D i e v i e l e n G e s i c h t e r d e r D e m e n z

EINSICHTEN 2007 NEWSLETTER 01 interdisziplinäre einsichten Susanne Wedlich Die vielen Gesichter der Demenz Die Erforschung von Altersdemenz macht ...
Author: Hede Pfeiffer
20 downloads 2 Views 196KB Size
EINSICHTEN 2007

NEWSLETTER 01

interdisziplinäre einsichten

Susanne Wedlich

Die vielen Gesichter der Demenz Die Erforschung von Altersdemenz macht an der LMU große Fortschritte. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst von vier Wissenschaftlern. Professor Christian Haaß, Adolf-Butenandt-Institut, konnte die normale Funktion eines Alzheimerenzyms aufklären. Professor Jochen Herms gelang ein ähnlicher Funktionsnachweis bei dem zentralen Alzheimerprotein. Herms Kollegen am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung, Privatdozentin Manuela Neumann und Professor Hans Kretzschmar, identifizierten dagegen in internationaler Kooperation das wichtigste Protein der „Frontotemporalen Demenz“ – und eröffneten damit ein neues Gebiet der Neurodegenerationsforschung. „I now begin the journey that will lead me into the sunset of my life”, schrieb Ronald Reagan in seinem Abschiedsbrief an die amerikanische Nation. Diese „Reise in die Abenddämmerung meines Lebens“ dauerte noch zehn Jahre, bis der ehemalige US-Präsident 2004 starb. Gekennzeichnet war diese Dekade durch einen fortschreitenden Abbau der geistigen Fähigkeiten Reagans, der die längste Zeit davon weder seine Familie erkannte, noch Erinnerungen an seine Tage als Präsident hatte. Er ist damit eines der prominenten Opfer jener Krankheit, die mittlerweile zum Synonym für Altersdemenz geworden ist: Alzheimer. Wie man seit einiger Zeit weiß, spielt das so genannte Amyloid-Vorläuferprotein, kurz APP, eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Leidens. Erst wenn aus diesem Protein ein kleines Stück, das beta-Amyloid, ausgeschnitten wird, kann Alzheimer entstehen. Denn das beta-Amyloid verklumpt zu großen Plaques, die toxisch auf Nervenzellen wirken. Was läge also näher als eine Therapie, die kurzerhand die Entstehung des beta-Amyloids unterdrückt? „Möglicherweise ist das aber der falsche Weg, auch wenn seit Jahren an diesem Ansatz gearbeitet wird“, meint Professor Jochen Herms vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung. „Wir konnten nämlich zeigen, dass das beta-Amyloid nicht nur eine schädliche Wirkung haben kann, sondern im Gehirn wohl auch eine normale und wichtige Funktion erfüllt. Denn ohne APP – und damit ohne beta-Amyloid – können Nervenzellen Veränderungen bei der Bildung der Synapsen zeigen. Das sind die Kontaktstellen zwischen Neuronen und damit wichtige Stationen bei der Übertragung von Nervensignalen.“ Juli

01

Jochen Herms und sein Team gingen der lange ungeklärten Frage nach, warum das betaAmyloid überhaupt in so großer Menge im – auch gesunden – Gehirn vorhanden ist. Schließlich wird das Protein konstant und während der gesamten Lebensdauer produziert. Weil die höchsten Konzentrationen in menschlichen Neuronen gefunden wurden, wo das beta-Amyloid als Nebenprodukt eines normalen Prozesses anfällt, wurde allerdings nur eine untergeordnete Rolle des Proteins vermutet. Es galt als weitgehend gesichert, dass das beta-Amyloid ein normaler Anzeiger des Alterns ist. Dann aber häuften sich die Hinweise, dass bei Alzheimer-Patienten die Funktion der Synapsen beeinträchtigt ist. So ergab sich ein potentieller Zusammenhang, nämlich eine mögliche Rolle des APP bei der Weiterleitung von Nervensignalen an diesen Berührungspunkten von Neuronen. Zudem wurde gezeigt, dass neuronale Aktivität einen verstärkenden Effekt auf die Sekretion von beta-Amyloid hat. Umgekehrt wurde nachgewiesen, dass das Protein eine bestimmte Art der synaptischen Übertragung unterdrückt. Zusammen genommen führten die Resultate zu der Vermutung, dass die Produktion von beta-Amyloid Teil eines negativen Feedbacks sein könnte, das die Erregbarkeit der Neuronen kontrolliert und diese vor übermäßiger, schädlicher Aktivität schützt. normale funktion des beta-amyloids „In diesem Fall sollte aber die Abwesenheit von APP und damit das Fehlen von beta-Amyloid auch einen Effekt auf die synaptische Übertragung haben“, so Jochen Herms. „Wir haben deshalb die synaptische Übertragung von Nervenzellen untersucht, die kein APP produzieren.“ Dabei zeigte sich, dass die synaptische Aktivität in Nervenzellen ohne APP in der Tat erhöht ist. Sowohl die Höhe der synaptischen Antworten nach Erregung der Zellen als auch die Häufigkeit spontaner synaptischer Entladungen von für die synaptische Übertragung notwendigen Botenstoffen stieg an. Tatsächlich aber wurden nicht die Synapsen selbst durch das Fehlen von APP verändert, sondern ihre Zahl pro Nervenzelle. Die Resultate des Teams und auch die anderer Forschergruppen lassen vermuten, dass nicht APP an sich, sondern das beta-Amyloid die entscheidende Rolle bei der Bildung und der Funktion der Synapsen spielt. Erkenntnisse, die wie diese hier aus der Arbeit an Mäusen stammen, lassen sich zwar nur selten direkt auf den Menschen übertragen. Es mehren sich aber die Hinweise, dass auch beim Menschen das beta-Amyloid eine normale Funktion hat. Solange dies nicht widerlegt ist, sollte das Protein also nicht einfach nur als entbehrliches Abfallprodukt angesehen werden. „Unklar ist immer noch, wie das beta-Amyloid zu Alzheimer führen kann“, so Jochen Herms. „Es ist zumindest bekannt, dass das Protein bei neuronalen Verletzungen verstärkt produziert wird. Insgesamt sollten aber auf jeden Fall eher Therapieansätze verfolgt werden, die die Produktion von beta-Amyloid nicht unterdrücken, sondern nur reduzieren.“ Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten. Die beta-Sekretase etwa, kurz BACE, ist wohl auch maßgeblich an der Entstehung der Alzheimerschen Erkrankung beteiligt. Das Enzym schneidet nämlich das beta-Amyloid aus seinem Vorläuferprotein aus. Mögliche Therapieansätze könnten darauf abzielen, die beta-Sekretase zu blockieren – wenn erst die FunktiJuli

02

on des Enzyms im gesunden Körper bekannt ist. Professor Christian Haaß und Dr. Michael Willem, Lehrstuhl für Stoffwechselbiochemie am AdolfButenandt-Institut, konnten in Zusammenarbeit mit Professor Carmen Birchmeier und Dr. Alistair Garratt, Max-Delbrück-Zentrum in Berlin, sowie Professor Paul Saftig, Universität Kiel, und Professor Bart DeStrooper, Universität Leuven, zeigen, dass BACE für die Myelinisierung von NervenzelProzessierung des Amyloid Precursor Proteins durch beta und gamma Sekretase. ß-Sekretase schneidet zuerst und stellt das Substrat für die gamma-Sekretase

len nötig ist. Dabei wickeln sich Gliazellen um die Neuronen, die diese so genannte Myelinhülle als

her. Diese setzt durch einen weiteren Schnitt das Amy-

Isolierschicht benötigen, um Signale schnell und

loid ß-Peptid frei, das dann aggregiert und die Alzhei-

effizient weiterleiten zu können. Die lange als pas-

merplaques bildet.

sive Helfer verkannten Gliazellen sind nicht nur um ein Vielfaches häufiger als Neuronen im Gehirn, sondern erfüllen noch weitere wichtige Funktionen. So stützen sie die Nervenzellen, versorgen sie und beeinflussen deren Bewegung sowie das neuronale Wachstum. Zudem senden sie selbst Signale aus und wirken bei der Informationsverarbeitung mit. „Ohne BACE findet sehr viel weniger Myelinisierung statt“, so Christian Haaß. „Die Funktion des Enzyms bei der Entstehung von Alzheimer dagegen ist wohl eher so etwas wie ein Unfall. Jetzt können wir aber erstmals gezielt nach schadhaften Wirkungen von Inhibitoren des Enzyms suchen – wie auch nach therapeutisch wirksamen Dosen potentieller Medikamente, die eine Myelinisierung noch zulassen. Das Enzym ist auch schon ein Hauptziel für medikamentöse Therapien. Könnte seine krank machende Wirkung blockiert werden, sollte schließlich die altersbezogene Neuropathologie, die durch die Ablagerung des beta-Amyloids verursacht wird, verlangsamt werden.“ Ein derartiger Durchbruch wäre ein Sieg im Kampf gegen die weltweit häufigste Form der Altersdemenz. Nach Schätzungen leiden weltweit zwischen zwölf und 15 Millionen Menschen an Alzheimer, in Deutschland sind es etwa 1,2 Millionen. Doch Alzheimer ist nicht die einzige Erkrankung, die zu geistigem Verfall führt. Zwei weitere schwere neurodegenerative Leiden werden von einem bislang kaum untersuchten Protein ausgelöst, wie ein internationales Team unter Beteiligung zweier LMU-Forscher vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung, Privatdozentin Manuela Neumann und Professor Hans Kretzschmar, zeigen konnte. Manuela Neumann gehörte zu den drei Forschern, die den Hauptteil der Experimente vornahmen, und führte ihre Arbeit während eines Forschungsaufenthalts im Labor von Professor Virginia Lee an der University of Pennsylvania in Philadelphia, USA, durch. Die Wissenschaftler fanden das Protein TDP-43 in pathologischen Einschlüssen, die bei der häufigsten Unterform der „Frontotemporalen Demenz“, kurz FTD, im Gehirn entstehen. Diese unheilbare Erkrankung ist gekennzeichnet von schweren Verhaltensstörungen und von Sprachverlust. TDP-43 ist zudem die Hauptkomponente in Einschlüssen bei einer weiteren neurodegenerativen Erkrankung, der Amyotrophen Lateralsklerose, wie wohl auch bei anderen Leiden. „Frontotemporal“ steht für die Bereiche Juli

03

des Gehirns, die bei FTD vom neuronalen Untergang betroffen sind: frontal, also hinter der Stirn, und temporal, also an den Schläfen. Diese Areale sind unter anderem für Emotionen, das erlernte Sozialverhalten und das Sprachvermögen zuständig. Zu den Symptomen des Leidens gehören unter anderem eine ausgeprägte Veränderung der Persönlichkeit und eine starke Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens, insbesondere eine emotionale Verflachung, Taktlosigkeit, Antriebslosigkeit und Enthemmung. Zudem entwickeln sich häufig Störungen der Sprache, etwa Wortfindungsstörungen und Sprachverständnisstörungen bis hin zum völligen Verstummen. Die Lebenserwartung der Patienten beträgt nach der Diagnose nicht mehr als zehn Jahre. dem protein tdp-43 auf der spur Das Krankheitsbild der Frontotemporalen Demenz wurde erstmals vor 100 Jahren von dem Arzt Arnold Pick beschrieben und trägt deshalb auch den Namen „Morbus Pick“. „Bei der am weitesten verbreiteten Form der Frontotemporalen Demenz treten pathologische Einschlusskörperchen im Gehirn auf“, berichtet Manuela Neumann. „Weil sich diese mit dem unspezifisch bindenden Proteinmarker Ubiquitin anfärben lassen, spricht man auch von FTLD-U. Bislang war unbekannt, welches Protein in den Einschlüssen verklumpt. Wir wollten diese Proteinkomponente aber identifizieren, um die Entstehung der Krankheit besser zu verstehen. Schließlich kann man diesen pathologischen Prozess nur dann gezielt verhindern und neue Therapieansätze entwickeln, wenn man weiß, was eigentlich im Gehirn der Patienten abgelagert wird.“ Der Bedarf ist groß. Immerhin ist die Frontotemporale Demenz nach der Alzheimerschen Erkrankung die zweithäufigste Demenz unter 65 bei einer ungewöhnlich breiten Spanne: Es gibt Patienten im Alter von 20 Jahren, andere sind schon über 80. „In unseren Versuchen haben wir aus Gehirnproben die Einschlüsse angereichert und in Mäuse injiziert“, berichtet Manuela Neumann. „Unsere Hoffnung war, dass die Tiere Antikörper gegen die Proteinklumpen bilden. Mehr als 50.000 Maus-Antikörper mussten wir dann daraufhin testen, ob sie die Einschlüsse in erkrankten Gehirnen erkennen. Die Antikörper mit positiver Reaktion erkannten alle ein einziges Protein in den Ablagerungen, das wir als TDP-43 identifizieren konnten.“ Dieses Protein war bereits bekannt, seine Funktion im gesunden Körper aber noch nicht genau untersucht. Sicher ist nun aber, dass es krank machen kann. Denn die Forscher konnten das Protein nicht nur als Hauptproteinkomponente der pathologischen Einschlüsse bei FTLD-U identifizieren. TDP-43 ist auch die Hauptproteinkomponente in den pathologischen Einschlüssen der Amyotrophen Lateralsklerose, kurz ALS. Bei dieser Erkrankung sterben Neuronen des motorischen Nervensystems ab, was zu einer fortschreitenden Muskel- und Atemlähmung führt. „Wir konnten erstmals belegen, dass FTLD-U und ALS zwei Varianten eines klinisch-pathologischen Spektrums von Erkrankungen sind, denen derselbe Pathomechanismus zugrunde liegt“, so Manuela Neumann. „Was allerdings genau abläuft, darüber kann man nur spekulieren.“ Wie die Forscher jetzt schon zeigen konnten, ist das Protein bei FTLD-U und ALS stark verändert. Es ist in der Mitte gespalten, mehrfach chemisch modifiziert und liegt statt wie normal im Zellkern nun im Zellleib vor, wo es letztlich die pathologischen Einschlüsse ausJuli

04

bildet. Zunächst wird im Vordergrund stehen, die Funktionen von TDP-43 im gesunden Körper zu entschlüsseln. Es gibt nämlich Hinweise, dass das Protein wichtig für die Verarbeitung von mRNA sein könnte. RNA ist eine dem Erbmolekül verwandte Nukleinsäure und trägt in der Form von mRNA genetische Information vom Zellkern in den Zellleib, wo diese in Proteine umgesetzt wird. „Es ist möglich, dass die Umverteilung von TDPQuerschnitte durch den Ischiasnerv mit dem EM betrachtet (je 4 Beispiele). Links die Kontrolle mit BACE, rechts der BACE knock out. Zu sehen sind die Axone mit

43 in den Zellleib zu einer Störung in der mRNAVerarbeitung führt“, meint Manuela Neumann.

den (schwarzen) „Myelinringen“. Diese sind beim BACE

„Wir wollen nun untersuchen, warum es zu der

knock out stark reduziert, oder fehlen ganz.

falschen Lokalisation des Proteins in den Nervenzellen kommt, welche mRNAs mit Hilfe von TDP43 im Gehirn verarbeitet werden, und ob TDP-43

im Zellleib auf irgendeine Weise toxisch für die Zelle wirken könnte. Auf jeden Fall aber hat die Identifizierung von TDP-43 ein komplett neues Feld auf dem Gebiet der neurodegenerativen Erkrankungen eröffnet – auch weil wir vermuten, dass das Protein bei mehreren dieser Leiden beteiligt ist.“

Prof. Dr. Christian Haaß ist seit 1999 Lehrstuhlinhaber für Stoffwechselbiochemie am Adolf-Butenandt-Institut der LMU. 2002 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. [email protected] http://haass.web.med.uni-muenchen.de/index.html

Prof. Dr. Jochen Herms ist seit 2001 Professor und Oberarzt am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung der LMU. [email protected] http://www.znp-muenchen.de/inp/index.htm

Prof. Dr. Hans A. Kretzschmar ist seit 2000 Professor für Neuropathologie an der LMU. Er ist Direktor am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung. [email protected] http://www.znp-muenchen.de/inp/index.htm

PD Dr. Manuela Neumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung. [email protected] http://www.znp-muenchen.de/inp/index.htm

Juli

05

Suggest Documents