Cornelia Giebeler Bielefeld, Oktober 2003

Giebeler Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit Cornelia Giebeler FH Bielefeld, FB Sozialwesen Bielefeld, Oktober 2003 „Global Socia...
Author: Waltraud Wetzel
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Giebeler

Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit

Cornelia Giebeler

FH Bielefeld, FB Sozialwesen

Bielefeld, Oktober 2003

„Global Social Work – interkulturelle Soziale Arbeit“ ein Studienschwerpunkt zur Entwicklung Globaler und Interkultureller Kompetenz

(leicht überarbeitete Fassung des Beitrags vom Oktober 20011)

In der Profession der Sozialarbeit und Sozialpädagogik wird neuerlich darüber nachgedacht, ob und wenn wie sich ihre Fragestellungen unter den Bedingungen von Globalisierung verändern.2 Um eine Antwort auf diese Frage zu suchen, habe ich mit Beginn meiner Tätigkeit am Fachbereich Sozialwesen angeregt, die bereits vorhandenen Seminarangebote zu Fragen der Migrationssozialarbeit, zur Interkulturalität und zur Armut in der „Einen Welt“ zu bündeln und ein Angebot für Studierende hieraus zu entwickeln. Diese Idee wurde von vielen KollegInnen aufgegriffen und hat erste Weichen für den innerkollegialen inhaltlichen Diskurs zu diesen Fragestellungen gestellt. Vor allem gemeinsam mit Reinhard Varchmin konnte sich ein Studienschwerpunkt bilden, der im SS 2002 von der FH Bielefeld als interdisziplinäres Lehrangebot mit dem ersten Synergiepreis der Fachhochschule Bielefeld ausgezeichnet wurde. In Treffen mit interessierten FachkollegInnen wurde gleichzeitig ein Studienangebot entwickelt, in dem interessierte Studierende eine Bündelung globaler und interkultureller Kompetenzen erfahren können. Seit den 70er Jahren hat sich die soziale Arbeit in einem Zweig als Migrationsozialarbeit entwickelt und gleichzeitig entstanden international orientierte Projekte der Solidaritätsbewegung, in denen sich auch Sozialpädagogen und Sozialarbeiter engagierten und dort ihre professionelle Zukunft fanden. Der Begriff „Global Social Work“ steht in diesem Angebot für die „Andere“ Seite der Globalisierungsprozesse, die weltweit neben der Vereinheitlichung von Ökonomien und vieler Kulturen soziales Elend weltweit nicht beseitigt, sondern verstärkt hat. Global Social Work steht hier für die Aufgabe sozialer Arbeit das „Soziale“, „Zwischenmenschliche“, und gesellschaftliche Leben professionell zu (re-)sozialisieren und Stellung zu beziehen im politischen Prozess der weltweiten Transformationsprozesse. Dabei bleibt Soziale Arbeit als Handlungsorientierte Wissenschaft und Profession immer lokal verortet. Ihre zentralen Methoden der Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit stehen im Dienst der Verbesserung von Lebenslagen, von Einzelnen Gruppen und Nachbarschaften. Die Interaktion zwischen Individuen und gesellschaftlichen Institutionen unterstützend zu gestalten, bildet ein zentrales Aufgabenfeld von SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen, allerdings zunehmend in kulturell diversifizierten und international vernetzten Feldern. Hierfür steht die Interkulturelle soziale Arbeit, in der zwischenmenschliche, gruppenspezifische und kulturelle Verstehens- und Erfahrungsprozesse zu einer zentralen Schlüsselkompetenz in sozialen Feldern werden. Transkulturelle Begegnungen, kulturspezifisches Wissen sind Bestandteile interkultureller Kompetenz, die als Grundlagen sozialer Arbeit in jedem Arbeitsfeld relevant sind.

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In Kurzform in: ZEP (Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik) Heft 2 2002 und in der Ursprungsfassung in Neuser/Chacon 2003 Pédagogía Social en Latinoamerica. Estrategias en educaci´n popular, desarrollo y interculturalidad. Quito 2 Thiersch, Hans: Gerechtigkeit und Effektivität. Die soziale Arbeit in den Zeiten der Globalisierung - eine Skizze zur Selbstvergewisserung der Profession. In: Blätter der Wohlfahrtspflege 7 + 8, 1997 1

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FH Bielefeld, FB Sozialwesen

In diesem Beitrag wird die Entwicklung des Studienschwerpunktes „Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit“ dargestellt, wie er sich an der FH Bielefeld seit SS 2000 herausgebildet hat. 1.

Multikulturalität und Globalisierung in Studiengängen Sozialer Arbeit

Das Selbstverständnis sozialer Arbeit unter den Bedingungen von Multikulturalität und Globalisierung muss sich ändern. Was trägt die Fachhochschule an Kompetenzvermittlung für multikulturelle Arbeitsfelder bei, welche Rolle spielt die soziale Arbeit unter den Bedingungen von Globalisierung und welchen Beitrag sollte die Ausbildung leisten, damit die zukünftigen SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen in zunehmend multikulturellen Feldern sozialer Arbeit sinnvoll arbeiten können? Welche Gesellschaftsanalysen sollte die Ausbildung sozialer Arbeit vermitteln ? Reichen die auf westliche Gesellschaften ausgerichteten Soziologien und sozialpolitischen Kenntnisse ? Gilt es Lebenswelten von Menschen kennen zu lernen, die aus gänzlich anderen sozialen Kontexten und kulturellen Mustern kommen ? Welche Bedeutung erhält die anthropologische Kategorie Fremdheit in der Begegnung von Menschen im sozialen Unterstützungssystem ? Was bedeutet “Entwicklung“ in der sozialen Arbeit ? Die Diskussion dieser und weiterer Fragestellungen hat zur Konzeptionsentwicklung und Einführung des neuen Studienschwerpunktes „Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit“ an der FH Bielefeld geführt, der hier vorgestellt werden soll. Bevor ich zu der Vorstellung komme soll der Kontext seiner Entstehungsgeschichte beschrieben werden. Dazu gehören: 1. die Ausbildungsstruktur von Sozialarbeit und Sozialpädagogik in ihrer historischen Entstehung 2. die Vernetzung von Ausbildungsgängen der Sozialpädagogik in Lateinamerika 3. Auslandspraktika und Feldforschungen im Studienverlauf 4. die Interdisziplinarität des Kooperationsmodells „Global Social Work –Interkulturelle Soziale Arbeit“.

1. 1.

Die Ausbildungsstruktur von Sozialarbeit und Sozialpädagogik in ihrer historischen Entstehung 1.1.1. Geschichte der sozialen Arbeit – Geschichte sozialer Probleme durch Migration

Aus der Fürsorge, die bereits im späten Mittelalter in den Städten entstand, hat sich die moderne soziale Arbeit erst mit der Industrialisierung entwickelt. Die Armenfürsorge war mit den sozialen Folgen der Urbanisierung überfordert. Das Elberfelder System3, das ein kleinräumiges auf persönlichen ehrenamtlichen Beziehungen basierendes Hilfssystem war, wurde in das Straßburger System überführt, nachdem das Wachstum der Städte zu Armenvierteln führte, in denen eine quartierbezogene Betreuung nicht mehr geleistet werden konnte.4 Die Geschichte der modernen sozialen Arbeit ist die Geschichte der Migrationsozialarbeit – auch wenn die soziale Arbeit selbst dies in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend vergessen hat.5 Soziale Arbeit fand historisch zunächst dort statt, wo Flucht, Vertreibung und Arbeitsmigration soziale Problemlagen hervorbrachte. 3

Im Elberfelder System aus dem Jahr 1853 betreuten ehrenamtliche (männliche) Armenpfleger 3-4 Arme ihres Quartiers und regelten alle anfallenden Unterstützungsleistungen. Sie hatte die Funktion der Beratung, Betreuung und standen im unmittelbaren Kontakt mit den Hilfsbedürftigen – sollten aber gleichzeitig die finanziellen Interessen der Stadt vertreten. In diesem System sind die Grundprinzipien der Beratung, Betreuung und gleichzeitigen kontrollierenden Aufgaben der modernen Sozialen Arbeit angelegt. 4 Das Armenamt entstand und damit die bis heute existente kommunale Sozialverwaltung, die sich mit ihrer Ausdifferenzierung bürokratisiert hat und lange im Strukturkonflikt mit der fachlichen Sozialarbeit stand. 5 Hamburger 2001 in Otto/Thiersch 2

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Ihre weitere Ausdifferenzierung verdankt die soziale Arbeit der Frauenbewegung. Alice Salomon hat mit dem theoretischen Konzept der sozialen Mütterlichkeit und der Gründung ihrer ersten sozialen Frauenschule 1908 ein neuartiges Qualifikationsprofil der sozialen Arbeit entwickelt, in dem Frauen sich ein Berufsfeld erschlossen – die Armenfürsorge war eine Männerdomäne. So wurde im späten 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die Grundlage für den Beruf des Sozialarbeiters und Sozialpädagogen gelegt. Unqualifizierte, ehrenamtliche Armenfürsorger waren den Aufgaben, die sich im Umgang mit gefährdeten Adressatengruppen stellten, nicht gewachsen. Die Grundlagen von Beratung und Aufklärung und die Prävention wurden zum Leitbild der sich langsam differenzierenden Profession. In der Zeit des deutschen Nationalsozialismus wurde die Organisation der Fürsorge von nationalsozialistischem Gedankengut durchtränkt und nach 1945 begann eine vollständige Reorganisation der sozialen Arbeit, die sich zunächst auf die Betreuung von Flüchtlingen, Kriegsversehrten und Hinterbliebenen konzentrierte. Seither wird unter moderner sozialer Arbeit eine personenbezogene fachlich und methodisch qualifizierte und als Beruf wahrgenommene soziale Dienstleistung verstanden. 1.1.2. Identitätsbildung durch Sozialarbeitswissenschaft Nach der Restauration sozialer Arbeit durch den Ausbau der Methoden Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit radikalisierte sich die Profession bis hin zu jeglicher Ablehnung sozialarbeiterischer Tätigkeit unter der Kontrolle kommunaler Aufsicht – der früh angelegte Strukturkonflikt zwischen fachlicher Beratung der Adressaten und seiner Kontrolle durch städtische Vorgaben eskalierte. Mitte der 70er Jahre wurden die Ausbildungen der höheren Fachschulen für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Bielefeld in das Hochschulsystem überführt.6 Die neu gegründeten Fachhochschulen strebten in ihren Ausbildungsgängen eine stärkere wissenschaftliche Orientierung der Ausbildung an und suchten nach Vernetzung von Handlungskompetenz, Forschungskompetenz und wissenschaftlicher Begründungskontexte für Lösungsansätze bei der Bewältigung sozialer Probleme und prekärer Lebenslagen. In diesem Zusammenhang wurde die Lehre nach universitären Disziplinen, die sich mit den Fragestellungen sozialer Arbeit befassten, neu organisiert. Dies sind in Bielefeld die Disziplinen: Erziehungswissenschaften, Medienpädagogik, Heilpädagogik, Psychologie, Soziologie, Politologie, Sozialmedizin/Psychopathologie, Rechtswissenschaften und Verwaltungswissenschaften, die von den Studierenden belegt und durch Prüfungen nachgewiesen werden müssen. Neben diesen universitären Herkunftswissenschaften ist es das Fach Sozialarbeit und Sozialpädagogik, das die praktischen methodischen Kompetenzen vermittelt, die für die Profession zentral sind, insbesondere Beratungskompetenz, die methodischen Instrumentarien Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit, aber auch die neueren Methoden wie Case Work, Supervision und Evaluation der eigenen Arbeit.7 Seit der Phase der Umstrukturierung spielen sowohl berufspolitische wie wissenschaftliche Argumentationen für die Identitätsbildung in der sozialen Arbeit eine Rolle. Die kontextuelle Verknüpfung der vermittelten Grundlagen universitärer Einzelwissenschaften musste sich durch die Lehrkonstruktion in der Person der SozialarbeiterIn oder der SozialpädagogIn vollziehen, ohne dass die in der Regel in ihrer Herkunftsdisziplin als Soziologen, Psychologen oder Mediziner wissenschaftlich identifizierten ProfessorInnen zur professionellen Identitätsbildung beitragen konnten. Diese Anlage der Fachdisziplinen ist letztlich bereits auf Alice Salomon zurückzuführen, die den Kanon von Einzelfächern in ihre erste soziale Frauenschule aufnimmt. Erst in den letzten Jahren jedoch hat sich aus dieser Struktur heraus wiederum die Debatte um die Entwicklung einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin „Soziale Arbeit“ entwickelt.8 Kein anderes 6

Zur Geschichte der Ausbildungsorganisation vgl. 25 Jahre FH Bielefeld vgl. Galuske 1998 8 vgl. Engelke 1992, Wendt 1997 7

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Fachhochschul- oder Hochschulstudium ist somit derart umfassend in der Lehre mit weitgehend „fachfremden“ Dozenten ausgestattet wie das Studium der sozialen Arbeit, und dies soll jetzt durch die Einrichtung eines Mittelbaus und eine wissenschaftliche Identitätsbildung der Sozialarbeitswissenschaft geschehen.9 Der als interdisziplinär zusammenarbeitende Schwerpunkt „Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit“ ist auch in dieser Tradition zu sehen, da hier die Wissensbestände verschiedener Herkunftswissenschaften im gemeinsamen Diskurs mit den Anforderungen an eine wissenschaftliche und professionelle Interdisziplinarität hin neu konstruiert werden können. Einen weiteren Bestandteil des Schwerpunktes bildet die Entstehung des lateinamerikanischen Netzwerkes.

1.2.

Vernetzung von Ausbildungsgängen der Sozialpädagogik in Lateinamerika

Seit 1998 arbeitet der Fachbereich Sozialwesen mit vier lateinamerikanischen Hochschulen aus Bolivien, Paraguay, Ekuador und Peru zusammen um dort den Aufbau von Studiengängen der Sozialpädagogik zu unterstützen. Der Aufbau der Studiengänge wurde von Heinz Neuser im Verbund mit den dortigen Universitäten initiiert und von mir mit begleitet: Das Instituto „Paolo Freire“ in Lima, Peru bildet in einem Vorort LehrerInnen nach der pädagogischen Konzeption Paolo Freires aus. In der vierjährigen Zusammenarbeit hat das Institut ein Konzept entwickelt, in dem ein Zusatzscherpunkt Sozialpädagogik für marginale Zonen in die Lehrerausbildung integriert wird und zum anderen eine Aufbauausbildung angestrebt wird. Die Universidad Catolica hat im vergangenen Semester mit unerwartet großer Nachfrage mit einem Ausbildungsgang „pedagogía social“ begonnen, der Abschluss ist die Licenciatura. (vergleichbar dem bachelor) An der Univeridad del Cono Sur de las Americas (UCSA) werden die Konzepte noch diskutiert – es gibt eine Ausbildungsorientierung als Interkulturelle und/oder einer auf städtisch-marginalisierte Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Sozialpädagogik in Asunción und eine weitere auf technischem Niveau als rurale Sozialpädagogik. Das Konzept für einen interkulturellen Studiengang liegt vor – hier insbesondere dadurch begründet, dass Paraguay als einziges Land Lateinamerikas staatlich zweisprachig organisiert ist, d.h. alle Kinder lernen in der Schule sowohl spanisch als auch die dominante indigene Sprache. Die Universidad Indigena Ekuador baut ebenfalls einen interkulturellen Pädagogikstudiengang auf. Der Schwerpunkt „Global Social Work“ versteht sich auch als ein Teil dieser curricularen Entwicklungen und bleibt im Austausch und Diskurs mit den andern Studiengängen.

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In der neueren Diskussion werden die historisch differenten Ausbildungsgänge Sozialarbeit und Sozialpädagogik unter dem Begriff der „sozialen Arbeit“ zusammengefasst. Hiermit wird der professionellen Erfahrung Rechnung getragen, dass der Sozialpädagoge in der Kinder und Jugendarbeit ohne juristische und Verwaltungskenntnisse ebenso wenig auskommt wie die Sozialarbeiterin in der Sozialverwaltung ohne umfassende pädagogische Kompetenz und die Berufsmöglichkeiten sich zunehmend angleichen. Gleichzeitig wird hier die Verortung von Sozialarbeit und Sozialpädagogik in der Erziehungswissenschaft einerseits und an den Fachhochschulen in ihrer historischen Dimension deutlich: letztere stehen primär in der Tradition der frühen Frauenbewegung und internationalen Reformbewegungen, während die Differenzierung innerhalb der Erziehungswissenschaft sich aus den Wurzeln der männlich dominierten Sozialreformen speist. (vgl. Füssenhäuser/Thiersch 1001 in Otto/Thiersch 2001:1878) Im Begriff der sozialen Arbeit hat sich seit Mitte der 80er Jahre der Theoriediskurs zum Theorie-Praxis-Verhältnis entfaltet mit neuer wissenschaftlicher Fundierung. 4

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1.3.

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Auslandspraktika und Feldforschungen im Studienverlauf

Schon seit etlichen Jahren werden von einigen KollegInnen Auslandsaufenthalte der Studierenden im außereuropäischen Ausland gezielt gefördert. Es sind überwiegend Kinder-, Jugend- und Frauenarbeitarbeitsprojekte die bislang von Studierenden in ihren Praktika besucht werden und in denen sie arbeiten. Die Studierenden arbeiten entweder innerhalb der Projekte oder aber sie verstehen sich in der Rolle der teilnehmenden Beobachterin, gehen als Feldforscherin in das soziale Hilfesystem und untersuchen die Lebenswelten der Adressaten. In ihrem Projektpraktikum am Instituto Paolo Freire z.B. werden die innerhalb des Ausbildungssystems verdeckt bleibenden Lebensbedingungen der jungen Frauen, die den Lehrerausbildung durchlaufen, entdeckt. Durch teilnehmende Beobachtung in mehreren Familien und ihre Kontrastierung mit strukturierten Interviews können Lebenswirklichkeiten der Studierenden aus marginalen Zonen Limas rekonstruiert werden. Nach einem Aufenthalt in einer Frauenorganisation in Gambia, die sich u.a. mit Beschneidung und ländlicher Entwicklung befasst, begibt sich eine weitere Studierende für ein halbes Jahr in eine ländliche Region der Fulbe, lernt die Sprache und erkundet die Bedeutung von Nahrung, Nahrungszubereitung und -aufnahme in der dörflichen Gemeinschaft. In ihrer Ausarbeitung stellt sie die „Hilflosigkeit der Helfer“ fest, die bestehende Rituale im Umgang mit Nahrung ignorieren und anschließend in das Beschwerdemuster über den nachlässigen Umgang der Einwohner mit Hilfsgütern verfallen. Eine diplomierte Sozialpädagogin absolvierte ihr Berufsanerkennungsjahr in einem Frauenprojekt in San Christóbal, Chiapas, Mexiko und arbeitet seitdem dort. In weiteren Untersuchungen wurden mittels biografischer, narrativer Interviews, Gruppendiskussionen und Feldforschungsverfahren durch teilnehmende Beobachtung und biografische Rekonstruktion die Bedeutung anderer, fremder Lebenswelten innerhalb der dominanten deutschen Kultur erfasst. Die methodischen Verfahren Feldforschung, Teilnehmende Beobachtung sowie biografische und Milieustudien durch die rekonstruktiven Verfahren „Narratives Interview“ und „Gruppendiskussion“ ermöglichen einen wissenschaftliche Zugangsweise zu fremden Lebenswelten mit denen sich zukünftige SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen zu befassen haben. Ob Feldforschungen und Praktika im Ausland oder im „fremden“ Inland – den Studierenden wird mit diesem Ansatz eine wissenschaftlich fundierte und subjektiv reflektierte Fremdheitserfahrung ermöglicht. Mittlerweile sind durch die Bündelung von Studierenden in dem „Lehr-Projekt“ „Lebenswelten in Lateinamerika“ die Erfahrungen vertieft worden. Begleitete Fremdheitserfahrung und Arbeit in sozialen Projekten in Armutsregionen scheint zu einer weitgehenden Veränderung der Weltsicht zu führen, wenn die methodische Begleitung eine konzentrierte Reflexion erlaubt.

1.4.

Die Interdisziplinarität des Kooperationsmodell „Global Social Work –Interkulturelle Soziale Arbeit“: der Baustein „Ringvorlesung“

Die sogenannte Ringvorlesung, an der sich in jedem Semester DozentInnen aus unterschiedlichen Fachgruppen beteiligen, ist ein wesentlicher Bestandteil des neuen Studienschwerpunktes. Sie erfüllt die Funktionen: - einen wissenschaftlichen Austauschs zwischen Kollegen zu ermöglichen, - einen interdisziplinären Forschungs- und Lehransatz zu entwickeln 5

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konzentrierte Wissensvermittlung für die Studierenden zu leisten und sie basiert auf einem offenen Kooperationsmodell der Beteiligten.

Die Ringvorlesung hat das Ziel den Studierenden mit Fragestellungen und Themen nahe zu bringen, die im Kanon der disziplinären Wissensvermittlung und der methodischen Fachkenntnisse bislang lediglich peripher oder sporadisch aufgetaucht sind. Aus den Disziplinen Soziologie, Politologie, Psychologie, Erziehungswissenschaften sowie Methoden der Sozialarbeit/Sozialpädagogik werden die einzelnen Themen entnommen und interdisziplinär zusammengestellt. Die Ringvorlesung wird durch die Lehrenden gestaltet, die innerhalb ihres Fachgebietes mit interkulturellen, globalen und Themen der Migrationsozialarbeit zu tun haben.

2.

Der Studienschwerpunkt „Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit“

Der bei uns eingeführte Schwerpunkt bezieht sich auf die neueren auf globale Kontexte bezogenen Diskurse, wie, z.B. das Verständnis Sozialer Arbeit als „Menschenrechtsprofession“10, auf Grundlagen „Globalen Lernens“ und die Ansätze Interkultureller Kompetenzvermittlung im Rahmen sozialer Arbeit. Er verfolgt die Ziele: -

interkulturelle Kompetenz als Schlüsselqualifikation sozialer Arbeit zu vermitteln Fremdheitserfahrung in anderen kulturellen Systemen zu ermöglichen und hierüber das Wahrnehmungs- und Handlungsspektrum zu erweitern Wissen über Globalisierungsprozesse und ihre Auswirkungen auf die soziale Arbeit zu vermitteln sowie für Studierende aus Ländern der Peripherie den Weg in die Hochschule zu erleichtern.

-

Er verfolgt die Ziele, die angehenden SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen auf spätere Berufsrichtungen hin vorzubereiten, indem Zusatzkompetenzen in globalen und interkulturellen Feldern sowie bei dem Spracherwerb abverlangt werden. Durch Zusatzleistungen in den Themenfelder GSW (Global Social Work) und IKS (Interkulturelle Sozale Arbeit) und einer spezifischen Auswertung von Projekterfahrungen werden im Kontext mit der Wissensaneignung innerhalb der Ringvorlesung Qualifikationen gebündelt und ausgebaut, die bislang randständig und zufällig vermittelt und erworben werden konnten.

2.1.

Berufsorientierung

Die feldspezifische Ausbildungsorientierung liegt in der • Qualifizierung für Soziale Arbeit im außereuropäischen Ausland bzw. Entwicklungszusammenarbeit, in der • Qualifizierung für die Migrationssozialarbeit • Qualifizierung in der Schlüsselkompetenz Interkulturelle Kommunikation und reflektierte Fremdheitserfahrung 2.2.

Aufbau des Schwerpunktes:

Pädagogisches Ziel des Schwerpunktes ist es, den Studierenden Kompetenzen für eine sich interkulturell und global verstehende Soziale Arbeit zu vermitteln. Die thematischen Felder beziehen

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Staub-Bernasconi 6

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sich auf die Zentrum-Peripherie-Problematik11 und vermitteln ein Verständnis Sozialer Arbeit im globalen Kontext sowie Methoden interkultureller Sozialer Arbeit. Diese Kompetenzen werden als Zusatzqualifikation zur bestehenden Ausbildung des Sozialpädagogen/Sozialarbeiters erworben und durch ein Zertifikat bescheinigt, das dem Diplomzeugnis beigefügt wird. Für die Zertifizierung insgesamt werden erwartet: • • • •

2 schriftliche Zusatzleistungen im Themenschwerpunkt "Global Social Work" 2 schriftliche Zusatzleistungen im Themenschwerpunkt "Interkulturelle Soziale Arbeit" 1 schriftliche Zusatzleistung im Rahmen einer Projektarbeit (Block oder Projekt) nachgewiesene Fremdsprachenkompetenz

Die schriftlichen Zusatzleistungen können in Seminaren, die von den DozentInnen mit dem Schwerpunkt "Global Social Work" (GSW) oder "Interkulturelle Soziale Arbeit" (IKS) ausgewiesen werden, erbracht werden. Die Seminare sind im Studienführer entsprechend ausgewiesen. Die Zusatzleistungen im Projektbereich müssen durch eine schriftliche Reflexion eigener Forschung oder Praxis in Themenfeldern des „Global Social Work“ oder der „Interkulturellen Sozialen Arbeit“ nachgewiesen werden. Die Fremdsprachenzertifizierung erfolgt auf der Grundlage von: • nachgewiesener Teilnahme an Fremdsprachenkursen • muttersprachlicher Kompetenz 2001 wurde ein Sprachlabor am Fachbereich eingerichtet, in dem die Studierenden im Selbststudium die erforderlichen Sprachen für ihren Auslandsaufenthalt erlernen können. Dieser Auslandsaufenthalt wird in z.B. in Basisprojekten in Lateinamerika durchgeführt12, verknüpft mit der Vermittlung von Feldforschungs- und rekonstruktiven Forschungsmethoden um die eigenen Fremdheitserfahrung reflexiv bearbeiten zu können und die Chance zu haben, durch Forschungsansätze hinter die Kulissen der Praxis zu schauen. Um den Auslandsaufenthalt sicher zu stellen, werden regelmäßig derzeit Türkisch13 und Spanisch angeboten. Spracherwerb trägt als solcher bereits dazu bei unterschiedliche Deutungsmuster zwischen Kulturen zu erkennen. Die SprachlehrerInnen sind daher auch Personen, die auf den kulturellen Bedeutungsgehalt von Sprache abzielen. Die Form der schriftlichen Leistungen kann bestehen aus: • einem ausführlichen Protokoll unter Einbeziehung von Literatur zu mindestens drei Veranstaltungen der Ringveranstaltung • einem ausführlichen Thesenpapier mit mündlichem Referat • einer schriftlichen Hausarbeit. • Die Praxisreflexion muss in der Form einer schriftlichen Hausarbeit erfolgen.

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zur Begrifflichkeit vgl Kößler 1998:114ff und Frank 1969 die erste Studierendengruppe wertet derzeit (2003) ihre Ergebnisse aus und hat gemeinsam mit der Autorin die Ausstellung “Geben und Nehmen – Begegnungen mit der Fremden Normalität Juchitáns“ in der Galerie der FH Bielefeld gestaltet. (Eröffnung 4. Juni 2003) 13 Seit vielen Jahren werden durch Reinhard Varchmin in multikulturellen Kontexten Projekte angeboten, in denen der Spracherwerb türkisch verpflichtend ist. 12

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2.3. Bisherige Seminarangebote des Schwerpunktes (Auswahl) Global Social Work Behinderung im kulturellen Vergleich

Interkulturelle Soziale Arbeit Alternsbezogene Bildungsarbeit im interkulturellen Vergleich

Soziale Arbeit im Europäischen Kontext Behinderung im kulturellen Vergleich Sozialarbeit als Menschenrechtsprofession Sozialarbeit interkulturell geprägten Arbeitsfeldern Globalisierung – ökonomischer Sachzwang oder Mythos

Interkulturelles Lernen als Querschnittsaufgabe

Flüchtlinge in der Welt: UNO Politik, Menschenrechte, Interkulturelles Training Familienschicksale Das praktische ABC der interkulturellen Von Rom über Maastricht nach Nizza: Stationen auf Kommunikation dem langen Weg nach Europa Interkulturelles Lernen ist auch eine Begegnung mit Frauenbewegung im Kontext von Globalisierung der eigenen Kultur und "Global Governance" Interkulturelle Bewusstheit Frauenarbeit in internationaler Perspektive Sozialpädagogisches Handeln in Sozialarbeit im internationalen Vergleich interkulturellen Kontexten Soziale Arbeit in Dänemark

Soziale Arbeit als interreligiöser, spiritueller Dialog

Ausländerrecht Soziale Arbeit im internationalen Vergleich Deutschland – Polen - Russland

Bislang durchgeführte Projekte Sozialarbeit im internationalen Vergleich Sozialpädagogisches Handeln in interkulturellen Kontexten Lebenswelten mit Kindern im interkulturellen Vergleich Lebenswelten in Lateinamerika

2.4.

Bisherige Themenstellungen der Ringvorlesung

Die aktuelle Ringvorlesung kann jeweils im Internet über den FB 4 der FH Bielefeld eingesehen werden. Nachdem zunächst unterschiedliche Themenbezüge in einem Semester zusammen dargestellt wurden, haben wir uns seit dem SS 2002 entschlossen die Ringvorlesungen thematisch zu bündeln. Die Themen bislang sind:

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„Das Fremde“, „Gobalisierung“ und „Projektarbeit im lokalen, globalen und internationalen Kontext“. Im kommenden Semester wird die Thematik sich um die Frage der Bedeutung von Religiosität und der Glaubenssysteme drehen. Neben den Dozenten des Fachbereichs tragen jeweils geladene Gäste zum Kontext Soziale Arbeit Globalisierung – Interkulturalität bei.

3.

Begründung der Studiengangsdifferenzierung

3.1.

Warum „Global Social Work“ ?

In der internationalen Diskussion sozialer Arbeit wird seit einigen Jahren die Frage diskutiert, ob es global gültige Ziele sozialer Arbeit geben kann, ob und wie eine Orientierung an sozialer Gerechtigkeit und den Menschenrechten für alle Gesellschaften und Kulturen ein Maßstab sein kann, ob es methodische Verfahren der sozialen Arbeit und Sozialpädagogik gibt, die generelle Gültigkeit beanspruchen können.14 Einher gehen diese Fragestellungen mit Untersuchungen im internationalen Kontext zu den Systemen sozialer Sicherheit und deren länderspezifischen Besonderheiten, wie sie von Dixon z.B. erfasst und in größere regionale und globale Kontexte eingeordnet wurden.15 Diese Diskussion ist ohne Einbindung in den sozialwissenschaftlichen Diskurs zur Globalisierung, in den zur Sozialen Arbeit als „Menschenrechtsprofession“, zu den Überlegungen einer globalen Sozialpolitik wie sie z.B. in Ansätzen des Global Governance formuliert werden,16und den Ansätzen zum Globalen Lernen nicht zu führen.17 Allen Diskursen ist ein gesellschaftskritisches und an Veränderung interessiertes Selbstverständnis gemein, das den Status Quo – die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich und die eskalierenden Gewaltverhältnisse auf lokaler Ebene zu verändern trachtet. Historisch gesehen hat Soziale Arbeit in ihrem Selbstverständnis immer auch gesellschaftskritische, parteilich auf der Seite des Klienten stehende Handlungskonzepte entwickelt und vertreten. Gesellschaftsanalyse ist seit den 70er Jahren ein fester Bestandteil sozialer Arbeit.18 Hilfssysteme, die unter Beibehaltung der bestehenden Ordnungen, die Armut und Elend produzieren fungieren, wurden als strukturell unfähig und Form der Kolonialisierung von Lebenswelten beschrieben. „Hilfe zur Selbsthilfe“, „Empowerment“ und „Ressourcen“ orientierte Ansätze bilden seitdem die 14

vgl. Mayadas/Elliott/Watts 1997 vgl. Dixon 1999 16 Dirk Messner vom Institut Frieden und Entwicklung ist einer der deutschen Vertreter eines neuen „global governance“ – einer Politik, mit der in den 90er Jahren das Leitbild einer globalen Nachbarschaft, das Zusammenleben von Menschen im „globalen Dorf“ organisiert werden soll. Dahinter steht die Vermutung, dass sich die Nationalstaaten im Laufe des nächsten Jahrhunderts in ihrer Bedeutung verlieren und das Zusammenleben der Menschen sich zu einer Weltgesellschaft hin entwickelt. (Messner 1999) Der Begriff der Weltgesellschaft umfasst eine Zukunftsvision globaler, international übergreifender Beziehungen von nichtstaatlichen Akteuren, die weltweit ein auf unterschiedlichsten Ebenen gestaltetes Beziehungssystem herstellen. Insofern unterscheidet sich der Begriff einerseits durch seine Zukunftsorientierung und andererseits durch seine gesellschaftliche Definition globaler Beziehungen im Unterschied zum internationalen System. Die Herausbildung der Weltgesellschaft gelingt nach ihren Vertretern jedoch nur dann wenn sie gekoppelt wird an eine institutionelle und rechtliche Gestaltung der Globalisierung, also an die Ausbildung von Strukturen für eine globale Regierung und für regionale Kooperationen. Die Staaten erhalten in diesem Modell die Rolle von „Scharnierstellen“. (Messner 1999:72) Ihre Aufgabe als letzte Instanz von Problemen im Land geht verloren, sie werden zu „Interdependenzmanagern“. Dass diese neue Global Governance Architektur fast ausschließlich in den Ländern des Norden vorangetrieben wird, ist angesichts der Kolonialgeschichte der „DrittenWelt“ nur mehr als plausibel – sind doch bislang nur die wenigsten Menschen aus Dritte Welt Ländern ökonomisch, sozial und medial in der Lage an weltgesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben. 17 Diese Diskurse kann ich im Rahmen dieser Darstellung nicht darlegen. 18 vgl. Otto/Schneider (Hg)1973 bis Müller/Otto (Hg) 1997 15

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Unterstützungsangebote, die durch Professionelle angeboten werden können um auch strukturell Veränderung zu erzielen und die zu unterstützende Bevölkerung nicht zu „klientelisieren“. Bis vor ein paar Jahren allerdings blieben - da sich die Wohlfahrtssysteme auf Staaten beziehen - die einschlägigen Gesellschaftsanalysen und Hilfssysteme auch national begrenzt. Mit einer zunehmenden Internationalisierung von Sozialer Arbeit durch die Europäisierung und Globalisierung einerseits und die brutal auseinanderklaffende Armutsschere weltweit andererseits, wird deutlich, dass eine nationalstaatliche Begrenzung von sozialarbeiterisch relevanter Gesellschaftsanalyse unzureichend ist. So hat in Europa Dänemark seinen Nicht-Beitritt zur Währungsunion u.a. mit fehlenden Konzepten zum innereuropäischen Ausgleich sozialer Dienstleistungen begründet. Die Wohlfahrtsstrukturen allein in Europa sind derart verschieden, dass hier dringend Austausch und Kooperation verlangt und auch mittlerweile gefördert wird. Global gesehen verdeutlicht die Tatsache ,dass Bill Gates über soviel Einkommen verfügt wie alle Länder der Subsahara gemeinsam, die auseinanderklaffende Schere von Arm und Reich. Das Armutsgefälle bleibt nicht ohne Folgen für eine sich weltweit vernetzende soziale Arbeit – auch für den Kampf um den Bestand der Wohlfahrt in zentralen Staaten - und erfordert neue Formen einer sich weltweit verstehenden, lokal angesiedelten sozialen Arbeit. Durch die Verflechtungen ethnischer Gruppenzugehörigkeit mit sozialstrukturellen Ausgrenzungsund Stigmatisierungsprozessen unterliegen ethnische Gruppen in zentralen Staaten ebenso wie indigene Völker in Ländern der Peripherie besonderer Ausgrenzungen, die innerhalb der Migrationsozialarbeit Beachtung findet, in Ländern der Peripherie jedoch bislang nicht in das Blickfeld einer sozialen Arbeit gelangt ist. In dem Themenfeld „Global Social Work“ werden Seminare und Vorträge zu den oben angedeuteten Zusammenhängen angeboten, die die Studierenden befähigen, Soziale Probleme im globalen Kontext verorten zu können und Antworten der sozialern Arbeit aktiv zu suchen. Diese Fähigkeit wird als „Globale Kompetenz“ bezeichnet. 3.2.

Warum „Interkulturelle Soziale Arbeit“ ?

Die soziale Arbeit befasst sich mit Personengruppen, deren Lebensweisen als „Besondere“ definiert werden und die Unterstützung benötigen. Dazu gehören sowohl sozial, physisch und psychisch Benachteiligte wie kulturell ausgegrenzte Personengruppen, die wie „Frauen“ zum Beispiel keineswegs in der Minderheit sind (was immer wieder behauptet wird). Rommelspacher hat in ihren Arbeiten die Dominanzkulturen innerhalb westlicher Gesellschaften herausgearbeitet und festgestellt, „dass unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretationen sowie die Bilder, die wir vom Anderen entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung gefasst sind.“19 Kultur sei in westlichen Gesellschaften wesentlich durch Traditionen von Herrschaft geprägt. Hier wird die kulturelle Dimension mit der Sozialstrukturellen integriert und eröffnet theoretisch den Hintergrund für eine interkulturelle soziale Arbeit. Damit unterscheidet sie sich auch von den Verfahren Interkultureller Kompetenzvermittlung, die das „Soziale“ im Sinne des sozialen Unterschieds unthematisiert lassen. Verfahren Interkultureller Kompetenzvermittlung setzen eine Gleichwertigkeit von Kulturen voraus, die faktisch in den kulturellen Hierarchien einzelner Staaten oder global gesehen nicht existiert. Interaktionsprozesse sollen in der interkulturellen „sozialen“ Arbeit zwischen gruppenspezifischen Kulturen ermöglicht werden, ohne sozialstrukturelle Diskriminierung zu negieren.20 Anti-Rassismus Trainings, Empowerment-Trainings, etc. sind Beispiele für interkulturelle Methoden sozialer Arbeit die sich als Methoden der Konfliktbewältigung in der 21 Interkulturellen Soziale Arbeit differenzieren lassen. 19

Rommelpacher 1998 (2) : 22 methodisch kann es durchaus sinnvoll sein im Interkulturellen Training von der Gleichwertigkeit verschiedener Kulturen auszugehen – wird diese phantasierte und gewollte Gleichwertigkeit jedoch nicht innerhalb dominanter Strukturen analysiert wäre hier der Kulturalismus-Vorwurf gerechtfertigt.

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Interkulturelle Kommunikations- und Interaktionstrainings, Interkulturelle Selbstreflexion und Methoden Interkultureller Begegnung orientieren darauf, durch Feldbezogene Kompetenz in konfliktreduzierten multikulturellen Arbeitsfeldern pädagogische Ansätze entwickeln zu können, wie z.B. in Tagesstätten für Kinder.22 Ziel des Themenfeldes Interkulturelle soziale Arbeit ist die Vermittlung von Interkultureller Kompetenz. Dazu gehören: -

Reflexionskompetenz persönlicher Fähigkeiten und (ethnozentischer, monokulturell basierter) Haltungen, Repertoire methodischer, methodologisch fundierter Kenntnisse, Reflektierte Fremdheitserfahrung in der (leibhaftigen) Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, Aneignung von Wissensbeständen über eine andere Kultur und deren kritische Reflexion Sprachkenntnisse.

Unerlässlich sind weitere personale Grundlagenkompetenzen, die jede SozialpädagogIn und SozialarbeiterIn im Laufe der Ausbildung erwerben (sollte), nämlich: Kommunikative Kompetenz, Empathie, Offenheit, Flexibilität, Ambiguitätstoleranz, Konfliktfähigkeit, Selbstreflexion und Kreativität. 23

4.

Erste Ergebnisse der Evaluation des Studienschwerpunktes „Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit“

Die Evaluation der Seminare und der Ringvorlesung im Schwerpunkt WS 2000/2001 hatte in erster Linie das Ziel eine interne Reflexion der Angebote zu ermöglichen. Die Fragestellungen bezogen sich auf die Akzeptanz des Angebotes seitens der Studierenden, ihren Selbsteinschätzungen bezüglich der Lerneffekte, ihrer Einschätzungen bzgl.der Berufsrelevanz und auf Wünsche und Vorstellungen für einen weiteren Ausbau des Schwerpunktes. Aus der Seminarevaluation sollen hier folgende Ergebnisse festgehalten werden: •

Von den 52 Studierenden, die im Sommersemester 2000 den Fragebogen zur Seminarevaluation ausfüllten, (sechs Seminare wurden evaluiert) beabsichtigen 20 das Zertifikat durch Zusatzleistungen zu erwerben, 16 waren unentschlossen.



Dennoch wollen lediglich 14 Studierende sich einen Arbeitsplatz in multikulturellen Feldern oder in Auslandsprojekten suchen. Die Mehrheit sieht den Wert der Zusatzqualifikation darin, dass die vermittelten Inhalte in jedem Feld sozialer Arbeit zu gebrauchen seien.



Überraschend erwarten immerhin 36 Studierende eine Einstellungsänderung bei sich selbst durch den Besuch der Seminare und der Ringvorlesung.



35 haben ihrer Meinung nach einen Einblick in andere Kulturen erlangt, 16 von ihnen wünschen sich noch mehr desselben, während 7 der Auffassung sind, dass sie keinen hinreichenden Einblick in andere Kulturen gewinnen konnten, ihn sich jedoch wünschen.



Ohne die Motivation für diese Äußerung weiter durch den Fragebogen erfasst zu haben, ist das Interesse der Studierenden an anderen Kulturen groß, so dass auch weiterhin die Thematisierung ethnologischer Erkenntnisse für den Schwerpunkt sinnvoll erscheint.

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vgl Hohmann nach Nieke 2000:35 Johann/Michely/Springer 1998 23 Filzinger 1998 formuliert diese Kompetenzen nochmals für die Interkulturelle Kompetenzentwicklung spezifisch aus. 22

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Giebeler

Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit

FH Bielefeld, FB Sozialwesen



Die Zertifizierung von Sprachkompetenz wird durchgängig positiv gewertet. Als notwendige Sprachkompetenzen werden genannt in der Reihenfolge: Türkisch, Spanisch, Russisch – alle anderen in größerem Abstand.



Auf die Frage nach integrierter Auslandserfahrung wird ebenfalls positiv reagiert, 8 der Befragten haben bereits während des Studiums einen Auslandsaufenthalt durchgeführt.24

Mit der hier beschriebenen Studienschwerpunktkonzeption antwortet die Ausbildung der Sozialen Arbeit an der FH Bielefeld auf neue Anforderungen durch die Multikulturalisierung der deutschen Einwanderergesellschaft ebenso wie auf die Anforderungen einer neuen Internationalisierung sozialer Arbeit durch die Globalisierung von Ökonomie, Kultur und Kommunikation. Globale soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse müssen analysiert werden um die Studierenden auf Aufgaben vorzubereiten, die durch Globalisierung und Internationalisierung hervorgerufen werden. Die lokal verortete Soziale Arbeit ist keine mehr, deren Konzepte unberührt von den Einflüssen der „Standortfrage“ nationaler Ökonomien oder den Einflüssen anderer Weltbilder und Denkungsweisen entwickelt und durchgesetzt werden können. Diese Konzepte orientieren sich and er Normalität moderner Sozialisationserfahrungen und sind zunehmend mit Lebensentwürfen konfrontiert, die sich mit der Denkungsart der scheinbar global so selbstverständlichen Moderne partiell unverträglich erweisen. Studierende müssen hier kompetent und fundiert während ihrer Auslands- und interkulturellen Erfahrungen begleitet werden, damit sie in die Lage versetzt werden in der Begegnung mit anderen Menschen über den eigenen Tellerrand zu schauen. Interkulturelle und Globale Kompetenzen sind insofern Grundlagenkompetenzen in der Ausbildung der sozialen Arbeit, die jede angehende SozialarbeiterIn und jede SozialpädagoIn in die Lage versetzten sollen mit interkulturellen Begegnungen in der eigenen und in fremden Kulturen umzugehen.

Literatur Dixon, John 1999 Social Security in global Perspective. Praeger Paperback. Westport. Conn. Engelke 1992 Soziale Arbeit als Wissenschaft. Eine Orientierung. Freiburg Filzinger, Otto 1998 Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kompetenz in sozialpädagogischen Berufen, in: Johann Ellen/Michely, Hildegard/Springer, Monika 1998 Füssenhäuser/Thiersch 2001 in Otto/Thiersch:1878 Galuske, M. 1998 Methoden der Sozialen Arbeit. Weinheim Giebeler, Cornelia 1998 Fremdheitserfahrung und Fremdverstehen – Ein methodisches Verfahren der sozialen Arbeit und Pädagogik. In: ZiesF (Zeitschrift für internationale erziehungs- und sozialwissenschaftliche Forschung) Jg. 15 Heft 2, S.: 339-357 Giebeler, Cornelia 2001 Wer entwickelt wen wohin ? Überlegungen zum Entwicklungsbegriff in sozialer und Entwicklungszusammenarbeit. Vortrag Bielefeld 4.4.2001 Hamburger 2001 in Otto/Thiersch 24

Durchführung der Evaluation von Gehring/Giebeler 2001, eine ausführliche Analyse sowie eine zweite Evaluation im Jahr 2002 ist durchgeführt. 12

Giebeler

Global Social Work – Interkulturelle Soziale Arbeit

Johann Ellen/Michely, Hildegard/Springer, Monika 1998 Methodenhandbuch für sozialpädagogische Berufe Berlin

FH Bielefeld, FB Sozialwesen

Interkulturelle

Pädagogik.

Knüppel, Helmut/Frank, Karl Werner (Hg) 1991 Aufbruch oder Ende der Utopie? 20 Jahre Fachbereich Sozialwesen. 50 Jahre Sozialarbeiterausbildung Bielefeld Werther Kößler, Reinhart 1998 Entwicklung Münster Mayadas, Nazneen S. / Elliott, Doreen / Watts, Thomas d. (ed.) 1997 International Handbook on Social Work Theoriy and Practice. Publisher Greenwood Messner, Dirk 1999 Strukturen und Trends der Weltgesellschaft in: Hauchler et. al., Frankfurt Nieke, Wolfgang 2000 Interkulturelle Erziehung und Bildung. Wertorientierungen im Alltag. Opladen Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans 2001 Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik, Neuwied Rommelspacher, Birgit 1998 (2) Dominanzkultur. Texte zur Fremdheit und Macht. Berlin Staub-Bernasconi, Silvia1995 Systemtheorie, soziale Probleme und Soziale Arbeit: lokal, national, international. Oder: Vom Ende der Bescheidenheit, Soziale Arbeit Band 13, Bern: Paul Haupt Unger-Heitsch, Helga 1998 Ethnopädagogik `98: Völkerkundler gründen eine neue interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft In: ZEP Heft 1 März Wendt, Wolf Rainer 1997 Globalisierung und Wohlfahrt. In: Blätter der Wohlfahrtspflege 7 + 8 Wolfensohn, James 27.9.2000 Köhler will Empfängerländer stärker in die Pflicht nehmen. Taz Berlin Wolpold-Bosien, Martin 1999 Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit mit Zentralamerika. FIAN/Heinrich-BöllStiftung

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