den oben angeführten Tatsachen lässt sich schlussfolgern, dass der Arbeitssicherheit bzw. dem Arbeitsschutz in Produktionsunternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern die höchste Priorität gewidmet werden sollte. Daher wurde für die vorliegende Studie diese Gruppe als Ziel- und Untersuchungsgruppe ausgewählt.

2.1.2 Beinahe-Unfälle Wie aus den Statistiken (vgl. Abschnitt 2.1.1) ersichtlich wird, kommen meldepflichtige Arbeitsunfälle im Betriebsalltag bzw. in einem Menschenleben relativ selten vor. Der Seltenheitsstatus dieser Ereignisse erschwert ihre Verwendung für statistische Zwecke. Auskunft über die Güte der betrieblichen Sicherheitssysteme geben jedoch auch sicherheitsrelevante Ereignisse ohne schwerwiegende Folgen, die im Arbeitsalltag häufiger vorkommen. Es handelt sich hierbei in erster Linie um nicht-meldepflichtige Bagatellunfälle und Beinahe-Unfälle. Bagatellunfälle (leichte Verletzungen, engl. microaccidents) verlangen wie Arbeitsunfälle medizinische Versorgung, verursachen jedoch keine Arbeitsunfähigkeit (Zohar, 2000). Zu Beinahe-Unfällen (engl. near-miss, no-injury accident, critical incident) zählen “ein oder mehrere kritische Ereignisse, die unerwartet auftreten und zu einer Abweichung vom normalen Arbeitsablauf sowie zu einer akuten Gefährdung führen, ohne dass eine tatsächliche oder schwerwiegende Verletzung eintritt.” (Keil, 1990, S. 29). Zur Darstellung des Verhältnisses zwischen Arbeitsunfällen, Bagatellunfällen und Beinahe-Unfällen wird in der Literatur eine Reihe von „Unfallpyramiden“ angeboten:

10

Theoretische Grundlagen

Auf einen schweren (meldepflichtigen) Unfall kommen je nach Studie - 29 leichte Verletzungen und 300 Unfälle ohne Verletzung (Heinrich, 1950, zit. nach Keil, 1990); - 100 leichte Verletzungen und 500 Sachschaden-Unfälle (Gappenberger, 1974, zit. nach Keil, 1990); - 10 leichte Verletzungen, 60 Sachschäden und 600 Beinahe-Unfälle (Bird & Germain, 1996, zit. nach Phimister, Oktem, Kleindorfer & Kunreuther, 2003). Sowohl Bagatellunfälle als auch Beinahe-Unfälle weisen im Schnitt eine mittlere Korrelation mit Arbeitsunfällen auf (r= 0.6), wobei die Stärke des Zusammenhangs wesentlich von der Genauigkeit der Klassifizierung beeinflusst wird. Wenn Arbeitsunfälle und Beinahe-Unfälle möglichst spezifisch beschrieben werden (z.B. bezüglich Anlage, Abteilung etc.), fällt ihre Korrelation tatsächlich sehr hoch aus (r= 0.87) (Keil, 1994). Es wird angenommen, dass „Beinahe-Unfällen, Bagatellunfällen und schweren Unfällen schon gleiche Wirkmechanismen zugrunde liegen (…), die Unfallschwere dann aber durch den Zufall bedingt ist.“ (Keil, 1990, S. 17). Im Straßenverkehr verdoppelt sich beispielsweise die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls, wenn Fahrer von vier oder mehr Situationen berichten können, bei denen es beinahe zu einem Unfall gekommen ist (Powell, Schechtman, Riley, Guilleminault, Chiang & Weaver, 2007). Obwohl die Arbeitnehmer per Gesetz dazu verpflichtet sind, festgestellte Gefahren für Sicherheit und Gesundheit sowie Mängel an den Schutzsystemen dem Arbeitgeber mitzuteilen (siehe §16 Absatz 2 des ArbSchG), werden Beinahe-Unfälle in der Praxis nur vereinzelt

gemeldet

bzw.

erfasst.

Dabei

könnte

ihre

systematische

Erfassung

gewinnbringend für die Zwecke der Gefährdungsanalyse eingesetzt werden, denn jeder Arbeitnehmer ist ein Spezialist für seinen Arbeitsplatz und sollte in die Ermittlung der Unfallschwerpunkte unbedingt einbezogen werden (Keil, 1998). In der arbeitswissenschaftlichen Forschung wird in letzter Zeit das Auftreten der Beinahe-Unfälle als ein Prädiktor für meldepflichtige Arbeitsunfälle verwendet (vgl. Barling, Loughlin & Kelloway, 2002). Durch ihr relativ häufiges Vorkommen innerhalb einer kurzen Untersuchungszeit eignen sich Beinahe-Unfälle besonders gut für prospektive Studien, weshalb sie auch in der vorliegenden Arbeit erhoben werden.

11

Theoretische Grundlagen

2.1.3 Einflussfaktoren der Arbeitssicherheit und Ursachen für Arbeitsunfälle Die klassische Fehlerforschung war darauf gerichtet, bei der Unfallanalyse eine falsche individuelle Handlung zu finden, die zu einem Unfall geführt hat (Hofinger, 2008). Je nach Autor und Statistik liegt die Prozentzahl der Fälle, in denen der Mensch und sein Verhalten als Ursache für einen Arbeitsunfall ermittelt wurden, zwischen 50% und 90% (Renggli, 1992; Hofmann, Jacobs & Landy, 1995). Bei der Erforschung der Ursachenschwerpunkte für das Jahr 2007 fand die Gewerbeaufsicht des Freistaats Sachsen heraus, dass 58% der tödlichen Unfälle auf sicherheitswidrigem Verhalten der Mitarbeiter basieren, während rein technische Mängel lediglich in 13% der Fälle eine Rolle spielten (SMWA, 2008). Solche Zahlen suggerieren, dass Mensch und Technik unabhängig voneinander agieren. Der arbeitswissenschaftlich geprägte Begriff „Mensch-Maschine-System“ verdeutlicht jedoch, dass am Arbeitsplatz systematische Interdependenzen zwischen Personen, technischer Ausstattung sowie deren direkter Umgebung bestehen (Timpe & Rothe, 1999). Verschiedene Prozesse bestimmen die Funktionsfähigkeit eines MenschMaschine-Systems (MMS). Zum einen sind dies die menschliche Informationsverarbeitung und Handlung, die den sozialen und biologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Der Mensch ist vielseitig, kreativ und flexibel, jedoch zählen zu seinen „Schwächen“ körperlich und psychisch bedingte Leistungsschwankungen, Emotionalität sowie eine variable Zuverlässigkeit (Renggli, 1992). Zum anderen wird das Verhalten der MMS-Systeme durch technische Prozesse bestimmt, die physikalischen Gesetzen unterliegen. Die Vorteile des technischen Systems im Unternehmen sind Zuverlässigkeit, konstante

Leistungsfähigkeit

und

Schnelligkeit.

Zu

den

Schwächen

dieser

Systemkomponente zählt ihre geringe Flexibilität und relative Rücksichtslosigkeit gegenüber Anpassungsnotwendigkeiten (Renggli, 1992). Das direkte Arbeitsumfeld sowie das Arbeits- und Organisationsklima stellen einen einflussreichen Rahmen dar, auf dem sich das Zusammenwirken der beiden Komponenten abspielt. Dieses Zusammenspiel bestimmt die Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit des ganzen Systems. Der Verfechter einer systemischen Sicht hinsichtlich der Entstehung von Fehlern war Reason (1990; interpretiert nach Hofinger, 2008, S. 40): „Der Fehler (…) ist nicht mehr eine falsche Handlung, sondern ein unerwünschtes Ereignis, ein Unfall oder ein Zwischenfall innerhalb eines soziotechnischen Systems. Um ein solches Ereignis erklären zu können, muss man seine Vorbedingungen auf allen Systemebenen untersuchen, vom Design des Arbeitsplatzes über einzelne falsche Handlungen am Arbeitsplatz bis zu den Ausbildungrichtlinien.“ Die Arbeitssicherheit in einem Unternehmen ist somit nach dem

12

Theoretische Grundlagen

soziotechnischen Systemansatz (Emery & Trist, 1960, zit. nach Timpe et al., 1999) von Individuen, Gruppen, Organisation, Organisationsumwelt und der Technik abhängig. Auf der individuellen Ebene beeinflussen zum einen physiologische und biologische Faktoren die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsunfalls. Zum anderen sind es auch individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das tätigkeits- und AGS-bezogene Wissen, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Arbeitsunfällen spielen (Aspekte gesundheitsrelevanten Verhaltens; Franzkowiak, 2003). Ein Faktor, der all die bisher aufgeführten individuellen Merkmale latent beeinflusst, ist das Alter. Statistiken bringen wiederholt den Hinweis darauf, dass jüngere Arbeitnehmer signifikant öfter Arbeitsunfälle erleiden als ihre älteren Kollegen (vgl. Laflamme & Menckel, 1995; Lin, Chen & Luo, 2008). Auch die Motivationsregulation und psycho-physiologischen Mechanismen der Informationsverarbeitung entscheiden darüber, ob eine Gefahr wahrgenommen wird oder eine Handlung regelkonform ausgeführt wird (Hofinger, 2008). Die sozialen Einflüsse auf die individuelle Arbeitssicherheit sind aufgrund der gesellschaftsorientierten Ausrichtung des Menschen ebenfalls nicht zu unterschätzen. Die Verhaltensnorm in der Arbeitsgruppe wirkt sich nachweislich auf das sichere Verhalten des Einzelnen aus (Hofmann & Stetzer, 1996; Mullen, 2004). Das Arbeitsklima, die Beziehungen sowie die Qualität der Kommunikation und Zusammenarbeit unter Kollegen beeinflussen die Arbeitssicherheit ausschlaggebend (Iverson & Erwin, 1997; KrauseJüttler, 2010). Auf der obersten Stufe der Hierarchie organisationaler Einflussfaktoren steht die Sicherheitskultur. Sie wird definiert als „(...) a component of the organizational culture that refers to the individuals, jobs and organizational characteristics that affect employees' health and safety. The aim of a positive safety culture is to create an atmosphere in which employees are aware of the risks in their workplace, are continually on guard against them and avoid taking any unsafe actions.“ (Fernández-Muñiz, Montes-Peón & VázquezOrdás, 2007, S. 627). Das Engagement der Unternehmensführung für AGS wurde als ein wichtiger Einflussfaktor für Arbeitsunfälle und sicheres/ unsicheres Verhalten der Arbeitnehmer identifiziert (Oliver, Cheyne, Tomás & Cox, 2002). Das Verhalten des direkten Vorgesetzten, d.h. seine Einstellung zu und Umsetzung der AGS-Richtlinien (Zohar,

2000;

Mullen,

2004)

sowie

seine

Beteiligung

der

Mitarbeiter

am

Problemlösungsprozess im AGS-Bereich (Phimister et al., 2003) ist es, was für das Auftreten von human- und ergonomiebedingten Arbeitsunfällen von Relevanz ist. Dies gilt

13

Theoretische Grundlagen

insbesondere für Betriebe, in denen die Verbesserungspotentiale im Bereich der technischen Sicherheit bereits ausgeschöpft sind (Keil, 1990). Die Art und Organisation der Aufgabe selbst hat ebenfalls Folgen für die Fähigkeit und Bereitschaft des Arbeitnehmers, sich sicher zu verhalten. Problembereiche wie Aufgabenstruktur, Stellenbildung

Technisierung, (Synthese

Kooperationsformen,

von

Zeitregime

Kapazitätsbedarf

für

Aufgaben,

eine

und

die

Kontrolle

spielen

persönliche Stelle in

der

Aufgaben, ausmachen), betrieblichen

Arbeitssicherheit eine wichtige Rolle (Wenninger & Gstalter, 1995). Auf der Ebene der materiellen und der technischen Organisationsumwelt sind es zum einen die Arbeitsmittel, die die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsunfalls beeinflussen. Dazu zählen nicht nur alle technischen Mittel, wie Geräte und Maschinen, sondern auch die Mensch-Maschine-Schnittstellen, die Verarbeitung und Transfer von Informationen beinhalten (Joiko, Schmauder & Wolff, 2008). Zum anderen sind beim Arbeitsschutz auch die physikalischen sowie chemisch-biologischen Arbeitsbedingungen (Lärm, Klima, Beleuchtung, Schadstoffe) von großer Bedeutung.

In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass psychische Belastung, die bei jeder Tätigkeit vorhanden ist, sowie ihre negativen Folgen unter bestimmten Bedingungen die Wirkung von Sicherheitssystemen außer Kraft setzen und die Gefahren bei der Arbeit erhöhen

können.

So

kann

inadäquate

Arbeitsanforderung

(Überforderung

wie

Unterforderung, einschließlich sozialer Faktoren) negative Effekte auf das sichere Verhalten der Person haben, welche die ggf. sicherheitsförderlichen Merkmale der Organisation, Organisationsumwelt sowie auch die technische Vorrichtung (wie in diesem Abschnitt beschrieben) in ihrer Wirkung aushebeln kann. In den Kapiteln 2.2 und 2.3 wird das Konzept der psychischen Belastung und Beanspruchung erläutert und ihre angenommene

Auswirkung

auf

die

Arbeitssicherheit

untermauert.

14

theoretisch

wie

empirisch

Theoretische Grundlagen

2.2

Psychische Belastung bei der Arbeit, Fehlbeanspruchung und deren negative Folgen

Die Bedingungen, unter denen eine Arbeitsaufgabe erfüllt wird, stellen körperliche, psychische, psychosoziale sowie materielle Anforderungen an den Arbeitnehmer. Da jedoch auch bei vorwiegend körperlichen Arbeiten zu jedem Zeitpunkt die psychischen Vorgänge (Lernen, Wahrnehmen, Denken, Erleben, Empfinden usw.) beeinflusst werden, existiert keine Tätigkeit, die ohne psychische Belastung auskommt (Scheuch, 2003).

2.2.1 Psychische Belastung Lange Zeit herrschten Unklarheiten bezüglich der Bestimmung des Konzeptes psychischer Belastung und ihrer Kriterien. Die 2000 verabschiedete und auf europäischer Ebene geltende Norm DIN EN ISO 10075-1: 2000 definiert dieses Konstrukt schließlich folgendermaßen: Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Diese Formulierung ist zunächst wertfrei und steht im Widerspruch zum allgemein verbreiteten, negativen Verständnis des Wortes „Belastung“. Es wird zwischen folgenden Arten bzw. Quellen psychischer Belastung unterschieden (vgl. Joiko et al., 2008; Richter & Hacker, 1998; Scheuch, 2003; Zapf, 1999;): •

Körperliche Belastungsfaktoren (bspw. Arbeitshaltung)



Belastungen durch materielle und technische Umgebung der Arbeit (bspw. direkte Arbeitsplatzgestaltung, Lärm, Luftzug, giftige Stoffe)



Zeitliche Belastungsfaktoren (bspw. Schichtarbeit, Arbeitszeiten)



Kognitive Belastung durch die Arbeitsaufgabe (d.h. die Art und der Umfang der Tätigkeit; bspw. schwierige Aufgabe, hohe Verantwortung, Zeitdruck)



Kognitive Belastung durch die Arbeitsorganisation (bspw. Unterbrechungen, Tätigkeitsspielraum, unterschiedlicher Arbeitsanfall)



Soziale

Belastungsfaktoren

aus

Mensch-Mensch-Beziehungen

(bspw.

Führungsverhalten, Betriebsklima) Psychische

Belastungen

rufen

im

Organismus

zum

einen

allgemeine

Anpassungsreaktionen hervor (verändertes Aktivitätsniveau). Zum anderen erzielen Belastungsfaktoren spezifische Anpassungsreaktionen verschiedener Organe. Darüber hinaus werden sie durch den Menschen subjektiv bewertet (Scheuch, 2003). Daraus wird 15

Theoretische Grundlagen

deutlich, dass die Auswirkung der psychischen Belastung nicht universell und gleichförmig erfolgt, sondern dass verschiedene Personen die Arbeitsanforderung unterschiedlich wahrnehmen und durch ihre Arbeitssituationen unterschiedlich beansprucht werden.

2.2.2 Psychische Fehlbeanspruchung und deren negative Folgen Psychische Beanspruchung wird definiert als die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien (DIN EN ISO 10075-1: 2000). Auch in dieser Definition ist psychische Beanspruchung weder positiv noch negativ konnotiert. Es werden folgende Aspekte der Beanspruchung unterschieden: a) Selbstbeanspruchung, b) Profil beanspruchter regulierend-psychischer Vorgänge, c) Ausgefülltheit des Bewusstseins und d) Intensität des Beanspruchtseins (psychische Anspannung) (Richter et al., 1998, S. 33). Der zweite Teil der Definition macht bereits deutlich, dass verschiedene Menschen mit psychischer Belastung unterschiedlich umgehen und sie mehr oder weniger effektiv bewältigen können. Ob die Einwirkung der psychischen Belastungen positive, neutrale oder negative Spuren beim Menschen hinterlässt, hängt somit von seinen individuellen Voraussetzungen ab. Dazu zählen Merkmale wie die Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, das individuelle Anspruchsniveau, die Motivation oder die eingesetzten Bewältigungsstrategien. Des Weiteren wird das Ausmaß und die Art arbeitsbedingter Beanspruchung auch durch das Alter und das Geschlecht, die Konstitution, die Ernährungsgewohnheiten und die aktuelle Verfassung beeinflusst (Joiko et al., 2008). Nach dem integrierten Belastungs-Beanspruchungs-Bewältigungskonzept (Scheuch & Schröder, 1990) ist der Mensch jedoch gleichzeitig nicht als passives Opfer, sondern als Agens zu verstehen, der die Art seiner Beanspruchung aktiv modifizieren kann. Diese Wechselwirkung zwischen Belastung, Beanspruchung und individuellen Voraussetzungen wird in der Abbildung 2.1 schematisch dargestellt.

16

Theoretische Grundlagen

Abbildung 2.1:

Darstellung der Wechselwirkung zwischen Belastung, Beanspruchung und individuellen Voraussetzungen (nach Scheuch, 2003, S. 570)

Homöostase

Kom

pe n

sati o

n

un ruch p s n Bea

g

Ko m

tion pensa

Dekompensation

Dekompensation

rtung Bewe g ltigun Bewä

Individuelle Voraussetzung

Belastung

Bei einer Übereinstimmung zwischen Belastung und individueller Voraussetzung kommt es zu einer funktionellen Optimalität. Körperliche Prozesse befinden sich in Homöostase, d.h. psychische Prozesse werden adäquat in Anspruch genommen, Handlungen und Verhaltensweisen laufen zielgerichtet und optimal ab. Die Belastung wird positiv, als Herausforderung erlebt und die Art der Beanspruchung resultiert in Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Steigerung der Arbeitsmotivation (Scheuch, 2003). Werden individuelle Voraussetzungen hingegen inadäquat beansprucht und die eigene Handlungsregulation beeinträchtigt bzw. durch Regulationsprobleme behindert, spricht man von einer Fehlbeanspruchung (Zapf, 1999; Richter et al., 1998). Diese tritt dann ein, wenn die sog. Dauerbelastungsgrenze überschritten wird, d.h. wenn bei einer Belastung von bestimmter Höhe die Arbeitsleistung pro Zeiteinheit nicht mehr konstant gehalten werden kann und absinkt (Oesterreich, 1999). Die Arbeitssituation wird dann zum einen als überfordernd erlebt (qualitativ durch hohe Arbeitskomplexität oder -schwierigkeit; quantitativ durch hohes Arbeitsaufkommen, Zeitdruck, starke physische Belastung). Zum anderen kann die Arbeit unterfordernd sein (qualitativ durch Nichtnutzung von Fertigkeiten und Fähigkeiten, inhaltliche Eintönigkeit; quantitativ durch die

Nichtnutzung

von

körperlichen

und

kognitiven

Fähigkeiten,

niedriges

Arbeitsaufkommen) (Scheuch, 2003). Auf derartige Beeinträchtigung antwortet der Organismus mit Kompensationsreaktionen, deren Ziel die Wiederherstellung der 17

Theoretische Grundlagen

Homöostase ist. Dabei werden vier Formen unterschieden: Psychische Ermüdung und der ermüdungsähnliche Zustand der Monotonie werden als negative Formen des Beanspruchungserlebens herausgestellt, während Stress und psychische Sättigung als negative Formen des Belastungserlebens gelten (Scheuch, 2003). Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt (vgl. Richter, Pohlandt & Hemmann, 1997; Richter et al., 1998; Scheuch, 2003).

Psychische Ermüdung Hierbei handelt es sich um eine „...durch andauernde, vorwiegend psychisch beanspruchende Arbeitstätigkeit bedingte Stabilitätsbeeinträchtigung der Tätigkeitsregulation.“ (Richter et al., 1998, S. 72). Sie tritt bei qualitativer und quantitativer Überforderung auf und wird stets auch durch körperliche Ermüdung begleitet. Erlebensmerkmale sind Erschöpfung und Müdigkeit ohne Langeweile. Auf der somatischen Ebene treten verschlechterte Sinnesleistungen (insb. visuelle Wahrnehmung) sowie eine negative Veränderung der Orientierungsfähigkeit auf. Im Gegensatz zur Ermüdung durch körperliche Arbeit, bei der vor allem das Arbeitstempo und die Muskelkraft zunehmend nachlassen, ist bei der psychischen Ermüdung aufgrund der

zentralnervösen

Veränderungen

mit

gestörter

Bewegungsabfolge

und

eingeschränkter Auge-Hand-Koordination zu rechnen (Richter et al., 1998). Auf der psychischen Ebene kommt es zur Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, der Informationsspeicherung und zur herabgesetzten Reaktions- und Problemlösefähigkeit. Denken in Zusammenhängen sowie das Bewusstwerden von Fehlleistungen werden verzögert bzw. erschwert. Psychische Ermüdung bildet sich bei einer gegebenen Erholungsmöglichkeit (Pause, Schlaf) allmählich zurück. Ihr kann durch Maßnahmen der Arbeitsgestaltung (bspw. Aufgabenbereicherung,

verbesserte

Bedingungen

zur

Informationswahrnehmung,

Abwechslung im Arbeitsablauf) und durch effektive Pausenplanung vorgebeugt werden (Joiko et al., 2008).

Monotonie Diese ist definiert als ein ermüdungsähnlicher Zustand, bei dem die Arbeitssituation als eintönig,

langweilig

und

abstumpfend

18

erlebt

wird.

Erlebensmerkmale

sind

Theoretische Grundlagen

Interesselosigkeit, Unzufriedenheit mit der Tätigkeit, Müdigkeit mit Langeweile (Richter et al., 1998). Monotone Zustände werden durch Tätigkeiten ausgelöst, die qualitativ und quantitativ unterfordernd sind und die gleichzeitig eine Zuwendung im eingeengten Beachtungsumfang erfordern (d.h. eine gedankliche Loslösung von der Aufgabe und dem Umweltkontakt sind nicht möglich). Diese Bedingungen treffen nicht nur auf die Fließbandarbeit/ Teilfertigung zu, sondern werden auch mit zahlreichen Büroarbeiten und Überwachungstätigkeiten assoziiert (Richter, 2000). Auf der somatischen Ebene ist der Verlust eines stabilen Aktivitätszustandes kennzeichnend für Monotonie, begleitet durch Herabsetzung von Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffverbrauch und Adrenalinspiegel. Die Grobmotorik verlangsamt sich, es kommt zu einem gesteigerten Lidschluss und die gesamte Körperhaltung erschlafft. Zu

den

psychischen

Symptomen

zählen

eine

herabgesetzte

Reaktions-

und

Umstellungsfähigkeit sowie eine reduzierte Aufmerksamkeit bis hin zu Dämmerphasen mit traumähnlichen Bildern (Joiko et al., 2008). Der Entstehung von Monotoniezuständen kann durch Maßnahmen der Arbeitsorganisation vorgebeugt werden, die einen weiten Beachtungsumfang bewirken (wie Aufgabenbereicherung, Aufgabenerweiterung, Kontakt mit Kollegen, Musik hören etc.) (Richter et al., 1998; Scheuch, 2003). Bei Veränderung der Arbeitssituation bildet sich der Monotoniezustand sofort zurück (im Gegensatz zur nur allmählichen Rückbildung der psychischen Ermüdung).

Stress5 Greif (1991, S. 13) definiert Stress als „(…) einen subjektiv intensiv unangenehmen Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, subjektiv zeitlich nahe (oder bereits eingetretene) und subjektiv lang andauernde Situation sehr wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint“. Diese unspezifische Anpassungsreaktion folgt somit zum einen auf eine Bewertung der wahrgenommenen Anforderung/ Belastung, Bewertung der Bewältigungsmöglichkeit bzw. –störungen oder auf die Bewertung des Arbeitsergebnisses selbst. Zum anderen wird sie durch negative Emotionen hervorgerufen, die aus der erlebten qualitativen/ quantitativen Überforderung resultierten. Der Verlust an Beeinflussungs- und Vorhersagbarkeitsmöglichkeiten hat sich als wichtige Ursache für das Stresserleben

5

In der umfassenden Stressforschungsliteratur wird der Begriff Stress sehr freizügig verwendet – sowohl als Bezeichnung für die Belastung/ Anforderung (im Sinne von ‚Stressor’), als auch für die Beschreibung der negativen Beanspruchungsfolge. In der vorliegenden Arbeit steht die Bezeichnung Stress für die emotionale Reaktion, die durch eine negative Bewertung der Aspekte eigener Arbeitssituation hervorgerufen wird. Auf den allgemeinen Begriff ‚Stressor’ wird zugunsten der Bezeichnung ‚Fehlbeanspruchung’ verzichtet.

19

Theoretische Grundlagen

etabliert. Die Erlebensmerkmale von Stress sind somit erregt-geängstigte Gespanntheit, Unruhe und Sorge um Erfüllbarkeit der Aufgabe. Im Durchschnitt rangiert die individuelle Erfahrung bei 0.5 bis 1.8 stresserzeugender Situationen pro Tag (Grebner, Elfering, Semmer, Kaiser-Probst & Schlapbach, 2004). Durch die unlustbetonten Emotionen kommt es zu einer anhaltenden, generalisierten sympathikotonen Hyperaktivierung, die sich unter Entlastungsbedingungen langsam zurückbildet. Herzfrequenz und Kortisolspiegel im Blut sind neben veränderter Ausschüttung von Katecholamin die am häufigsten eingesetzten physiologischen Indikatoren einer Stressreaktion (Scheuch et al., 1990). Auf der psychischen Ebene sind Stresszustände durch Desorganisation in der Informationsverarbeitung sowie der gesamten Tätigkeitsregulation gekennzeichnet. Affektive

Entgleisungen

und

Veränderungen

in

der

Sprachgrundfrequenz

bzw.

Sprachverarmung treten ebenfalls auf. Bei der Vorbeugung von Stress erweist sich die Schaffung von Ausweg- bzw. Bewältigungsmöglichkeiten als hilfreich. Dies ist zum einen auf der Ebene der Arbeitsorganisation

erreichbar

(erweiterter

Entscheidungsspielraum,

vollständige

Tätigkeiten, zeitliche und inhaltliche Freiheitsgrade). Zum anderen kann auch durch Veränderung in kognitiver und emotionaler Bewertung von Belastungssituationen sowie durch den Erwerb von Entspannungsstrategien Abhilfe geschafft werden (Richter, 2000; Scheuch, 2003).

Psychische Sättigung Hierbei handelt es sich um einen stressähnlichen, unlustbetonten und ärgerlich-unruhigen Spannungszustand, der sich sowohl bei einer eintönigen als auch bei einer abwechslungsreichen Tätigkeit entwickeln kann. Daher ergibt sich eine emotionale Überlappung sowohl mit psychischer Ermüdung als auch mit Monotonie (Richter, Debitz & Schulze, 2002). Entscheidend ist die mit Widerwillen erlebte Sinnlosigkeit, die aus einer Diskrepanz zwischen Arbeitsanforderungen und persönlichen Wertvorstellungen entsteht. Affektive Ausbrüche und erhöhtes Aktivierungsniveau zählen ebenfalls zur Symptomatik psychischer Sättigung. Bei einem Tätigkeitswechsel ist eine Besserung des psychischen Zustandes wahrscheinlich, jedoch nicht zwangsläufig (Richter et al., 1998).

20

Theoretische Grundlagen

Bei psychischer Ermüdung, Monotonie, Stress und psychischer Sättigung handelt es sich um kurzfristige Reaktionen, die sich auf eine Schicht oder eine Arbeitswoche beziehen. Über langfristige Folgen wird gesprochen, wenn eine Fehlbeanspruchung über einen längeren Zeitraum (Monate bis Jahre) nicht kompensiert bzw. bewältigt werden kann und zu einer Schädigung führt. Auf der somatischen Ebene treten beispielsweise Erkrankungen

des

Herz-Kreislauf-Systems,

des

Muskel-Skelett-Systems,

Hauterkrankungen oder Magenprobleme auf. Diese Erkrankungen können eine psychogene Ursache haben. Bei langfristig monotonen Tätigkeiten kommt es zu Befindensbeeinträchtigungen

aufgrund

einseitiger

Arbeitshaltung.

Langfristige

Dekompensation auf der psychischen Ebene erfolgt in Form von Ängstlichkeit, Depression oder Burnout. Die Verhaltensfolgen einer langfristigen, nicht bewältigten Fehlbeanspruchung sind Absentismus, kritisches Gesundheitsverhalten (Sucht), innere Kündigung, fehlende Freizeitaktivitäten sowie ausbleibende soziale Beziehungen (Greif, 1991; Richter et al., 1998; Zapf, 1999). Wie aus den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, rufen alle Formen der Fehlbeanspruchung psychische und somatische Veränderungen hervor, welche die optimale und vorschriftsmäßige Erledigung der Arbeitsaufgabe erheblich einschränken. Allen Reaktionen ist gemeinsam, dass sie auf der Verhaltensebene zu nachlassender Leistungsqualität bzw. Leistungsschwankungen führen und die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöhen. Eine Abnahme der allgemeinen Motivation tritt ebenfalls auf. Die Überlegung, die die Grundlage der vorliegenden Arbeit bildet, ist somit wie folgt zu formulieren: Wenn durch psychische Fehlbeanspruchung und deren negative Folgen das Arbeitsverhalten beeinträchtigt

wird,

ist

eine

Konsequenz

für

das

sicherheitsbewusste

bzw.

sicherheitswidrige Verhalten als Teil der Arbeitsleistung ebenfalls anzunehmen. Im folgenden Kapitel wird die bisherige Forschungsbasis dieser Annahme vorgestellt.

21

Theoretische Grundlagen

2.3

Psychische Belastung, Fehlbeanspruchung sowie deren Folgen und Arbeitssicherheit

Die Unterschiede der Unfallraten zwischen verschiedenen Industriezweigen bzw. bereits zwischen zwei produktionstechnisch vergleichbaren Unternehmen machen den Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die Arbeitssicherheit deutlich. Psychische Belastung, die von der Arbeitstätigkeit und ihrer Ausführungsumgebung ausgeht, führt im Falle einer Fehlbeanspruchung zu somatischen, psychischen und Verhaltensänderungen, die einen Leistungsabfall und das Vorkommen von Fehlern und damit auch von Arbeitsunfällen wahrscheinlich machen. Dennoch gehören Arbeitsunfälle und andere Indikatoren individueller Arbeitssicherheit zu den verhältnismäßig selten untersuchten Folgen psychischer Fehlbeanspruchung (Trimpop, Kirkcaldy, Athanasou & Cooper, 2000).

2.3.1 Überforderung und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde Der Zusammenhang zwischen psychischer Überforderung bzw. Merkmalen der Arbeit, die zur Überforderung beitragen einerseits, und der Arbeitssicherheit andererseits wurde in einer Reihe von Studien untersucht. Die Befundlage ist jedoch nicht durchgehend eindeutig. In ihrer umfangreichen Studie mit 4 096 Männern aus verschiedenen Zweigen der israelischen Industrie haben Melamed und Kollegen (Melamed, Yekutieli, Froom, KristalBoneh & Ribak, 1999) gezeigt, dass objektiv erfasste körperliche und materielle Belastungsfaktoren

die

Wahrscheinlichkeit eines

Arbeitsunfalls

erhöhen. Dabei

untersuchten sie vor allem körperliche Anstrengung, unangenehme Temperatur und hohen

Konzentrationsbedarf.

Diese

Befunde

bestätigen

eine

Reihe

älterer

Forschungsergebnisse zu diesem Thema (näher in Melamed et al., 1999). Ebenfalls werden eingeschränkte sensorische Wahrnehmung, insbesondere Sicht und Gehör, mit Arbeitsunfällen assoziiert. Beispielsweise hat Noweir (1984) festgestellt, dass die Häufigkeit und der Schweregrad der Unfälle, die in einem Produktionsabschnitt mit einem hohen Lärmpegel auftreten, viel höher sind als in einem ruhigeren Teil des Betriebes. Eine intensive Geräuschkulisse bei hoher Arbeitskomplexität wird auch nach Melamed, Fried und Froom (2004) mit einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit assoziiert, was insbesondere für weibliche Beschäftigte gilt.

22

Theoretische Grundlagen

Hohes Arbeitsaufkommen und Zeitdruck bei der Arbeit erhöhen die Wahrscheinlichkeit für eine unsichere Arbeitsweise sowie die Verletzung der Sicherheitsregeln (Embrey, 1992; Hofmann et al., 1995; Mullen, 2004) und stehen in einem signifikanten Zusammenhang mit der Anzahl erlebter Verletzungen am Arbeitsplatz (Frone, 1998). Niedriger Zeitdruck bei der Arbeit wird wiederum mit niedrigeren Unfallraten assoziiert (Adams, Barlow & Hiddlestone, 1981). Qualitative Überforderung (aufgrund fehlender Ausbildung) führt ebenfalls zur Erhöhung der Regelverletzungswahrscheinlichkeit (Hoffman et al., 1996). Ungeübte und schwierige Aufgaben führen, insbesondere in Anwesenheit anderer, zu Verunsicherung und Angst vor negativer Bewertung, was sich ungünstig auf die Arbeitssicherheit des Betroffenen auswirkt (Brodbeck & Frey, 1999). Dagegen konnten Mearns und Kollegen (Mearns, Flin, Gordon & Flemming, 1998) keine Unterschiede im Leistungsdruck zwischen Gruppen feststellen, die sich durch die Häufigkeit des Unfallvorkommens unterschieden. Tätigkeitsspielraum und Kontrolle über das eigene Arbeitstempo beeinflussen bei dem Arbeitnehmer die empfundene Wahrscheinlichkeit, sich zu verletzen. Die Art des Zusammenhangs ist jedoch nicht eindeutig. Je mehr Tätigkeitsspielraum besteht, desto stärker ist die Gefahrenwahrnehmung6 und umso höher wird die Unfallwahrscheinlichkeit eingeschätzt (Hemann, Merboth, Hänsgen & Richter, 1997). Jedoch steht dieses Postulat im Widerspruch zum Ergebnis einer Untersuchung von Harrell (1990), in der gezeigt wird, dass Kontrolle über die Tätigkeitsausführung in negativer Beziehung zur Besorgnis wegen der Unfallgefahr steht. Eine prospektive Studie (Kim, Min, Min & Park, 2009) hat lediglich bei Frauen einen geringeren Entscheidungsspielraum als Risikofaktor für Arbeitsunfälle identifizieren können.

2.3.2 Unterforderung und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde Die Befundlage zur Beziehung zwischen qualitativer und quantitativer Unterforderung ist im Vergleich zu Ergebnissen zur Überforderung sehr schwach. Personen, die einer Fließbandtätigkeit (d.h. stark repetitive Aufgabe, hohes Arbeitstempo) nachgehen, schätzen das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, eher gering ein (Harrell, 1990). Iverson und Erwin (1997) schlussfolgern, dass repetitive Aufgaben einfacher auszuführen sind

und

keine

besonderen

Fähigkeiten

verlangen,

wodurch

die

Verletzungs-

wahrscheinlichkeit sinkt. Dagegen haben Goldenhar und Kollegen (Goldenhar, Williams & 6

Gefahrenwahrnehmung gilt als bestätigter Prädiktor für sicherheitsbewusste Arbeitsweise sowie für Arbeitsunfälle (Musahl, 1997; Huang, Chen, DeArmond, Cigularov & Chen, 2007)

23

Theoretische Grundlagen

Swanson,

2003)

bezüglich

qualitativer

Unterforderung

(Nicht-Nutzung

eigener

Qualifikation) in ihrer Studie mit Bauarbeitern einen positiven Zusammenhang zur Arbeitssicherheit festgestellt: Je öfter sich Bauarbeiter bei ihrer Arbeit unterfordert fühlten, desto mehr Beinahe-Unfälle wurden berichtet.

2.3.3

Soziale Belastung am Arbeitsplatz und Arbeitssicherheit: Bisherige Befunde

Soziale Konflikte am Arbeitsplatz stehen in einem positiven Zusammenhang mit dem Vorkommen von Arbeitsunfällen (Macdonald, 1995; Swaen, van Amelsvoort, Bültmann, Slangen & Kant, 2004). Dagegen wird eine hohe Qualität der zwischenmenschlichen Kommunikation und ein positives Arbeitsklima mit einer geringeren Unfallrate assoziiert (Trimpop et al., 2000). Die Untersuchung von Iverson und Erwin (1997) bestätigt soziale Unterstützung seitens des Vorgesetzten und der Kollegen als signifikante Prädiktoren für Arbeitsunfälle (negativer Zusammenhang). Der Einfluss sozialer Unterstützung wird durch die Reduktion arbeitsbezogener Fehlbeanspruchung vermittelt (Goldenhar et al., 2003).

2.3.4

Psychische

Folgen

einer

Fehlbeanspruchung

und

Arbeitssicherheit:

Bisherige Befunde Einige Studien haben den Zusammenhang zwischen Arbeitssicherheit und Variablen untersucht, die sich den kurzfristigen Folgen einer Fehlbeanspruchung zuordnen lassen. Stress als eine allgemeine Überbeanspruchung wurde in mehreren Studien, an den Populationen von Stahlwerkarbeitern, Bauern, Ärzten und Tierärzten, mit einer höheren Anzahl von berichteten Arbeitsunfällen in Zusammenhang gebracht (Adams et al., 1981; Glasscock, Rasmussen, Carstensen & Hansen, 2006; Kirkcaldy, Trimpop & Cooper, 1997; Trimpop et al., 2000). Stresssymptome wie Anspannung und Ärger waren in der Untersuchung von Goldenhar et al. (2003) signifikante Prädiktoren von berichteten Beinahe-Unfällen und haben die Beziehung von einer Reihe arbeitsbezogener Belastungsvariablen zu Beinahe-Unfällen mediiert. Müdigkeit begünstigt ebenfalls die Unfallwahrscheinlichkeit, wie in einer Reihe von Laboruntersuchungen bestätigt wurde (Dinges, 1995). Die Untersuchung von Lilley (Lilley, Feyer, Kirk & Gander, 2002) hat gezeigt, dass Beinahe-Unfälle signifikant öfter von Personen erlebt werden, die über eine höhere Müdigkeit während der Arbeit berichten.

24

Theoretische Grundlagen

In den wenigen empirischen Studien, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wird jedoch

nicht

zwischen

überforderungs-

und

unterforderungsbasierter

Ermüdung

unterschieden, was die genauere Attribution der Ursache erschwert. Der Zusammenhang von Ermüdung und Arbeitssicherheit ergibt sich indirekt auch aus der Forschung, die sich mit der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden und der Pausengestaltung beschäftigt. Das Risiko eines Arbeitsunfalls nimmt kurz vor einer Pause zu. Die Dauer der Pause steht jedoch in keinem Zusammenhang mit einem Unfallrisiko (Tucker, 2003). Die Unfallwahrscheinlichkeit ist bei einer Arbeitswoche von mehr als 48 Stunden höher, wie Trimpop und Kollegen in ihrer Untersuchung von Tierärzten zeigen konnten (Trimpop et al., 2000). Entsprechende Hinweise bringt auch die Arbeitsschicht-Forschung, in der ein negativer Einfluss von Arbeitstätigkeiten, die der zirkadianen Rhythmik nicht folgen, auf die Wachsamkeit und Vigilanz angenommen wird. In Nachtschichten besteht ein höheres Unfallrisiko als bei Tagesarbeit (Folkard & Tucker, 2003), und dieses Risiko steigt mit der Anzahl der gearbeiteten Stunden (d.h. mit kumulierter Müdigkeit). Der Höhepunkt des Risikos liegt zwischen der fünften und sechsten Arbeitsstunde (Nag & Patel, 1998). Die Assoziation zwischen Langeweile und erhöhter Unfallgefahr wurde von Fisher (1993) postuliert. Frone (1998) hat in seiner Untersuchung jugendlicher Arbeitnehmer festgestellt, dass

Langeweile

zu

einer

höheren

Verletzungswahrscheinlichkeit

führt.

Im

Zusammenhang mit Unterforderung äußert sich Game (2006) zu Prädiktoren von Arbeitsunfällen folgendermaßen: Personen, die Langeweile nicht effektiv bzw. konstruktiv bewältigen können, neigen eher zu sicherheitswidrigen Verhaltensweisen. Macdonald (1995) konnte jedoch keine signifikante Beziehung zwischen Langeweile und dem Vorkommen von Arbeitsunfällen bestätigen.

Unzufriedenheit

mit

der

Aufgabe

als

Folge

einer

qualitativen/

quantitativen

Unterforderung wurde bisher nicht untersucht. Frone (1998) nimmt den Zusammenhang betrieblicher Arbeitsunfälle mit allgemeiner Arbeitsunzufriedenheit an, während Trimpop und

Kollegen

(2000)

in

ihrer

Untersuchung

lediglich

die

positive

Rolle

der

Arbeitszufriedenheit in der Unfallprävention bestätigten. Auf der Indikatorebene wird Arbeitsunzufriedenheit jedoch stets sehr allgemein (inhaltlich wie zeitlich) erfasst, was einen Rückschluss auf die konkreten (über- bzw. unterfordernden) Arbeitsbedingungen behindert. Einige Studien haben den Einfluss von Ängstlichkeit und Depression auf die individuelle Arbeitssicherheit überprüft. Diese Diagnosen, die als Langzeitfolgen psychischer Fehlbeanspruchung angesehen werden, stehen in einem positiven Zusammenhang zur

25

Theoretische Grundlagen

sicherheitswidrigen Arbeitsweise und der Unfallhäufigkeit (Oliver et al., 2002; Murray, Fitzpatrick & O’Connell, 1997). In einer Studie mit chinesischen Bauarbeitern (Siu, Phillips & Leung, 2004) wurde die (bereits mehrmals bestätigte) Beziehung zwischen Arbeitsunfällen und Einstellung zur Arbeitssicherheit durch Depression und Ängstlichkeit mediiert. Schlechter Gesundheitszustand, ebenfalls eine mögliche Langzeitfolge psychischer Fehlbeanspruchung,

wurde

von

Frone

(1998)

als

signifikanter

Prädiktor

von

Arbeitsunfällen identifiziert. Erfasst wurden Symptome wie ‚Kopfschmerzen’, ‚Gefühl schwerer Hände und Beine’ oder ‚Schwindelgefühl’. Darüber hinaus werden auch Störungen in der Sinneswahrnehmung (Sehen, Hören) - die im Zuge einer Fehlbeanspruchung am Arbeitplatz entstehen und zu dauerhaften Einschränkungen der Seh- und Hörfähigkeit führen können – mit erhöhter Unfallwahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht (Nasterlack, 2009). Nicht zuletzt gelten Übergewicht und Missbrauch von Drogen (insbesondere Alkohol) als individuelle Merkmale, die das Zustandekommen von Arbeitsunfällen begünstigen (Alleyne, Stuart & Copes, 1991; Pollack, Sorock, Slade, Cantley, Sircar, Taiwo & Cullen, 2007). Beide Zustände können als mögliche Folgen des Nutzens

inadäquater

Bewältigungsstrategien

bei

arbeitsbedingter

Über-

bzw.

Unterforderung entstehen.

2.3.5

Handlungsrelevante

Effekte

psychischer

Fehlbeanspruchung

auf

die

individuelle Arbeitssicherheit Wie bereits im Kapitel 2.1.3 erläutert, ist die Frage nach der Ursache für Fehler und damit für Arbeitsunfälle nicht einfach zu beantworten. In diesem Abschnitt wird zunächst der Begriff des sicheren Verhaltens als ein personenbasierter Einflussfaktor des betrieblichen AGS definiert. Im Anschluss werden die Wirkmechanismen des angenommenen Zusammenhangs zwischen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung und sicherem bzw. unsicherem Verhalten erläutert. Sie dienen der Begründung der zu untersuchenden Zusammenhangsannahmen, werden jedoch im Rahmen der vorliegenden Studie nicht verifiziert. Sicheres Verhalten eines Arbeitnehmers liegt dann vor, wenn die handelnde Person die sie umgebenden Gefahren unter Kontrolle hat (Hoyos, 1996). Dies gilt immer präventiv und

umfasst

Vorsorgeverhalten,

Abbau

26

von

akuten

Gefahrenpotentialen

sowie

Theoretische Grundlagen

Gefahrenmanagement. Diese Anforderung setzt eine ganzheitliche Wahrnehmung der Situation voraus („situational awareness“) (Hoyos, 1996). Unsicheres Verhalten umfasst sowohl beabsichtigte als auch unbeabsichtigte Handlungen (Reason, 1990 – nach Hofinger, 2008). Unbeabsichtigte Handlungen (auch als ‚Fehlverhalten’ bezeichnet; Hoyos, 1996) umfassen zum einen Aufmerksamkeitsfehler (beispielsweise Ablenkung, Unterlassung, Vertauschung von Arbeitsschritten, falsche Abfolge u.ä.). Zum anderen beinhalten sie Gedächtnisfehler (beispielsweise geplante Schritte

auslassen,

Zielsetzung

vergessen

u.ä.).

Beabsichtigtes

Verhalten,

das

beispielsweise zum Aufbau von akuten Gefahrenpotentialen führt (‚sicherheitswidriges Verhalten’, Hoyos, 1996), schließt Fehler im eigentlichen Sinne ein (beispielsweise richtiges Vorgehen zum falschen Zeitpunkt, falsches Vorgehen, Unwissenheit). Es handelt sich um Planungsfehler, die zur Nicht-Erreichung der geplanten Ziele führen. Dagegen wird der Verstoß als „absichtliches Abweichen von Verfahrensvorschriften“ definiert (beispielsweise Sabotage, Routineverstoß, Ausnahmeverstoß). Lediglich bei Sabotage ist die Regelverletzung bzw. ein Unfall das Ziel der unsicheren Handlung. Die Handlungsmotivation in den restlichen Fällen ergibt sich aus einer Kosten-NutzenAbwägung, in der der Wunsch, sich nicht zu verletzen, zugunsten zweier alternativer Motive an Salienz verloren hatte. Es handelt sich zum einen um das Motiv, den Arbeitsaufwand zu minimieren und Zeit zu sparen. Zum anderen wird die Bereitschaft zum sicheren Verhalten durch den Wunsch verringert, die Arbeit abwechslungsreich zu gestalten

oder

sich

durch

Improvisationsgeschick

auszuzeichnen

(Theorie

der

Sicherheitsmotivation; Trimpop, 1996). Betrachtet man die somatische und psychische Auswirkung psychischer Belastungen und Fehlbeanspruchungen auf den Menschen, ergeben sich zwei logische Wirkmechanismen ihres Zusammenhangs mit Arbeitsicherheit:

A) Direkt – über kognitive Kapazität Es ist anzunehmen, dass Folgen psychischer Fehlbeanspruchung zu unbeabsichtigten Fehlern in der Handlungsausführung führen (Aufmerksamkeits- und Gedächtnisfehler). Sowohl Unter- als auch Überforderung führen bei Menschen zu somatischen und psychischen Veränderungen, die diese Fehler begünstigen können. Im Zusammenhang mit psychischer Ermüdung kommt es zur Einschränkung der Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung (Elfering et al., 2006). Langeweile führt zu

27

Theoretische Grundlagen

einem

herabgesetzten

Aktivitätsniveau,

was

dem

Menschen

aufgrund

von

Aufmerksamkeitsproblemen die Ausführung von Handlungen nur unter verstärkter Anstrengung ermöglicht (Game, 2006). Der fehlbeanspruchte Mensch handelt nicht mehr nach dem Optimumsgebot, sondern führt seine Handlungen nur zufriedenstellend aus (Reason, 1990). Nicht nur unter Zeitdruck, sondern auch bei Langeweile werden weniger Entscheidungshilfen/ -anhaltspunkte wahrgenommen bzw. ermittelt, was die Qualität der Entscheidung beeinträchtigen kann (Game, 2006; Ozel, 2001). Entscheidungen unter Unsicherheit müssen auch bei psychisch überfordernden Überwachungs-, Kontroll- und Steuerungstätigkeiten getroffen werden. Aufgrund von Daueraufmerksamkeit wird die sog. situative awareness herabgesetzt, was auch die Wahrnehmung von kritischen Signalen verringert (Nachreiner, 2009).

B) Indirekt – über Sicherheitsmotivation Der indirekte Einfluss psychischer Fehlbeanspruchung auf unsicheres Verhalten erfolgt über die alternativen Motive zum sicheren bzw. unsicheren Verhalten. Die Zustände, die durch eine überfordernde bzw. unterfordernde Tätigkeit hervorgerufen werden, können den Arbeitnehmer zu einer Kosten-Nutzen-Abwägung veranlassen, deren Resultat schließlich zu Verstößen gegen Arbeitsschutzregeln (also zu beabsichtigten Fehlern) führt. Zeitdruck, hohes Arbeitsaufkommen oder auch Sorge um Erfüllbarkeit der Aufgabe können in dem betroffenen Arbeitnehmer den Wunsch wecken, den Arbeitsaufwand minimieren zu wollen bzw. Zeit zu gewinnen. Diese sog. „job over safety“-Einstellung führt dazu, dass umständliche, jedoch für die Sicherheit unerlässliche Schritte ausgelassen werden bzw. dass auf das Tragen von hinderlicher Personenschutzausrüstung verzichtet wird.

Diese

Herangehensweise

wird

in

der

Forschungsliteratur

als

einer

der

Einflussfaktoren unsicheren Verhaltens genannt (Hofmann et al., 1996; Mullen, 2004). Das Sicherheitsbedürfnis tritt in den Hintergrund, insbesondere dann, wenn bei dem Arbeitnehmer der Eindruck entsteht, unsichere Arbeitsweise wird vom Vorgesetzten/ Arbeitgeber geduldet (Wright, 1986). Arbeitsbedingte Langeweile lässt wiederum das Motiv nach abwechslungsreicher Gestaltung der Arbeit salient erscheinen. Werden zur Bewältigung von Langeweile keine konstruktiven Strategien ausgewählt, kann dies auf Kosten der Arbeitssicherheit geschehen (Game, 2006). Personen, die sich an ihrem Arbeitsplatz langweilen, zeigen wenig Einsatz für ihre direkte Umwelt. Deshalb überrascht es nicht, wenn zur Bewältigung

28

Theoretische Grundlagen

von Langeweile Handlungen eingesetzt werden, die nicht im Interesse des Arbeitgebers sind, wie beispielsweise Vandalismus, Diebstahl oder Verstöße gegen Arbeitssicherheit. Es können jedoch auch relativ harmlose Nebentätigkeiten sein (beispielsweise Singen, Reden mit Kollegen, Tagträumen u.ä.), die Ablenkung und letztlich einen negativen Einfluss

auf

die

Arbeitsleistung zur

Folge

haben

(Fisher,

1993).

Langweilige

Arbeitstätigkeit veranlasst manche Personen, mehr Abwechslung in die Art der Tätigkeitsausführung einzubringen oder nach alternativen Stimuli zu suchen. Auf diese Weise gehen sie Risiken ein, die in einem Arbeitsunfall enden können.

Die Synthese der bisherigen Befundlage zum Zusammenhang von psychischer Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit sowie die oben beschriebenen Annahmen über die zugrunde liegenden Wirkmechanismen begründen die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung. Diese wird im nächsten Kapitel näher beleuchtet und in Hypothesen formuliert.

29

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

3

DIE VORLIEGENDE STUDIE UND IHRE HYPOTHESEN

Im Folgenden wird der Rahmen der vorliegenden Untersuchung beleuchtet, unter besonderer Berücksichtigung des Mehrwerts und des wissenschaftlichen Beitrags zur bisherigen Forschung.

3.1

Untersuchung des Zusammenhangs zwischen psychischer Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit

In der bisherigen Forschung zum Thema der vorliegenden Arbeit wird in den meisten Fällen jeweils nur ein Ausschnitt aus der Arbeitsrealität der Befragten abgebildet. Es werden entweder nur die psychischen Belastungen oder nur die Folgen einer Fehlbeanspruchung (jeweils objektiv oder subjektiv) gemessen. Eine systematische Prüfung des Zusammenhangs zwischen den Folgen einer Fehlbeanspruchung im Sinne des integrierten Belastungs-Beanspruchungs-Bewältigungskonzeptes liegt bisher nicht vor. In der aktuellen Studie wird eine Reihe psychischer Belastungen, (Fehl-)Beanspruchungen und deren negative Folgen in ihrer Beziehung zu Indikatoren der Arbeitssicherheit überprüft. Das Kernstück bilden dabei die psychischen Folgen einer Fehlbeanspruchung. Die Wahrnehmung einer Fehlbeanspruchung selbst sowie die wahrgenommene Existenz von materiellen und arbeitsbedingten Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz runden die ganzheitliche Betrachtung der Arbeitssituation ab. In Abbildung 3.1 werden die bearbeitete Fragestellung sowie die angenommenen Beziehungen zwischen untersuchten Variablen schematisch dargestellt. Die Methodenwahl fiel bewusst auf das Selbstberichtformat, unter Verzicht auf physiologische Maße der Fehlbeanspruchungsfolgen und Ergebnisse tätigkeitsbezogener Belastungsanalysen. Somatische Veränderungen oder objektiv ermittelte Belastungen am Arbeitsplatz

stehen

Belastungssituation

nur (vgl.

in

einer

geringen

Melamed,

Beziehung

Ben-Avi,

Luz

zum &

Erleben

Green,

in

1995).

einer Die

Realitätswahrnehmung ist es, die Konsequenzen für das Erleben und Verhalten sowie einen positiven bzw. negativen Einfluss auf den menschlichen Organismus und seine Sicherheit hat. Das Wahrgenommene spielt für das Entstehen von Einstellungen und Verhalten somit die wichtigere Rolle (vgl. Folkman & Moskowitz, 2004).

30

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

Abbildung 3.1:

Modelldarstellung Fragestellung

der

in

der

vorliegenden

Studie

bearbeiteten

Während bei der Entstehung von Erkrankungen die Chronizität der psychischen Fehlbeanspruchung eine besondere Rolle spielt, ist beim Vorkommen von Arbeitsunfällen anzunehmen, dass sowohl habituelle (d.h. typische, immer wiederkehrende, nicht aufhörende und bisher nicht bewältigte) als auch situative (d.h. einmalige, tägliche, kurzzeitige) Fehlbeanspruchungen bei einem Arbeitsunfall von Bedeutung sind. Die bisherige Forschung zur psychischen Fehlbelastung und Arbeitssicherheit hat jedoch lediglich die habituelle Fehlbeanspruchung betrachtet und erfasst. Fehlbeanspruchung, die nicht typisch für den Arbeitsalltag ist und die nur selten bzw. einmalig eintritt, erfährt in der Erfassung der typischen Charakteristika der Arbeitssituation keine Berücksichtigung. Diese Lücke soll in der vorliegenden Studie mit der Anwendung der Tagebuchmethode geschlossen werden. Sie stellt ein neues Instrument auf dem Gebiet der Arbeits- und Gesundheitsschutzforschung

dar.

Sie

ermöglicht

eine

genaue

Erfassung

von

Zielmerkmalen und –ereignissen, bei der die in retrospektiven Befragungen üblichen Gedächtniseffekte vermieden werden können (McAuliffe, DiFranceisco & Reed, 2007).

31

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

Die tägliche Erfassung psychischer Beanspruchung und deren negativer Folgen wird begleitet durch die Information zum Vorkommen sicherheitsrelevanter Ereignisse am jeweiligen Tag. Die Aufnahme der Beinahe-Unfälle als Indikator der individuellen Arbeitssicherheit gehört zu den neuesten Strategien der Arbeitsschutzforschung (vgl. Abschnitt 2.1.2). Eine personspezifische tägliche Erfassung dieses Indikators im Rahmen einer 15-tägigen Tagebucherhebung ist in der bisherigen Forschungsliteratur jedoch nicht auffindbar. Das auf diese Weise erhobene Datenmaterial bietet seltene Information über die realistische Häufigkeit dieser Vorkommnisse und in aggregierter Form stellt es einen besonders validen Indikator individueller Arbeitssicherheit dar (Grebner et al., 2004). Hervorzuheben ist ebenfalls die Zielgruppe der Untersuchung. Die vorliegende Studie wurde in kleinen und mittelständischen Industrieunternehmen durchgeführt, die in der arbeitspsychologischen Forschung tendenziell unterrepräsentiert ist. Gleichzeitig besteht jedoch gerade in dieser Population besonders hoher Bedarf an einer Intensivierung von betrieblichen Aktivitäten zur Unfallprävention und Gesundheitsförderung (Gusy, 1998).

3.2

Bewertung der Tagebuchführung als Methode der betrieblichen Unfallprävention

Neben dem Themenschwerpunkt, der sich mit der Feststellung von Zusammenhängen zwischen psychischer Belastung, Fehlbeanspruchung und Arbeitssicherheit befasst, folgt die aktuelle Untersuchung noch einer parallelen Zielsetzung. Da die Tagebuchmethode tägliche Angaben zu erlebten sicherheitsrelevanten Ereignissen (Unfall, Verletzung, Beinahe-Unfall) sammelt, geht die Autorin davon aus, dass dieses Instrument auch eine unfallpräventive bzw. sicherheitsfördernde Wirkung haben kann. Im Folgenden werden diese antizipierten Effekte aus der sozialpsychologischen Perspektive beschrieben. Es wird zum einen erwartet, dass die Führung eines sicherheitsbezogenen Tagebuchs mit dem Fokus auf Beinahe-Unfällen (als Situationen mit Verletzungspotential) die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf dieses Thema lenken und sie dadurch für Gefahren bei der Arbeit sensibilisieren wird. Das Prinzip der Hervorhebung von Gefahren ist kongruent mit den meisten Kampagnen der Gesundheitserziehung (Stroebe & Jonas, 2004). Die Furcht erregende Kommunikation zielt auf die sog. Verletzlichkeit ab (~ subjektive Wahrscheinlichkeit, dass ein schädliches Ereignis auftritt). Zusammen mit der Beurteilung des Ereignisses und der wahrgenommenen Effektivität einer bestimmten 32

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

Handlung zum Schutz gegen Gefahr beeinflusst die Verletzlichkeit maßgeblich die Motivation

eines

Menschen,

sich

vor

Gefahren

zu

schützen

(Theorie

der

Schutzmotivation; in Stroebe et al., 2004). Dabei sind jedoch nicht alle Gefahren im Voraus definierbar und können deshalb in sicherheitspsychologischen Interventionen nicht berücksichtigt werden. Der Arbeitnehmer greift schließlich auf seine eigene Erfahrung,

interne

Gefahrenrepräsentationen

Auftretenswahrscheinlichkeiten

zurück

(Musahl,

und

seine

1997). Diese

Vermutung drei

über

Facetten

der

Gefahrenkognition können durch die Tagebuchaufzeichnungen der sicherheitsrelevanten Ereignisse bereichert werden. Die Gefahren und Risiken werden durch die erkannten Beinahe-Unfälle konkretisiert und somit zukünftig besser wahrnehmbar (verbesserte Gefahrenkognition; Musahl, 1997). Nach dem Prinzip der Verfügbarkeitsheuristik werden die Tagebuchführer Risikoereignisse bei ihrer Arbeit leichter abrufen und die Unfallgefahr somit als höher beurteilen (Fiedler & Bless, 2004). Den präventiven Einfluss realistisch eingeschätzter oder gar überschätzter Gefährlichkeit von Tätigkeiten hat Musahl (1997) in seinen Bergbau-Untersuchungen überzeugend dargelegt: Personen, die ihre Fähigkeiten überschätzen und die alltäglichen Gefahren gleichzeitig unterschätzen, verspüren weniger Notwendigkeit, erforderliche Vorsichtsmaßnahmen für die eigene Sicherheit zu treffen. Ein weiterer Erklärungsansatz zur positiven Wirkung der täglichen Beinahe-UnfallAufzeichnungen im Arbeitsschutz ließe sich mit den Worten Henri Tajfels ausdrücken: „Der größte Anpassungsvorteil des Menschen liegt in der Fähigkeit, sein Verhalten danach auszurichten, wie er eine Situation wahrnimmt und versteht.“ (Tajfel, 1969, S. 81). Im Sinne der sozialen Informationsverarbeitung beeinflusst die Wahrnehmung, zusammen mit bereits vorhandenem sowie dem momentan entstehenden Wissen, die Einstellungen und Urteile der Menschen (Fiedler et al., 2004). Somit erscheint plausibel, dass die Risikowahrnehmung und das Wissen um Gefahrenstellen die Einstellung zum Arbeitsschutz verändern und Einsicht in die Notwendigkeit der AGS-Maßnahmen bringen könnten. Die (durch die Erkenntnis der Sinnhaftigkeit erlangte) positive Einstellung zum Arbeitsschutz erfüllt eine instrumentelle Funktion: Dem Arbeitnehmer helfen, die negativen Folgen seiner Tätigkeit zu vermeiden (Bohner, 2004). Obwohl keine eindeutig kausale Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten eines Menschen besteht, ist dennoch anzunehmen, dass unter bestimmten Bedingungen eine Veränderung in der Einstellung zur Verhaltensmodifikation führen könnte (näher hierzu in Bohner, 2004). Das zweite Ziel dieser Arbeit stellt deshalb die Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz dar. Im Rahmen einer antizipatorischen Evaluation wird die Akzeptanz der Befragten sowie ihre Einstellung zur Anwendbarkeit erfragt. Der theoretische Rahmen für

33

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

die subjektive Überprüfung der verhaltensmodifizierenden Effekte wird durch das Informationsverarbeitungsparadigma von McGuire gegeben (in Stroebe & Jonas, 1996). Nach dessen Annahmen wird die Einstellung zur Einhaltung von Sicherheitsregeln (Einsicht bzw. Akzeptieren) durch die Wahrnehmung der Gefahren und das Wissen/ der

Verstehen

Gefahren-

und

Risikozusammenhänge

beeinflusst.

Einstellungen

beeinflussen unter bestimmten Umständen das Verhalten - aufgrund des kurzen Implementationszeitraumes wird im Zuge der Tagebuchführung jedoch höchstens eine Veränderung der Verhaltensabsichten angenommen.

Im folgenden Kapitel werden die Hypothesen bezüglich des Zusammenhangs zwischen psychischer Belastung, (Fehl-)Beanspruchung und Kriterien der Arbeitssicherheit vorgestellt. Darüber hinaus werden Erwartungen formuliert, die sich auf die präventive Wirkung der Tagebuchführung im AGS-Bereich beziehen.

3.3

Hypothesen

Das Hauptziel dieser Untersuchung ist es, psychische Belastungen, die von ihnen ausgehenden Fehlbeanspruchungen und deren negative Folgen in ihrem Einfluss auf sicheres Verhalten sowie sicherheitsrelevante Ereignisse im Betrieb zu analysieren. Dabei sollen Angaben zum typischen Zustand bzw. den typischen Verhaltensweisen, die im Rahmen

einer

Mitarbeiterbefragung

gewonnen

wurden,

um

Informationen

aus

Arbeitstagebüchern ergänzt werden, welche die Einmaligkeit der aktuellen Arbeitssituation und des Wohlbefindens an konkreten Arbeitstagen festhalten. Es

werden

folgende

Zusammenhangshypothesen

aufgestellt,

die

anhand

des

Datenmaterials aus der Fragebogen- sowie der Tagebuchstudie überprüft werden: (1) Mit steigender Anzahl der im Selbstbericht ermittelten Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz (d.h. Vorhandensein von materieller und körperlicher Belastung, organisationsbedingter Belastung, Belastung durch Aufgabe) sinkt die Häufigkeit, mit der sich Personen am Arbeitsplatz sicher verhalten (H1a). In diesem Zusammenhang steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines sicherheitsrelevanten Ereignisses (Arbeitsunfall, Verletzung, Beinahe-Unfall) (H1b).

34

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

(2) Mit

wachsender

Arbeitsumgebung

wahrgenommener und

ergonomische

Fehlbeanspruchung

durch

die

Gegebenheiten,

durch

die

Arbeitsorganisation, durch die Aufgabe selbst, durch die Arbeitszeiten sowie durch die belastenden sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz sinkt die Häufigkeit, mit der sich Personen am Arbeitsplatz sicher verhalten (H2a). Sicherheitsrelevante Ereignisse

(Arbeitsunfall,

Verletzung,

Beinahe-Unfall)

werden

dagegen

wahrscheinlicher (H2b). (3) Es wird ferner angenommen, dass Übermüdung (ohne Langeweile), Erschöpfung, Nervosität

und

Sorge

um

Erfüllbarkeit

der

Aufgabe

als

Folgen

einer

überfordernden Fehlbeanspruchung die Häufigkeit, mit der sich Arbeitnehmer sicher verhalten, senken (H3a). Das Zustandekommen eines sicherheitsrelevanten Ereignisses (Arbeitsunfall, Verletzung, Beinahe-Unfall) wird durch diese Faktoren wiederum wahrscheinlicher (H3b). (4) Es wird postuliert, dass Langeweile (allein oder in Kombination mit Übermüdung), mangelndes Interesse an der Arbeit und inhaltliche Unzufriedenheit mit der Aufgabe

als

Folge

einer

unterfordernden

Fehlbeanspruchung

gleiche

Konsequenzen für die Arbeitssicherheit haben können: Sie beeinflussen wie bei Überforderung das sichere Verhalten am Arbeitsplatz negativ (H4a). Die Wahrscheinlichkeit

eines

sicherheitsrelevanten

Ereignisses

(Arbeitsunfall,

Verletzung, Beinahe-Unfall) wird bei steigender Unterforderung höher (H4b).

Im Zuge der Befundlage zum Alter als Einflussfaktor der individuellen Arbeitssicherheit (siehe Theorieteil) bzw. zur Ergänzung der hier formulierten Zusammenhangshypothesen werden anhand der Tagebuch-Daten die folgenden Unterschiedshypothesen im Bezug auf das Alter der Befragten überprüft: (5)

Die verschiedenen Altersgruppen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Erlebens von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz (Überforderung, Unterforderung, belastende soziale Beziehungen) (H5a). Darüber hinaus sind altersspezifische Unterschiede im Ausmaß ihrer negativen Folgen zu erwarten, die täglich bzw. einmalig erlebt werden (H5b). Zuletzt wird angenommen, dass auch in dieser Stichprobe

die

Häufigkeit

sicherheitsrelevanter

Ereignisse

(Arbeitsunfall,

Verletzung, Beinahe-Unfall) mit steigendem Alter abnimmt (H5c). Aufgrund der zu

35

Die vorliegende Studie und ihre Hypothesen

erwarteten Differenzen im Arbeitserleben zu verschiedenen Arbeitszeiten wird die Arbeitsschicht als Moderatorvariable in den Auswertungen berücksichtigt.

Bezüglich der Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz werden folgende Hypothesen aufgestellt:

H6a:

Es wird angenommen, dass die Studienteilnehmer – aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes - der Methode der Tagebuchführung eine niedrige Akzeptanz entgegen bringen und eine geringe Bereitschaft zu deren wiederholtem Einsatz signalisieren werden.

H6b:

Im Zuge der regelmäßigen Aufzeichnung von Beinahe-Unfällen wird die Wahrnehmung der Gefahren sowie das Wissen/ Verstehen der Gefahren- und Risikozusammenhänge verbessert. Dadurch wird auch eine positivere Einstellung zur Einhaltung von Arbeitsschutzregeln (d.h. größere Einsicht in deren Notwendigkeit) zu erwarten sein. Als Folge dieser Veränderungen wird auf der Verhaltensebene eine positive Veränderung der Verhaltensabsichten zu mehr Sicherheitsbewusstsein angenommen.

36

Methode

4

METHODE

Im folgenden Kapitel werden zunächst das Untersuchungsdesign sowie die verwendeten Stichproben

vorgestellt,

gefolgt

von

der

Struktur

und

den

Inhalten

der

Erhebungsinstrumente. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden die Strategien der Datenauswertung beschrieben.

4.1

Untersuchungsdesign

Zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen wurde ein Untersuchungsdesign entworfen, das auf einer Kombination zweier Selbstbericht-Methoden beruht. Um neben der habituellen (langfristigen) Ausprägung der untersuchten Merkmale auch ihre einmalige (tägliche bzw. situative) Form zu erfassen7, wurde neben der üblichen Fragebogenmethode ebenfalls die Methode der Tagebuchführung eingesetzt. Beide Datenquellen

erfassten

parallel

die

wahrgenommenen

Belastungsfaktoren

am

Arbeitsplatz, die psychische Fehlbeanspruchung sowie ihre negativen Folgen. Auf dieselbe Art wurden Indikatoren der individuellen Arbeitssicherheit erhoben. Die Daten aus der Tagebuchstudie wurden für die Analysen anschließend zu einem repräsentativen individuellen

Maß

pro

Merkmal

zusammengefasst.

Zur

Überprüfung

der

Zusammenhangshypothesen wurden die Daten zum einen methodenhomogen analysiert, zum anderen wurden die Prädiktoren und Kriterien aus jeweils unterschiedlichen Datenquellen

verwendet.

Die

Fragebogenangaben

und

die

aggregierten

Tagebucheinträge sind zeitlich verschoben entstanden - aufgrund des minimalen Zeitabstands ließe sich das Untersuchungsdesign jedoch als „quasi-querschnittlich“ bezeichnen. Zur Bewertung der Tagebuchmethode als praxisorientierte Untersuchungs- und Unfallpräventionsmethode wurden die Einschätzungen der Tagebuchführer direkt nach der Beendigung der Tagebuchaktion einmalig per Fragebogen erfasst.

7

Die Fragebogenitems haben das Ziel, die typischen, habituellen Ausprägungen der Merkmale zu erfassen, die von den Befragten – für einen bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit geltend – wie angegeben wahrgenommen wurden. Die Daten aus den Tagebüchern geben Auskunft über die sich täglich ändernde, situativ bedingte oder auch einmalige Ausprägung der Merkmale. Der Übersichtlichkeit wegen – um die starke Vereinfachung jedoch wohl wissend – sollen die Begriffe „habituell“ bzw. „täglich/ einmalig“ verwendet werden, wenn Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Fragebogen bzw. dem Tagebuch geschildert werden.

37

Methode

4.2

Akquise der Stichprobe

Aufgrund der hohen Unfallzahlen im produzierenden Gewerbe, und hier insbesondere in kleineren Unternehmen (vgl. Abschnitt 2.1.1), wurden kleine und mittelständische Produktionsunternehmen mit einem Metallverarbeitungsschwerpunkt als Zielgruppe der Untersuchung bestimmt. Aus der Online-Datenbank der IHK Dresden wurden zunächst 20 Unternehmen ausgewählt. Die Selektionskriterien waren die geographische Lage im Großraum Dresden und die Unternehmensgröße (weniger als 250 Mitarbeiter). Diese Unternehmen wurden im Zeitraum 11/ bis 12/2008 telefonisch kontaktiert und bei fünf Unternehmen wurde die Studie der Geschäftsführung bzw. dem AGS-Verantwortlichen persönlich vorgestellt. Vier Unternehmen sagten schließlich ihre Teilnahme zu. Es handelt sich somit um eine Gelegenheitsstichprobe, deren Zusammensetzung aus verschiedenen Unternehmen ein gewisses Maß an Varianz untersuchter Merkmale garantiert. Zwischen 01/ und 03/2009 wurde das Vorhaben in jedem Unternehmen zunächst der Belegschaft vorgestellt, um Mitarbeit und Interesse an der Mitarbeiterbefragung zu sichern. Aufgrund der geringfügigen Prävalenz der Arbeitsunfälle in der Verwaltung standen nur Beschäftigte des Produktionsbereiches im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Von insgesamt 388 verfügbaren Produktionsmitarbeitern nahmen schließlich 234 an der Fragebogenstudie teil, was einer durchschnittlichen Rücklaufquote von 60.3% entspricht. Von ihnen wurden 31.6% ebenfalls per Tagebuch befragt. Tabelle 4.1 bietet eine nähere Übersicht der teilnehmenden Unternehmen. Tabelle 4.1:

Übersicht der Rücklaufquoten der teilnehmenden Unternehmen Anzahl der Mitarbeiter

Anzahl der Mitarbeiter

Geschäftsfeld

Unternehmen 1 Unternehmen 2 Unternehmen 3

Unternehmen 4

Getriebe für den Maschinen- und Anlagenbau (diverse Industrien) Abgasturbolader (Automobilindustrie) Druckgussteile aus Al-Mg (Automobilindustrie) Werkzeugbau, Fertigung von Serienteilen (diverse Industrien)

Anzahl der Befragungstermine

FragebogenStudie (FB)

FragebogenUND TagebuchStudie

Anzahl (% von Produktionsmitarbeitern)

Anzahl (% von FBStudie)

Gesamt

Produktion

183

125

3

60 (48.0%)

22 (36.7%)

151

101

2

74 (73.3%)

18 (24.3%)

150

98

3

49 (50.0%)

19 (38.8%)

82

64

2

51 (79.7%)

15 (29.4%)

N(FB) = 234 (60.3%)

N(FB+TB) = 74 (31.6%)

388

Gesamt FB= Fragebogen, TB= Tagebuch

38

Methode

4.3

Untersuchungsablauf

Die Dauer der Datenerhebung betrug vier Monate (01 – 04/2009). Da in allen vier Unternehmen ein Schichtsystem praktiziert wird, wurden für die Befragung der Mitarbeiter per Fragebogen jeweils zwei bis drei - meist um eine Woche versetzte - Termine vereinbart (zu jedem Termin konnten eine oder zwei Schichten erreicht werden). Die Teilnahme an der Fragebogenstudie war freiwillig. Einziges Einschlusskriterium war die Beschäftigung im Produktionsbereich des jeweiligen Unternehmens. Zur Sicherung der Beteiligungsquote hat die Geschäftsführung in allen Unternehmen ihre Unterstützung signalisiert und die Befragungszeit als Arbeitszeit abgegolten. Alle Mitarbeiter erhielten ausreichende Instruktionen zum Ausfüllen des Fragebogens. Darüber hinaus hatten sie die Möglichkeit, bei der vor Ort anwesenden Untersuchungsleiterin Verständnisfragen zu stellen. Die ausgefüllten Fragebögen wurden anschließend eingesammelt. Nach der Abgabe ihrer ausgefüllten Fragebögen erhielten die Teilnehmer der Tagebuchstudie eine Tagebuchmappe samt detaillierten Instruktionen zur Führung des Arbeitstagebuches (zur Beschreibung der Tagebuchmappe siehe Abschnitt 4.5.2). In den Unternehmen Nr. 1 und 3 entschieden sich die Mitarbeiter für die Teilnahme vollständig freiwillig. In den restlichen Unternehmen wurden die möglichen Tagebuchführer vom Vorgesetzten direkt angesprochen und um Teilnahme gebeten. Zur Motivation der Mitarbeiter, über 15 Arbeitstage ein Tagebuch zu führen, wurden nach dem Abschluss der Gesamterhebung in Unternehmen Nr. 2 und 3 insgesamt 20 Geldwertgutscheine zum Einkauf bei einer Elektronikhandelskette unter den Teilnehmern verlost. Im Unternehmen Nr. 1 haben alle Tagebuchführer eine Geldprämie von ihrem Arbeitgeber ausgezahlt bekommen. Unter den Teilnehmern der Tagebuchstudie im Unternehmen Nr. 4 sollten einige, von der Geschäftsführung ausgewählte, Sachpreise zu einem späteren Zeitpunkt verlost werden. Um die kontinuierliche Tagebuchführung und einen Überblick über den Fortschritt der Erhebung zu sichern, wurden die Teilnehmer gebeten, die Tagebucheinträge jeweils einer Woche in einem Umschlag zu sammeln und in eine bereitgestellte Urne zu werfen. Diese Urnen, platziert auf dem Werksgelände meist in der Betriebskantine oder direkt in der Werkshalle, wurden von der Untersuchungsleiterin wöchentlich geleert. Als Erfassungszeitraum für die täglichen Einträge wurden 15 Arbeitstage bestimmt – ein Zeitfenster, bei dessen Länge eine zufriedenstellende Kooperationsbereitschaft der Teilnehmer noch anzunehmen war, und das gleichermaßen genug Gelegenheit zur Erfassung sicherheitsrelevanter Zielereignisse bot. Die gesamte Tagebuchaktion dauerte 39

Methode

jedoch in allen Unternehmen länger als die vorgesehenen drei Wochen (Minimum: 29 Tage – Maximum: 44 Tage). Zum einen haben die Mitarbeiter jedes einzelnen Unternehmens aufgrund der Schichtsysteme zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit der Tagebuchführung begonnen. Zum anderen haben die Tagebuchführer ihre Einträge nicht immer lückenlos vorgenommen – neben externen Faktoren wie Urlaub, Krankheit oder verkürzte Arbeitswoche sind auch interne Disziplin- bzw. Gedächtnisfaktoren nicht auszuschließen. Die durchgehende Kontrolle über den individuellen Fortschritt der einzelnen Tagebuchführer ermöglichte es jedoch, die benötigte Gesamtdauer der Tagebuchaktion in jedem Unternehmen gut abzuschätzen. Darüber hinaus konnten die wöchentlichen Besuche vor Ort dazu genutzt werden, um „Motivationsflyer“ zu verteilen und die finale Entfernung der Urne mit einem ausreichenden zeitlichen Vorsprung anzukündigen. Tabelle 4.2 stellt die Bedingungen der Tagebuchbefragung und ihre Rücklaufquoten in den einzelnen Unternehmen detailliert vor. Insgesamt haben 74 Arbeitnehmer an der Tagebuchaktion teilgenommen, was im Durchschnitt 19.1% der Produktionsmitarbeiter eines jeden Unternehmens darstellt. Die Dauer der Tagebuchstudie wurde in jedem Unternehmen dem individuellen Fortschritt der Teilnehmer angepasst. Insgesamt 85.1% (N= 63) der Tagebuchführer haben die Zielvorgabe erfüllt und ihr Tagebuch 15 Tage lang vollständig geführt. Davon haben 45 Teilnehmer (60.8%) dafür höchstens 22 zusammenhängende Tage benötigt. Bei diesem Zeitraum war bezüglich der Tage, an denen Tagebuchangaben gemacht wurden, keine Selektion anzunehmen. Über mindestens 10 Tage (= 2/3 des geplanten Zeitraums) haben 91.9% der Teilnehmer ihre Tagebücher geführt, was auf eine sehr gute Mitarbeit bei der Untersuchung hindeutet. Tabelle 4.2:

Beschreibung der Tagebuchbefragung und deren Rücklauf

Teilnehmer der TB-Studie

Vollständig geführte TB (15 Arbeitstage)

Mind. zu 2/3 vollständig geführte TB (mind. 10 Tage)

TB, die über max. 22 Kalendertage geführt wurden*

Durchschnittl. Zeitspanne der Tagebuchführung zw. 1.-15. Tag

(min. – max.)

Anzahl (% von FragebogenStudie)

Dauer der TB-Studie im Unternehmen

Anzahl (% aller TB)

Anzahl (% aller TB)

Anzahl (% aller TB)

Untern. 1

22 (36.7%)

44 Tage

20 (90.9%)

21 (95.5%)

10 (45.5%)

Untern. 2

18 (24.3%)

43 Tage

16 (88.9%)

17 (94.4%)

14 (77.8%)

Untern. 3

19 (38.8%)

29 Tage

14 (73.7%)

17 (89.5%)

14 (73.7%)

Untern. 4

15 (29.4%)

42 Tage

13 (86.7%)

13 (86.7%)

7 (46.7%)

Gesamt

N(TB) = 74 (31.6%)

63 (85.1%)

68 (91.9%)

45 (60.8%)

24 Tage (18 – 28) 22 Tage (19 – 28) 20 Tage (18 – 22) 24 Tage (19 – 35) 22.5 Tage

TB= Tagebuch, Untern. = Unternehmen * zusammenhängend geführt über drei Wochen à sieben Tage (davon i.d.R. fünf Arbeitstage) plus max. ein zusätzl. Tag

40

Methode

Nach Abschluss der Untersuchung hat jedes teilnehmende Unternehmen eine detaillierte Auswertung der Antworten aus der Mitarbeiterbefragung sowie der während der Tagebuchstudie aufgezeichneten Beinahe-Unfälle erhalten.

4.4

Charakteristik der Stichprobe

4.4.1 Beschreibung der Fragebogen-Stichprobe An der Mitarbeiterbefragung per Fragebogen haben 16 Frauen und 212 Männer aus dem Produktionsbereich der vier metallverarbeitenden Unternehmen teilgenommen (N= 234, bei 6 Personen fehlte die Geschlechtsangabe). Zwischen den Unternehmen variierte der Anteil teilnehmender Frauen im Bereich von 2.1% bis 9.7%. Die Geschlechtsverteilung in der Zielpopulation, dem produzierenden Gewerbe in Sachsen, steht im Verhältnis 30.3% Frauen zu 69.7% Männern (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2008a). Da in der vorliegenden Studie jedoch lediglich der Produktionsbereich der Betriebe untersucht wurde, ist von einem erheblich niedrigeren Frauenanteil auszugehen (Schätzwert aus vorliegender Untersuchung: ca. 6%), da Frauen in den meisten Fällen Bürotätigkeiten im Verwaltungsbereich übernehmen. Der männliche Teil der Stichprobe repräsentiert somit einen absolut überwiegenden Anteil der Zielpopulation. Darüber hinaus kommen Arbeitsunfälle bei männlichen Produktionsarbeitern signifikant häufiger vor als bei den Produktionsarbeiterinnen (Lindqvist, Schelp & Timpka, 1999), was sie in den Vordergrund der Forschungs- und Präventionsinteressen rückt. Die männlichen Teilnehmer standen deshalb auch im Fokus dieser Untersuchung. Bezüglich des Alters war die Zusammensetzung der Stichprobe relativ ausgeglichen: 27.5% waren höchstens 30 Jahre alt, das Alter von 19.3% der Befragten lag zwischen 31 und 40 Jahren. Jeweils ca. ein Viertel der Stichprobe lag in der Altersspanne 41 bis 50 Jahre (26.1%) bzw. war älter als 50 Jahre (27.1%). Die meisten Teilnehmer hatten eine abgeschlossene Lehre/ eine Berufsausbildung (92.7%). Eine Person hatte keinen beruflichen Abschluss (0.5%), und sechs Personen befanden sich noch in beruflicher Ausbildung (2.9%). Eine Meisterschule oder Berufsakademie (o.ä.) haben 2.4% der Befragten absolviert. Einen Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss konnten 0.5% bzw. 1.0% der Studienteilnehmer vorweisen. Weisungsberechtigt gegenüber anderen Mitarbeitern waren 11.3% der Befragten. 41

Methode

In den vier beteiligten Unternehmen waren verschiedene Schichtsysteme vorzufinden. Die meisten Befragten arbeiteten in einem Drei-Schicht-System (53.6%). Das Zwei-SchichtSystem wurde von 21.0% der Teilnehmer genutzt. Über eine invariable Arbeitszeit (kein Schichtsystem) berichteten 25.4% der Mitarbeiter. Über 80% der Befragten waren vollzeitbeschäftigt (83.2%), 1.5% hatten eine Teilzeit-Einstellung oder befanden sich in einem Altersteilzeit-Arbeitsverhältnis (0.5%). Befristet angestellt waren 11.3%. Im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung arbeiteten 2.5%. Als Zeitarbeitnehmer wurden zwei Personen beschäftigt (1.0%). Im Durchschnitt arbeiteten die beteiligten Mitarbeiter seit 126.9 Monaten (SD= 139.9) in ihren Unternehmen. Drei der vier Unternehmen gehörten der Maschinenbau- und Metall-BG an, das vierte Unternehmen wurde durch die BG Elektro-Feinmechanik betreut. Die Art der objektiven Gefährdung kann in allen Unternehmen im weitesten Sinne als vergleichbar bezeichnet werden. In der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der sie bei ihrer Arbeit verletzt werden, unterschieden sich die Beschäftigten der vier teilnehmenden Unternehmen nicht signifikant voneinander (Kruskal-Wallis-Test für mehrere unabhängige Stichproben nicht signifikant). Die Zusammenfassung der Stichprobencharakteristik ist dem Abschnitt B1 im Anhang zu entnehmen.

4.4.2 Repräsentativität der Fragebogen-Stichprobe Wie bereits spezifiziert wurde, stammte die Stichprobe aus der Grundgesamtheit sächsischer Männer, die im Produktionsbereich eines verarbeitenden Unternehmens in Sachsen arbeiteten. Im Folgenden wird die Repräsentativität der Stichprobe im Bezug auf die Zielpopulation dargelegt. In Sachsen arbeiten im produzierenden Gewerbe 318 402 männliche Beschäftigte, davon 203 280 im verarbeitenden Gewerbe (Stand: 30.6.2008; Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2008a). Ihr Alter verteilt sich wie folgt: 22.5% unter 30 Jahre, 22.1% zwischen 30 und 40 Jahren, 28.9% zwischen 40 und 50 Jahren und 26.5% über 50 Jahre8 (Statistisches

Landesamt

Ausbildungsniveaus

des

verfügen

Freistaates 72.0%

von

Sachsen, ihnen

2008b).

über

eine

Bezüglich

ihres

abgeschlossene

Berufsausbildung, 4.6% über einen Fachhochschulabschluss (oder einen ähnlichen Abschluss) und 6.5% über einen Hochschulabschluss. Ca. 8.5% haben (noch) keine

8

Angaben für produzierendes Gewerbe

42

Methode

abgeschlossene Ausbildung9 (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2008a). Vergleicht man die Verteilung der Altersgruppen in der Zielpopulation mit derjenigen in der Stichprobe, lässt sich eine hohe Übereinstimmung feststellen. Der Vergleich der Ausbildungsabschlüsse zwischen beiden Gruppen zeigt jedoch, dass in der Stichprobe die Gruppe der Personen mit einem Berufsabschluss überproportional oft auf Kosten aller anderen Berufsabschlussgruppen vertreten waren (siehe Tabelle 4.3). An dieser Stelle muss jedoch nochmals explizit erwähnt werden, dass nur ein Teil eines jeden verarbeitenden

Unternehmens

im

Fokus

dieser

Untersuchung

stand:

Der

Produktionsbereich. Die Tatsache, dass die Angaben des Statistischen Landesamtes auch Personen umfassen, die im Verwaltungsbereich Aufgaben übernehmen, kann die größere abschlusstechnische Varianz in der Zielpopulation erklären. Im Bezug auf die Altersstruktur

und

den

höchsten

erreichten

Berufsabschluss

lässt

sich

somit

zusammenfassend schlussfolgern, dass die in dieser Studie untersuchte Stichprobe für ihre definierte Zielpopulation repräsentativ war. Repräsentativität der Stichprobe hinsichtlich der Altersstruktur sowie der erreichten Ausbildungsabschlüsse der Beschäftigten

Tabelle 4.3: Alter

Ausbildungsniveau Stichprobe

Population

Stichprobe

Population

Unter 30 Jahre

27.5%

22.5%

(Noch) ohne Berufsabschluss

3.4%

8.5%

31-40 Jahre

19.3%

22.1%

Abgeschlossene Berufsausbildung

92.7%

72.1%

41-50 Jahre

26.1%

28.9%

Fachhochschule, Ingenieurschule, Meisterschule etc.

2.9%

4.6%

Über 50 Jahre

27.1%

26.5%

Hochschule, Universität

1.0%

6.5%

4.4.3 Beschreibung der Tagebuch-Stichprobe Zusätzlich

zur

Mitarbeiterbefragung

mittels

Fragebogen

haben

insgesamt

74

Arbeitnehmer aus allen vier Unternehmen an der Tagebuchstudie teilgenommen. Einen kompletten Datensatz, d.h. ein über 15 Arbeitstage geführtes Tagebuch, haben 63 Tagebuchführer (86.3%) abgegeben; sie haben insgesamt N= 945 Tagebucheinträge produziert. Diese Gruppe stellte die Tagebuch-Stichprobe dar. 9

Angaben für verarbeitendes Gewerbe (für produzierendes Gewerbe vergleichbar).

43

Methode

Die Verteilung der Altersgruppen war in der Tagebuch-Stichprobe nicht so gleichmäßig vorzufinden wie in der Fragebogen-Stichprobe: 31.1% der Befragten waren höchstens 30 Jahre alt, und jeweils ca. ein Viertel der Stichprobe lag in der Altersspanne 31 bis 40 Jahre (27.9%) bzw. 41 bis 50 Jahre (26.2%). Nur ca. jeder siebte Tagebuchführer war älter als 50 Jahre (14.8%). In Tabelle 4.4 ist die Vertretung der Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen dargestellt: Tabelle 4.4:

Vertretung der Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen der Tagebuch-Stichprobe Unternehmen 1

Unternehmen 2

Unternehmen 3

Unternehmen 4

Gesamt

Unter 30 Jahre

11

2

5

1

19

31 - 40 Jahre

2

4

3

8

17

41 - 50 Jahre

5

3

6

2

16

Über 50 Jahre

2

6

0

1

9

20

15

14

12

6110

Gesamt

Alle Mitglieder der Tagebuch-Stichprobe hatten eine abgeschlossene Lehre/ eine Berufsausbildung, und fast alle befanden sich in einer Vollzeit-Festanstellung (93.4%). Befristet beschäftigt wurden 6.6%. Weisungsberechtigt gegenüber anderen Mitarbeitern waren 18.6% der Tagebuchführer. Die meisten Befragten arbeiteten in einem Drei-Schicht-System (65.5%). Das ZweiSchicht-System wurde von 14.8% der Teilnehmer genutzt. Ohne ein rotierendes Schichtsystem arbeiteten 19.7% der Tagebuchführer. Im Durchschnitt arbeiteten die Mitarbeiter der Tagebuch-Stichprobe seit 130.6 Monaten (SD= 125.4) in ihren Unternehmen. Die zusammengefasste Charakteristik der Tagebuch-Stichprobe ist in Tabelle B2 im Anhang dargestellt.

4.4.4 Selektivität der Tagebuchführer An

der

Mitarbeiterbefragung

haben

insgesamt

212

männliche

Arbeitnehmer

teilgenommen. Von ihnen haben 74 (34.9%) ebenfalls ein Arbeitstagebuch geführt. Um sicher zu stellen, dass sich die Tagebuchführer von ihren nicht-tagebuchführenden Kollegen in den wesentlichen Merkmalen nicht unterschieden, wurde eine Reihe von Vergleichsanalysen 10

vorgenommen.

Die

Angaben

Bei zwei Personen fehlte die Altersangabe.

44

zum

Alter,

Ausbildungsniveau,

Methode

Arbeitsvertrag, Schichtsystem, Vorkommen von Langeweile sowie zur Führungsverantwortung wurden mithilfe eines Chi-Quadrat-Tests zwischen beiden Gruppen verglichen. Unterschiede in allen anderen Variablen wurden mit einem T-Test für unabhängige Stichproben auf Signifikanz geprüft. Die Ergebnisse der Vergleiche zwischen den Mitarbeitern, die lediglich einen Fragebogen ausgefüllt haben (N= 138), und der Gruppe der Tagebuchführer (N= 74) können in Tabelle B3 (Anhang) nachgelesen werden. Den Ergebnissen der Selektivitätsanalysen kann entnommen werden, dass sich die beiden Gruppen lediglich hinsichtlich der Schichtsysteme unterschieden (Chi-Quadrat= 7.043, df= 2, p< .05). Die Tagebuchführer arbeiteten überproportional oft im Drei-SchichtSystem und waren damit seltener im Zwei-Schicht-System vertreten, als dies bei ihren Kollegen der Fall war, die lediglich per Fragebogen befragt wurden. In allen anderen demographischen

und

Gruppenunterschiede.

Die

arbeitsbezogenen beiden

Merkmalen

Mitarbeitergruppen

ergaben

unterschieden

sich

keine

sich

weder

hinsichtlich ihrer wahrgenommenen Belastung bzw. Fehlbeanspruchung noch hinsichtlich der Fehlbeanspruchungsfolgen. Auch die Kriterien der Arbeitssicherheit fielen in beiden Gruppen statistisch gleich aus. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die Tagebuchführer für diejenige Population repräsentativ waren, die in den teilnehmenden Unternehmen beschäftigt wurde, und dass in dieser Gruppe keine Selektionseffekte vorlagen.

45

Methode

4.5

Erhebungsinstrumente

In der Mitarbeiterbefragung per Fragebogen wurden die typischen, habituellen Arbeitsbedingungen, Belastungen und Fehlbeanspruchungen erfasst. Bezüglich ihrer negativen Folgen – in der Forschungsliteratur in kurzfristige und langfristige aufgeteilt (vgl. Abschnitt 2.2.2) – versuchte die aktuelle Fragebogenstudie jedoch, die Kurzzeit-Folgen ebenfalls in ihrer mittelfristigen Form zu erfassen (Zeitspanne von mehreren Wochen – vgl. Dunckel, Zapf & Udris, 1991). Es interessierten kumulierte Reaktionen auf Fehlbeanspruchungen, die aufgrund von offenbar noch andauernder Belastung nicht effektiv bewältigt wurden, jedoch von Langzeitfolgen in ihrer Qualität kategorisch zu unterscheiden sind. Mit Bedacht und Absicht wurden psychologische Skalen ausgewählt, die Pendants zu kurzfristigen Fehlbeanspruchungsfolgen messen, die jedoch nicht zu den langfristigen Folgen zählen und sich nur auf einen Zeitraum von maximal zwei Monaten beziehen. Auf diese Weise wurde eine Parallelität mit den in der Tagebuchstudie erhobenen Daten zu kurzfristigen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung ermöglicht. Die täglichen Aufzeichnungen, auf denen die Tagebuchstudie basierte, bieten einen Einblick in die aktuelle Arbeitssituation: Sie erfassten psychische Belastung und Fehlbeanspruchung, wie sie von den Arbeitnehmern täglich/ einmalig erlebt wurden. Mit diesem Instrument wurden die Folgen der Fehlbeanspruchung in ihrer kurzfristigen Form erfasst. Abbildung 4.5 bietet eine Übersicht der in dieser Arbeit untersuchten Bereiche. Vordergründig werden die mit dem Fragebogen abgedeckten Bereiche dargestellt. Die Themen,

die

ebenfalls

in

den

Tagebüchern

gekennzeichnet.

46

erfragt

wurden,

sind

besonders

Methode

Abbildung 4.5:

Übersicht der mit Fragebogen bzw. Tagebuch erfassten Belastungen, Formen der Fehlbeanspruchung sowie deren mittelfristige Folgen (in Anlehnung an Zapf, 1999; Richter & Hacker, 1998)

+TB = die ebenfalls mit dem Tagebuch erfassten Merkmale +TB Kurzzeit = die im Tagebuch erfassten täglichen Kurzzeitfolgen psychischer Fehlbeanspruchung Üb.= Überforderung Unt.= Unterforderung TB = Tagebuch

47

Methode

4.5.1 Fragebogenstudie Im Folgenden werden die Inhalte des eingesetzten Fragebogens vorgestellt (zur Einsicht im Anhang, Abschnitt A1). In den Absätzen 4.5.1.1 – 4.5.1.3 werden die unabhängigen Variablen (Prädiktoren) aufgeführt. Im Abschnitt 4.5.1.4 folgt die Darstellung der abhängigen Variablen (Kriterien). Zur Erfassung der untersuchten Merkmale wurden, wo möglich,

standardisierte

psychologische

Skalen

ausgewählt,

denen

eine

hohe

Messstabilität attestiert wurde (vgl. bspw. Richter, Nebel & Wolf, 2006). Die Beschreibung der verwendeten Instrumente beinhaltet jeweils ein Itembeispiel sowie die Angabe zur Skalenreliabilität in der aktuellen Studie. Die Übersicht der eingesetzten Skalen kann im Anhang (Abschnitt A2) eingesehen werden. Ihre Mittelwerte aus der FragebogenStichprobe befinden sich im Abschnitt B1 (Anhang). Neben inhaltlichen, hypothesen-orientierten Items wurden im Fragebogen ebenfalls soziodemographische Angaben zu Alter, Geschlecht und Ausbildungsniveau erfragt. Darüber hinaus haben die Befragten einige Informationen zu ihrem Arbeitsvertrag, Arbeitsschichtsystem sowie zu ihrer Führungsverantwortung und der Dauer ihrer Unternehmenszugehörigkeit mitgeteilt.

4.5.1.1

Habituelle Belastungsfaktoren bei der Arbeit

Bei der Auskunft über vorhandene Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz handelt es sich – genauso wie bei der Fehlbeanspruchung – um eine individuelle Wahrnehmung der Arbeitsrealität. Um zwischen dem Vorhandensein der Faktoren (Belastung) und ihrer Auswirkung auf die Arbeitnehmer (Beanspruchung) zu trennen, wurde die Belastung am Arbeitsplatz überwiegend durch die reine Anzahl belastender Faktoren operationalisiert.

Materielle und körperliche Belastungsfaktoren Die einzelnen Belastungsmerkmale der direkten Arbeitsumgebung wurden mithilfe einer Liste von Einzelitems erfasst, die zum Teil aus dem SALSA- (Rimann & Udris, 1997) und zum Teil aus dem ISTA-Verfahren (Semmer, 1984) stammen (siehe Tabelle 4.6). Sie wurden miteinander kombiniert, um eine möglichst erschöpfende Liste der materiellen und körperlichen Belastungen zu erhalten. Um die individuelle Beanspruchung durch diese Faktoren zu erfahren, wurde das ursprüngliche, neutral formulierte Antwortformat für diese Indexfragen verändert in: „0- nein, kommt nicht vor“ – „1- ja, aber belastet mich

48

Methode

gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“.11 Zur Bestimmung der Anzahl von arbeitsplatzbezogenen Belastungsfaktoren (in diesem Abschnitt relevant) wurden die Antworten dichotom kodiert (Belastung vorhanden 1- ja/ 0- nein Æ je höher die Summe, desto belastender die materiellen

und

körperlichwirksamen

Arbeitsbedingungen).

Die

restlichen

Antwortkategorien wurden zur Bestimmung des Maßes für die wahrgenommene Fehlbeanspruchung durch materielle und körperlich belastende Arbeitsbedingungen verwendet (siehe Abschnitt 4.5.1.2). Tabelle 4.6:

Übersicht der materiellen und körperlichen Belastungsfaktoren

SALSA (Rimann & Udris, 1997)

ISTA (Semmer, 1984)

Lärm

Schmutz

Ungünstige Beleuchtung

Staub/ Ruß

Unangenehme Temperatur

Giftige Stoffe

Lange am Bildschirm arbeiten

Unangenehme Gerüche

Klimaanlage (Zugluft, Geräusche etc.)

Erschütterungen/ Vibrationen

Arbeitshaltung (auch viel Sitzen, Stehen etc.)

Feuchtigkeit/ Nässe Berührung heißer oder kalter Gegenstände Witterungseinflüsse

Zeitliche Belastung Die Belastung durch ungünstige Arbeitszeiten wurde mit dem Einzelitem Schichtarbeit/ ungünstige Arbeitszeiten aus dem SALSA-Fragebogen (Rimann et al., 1997) erfasst. Die Antwortkategorien lauteten: „0- nein, kommt nicht vor“ – „1- ja, aber belastet mich gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“. Zur Erfassung der Existenz zeitlicher Belastung bei der Arbeit wurde die Antwort dichotom kodiert (Belastung vorhanden 1- ja/ 0- nein).

Kognitive Belastung durch die Arbeitsaufgabe Belastungsfaktoren, die der Arbeitaufgabe inne liegen, sind insbesondere monotone Arbeit und hohe Anforderungen an die Konzentration. Entsprechende Einzelitems entstammten dem ISTA-Verfahren (Semmer, 1984). Zu ihrer Beantwortung wurden folgende Antwortkategorien herangezogen: „0- nein, kommt nicht vor“ – „1- ja, aber belastet mich gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“. Zur Bestimmung der wahrgenommenen Belastung 11

Die Antwortkategorien entsprechen der Formulierung im Fragebogen zur Messung beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (2003).

49

Methode

durch die Arbeitsaufgabe wurde aus den beiden Items eine Summenvariable gebildet (Belastung vorhanden 1- ja/ 0- nein Æ je höher die Summe, umso belastender die Arbeitsaufgabe).

Kognitive Belastung durch Arbeitsorganisation Aus dem SALSA-Index psychischer Belastungsfaktoren wurden ebenfalls folgende Merkmale

(Einzelitems)

ungünstiger

Arbeitsorganisation

übernommen:

Zeitdruck,

Wartezeiten und mangelhafte technische Geräte oder Arbeitsmittel (SALSA, Rimann et al., 1997). Ergänzt wurde diese Liste um das eigene Item Arbeitsunterbrechungen. Folgende Antwortkategorien waren möglich: „0- nein, kommt nicht vor“ – „1- ja, aber belastet mich gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“. Die Bestimmung der wahrgenommenen Belastung durch die Arbeitsorganisation erfolgte anhand der vier Einzelitems in Form einer Summenbildung (Belastung vorhanden 1- ja/ 0- nein Æ je höher die Summe, desto belastender die Arbeitsorganisation). Ein

weiteres

Merkmal

ungünstiger

Arbeitsorganisation

ist

mangelnder

Tätigkeitsspielraum, der in dieser Untersuchung mit der gleichnamigen Drei-Item-Skala aus dem SALSA-Instrument eruiert wurde (Rimann et al., 1997). Die Antworten, die auf der fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- trifft überhaupt nicht zu“ bis „5- trifft völlig zu“ lagen, wurden negativ umgepolt (Itembeispiel: „Man kann sich seine Arbeit selbständig einteilen.“). Die Reliabilität dieser Skala war noch zufriedenstellend (Cronbachs Alpha= .67).

4.5.1.2

Habituell wahrgenommene Fehlbeanspruchungen bei der Arbeit

Im Gegensatz zu bisher vorgestellten Belastungsfaktoren wurde Fehlbeanspruchung durch

individuelle

Bewertungen

erfasst,

die

bereits

einen

Bezug

zwischen

Arbeitsbedingungen und den eigenen Ressourcen herstellen. Es wird zwischen Überforderung und Unterforderung unterschieden. Darüber hinaus wird in dieser Kategorie ebenfalls die soziale Belastung aufgeführt, die per se eine persönliche Passungskomponente beinhaltet.

50

Methode

Überforderung Mithilfe der Einzelitems, die das Vorhandensein einzelner Belastungsfaktoren erfassten, wurden Maße für die individuelle Fehlbeanspruchung durch die materiellen und körperlichen Belastungsfaktoren (14 Items), durch hohe Aufmerksamkeitsforderung (ein Item), durch die Arbeitsorganisation (vier Items) und zuletzt durch ungünstige Arbeitszeiten (ein Item) gewonnen. Die Antworten „1- ja, aber belastet mich gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“ stellten bei den Ein-Item-Bereichen das Maß der Fehlbeanspruchung dar. Für Gruppen von mehreren Items wurden die Antworten aufsummiert und gemittelt. Die quantitative Überforderung durch hohes Arbeitsaufkommen wurde mit der Skala ‚Arbeitsüberlastung’ aus dem TICS-Inventar (Schulz, Schlotz & Becker, 2004) erhoben (Itembeispiele: „Ich habe zu viele Aufgaben zu erledigen.“, „Zeiten, in denen ich unter Termindruck/ Zeitdruck arbeiten muss.“). Die Fragen bezogen sich auf einen Zeitraum von zwei Monaten. Die Skala umfasste acht Items, und die Antworten lagen auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- nie“ bis „5- sehr häufig“. Die interne Konsistenz dieser Skala war in der aktuellen Studie sehr gut (Cronbachs Alpha= .89). Qualitative Überforderung wurde mithilfe der Skala ‚Überforderung bei der Arbeit’ aus dem TICS-Inventar (Schulz et al., 2004) erhoben. Die Fragen bezogen sich auf den Zeitraum von zwei Monaten. Die Skala umfasst sechs Items und die Antworten lagen auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- nie“ bis „5- sehr häufig“ (Itembeispiel: „Ich kann meine Aufgaben nur unzureichend erfüllen, obwohl ich mein Bestes gebe.“). Die Skala wies in der vorliegenden Studie eine sehr gute Reliabilität auf (Cronbachs Alpha= .81).

Unterforderung Die wahrgenommene qualitative Unterforderung wurde mit dem Item erfasst „Ich muss Arbeiten machen, bei denen meine Fähigkeiten kaum zum Einsatz kommen.“, das auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- nie“ bis „5- sehr häufig“ beantwortet werden konnte. Dieses Item ist Bestandteil der Skala ‚Unzufriedenheit mit der Aufgabe’ aus dem TICS-Inventar (siehe Abschnitt 4.5.1.3). Das Ausmaß der Fehlbeanspruchung durch monotone Arbeit wurde den Antworten entnommen, die zum Einzelitem ‚Monotone Arbeit’ abgegeben wurden (Antwortformat: „1ja, aber belastet mich gar nicht“ bis „4- ja und belastet mich sehr stark“).

51

Methode

Soziale Belastung Die sozialen Belastungsfaktoren wurden mit zwei Skalen aus dem SALSA-Instrument (Rimann et al., 1997) erhoben: Skala Belastendes Vorgesetztenverhalten (Itembeispiel: „Der/ Die Vorgesetzte behandelt mich unfair.“) und die Skala Belastendes Sozialklima (Beispielitem: „Es gibt häufig Spannungen am Arbeitsplatz.“). Beide Skalen bestanden aus drei Items, die auf einer fünfstufigen Skala mit den Polen „1- trifft überhaupt nicht zu“ bis „5- trifft völlig zu“ beantwortet werden konnten. Die Reliabilität der Skala ‚Belastendes Sozialklima’ war mit Cronbachs Alpha= .56 noch akzeptabel, während die interne Konsistenz der Skala ‚Belastendes Vorgesetztenverhalten’ als sehr gut zu bezeichnen war (Cronbachs Alpha= .80).

4.5.1.3

Mittelfristige

Folgen

der

habituell

wahrgenommenen

psychischen

Fehlbeanspruchung Die Hypothesen der vorliegenden Studie nahmen an, dass sowohl Überforderung als auch Unterforderung das Zustandekommen eines sicherheitsrelevanten Ereignisses (Arbeitsunfall,

Verletzung,

Beinahe-Unfall)

begünstigen

können.

In

der

Operationalisierung der psychischen Konsequenzen orientierte sich die Autorin inhaltlich an den Kurzzeit-Folgen einer Fehlbeanspruchung (Richter et al., 1998), die hier jedoch in ihrer habituellen (mittelfristigen) Ausprägung interessierten (Zeitspanne von mehreren Wochen – vgl. Dunckel et al., 1991). So wurden als mittelfristige Folgen einer habituellen (qualitativen oder quantitativen) Überforderung folgende Merkmale erhoben: Übermüdung ohne Langeweile, Erschöpfung und, als Merkmale einer Stressbelastung, Gespanntheit/ Nervosität sowie die Sorge um Erfüllbarkeit der Aufgabe. Eine Unterforderung manifestiert sich wiederum in Langeweile, Übermüdung (mit Langeweile), Interesselosigkeit und Unzufriedenheit mit der (unterfordernden) Aufgabe (Richter et al., 1998).

Folgen habitueller Überforderung Zur Erfassung mittelfristiger Fehlbeanspruchungsfolgen bei Überforderung wurden zunächst drei Skalen (jeweils vier Items) aus dem EBF-Instrument verwendet (Basismodul; Kallus, 1995). Diese Skalen bilden Konstrukte ab, die im Gegensatz zum aktuellen Befinden stabil gegenüber kurzfristigen Schwankungen sind, was im Einklang mit der Zielsetzung der Fragebogenkonstruktion stand. Es handelte sich um die Skala Übermüdung (Itembeispiel: „In den letzten vier Wochen hat mich die Arbeit stark übermüdet.“). Die möglichen Antworten lagen auf einer siebenstufigen Likert-Skala

52

Methode

zwischen den Polen „0- nie“ und „6- immerzu“. Die Reliabilität der Skala war in der vorliegenden Studie zufriedenstellend (Cronbachs Alpha= .65). Übermüdung, die in Überforderung ihre Quelle hat, wurde lediglich bei Befragten ermittelt, bei denen gleichzeitig keine Langeweile vorlag (Erfassung siehe Abschnitt ‚Folgen habitueller Unterforderung’). Des Weiteren wurde zur Erfassung des mittelfristigen Erschöpfungsgrades die Skala ‚Körperliche Erholung’ (EBF; Kallus, 1995) ausgewählt, die für die Verwendung in dieser Studie umgepolt wurde (Itembeispiel: „In den letzten vier Wochen fühlte ich mich leistungsfähig.“). Als Antwortformat wurde eine siebenstufige Likert-Skala zwischen den Polen „0- nie“ und „6- immerzu“ verwendet. Die Skala wies eine gute interne Konsistenz auf (Cronbachs Alpha= .72). Nervosität/ Anspannung wurde mithilfe der Skala ‚Emotionale Belastung’ aus dem EBFInventar erfasst (Kallus, 1995) (Itembeispiel: „In den letzten vier Wochen war ich gereizt.“). Die vier Items konnten auf einer siebenstufige Likert-Skala mit den Polen „0nie“ und „6- immerzu“ beantwortet werden. Die Reliabilität der Skala war zufriedenstellend (Cronbachs Alpha= .63). Die Sorge um Erfüllbarkeit der Aufgabe wurde mit dem Item „(In den letzten zwei Monaten hatte ich die) Befürchtung, meine Aufgaben nicht erfüllen zu können“ erhoben. Dieses entstammt der Skala ‚Überforderung bei der Arbeit’ aus dem TICS-Inventar (Schulz et al., 2004) (siehe Kapitel 4.5.1.2). Die möglichen Antworten lagen auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- nie“ – „5- sehr häufig“.

Folgen habitueller Unterforderung Langeweile als Kernmerkmal erlebter Unterforderung wurde mit einem Einzelitem erfasst (Antwortmöglichkeiten: „0- nein, kommt nicht vor“ – „1- ja, aber belastet mich gar nicht“ – „2- ja und belastet mich mäßig“ – „3- ja und belastet mich stark“ – „4- ja und belastet mich sehr stark“). Aufgrund der geringen Anzahl der Betroffenen (N= 27) wurde dieses Item für die Analysen lediglich dichotom kodiert (1- Langeweile kommt vor, 0- Langeweile kommt nicht vor). Als eine weitere typische Folge einer Unterforderung wurde das Merkmal Übermüdung mit Langeweile erhoben. Jedoch wurden Angaben zur Übermüdung (siehe vorheriger

53

Methode

Abschnitt) nur bei Personen berücksichtigt, die die Frage nach Langeweile bei der Arbeit positiv beantwortet hatten. Wie einige Untersuchungen gezeigt haben (bspw. Richter et al., 1998), ergibt sich zwischen Monotonie und psychischer Sättigung eine hohe emotionale Überlappung. Die Skala ‚Unzufriedenheit mit der Aufgabe’ aus dem TICS-Inventar (Schulz et al., 2004), die inhaltlich neben der Unzufriedenheit auch die Interesselosigkeit wiedergibt, erfasste somit die psychische Folge einer qualitativen Unterforderung, die sowohl Monotonie als auch Sättigung beinhaltet. Die acht Items (Itembeispiele: „Ich muss Arbeiten machen, bei denen meine Fähigkeiten kaum zum Einsatz kommen.“, „Mir fehlen interessante Aufgaben, die meinen Tag ausfüllen.“) konnten auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit den Polen „1- nie“ und „5- sehr häufig“ beantwortet werden. Die interne Konsistenz der Skala war sehr gut (Cronbachs Alpha= .87).

4.5.1.4

Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit

Als Kriterien der habituellen Arbeitssicherheit von Arbeitnehmern wurde eine Reihe von Variablen herangezogen. Es handelte sich zum einen um Häufigkeiten von Ereignissen, die eine tatsächliche oder potenzielle Gefährdung für den Menschen darstellen. Sie unterscheiden sich in konkreten Folgen bzw. im Ausmaß des körperlichen Schadens. Zum anderen wurde sicheres Verhalten der Studienteilnehmer als Korrelat von Arbeitsunfällen erfasst (Oliver et al., 2002). Der Einfachheit halber wird für Arbeitsunfälle, Verletzungen und Beinahe-Unfälle im Text die Bezeichnung ‚Sicherheitsrelevante Ereignisse’ verwendet.

Meldepflichtige Arbeitsunfälle in den letzten sechs Monaten Arbeitsunfälle, die eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen nach sich ziehen und deshalb für Unternehmen meldepflichtig sind, stellen sowohl auf individueller als auch auf Betriebsebene relativ seltene Ereignisse dar. Daher wurde angenommen, dass ein retrospektiver Abruf eines meldepflichtigen Arbeitsunfalls den Studienteilnehmern nicht schwer fallen dürfte. Als Zeitrahmen wurden die letzten sechs Monate gewählt, was eine bessere Erinnerungsleistung versprach als beispielsweise ein Zeitraum von einem Jahr (Andersen & Mikkelsen, 2008).

54

Methode

Verletzungen in den letzten sechs Monaten Da auch Verletzungen, die keine bzw. höchstens dreitägige Arbeitsunfähigkeit verursachen, im Arbeitsleben eines Menschen relativ selten vorkommen, wurde auch bei der Erfragung der Häufigkeit einer Verletzung ein Zeitraum von sechs Monaten gewählt.

Beinahe-Unfälle in den letzten vier Wochen Wie im Kapitel 2.1.2 ausführlich beschrieben, gelten Beinahe-Unfälle als Vorläufer meldepflichtiger Unfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz. Für die retrospektive Erfassung der tatsächlichen Beinahe-Unfall-Häufigkeit wurde ein kürzerer Zeitraum – vier Wochen – gewählt. Bei kritischen, sicherheitsrelevanten Situationen ohne Schaden handelt es sich um Vorkommnisse, die schnell vergessen und von anderen arbeitsbezogenen Ereignissen überlagert werden. In der Instruktion wurden die Studienteilnehmer gebeten, sich bei der Aufzählung der Beinahe-Unfälle lediglich auf den Arbeitsplatz zu beschränken (d.h. kritische Situationen auf dem Weg von und zur Arbeit nicht mitzuzählen). Die Korrelation zwischen der (dichotom kodierten) Erfahrung von Beinahe-Unfällen und meldepflichtigen Arbeitsunfällen betrug in der vorliegenden Studie r= .297 (der Betrag war auf dem Signifikanzniveau= .01 signifikant).

Typische wöchentliche Beinahe-Unfall-Häufigkeit Im Gegensatz zur Frage nach dem tatsächlichen Beinahe-Unfall-Vorkommen in den letzten vier Wochen ging es bei der Beinahe-Unfall-Häufigkeit in der typischen Arbeitswoche darum, den persönlichen Eindruck der Häufigkeit einer kritischen Arbeitssituation

zu

erfassen.

Es

wurde

angenommen,

dass

mögliche

Erinnerungsprobleme bei dieser Frage eine untergeordnete Rolle spielen dürften. Die Antwortmöglichkeiten waren: „1- nie“ – „2- ca. einmal pro Woche“ – „3- zwei- bis viermal pro Woche“ – „4- ca. einmal täglich“ – „5- öfter als einmal täglich“. Die typisch wahrgenommene Häufigkeit von Beinahe-Unfällen korrelierte mittelhoch mit der tatsächlichen (dichotom kodierten) Erfahrung von Beinahe-Unfällen in den letzten vier Wochen (r= .472; der Betrag war auf dem Signifikanzniveau= .01 signifikant).

Sicheres Verhalten am Arbeitsplatz Zur Erfassung des sicheren Verhaltens wurden eigens sechs Aussagen formuliert, die sechs wichtige Ansätze zur Prävention von Arbeitsunfällen widerspiegeln. Die Auswahl der Arbeitsschutzregeln (deren Einhaltung der Ausdruck vom - präventiv geprägten -

55

Methode

sicheren Verhalten ist) basierte vorwiegend auf den Unfallschwerpunkten, die in der Metallindustrie ermittelt wurden und deren Statistik der Autorin vorlag (Referat „Statistik – Arbeitsunfälle, Prävention“, DGUV, 2007). Aus dieser Statistik geht hervor, dass die Verwendung defekter bzw. nicht voll funktionsfähiger Arbeitsgeräte, der Verzicht auf persönliche

Schutzausrüstung

sowie

unvorsichtige,

schnelle

Fortbewegung

am

Arbeitsplatz die meisten Unfälle (mit-)verursachen (entsprechend wurden vier Regeln formuliert). Wie einem Bericht des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitsschutz (BGIA, 2006) zu entnehmen ist, stellt die Manipulation von Sicherheitseinrichtungen ebenfalls

eine

ernstzunehmende

Unfallursache

dar.

Die

hierzu

formulierte

Arbeitsschutzregel fand ihre Begründung auch in den gesetzlich geregelten Pflichten der Beschäftigten (§ 15 Abs. 2 des ArSchG). Darüber hinaus werden die Arbeitnehmer per Gesetz dazu angehalten, „…jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden…“ (§16 Abs. 1 ArSchG; entsprechend wurde eine Arbeitsschutzregel formuliert). Der Originalwortlaut der sechs Regelitems kann dem Abschnitt A3 im Anhang entnommen werden. Die Antwortkategorien lagen zwischen den Polen „1- nie“ und „5- immer“. Die Auswertung erfolgte in der Form einer normativen Summenbildung. Die einzelnen Antworten wurden in 0/1 umkodiert, indem ein Punkt nur bei der Antwort „5- immer“ vergeben wurde (die negativ formulierten Items 3 und 5 wurden umgepolt). Die Summe (Maximum: 6 Punkte) stellt somit einen Index des optimalen sicheren Verhaltens dar.

4.5.2 Tagebuchstudie Ziel der Tagebuchstudie war es, Informationen zu täglich wahrgenommenen psychischen Fehlbeanspruchungen und deren Folgen zur erhalten. Diese zeitliche Ebene der untersuchten Merkmale wird bei habituell gestellten Fragen eines Fragebogens nur unzureichend

berücksichtigt.

Die

tägliche

Erfassung

von

sicherheitsrelevanten

Ereignissen hatte ebenfalls zum Ziel, genauere, d.h. durch Gedächtniseffekte nicht verzerrte Angaben zur Häufigkeit ihres Vorkommens (insbesondere der Beinahe-Unfälle) zu erhalten. Jeder Tagebuchführer erhielt zum Untersuchungsbeginn eine Mappe mit 15 Tagebuchblättern. Sie waren mit der persönlichen Kennzahl des Tagebuchführers versehen, um bei voller Anonymität die Zuordnung der Tagebuchangaben zu den Informationen aus dem Fragebogen zu ermöglichen. Darüber hinaus enthielt die Mappe einige leere Umschläge,

56

Methode

in denen die Einträge einer Woche in die auf dem Betriebsgelände bereitgestellten Urnen geworfen werden sollten. Die Fragen im Tagebuch entsprachen inhaltlich den Konstrukten, die im Fragebogen erfasst wurden. Bei der Erfassung erlebter Fehlbeanspruchung wurden diejenigen Bereiche ausgewählt, bei denen eine tägliche Variation anzunehmen war. Da beispielsweise die materiellen Arbeitsplatzbedingungen in der Regel stabil sind, konnte auf ihre tägliche Erfassung verzichtet werden. Bei Befragungsmodi der Art, die die Zusammenarbeit und Disziplin der Teilnehmer in hohem Maß voraussetzen, musste ein Kompromiss zwischen wissenschaftlichen Methodenansprüchen und praktischen Durchführbarkeitsgrenzen gefunden werden. Aus Gründen der Realisierbarkeit wurde deshalb die Verwendung von Ein-Item-Fragen den evtl. vorhandenen psychologischen Skalen vorgezogen. Im Folgenden werden die Inhalte eines Tagebuchblattes näher vorgestellt. Der genaue Wortlaut der Tagebuchfragen samt Antwortkategorien ist dem Abschnitt A4 im Anhang zu entnehmen.

Psychische Fehlbeanspruchungen Es

wurde

jeweils

eine

Frage

nach

dem

wahrgenommenen

Zeitdruck,

dem Arbeitsaufkommen und nach der Häufigkeit von Arbeitsunterbrechungen an diesem konkreten Tag gestellt. Die Antworten lagen auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit jeweils gleichartiger Verbalisierung: Zeitvorgabe „1- sehr locker“ bis „5- sehr eng“; Arbeitsaufkommen „1- sehr wenig“ bis „5- sehr viel“, Arbeitsunterbrechungen „1- sehr selten“ bis „5- sehr oft“. Die Wahrnehmung qualitativer Fehlanforderung (umfasst sowohl Unter- als auch Überforderung) wurde mit der Aussage „Für die heutige Aufgabe hatte ich genau die richtigen Kenntnisse und Erfahrungen“ operationalisiert. Die Antworten auf der fünfstufigen Likert-Skala „1- trifft gar nicht zu“ bis „5- trifft voll zu“ wurden für Auswertungszwecke umgepolt. Aktuelle soziale Belastungen am Arbeitsplatz wurde mit der Frage nach einem belastenden

Konflikt

erfasst,

die

sowohl

das

Sozialklima

als

Vorgesetztenverhalten abdeckte (Antwortmöglichkeiten: „1- ja“, „0- nein“).

57

auch

das

Methode

Folgen psychischer Fehlbeanspruchung Um die kurzfristigen Folgen der täglichen/ einmaligen Fehlbeanspruchung zu erfahren, wurden die Teilnehmer täglich nach ihrer Nervosität, dem Erschöpfungszustand sowie Konzentrationsproblemen gefragt (Æ Überforderungsfolge). Sie sollten ebenfalls einschätzen,

wie

langweilig

sie

die

Arbeit

am

jeweiligen

Tag

empfanden

(Æ Unterforderungsfolge). Die Formulierung der Fragen orientierte sich zum Großteil an Items der Skalen ‚Monotonie’, ‚Ermüdung’ und ‚Stress’ aus dem BMS-Fragebogen zur Erfassung von akuten Fehlbeanspruchungsfolgen von Plath und Richter (1984). Alle Fragen konnten mit einem einheitlichen Antwortformat beantwortet werden: „1- trifft gar nicht zu“ bis „5- trifft voll zu“ (die im Tagebuch positiv formulierten Aussagen wurden für die Auswertungszwecke umgepolt). Zur Darstellung der individuellen Ausprägung der Fehlbeanspruchung und deren Folgen wurde für jede Person und für jedes Merkmal eine Summenvariable gebildet. Diese auf der Personebene aggregierten Angaben liegen im Wertebereich zwischen 15 (d.h. an allen 15 Tagen wurde beim Merkmal X eine ‚1’ vergeben = sehr niedrige Beanspruchung) und 75 (d.h. an allen 15 Tagen wurde beim Merkmal X eine ‚5’ vergeben = sehr hohe Beanspruchung)12. Derart aggregierte Werte weisen eine größere Varianz auf als beispielsweise die Durchschnittswerte, und werden der Individualität der Teilnehmer gerechter.

Jeder

Tagebuchführer

wurde

somit

durch

fünf

aggregierte

Fehlbeanspruchungsmaße und vier aggregierte Maße der Fehlbeanspruchungsfolgen charakterisiert.

Kriterien der täglichen Arbeitssicherheit Die Tagebuchführer wurden jeden Tag danach gefragt, ob sie einen Arbeitsunfall, eine Verletzung oder einen Beinahe-Unfall erlitten haben (Antwortmöglichkeit: „1- ja“, 0- nein“). Bei mindestens einer positiven Antwort sollten detaillierte Angaben zur Uhrzeit des Geschehens sowie ggf. zur Anzahl der Vorfälle erfolgen. Darüber hinaus wurden die Tagebuchführer aufgefordert, den genauen Ort anzugeben und das Ereignis kurz zu schildern. Letztere Informationen dienten vor allem dem Interesse der partizipierenden Unternehmen und werden in dieser Arbeit nicht näher berücksichtigt. Weitere Angaben, die in den täglichen Einträgen erfasst wurden, waren die Arbeitszeit sowie das Datum (um die Arbeitsschicht sowie die Reihenfolge der Tagebucheinträge zu bestimmen). 12

Für das Merkmal ‚Soziale Konflikte’ lag der Wertebereich, aufgrund der dichotomen Antwortkategorie ja=1/ nein= 0, zwischen 0 und 15.

58

Methode

4.5.3 Bewertung der Tagebuchmethode in ihrem Praxiseinsatz Das Ziel dieser Pilotuntersuchung war die antizipatorische Evaluation, bei der die Tagebuchmethode

im

industriellen

Setting

getestet

und

die

Konzeption

eines

unfallpräventiven Tagebucheinsatzes überprüft wurde (Mittag & Hager, 2000). Die Einschränkungen, die empirische Arbeit in der wirtschaftlichen Praxis mit sich bringt, haben jedoch lediglich eine subjektive Effektivitätseinschätzung der Tagebuchführer ermöglicht. Nach dem letzten Eintrag ins Tagebuch wurden die Tagebuchführer durch ein gesondertes Blatt in der Tagebuchmappe aufgefordert, ihre Einschätzungen hinsichtlich der Tagebuchführung und ihrer Wirksamkeit abzugeben. Der Bewertungsbogen, dessen Inhalte in den folgenden Absätzen erläutert werden, wurde von den Teilnehmern zusammen mit den letzen Tagebucheinträgen in die Urne geworfen. Im Sinne antizipatorischer Evaluation interessierte zunächst die Akzeptanz. Erfragt wurde sie durch zwei Fragen zur allgemeinen Einstellung zur Studie und zur wahrgenommenen Bedeutung der Tagebuchführung für die betriebliche Unfallprävention. Ob eine Methode in der Praxis anwendbar ist, spiegelt sich in der Aufwandseinschätzung der Teilnehmer und ihrer Bereitschaft zur Wiederholung der Befragung (zwei Items) wider. Im Sinne der Ausführungen im Kapitel 3.2 zur Veränderung des sicherheitsrelevanten Verhaltens interessierte in der Pilotstudie die - durch die Tagebuchführung induzierte Veränderung im Wissen über Gefahren und in der Gefahrenwahrnehmung. Ebenfalls wurden

die

veränderte

Einsicht

in

die

Notwendigkeit

der

Einhaltung

von

Arbeitsschutzregeln (~ Einstellung zum Arbeitsschutz) und die - möglicherweise veränderte - sicherheitsbezogene Verhaltensabsicht erfragt (vier Items). Alle in diesem Teil der Studie gestellten Fragen wurden von der Autorin formuliert und mit einem einheitlichen Antwortformat „1- trifft gar nicht zu“ bis „5- trifft voll zu“ versehen. Der komplette Pilot-Fragebogen kann im Anhang (Abschnitt A5) eingesehen werden.

59

Methode

4.6

Strategien der Datenauswertung

In diesem Kapitel werden die verwendeten Analyseverfahren erläutert. Sämtliche Datenauswertungen wurden mithilfe des Statistikprogramms SPSS Version 11.5 durchgeführt.

4.6.1 Analyse der Fragebogendaten (N= 212) Zur

Überprüfung

der

Zusammenhangshypothesen

wurde

bei

(mindestens)

intervallskalierten Daten der Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient berechnet. Bei einem dichotomen und einem intervallskalierten Merkmal wird die Berechnung des punktbiserialen Korrelationskoeffizienten empfohlen (Bortz, 2005). Da dieser Koeffizient mit der SPSS-Software nicht berechnet werden kann, ist sein Ersatz durch den Spearmanschen

Rangkorrelationskoeffizienten

zulässig.

In

die

darauffolgenden

Regressionsanalysen wurden nur diejenigen Prädiktoren einbezogen, die eine signifikante Beziehung zu der jeweils untersuchten Kriterienvariablen aufweisen (vgl. Lilley et al., 2002). Der Einfluss mehrerer intervallskalierter Prädiktoren auf die intervallskalierten Kriterien der Arbeitssicherheit (sicheres Verhalten, Typische Häufigkeit von Beinahe-Unfällen) wurde in multiplen Regressionsanalysen untersucht. Mit dem schrittweisen Verfahren wurde die Kombination

von

Prädiktoren

gesucht,

die

den

größten

Varianzanteil

der

Kriterienvariablen erklärt. Sowohl das überprüfte Modell als auch der Einfluss der einzelnen

Prädiktoren

Voraussetzungen

einer

wurden

dem

Signifikanztest

Regressionsrechnung

soll

unterzogen. gelten,

dass

Bezüglich die

der

Residuen

normalverteilt und voneinander unabhängig sind (d.h. keine Autokorrelation). Darüber hinaus sollten sie über eine konstante Varianz (d.h. Homoskedastizität) und einen Erwartungswert gleich Null verfügen (Backhaus, Erichson, Plinke & Weiber, 2006).13 Im Gegensatz zu allen anderen Prädiktoren wurde die Variable ‚Langeweile’ dichotom kodiert, der statistische Zusammenhang mit intervallskalierten Prädiktoren wurde deshalb mithilfe des T-Tests für unabhängige Stichproben überprüft.

13

Im Falle einer uneindeutigen Erfüllung der Testvoraussetzungen wird ein konservatives Analysevorgehen empfohlen, d.h. bei den Hauptanalysen eine Irrtumswahrscheinlichkeit von lediglich p= .01 zu akzeptieren. Die Ergebnisse dieser Tests sind unter Vorbehalt zu interpretieren. Gleichwohl gilt nach Backhaus et al. (2006), dass die Regressionsanalyse recht unempfindlich ist gegenüber kleineren Verletzungen der Testannahmen und deshalb vielseitig und äußerst flexibel angewendet werden kann.

60

Methode

Da es sich bei allen sicherheitsrelevanten Ereignissen (Arbeitsunfälle, Verletzungen, Beinahe-Unfälle)

um

seltene

Ereignisse handelt,

die in

der Population keine

Normalverteilung aufweisen, wurden für die hypothesenprüfenden Analysen zwei neue Variablen gebildet. Berichtete, tatsächlich erlittene Arbeitsunfälle und Verletzungen wurden zusammengefasst und ihr Vorkommen dichotom kodiert (0- keine Arbeitsunfälle, keine Verletzungen in den letzten sechs Monaten, 1- Arbeitsunfall und/ oder Verletzung ist in diesem Zeitraum vorgekommen). Analog dazu wurde mit den Angaben zu erlebten Beinahe-Unfällen verfahren (0- keine Beinahe-Unfälle in den letzten 4 Wochen, 1mindestens

ein

dichotomen

bzw.

Beinahe-Unfall

vorgekommen).

intervallskalierten

Prädiktoren

Der

Zusammenhang

und

dichotomen

zwischen

Kriterien

der

Arbeitssicherheit wurde mithilfe der logistischen Regressionsanalyse überprüft. Mit diesem Verfahren wird die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines bestimmten Ereignisses (0/1) in Abhängigkeit von den Werten der unabhängigen Variablen berechnet (Bühl, 2006). Das Ereignis ist i.d.R. dichotom kodiert, die unabhängigen Variablen können ein beliebiges Skalenniveau aufweisen. Das wichtigste Resultat dieser Analysen ist das sog. Odds Ratio (in den Ergebnissen unter „Exp(B)“ aufgeführt). Dabei handelt es sich um eine wichtige epidemiologische Maßzahl, die den Faktor darstellt, um den die Chance für das Eintreffen eines Ereignisses (hier: eines sicherheitsrelevanten Ereignisses) steigt bzw. sinkt, wenn der Prädiktor einen bestimmten Wert annimmt (Rudolf & Müller, 2004). Die Voraussetzung dieses Tests ist neben einer ausreichenden Anzahl der Fälle pro Gruppe (mindestens 25 pro Gruppe) die Unabhängigkeit der Residuen bei abhängigen Variablen (d.h. keine Autokorrelation) sowie die Unabhängigkeit der Prädiktoren (d.h. keine Multikolinearität) (Backhaus et al., 2006).13

4.6.2 Analyse der Tagebuchdaten (N= 915 bzw. N= 63) Zur Beschreibung der täglichen psychischen Fehlbeanspruchungen und ihrer negativen Folgen sowie der sicherheitsrelevanten Ereignisse in der Tagebuch-Stichprobe wurden deskriptive Häufigkeitsanalysen durchgeführt. Einzelne Tagebucheinträge wurden zum einen auf der Personenebene zusammengefasst (N= 63). Zum anderen wurden sie, zur Sicherung des Informationsgehalts, als Fälle betrachtet (N= 915).14 Der Unternehmensvergleich hinsichtlich der Merkmale psychischer Fehlbeanspruchung und ihrer negativen Folgen wurde mithilfe der einfaktoriellen Varianzanalyse vollzogen.

14

Aufgrund der fehlenden Altersangaben bei zwei Tagebuchführern konnten bei altersspezifischen Auswertungen lediglich die Daten von N= 61 Personen berücksichtigt werden.

61

Methode

Zum Vergleich der verschiedenen Altersgruppen bzw. Arbeitsschichten hinsichtlich der o.g. Merkmale wurde der nichtparametrische H-Test nach Kruskal-Wallis für unabhängige Stichproben angewendet, der für Analysen von ordinalskalierten Daten empfohlen wird (Bortz & Lienert, 2003). In diesem Test werden zentrale Tendenzen von zwei oder mehreren Gruppen miteinander verglichen. Um die konkreten Gruppenunterschiede zu lokalisieren, wurde eine Serie von U-Tests nach Mann-Whitney für zwei unabhängige Stichproben durchgeführt, bei denen die Ränge von jeweils zwei Gruppen verglichen werden.

Für

die

Analyse

der

altersbezogenen

und

arbeitsschichtspezifischen

Unterschiede der Häufigkeit sicherheitsrelevanter Ereignisse wurde der Chi-Quadrat-Test eingesetzt. Zur Überprüfung der Zusammenhangshypothesen anhand der Tagebuchdaten wurden die täglichen Angaben zur psychischen Fehlbeanspruchung und ihrer negativen Folgen aufsummiert (N= 63). Derart aggregierte Werte weisen eine größere Varianz auf als beispielsweise die Durchschnittswerte und sind darüber hinaus auch metrisch skaliert. Darüber hinaus wurde anhand der Anzahl verwendeter Antwortkategorien die individuelle Variabilität jedes untersuchten Merkmals bestimmt. Die Angaben zu Arbeitsunfällen, Verletzungen und Beinahe-Unfällen während der 15 Tage wurden dichotomisiert.

Personen

wurden

danach

aufgeteilt,

ob

sie

mindestens

einen

sicherheitsrelevanten Vorfall berichtet hatten (1) oder nicht (0). Eine erste Prüfung des linearen Zusammenhangs zwischen unabhängigen und der jeweils abhängigen Variablen erfolgte mittels der Korrelationsanalyse. In die darauffolgenden Analysen wurden nur diejenigen Prädiktoren einbezogen, die einen signifikanten Zusammenhang mit der Kriterienvariablen aufweisen. Als hypothesenprüfendes Verfahren wurde die logistische Regression herangezogen (Beschreibung der Testlogik siehe Abschnitt 4.6.1). In

allen

Signifikanztests,

die

zur

Überprüfung

der

Zusammenhangshypothesen

durchgeführt waren, wurde das Signifikanzniveau auf 5% gesetzt (p< .05 gilt als signifikant). Ergebnisse der Kruskal-Wallis-, der Mann-Whitney- sowie der Chi-QuadratTests zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen anhand der Tagebuchdaten wurden erst ab dem Irrtumswahrscheinlichkeitsniveau von p< .01 als signifikant bezeichnet. Es handelt sich um eine sehr konservative Testung, die bei der Analyse von Tagebuchdaten auf der Tagesebene (anstelle der Personenebene) angebracht war. Bereits bei der Datenerhebung wurde darauf geachtet, dass alle Angaben möglichst vollständig erfolgten. Bei vereinzelt fehlenden Werten wurden Fälle listenweise bzw. paarweise aus den Tests ausgeschlossen.

62

Methode

4.6.3 Datenübergreifende Analysen der Fragebogen- und Tagebuchdaten (N= 63) Die Datenquellen wurden in der zweiten Analysestufe miteinander kombiniert, wodurch zwei Datensituationen entstanden sind: 1. Prädiktoren aus den Tagebuchdaten, Kriterien aus den Fragebogendaten; 2. Prädiktoren aus der Fragebogendaten, Kriterien aus den Tagebuchdaten. Die durchgeführten Auswertungsschritte entsprechen dem bereits in den Kapiteln 4.6.1 und 4.6.2 dargestellten Vorgehen. Durch die zeitliche Entzerrung der erhobenen Prädiktoren und Kriterien konnten Messfehler und „falsche Zusammenhänge“, die auf den gemeinsamen Erhebungszeitpunkt zurückgehen, vermieden werden (Podsakoff, MacKenzie, Lee & Podsakoff, 2003). Dies führt grundsätzlich zu höherer Validität - nicht nur der erhobenen Daten, sondern auch der Untersuchungsergebnisse.

4.6.4 Analyse von Bewertungen im Rahmen der antizipatorischen Evaluation (N= 59) Die

Angaben

zur

Tagebuchführern

Akzeptanz

sowie

ihre

und

Anwendbarkeit

Einschätzungen

der

hinsichtlich

Tagebuchmethode der

Wirksamkeit

unter der

Tagebuchmethode als sicherheitsförderliche Maßnahme wurden einzeln ausgewertet. Antworthäufigkeiten für einzelne Items wurden ermittelt und in Prozentanteilen dargestellt.

63

Ergebnisse

5

ERGEBNISSE

Im ersten Abschnitt (5.1) werden die Ergebnisse der Tests dargestellt, die die Zusammenhangshypothesen

hinsichtlich

der

habituellen

psychischen

Belastung,

der Fehlbeanspruchung und derer mittelfristigen Folgen überprüfen und die auf der Basis der querschnittlichen Fragebogendaten durchgeführt werden. Die Analyse der einmaligen (täglichen) psychischen Belastungen, der kurzfristigen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung sowie der Häufigkeit sicherheitsrelevanter Ereignisse, basierend auf den Tagebucheinträgen, erfolgt im Kapitel 5.2. Die Zusammenhangshypothesen werden mit aggregierten Daten überprüft, bei den altersspezifischen Unterschiedshypothesen werden die täglichen Einträge als Fälle betrachtet. Im dritten Abschnitt (Kapitel 5.3) werden Ergebnisse quasi-querschnittlicher Analysen zur Hypothesenprüfung dargestellt, bei denen die Fragebogen- mit den Tagebuchangaben kombiniert werden. Im letzten Abschnitt des Ergebnisteils werden im Sinne einer antizipatorischen Evaluation die Einstellungen der Teilnehmer zur Tagebuchmethode erörtert. Darüber hinaus werden die positiven Effekte der Tagebuchführung hinsichtlich einer Unfallprävention erkundet.

5.1

Fragebogendaten:

Habituelle

psychische

Fehlbeanspruchung, deren mittelfristige

Belastung

Folgen

und

und die

habituelle Arbeitssicherheit (N= 212) Als zu testende Prädiktoren dienen Faktoren habitueller psychischer Belastung, Fehlbeanspruchung sowie deren Folgen. Mit dem Verfahren der multiplen Regression wird die Beziehung zwischen den Prädiktoren und dem normativen Index des sicheren Verhaltens überprüft, der die Häufigkeit des erwünschten Verhaltens bei sechs ausgewählten Arbeitsschutzregeln darstellt. Ein weiteres Kriterium für individuelle Arbeitssicherheit stellt die Anzahl der Beinahe-Unfälle in der typischen Woche dar. Bei den dichotomen abhängigen Variablen Vorkommen von Beinahe-Unfällen und Vorkommen

von

Arbeitsunfällen

und/

oder

Verletzungen

wird

zur

Hypothesenüberprüfung die logistische Regression herangezogen. Eine genauere Darstellung aller Hypothesentests erfolgt im Anhang (Abschnitt C3). Der Übersichtlichkeit halber sind diese nach abhängigen Variablen sortiert. Die Korrelationsmatrix der Fragebogenvariablen in der Fragebogen-Stichprobe kann im Anhang (Abschnitt C1) eingesehen werden. 64

Ergebnisse

5.1.1 Psychische

Belastung

und

ihr

Zusammenhang

mit

der

habituellen

Arbeitssicherheit Die

Anzahl

materieller

und

körperlicher

Belastungsfaktoren,

Anzahl

organisatorischer Belastungsfaktoren, Anzahl aufgabenbezogener Belastungsfaktoren sowie die Variable Mangelnder Tätigkeitsspielraum werden als Prädiktoren getestet. Tabelle 5.1 zeigt die signifikanten Korrelationen. Tabelle 5.1:

Signifikante Korrelationen zwischen wahrgenommenen Belastungsfaktoren und Kriterien der Arbeitssicherheit Anzahl materieller/ körperlicher BF

Zeitliche Belastung (0/1)

Sicheres Verhalten

Anzahl organisatorischer BF

Anzahl aufgabenbezogener BF

P

-.201**

Beinahe-Unfall typische Woche

.166*

.152*

Beinahe-Unfall (0/1)

.196** S

.151* S

P

Mangelnder Tätigkeitsspielraum

-.177*P

P

.136* S

Arbeitsunfall u./o. Verletzung (0/1) P

S

Produkt-Moment-Korrelation nach Pearson, Rangkorrelation nach Spearman * Korrelation ist auf dem Signifikanzniveau= .05 signifikant ** Korrelation ist auf dem Signifikanzniveau= .01 signifikant. BF= Belastungsfaktoren

Zunächst werden die zwei relevanten Prädiktoren (Anzahl organisatorischer Belastungen, Anzahl aufgabenbezogener Belastungen) in ihrer Beziehung zum sicheren Verhalten überprüft.

Am

besten

fällt

das

Regressionsmodell

mit

der

Anzahl

der

organisationsbedingten Belastungsfaktoren als einzigem Prädiktor aus (Beta= -.201, T= -2.967, p< .01). Mithilfe dieses Modells können 4% von Varianz des regelkonformen Verhaltens der Studienteilnehmer erklärt werden (R²= .040, F= 8.803, df= 1, p< .01). Je weniger Mängel es bei der Arbeitsorganisation gibt, desto häufiger werden die Arbeitsschutzregeln eingehalten. Bei der Vorhersage der wöchentlichen Beinahe-Unfälle zeigt das Modell die höchste Varianzaufklärung (R²= .028, F= 5.873, df= 1, p< .05), welches die Anzahl materieller/ körperlicher Belastungsfaktoren als alleinigen Prädiktor beinhaltet (Beta= .166, T= 2.424, p< .05). Je weniger materiell und körperlich belastend die Arbeitsbedingungen sind, desto weniger Beinahe-Unfälle werden typischerweise wöchentlich erlebt. In der logistischen Regression wird der Zusammenhang zwischen der Anzahl materieller/ körperlicher, organisatorischer und aufgabenbedingter Belastungsfaktoren und dem Vorkommen von Beinahe-Unfällen getestet. Das Ergebnis zeigt, dass sich fast 8% der 65

Ergebnisse

Varianz bezüglich der Gruppenzugehörigkeit (Beinahe-Unfall ja/ nein) auf die drei Variablen zurückführen lassen, und dass das getestete Modell eine gute Trennstärke für die Unterscheidung der Gruppen aufweist (Nagelkerkes R²= .076, Chi-Quadrat= 12.174, df= 3, p< .01). Die beste Trennfähigkeit weist die Anzahl der materiellen/ körperlichen Belastungsfaktoren

auf

(Wald=

6.164,

df=

1,

Exp(B)=

1.151,

p
37.5), was auf eine tägliche Beanspruchung von einer zumindest mittleren Ausprägung hindeutet. Enge Zeitvorgaben gehören ebenfalls zum Alltag der Stichprobe. Zwei Drittel der Befragten liegen im Bereich über 45 (d.h. an allen 15 Tagen - bzw. im Durchschnitt - wird ‚mittelmäßiger’ Zeitdruck wahrgenommen). Im höchsten Wertebereich (60 und höher, d.h. an allen 15 Tagen liegt zumindest eine enge Zeitvorgabe vor) befinden sich 14.3% der Tagebuchführer. Bedeutend niedriger liegen die Ausprägungen für die Häufigkeit der Unterbrechungen bei der Arbeit. 85.7% der Befragten gehen Tätigkeiten nach, bei denen sie in den 15 Tagen im Durchschnitt höchstens ‚mittelmäßig’ oft gestört wurden (Wertebereich bis einschließlich 45). Die qualitative Fehlanforderung scheint in der Stichprobe kein Problem darzustellen – 23.8% empfinden ihre Qualifikation der Aufgabe vollständig angemessen (Summe= 15), drei Viertel der Befragten lagen im Bereich zwischen 15 und 28. Soziale Konflikte am Arbeitsplatz (nicht abgebildet) präsentieren in der untersuchten Stichprobe ebenfalls keinen bedeutsamen Belastungsfaktor. 71.4% der Tagebuchführer hatten an keinem der 15 Tage einen Konflikt mit einem Kollegen oder Vorgesetzten, der sie belasten würde. Weitere 25.3% berichten an höchstens jedem dritten Tag über einen belastenden Konflikt (Summe im Wertebereich zwischen 1 und 3).

5.2.1.2

Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in der Tagebuch-Stichprobe

Abbildung 5.8 stellt die Verteilung der Summenvariablen für jede negative Folge psychischer Fehlbeanspruchung dar.

77

Ergebnisse

Abbildung 5.8:

Verteilung der individuellen Summenvariablen innerhalb der negativen Folgen psychischer Fehlbeanspruchung (Median, 25. + 75. Perzentil)

Erschöpfung (S.)

Langeweile (S.)

Konzentrationsprobleme (S.)

Nervosität (S.)

S. = Summenvariable

Aus den Daten geht hervor, dass die Teilnehmer der Fragebogenstudie - trotz hohem Zeitdruck und großer Arbeitsmenge - Fehlbeanspruchungsfolgen in einem eher niedrigen Wertebereich aufweisen. Nervosität und Anspannung sind unter den Befragten am seltensten verbreitet. Der Median liegt beim Wert 24, drei Viertel der individuellen Summen liegen bei dieser Variable im Bereich zwischen 15 und 33. Die Mediane von Konzentrationsproblemen und Langeweile befinden sich zwar auf einer Höhe (30 bzw. 29), beim Erleben von Langeweile liegt jedoch die größte interindividuelle Varianz unter den untersuchten Fehlbeanspruchungsfolgen vor (mittlere 50% liegen im Wertebereich zwischen 19 und 36; bei Konzentrationsproblemen zwischen 22 und 35). Psychische Erschöpfung kommt bei den Befragten am häufigsten vor:

50% liegen im Bereich

oberhalb des Wertes 34. Im Bereich oberhalb des mittleren Erschöpfungsniveaus (im Durchschnitt tägliche Vergabe von einer ‚3’, resultierend in Summe = 45) befinden sich 9.5% der Tagebuchführer.

78

Ergebnisse

5.2.2

Psychische Fehlbeanspruchung und deren Folgen in Abhängigkeit vom Alter (N= 915)

Tabelle 5.9 enthält eine Übersicht der Altersverteilung in der Tagebuch-Stichprobe, auf deren Grundlage die Analysen dieses Abschnitts durchgeführt werden. Tabelle 5.9:

Vertretung der Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen der Tagebuch-Stichprobe Unternehmen 1

Unternehmen 2

Unternehmen 3

Unternehmen 4

Gesamt

Unter 30 Jahre

11

2

5

1

19

31-40 Jahre

2

4

3

8

17

41-50 Jahre

5

3

6

2

16

Über 50 Jahre

2

6

0

1

9

Gesamt

20

15

14

12

6117

5.2.2.1

Psychische Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter

Um den Informationsverlust möglichst gering zu halten, wird auf die Aggregation der Daten für die altersspezifischen Analysen verzichtet. Einzelne Tage werden in diesem Abschnitt als Fälle betrachtet (N= 915 Tagebucheinträge). Die Prozentangaben in Tabelle 5.10 beziehen sich deshalb auf den Anteil der Tage in der jeweiligen Altersgruppe, die mit der

entsprechenden

Antwortkategorie

bewertet

wurden.

Die

Angaben

zu

Beanspruchungsfaktoren werden der Übersichtlichkeit halber wie folgt zusammengefasst: Zeitvorgabe (eng vs. locker), Arbeitsmenge (viel vs. wenig), Unterbrechungen bei der Arbeit (oft vs. selten), qualitative Fehlanforderung (trifft zu vs. trifft nicht zu) und soziale Konflikte am Arbeitsplatz (ja vs. nein). Bei den ordinalskalierten Items wird als Maß der zentralen Tendenz für jede Altersgruppe der Median aufgeführt.

17

Bei zwei Personen fehlte die Altersangabe.

79

Ergebnisse

Tabelle 5.10: Wahrnehmung psychischer Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter Zeitdruck 1= Bis 30 Jahre

2= 31 –40 Jahre

3= 41–50 Jahre

4= über 50 Jahre

Arbeitsmenge

Unterbrechungen

Qualitative Fehlanforderung

Soziale Konflikte

Median

3 (mittel.)

Median

3 (mittel.)

Median

2 (selten)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Eng

33.2 %

Viel

47.6%

Oft

15.8%

Trifft zu

0.7%

Ja

5.3%

Locker

30.0%

Wenig

10.9%

Selten

52.8%

Trifft n. zu

94.4%

Nein

94.7%

Median

3 (mittel.)

Median

4 (viel)

Median

2 (selten)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Eng

45.5%

Viel

60.0%

Oft

13.0%

Trifft zu

1.6%

Ja

2.0%

Locker

12.5%

Wenig

3.9%

Selten

53.9%

Trifft n. zu

92.2%

Nein

98.0%

Median

4 (eng)

Median

4 (viel)

Median

3 (mittel.)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Eng

53.2%

Viel

70.1%

Oft

23.5%

Trifft zu

0.8%

Ja

5.8%

Locker

11.0%

Wenig

3.3%

Selten

46.9%

Trifft n. zu

96.3%

Nein

94.2%

Median

4 (eng)

Median

4 (viel)

Median

2 (selten)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Eng

65.9%

Viel

91.1%

Oft

5.2%

Trifft zu

0

Ja

2.3%

Locker

14.8%

Wenig

0

Selten

75.6%

Trifft n. zu

96.2%

Nein

97.7%

mittel.= mittelmäßig

In allen Altersgruppen gehören Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten eher zu den Ausnahmeerscheinungen. Die 31-40jährigen Tagebuchführer sind mit 2.0% aller Tage am wenigsten durch Konflikte belastet. Die Befragten erleben ebenfalls selten qualitative Fehlanforderung. In allen Altersgruppen wurde an fast allen Tagen die Passung zwischen Anforderung und Fertigkeiten als richtig eingeschätzt. Der wahrgenommene Zeitdruck steigt mit dem Alter. Die über 50-Jährigen bewerten an 65.9% der untersuchten Tage die Zeitvorgabe als eng/ sehr eng, während die Gruppe der unter 30-Jährigen nur an halb so vielen Tagen Zeitdruck empfindet (33.2%). Die gleiche lineare Tendenz wird bei der Bewertung der Arbeitsmenge beobachtet – hatte die älteste Gruppe an fast allen Tagen viel/ sehr viel zu tun (91.1%), so war dies bei der jüngsten Gruppe nur an fast jedem zweiten Tag der Fall (47.6%). Ein anderes Muster ist bei der Häufigkeit der Unterbrechungen zu beobachten. Am häufigsten werden bei ihrer Arbeit die 41-50-Jährigen unterbrochen: An 23.5% der Tage 80

Ergebnisse

kommt es oft/ sehr oft zu Unterbrechungen, was fünf Mal so häufig ist wie bei den über 50-Jährigen (häufige Unterbrechungen nur an 5.2% der Untersuchungstage). Die berechneten Mediane geben diese detaillierten Ergebnisse wieder. Mit steigendem Alter wird an mehreren Tagen der Zeitdruck als hoch und die Arbeitsmenge als groß eingeschätzt. In der Gruppe der 41-50-Jährigen berichten die Teilnehmer über häufigere Unterbrechungen als dies in den anderen Altersgruppen der Fall ist. Es zeigen sich keine Altersunterschiede in der Wahrnehmung qualitativer Fehlanforderung. Zur Überprüfung der Signifikanz der Medianunterschiede wird der Kruskal-Wallis-Test für mehrere unabhängige Stichproben verwendet. Die mittleren Ränge der Altersgruppen sind in allen untersuchten Faktoren signifikant unterschiedlich (Zeitvorgabe: Chi-Quadrat= 48.070, df= 3, p< .01; Arbeitsmenge: Chi-Quadrat= 75.223, df= 3, p< .01; Unterbrechungen: Chi-Quadrat= 38.218, df= 3, p< .01; qualitative Fehlanforderung: Chi-Quadrat= 28.299, df= 3, p< .01). Die sich konkret unterscheidenden Gruppen werden mit sechs U-Tests nach

Mann-Whitney

Gruppenunterschiede,

für die

zwei die

unabhängige

konservative

Stichproben

Signifikanzschranke

ermittelt. von

p=

Die .01

unterschreiten, werden in Tabelle 5.11 dargestellt. Tabelle 5.11: Signifikante Unterschiede (p< .01) in psychischer Fehlbeanspruchung zwischen einzelnen Altersgruppen Signifikante Unterschiede zwischen Altersgruppen

Bedeutung

Zeitdruck

1 < 2,3,4 2 1,2,3 1,2 < 3,4

Je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto weniger Arbeitsvolumen wird wahrgenommen.

Unterbrechungen

4 < 1,2,3

je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto weniger Unterbrechungen werden berichtet.

Qualitative Fehlanforderung

4 < 1,2,3

Je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto niedriger wird die qualitative Fehlanforderung eingeschätzt.

Soziale Konflikte18

Keine Unterschiede

1= unter 30 Jahre, 2= 31-40 Jahre, 3= 41-50 Jahre, 4= über 50 Jahre

Es fällt auf, dass soziale Konflikte in allen Altersgruppen gleich selten vorkommen. Den Ergebnissen der Einzeltests ist ferner zu entnehmen, dass die Zeitvorgaben bei der jüngsten Gruppe als signifikant lockerer wahrgenommen werden als in allen anderen 18

Da das Merkmal ‚Soziale Konflikte’ nominal skaliert ist, werden in diesem Fall die Unterschiede mittels eines ChiQuadrat-Tests zur Analyse von Häufigkeiten getestet.

81

Ergebnisse

Altersgruppen. Ebenfalls nehmen die beiden jüngeren Arbeitnehmergruppen (bis 40 Jahre) weniger Arbeitsvolumen wahr als ihre älteren Kollegen. Die Gruppe der ältesten Arbeitnehmer berichtet sogar über das höchste Arbeitsvolumen von allen. Diese Arbeitnehmer werden bei ihrer Arbeit jedoch signifikant seltener unterbrochen als alle anderen. Sie fühlen sich ebenfalls am sichersten hinsichtlich der entsprechenden Qualifikation für ihre Aufgabe. Da die Unternehmen in den einzelnen Altersgruppen jedoch nicht gleichmäßig vertreten waren (vgl. Tabelle 5.9 im Kapitel 5.2.2), muss ausgeschlossen werden, dass es sich bei den festgestellten Altersunterschieden um Unternehmensunterschiede handelt. Die im Abschnitt 5.2.1 beschriebene Varianzanalyse zeigt, dass signifikante Unternehmensunterschiede lediglich beim erlebten Zeitdruck bestehen, wobei Unternehmen Nr. 1 das niedrigste und Unternehmen Nr. 3 das höchste Zeitdruckniveau aufweist. Wären in der Gruppe der ältesten Teilnehmer, die das höchste Zeitdruckniveau von allen Altersgruppen aufweist, überproportional viele Angehörige des Unternehmens Nr. 3 vorzufinden, wären Zweifel am Ursprung der in diesem Abschnitt festgestellten Unterschiede angebracht. Da jedoch keiner der neun ältesten Tagebuchführer aus dem Unternehmen Nr. 3 stammt, können vorliegende Differenzen als Funktion des Alters interpretiert werden.

5.2.2.2

Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in Abhängigkeit vom Alter

Erfasst werden folgende Konsequenzen psychischer Fehlbeanspruchung: Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Langeweile und Nervosität (einheitliche Antwortkategorien trifft zu vs. trifft nicht zu)19. Einzelne Tage werden in diesen Analysen als Fälle betrachtet (N= 915 Tagebucheinträge). Die Prozentangaben in Tabelle 5.12 beziehen sich deshalb auf den Anteil der Tage in der jeweiligen Altersgruppe, die mit der entsprechenden Antwortkategorie bewertet wurden. Zur Charakterisierung der Antwortverteilung in der jeweiligen Altersgruppe wird der Median berechnet.

19

Die Antwortkategorien trifft gar nicht zu und trifft eher nicht zu/ trifft voll zu und trifft eher zu werden zusammengefasst als trifft nicht zu/ trifft zu dargestellt. Die mittlere Kategorie teils-teils wird aus Übersichtlichkeitsgründen nicht aufgeführt.

82

Ergebnisse

Tabelle 5.12: Folgen psychischer Fehlbeanspruchung in einzelnen Altersgruppen Erschöpfung 1= Bis 30 Jahre

2= 31-40 Jahre

3= 41-50 Jahre

4= über 50 Jahre

Konzentrationsprobleme

Langeweile

Nervosität

Median

3 (teils-teils)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Trifft zu

12.7%

Trifft zu

6.3%

Trifft zu

14.1%

Trifft zu

5.7%

Trifft nicht zu

46.5%

Trifft nicht zu

76.4%

Trifft nicht zu

52.7%

Trifft nicht zu

82.7%

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Trifft zu

7.1%

Trifft zu

5.5%

Trifft zu

1.6%

Trifft zu

2.4%

Trifft nicht zu

67.8%

Trifft nicht zu

82.0%

Trifft nicht zu

89.8%

Trifft nicht zu

89.8%

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Trifft zu

10.5%

Trifft zu

9.1%

Trifft zu

9.2%

Trifft zu

7.1%

Trifft nicht zu

57.6%

Trifft nicht zu

75.0%

Trifft nicht zu

75.0%

Trifft nicht zu

79.6%

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

2 (trifft eher nicht zu)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Median

1 (trifft gar nicht zu)

Trifft zu

6.8%

Trifft zu

4.5%

Trifft zu

2.2%

Trifft zu

2.2%

Trifft nicht zu

82.7%

Trifft nicht zu

83.6%

Trifft nicht zu

92.6%

Trifft nicht zu

87.3%

Bezüglich der Erschöpfung sind es die jüngsten Arbeitnehmer, welche mit 12.7% der Tage die höchste Erschöpfungsquote aufweisen. Gefolgt werden sie von der Gruppe der 41-50-Jährigen (erschöpft an 10.5% der Tage). Am meisten energiegeladen scheinen die ältesten Befragten zu sein (erschöpft lediglich an 6.8% der Untersuchungstage). Müdigkeit kommt am häufigsten in der Gruppe der 41-50-Jährigen vor – an fast jedem zehnten Tag klagen sie über Konzentrationsprobleme (9.1%). Am besten können sich die ältesten Tagebuchführer konzentrieren (an 83.6% der Tage ohne Konzentrationsprobleme). Von Langeweile am stärksten betroffen sind die unter 30-Jährigen: Sie wurde in dieser Altersgruppe fast an jedem siebten Arbeitstag berichtet (14.1% der Untersuchungstage). Gänzlich ohne Langeweile verliefen in dieser Altersgruppe nur 52.7% der Arbeitstage. Am wenigsten langweilen sich bei ihrer Arbeit die ältesten Mitarbeiter (2.2% der Tage). Über die geringste Nervosität berichten die 31-40-Jährigen – an neun von 10 Tagen arbeiten sie vollständig ohne Anspannung (89.8% der Tage). Am häufigsten berichten 83

Ergebnisse

über seelische Anspannungszustände und Nervosität die Angehörigen der Altersgruppe 41-50 (an 7.1% der Tage nervös und angespannt; lediglich an 79.6% der Tage vollständig nervositätsfrei). Die

berechneten

Mediane

Konzentrationsproblemen.

zeigen

keine

Erschöpfungszustände

Altersunterschiede kommen

bei

bei

den

den

jüngsten

Arbeitnehmern am häufigsten vor. Diese Gruppe - zusammen mit der Gruppe der 41-50Jährigen - berichtet im Vergleich zu den anderen Tagebuchführern auch über mehr Langeweile und häufigere Nervosität bei der Arbeit. Zur Überprüfung der Signifikanz der Gruppenunterschiede wird der Kruskal-Wallis-Test für mehrere unabhängige Stichproben verwendet. Die mittleren Ränge der Altersgruppen sind in allen vier untersuchten Faktoren signifikant unterschiedlich (Erschöpfung: Chi-Quadrat= 75.221,

df= 3, p< .01;

Konzentrationsprobleme: Chi-Quadrat= 26.315, df= 3, p< .01; Langeweile: Chi-Quadrat= 158.390, df= 3, p< .01; Nervosität: Chi-Quadrat= 36.447, df= 3, p< .01). Die sich konkret unterscheidenden Gruppen werden mit sechs U-Tests nach Mann-Whitney für zwei unabhängige Stichproben bestimmt. Diejenigen Gruppenunterschiede, welche die konservative Signifikanzschranke von p= .01 unterschreiten, werden in Tabelle 5.13 dargestellt. Tabelle 5.13: Signifikante Unterschiede (p< .01) im Ausmaß der Folgen psychischer Fehlbeanspruchung zwischen einzelnen Altersgruppen Signifikante Unterschiede zwischen Altersgruppen

Bedeutung

Erschöpfung

1 > 2,3,4 4 < 1,2,3 2 2,4 1>4

Je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto weniger Konzentrationsprobleme werden berichtet.

Langeweile

1 > 2,3,4 3 > 2,4

Je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto weniger Langeweile wird berichtet.

Nervosität

3 > 1,2,4 1>2

Je niedriger der mittlere Rang einer Gruppe, desto weniger Nervosität wird berichtet.

1= unter 30 Jahre, 2= 31-40 Jahre, 3= 41-50 Jahre, 4= über 50 Jahre

Aus den Ergebnissen der Einzeltests geht hervor, dass sich die ältesten Arbeitnehmer signifikant weniger erschöpft fühlen als alle anderen Tagebuchführer. Dies zeigt sich im Gegensatz zu den jüngsten Arbeitnehmern, bei denen Erschöpfungszustände signifikant häufiger vorkommen als in den anderen Altersgruppen. Die jüngste Gruppe sowie die Gruppe der 41-50-Jährigen berichten über signifikant mehr Konzentrationsprobleme als 84

Ergebnisse

die Angehörigen der zwei verbleibenden Gruppen. Bei den unter 30-Jährigen kommt es auch signifikant öfter zur Langeweile als bei allen anderen Arbeitnehmern. Die 41-50Jährigen klagen signifikant häufiger über Nervositätszustände als dies bei allen anderen Altersgruppen der Fall ist. Im Sinne der Ergebnisse der Varianzanalyse aus dem Kapitel 5.2.1 kann bei diesen Unterschieden davon ausgegangen werden, dass sie die Funktion des Alters und nicht der Unternehmensrealität sind. Tabelle 5.14 bietet eine Übersicht der wichtigsten festgestellten Charakteristika in den verschiedenen Altersgruppen. Tabelle 5.14: Übersicht der psychischen Fehlbeanspruchung und derer Folgen in einzelnen Altersgruppen In dieser Teilnehmergruppe wird der geringste Zeitdruck wahrgenommen, was Alter: bis 30 Jahre

möglicherweise mit der kleinsten berichteten Arbeitsmenge im Zusammenhang steht. Sie berichten jedoch signifikant öfter von Erschöpfungszuständen sowie von signifikant mehr langweiligen Arbeitstagen als alle anderen Arbeitnehmer. Für diese Gruppe kennzeichnend ist ihre durchgehende Ansiedlung im mittleren

Alter: 31-40 Jahre

Wertebereich bei fast allen psychischen Belastungen sowie deren negativen Folgen. Interessant ist die größere Nähe zu den Ergebnissen der ältesten Gruppe, obwohl eher eine Ähnlichkeit mit der nächst älteren Gruppe der 41-50-Jährigen anzunehmen wäre. Die Ergebnisse dieser Altersgruppe sind als nicht optimal zu bezeichnen. In diesem Alter nehmen die Arbeitnehmer mehr Arbeitsaufkommen wahr als die Angehörigen

Alter: 41-50 Jahre

der beiden jüngeren Gruppen (jedoch signifikant weniger als die ältesten Arbeitnehmer). Sie erleben sehr häufig Arbeitsunterbrechungen. Angehörige dieser Altersgruppe

berichten

über

signifikant

mehr

Erschöpfungszustände,

Konzentrationsprobleme und Langeweile als die beiden benachbarten Altersgruppen. Diese Gruppe zeichnet sich ebenfalls durch die signifikant höchste Nervosität aus.

Obwohl die ältesten Arbeitnehmer über das höchste Arbeitsvolumen und den Alter: über 50 Jahre

höchsten Zeitdruck (zusammen mit der Gruppe der 41-50-Jährigen) berichten, fühlen sie sich bei der Arbeit signifikant seltener erschöpft als alle anderen Befragten. Sie werden am seltensten durch Arbeitsunterbrechungen gestört und empfinden sich am häufigsten passend qualifiziert für ihre Aufgabe.

85

Ergebnisse

5.2.3

Psychische Fehlbeanspruchung und deren Folgen in Abhängigkeit vom Alter, unter Berücksichtigung der Arbeitsschicht

Die Ergebnisse eines Chi-Quadrat-Tests zeigen, dass die Angehörigen verschiedener Altersgruppen in einzelnen Schichten nicht gleich verteilt sind (Chi-Quadrat= 86.689, df= 9, p< .01). Der größte Anteil der Arbeitnehmer ohne Schichtwechsel ist 41-50 Jahre alt (42.6%). Die Mitarbeiter unter 30 Jahre sind sowohl in Schicht 1 als auch in Schicht 2 die am stärksten vertretene Altersgruppe (35.2 bzw. 38.3%). In Schicht 3 ist die Gruppe der 31-40-Jährigen mit 38.8% am häufigsten vertreten. Aus den Angaben der Tagebuchführer geht hervor, dass 14.8% im Zwei-Schicht- und 65.5% im Drei-Schicht-System arbeiten. Die verbleibenden 19.7% haben eine feste Arbeitszeit ohne Schichtwechsel (i.d.R. Frühschicht). Die Tagebucheinträge decken alle Arbeitsschichten ab,

wobei von jedem Tagebuchführer Angaben aus verschiedenen

Arbeitsschichten vorliegen. Auch bei diesen Analysen ist die Tagesebene als Auswertungsebene angebracht (N= 941). Aufgrund der unterschiedlichen Schichtsysteme in den teilnehmenden Unternehmen sowie der situationsbedingten Variabilität der persönlichen Schichtbeginne im Untersuchungszeitraum werden die Tagebucheinträge in vier Gruppen kategorisiert. Bei der Aufteilung der Tagebucheinträge dienen die Tageszeiten 12:00 und 18:00 Uhr als künstliche Zeitgrenzen zwischen einzelnen Schichtgruppen (Tabelle 5.15): der Tabelle 5.15: Klassifizierung Tagebucheinträgen Gruppe 0

Arbeitszeiten

Spezifikation

mit

den

dazugehörigen

Anzahl der Tagebucheinträge (%) 20

Kein Schichtsystem

176 (18.8%)

1

Schicht 1 (Beginn vor 12:00 Uhr)

326 (34.6%)

2

Schicht 2 (Beginn zwischen 12:00 und 18:00 Uhr)

257 (27.3%)

3

Schicht 3 (Beginn nach 18:00 Uhr)

182 (19.3%)

Da die Angaben aus den Arbeitsschichten 1, 2 und 3 nicht von unterschiedlichen Gruppen stammen, sondern zum Teil von denselben Personen (an verschiedenen Tagen) gemacht wurden, handelt es sich dabei nicht um unabhängige Gruppen. Statt eines Vergleiches untereinander werden diese drei Schichten deshalb einzeln mit den Angaben derjenigen

20

In der ersten Gruppe befinden sich alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsbeginn immer vor 12:00 Uhr liegt und nie wechselt.

86

Ergebnisse

Tagebuchführer verglichen, die einer Tätigkeit ohne Schichtwechsel nachgehen. Die Ergebnisse

der

U-Tests

nach

Mann-Whitney,

die

die

Unterschiede

zwischen

Arbeitsschichten unter Berücksichtigung des Alters auf Signifikanz testen, können in verkürzter Form der Tabelle 5.16 entnommen werden. Es werden lediglich Unterschiede aufgeführt, deren Irrtumswahrscheinlichkeit die konservative Signifikanzschranke von p= .01 unterschreitet. Tabelle 5.16: Unterschiede zwischen Gruppe 0 (kein Schichtwechsel) und Angaben der Schichtarbeiter, die aus verschiedenen Arbeitsschichten stammen, getrennt nach Alter der Arbeitnehmer Alter: unter 30 Jahre Zeitdruck

0 > 1,2,3

Arbeitsmenge

0 > 1,2,3

Alter: 31 – 40 Jahre

Alter: 41 – 50 Jahre

Alter: über 50 Jahre 0 > 1,2

01

0 > 1,2,3

03

Unterbrechungen Qualitative Fehlanforderung Soziale Konflikte21

0

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