d i e H e i m l e i t e r i n

Haben Sie einen Augenblick Zeit? Dann lade ich sie herzlich ein, mit mir eine kleine Zeitreise zu unternehmen. 1985 Vielleicht trug man sie damals, d...
Author: Regina Geier
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Haben Sie einen Augenblick Zeit? Dann lade ich sie herzlich ein, mit mir eine kleine Zeitreise zu unternehmen.

1985 Vielleicht trug man sie damals, die schweren, dickrandigen, grossgläsrigen Brillen - weil uns die Welt noch gross und rätselhaft schien und der Ausblick auf unser Leben noch alle Wünsche und Hoffnungen offen liess. Hauswirtschaftslehrerin lernte ich, weil mir meine Schwester beim Stricken lernen den Wunsch, Handarbeitslehrerin zu werden, vergraulte. Nie wollte ich mich mit so ungeduldigen, ungeschickten und quengligen Schülerinnen abmühen…! Essen und damit wohl auch kochen, dachte ich, tun ja alle gern – ich war ja das lebende Beispiel dafür. Ich entsprang mit meiner Langhaardauerwelle dem neusten Modeheft und hatte nach dem letzten Blick in den

Spiegel beschlossen, den überschüssigen Pfunden wieder einmal den Kampf anzusagen. In meinem gewählten Beruf hatte ich mir die ersten Sporen abverdient und war bereit für eine neue Herausforderung. Ich erinnere mich an meine Probelektion, die so schlecht wohl nicht gewesen sein konnte – auf jeden Fall zog ich im April 1985 stolz und mit einem neuen Arbeitsvertrag in der Hand in die Stadt.

Die Jahre 85 – 90 erlebte ich als junge Lehrerin, die vor viele neue Herausforderungen gestellt wurde. Das Klientel der Volksschule unterschied sich wesentlich von der „Art“ meiner neuen Schülerinnen. Hatte ich es während meiner vorangegangenen zweijährigen Lehrtätigkeit mit Bezirks-, Sekundarund Realschülerinnen zu tun, stellte mich die Arbeit mit den lernbehinderten jungen Frauen auf eine neue Probe. Es galt, den Unterrichtsinhalt immer wieder herunter zu brechen und mich ihrem Lerntempo anpassen. Disziplinarische Schwierigkeiten gab es eher selten, aber wenn, dann heftig. Alles in allem – die neue Herausforderung gefiel mir sehr, auch wenn Küche und Theorieraum einiges an Wünschen offen liessen.

H ei m l e i t e r i n

Zeitreise im Miniformat

d i e

Augen-Blicke

Durch die Erinnerungen streifend, stöbere ich in den Jahresberichten der letzten 20 Jahre: Im Jahresbericht von 1987 finde ich nicht zum ersten Mal Hinweise auf die unzureichenden baulichen Gegebenheiten. In einem Stiftungsratsprotokoll vom Mai 1983 wird in Betracht gezogen, nebst der Unterteilung der grossen “Mädchenschlafzimmer“ einen Schulpavillon mit Schulküche und Hauswirtschaftsraum an Stelle des Gärtnerhauses zu errichten. Meine Vorgängerin schrieb 1987:

….Dabei wurde ich immer wieder damit konfrontiert, dass unsere Schulküche sowie die Wäscheeinrichtungen in keiner Weise mehr den Anforderungen des heutigen Unterrichts und der Arbeitsraumqualität entsprechen. Im Vergleich mit anderen Schulen können wir nicht mehr Schritt halten. Kaum werden sich bei allfälligem Stellenwechsel Lehrerinnen finden, die bereit sind, in den feuchten, den heutigen Unterrichtsbedingungen nicht mehr entsprechenden Räumen zu arbeiten. Eine Sanierung dieser für eine Haushaltungsschule wesentlichen Unterrichtsräume ist dringend. Im selben Bericht fällt mir ein neues Thema auf. Erstmals wird prägnant auf die neue Auseinadersetzung mit psychischen Störungen hingewiesen: Im

April 1987 traten 10 neue Schülerinnen bei uns ein. Eine davon wurde, ihrer periodisch auftretenden psychischen Störungen wegen, versuchsweise aufgenommen. Bereits vor den Sommerferien traten erstmals manische Zustände auf, die einen mehrwöchigen Klinikaufenthalt zur Folge hatten. Nach ihrer Entlassung setzte sie ihre Ausbildung fort. Obgleich sie recht gute Phasen hatte, konnte sie das erste Schuljahr nicht bis zum Ende durchhalten. ….Die Mitarbeiterinnen nahmen an einer Weiterbildung teil, wo über POS und seine Erscheinungsformen referierte und an Fallbeispielen aufgezeigt wurde, wie diese aufzufangen sind.

1989 – mehr davon: Zwei Schülerinnen des 2. Kurses werden psychiatrisch begleitet, da frühkindliche Traumas neurotische Störungen zur Folge haben, die ihnen in ihrer Entwicklung sehr zu schaffen machen. Aber auch die übrigen Mädchen zeigen uns deutlich, dass wir uns vermehrt mit Problemen von psychisch gestörten Menschen auseinanderzusetzen haben, deren Eltern oft überfordert sind mit der Tatsache, eine lernbehinderte, leicht hirnorganisch geschädigte Tochter zu haben.

Neben dem Dank an die Mitarbeitenden geht dieser in diesem Bericht auch an alle interessierten Menschen. Diese werden als wesentlich Stütze bei den “vielfältigen, sich stets neu konstellierenden Problemen und Aufträgen“ bezeichnet. Ebenfalls 1989 finden sich Hinweise auf die damalige Arbeitsstellensituation: Bis zum 30. April konnten bereits

für fünf von acht austretenden Schülerinnen eine geeignete Arbeitsstelle gefunden werden. Da das Langschuljahr erst am 22. Juli 1989 zu Ende geht, sind Verhandlungen und Schnupperlehren für drei Schülerinnen noch nicht abgeschlossen. Doch auch da hoffen wir bald auf positiven Bescheid. Noch 1990 schien der Arbeitsmarkt für weiterführende Ausbildungen Möglichkeiten zu bieten. Arbeitsstellen aber wurden für die Abgängerinnen der Hohenlinden langsam rarer:

….Einige mussten ihre Berufswünsche begraben und ihre Ansprüche an ihren zukünftigen Arbeitsplatz herunterschrauben – was für die Betroffenen

immer sehr schwer ist. Andere dagegen haben wider Erwarten eine Lehroder Anlehrstelle gefunden. Dabei profitieren sie sicher auch von der momentanen Lehrlingsknappheit. Trotzdem haben vier Wochen vor Ausbildungsende vier Schülerinnen noch keinen definitiven Arbeitsplatz.

rung absehbar ist. Dass der Weg bis

zur Umsetzung des Bauvorhabens doch noch weit sein sollte, ahnten wir damals noch nicht……

1990 wurden die intern verbrachten Wochenenden abgeschafft. Als Beweggründe wurde Folgendes aufgeführt: • • •

• • •

weitgehender Wunsch der Eltern Gleichschaltung mit verwandten Heimen und Schulen ungenügende Freizeitmöglichkeiten im Raume Solothurn, vorab bei schlechter Witterung und im Winter zeitgemässere Anstellungsbedingungen für neue Mitarbeiterinnen Entlastung der Mitarbeiterinnen wirtschaftliche Gründe

1990 war zudem für mich persönlich ein ganz besonderes Jahr. Nach fünfeinhalb jähriger Tätigkeit als Hauswirtschaftslehrerin durfte ich nach den Sommerferien die Nachfolge der Heimleiterin antreten. Damit sollte für mich eine ganz neue Ära beginnen. Die neue Aufgabe versprach eine grosse neue Herausforderung, die ich gerne annahm – ein Entscheid, den ich bis heute nie bereut habe!

Zum Fortschritt der Technik: Im Jahre 1991 wurde in der Hohenliden der erste Computer angeschafft, was damals mit Programmen und Drucker Fr. 12'000.- kostete…….. 1992 schienen die seit langer Zeit erkannten nötigen Sanierungsmassnahmen wieder spruchreif zu werden:

Mit Freude sehen wir den geplanten Umbauarbeiten entgegen, und stellen dankbar fest, dass deren Notwendigkeit erkannt worden und eine Realisie-

1990 wurde noch auf die Lehrlingsknappheit hingewiesen, die Knappheit aber an Ausbildungs – und Arbeitsplätzen nahm stetig zu. Im Bericht 1994 ist zu lesen: Die wirtschaftliche Lage

sowie die stets höher werdenden Anforderungen für Arbeits- und Lehrplätze sind mit Sicherheit Grund für die rege Nachfrage an Ausbildungsplätzen. Viele Schulabgängerinnen sind der physischen und psychischen Belastung der Arbeitswelt (noch) nicht gewachsen. Stress und Leistungsdruck sowie der Konkurrenzkampf sind gross. Ihre teilweise eingeschränkte Auffassungsgabe, noch ungeübte Fähigkeiten, mangelhaftes Umsetzungsvermögen sowie die psychische Belastung – geprägt durch ihre „Geschichte“ – erschweren ihnen den Einstieg ins Erwerbsleben. Ebenso erschwert die wirtschaftliche Lage die Eingliederung nach der Ausbildung unserer Schule. Bis es zu einer erfolgreichen Stellensuche kommt, brauchen die Schülerinnen oft einen langen Atem. Weitere Jahre waren vergangen, als es 1997 mit dem Umbau plötzlich schnell vorwärts ging. Mit dem positiven Entscheid des Bundesamtes mussten schnellstens Räumlichkeiten gesucht werden, in denen die Ausbildung über die Umbauzeit weitergeführt werden konnte. Glücklicherweise bot sich das ehemalige Knabenheim in Oberbipp als ideale Übergangslösung an. 1998 war ohne Zweifel ein bewegtes Jahr. Kaum hatten die Neujahrsglocken ausgeläutet, fuhren endlich die lang ersehnten Bagger und Baumaschinen

vor. Der von langer Hand geplante Um- und Erweiterungsbau der Hohenlinden begann Wirklichkeit zu werden. Mit den vorankommenden Bauarbeiten begannen auch die Vorbreitungsarbeiten für das geplante Einweihungsfest. Durch die fleissig erscheinenden Zeitungsberichte war der Bekanntheitsgrad der Hohenlinden schlagartig gestiegen. Dies bewirkte, dass sich viele Vereine und Personen bereit erklärten, an der Planung des Festes mitzuarbeiten. Im Zuge der baulichen Erneuerung dachte man vermehrt auch über konzeptuelle Anpassungen und Veränderungen nach. Viele Ideen waren noch nicht spruchreif, doch eine wesentliche konnte 1998 realisiert werden: Aus „Haushaltungsschule Hohenlinden“ wurde „Hohenlinden, Hauswirtschaftliche Ausbildungsstätte“, aus „Schülerinnen“ wurden „Lehrtöchter, aus den „Mädchen“ „junge Frauen“. Im selben Jahr entstand in Zusammenarbeit mit dem Stiftungsrat unser Leitbild, das die Eckpfeiler unserer Institution zementieren sollte und noch heute in ähnlicher Form seine Gültigkeit hat. Nach 1½-jähriger Aussiedlungszeit in Oberbipp zogen wir 1999 in die neuen Räumlichkeiten der Hohenlinden zurück. Noch heute gibt es immer wieder Augenblicke in denen wir gerne in die Zeit im Knabenheim zurückblicken. In der Zwischenzeit jedoch, wurden die Gebäude dort dem Erdboden gleich gemacht. Aus den Einweihungsfeierlichkeiten wurde ein Fest, wie es die Hohenlinden noch nie gesehen hatte und mit der Aufführung des Musicals „Dracula“ seinen Höhepunkt erfuhr. Die neuen Infrastrukturen gaben Anlass sich über strukturelle Veränderungen Gedanken zu machen. Zudem bemerkten wir die immer rascher zunehmende Veränderung unseres Klientels welches nebst der Lernschwäche inzwischen sehr oft auch psychische und psychosoziale Defizite anzeigte. Die klare Trennung zwischen Arbeits- und

Freizeit, realitätsbezogene Arbeitsfelder und neue Arbeitstechniken sollten unser neues Ausbildungskonzept im Wesentlichen bestimmen. Ausgerechnet das Millenniumsjahr 2000, welches im Vorfeld für so viel Furore sorgte, schien für uns ein unspektakuläres und „alltägliches“ Jahr zu werden. Nach den bewegenden Ereignissen der Vorjahre war es eher die Kleinarbeit an den Strukturen, die uns alle beschäftigte. Es ging darum, das Geschaffene zu konsolidieren und wieder in einen geordneten Rhythmus überzugehen. 2001 - So wie der 11. September der Welt verdeutlichte, wie weit wir vom Weltfrieden entfernt sind, so deutlich zeigte es sich uns auch, wie weit der Weg zum Frieden in unserer eignen kleinen Welt ist. Wir glaubten eine Zunahme an Gewaltpotenzial auch in unseren eigenen Wänden zu spüren und sahen uns gezwungen, uns mehr als je zuvor mit Streitigkeiten und Missgunst auseinander zu setzen. In dieser Auseinandersetzung suchten wir nach Lösungen und Modellen, die das Zusammenleben erleichtern und die Selbstverantwortung der Lehrtöchter fördern und fordern sollte. Aus dieser Idee heraus wurde das „Bonus-MalusSystem“ - ein besonderes Belohnungssystem - sowie die erste Aussenwohngruppe geboren. Beide Neuerungen haben soweit positiv Fuss gefasst, dass sie im Laufe der Zeit ausgebaut wurden und heute noch Bestand haben. Das Jubiläumsjahr 2002 war für alle Mitarbeitenden und die Lehrtöchter ein prägendes Erlebnis und ein Jahr in dem alle viel über das Zusammenarbeiten, über Toleranz und Rücksichtsnahme, über die Ansteckungskraft der Begeisterung und über Motivation gelernt haben. Das Jubiläum, das seinen Höhepunkt in der Aufführung des Musicals „Mahlzeit“ erfuhr, blieb uns allen ein prägendes Zusammenspiel von Augenblicken die uns unvergesslich blieben.

Gesamtschweizerisch kam erstmals die Überarbeitung des bestehenden Berufsbildungsgesetzes zur Sprache, welche die Verbände und Organisationen der Berufsbildung stark beschäftigte. INSOS (Dachverband von Einrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderungen) richtete den Blick vor allem auf die vorgesehen Veränderung in den bestehenden Anlehren. Er verfolgte die Meinung, dass das neue Berufsbildungsgesetz die speziellen Eigenschaften und Bedürfnisse der Menschen mit Einschränkungen weiterhin berücksichtigen müsse. 2003 - Selbständig und eigenverantwortlich werden ist ein Ziel, dem die Hohenlinden in der Ausbildung nachlebt. Erwachsenwerden hat seinen Preis und ist gleichzeitig mit vielen Freuden und Reizen, aber auch mit Ängsten und Rückschlägen verbunden. Die Aussenwohngruppen haben unterdessen ihre zweijährige Bewährungsfrist abschlossen. Dort erhalten die Lehrtöchter die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten, aber auch ihre Grenzen zu erfahren. Veränderung ist nicht nur für die Lehrtöchter, sondern auch für uns als Institution angesagt. Stete und rasche Veränderungen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und im sozialen Umgang stellen uns vor neue Probleme. Der Arbeitsmarkt wird zunehmend (noch) enger, die Anforderungen an die Arbeitnehmenden grösser. 2004 - Die angespannte Wirtschaftslage hält an. Für viele unserer Lehrtöchter wird es immer schwieriger, dem Druck und den Anforderungen der Berufswelt stand zu halten. Immer öfters müssen sie sich von ihren Wunschträumen verabschieden und jede Gelegenheit auf einen Arbeitsplatz wahrnehmen. Verstärkt werden die schwindenden Arbeitschancen durch das neue Berufbildungsgesetz, welches per 1.1.04 in Kraft gesetzt wurde. Das Gesetz regelt die unterschwellige Ausbildung wie folgt: Die bewährte Anlehre wird aufgelöst und durch die neue zweijährige Grundbildung mit Attest abgelöst. Aus der Arbeit an der neuen

Bildungsverordnung ist abzuleiten, dass die Anforderungen für die neue Ausbildung steigen werden und einige der heutigen Anlehrlinge künftig aus der Ausbildung ausgeschlossen werden. 2005 175’200 Stunden 10'512’000 Minuten 630’720'000 Sekunden oder Milliarden Augenblicke nach meinem Arbeitsbeginn in der Hohenlinden. Natürlich erlaubte mir die kurze Zeitreise nur ein Durchrasen mit dem Intercity und einen kurzen Blick in einige Abteile. Mein Streifzug blieb nur auf einzelne Themen gerichtet. So wurden in den ersten Jahren die baulichen Umstände immer wieder als unzureichend beschrieben. Bis zum erfolgreichen Abschluss der Sanierungs- und Umbauarbeiten vergingen Jahre, jeglicher Einsatz hat sich aber hundertfach gelohnt. Heute können wir uns kaum mehr vorstellen, wie es möglich war, in den „alten“ baulichen Gegebenheiten den Anforderungen an eine fachgerechte Ausbildung nachzukommen. Die Platzverhältnisse und infrastrukturellen Anpassungen geben uns heute die Möglichkeit in allen Bereichen der Hauswirtschaft eine praxisorientierte Ausbildung anzubieten. Der Neubau des Stöcklis gibt uns zudem multifunktionale Ausweichmöglichkeiten. Auch die Schaffung von Aussenwohngruppen eröffnete neue Chancen. Das Platzangebot konnte erweitert werden, im Üben und Erlernen von Selbständigkeit wurden neue Ziele angestrebt und erreicht. Im Weiteren möchte ich den Fokus auf folgende Themenbereiche richten: erhöhte Anforderungen in der Berufsbildung Arbeitsmarktsituation verändertes Klientel

weiterhin blickdicht

Schon in zwei Jahresberichten informierte ich über die Veränderungen in der Berufsbildungslandschaft Schweiz. Mit dem neuen Berufbildungsgesetzt, welches per 1.1.04 in Kraft trat, wurden die Anlehren, wie sie bei uns in der Hauswirtschaft angeboten wurden, abgeschafft. Neu spricht man nicht mehr von Lehr- und Anlehrverhältnissen, sondern generell von „Beruflicher Grundbildung“. 3- und 4-jährige Ausbildungen schliessen mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, 2-jährige mit einem Attest ab. Auch im Berichtsjahr arbeiteten wir in einer Arbeitsgruppe von „Hauswirtschaft Schweiz“ an der Bildungsverordnung und dem dazugehörigen Leistungszielkatalog. Die in einer aus verschiedenen Interessensvertretern zusammen gesetzten Arbeitsgruppe erarbeiteten Unterlagen gelangten im September zur Vernehmlassung und wurden mit nur geringfügigen Änderungen per 1.1.06 in Kraft gesetzt. Die neue Bildungsverordnung über die Attestausbildung zur „Hauswirtschaftspraktikerin“ macht Angaben über die Dauer der Ausbildung, die Ziele und Anforderungen, Ausbildungsinhalte, die Anforderungen an die Lehrbetriebe, die Beschulung und das Qualifikationsverfahren. Sie wird durch den Bildungsplan ergänzt. Die neue Bildungsverordnung macht deutlich, dass das Niveau der neuen Ausbildung gegenüber der bisherigen Anlehre erheblich höher ist. Die Bemühungen der Ausbildungsinstitutionen, die Ausbildung für möglichst viele Menschen mit Einschränkungen offen zu halten sind nur zum Teil gelungen. Mit Sicherheit wird es nicht mehr allen bisherigen Anlehranwärterinnen mög-

lich sein, eine Attestausbildung abzuschliessen. Über die Umsetzung der neuen Verordnung tappt man teilweise noch im Dunkeln. Ebenfalls ist noch unklar, ob und wie sich das Klientel in den Ausbildungsstätten verändern wird. Fraglich bleibt auch, welche Jugendlichen die IV künftig in unsere Institutionen zur Ausbildung schickt. Eine Arbeitsgruppe von INSOS ist daran, die bisherige IVAnlehre zu überdenken und analog der Bildungsverordnung der Attestausbildung zu strukturieren. Die IV-Anlehre soll neu „berufspraktische Ausbildung“ heissen und für jene Jugendlichen sein, denen eine Attestausbildung nicht möglich ist. ein Blick in die Arbeitswelt Nicht nur in der Ausbildung, auch auf dem Arbeitsmarkt werden die Ansprüche immer höher. Die Stellen sind knapp und lassen – wie wir im letzten Jahresbericht lesen konnten – für Wünsche unserer Lehrtöchter kaum mehr Platz. Die Anstrengungen für die Arbeitsplatzsuche werden immer grösser, die Erfolgchancen kleiner. Als IVBezügerinnen müssen unserer Lehrtöchter auch durch die missliche Lage der Sozialversicherung verunsichert sein. Neuer Grundsatz „Arbeit ist besser als Rente“ Bei der IV kommen jeden Tag 4 Mio. Franken neue Schulden dazu Erschreckende Zunahme psychischer Krankheiten macht uns grosse Sorge Wir müssen die neuen IV- Instrumente auf ihre Tauglichkeit überprüfen

Schlagzeilen wie diese erreichen uns täglich. Früherfassung! Scheininvalide! Mehr Integration, erschwerter Zugang zu Renten! Interinstitutionelle Zusammenarbeit! Dass sich unser Sozialwesen in einer kritischen Situation befindet und Veränderungen Not tun, scheint klar. Aber

in welche Richtung sollen die Veränderungen gehen? Welche Grundsätze stellen sich, wenn es um eine Neuausrichtung der sozialen Sicherheit geht? Was sind die Konsequenzen für die Betroffenen, für die Institutionen? trüber Blick Was uns im Berichtsjahr am meisten beschäftigte waren unsere Lehrtöchter, die Art und Weise wie sie miteinander umgingen, die fehlende Wertschätzung Mitmenschen und Materiellem gegenüber. In der gedanklichen Reise durch die vergangenen Jahre erscheinen immer wieder Bilder und Erinnerungen an „schwierige“ Lehrtöchter, doch scheint diesmal die Dichtheit der auffälligen Verhaltensformen das bisher Erlebte zu übersteigen. Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre hatten wir Instrumente entwickelt, die durchaus anwendbar und auch erfolgreich waren, doch stellten uns die neuen Lehrtöchter vor neue Herausforderungen. Für die Missachtung von Regeln hatten wir unsere Sanktionen - Sanktionen, die die Lehrtöchter im Voraus kannten und in Eigenverantwortung in Kauf nahmen. Viel schwieriger aber war und ist es für uns, mit den verbreiteten Streitereien und misslichen Umgangsformen untereinander umzugehen. Für viele scheint Respekt und Wertschätzung ein Fremdwort geworden zu sein. Beim Blick über den Gartenzaun merken wir schnell, dass sich das Problem nicht auf unsere eigenen vier Wände beschränkt. Schlagwörter und Zeitungsartikel wie auf offener Strasse verhauen Schule wird polizeilich überwacht! Gewalt eskaliert – Lehrer überfordert Streiten will gelernt sein. Jetzt bietet die erste Schweizer Streitschule Erste Hilfe an Kleine Friedensstifter – Schüler schlichten Reibereien auf dem Pausenplatz gleich selber. Das Peace-Maker-Konzept bewährt sich.

Schuluniform – die Lösung? Die Schule ist ein Arbeitsort und nicht ein Ort der Freizeit

sind täglich zu hören und zu lesen. Sie zeigen auf, dass mangelndes Sozialverhalten ein Thema ist, das die ganze Gesellschaft betrifft und beschäftigt. Die Gewaltbereitschaft hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, die Hemmschwelle ist gesunken. Auch wenn unter unseren Lehrtöchtern die Fäuste kaum gebraucht werden, finden Überschreitungen in Worten, Gesten und Blicken fast täglich statt. Die Konstellation einer Gruppe ist dabei sehr entscheidend, ungleiche Machtverhältnisse wirken sich aus – leider oft negativ. Die jungen Frauen kommen in einem Alter zu uns, in dem die Prägung von Elternhaus, Kollegenkreis und Schule Spuren hinterlassen hat. Wir stellen fest, dass die soziale Schicht in der eine junge Frau aufgewachsen ist, ihr Verhalten wesentlich mitprägt, die erlebte Schulsituation, der Freundeskreis, die kognitiven Fähigkeiten und psychische Stabilität die Umgangsformen der jeweiligen Person aber mindestens ebenso bedeutend beeinflusst. Fazit All die Veränderungen sind nicht von heute auf morgen eingetreten. Wie der Exkurs in die Vergangenheit zeigt, wurden alle Themen schon in früheren Jahren aufgegriffen. Dies zeigt, dass die als Veränderungen wahrgenommenen Probleme nicht neu sind, wir sie aufgrund der allgemein zunehmenden Anforderungen aber anders wahrnehmen. Die Tatsachen, die irgendwann in den vergangenen 20 Jahren erstmals als Probleme auftauchten, haben sich „entwickelt“ und zwar in einem Tempo, mit dem immer schwerer Schritt zu halten ist. Es sind keine Probleme, die sich mit der Umsetzung irgendeiner guten Idee so einfach aus der Welt schaffen lassen. Sie sind komplex und diffus, zwingen uns aber, in unserem

kleinen Handlungsspielraum auf deren Auswirkungen zu reagieren. Die Anforderung, die an unser pädagogisches Geschick gestellt werden, wird immer grösser, die Grenze zur Überforderung ist manchmal nah. Während 1987 die Aufnahme einer Lehrtochter mit psychischen Störungen es noch Wert war, im Jahresbericht speziell erwähnt zu werden, bringen heute schon mindestens dreiviertel aller Lehrtöchter therapeutische Erfahrung mit in die Ausbildung. Die Werteorientierung, welche wesentliche Elemente der menschlichen Psyche bezeichnet, die festlegen, was im Leben wichtig und anstrebbar ist, hat ihre Richtung geändert. Respekt vor dem Mitmenschen, Wertschätzung, Anpassung und Leistung geraten in Konkurrenz mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung und Genuss am Leben. Egozentrisches Handeln und Denken fasst um sich, jeder Mensch ist sich am nächsten. Streit hat keine Kultur mehr, ein falsches Wort, ein falscher oder fehlender Blick wird schnell zur Kriegserklärung. Das soziale Verhalten erfährt immer mehr Störungen, welche das Zusammenleben – und Zusammenarbeiten - erschweren. Im Gegenzug entwickeln sich sowohl die Berufsbildung wie auch die Anforderungen der Arbeitsplätze auf ein Niveau, auf dem unsere jungen Frauen mit ihren persönlichen Einschränkungen kaum mehr mithalten können. Der Leistungsdruck überfordert das Tempo und blockiert das Vorankommen. Misserfolge und Unzulänglichkeiten lassen Zweifel an der eigenen Person aufkommen und die Motivation auf die Abwärtskurve bringen. Die Schere zwischen IST und SOLL wird immer grösser. Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft entspricht nicht mehr dem was an Leistung gefordert ist. Erfolg ist oft zum Scheitern verurteilt. Wie sind diese Veränderungen aufzuhalten oder mindestens in ihrem Tempo zu bremsen? Eine Frage die schwierig zu beantworten ist, sind wir als

AusbildnerInnen, Erziehende, Arbeitnehmende, aber auch als Menschen doch im gleichen Sog. Die Zeit inne zu halten fehlt oft, Ansprüche und Belastungen steigen, die Belastbarkeit sinkt. Ich bin mehr denn je überzeugt von der Notwendigkeit von Ausbildungsinstitutionen wie die Hohenlinden es ist. Ich denke, im Kontext mit den erwähnten Schwierigkeiten ist, nebst der beruflichen Ausbildung, die Wichtigkeit der „Lebensschulung“ nicht zu unterschätzen. Die Chance auf einen Arbeitsplatz scheitert bei unseren Jugendlichen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit sehr oft an ihrem Auftreten und Verhalten. Ich meine aber auch, dass wir nicht müde werden dürfen, immer wieder nach neuen Formen und Möglichkeiten zu suchen, wie wir mit den uns gestellten Schwierigkeiten umgehen und unsere Ziele erreichen können. Wir können die Gesellschaft nicht auswechseln – es gibt keine andere. Wir müssen aber versuchen die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass wir dem Einzelnen und somit letztlich der Gesellschaft etwas Gutes tun. Wie? Wir befinden uns in einer Zeit vieler offener Fragen. Ich möchte mich bei der Suche auf mögliche Antworten mitbeteiligen, Ideen und Visionen einfliessen lassen. Ich meine, das müssen wir auch als Institution, zusammen mit andern Institutionen und Entscheidungsträgern tun. Wir dürfen nicht nur im Augenblick leben und andern das Weichenstellen überlassen. In diesem Sinne ist es nötig, in den kommenden Jahren die Veränderungen auf allen Ebenen mit offenen Augen wahrzunehmen und nach Antworten zu suchen. Zurück zum Jahr 2005 – das Wichtigste aus der Vogelperspektive Januar – Mit dem Ziel im Juni 2006 ein neues Musical-Projekt zur Aufführung zu bringen, traf sich das OK im Januar erstmals zu einer Sitzung. Das OK besteht aus Mitarbeitenden der Hohenlinden

sowie VertreterInnen aus Stiftungsrat und Vereinsvorstand. Als Projekt-Stück wurde Grease, das Kult-Musical der 50er-Jahre gewählt. Februar – der sichere Blick Im neuen Konzept „Sexuelle Übergriffe – Prävention und Intervention“ ist verankert, dass den Lehrtöchtern zur Stärkung der Selbstsicherheit jährlich ein Wen-Do Kurs angeboten wird. Die Stärkung des Selbstbewusstseins der Jugendlichen ist in der Prävention von zentraler Bedeutung. Im Rahmen der individuellen Begleitung, aber auch in der Gestaltung des pädagogischen Alltags werden die nötigen Massnahmen zu dessen Förderung getroffen. März –neuer Blickfang Mit der Einweihung des neuen Stöcklis im März 2005 gelangte eine neue Bauetappe zum Abschluss. Auf den Grundmauern des alten Gärtnerhäuschens thront seit letztem Jahr ein modernes Gebäude. Der schlicht wirkende Bau besteht aus einem grossen, unterteilbaren und multifunktionalen Raum. Die grosse Fensterfront gibt einen herrlichen Ausblick auf Solothurn und Umgebung, bei klarem Wetter gibt sie den Blick gar bis in die weiten Alpen frei. April – Schlitzaugen Mit einem asiatischen Buffet und NINA DIMITRI – wurde ich zu meinem 20-jährigen Jubiläum überrascht. An dieser Stelle möchte ich all meinen Mitarbeitenden und dem Stiftungsrat nochmals ganz herzlich für die grosse Überraschung und den wunderbaren Abend danken! Mai – Blicke frei So luden wir auch im Berichtsjahr alle Interessierten und Freunde zu einem „Tag der offenen Türe“ ein. Der Anblick des reichhaltigen Brunchbuffets war verführerisch und lud zum

Verweilen ein. Zum Abschluss und als Höhepunkt fand in der Kirche St. Niklaus ein irisches Konzert statt. Die Irish Folk Group Cronan Special - unter der Leitung von Sandra Rupp Fischer verstand es hervorragend, die musikalischen Beiträge unserer Lehrtöchter in ihre Stücke einzubinden, so dass ein begeisterndes Profi-Konzert entstand! Juni – Kontrollblick Kontrollierenden Blicken waren die Prüflinge ausgesetzt. Bei einer halbtägigen praktischen Arbeit mussten die abschliessenden Lehrtöchter das Gelernte unter Beweis stellen und ihre Arbeit prüfenden Blicken überlassen. Die Resultate waren mehrheitlich erfreulich. Juli – Weitblick Im Wissen um den Eintritt einer Lehrtochter mit epileptischen Anfällen, erweiterten wir unser Wissen um Epilepsie an einer Teamweiterbildung. Der ausserordentlich gute und interessante Tag wurde von einem Beauftragten der Epiklinik Zürich geleitet. Die Schlussfeier stand unter dem Motto „nur fliegen ist schöner“ und lud die Gäste zu einem letzten „Flug“ mit den austretenden Lehrtöchtern ein. Nach rund 127'020 Flugstunden oder fast 14 1/2 Jahren landete auch Martin Wüst sein Flugzeug für die Hohenlinden zum letzten Mal. Er war als erster männlicher Mitarbeiter der Hohenlinden Pionier und Wegbereiter für seine Kollegen und seinen Nachfolger. August – nasser Blick Am 8. August starteten 12 Lehrtöchter neu mit der Ausbildung. Nicht allen fiel der Abschied von ihren Eltern so einfach, da und dort wurden nasse Abschiedsblicke ausgetauscht….. Genau in die „Hochwasserwoche“ fiel unsere Projektwoche, in der wir im Seeland unterwegs waren. Zum Glück war dieses Gebiet weniger betroffen als andere Landesteile, so dass wir einigermassen trockenen Fusses durch

die Woche kamen. Die Tage gaben neben thematischen Inputs wiederum die Möglichkeit, unsere neuen Lehrtöchter näher kennen zu lernen. September – der Blick über den Gartenhag Der alljährliche Ausflug mit den Mitarbeitenden, dem Stiftungsrat und dem Vereinsvorstand führte uns dieses Jahr ins Bad Heustrich und später ins Rüttihubelbad. Der Tag gab uns interessante Einblicke und viele neue Gedankenanstösse. Oktober – der Blick in die 50er Jahre Am Donnerstag, 27. Oktober war der Auftakt zum Musicalprojekt, welches uns über die nächsten 8 Monate begleiten soll. Das Stück, welches wir uns in der Originalfassung auf Leinwand anschauten, vermochte auch die, die 50er nicht erlebten, anzusprechen und die Vorfreude auf das mutige Vorhaben zu wecken. November - Silberblick Friedliche Stimmung am Adventstag. Bei leiser Weihnachtsmusik wurde gebastelt, gebacken, gemalt – die Resultate machen Freude, nicht nur den „Künstlerinnen“, auch den Beschenkten. Dezember – erwartungsvolle Blicke Ein Wunsch ging in Erfüllung! Schon oft aus der Ferne bewundert, fassten sich einige Lehrtöchter ein Herz und luden Chris von Rohr für einen Abend in die Hohenlinden ein. Die Überraschung über seine spontane Zusage war gross - die Spannung und Aufregung noch grösser! Noch Tage danach zeigten einige stolz die ergatterten Autogramme und schwärmten vom spassigen Abend.

Aufgrund der vielen zurückliegenden und kommenden Projekte einigten wir uns auf eine einfache Weihnachtsfeier. Dem winterlichen Einstieg im Wald folgte ein feines Weihnachtsessen an schön gedecktem Tisch. Ausgeläutet wurde der schöne Abend bei Musik und Weihnachtsgebäck - ums eingeheizte Cheminée liegend.

Augenblick mal…….,

…….bevor ich zum Schluss der kleinen Zeitreise komme, möchte ich es nicht unterlassen all jenen zu danken die ich in jedem Augenblick des vergangenen Jahres an meiner Seite wusste. Auch wenn in den letzten Jahren die Brillengläser allgemein kleiner und die Brillenrahmen dunkler geworden sind, hoffe ich, dass wir den Weitblick behalten und mit offenen Augen dem entgegen blicken was die Zeit uns bringt. Die Veränderungen der letzten zwanzig Jahre werden ihren weiteren Lauf nehmen – nur noch schneller, einschneidender, ist anzunehmen. Ich wünsche uns allen, meinen Mitarbeitenden, dem Stiftungsrat und Vereinsvorstand immer wieder Augenblicke des Innehaltens und der Musse, nicht das Leben mit Tagen, sondern die Tage mit Leben zu füllen. Zeit und Geduld verwandeln das Maulbeerblatt in Seide Solothurn, im März 2006 Brigitte Kober Heimleiterin