D – A – C H – M I T T E I L U N G S B L AT T ERDBEBENINGENIEURWESEN

UND

ISSN 1434–6591

BAUDYNAMIK

Eine gemeinsame Publikation von

EDITORIAL

DGEB

Die Nachfolgeveranstaltung der gemeinsamen D-A-CH – Tagung unserer drei Gesellschaften, die zuletzt im September 2005 in Köln unter dem Motto „Aktuelle Themen des Erdbebeningenieurwesens und der Baudynamik“ stattfand, wird zum gleichen Thema im September 2007 in Wien stattfinden – weitere Informationen dazu finden Sie auf den nächsten Seiten. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass das Inhaltsverzeichnis des Tagungsbandes der Kölner Tagung, der als DGEB-Publikation Nr. 13 vorliegt, unter „Aktuelles“ auf der DGEB- Homepage www.dgeb.org steht und der Tagungsband selbst zum Preis von 15,00 EUR (für Nichtmitglieder der drei Gesellschaften 20,00 EUR) per E-Mail bestellt werden kann: [email protected]. Im Juli 2006 besuchte eine Expertendelegation der DGEB unter Leitung von Dr. Wolfgang Brüstle die Stadt Yogyakarta in Indonesien, um in Zusammenarbeit mit der dortigen Gadjah-MadaUniversität die durch das Beben am 27. Mai 2006 entstandenen Schäden zu studieren. Es ist geplant, die Ergebnisse dieser Reise in Form einer DGEB – Mitteilung sowie in der „gelben Reihe“ der DGEB zu publizieren. Einige der bei diesem Besuch entstandenen Bilder sind auf der DGEB – Homepage zu sehen. Ebenfalls auf der DGEB – Homepage unter „Aktuelles“ stehen die Ankündigung und das Programm eines DIN-Seminars zur Anwendung der neuen DIN 4149, das am Freitag, 10. November in Freiburg stattfinden wird. Wie üblich erhalten DGEB – Mitglieder eine Preisermäßigung, die deutlich über dem Jahresbeitrag von 25,00 EUR liegt. In der Schweiz werden nach der Europäischen Erdbebenkonferenz in Genf zwei große Publikumsveranstaltungen zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Erdbebengefahr organisiert. Le Valais bouge – das Wallis bewegt sich – ist das Thema einer Ausstellung im Rahmen der Foire du Valais vom 29. September bis 8. Oktober 2006 in Martigny. Auf einem Rütteltisch kann der Besucher die Erdbebenbewegungen selbst erleben. www.crealp.ch/expo/. Am 18. Oktober 2006 findet in Basel eine Gedenkfeier zum 650. Jahrestag des Erdbebens von Basel im Jahre 1356 statt. Zum Schluss möchten wir Sie auch diesmal an die Internetseiten unserer Gesellschaften http://www.dgeb.org http://www.oge.or.at http://www.sgeb.ch erinnern und Sie dazu einladen, sich auf diesem Weg über die Arbeit der nationalen Gesellschaften zu informieren und eine Mitgliedschaft in Betracht zu ziehen.

Deutsche Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik www.dgeb.org

OGE Österreichische Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik www.oge.or.at

SGEB Schweizer Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik www.sgeb.ch

Inhalt Aufsätze Gefährdungskonsistente Erdbebenszenarien für das Gebiet von Deutschland

S2

Habenberger, J. Bodenverstärkung in der südlichen Niederrheinischen Bucht

S9

Weber, B.; Hinzen, K.-G.

Meldungen Ankündigung der D-A-CH-Tagung 2007 DGEB-Förderpreis 2006

S8 S 15

Konstantin Meskouris Rainer Flesch Thomas Wenk

Band 81, September 2006

S1

Konstantin Meskouris (Vorsitzender DGEB)

Rainer Flesch (Generalsekretär OGE)

Thomas Wenk (Vorsitzender SGEB)

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Gefährdungskonsistente Erdbebenszenarien für das Gebiet von Deutschland J. Habenberger

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1 Zusammenfassung Die Ermittlung von Erdbebeneinwirkungen mit probabilistischen Methoden beinhaltet die integrale Erfassung aller möglichen Erdbebenaktivitäten im Umfeld des betrachteten Standortes. Für die Berechnung von Bauwerken wird oftmals die Einwirkung in Form eines einzelnen Bemessungserdbebens benötigt. Diese Bebenszenarien werden bestimmt durch Magnitude, Entfernung und weitere mögliche Parameter. Sie können aus der Deaggregation des Gefährdungshintergrundes ermittelt werden. Für das Gebiet der BRD werden hier die mittleren Magnituden, Entfernungen und -Werte für zwei Frequenzen des Beschleunigungsantwortspektrums (10 und 1Hz) und zwei Wiederkehrperioden (475 und 1000 Jahre) bestimmt.

2 Einleitung Die Angabe der Erdbebeneinwirkung für die Berechnung von Bauwerken erfolgt vorwiegend in Form von Antwortspektren für die absolute Beschleunigung bei 5% Dämpfung. Die Antwortspektren werden in zunehmendem Maß mit einer probabilistischen seismischen Gefährdungsanalyse (PSHA) ermittelt. Die mittleren jährlichen Überschreitensraten vorgegebener Einwirkungen werden aus einer Integration über die Wahrscheinlichkeitsdichten möglicher Erdbeben im Zusammenhang mit der verwendeten Abnahmebeziehung im Umkreis des betrachteten Standortes ermittelt. Manchmal ist es aber auch erforderlich, einzelne Bemessungserdbeben für die Berechnung zur Verfügung zu haben.. Das ist z. B. für die Untersuchung zeitabhängigen Verhaltens, für komplexe Bauwerke, für Bauten, bei denen höhere Eigenformen von Bedeutung sind oder für Bauwerke mit hohem Risikopotential der Fall. Diese Bemessungserdbeben sollen ebenfalls dem notwendigen Gefährdungsniveau (z.B. 475– oder 1000-Jahreserdbeben) entsprechen Die Angabe einzelner Bemessungserdbeben widerspricht aber der o. g. Integration in der PSHA. Eine Möglichkeit Erdbebenszenarien zu ermitteln, bietet die Auswertung der einzelnen Beiträge von Magnitude, Entfernung und Abnahmebeziehung zu der mittleren jährlichen Überschreitensraten (Deaggregation des Gefährdungshintergrundes). Damit können mittlere bzw. modale Magnituden, Entfernungen und e-Werte bestimmt werden [1]. Die e-Werte geben den Abstand der vorgegebenen Erdbebeneinwirkung in Standardabweichungen vom Median der Abnah-

Jörg Habenberger Bauhaus-Universität Weimar [email protected] Tel.: 03643 582109

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Bild 1. Ausschnitt aus dem verwendeten Regionalisierungsmodell (nach [4]).

mebeziehung für die gegebene Magnitude und Entfernung an. Schwierigkeiten ein Bemessungsbeben festzulegen treten auf, wenn mehrere Quellregionen den Gefährdungshintergrund bestimmen [2,3]. Dann ist es sinnvoll mehrere Bemessungsbeben anzugeben [3]. Für das Gebiet der BRD werden die mittleren Magnituden, Entfernungen und -Werte bestimmt. Die Karten zeigen die Bebenszenarien für die Standorte und geben auch einen Einblick in die Zusammenhänge der PSHA.

3 Seismisches Modell und Abnahmebeziehung Als seismisches Regionalisierungsmodell wurde das Modell von Leydecker [4] verwendet und leicht abgeändert (Bild 1, u.a. Bergbauregionen). Als Magnituden-Häufigkeit-Beziehung wurde die Gutenberg-Richter-Gerade mit oberer und unterer Grenzmagnitude verwendet. Die Parameter der Magnituden-Häufigkeit-Beziehung wurden unter Verwendung der Erdbebenkataloge von Leydecker [5] und Grünthal/Wahlström [6] durchgeführt. Die obere Grenzmagnitude Mmax wurde mit der Methode von Kijko [7] abgeschätzt. Anhand von Simulationen konnte die Zuverlässigkeit der Methode von Kijko bestätigt werden. Die untere Magnitude wurde mit Mw=4.0 festgelegt. Zur Umrechnung der Magnitudenskalen (Mw, MS, ML) wurden die Beziehungen aus [8] verwendet. Auf Anfrage können vom Autor Einzelheiten zum verwendeten seismischen Regionalisierungsmodell zur Verfügung gestellt werden. Im Mitgliederbereich der DGEBHomepage werden ebenfalls Informationen zum seismischen Regionalisierungsmodell zum Download angeboten.

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Die Abnahmebeziehung ist das Kernstück der PSHA. Für deutsche Erdbebengebiete liegt bisher keine Abnahmebeziehung vor, die aus Aufzeichnungen an Standorten in der BRD ermittelt wurde. Für die spektralen Antwortbeschleunigungen wird die Dämpfungsrelation von Ambraseys u. a. verwendet [9]. Sie wurde aus europäischen Erdbebendaten bestimmt [13]. Eine alternative Beziehung für deutsche Erdbebengebiet bietet z.B. die Arbeit von Free u. a. [14]. Die Wahl der Abnahmebeziehung aus der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Relationen ist, insbesondere für Gebiete für die keine ausreichenden Aufzeichnungen vorhanden sind, immer mit einer gewissen Subjektivität bzw. Expertenmeinung verbunden. Eine Alternative dazu bietet die Simulation von Zeitverläufen Bild 2. Gefährdungskurven für den Standort bei 8.5°öL und 49°nB. mit stochastischen Methoden [12]). Die Abnahmebeziehung von Ambraseys u. a. hat die folgende Form (Sa in g):

Die Parameter C1 bis C3, h0, CA und CS sowie s sind in [9] angegeben. Der Logarithmus der spektralen Beschleunigungen Sa wird normalverteilt angenommen mit dem Mittelwert entsprechend der oben angegebenen Beziehung und mit der Standardabweichung s. Die Entfernung Rf ist die kürzeste Verbindung vom Standort zur Projektion der Verwerfung auf die Erdoberfläche in [km]. Die Bodenparameter CA und CS (steifer und weicher Boden in den oberen 20–30 m) werden in der weiteren Berechnung nicht verwendet, da nur Einwirkungen für Fels untersucht werden.

4 Berechnungsmethode Die Berechnung der seismischen Gefährdung erfolgte mit der Methode entwickelt von Cornell [10] und ausführlich beschrieben in Kramer [11]. Die Ermittlung der mittleren jährlichen Überschreitensraten l basiert auf dem Satz der totalen Wahrscheinlichkeiten und wird formelmäßig folgendermaßen beschrieben (siehe auch [3, 11]):

Die Dichtefunktionen für die Magnitude fM und die Entfernung fR ergeben sich aus der Magnituden-Häufigkeit-Beziehung bzw. dem Regionalisierungsmodell. Die Überschreitenswahrscheinlichkeit P der Erdbebengröße y in Abhängigkeit von m und r wird aus der Abnahmebeziehung ermittelt. Die Überschreitenswahrscheinlichkeit kann hinsichtlich der s-fachen Abstände vom Mittelwert aufgeschlüsselt werden, so dass sich die folgende Gleichung ergibt:

Die Dichtefunktion f berechnet sich aus der Standardnormalverteilung. P[Y>y|m,r,e] ist die Sprungfunktion mit 0 für log(Y)2, die sich in den Jahren 1600–2002 AD ereigneten [2]. Über die Farbe der Kreise wird die Zugehörigkeit der Beben zu den in der Legende gegebenen Epochen (historisch, frühinstrumentell, nach Einrichtung der BNS Station und nach Einrichtung eines lokalen Stationsnetzes) angezeigt. Das schwarze Rechteck umrandet das Untersuchungsgebiet.

Dipl.-Geol. Bernd Weber PD Dr. Klaus-G. Hinzen Abteilung Erdbebengeologie Universität zu Köln www. seismo.uni-koeln.de

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Tabelle 1. Datenumfang, der als Basis für das geologische 3-D Modell der südlichen Niederrheinischen Bucht dinete.

S 10 scher Schichten verwendet [10, 11]. Als digitales Höhenmodell dienten Höhendaten der Shuttle Radar Topography Mission (SRTM), die mit dem DGM50 abgeglichen wurden. Tabelle 1 enthält eine Übersicht zum Umfang der verwendeten geologischen Informationen. Die Profile des Hydrogeologischen Kartenwerks von Breddin [9] wurden anhand der zur Verfügung stehenden jüngeren zum Teil detailreicheren Informationen überarbeitet und für das gesamte Untersuchungsgebiet bis zur Festgesteinsoberkante erweitert. Bild 2 zeigt für eine Auswahl virtueller Bohrungen die Struktur des Untergrundes. Der generelle Sedimentaufbau der südlichen NB besteht aus einer quartären Kiesschicht an der Oberfläche (grün) und einer darunter liegenden Wechsellagerung von pliozänen Tonen und Kiesen (blau) auf die Wechsellagerungen von Sanden, Tonen und Braunkohlen der miozänen und oligozänen Oberflöz-, Hauptflöz- und Unterflözgruppe (rot bis gelb) folgen. Die Mächtigkeit der Braunkohlenflöze (schwarz) kann bis zu mehreren 10 Metern betragen. Westlich von Köln im Bereich der Ville weisen die Braunkohlen der Hauptflözgruppe sogar eine Gesamtmächtigkeit von bis zu 90 m auf. Die unmittelbar über dem Festgestein anstehenden Sedimente werden von Sanden, Tonen und Kiesen des unteren Oligozän (hellblau und lila) gebildet. Künstliche Aufschüttungen sind grau dargestellt. Die maximale Sedimentmächtigkeit im Modellraum beträgt 1 300 m und nimmt zu den Rändern hin bis auf 0 m ab. Grob

lässt sich die südliche NB in einen östlichen Teil mit Sedimentmächtigkeiten zwischen 200 m und 400 m, einen zentralen Teil mit Sediment-mächtigkeiten bis zu 1 300 m und einen westlichen Teil mit Mächtigkeiten bis zu 1 000 m gliedern. Die Bereiche sind durch nach Westen einfallende Störungen mit Abschiebungscharakter getrennt (Bild 3). Das Festgestein wird aus devonischen, karbonischen und triassischen Tonschiefern, Sandsteinen, Mergelsteinen und Kalksteinen gebildet, wobei devonische Tonschiefer die größte Verbreitung besitzen.

3 Bodendynamische Parameter Im nächsten Schritt der Modellbildung wurden den lithologischen Einheiten bodendynamische Parameter (Scherwellengeschwindigkeit, Dichte, Schermodul und Dämpfung) zugeordnet.

3.1 Scherwellengeschwindigkeit Budny [12] hat die Abhängigkeit der Scherwellengeschwindigkeit vs von der Lagerungstiefe anhand von down-hole Messungen an 36 Standorten in der NB und ihrer Umgebung untersucht. Auf Grundlage dieser Messdaten und weiteren Literaturdaten [13, 14] wurden materialspezifische Geschwindigkeits-Tiefen-Beziehungen nach der Exponentialform aus Gleichung (1) erstellt [5]. vs = vs0 (1 + Z)m (1) vs = Scherwellengeschwindigkeit in der Tiefe Z vs0= Geschwindigkeit an der Oberfläche (Z=0) Z = Lagerungstiefe m= Exponent zur Bezeichnung der Tiefenabhängigkeit Tabelle 2 enthält die Werte für vs0, m und den mittleren prozentualen Fehler F der jeweiligen Geschwindigkeits-TiefenBeziehung. Für die Festgesteine wurde eine Minimalgeschwindigkeit, die Z= 20 m entspricht, festgesetzt.

Bild 2. Perspektivischer Blick von Nord auf die südliche Niederrheinische Bucht. Die Säulen zeigen den Sedimentaufbau ausgewählter virtueller Bohrlöcher. Die unterschiedlichen stratigraphischen Einheiten sind farbcodiert (s. Text). Die Bohrlochprofile verlaufen SW-NE. Die grauen Kreise zeigen die Positionen weiterer virtueller Bohrlöcher des Modells.

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Bild 3. Sedimentmächtigkeit (m) der südlichen Niederrheinischen Bucht. Die roten und blauen Linien zeigen die Oberflächenlage der nach Osten bzw. Westen einfallenden Störungen Tabelle 2. Werte für vs0, m, 0, und der mittlere prozentuale Fehler F der Geschwindigkeits- und der DichteTiefen-Beziehungen für unterschiedliche Materialien.

3.2 Dichte Aus den Dichtebestimmungen von Budny [12] wurden materialspezifische Dichte-Tiefen-Beziehungen nach Gleichung (2) (angelehnt an [15]) erstellt. r= r0 + e ln (1 + Z) (2) r= Dichte in der Tiefe Z r 0= Dichte an der Oberfläche (Z=0) Z= Lagerungstiefe e = empirisch zu bestimmender Faktor Die Werte für r 0 und e der unterschiedlichen Lockersedimente und Festgesteine sowie der mittlere prozentuale Fehler F sind in Tabelle 2 aufgelistet. Für die Materialien Lehm und Tuff konnten keine Geschwindigkeits-Tiefen-Beziehungen bestimmt werden, daher wurde für r 0 der Mittelwert der Messwerte angenommen und e=0 gesetzt.

3.3 Dämpfung und Schermodul Die Beziehungen zwischen der äquivalent viskosen Dämpfung bzw. dem normierten Schermodul und der Scherdehnung wurden den Arbeiten von Seed & Idriss [16], Seed et al.

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[17] und Vucetic & Dobry [18] entnommen. Die Bilder 4 und 5 zeigen den Variationsbereich für die Dämpfung und den normierten Schermodul. Die Begrenzungskurven für die einzelnen Materialtypen ergeben sich jeweils aus den Extrema der Zusammensetzung bzw. Kornverteilung.

4 Numerische Modellierung Die numerische Modellierung basiert auf dem Programm SHAKE91 [19], das für die Durchführung von Variationsrechnungen erweitert wurde. Für jedes virtuelle Bohrloch wurden die Übertragungsfunktionen der 200 Variationen der bodendynamischen Parameter und Schichtmächtigkeiten bei Anregungen mit Maximalbeschleunigungen von 0.01 g, 0.1 g und 1 g berechnet. Scherwellengeschwindigkeit und Dichte wurden innerhalb des materialspezifischen Unsicherheitsbereichs, der einem 2s-Bereich entspricht, normalverteilt variiert. Zur Festlegung des Unsicherheitsbereichs wurde der mittlere prozentuale Fehler der materialspezifischen Geschwindigkeits- bzw. Dichte-Tiefen-Beziehungen auf das nächste ganzzahlige Vielfache von 5% gerundet. Für die

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Bild 4. Variationsbereich (grau) der Dämpfung in Abhängigkeit von der Scherdehnung für Lockersedimente. Die roten und blauen Linien zeigen die Begrenzungskurven. Die obere Grenze des Variationsbereiches für Braunkohle wurde aufgrund fehlender Daten extrapoliert (gestrichelte Linie).

Schichtmächtigkeit wurde ein Schwankungsbereich von 10% angenommen und ebenfalls in einem 2s-Bereich normalverteilt. Um den Effekt eines verwitterten Festgesteins auf die Bodenverstärkung zu berücksichtigen, wurde eine Verwitterungsschicht unter der Oberkante des Festgesteins eingefügt, deren Mächtigkeit zwischen 0 m und 30 m gleichverteilt wurde. Die Geschwindigkeit und die Dichte für die Verwitterungsschicht wurde zwischen der Geschwindigkeit bzw. der Dichte des verwitterten Festgesteinsmaterials und

dem Festgestein gleichverteilt variiert. Bild 6 zeigt als Beispiel die 200 Geschwindigkeits- und Dichtemodelle für ein virtuelles Bohrloch nahe des Epizentrums des Alsdorf Erdbebens (22.07.2002, ML 4.9 [2]). Auffällig ist der relativ große Impedanzkontrast durch die Braunkohlenflöze. Die Abhängigkeit von Schermodul bzw. Dämpfung von der Scherdehnung wurde innerhalb der in Bild 4 und 5 gezeigten Unsicherheitsbereiche gleich verteilt.

Bild 5. Variationsbereich (grau) des normierten Schermoduls in Abhängigkeit von der Scherdehnung für verschiedene Lockersedimente. Die roten und blauen Linien zeigen die Begrenzungskurven. Bezeichnung und Farbgebung wie in Bild 4.

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Bild 6. Links: Lithologische Abfolge ohne Verwitterungsschicht eines virtuellen Bohrlochs aus dem geologischen Modell (horizontal gestrichelt=Lehm, Kreise=Kies, schwarz=Braunkohle, senkrecht schraffiert=Ton, Punkte=Sand). Das Festgestein wird von Tonschiefern gebildet. Mitte: 200 Geschwindigkeitsmodelle des Untergrundes, Rechts: 200 Dichtemodelle des Untergrundes. Die roten Linien zeigen das Geschwindigkeits- bzw. Dichteprofil ohne Variationen und ohne Verwitterungsschicht.

Aus den jeweils 200 Verstärkungsfunktionssimulationen für ein virtuelles Bohrloch wurden Minimum und Maximum, Median, Mittelwert sowie die 16%- und 84%-Fraktile der Grundresonanzfrequenz und der zugehörigen Verstärkung ermittelt.

5 Ergebnisse Als Beispiel wird nachfolgend im Wesentlichen nur das Ergebnis der Berechnungen mit einer maximalen Anregungsstärke von 0.1 g diskutiert. Generell lässt sich mit zunehmender Stärke der Anregung eine Verschiebung der Grundresonanzfrequenz zu niedrigerer Frequenz und eine Abnahme der Verstärkung beobachten.

Bild 7. Farbig dargestellt sind die Medianwerte der Grundresonanzfrequenz (Hz) für eine Anregung mit 0.1 g Maximalbeschleunigung. Die Streuungen der Grundresonanzfrequenzen und der zugehörigen Verstärkungen sind in Form von Fehlerbalken dargestellt. Der linke und rechte Balken gibt die Differenz der 16%- bzw. 84%-Fraktile vom Median der Grundresonanzfrequenz. Der untere und obere Balken zeigt die entsprechenden Differenzen für die Verstärkung. Den Maßstab der in Prozent ausgedrückten Differenz zeigt das Kreuz im linken unteren Teil der Grafik.

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Bild 8. Farbig dargestellt sind die Medianwerte der Verstärkung der Grundresonanzfrequenz. Die Anregung erfolgte mit einer Maximalbeschleunigung von 0.1 g. Die Streuungen der Grundresonanzfrequenzen und der zugehörigen Verstärkungen sind in Form von Fehlerbalken dargestellt.

In Bild 7 sind die Medianwerte der Grundresonanzfrequenzen im Modellgebiet bei einer Anregung mit 0.1 g Maximalbeschleunigung dargestellt. Die Medianwerte der Grundresonanzfrequenz korrelieren, wie zu erwarten, mit der Sedimentmächtigkeit und liegen zwischen 10 Hz im Randbereich des Sedimentbeckens bei Sedimentmächtigkeiten unter 10 m und 0.14 Hz im Zentralbereich bei einer Sedimentmächtigkeit von 1300 m. Aufgrund der Randstörungen, welche die Beckensedimente gegen das Festgestein des umgebenden Gebirges verwerfen und des Abstandes der Bohrlöcher von 2 km, zeigt Bild 7 jedoch nicht in allen Randbereichen eine kontinuierliche Verschiebung der Grundresonanzfrequenz zu höheren Frequenzen. Im Großraum Köln mit Sedimentmächtigkeiten zwischen 200 m und 400 m liegen die Medianwerte der Grundresonanzfrequenzen zwischen 0.4 Hz und 0.6 Hz und zeigen innerhalb des Streubereiches der Grundresonanzfrequenzen aus den 200 Simulationen eine sehr gute Übereinstimmung mit den von Bormann, Parolai & Milkereit [6] mittels der H/V-Methode bestimmten Grundresonanzfrequenzen. Ein Vergleich mit den von Tyagunov, Hollnack & Wenzel [7] modellierten Grundresonanzfrequenzen zeigt, dass diese in der Tendenz im oberen Teil des hier ermittelten Streubereichs liegen. Im Zentrum des Untersuchungsgebietes, dem Beckentiefsten, liegen die Grundresonanzfrequenzen zwischen 0.14 Hz und 0.3 Hz. Allgemein weichen die 16%- und 84%-Fraktilen der Grundresonanzfrequenz der 200 Modellrechnungen pro Bohrloch mit etwa ±4% vom Median ab. Bei extremen Randlagen hat die Mächtigkeit der Verwitterungsschicht einen großen Einfluss auf die Grundresonanzfrequenz. Hier vergrößern sich die Unterschiede auf bis zu 20%. Bild 8 zeigt die Medianwerte der Verstärkungen bei den Grundresonanzfrequenzen, die allgemein zwischen 4.0 und 5.5 liegen. Ausnahmen bilden die Randbereiche und Standorte, an denen oberflächennah hohe Impedanzkontraste auftreten. Meist werden diese Effekte durch Ton- bzw. Braunkohlenschichten hervorgerufen (z.B. Bohrung bei X:

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354242, Y: 5649440). Hier steigen die Medianwerte der Verstärkungen auf 6.0–7.0. Eine weitere Ausnahme bildet der Südwesten des Untersuchungsgebietes, wo das Festgestein aus Sand- oder Mergelsteinen besteht. Wegen des geringen Impedanzkontrasts zu den Lockersedimenten liegen die Medianwerte der Verstärkungen bei etwa 3.0 (z.B. X: 328844, Y: 5626821). Auch an Standorten, wo Tuffe die Oberfläche bilden, ergeben sich relativ niedrige Verstärkungen (z.B. um den Faktor 3 bei z.B. X: 354242, Y: 5649440). Die 84%-Fraktile der Verstärkung aus den 200 Modellrechnungen pro virtuellem Bohrloch lieg im Mittel etwa 10% über den Medianwerten. Die von Tyagunov, Hollnack & Wenzel [7] ermittelten Verstärkungen liegen generell unter den Medianwerten der Verstärkung dieser Arbeit, jedoch innerhalb der Streuung der 200 Modellrechnungen.

6 Zusammenfassung und Ausblick Lockersedimente haben einen großen Einfluss auf die durch Erdbeben verursachte Bodenerschütterung an der Erdoberfläche. Während die Sedimentmächtigkeit im Wesentlichen die Grundresonanzfrequenz des Untergrundes bestimmt, spielen, in Bezug auf die auftretenden Verstärkungen, sowohl starke Impedanzkontraste an der Festgesteinsgrenze als auch im Bereich oberflächennaher Schichten eine wichtige Rolle. Die hier vorgestellten Modellrechnungen von Bodenverstärkungen in der südlichen NB quantifizieren den Einfluss der Unsicherheiten der Eingangsparameter (Scherwellengeschwindigkeit, Dichte, Schermodul, Dämpfung und Schichtmächtigkeit) auf die berechneten Grundresonanzfrequenzen und Verstärkungen. Über den Einfluss des nichtlinearen Scher- und Dämpfungsverhaltens auf die Ergebnisse der Bodenantwortanalyse und einen Vergleich mit der linearen Bodenantwortanalyse, wie sie auch für die Voruntersuchungen der neuen DIN4149 durchgeführt wurde, wird in einer in Vorbereitung befindlichen Arbeit berichtet.

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250–259



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University of California, Berkeley, December 1972, 102 pp.

südliche Niederrheinische Bucht. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften, 106, 94–112, 1 pl.

MELDUNG

DGEB-FÖRDERPREIS 2006 Die Deutsche Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik (DGEB) e.V. verleiht in zweijährigem Rhythmus einen Preis in Höhe von 1.500,--Euro für innovative Dissertationen in Deutschland aus den Gebieten des Erdbebeningenieurwesens, der Ingenieurseismologie und der Baudynamik. Mit diesem Preis sollen vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet werden, die mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zu den oben umrissenen Forschungsgebieten leisten.

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Bewerbungen (mit Kurzlebenslauf und einem Exemplar der Arbeit) sind bis zum 31. Oktober 2006 zu richten an den Vorstand der DGEB: Deutsche Gesellschaft für Erdbebeningenieurwesen und Baudynamik (DGEB) e.V. RWTH Aachen, Baustatik und Baudynamik Mies-van-der-Rohe-Str. 1 D-52074 Aachen [email protected] Tel: +49 (0) 241 80–25088/-25863

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