Chu-Chu lacht... der etwas andere Reisebericht

Chu-Chu lacht ... der etwas andere Reisebericht Ein Tag wie jeder andere... Schneetreiben vor einem wolkenverhangenen Winterhimmel, die kahlen Buchen ...
Author: Dörte Beyer
2 downloads 2 Views 23MB Size
Chu-Chu lacht ... der etwas andere Reisebericht Ein Tag wie jeder andere... Schneetreiben vor einem wolkenverhangenen Winterhimmel, die kahlen Buchen schimmern aschgrau und traurige Krähen stemmen sich verzweifelt gegen den kalten Ostwind. Ich fühle mit ihnen und beginne meine Erinnerungen zu ordnen... Unsere Flucht in den Sommer, in dieses bezaubernde Thailand, liegt schon wieder 4 Wochen zurück. Trotzdem werde ich täglich von den Bildern dieser Reise eingeholt, ja regelrecht gefangen gehalten. Nie wurde ich von einem Land in dieser Weise angezogen. Schon auf dem Rückflug lähmte mich ein Trennungsschmerz, das Heimweh nach einem unbekannten Land, zu dem ich in diesen zwei Wochen eine tiefe Zuneigung entwickelte. Chu-Chu, ich sehe dein rundes Gesicht vor mir und höre dein offenes Lachen. In meinen Gedanken werde ich dieses Land der Tausend Tempel noch einmal durchqueren und selbstverständlich hefte ich mich wieder an deine Fersen. 20. / 21. Januar 2001 Ungläubig packte ich gestern meine kurzen Hosen und T-Shirts ein. In diesem typisch bayerischen Schmuddelwetter wollte sich das Reisefieber nicht einstellen. In Thailand werden angeblich 30 Grad im Schatten gemessen. Sonne, Strand und Palmen ... Nein, dieses Bild überstieg meine Vorstellungskraft. Jetzt schlendern wir durch München, besuchen das Auktionshaus am Viktualienmarkt und schlemmen im Weißbierkeller. In einem kleinen italienischen Kaffee schlürfen wir einen Cappuccino. So vergeht die Zeit, wir checken ein und steigen pünktlich um 19.40 Uhr in den Airbus der LTU. Das Herz schlägt mir bis zum Hals Thailand wir kommen! Moni betrachtet die zahlreichen Junggesellen und wirft so manch verächtlichen Blick in die Runde. Ich kenne ihre Gedanken, ihre tiefe Abneigung gegen Menschenhandel und Ausbeutung. Ein Ehepaar bekommt getrennte Plätze zugewiesen. Das Bemühen der schüchternen Frau um einen gemeinsamen Schlafplatz scheitert am beharrlichen Widerstand eines störrischen Egoisten. In typisch deutscher Manier klammert er sich an seinen Sitz. Die übereifrigen Stewardessen halten uns permanent auf Trab und jonglieren ihre Servicewägen durch die engen Gänge des kleinen Vogels. Gleich nach dem üppigen Abendessen lehnt sich der Riese vor mir kräftig zurück. Sein Sitz kracht verdächtig und ich werde kurzzeitig zwischen Klapptisch und Rückenlehne eingeklemmt. 12 Stunden Flug warten auf uns - ich denke an den Artikel über FlugThrombosen. Die Beiträge im Bordfernsehen reißen mich nicht gerade vom Hocker und so hänge ich meinen Gedanken nach. Moni wirkt entspannt, sie lächelt und ich beginne mich auf die gemeinsame Zeit mit ihr zu freuen. Nach sechs Stunden landen wir in der Hauptstadt des gleichnamigen arabischen Emirates Abu Dhabi. Die futuristisch anmutende Flughalle streckt ihre Krakenarme in alle Himmelsrichtungen aus und scheint nach den Passagieren zu greifen. -1-

Am Beginn einer Röhre kämpft ein gelangweilter Kontrolleur mit dem Schlaf. Gähnend verteilt er seine buntbedruckten 'Bahnsteigkarten'. Schlaftrunken trotten wir in die prächtige Ankunftshalle, ein moscheeartiger Bau mit einem phantasievollen Deckenmosaik. Das aufwändige Wabenmuster erinnert an ein überdimensionales Wespennest. Ohne Zweifel hat dieses edle Ambiente ein Vermögen gekostet. Wie verirrte Schafe traben wir durch die zwei Etagen der Flughalle, vorbei an Schmuckauslagen und vermummten Frauen, die mit ihren Kindern auf dem Boden des Wartesaales kauern und dem multikulturellen Treiben den Rücken zeigen. Für eine knappe Stunde sind wir Zaungäste im Orient. Wieder im Flugzeug werden wir von einer neuen Crew begrüßt. Zwischen LTUWerbespots und englischen Spielfilmen nicke ich hin und wieder ein. Wir überfliegen den Iran, Pakistan und Indien. Nach dem Frühstück rollen wir gegen 14.30 Uhr über die buckelige Landebahn in Bangkok. Der schmucklose Flughafen wirkt nicht gerade einladend. Nach den üblichen Einreiseformalitäten treiben wir im Strom der Massen zur Gepäckausgabe und weiter zum Ausgang. Dort erwarten uns zahllose Reiseleiterinnen, Hotelboten und Taxifahrer. Wir finden eine junge Frau, die das Schild 'Meyers Weltreisen' schwenkt. Ihr folgen wir zu einem Reisebus, der sich bald durch den dichten Berufsverkehr dieser 15 Millionenstadt quält. Auf der Fahrt lernen wir Chu-Chu, eine auf den ersten Blick zurückhaltende Frau mit dem Aussehen einer biederen Lehrerin, kennen. Nach einem kühlen Empfangscocktail auf Kosten des Hauses Tawana Ramada ziehen wir uns in ein gepflegtes Zimmer im 8. Stock des Hotels zurück. Endlich dürfen wir uns ungestört auf ein Bett fallen lassen. Wir sind im Herzen von Bangkok, direkt am Nabel des berühmtberüchtigten Rotlichtviertels Pat Pong. Todmüde und hellwach tauchen wir in diese Stadt ein. Zwischen Marktständen, Go-Go-Bars und Straßenküchen pulsiert das Leben. Der berühmte Nachtmarkt am Surawong droht aus den Nähten zu platzen. Goldene Uhren, seidene Wickelröcke und Buddhastatuen werden wie Sauermilch angepriesen. Und über all diesem Treiben residieren die Nightclubs. Moni erliegt dem Scharm einer raffinierten Thai, die ihr nach theatralischen Verhandlungen einen goldbedruckten Wickelrock andreht. Das schrille Treiben zehrt bald an unseren Kräften. Ausgebrannt suchen wir nach einem ruhigen Ort und finden das Restaurant 'Mango Tree'. Dort lernen wir erstmals die würzigen Reis- und Nudelgerichte Thailands ken-

-2-

nen. Gegen 21.00 Uhr ist der Ofen endgültig aus. Völlig entkräftet steuern wir das rettende Hotel an. 22. Januar 2001

Heute besuchen wir die schwimmenden Märkte von Damnoen Saduak im Südosten

von Bangkok. Nach unserem ersten Frühstücksbüffet in Thailand treffen wir uns gegen 7.30 Uhr in der Hotelhalle. Chu-Chu trommelt die Reisegruppe zusammen und erklärt das Tagesprogramm. Wir finden sie gleich sympathisch und schmunzeln über ihre lustige Sprachkombinationen. So warnt sie die Fußkranken vor geschwollenen Füßen - ...wenn du hast schwolle Füß, dann musst du einreibe mit Öl von Chinese, du kannst kaufe in Stadt... Noch vor der Rushhour lassen wir das Zentrum Bangkoks hinter uns, fahren durch eine verschlafene Vorstadt und folgen dann einer schnurgeraden, breiten Straße an den südwestlichen Stadtrand. Auf beiden Seiten breitet sich der Dschungel aus und wir vergessen den Hexenkessel Bangkok. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Mopeds gesehen. Oft sitzt die ganze Familie auf dem Sattel dieser klapprigen Zweiräder. Wir halten an einer Kokosnussplantage. Vor einer langgestreckten, schilfgedeckten Halle warten mehrere Reisebusse. Ein Schwarm wissensdurstiger Europäer quillt durch die verrauchte, vorsintflutliche Produktionsstätte Tau-Tarn. Wir Erfahren das Geheimnis der Kokoszuckergewinnung und ich leide die Qualen des einsamen Pauschaltouristen. Moni spürt meine Unruhe und versucht mich aufzuheitern. Nach diesem Boxenstop steuern wir einen weiteren Busparkplatz an und steigen in eines dieser eleganten Longtail-Boote. Die anschließende Fahrt durch das weitverzweigte Labyrinth von schmalen Kanälen (Khlong), vorbei an einfachen Hütten und verschlungenen Wäldern, bringt mich rasch auf andere Gedanken. Auf breiten Holzstegen lagern Körbe und Töpfe, bunte Kleider flattern im Wind, zufriedene Menschen dösen in ihren Hängematten oder strecken ihre Beine in den Fluss. Den Blicken neugieriger Touristen halten sie gelassen Stand. Hier scheint die -3-

Zeit seit Jahrhunderten still zu stehen. Ein auf dem grünen Wasser treibender, aufgedunsener Hundekadaver erschreckt uns. Moni ringt nach Luft und klammert sich an meinen Arm - auch das gehört in diese Natur. Nach 20 spannenden Minuten erreichen wird die weltbekannten, schwimmenden Märkte. Auf dem zentralen Khlong Ton Khem treiben Hunderte dieser kleinen Paddelboote. Meist werden sie von Frauen mit Strohhüten (mo hom) und blauen Bauernkitteln gesteuert. In ihrer unaufdringlichen Art bieten sie, Obst, Gemüse, Fleisch und Gewürze an. Wir kaufen uns süße Mini-Bananen. Diese braungebrannten, sorglosen Gesichter im Schatten der Strohhüte strahlen Ruhe aus. Mit wachen Augen beobachten sie das Geschehen, bahnen sich ihren Weg durch dieses schwimmende Chaos und bieten ihre frischen Waren feil. Die Menschen in Thailand lieben die leisen Töne. Sie führen ihre Verhandlungen mit Blicken und quittieren auch das ablehnende Kopfschütteln mit einem Lächeln. Warum haben wir Europäer diese natürliche Form der Kommunikation verlernt. Wir meiden den direkten Blickkontakt, reden viel und sagen wenig. Ich fühle mich wohl unter diesen stillen Menschen. Auf dem Weg zur Bootsanlegestelle drängen wir uns durch die überfüllten Souvenirhallen Hia Kui. Holzkröten, Lackschirme und Buddhaglocken, hier kann man die klassischen Präsente Thailands kaufen. Zurück auf dem Khlong lernen wir die Launen eines jungen Rennbootfahrers fürchten. Mit einem flauen Gefühl im Magen erreichen wir das rettende Ufer in Bestzeit. Am Bus erwartet uns der 'Boy', unser attraktiver, immer gut gelaunter Busbegleiter und reicht uns ein eisgekühltes Erfrischungstuch. Nein, über den Service im Bus können wir nicht klagen. Es geht weiter zum Phra Pathom Chedi. Dieser 120 m hohe, glockenförmige Chedi gilt als das höchste buddhistische Bauwerk der Welt. Gläubige bringen ihre Rauchopfer dar und bekleben Buddha-Figuren mit GoldBlättchen. Auf meine Frage, ob wir westlichen Touristen diese Gebetshandlungen stören, entgegnet Chu-Chu ...die Thais sind tolerant, sie kennen keinen Neid ...hier stört niemand, jeder kann das tun was er mag... Nach einem kurzen Schwenk über den angrenzenden Gemüsemarkt erreichen wir den Rosengarten, einen unscheinbaren Park mit Sommertheater. In einem barocken Restaurant werden wir zunächst fürstlich bedient. Anschließend besuchen wir die FolkloreShow im Sommertheater. Auf einer runden Bühne tummeln sich Schwertkämpfer und Tänzerinnen. Liebevoll zeichnen sie das Bild thailändischer Traditionen. Die ungewohnte Hitze zehrt an unseren Kräften und verstärkt die Nachwehen der Zeitumstellung. Ziemlich ausgebrannt lassen wir uns in die Sitze des kühlen Reisebusses sinken und verschlafen die Rückfahrt. Doch das überschäumende Leben in Bangkok vertreibt jede Müdigkeit. Während sich Moni im Hotel ausruht zieht es mich auf die Straße zurück, hinein in diesen Strom von Menschen, Mopeds und Autos.

-4-

Über den Gehwegen des Surawong hängt ein gigantischer Kabelsalat und droht jeden Moment herunterzubrechen. Ein mit Mundschutz versehener Polizist rudert mit seinen Armen und versucht die schleichende Blechlawine anzutreiben. Mehrere TukTuk-Chauffeure scheren vor mir ein und deuten auf den luxuriösen Polstersessel im Fond ihres Vehikels. Ich winke ab und ernte ungläubige Blicke. Die Auspuffgase der Zweitakter rauben mir bald den Atem. Matt und zufrieden ziehe ich mich auch in das klimatisierte Hotelzimmer zurück. Jetzt ist es Moni, die das Horn zum Aufbruch bläst. Pat Pong saugt uns ein zweites Mal ein. Wieder steigen wir über Kisten und zwängen uns durch den schmalen Schlund des Nachtmarktes. Im Herzen von Pat Pong soll es ein preiswertes Lokal mit mexikanischen Spezialitäten geben. Nach unermüdlichem Suchen finden wir die unscheinbare Hinterhofgaststätte, die einer Bahnhofskneipe ähnelt. Entgegen dem ersten Eindruck werden in diesem schmucklosen Restaurant sehr leckere Speisen aufgetragen. Während Moni die thailändische Küche vorzieht, freue ich mich auf die würzigen Fajitas. Nach dem Essen bummeln wir über den Nachtmarkt zurück. Unaufhörlich rücken uns die Schergen der Nachtclubs auf die Pelle. Moni lässt sich nicht zum Besuch eines Nachtclubs überreden. Schon der bloße Gedanke erscheint ihr abwegig. Nach einer ausgedehnten Moralpredigt folgt das große Schweigen. So schlafen wir an diesem Abend in getrennten Betten ein. 23. Januar 2001 Gut gelaunt und ausgeruht wälzen wir uns schon um 6.30 Uhr aus den Federn. Die Querelen des Vorabends sind Schnee von gestern. Moni streckt sich, lächelt und gibt mir zu verstehen, vergiss die gestrigen Diskussionen, Schwamm drüber. Sie hat natürlich Recht, heute werden wir die kulturellen Highlights in Bangkok erleben. Nach dem Frühstück schart sich eine kleine Gruppe um Chu-Chu. Mit der Miene einer Buchhalterin prüft sie ihre Liste ...heute müssen wir viel laufe... Es folgt die Geschichte von geschwollenen Füßen und chinesischen Ölen. Gegen 8.00 Uhr fahren wir durch das verschlafene China-Town. Marktstände rollen auf drei Rädern durch die engen Gassen und drohen in den Kurven umzukippen. In kleinen, überdachten Handelsstraßen erwacht das Leben. Geschäftige Menschen strömen durch diese künstliche Höhlenwelt. Chu-Chu erzählt von erfolgreichen Chinesen ...ihr müsst wissen, der Thai ist faul, er arbeitet nur wenn er Geld braucht ... wenn etwa ein Fest ist, dann bleibt er einfach zuhause, egal was der Chef sagt ... Chinesen sind fleißig und machen gute Geschäfte ... viele Banken, Hotels und Geschäfte gehören den Chinesen ... Nach einer halben Stunde erreichen wir den unscheinbaren Tempel des goldenen Buddha, Wat Traimit. Eingezwängt zwischen Wohn- und Geschäftshäusern wirkt das Gebäude nicht gerade einladend. Hierher würde sich wohl kein Tourist verirren, wäre da nicht das weltweit größte Buddhabildnis aus 18-karätigem Gold. Das 5 t schwere Relikt aus Ayutthaya fand man zufällig bei Umbauarbeiten im Hafen von Bangkok. Mit einem Stuckmantel getarnt sollte der Buddha dort vor burmesischen Plünderern versteckt werden. Jetzt hockt er in einem fensterlosen Raum und scheint zu frieren. Auch mich zieht es wieder ans Licht. Wir folgen einer steilen Steintreppe, die in den Hof der benachbarten Klosterschule führt. Uniformierte Schüler in kurzen Hosen spielen während der Pause Basketball. Chu-Chu klärt uns über die strenge Kleiderordnung in thailändischen Schulen auf. ...kurze Hosen gibt es nur in der Unterstufe, in der Oberstufe und auf der Mittenschule tragen die jungen Männer etwa immer lange Hosen... nicht jeder kann in die Mittenschule oder auf die Universität gehen ...Schulen sind teuer ...arme Familien können das nicht bezahlen... -5-

Nach diesem kurzen Zwischenspiel fahren wir zum Wat Pho, dem ältesten und größten Tempel Bangkoks. Der im 16. Jahrhundert erbaute und mehrfach erweiterte Wat Pho gilt heute als das Zentrum der traditionellen Medizin. Hier werden die Geheimnisse der Thai-Massage, des indischen Yogas und der chinesischen Akupunktur gelehrt. Große Steinwächter (Farang) säumen die 16 Tore der historischen Anlage. Chedis, Kapellen und Versammlungshallen (Wihan) umringen das zentrale Gebetshaus (Bot), dessen bronzener, meditierender Buddha aus Ayutthaya gerettet wurde. Phantastisch ist auch ein kolossaler, liegender Buddha, der mit seinen 46 m Länge das Innere einer Säulenhalle füllt. In die Fußsohlen der vergoldeten Gipsfigur sind die 108 heiligen Symbole des wahren Buddha (Lakshana) eingearbeitet. Über eine Stunde schlendern wir durch dieses bunte Sammelsurium. Hier verschmelzen Millionen von geschliffenen Fliesen und Glasscherben zu einem gigantischen Gesamtkunstwerk. Man kann nur erahnen wie viele detailverliebte Künstler hier am Werk waren. Nur wenige Hundert Meter vom Wat Pho entfernt befindet sich das kulturelle Herzstück Bangkoks, der Große Palast und das Wat Phra Kaeo. Schon auf dem Busparkplatz beginnt das Bad in der Menge. Das chinesische Neujahrsfest wirft seine Schatten voraus. Im Strom der Kulturreisenden aus dem Reich der Mitte treiben auch ein paar hilflose Europäer auf diese Kultstätte zu. Chu-Chu versucht die Gruppe verzweifelt zusammenzuhalten. Hier höre ich das erste Mal ihr ...Halleluja... Auch wenn sich ein bigotter Graukopf über diesen vermeintlich unchristlichen Ausruf mokiert, wird dieses Halleluja zum Markenzeichen unserer Truppe. Im Nationalmuseum sehen wir die größte Kunstsammlung Südostasiens. Neben den sakralen Exponaten dominieren die Schätze thailändischer Machthaber sowie die Chronik der königlichen Familie. Chu-Chu schwärmt von dem weithin verehrten Monarchen Bhumibol ...die Menschen in Thailand misstrauen der Regierung, aber sie lieben König Bhumibol ...er kennt die Sorgen der Menschen und hilft ihnen etwa mit klugen Projekten ...unser König hat in der Schweiz studiert und spricht gut deutsch ...auch unsere Königin Sirikit ist sehr beliebt ...sie kümmert sich um die Rechte der Frauen und besucht die Kranken im Spital ...leider hat Bhumibol viele Sorgen mit seinen Kindern ...sein Sohn ist ein Draufgänger und man sagt er leide an Aids ...die älteste Tochter hat einen Amerikaner geheiratet und lebt jetzt als geschiedene Frau in den USA ...die Menschen in Thailand hoffen auf die jüngste Tochter, sie ist sehr intelligent und studiert Naturwissenschaft, wie ihr Vater... So erfahren wir von den Problemen der königlichen Familie. Wie sich diese Monarchen doch ähneln. Unweigerlich werde ich an die Schlammschlacht im englischen Königshaus erinnert. Diese Museen ermüden und ich bewundere das Durchhaltevermögen einer chinesischen Familie, deren Kinder geduldig von einem Schaukasten zum anderen stapfen. Gähnend schleppe ich mich an die frische Luft. Jetzt brauche ich eine Auszeit, ein paar kulturfreie Minuten. Mit dem Einverständnis der Reiseleitung setzen wir uns von der Gruppe ab und schlendern führerlos durch die prächtige Anlage. Wieder prahlen die aufwendig -6-

verzierten Türme, Tempel und Kapellen um die Wette. Die drei zentralen Chedis überragen die übrigen Gebäude des Wat Phra Kaeo und verkörpern die verschiedenen Stilrichtungen sakraler Architektur in Thailand. Hier stehen sie in einer Reihe, der glockenförmige Chedi, der gedrungene Prang und der auf einem quadratischen Sockel ruhende Mondop. Im großen Bot versteckt sich der weitgereiste SmaragdBuddha. Diese unscheinbare, ca. 45 cm große Figur gilt als das wichtigste BuddhaBildnis Thailands. Wieder beeindrucken mich diese friedfertigen Pilger mit ihrem stillen Lächeln. Dicht gedrängt kauern sie auf dem Boden, verharren minutenlang in stiller Verehrung. Ich fühle mich klein und deplaziert. Tief im Innern bedauere ich meinen inzwischen fest verwurzelten Atheismus. Wir schlendern weiter durch die

prächtige Anlage vorbei an zahllosen Wandelgängen, dem königlichen Pantheon, mythologischen Zwitter-Wesen Apsonsi, zu den königlichen Thronhallen, die zu Recht als Meisterwerke der thailändischen Architektur bezeichnet werden. Unfähig weitere Eindrücke zu sammeln suchen wir den Ausgang. Dort treffen wir verspätet auf unsere Gruppe. In ihrer humorvollen Art erläutert Chu-Chu das Gesetz der Truppe ...wer zu spät kommt muss eine Flasche Mekong bezahlen ...Deutsche haben bisher noch nie bezahlt ...entweder sie sind immer pünktlich oder sie sind zu geizig... Noch auf dieser Reise wird sie ihre Meinung ändern müssen. Am Chao Phraya, dem zentralen Strom Bangkoks, finden wir ein gepflegtes Restaurant mit Blick auf den Fluss. Wieder stehen wir vor einem Berg thailändischer Köstlichkeiten. Mit vollen Mägen steigen wir in ein schlankes Passagierboot. Über den Chao Phraya erreichen wir die Kanäle Bangkoks. Im Herzen der Stadt reihen sich abenteuerliche Hütten, bunte Villen und moderne Holzhäuser aneinander. Schon nach wenigen Minuten verstummt der Verkehrslärm. Nur das Rasseln des Dieselmotors stört die Stille in diesem ‚venezianischen Paradies‘. Vor den schiefen Terrassen einiger Hütten stehen bunte, auf Pfählen errichtete Miniaturtempel. Sie erinnern an die Taubenhäuser alt-bayerischer Höfe und sollen von Geistern bewohnt werden. -7-

Chu-Chu erklärt ...der Thai ist ein religiöser Mensch und im Buddhismus tief verwurzelt ...trotzdem werden heidnische Rituale gepflegt und Geister beschworen ...bevor man etwa in ein anderes Haus einziehen kann, muss man zu-erst den Geist des Vorbesitzers ausquartieren... Zwischen Palmen und Wasserspinat lernen wir eine neue Lektion über das einfache Leben am Fluss. Inmitten dieser Idylle steigen wir auf einen bauchigen Reiskutter um lernen dort die exotischen Früchte Thailands kennen. Chu-Chu hilft beim Bedienen und freut sich über die ausgelassene Stimmung an Bord. Auf diesem Reiskutter tuckern wir träge zurück, vorbei an rostigen Lagerhallen und baufälligen Hafenanlagen. Dahinter wachsen die weißen Wolkenkratzer in den Himmel. In diesem Irrgarten vereinen sich die stummen Zeugen verschiedener Epochen. Prächtige Tempelanlagen, futuristische Bankhäuser und verwitterte Hütten spiegeln sich nebeneinander im Chao Phraya. Auch wenn der verwöhnte Städteplaner die Nase rümpfen mag, hier wird die Armut nicht in Hinterhöfen versteckt, hier pulsiert das Leben offen und ungeschminkt. Vor einem modernen Einkaufszentrum steigen wir an Land. Mit roten Gesichtern und ‚schwolle Füß‘ träumen einige müden Krieger nur noch von ihrem Hotelzimmer. Nach 6 Stunden Kultur sind alle Datenspeicher voll. Die Bildungshungrigen und Kunstverliebten sind heute ohne Zweifel auf ihre Kosten gekommen. Wir verlassen die Gruppe und streifen kurz durch diese mehrstöckigen Shoppingcenter. Mit einem Taxi (50 Bath) fahren wir in das Stadtviertel China Town. Am chinesischen Neujahrstag müsste dort eigentlich der Punk abgehen. Entgegen unserer Erwartungen finden dort keine rauschenden Straßenfeste statt. Der listige Taxifahrer setzt uns in einem Hinterhof, direkt vor dem Seiteneingang einer Kunsthandlung ab. Natürlich ist es ein Zufall, dass wir dort von einem freundlichen Geschäftsführer empfangen werden. Wir verabschieden uns mit einem Augenzwinkern und flüchten aus dem Hinterhalt. Der Taxifahrer verfolgt uns, hält auf unserer Höhe und zeigt uns einen deutschsprachigen Reiseführer. Auch eine leichte Sommerjacke kommt zum Vorschein. Meine zerstreute Gattin staunt nicht schlecht. Beschämt nimmt sie ihre sieben Sachen von dem vermeintlich schlitzohrigen Taxifahrer entgegen. Planlos irren wir durch schmuddelige Seitenstraßen und suchen feiernde Chinesen. Ein paar Girlanden und rote Lampions erinnern an das Neujahrsfest. Bald müssen wir erkennen, dass die große Show erst am Abend stattfindet. Jetzt schleichen nur ein paar Straßenköter um den Block und schauen uns mit müden Augen nach. Moni wird nervös, studiert den Reiseführer und sucht verzweifelt nach Orientierungshilfen ...wo sind wir hier eigentlich? ...das ist doch nie und nimmer China Town ...ich will jetzt endlich wissen wo wir sind... Für meine gleichgültige Bemerkung, ist doch egal, ernte ich kritische Blicke. Im Gegensatz zu Moni liebe ich unkontrollierte Situationen und Wege die ins Ungewisse führen. Kurz darauf ein erlösender Aufschrei. Moni dreht sich nach allen Seiten und weiß schlagartig wo wir sind. Unglaublich, selbst hier in diesem Großstadtdschungel, in diesem überdimensionalen Ameisenhaufen findet sich diese Pfadfinderin zurecht. Zielsicher führt sie uns an den Surawong zurück.

-8-

In der Nähe des Hotels gibt es eine kleine Fußmassagepraxis. Hinter großen Schaufenstern sitzen zufriedene Kandidaten auf Korbstühlen. Die jungen Masseurinnen locken mit ihrem unwiderstehlichen Charme. Gerne lasse ich mich von Moni überreden und nehme gespannt in einem Korbstuhl Platz. Die Prozedur beginnt angenehm. Nach dem Waschen werden die Füße eingecremt und gelockert. Doch plötzlich zaubert diese harmlos lächelnde Frau einen ca. 10 cm langen Holzdorn aus der Tasche. Gnadenlos bohrt sie dieses Folterinstrument zwischen meine Fußzehen, sucht die Schmerzpunkte an der Fußfläche und treibt mir langsam aber sicher die Tränen in die Augen. Nein, bloß keine Schwäche zu geben. Es ist fast wie beim Zahnarzt, mit dem Unterschied, dass ich mich völlig grund- und sinnlos drangsalieren lasse. Die Masseurin beobachtet meinen wehmütigen Gesichtsausdruck und fragt ...gut, ja?... Und was macht ein echter Mann, der nickt. Die Stunde dauert eine halbe Ewigkeit und ich freue mich am Ende über die wiedergewonnene Freiheit. Das zum Thema thailändische Fußpflege, nie wieder! Im Hotel angekommen darf ich mir noch die Spotttiraden meiner schadenfrohen Gattin anhören. Frisch geduscht und ausgeruht liefern wir uns das letzte Mal dem nächtlichen Dschungel aus. Wir umgehen den Nachtmarkt und folgen einer kaum frequentierten Parallelstraße zum Surawong. Die Luft steht in den Häuserschluchten und wir warten vergeblich auf eine kühle Briese. Von dieser Dunstglocke umgeben springen ca. 100 fanatische Aerobicdamen über ein Basketballfeld. Nur der Gedanke an rhythmische Bewegungen raubt mir jede Kraft. Wir kürzen den nächtlichen Ausflug ab und steuern das bewährte Restaurant 'Mango Tree' an. Dort lassen wir den letzten Abend in Bangkok bei Kerzenlicht und traditioneller Seitenmusik ausklingen. Vor dem Einschlafen kramt Moni ein Bild unserer Kinder aus. Mit besorgter Mine denkt sie an die armen Kleinen? Wahrscheinlich hocken sie mit Oma und Opa vor der Kiste. Ich hole die besorgte Mutter nach Thailand zurück. Morgen verlassen wir diese Millionenstadt und fahren über Ayutthaya nach Sukothai. 24. Januar 2001 Um 06.30 Uhr schrillt das Telefon. Koffer packen, Frühstück und schon sitzen wir im Bus. Unsere 16-köpfige Reisegruppe kann sich auf 50 Sitzplätzen ausbreiten. Nachdem wir die Stadt mit all ihren Trabanten hinter uns gelassen haben, folgen wir einer breiten Fernstraße durch das untere Menam-Becken. Chu-Chu fragt das erste Mal ...noch müde?... Ein gleichgültiges Brummen geht durch die Reihen. Unsere pflichtbewusste Reiseführerin lässt sich nicht beirren. Mit aufgestellter Hutkrempe greift sie nach dem Mikrofon und beginnt einen ihrer endlosen Vorträge ...bei uns in Thailand... Ihre angenehme Stimme schwingt durch den Raum, wie ein ferner Gesang. Ab und zu schnappe ich ein paar Sätze auf, über das Leben der Bauern im Menam-Becken, der Reiskammer Thailands, über den trockenen Winter und die Regenzeit. Die Morgensonne taucht die weite Ebene in ein weiches Licht. Im Halbschlaf wandern meine Blicke über abgeerntete Reisfelder und einsame Siedlungen. Momentaufnahmen von einer fremden Welt. Moni informiert sich im Reiseführer über die Geschichte der alten Hauptstadt Ayutthaya. Wir erreichen die Stadt am späten Vormittag und suchen zunächst vergeblich nach den stummen Zeugen des alten Siam. Nein, auch hier drängen sich unzählige Mopeds und protzige Pick-ups durch die bevölkerten Geschäftsstraßen. Ein mächtiger Prang aus der Khmer-Dynastie kündigt die Ruinenstadt an. Ein paar hundert Meter weiter wachsen die Chedis wie die Pilze aus dem Boden. Über drei Jahrhunderte residierten hier die Könige von Siam, kontrollierten den Südosten Asiens. Die backsteinfarbenen Mauerstümpfe, Säulen und Turmruinen lassen die Größe und den Glanz dieser Königsstadt erahnen. Im 18. Jahrhundert wurde die -9-

Stadt durch birmanische Krieger restlos zerstört. Viele Relikte dieser Zeit schmücken heute die Tempel Thailands. Wir besichtigen die Ruinen des Wat Phra Si Sanphet. Der ehemalige Staatstempel mit seinen kolossalen Chedis diente den Architekten

des Großen Palastes als Vorbild. Chu-Chu erklärt uns die Bedeutung der Ruinen ...in diesen Chedis werden die sterblichen Überreste von König Ramathibodi, sowie heilige Reliquien und königliche Insignien aufbewahrt, sie bleiben immer heilig und dürfen nicht abgerissen werden... Ich höre mir die Einleitung an und schlendere dann auf Solowegen durch den Garten der Backsteinfundamente. Vier 15-jährige Schulmädchen steuern auf mich zu, tuscheln und halten mir schließlich verschämt eine Kamera entgegen. In der Meinung sie fotografieren zu müssen greife ich nach dem Apparat, ernte aber nur ein lachendes Kopfschütteln. Erst jetzt begreife ich, dass ich ein Teil des Gruppenbildes werden soll. Das tut dem alten Knaben natürlich gut. Umständlich posieren wir vor einem Steinhaufen. Das grau-melierte Modell und seine Töchter. Auch ohne den Hinweis ...bitte lächeln... entstehen lustige Aufnahmen. Moni beobachtet dieses Schauspiel aus der Ferne und fragt mich verwundert nach dem Grund dieser weiblichen Attacke. Die Antwort bleibe ich schuldig. Wir verlassen den historischen Irrgarten und schlendern durch den benachbarten Wochenmarkt. Schwitzende Frauen stehen vor großen Pfannen und frittieren Fische, Bananen und Schweinehaut. Ihre roten Gesichter werden von dichten Dampfwolken

- 10 -

aufgeweicht. Schon beim bloßen Zuschauen bricht mir der Schweiß aus. Unzählige Besucher bummeln an den kleinen Marktständen mit aromatisch riechenden Gewürzen und kandierten Früchten vorbei. Trotzdem gibt es hier kein Gedränge. Diesen Menschen ist die Ellenbogenmentalität der stets unter Zeitnot leidenden Europäer fremd. Jedes Gewürz wird bedächtig abgewogen und eingepackt. Auch wenn weitere Kunden anstehen bleibt immer Zeit für eine kurze Unterhaltung. Von einem alten Chinesen kaufe ich ein verchromtes Küchenbeil (200 Bath). Dieses Schlitzohr lässt nicht mit sich handeln. Mit wichtiger Miene zeigt er mir das eingravierte Qualitätssiegel. Vergeblich suche ich seine Augen hinter den faltigen Hängelidern. Nach jedem gestenreichen Satz folgt eine Verbeugung. In seinem monotonen Singsang beschreibt er die Vorteile dieses außergewöhnlichen Beils. Ich verstehe nur Bahnhof, bezahle den geforderten Preis und lasse mir das gute Stück einpacken. Moni kauft getrocknete Bananen und handgefertigte Nussriegel. Wieder folgen wir dem Flusslauf des Chao Phraya und erreichen gegen Mittag die Zentralebene bei Nakhon Sawan. Hier vereinen sich die aus dem Norden kommenden Flüsse Ping und Nan zu Thailands größtem Strom und wichtigsten Verkehrsweg. Gerade rechtzeitig für ein leckeres Reismenü mit Früchten bevölkern wir die schattige Terrasse eines traditionellen Restaurants. Natürlich gibt es wieder eisgekühlte Früchte zum Nachtisch. Frisch gestärkt erkunden wir das bescheidene Zentrum der Kleinstadt und landen am Ende wieder auf einem Gemüsemarktmarkt.

Unglaublich, hier enden alle Wege auf dem Marktplatz. Die dicht gedrängten Marktstände sind mit schwarzen Planen überspannt, wodurch die schattigen Gassen fast unheimlich wirken. Eine alte Frau mit Reiskörben, zwei Schulmädchen auf einem alten Moped und ein halbwüchsiger Elefant schieben sich gleichzeitig durch die enge Marktstraße. In der Nähe des Gemüsemarktes ist ein Altar aufgebaut. Unter einem roten Baldachin sitzt ein kitschiger, blumengeschmückter Buddha und blickt auf betende Chinesen. Zum Neujahrsfest werden Singvögel freigelassen. Auch Moni entlässt zwei gefiederte Glücksbringer in die Freiheit. Mannshohe Räucherkerzen verströmen einen süßlichen Duft und es herrscht eine ausgelassene Festtagsstimmung. - 11 -

Leider können wir die überschwänglichen Reden der gutgelaunten Chinesen nicht verstehen. Chu-Chu erzählt ...hier im Norden Thailands leben viele Chinesen, sie pflegen ihre alten Traditionen und feiern ihre Feste ...so gibt es in Thailand drei Neujahrsfeste, das thailändische, das chinesische und das der westlichen Welt ...die Thais feiern alle drei - ganz einfach, weil sie gerne feiern... Auch hier erzählt sie wieder, dass die Betriebe an diesen Tagen vergeblich auf ihre Arbeiter warten. Mit einem überdachten Holzboot fahren wir über den Chao Phraya in die Mündung des Pings. Schwimmende Hütten wirken wie Treibgut. Vor den windschiefen Holzkonstruktionen flattern bunte Tücher im Wind. In den Heckwellen unseres Dampfers schaukeln kleine Fischerboote und drohen sich von den morschen Stegen loszureißen. Zwei dunkelhäutige Männer kontrollieren ihre aufwändig geknüpften Reusen. Diese einfachen Fischer leben seit Generationen auf diesen wenigen Quadratmetern, leben von dem was der Fluss hergibt und beteiligen sich nicht an der Diskussion über die Probleme der modernen Gesellschaft. Die technischen Errungenschaften unseres Jahrhunderts haben das Leben dieser Menschen kaum verändert. Chu-Chu erklärt ...diese Menschen sind nicht arm, sie könnten ihre Hütten leicht vergrößern, einen zweiten Raum anbauen oder ein zweites Boot anbinden, aber sie fragen zuerst nach dem Sinn dieser Investitionen ...der Thai ist nicht neidisch und legt keinen Wert auf Besitz ...wenn etwa der Vater in einem Raum Essen und Schlafen kann, dann wird der Platz auch für den Sohn ausreichen... Ich kann dieser Lebensphilosophie viel Positives abgewinnen. Einmal mehr hinterfrage ich die Werte unserer Gesellschaft. Wie viel Energie vergeuden wir täglich um unseren Besitz zu erhalten. Zeitraubende Pflichtübungen ersticken das wirkliche Leben. Könnte ich auf meine luxuriöse Wohnung, die CDs, den edlen Rover und letztendlich auch auf die Fernreisen verzichten? Kann man als verzogenes Opfer einer verkorksten Konsumgesellschaft seine Bedürfnisse auf dieses Mindestmaß reduzieren? Viele Fragen die mich bis heute beschäftigen. Die vergitterte Kabine einer klapprigen Seilbahn schwebt über den grünen Fluss. Mehrere Fahrgäste, darunter ein Mönch schaukeln in diesem seltsamen Gefährt. Sie sind auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, einem verschlafenen Tempel im Dschungel. Die verwitterte Stuckfassade des Wihans wird gerade restauriert. Vor dem klapprigen Baugerüst aus Bambusstangen warten hungrige Paviane. Die Tiere beobachten uns zunächst - 12 -

aus der Distanz. Chu-Chu teilt Hibiskusfrüchte aus und gibt damit das Signal zum Angriff. Die Affen rücken uns auf die Pelle und krallen sich ihr Futter. Ein Mönch führt uns in dem schlichten Bot und erklärt die verblichenen Wandmalereien. In die Abgeschiedenheit dieses Tempels finden nur wenige Pilger. Auch einige unserer Kulturfetischisten scheinen sich nach dem Sinn dieser Besichtigung zu fragen. Verglichen mit den prächtigen Anlagen in Bangkok wirken die mit Moos und Patina überzogenen Bauwerke schräg und schmucklos. Die wenigen Mönche sitzen im Schatten uralter Teakbäume oder sie wandeln schwerfällig durch den Park. Die Zeit scheint an diesem verlassenen Ort keine Rolle zu spielen. Fremde kommen, suchen nach dem Geheimnis der Buddhisten, füttern die Affen und gehen wieder. Wie singt doch Udo Lindenberg ...auf dem Bahnsteig des Lebens... Wir verlassen dieses Affentheater und fahren weiter nach Norden. Im oberen Menam-Becken halten wir an dem Bananenmarkt in Kamphang Phet. Eine halbe Stunde dreht sich alles um die gelbe Frucht. Während Chu-Chu die Probleme der Plantagenbesitzer schildert, schlendere ich durch den Markt. In großen Pfannen werden süße Bananenchips hergestellt. Minibananen hängen wie Trauben an den Verkaufsständen. Ein vierjähriges Mädchen schaut neugierig in meine Kamera, senkt den Kopf und läuft aufgeregt zu ihrer Mutter. Die junge Frau lacht und will die kleine Ausreißerin zurückschicken. Innerhalb weniger Augenblicke gerät die gesamte Familie in eine heitere Aufregung und ich werde wieder Zeuge dieser ausgelassenen Fröhlichkeit. Am Ende grinst auch die Kleine unter dem Rock ihrer Mutter vor. Diese Menschen können auch über banale Dinge herzhaft lachen. Warum können wir Verstandesmenschen nicht über diese einfachen Botschaften lachen? Wir wittern sofort den einfältigen Menschen und messen den Humor an der Intellektualität einer Aussage? Das geflügelte Wort ...am Lachen erkennt man den Narren... verliert hier seine Berechtigung. Wir verlassen die ausgedehnten Reisebenen und folgen dem Flusslauf des Yom durch die bewaldete Hügellandschaft bei Sukothai. Am späten Nachmittag erreichen wir das am Stadtrand gelegene, 4-Sterne-Hotel Pailin Sukothai. Ein modernes Gebäude mit gut ausgestatteten Zimmern, einem mediterranen Innenhof und einem schönen Pool. Nach dem kühlen Begrüßungstrank zerstreut sich die Gruppe. Moni erkämpft sich einen Liegeplatz am Pool und lädt mich zum Faulenzen ein. Später vielleicht, mich zieht es wieder hinaus. Dorthin wo die einfachen Hütten stehen. Die windschiefen, auf Pfählen ruhenden Holzkonstruktionen wirken wie Hühnerställe und werden von mageren Menschen und ihren Haustieren bewohnt. Auf dem gestampften Lehmboden unter den Hütten spielt sich ein Großteil des Familienlebens ab. Hier Zwischen Hängematten und Suppentöpfen verfolgen Kinder einen langbeinigen Hahn. Ein schwarzer Hund döst am Straßenrand. Auf der braunen Splitdecke des breiten Gehweges finde ich rote Kinderzeichnungen. Die lose Hüttensiedlung wird von einer überbreiten, schnurgeraden Straße geteilt. Schwere Lastzüge rollen durch - 13 -

die Dämmerung, einer verschlafenen Stadt entgegen. Die Dunkelheit zwingt mich zur Umkehr. In der Nähe des Hotels zieht mich ein buntbeleuchtetes Lokal an. Der aus vier Sitzgruppen bestehende Biergarten wirkt gepflegt. Freundlich deutet der junge Betreiber auf die leeren Stühle. Ich melde mich für später an und geselle mich zu meiner Frau. Nach einer Runde im Pool ist die Welt wieder in Ordnung. Vor dem Hotel tummeln sich einige Menschen auf einem Sommernachtsfest. Der Alleinunterhalter quält seine Hammondorgel und der Geruch gebratenen Fleisches überlagert die Auspuffgase der nahen Fernstraße. Moni fragt mich ...wollen wir uns nicht gleich hier niederlassen... Nein, ich will diesen freundlichen Barkeeper nicht enttäuschen und so besuchen wir die beleuchtete Hütte jenseits der großen Straße. Wir sind die ersten Gäste und werden nach einer überschwänglichen Begrüßung an unseren Platz geführt. Bei Mekong und Bier genießen wir den lauen Abend. In das Grollen des Straßenverkehrs mischen sich die fernen Klänge der Hammondorgel. Ein interessantes Paar aus Sachsen sucht ebenfalls nach dem Nachtleben in dieser verschlafenen Vorstadt. Die beiden leisten uns Gesellschaft und wir erfahren von der abenteuerlichen Tellerwäscherkarriere eines arbeitslosen Sportlehrers, der nach der Wende mit einem Koffer auszog und zehn Jahre später als millionenschwerer Inhaber eines großen Dienstleistungsunternehmens seine Schäfchen längst im Trockenen hat. Zusammen mit seiner jungen Partnerin greift der 60-Jährige jetzt nach dem prallen Leben. Wir staunen nicht schlecht und bewundern die Bescheidenheit dieses erfolgreichen Mannes. Gerne lassen wir uns zu einem weiteren Bier überreden und schleichen am späten Abend beschwingt in das Hotel zurück. 25. Januar 2001 Auch hier in Sukothai werden wir früh aus den Federn geholt. Nach einer kurzen Fahrt in den Westen der Stadt stehen wir vor dem Weltkulturerbe Alt-Sukothai.

Auf einem Areal von rund 70 Quadratkilometern gäbe es rund 40 Tempelanlagen zu - 14 -

besichtigen. Wir konzentrieren uns auf die Ruinen der ehemaligen Königsstadt im Zentrum der von Wassergräben und Schutzwällen umgebenen Anlage. In der Morgensonne leuchten die erdfarbenen Ruinen des Wat Mahathat. Die kolossale Buddha-Statue hinter roten Backsteinsäulen spiegelt sich im Wasser.

Chu-Chu erzählt von den Herrschern des siamesischen Königreiches ...Sukothai war im frühen 13. Jahrhundert ein Außenposten des Khmer-Imperiums. Unter König Ramkamhaeng wurde das Reich Sukothai zur bedeutendsten Macht im Menam-Becken ...auch diese Stadt wurde durch die von Norden einfallenden Birmanen zerstört... Ich mag die Erzählweise von Chu-Chu, insbesondere wie sie den komplizierten Namen ... Ramkamhaeng... in einem Satz dreimal erwähnt. Mit dem Instinkt des Jägers und Sammlers haste ich über Backsteinfundamente und versuche die leuchtenden Zeugen einer längst vergangenen Zeit auf Zelluloid zu bannen. Ein goldbrauner Hund folgt mir auf Schritt und Tritt. Er scheint sich über mein merkwürdiges Verhalten zu wundern. Über einem Wassergraben hängen stahlblaue Nebelschwaden. Fremdartige Bäume breiten ihre Kronen aus und sorgen für ein bizarres Licht- und Schattenspiel. Die wenigen Besucher schlendern über die schattigen Wege und scheinen viel Zeit zu haben. An einem Stand verkaufen alte Frauen gefüllte, zu Taschen gefaltete Bananenblätter. Moni rümpft die Nase und gibt mir ihren Teil ab. Die Füllung, eine weiße, undefinierbare Pampe, schmeckt fremdartig aber erfrischend. Zu Fuß - 15 -

erreichen wir das im Khmer-Stil errichtete Wat Si Sawai. Das Zentrum dieser Tempelanlage wird von drei gedrungenen Prangs beherrscht. Von hier aus fahren wir mit dem Bus zu unserer letzten Station, dem Wat Si Chum. Ein ca. 20 m hoher, ringsum eingemauerter Buddha blickt seinem Betrachter direkt in die Augen. Innerhalb dieses Mondops fühlt man sich permanent beobachtet ...big brother ist watching you... Nach diesem Besichtigungsmarathon fahren wir durch die Reiskammer des oberen Menam-Beckens. Auf dem Weg nach Lampang erzählt Chu-Chu von den Weltreisen mit ihren vermögenden Tanten ...ihr müsst wissen, ich war schon in der ganzen Welt - mit meinen Tanten, sehr alt und schwierig ...ich muss mich um alles kümmern - aber sie bezahlen ...praktisch, aber anstrengend ...sie sind nie zufrieden und meckern... Chu-Chu erzählt leidenschaftlich und die meisten Pointen versickern in ihrem kehligen Lachen. Mit Tränen in den Augen startet sie ihre Angriff auf die strapazierten Lachmuskel der Reisenden und schwenkt dann abrupt in das gegenwärtige Geschehen ein ...zurück zu unserem Thema... Wir erreichen Lampang und besichtigen den Tempel Wat Phra That Lampang, der in Nordthailand höchste Verehrung genießt. Er wurde im 15. Jahrhundert auf einer An-

höhe an Stelle einer Festung errichtet. Vor dem westlichen Eingang streckt ein uralter Buddha-Baum seine verschlungenen Äste aus. Unzählige, verzierte Stützgabeln verdecken den knorrigen Stamm des Baumriesen. Vor unseren Augen schleift ein schmächtiger Bauer eine monströse Stange vor den Buddha-Baum und richtet sie - 16 -

mühsam auf. Chu-Chu erklärt ...die alten Bäume sind heilig ...früher hat Buddha auf seinen Reisen im Schatten dieser Bäume meditiert ...die Stangen sind Opfergaben und sollen dem Spender Glück bringen oder etwa das Böse abwehren... Die in massiver Holzbauweise errichteten Gebäude innerhalb der befestigten Tempelanlage sind sternförmig um einen messingfarbenen Chedi angeordnet. Filigrane Schnitzereien schmücken die Fassaden und Säulen der Gebetshallen. Der riesige, an einer Seite offene Wihan, eine gedrungenen Balkenkonstruktionen mit doppelstöckigem Dach, erinnert an die Stabkirchen in Norwegen. Der Tempel gilt als ein Meisterwerk der späten LannaArchitektur. Neben einem steinernen Hochaltar in Form eins laotischen Prangs zählt die geschwungene Haupttreppe, flankiert von drachenähnlichen Fabelwesen Nagas zu den kulturellen Highlights dieser Anlage. Über diese Treppe verlassen wir schließlich die historische Stätte und treffen auf dem Parkplatz auf mehrere Schulklassen. Die acht- bis zehnjährigen Mädels winken schon von weitem und grüßen ausgelassen. Mit ihrem offenen Blick versprühen diese Kinder Lebensfreude, rütteln uns wach und verbreiten gute Laune. Irgendwie erinnert die Szene an einen alten, kitschigen Streifen mit Heinz Rühmann. Ich mag gar keine Vergleiche mit dem Verhalten mancher Schulklassen in der Heimat anstellen. Pünktlich zur Mittagszeit erreichen wir die Lampang-River-Lodge. Ein rustikales Restaurant mit Seeterrasse in einem gepflegten Park. Mehrere getarnte Blockhütten entdecken wir erst auf den zweiten Blick. Während des Mittagessens erfahren wir, dass man sich hier völlig unbürokratisch, auch ohne vorherige Reservierung einmieten kann. Diese vergleichsweise günstigen Wohnanlagen sind in allen Teilen Thailands zu finden. So ließen sich die Geheimnisse dieses Landes auch auf eigene Faust entdecken. Gedanklich schnalle ich mir den Rucksack schon einmal um. Auf der Fahrt durch das landschaftlich reizvolle Land der Lanna-Könige im Norden Thailands halten wir an einer Ananasplantage. Die steilen Felder erinnern an die Weinberge der Provence. Die Frucht der ca. 1 m hohen Pflanze wird von stacheligen Blättern, ähnlich einer Agave, geschützt. Hier möchte ich kein Tagelöhner sein. Allein der kurze Spaziergang durch die trockenen Kulturen, auf diesen steilen, staubigen Wegen treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Nach einer halben Stunde geselle ich mich zu meiner Frau, die sich mit dem Großteil der Gruppe in den Schatten zurückgezogen hat. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit schält hier ein Bauer mehrere Ananasfrüchte und teilt das frische Fruchtfleisch an die Zuschauer aus. Die süßen Fruchtstücke duften und zergehen auf der Zunge. Nach diesem erfrischenden Halt folgen wir der autobahnähnlichen Seidenstraße durch bewaldete Hügelketten, Reiskulturen und karge Berglandschaften und erreichen am späten Nachmittag den Kwan Pah Yau See. In einem kleinen Ausflugsort bleibt gerade mal Zeit für einen kurzen Spaziergang mit anschließender Zigarettenpause. Die tiefliegende Sonne spiegelt sich auf der Oberfläche des Stausees und taucht die belebte Uferpromenade in ein warmes Licht. Mehrere Pfade führen durch das Buschwerk und enden in kleinen Liebesnestern am Wasser. Pärchen schlendern vorbei und Moni denkt wieder an zu Hause. Amüsiert versuche ich ihre wehmütigen - 17 -

Gedanken einzufangen. Für meine schrägen Anspielungen ernte ich zornige Blicke ...dir ist es ja egal was zu Hause passiert... und schon stehen wir wieder im Ring. Bevor unsere Schattenboxerei so richtig in Gang kommt, überfällt uns eine freundliche Dame aus der Reisegruppe ...so ein schönes Paar, soll ich ein Foto von euch machen... Ich glaub' es nicht! Moni grummelt noch ein wenig, setzt sich dann aber brav in Pose. Die Fotografin bringt uns schnell auf andere Gedanken - Schwamm drüber, neue Abenteuer warten auf uns. Wir starten zur letzten Etappe durch das nördliche Thailand. Vor dem tiefblauen Abendhimmel sind die langgestreckten Hügelketten bald nur noch schemenhaft erkennbar. Es wird still im Bus und selbst unsere redselige Chu-Chu hängt ihren Gedanken nach. Die lange Fahrt endet in den beleuchteten Straßen der ehemaligen Königsstadt Chiang Rai. In diesen Bergen residierten einst die Herrscher des LannaReiches. Im 13. Jahrhundert wanderten sie in den Süden ab, wodurch die karge Bergregion an Bedeutung verlor. Chiang Rai hat den Charme einer vergessenen Kleinstadt. In den vergammelten Gassen sind zahllose Stände und Straßenküchen aufgebaut. Wir erreichen das vergleichsweise moderne Saun Charin Ressort im Zentrum der Stadt. Nach dem Begrüßungscocktail deponieren wir die Koffer, machen uns frisch und stapfen los. Endlich kann ich meine leidgeprüften Knochen bewegen. Schon nach wenigen Minuten erreichen wir den berühmten Nachtmarkt, eine verwinkelte Fußgängerzone mit kleinen Restaurants, Bars und Bühnen. In großen Pfannen brutzeln Fische, Gemüse und Speckstreifen. Frittierte Käfer und Maden finden einen reißenden Absatz. Auf den ersten Blick erinnern die gegrillten Insekten an gebrannte Mandeln. Die fremden Küchendünste vermischen sich mit dem Schweißgeruch der vielen Nachtschwärmer. Oft bleibt nur ein schmaler Pfad zwischen den bunten Decken der einheimischen Marktfrauen. Hier sehen wir zum ersten Mal die stolzen Gesichter der Akha-Frauen. In ihren traditionellen Trachten mit den schweren, silberbehangenen Kopfbedeckungen wirken sie majestätisch. Geduldig hocken sie hinter ihren handgewebten Decken, den bestickten Lahu-Taschen und ihren Schnitzereien aus Teakholz. Die Bergvölker prägen das Bild dieser Region. Im Gegensatz zu den Indianern in Arizona und Utah scheinen sie ihren Platz im zivilisierten Leben gefunden zu haben. Ich bin begeistert von der natürlichen Schönheit dieser ungeschminkten Frauen. Wir holen uns zwei große Flaschen Singha-Beer, einen Gemüseteller mit gebratenem Fleisch aus den Straßenküchen und lassen uns auf dem zentralen Platz, gegenüber einer Bühne nieder. Ein junger Thai zupft auf seiner akustischen Gitarre und singt bekannte Folk-Songs. Wir erleben einen lauen Sommerabend im Januar und genießen die friedliche Atmosphäre zwischen dem überwiegend einheimischen Publikum. Hier sucht man vergeblich nach Betrunkenen, keine grölenden Wichtigtuer stören dieses Fest, auch die verkniffenen Moralapostel und Besserwisser fehlen. Mag sein, dass mein subjektiver Eindruck diesem allnächtlichen Treiben nicht gerecht wird, aber warum sollte ich krampfhaft nach einer Kehrseite suchen. Nein, ich glaube an diesen Traum von einer Welt ohne Verpflichtungen, Sorgen und Ängste. 26. Januar 2001 Heute dürfen wir bis 7.30 Uhr schlafen und auch für ein ausgedehntes Frühstück bleibt genug Zeit. Wieder fahren wir nach Norden und erreichen nach knapp zwei Stunden Mae Sai, die nördlichste Bastion Thailands. Hier blüht der Handel. Aus dem angrenzenden Myanmar strömen die burmesischen Händler in die Kleinstadt und bieten Lackwaren, Jadeartikel und Edelsteine zum Kauf. Das vergleichsweise kulturarme Mae Sai wird von einer breiten, verkehrsreichen Hauptstraße zweigeteilt. In den engen Seitenstraßen pulsiert das Geschäftsleben. - 18 -

Nur mit Mühe finden wir einen Parkplatz in der Nähe des Wat Phra That Do Wao. Über eine Naga-Treppe erreichen wir diesen schönsten Tempel der Stadt. Von hier oben kann man die ganze Senke und die angrenzenden Hügelketten Burmas sehen. Schön ist der mit Schnitzereien verzierte Bot der kleinen Anlage. Eine schlichte Metalltreppe führt auf einen ca. 20 m hohen Aussichtsturm. Dort störe ich zwei jugendliche Mönche, die bei meinem Eintreffen schlagartig verstummen. Sie meiden den Blickkontakt und drehen sich scheu zur Seite. Vermutlich palaverten sie über Frauen, Motorräder oder Rockmusik. Unterhalb des Tempels Wat Phra That Do Wao schlendern wir durch einen urigen Gewürzmarkt. Chu-Chu klärt die interessierten Damen über die zahllosen Kräuter und Pilze der Region auf. Moni steht in der ersten Reihe und ich sehe ihre Augen leuchten ...in Deutschland bezahlt man für diese Edelpilze ein Vermögen... ist doch egal womit wir unsere Koffer füllen... Ich versuche ihre wachsende Kauflust zu bremsen und werde daraufhin mit einem potentiellen Bremsklotz verglichen. Das ist der Auslöser für meinen nächsten Alleingang. Jenseits der breiten Straßen schlendere ich durch die schmuddeligen Gassen, vorbei an übelriechenden Abflussrinnen und schiefen

Strommasten. Ein kleiner Kolonialwarenladen mit Veranda zieht mich magisch an. Im Laden treffe ich auf eine ca. 50-jährige Thai mit schneeweißer Schürze. Nach einer kurzen Verneigung strahlt sie mich gespannt an. Ich sehe mich in dem liebevoll gestalteten Laden um. In hohen Regalen lagern bunte Schachteln, Dosen und Flaschen. Eine verbeulte Stehleiter versperrt den Weg zur Fischtheke. Die Verkäuferin beobachtet mich unaufdringlich und folgt mir in kleinen Schritten. Am Ende freut sie sich riesig über meinen bescheidenen Einkauf. Mit einer Schachtel Marlboro und einem kitschigen Einwegfeuerzeug kehre ich in die grelle Mittagssonne zurück. In diesem Bezirk suche ich vergeblich nach Europäern. Die meist ärmlich gekleideten Menschen drehen sich nach mir um und scheinen sich zu fragen was dieser Irrläufer in dieser gottverlassenen Gegend sucht. Hinter blinden Fensterscheiben wird gegessen, gespielt und getrunken. Nur ein paar Straßen weiter verändert sich dieses Bild drastisch. Verzierte Fassaden, kunstvolle Eingangstüren und Messingschilder zeu- 19 -

gen vom Reichtum der ansässigen Edelsteinhändler. Auf langen Tischen liegen die kostbaren Steine aus. Verkäufer und Kunden, meist ältere Damen, nehmen die funkelnden Steine unter die Lupe und feilschen um den Preis. Grinsende Ganoven mit weißen Krägen geben sich die Klinke in die Hand. Sicher könnte man hier das ein oder andere Schnäppchen machen, vorausgesetzt man verfügt über das nötige Kleingeld und den Sachverstand. Nachdem ich beides nicht habe, verlasse ich die Höhlen der Schmuggler. Erst jetzt wird mir klar, dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß wo ich hier bin. Im Eifer des Gefechts habe ich jede Orientierung verloren. Im Wettlauf mit der Zeit haste ich durch die verwinkelten Straßen, suche nach bekannten Ecken und finde schließlich ins Zentrum zurück. Den Bus erreiche ich 20 Minuten zu spät. Wie ein verlorener Sohn folge ich dem Boy, der mich schon wie eine Stecknadel suchte. Chu-Chu empfängt mich lachend und fordert die erste Flasche Mekong ...deine Frau war sehr aufgeregt ...auch ängstlich, ja ...aber macht nichts, ich war auch zu spät, etwa ein paar Minuten ...ich muss auch eine Flasche Mekong bezahlen... und zur mürrischen Reisegruppe sagt sie ...so, jetzt ist unser Ausreißer wieder da, wir können weiterfahren... Moni ist stinksauer und nennt mich einen verantwortungslosen Herumtreiber ...was denkst du dir eigentlich wenn du alleine unterwegs bist ...das nächst Mal wartet der Bus nicht, dann kannst du mit dem Taxi zurückfahren... Was soll ich darauf sagen? Ich halte lieber meine Klappe und überhöre die spitzen Kommentare aus der Reisegruppe. Nach einer halben Stunde Fahrt erreichen wir das Zentrum des Opiumhandels im Goldenen Dreieck. Mit einer leichten Verspätung halten wir vor dem ‚Golden Trangle Ressort‘, ein exklusives Hotelrestaurant mit Aussichtsterrasse. Chu-Chu lässt sich nicht auf die hinteren Plätze abdrängen. Hartnäckig besteht sie auf die Pool-Position im vorderen Teil der Terrasse. Unter bunten Sonnenschirmen überstehen wir die nächste Schlacht am heiß-/kalten Büffet. Nach dem obligatorischen Kaffee bummeln wir durch einen kuscheligen Markt an der Uferpromenade. Neben kleinen Bars gibt es mehrere Verkaufsstände mit ansprechenden Textilarbeiten. Froh über die Bewegung im Freien lassen wir uns zurückfallen und verzichten auf den Besuch eines Opiummuseums. Am Ende des Marktes führt eine lange Granittreppe zu einer alten Tempelanlage. Die Gebetshäuser und Skulpturen werden von diesem grauen Stein dominiert. Zusammen mit den robusten, kaum verzierten Balkenkonstruktionen wirkt dieser einfache Tempel wie ein mittelalterliches Kloster. Moni verzichtet auf diesen kulturellen Alleingang und wartet auf der schattigen Treppe. Auch hier schlängeln sich zwei fünfköpfige Nagas über die Mauerbrüstungen. Im Gefolge der schwitzenden Museumsbesucher klettern wir erneut in ein Boot und folgen der natürlichen Grenze zwischen Birma und Laos. Chu-Chu zeigt uns die noble Spielbank auf burmesischer Seite ...ihr müsst wissen in Thailand ist das Glücksspiel verboten ...Thais spielen gerne und viele kommen etwa hierher und verlieren ein Vermögen ...ich nicht, ich habe kein Vermögen und kann deshalb auch nichts verlieren... Das futuristische Bauwerk wirkt reichlich deplaziert. Es überragt die einfachen Hütten am Ufer des Mekong. Chu-Chu liebt die modernen Prestigebauten, schwärmt von Kliniken, Bankpalästen und Autobahnbrücken nach europäischem Muster. Im Gegensatz zur knipsenden Mehrheit kann ich diese Begeisterung nicht teilen. Unterhalb der steilen Uferböschung kleben kleine Gärten. Schmale Pfade führen ins Hinterland. Hier ist keine Menschenseele unterwegs. Die wenigen Häuser wirken verlassen. Das typische Bild eines Niemandslandes. Gerne hätte ich ein paar Blicke hinter diese Kulisse geworfen. Auch das laotische Grenzgebiet wirkt ausgestorben. Ferne, nebelverhangene Bergketten wecken meine Neugierde. Wer weiß, vielleicht lerne ich irgendwann einmal auch die Menschen und Kulturen dieser Länder kennen. Der breite Strom ist eine Spielwiese für halbwüchsige Rennfahrer. Mit dem breiten Lächeln des Siegers jagen sie an den träge dahindümpelnden Touristen vorbei. Die - 20 -

überdimensionalen Auspuffrohre ihrer Rennboote röhren höllisch. Unweigerlich muss ich an die Ehekirchener AUDI-Fetischisten denken. Im Gegensatz zu einigen verärgerten Zeitgenossen nimmt Moni diesen Lärm gelassen hin. Als leidgeprüfte Nachbarin eines Pups kann sie so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Nach diesem Ausflug lassen wir uns wieder in einer kuscheligen Cafe-Bar verwöhnen. Die freundlichen Betreiber nehmen die Großbestellung mit einem hilflosen Gesichtsausdruck entgegen. Auf mehreren Gaskochern blubbert heißes Wasser und aus kleinen Filtern tröpfelt Kaffee. Wieder erleben wir die stoische Ruhe der Asiaten. Ich muss an den Lieblingsspruch von Theresia denken ...ich war nicht gerne wo ich herkomme und ich bin nicht gerne wo ich hingehe, warum sehe ich den Augenblick mit Ungeduld... Moni unterhält sich mit den verliebten Jungs, zwei zurückhaltende Homosexuelle aus Bayern. Der Kaffee weckt Tote auf, gerade recht für den nachmittäglichen Durchhänger. Wir verlassen das Goldene Dreieck und fahren wieder nach Süden. Chu-Chu schält Pomelos und plaudert wieder einmal aus dem Nähkästchen ...die Männer in Thailand sind schlecht erzogen, verwöhnt von ihrer Mutter ...die sind faul - alles muss die Frau machen ...man kann sie nicht mehr erziehen ...wenn ein thailändischer Mann nicht folgt, dann kannst du ihn nur noch erschießen ...wenn es dann so weit ist, musst du etwa nur rechtzeitig das Gewehr putzen, dann weiß er Bescheid, ja... Ihre Geschichten aus dem wirklichen Leben kommen immer wieder gut an. Nach den Pointen lacht sie selbst am lautesten. Kaum einer im Bus kann sich dieser Heiterkeit entziehen und auch unserer wortkargen Schwäbin, eine junge Frau aus Meitingen, huscht ein vorsichtiges Lächeln über den meist zusammengekniffenen Mund. Moni ärgert sich über die vermeintliche Unhöflichkeit dieser Außenseiterin ...die blöde Zicke ignoriert mich total - schaut einfach weg wenn ich auf sie zugehen will... Wie so oft sucht sie die Ursache für das Verhalten anderer ausschließlich in ihrer eigenen Person. Ihre Selbstzweifel erzeugen Aggressionen und trüben den Blick für die Wirklichkeit. Wir diskutieren noch oft über diese ernste Schwäbin, die sich während der gesamten Reise isoliert und bei jeder Gelegenheit den Kopf einzieht. Schon am frühen Abend treffen wir wieder in Chiang Rai ein. Nach diesem überschaubaren Tagesprogramm bleibt noch Energie für weitere Unternehmungen. Laut Chu-Chu gibt es in Chiang Rai die besten Masseurinnen des nördlichen Thailands. Stolz erklärt sie ...die klassische Thaimassage kann man in einer Massageschule in Bangkok erlernen ...die Ausbildung dauert 3 Monate und ist sehr anstrengend ...ich habe diese Schule auch besucht, wollte einfach wissen wovon ich rede... Chu-Chu organisiert die Fahrt zu einem unscheinbaren Massagesalon. Der Empfangsraum gleicht einer Arztpraxis. Unweigerlich muss ich an die schmerzhaften Erfahrungen im Fußmassagesalon in Bangkok denken. Während die Betreiberin unsere Gruppe geschäftig aufteilt, mustern uns die wartenden Masseurinnen verstohlen. Das Kichern und Tuscheln aus ihren Reihen sorgt für eine gelöste Atmosphäre. Bald finden wir uns in einem schummrig beleuchteten Matratzenlager wieder. Nach dem allgemeinen Striptease - 21 -

streifen wir einen dünnen Seidenanzug über und legen uns auf die bequemen Unterlagen. Es wird still, nur eine kaum wahrnehmbare, fernöstliche Musik schwingt durch den Raum. Fast schwerelos genieße ich jeden Handgriff dieser routinierten Masseurin, eine ca. 50-jährige, kräftige Frau. In ihrem breiten Gesicht zeichnen sich die Backenknochen ab. Auf den ersten Blick könnte man sie für eine Mongolin halten. Mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel strapaziert sie jeden Muskel meines Körpers. Geschickt setzt sie ihr gesamtes Gewicht ein und ringt mir unvorstellbare Verrenkungen ab. In der Schlussphase versöhnt sie mich mit einer wohltuenden Gesichtsmassage. Entgegen meiner Befürchtungen vergehen die zwei Stunden wie im Flug. Erst nachdem das Licht eingeschaltet wird rappeln sich die ersten auf und tasten mit verkniffenen Augen nach ihren Kleidern. Bisher lehnte ich jede Massage ab, wollte mich nicht freiwillig drangsalieren lassen. Ein dummes Vorurteil, wie sich jetzt herausstellt. Chu-Chu freut sich auf die positive Resonanz aus der Gruppe ...gut, ja? ...jetzt gehen wir auf den Nachtmarkt - essen.... Wieder schlendern wir durch die schmalen Gassen, lachen den gleichen Marktweibern zu und werden sofort erkannt. Meist wissen sie noch wofür wir uns am Vortag interessierten, zeigen mit fragendem Blick auf ihre Schätze und lächeln auch wenn wir den Kopf schütteln. Mit wichtigen Mienen halten sie uns ihre schlichten Handarbeiten entgegen. Mir gefällt eine zugegeben finster dreinschauende Marionette mit beweglichen Augäpfeln. Monis Kommentar ...dieses hässliche Ding passt nicht in unsere Wohnung.... erübrigt die weiteren Verkaufsverhandlungen. Heute essen wir auf der Terrasse eines gepflegten thailändischen Restaurants. Mit Blick auf den Marktplatz lassen wir die Zeit verstreichen. Vorbeigehende Nachtschwärmer lenken uns immer wieder ab. Ein Sammelsurium an interessanten Gestalten. Baumlange Europäer mit roten Gesichtern, Freaks mit Lederhut und Sonnenbrille, Chinesen im Maßanzug, pygmäenhafte Gestalten aus den Hmong-Bergen und feingliedrige Thailänderinnen im Sarong schieben sich durch die schmalen Gassen. Wir wählen zwei typische Reisgerichte aus der Region. Dazu gibt es ausnahmsweise ein Glas sauren Rotwein. Ab und zu treibt uns der laue Abendwind den würzigen Geruch umliegender Straßenküchen in die Nase. Keine Frage, die einfache Kost braucht den Vergleich mit den Gerichten vergleichsweise teurer Restaurants nicht zu scheuen. Laut Chu-Chu ernähren sich die berufstätigen Thailänder vorwiegend an der Straße. Im Vorbeigehen löffeln sie ein Fischragout oder einen Gemüseeintopf mit gebratener Entenbrust. Auf den ersten Blick erinnert dieses Prozedere an die amerikanische Fastfood-Kultur. Auf keinen Fall sollte man aber diese frisch zubereiteten Mahlzeiten mit den Hamburgern und Chickenwings westlicher Großkonzerne vergleichen. Aber nun, wie würde Chu-Chu sagen ...zurück zum Thema... Wir drehen noch eine letzte Runde über den Platz. Langsam wird es ruhiger zwischen den bunten Decken der Marktfrauen. Eine alte Akha-Bäuerin sitzt am Rande des Geschehens. Mit einer stoischen Ruhe widmet sie sich einer Paillettenstickerei. Auf den fertigen Decken sind Elefanten, Drachen und Tänzerinnen erkennbar. Neben den winzigen Metallpailletten sind unzählige Glasperlen eingearbeitet. Kleine phantasievolle Kostbarkeiten, die den schlichten Rahmen des europäischen Geschmacks sprengen. Die Frau unterbricht ihre Arbeit und beobachtet uns wortlos. Moni drängt ...komm kaufen wir ihr doch eine Decke ab und wehe du handelst ... Mit gesenktem Kopf zeigt sie uns ein vergammeltes Pappschild. 100 Bath, das sind gerade mal 5 DM. Nein, da kann man wirklich nicht mit gutem Gewissen handeln. Auch wenn diese Frau im Akkord arbeitet, bleibt der Stundenlohn wohl im Bereich von 10 oder 20 Pfennigen. Moni gibt ihr eine 100 Bath-Note und entfacht ein kleines Freudenfeuer. Aufgeregt wedelt sie mit dem Schein und schnattert mit einer Nachbarin. Am Ende eines jeden Satzes schielt sie mit einem vieldeutigen Blick zu uns und lacht. Durch - 22 -

dieses gute Geschäft ermuntert, zeigen uns die benachbarten Marktfrauen ihre Stickereien. Vor unseren Augen kreisen die bunten Fabelwesen fernöstlicher Kulturen. Für wenig Geld könnte man sein Zuhause mit Drachen und Elefanten ausstaffieren. Die fröhliche Geschäftigkeit der kleinwüchsigen Akha-Frauen steckt an. Unser Entschluss keine weiteren Decken zu kaufen wird zwar bedauert, hat aber letztlich keinen Einfluss auf die gute Stimmung. Hier gibt es keine verärgerten Mienen und kein Fluchen unzufriedener Händler. Ich muss wieder an Chu-Chu denken ...bei uns in Thailand kennen die Menschen keinen Neid ...niemand ärgert sich über den Wohlstand des Nachbarn ...man braucht auch kein Statussymbol, etwa ein großes Haus oder ein teures Auto ...ich bin jetzt anders ...habe in Europa gelernt anders zu denken - schade eigentlich... Todmüde und hellwach kehren wir gegen Mitternacht in das Hotel zurück und philosophieren vor dem Einschlafen über die zentralen Werte eines erfüllten Lebens, über die Freiheit der Besitzlosen und die Ketten der Vermögenden. 27. Januar 2001 Heute verlassen wir die Hochebenen um Chiang Rai und folgen den breiten Flusstälern. Die tiefstehende Morgensonne spiegelt sich im aufsteigenden Nebel. Auf einer verschlungenen Nebenstraße fahren wir durch kleine Dörfer und imposante Landschaften. Wie ein riesiges Adernetz prägen die Flüsse das Bild dieser Region. Zahlreiche Altwasserbecken dienen der Fischzucht. Immer wieder sehen wir Menschen, die sich am Wasser aufhalten. Auf ausgedehnten Grasebenen weiden Büffel. In Gedanken rieche ich das feuchte Gras, laufe durch die Wiesen, über verschlafene Wege bis zum Horizont. Leider lässt das straffe Programm der Rundreise keinen Raum für individuelle Seitensprünge. So hasten wir im Zeitraffer durch diese Galerie der Eindrücke und versuchen das ein oder andere Bild mitzunehmen. Halt machen wir erst an den heißen Quellen von Wiang Pah Pau. Natürlich gibt es wieder jede Menge Touristen. Der kleine Parkplatz scheint die Reisebusse magisch anzuziehen. So traben wir im Sog der Masse durch die Souvenirmeile und erreichen einen kleinen Innenhof. Die heißen Quellen blubbern cirka 2 m unter der Erdoberfläche. Aus mehreren vergitterten Brunnenschächten steigt heißer Dampf auf. Neugierige Touristen versammeln sich um diese geheimnisvollen Brunnen. Mit kindischer Freude hängen sie Drahtkörbe in das Wasser und kochen Eier. Dieser dämliche Rummel geht mir auf den Geist. Mit den Bildern der lichtdurchfluteten Reisfelder im Hinterkopf ziehe ich mich in den angrenzenden Dschungel zurück. Zwischen überwucherten Palmen und Bananenstauden finde ich mein inneres Gleichgewicht wieder. Mir geht die Textpassage eines alten BAP-Songs durch den Kopf ...ihr fracht mich was ich für´s bess´re Lewe halt, das vom Kettehund oder das von dem der streunt und stiehlt... Warum flüchte ich eigentlich aus Situationen wie diesen? Worauf basiert diese Abneigung gegen das organisierte Gruppenerlebnis? Fragen für die ich keine Antworten finde. Noch 20 Minuten gehe ich kreuz und quer durch die Natur, hänge meinen Gedanken nach und atme tief durch. Auf der Fahrt nach Chiang Mai erzählt uns Chu-Chu von ihrem Erlebnis auf dem Nachtmarkt. ...gestern Abend war ich noch auf dem Nachtmarkt, schön ...habe mich zu den Frauen auf die Decke gesetzt und geholfen, ja ...ein unverschämter Amerikaner wollte eine bestickte Weste kaufen ...hat gehandelt und wollte sie etwa geschenkt haben ...ich habe ihm gesagt - zu Hause kannst du dir nicht einmal eine Unterhose für dieses Geld kaufen ...er hat große Augen gemacht und bezahlt ...ich glaube er mag mich nicht - aber hat Spaß gemacht... Wir stellen uns die großen Augen dieses überheblichen Touristen vor. Madam Chu-Chu steckt

- 23 -

voller Lebensweisheiten. Mit dem Schalk im Nacken hält sie den verwöhnten Touristen gnadenlos den Spiegel vor. Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir die Seidenfabrik in San Kamphaeng. Das kleine Dorf ist bekannt für seine Handwerksbetriebe. Neben den Webereien gibt es hier Schirmhersteller, Möbelschreinereien und Silberschmieden. In einer Führung lernen wir die Stationen der Seidenproduktion kennen, beginnend von den Seidenraupen, über das Spinnrad und den Webstuhl bis zum fertigen Jackett. Für eine Krawatte verlieren 20.000 Seidenraupen ihr Leben. In einer angegliederten Boutique werden die farbenfrohen Seidenkollektionen angeboten. Moni lässt sich ein kurzes, blaugrünes Cocktailkleid anfertigen. Drei kleine Schneiderinnen springen um meine Grand Madame herum. Moni fühlt sich nicht wohl und wirft mir hilfesuchende Blicke zu. Sie steht nicht gerne im Mittelpunkt und schon gar nicht unter den Augen kritischer Zuschauer. Kragenweite, Armlänge und Hüftumfang - von Kopf bis Fuß wird sie sorgfältig vermessen. Hier gibt es keine Stangenware, keine Wühltische und Umkleidekabinen. Auch genervte Verkäuferinnen, deren Blicke zwischen Decke und Armbanduhr wandern, wird man hier vergeblich suchen. Chu-Chu verfolgt das Schauspiel und gibt ihre trockenen Kommentare ab, ...schönes Kleid, schaut gut aus, ja ...ist auch eine schöne Frau ...ich kann das nicht tragen ...nein, sonst glauben alle es kommt ein grüner Elefant... Nach einer kurzen Pause folgt die Pointe ...mein Mann mag Elefanten - richtige - aber er wollte nie mit einem Elefant verheiratet sein... Chu-Chu lacht gerne am liebsten über sich selbst. Wir verlassen die Boutique mit einem stattlichen Bestellschein, ein Cocktailkleid, zwei maßgeschneiderte Sakkos und zwei Krawatten. Man lebt nur einmal. Auf dem Weg nach Chiang Mai rasten wir in einem abgelegenen Familienbetrieb. Chu-Chu nennt es ...Einheimisch-Restaurant... und spricht von einem Geheimtipp. Entgegen unserer Erwartungen gibt es hier keine einfache Kost. Im Gegenteil, in einem schattigen Innenhof werden wir fürstlich bedient. Würzige Fleischgerichte mit frischen Beilagen stimmen auch die Gourmets versöhnlich. Nach dem Kaffee schlendern wir durch den gepflegten Garten und genießen die Aussicht auf einen kleinen Fluss. Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen erinnern an das zurückliegende Neujahrsfest. Am frühen Nachmittag steht der Besuch eines Büffelcamps auf dem Programm. Ich befürchte das nächste touristische Massenspektakel, werde aber positiv überrascht. Ein relativ kleines Freilichtmuseum klebt ver-

- 24 -

träumt am Rande eines ausgedehnten Reisfeldes. Wir sind unter uns und werden von einer älteren Dame freundliche begrüßt. An mehreren Strohhütten vorbei führt sie uns in einen versteckten Innenhof. Dort warten die schwerfälligen Vierbeiner auf ihren großen Auftritt. Nach dem Einzug der Musikanten, gibt es ein Büffelrennen. Unser Österreicher, selbst ein Büffel, meldet sich freiwillig und krallt sich auf dem breiten Rücken eines Bullen fest. Während die jungen Akrobaten im Reishut ihre Büf-

fel in Trab setzen schaukelt unser Tourist unter dem Beifall der Meute hinterher. Unweigerlich muss ich an die bierbäuchigen Bauchtänzer in Tunesien denken. Am Rande des Geschehens lacht ein jugendlicher Thai. Die Tränen stehen ihm in den Augen und ich ärgere mich über meine Humorlosigkeit. Moni sieht meinen kritischen Blick und stellt mich zur Rede ...kannst du nicht einmal abschalten ...immer schließt du dich aus, versteckst dich hinter deiner Kamera... Sie hat mich kalt erwischt. Ich kann ihr nur Recht geben und verspreche mich zu bessern. Die anschließende Führung ist wirklich interessant. Wir lernen das Leben der Reisbauern kennen. Der Büffel treibt verschiedene Maschinen an, läuft geduldig im Kreis und quält sich durch schlammige Reisfelder. Auch wenn ihm der Dreck bis zum Hals steht hört dieses Rindvieh auf die schrillen Befehle seines zweibeinigen Verfolgers. Vergeblich suchen wir hier nach einer Peitsche. Mit ernster Miene zeigt uns eine junge Bäuerin wie man die Spreu vom Weizen, in diesem Fall vom Reis, trennt. Am Ende dieser Exkursion gibt mir der Boy eine Selbstgedrehte. Bevor ich sie anzünden kann, zerfleddert der trockene Joint aus Reisblättern. Während der Fahrt in die Hmong-Berge streifen wir den Außenbezirk von Chiang Mai. Auf der Ladefläche eines Pick-ups entdecke ich sechs uniformierte Polizisten. Die Mützen in einem speziellen Ständer eingeklemmt hocken sie in halsbrecherischer Manier auf der Bordwand und unterhalten sich gestenreich. Ich stelle mir die Folgen einer plötzlichen Beschleunigung vor. Sechs auf dem Rücken liegende Staatsdiener strecken ihre Beine in die Luft. Chu-Chu lacht über meine Phantasie

- 25 -

und schüttelt gleichzeitig den Kopf ...über Polizisten darf man keine Witze machen ...ist verboten in Thailand, ja... Wir verlassen den dichtbesiedelten Großraum um Chiang Mai und folgen der wenig befahrenen Straße in den bewaldeten Osten. Am Horizont erheben sich die Hmong-Berge. Moni liest im Reiseführer und klärt mich über die Bergvölker Nordthailands auf. Man unterscheidet sechs große Bevölkerungsgruppen, die Akha, Hmong, Lisu, Karen, Lahu und Mien. Ca. 500.000 Menschen leben in ihren alten Traditionen. Das einfache Leben der Hirten und Bauern ist von dem Gedanken der Wiedergeburt geprägt. Neben dem klassischen Buddhismus gehören auch Schamanen und Geisterbeschwörungen zum Alltag der Bergvölker. Bis vor wenigen Jahren lebten viele Bauern vom Opiumanbau. Im Kampf gegen das illegale Drogengeschäft unterstützte König Bhumibol die Kultivierung anderer Feldfrüchte. Parallel hierzu soll die schwierige Lebenssituation der Bergvölker durch staatliche Förderprogramme ...Royal-Projects... verbessert werden. Einmal mehr betont Chu-Chu die Weitsicht der Königsfamilie ...König Bhumibol hilft den Bauern im Norden ...er baut etwa Wasserleitungen und Staudämme... Chu-Chu gerät ins Träumen wenn sie von ihrem König erzählt. Ganz nebenbei erwähnt sie das eigene soziale Engagement. Sie finanziert die Ausbildung einer Vollwaisen, deren Eltern an Aids verstarben, und steht Pate für ein Kind in Südafrika. Fast gleichgültig sagt sie ...ich habe genug Geld und kann diese Kinder unterstützen, das ist nichts besonderes... Die Landschaft erinnert ein wenig an den Schwarzwald. Durch die bewaldeten Gebirgsketten schlängeln sich kleine Flüsse. Von Teak-Wäldern umgeben, entdecken wir versteckte Dörfer, Wiesen, Weinberge und Reisterrassen. An einer Tankstelle steigen wir in einen antiquarischen Landrover um. Er soll uns auf abenteuerlicher Strecke in die Bergregionen bringen. Unser Fahrer, ein braungebrannter Mann um die Fünfzig, könnte seinen Job auch am Monument-Valley ausüben. Mit seinen tiefliegenden Augen und den vorstehenden Backenknochen unter seiner derben, rotbraunen Lederhaut ginge er ohne weiteres als Navajo-Indianer durch. Nach einem kurzen Blick in die Runde schwingt er sich auf den Fahrersitz und startet den Schiffsmotor. Rauch steigt auf und der Dieselgeruch vermischt sich mit dem Schweiß der Fahrgäste. Wir starten zum heutigen Etappenziel, die Hmong-Hill-Lodge. Zunächst folgen wir einer befestigten Serpentinenstraße. Mit zunehmender Höhe verschlechtert sich die Qualität der Fahrbahn. Am Ende der Teerdecke halten wir kurz an. Chu-Chu fordert uns auf auszusteigen. Fast am höchsten Punkt angekommen, lohnt der Blick über die Heimat der Bergvölker. Endlose Hügelketten reihen sich wie Ackerschollen aneinander, schmale Täler wirken unerschlossen, drohen unter dem dichten Dach alter Teakbäume zu ersticken. Nur ein kleines Dorf auf einem benachbarten Gipfel erinnert an die Existenz des Menschen. Wir fahren weiter und kommen in das erste Bergdorf. Hier gibt es nur eine Straße. Zu den verschachtelten Hütten führen ausgetretene Lehmpfade. Ein kleiner Platz scheint der Mittelpunkt des Dorflebens zu sein. Hier wird gespielt, gegessen und gearbeitet. Von den fremden Zaungästen lassen sich die Dorfbewohner nicht aus der Ruhe bringen. Ohne erkennbare Regung beobachten sie unseren kleinen Konvoi. Neugierige Weltenbummler, die kurz Staub aufwirbeln, um dann wieder zu verschwinden. Die Schattenseiten der Royal-Projects denke ich bei mir. Auf einem Bolzplatz toben Kinder. Sie lernen das Radfahren, spielen mit Blechdosen und rutschen kreischend durch eine Lehmrinne. Ein Zwerg wedelt mit einer AdidasMütze. Hier wäre ich gerne ausgestiegen. Der Weg verwandelt sich in eine halsbrecherische Buckelpiste. In Schrittgeschwindigkeit schaukeln wir durch die Wildnis, wobei der Oldtimer ab und zu in eine bedrohliche Schieflage gerät. Unsere welterfahrenen Junggesellen witzeln ...wahrscheinlich werden wir demnächst auf Maultiere verladen... Aber nein, entgegen aller Befürchtungen wird der Weg wieder breiter, die Bodenwellen verschwinden und wir finden uns schließlich auf einer geteerten Straße - 26 -

wieder. Für wen haben wir uns eigentlich durch diese halsbrecherische Parkcour gequält. Die Antwort kann eigentlich nur lauten ...just for fun... Nach weiteren 10 Minuten erreichen wir das zuvor angekündigte, vermeintlich ursprüngliche Hmong-Dorf. Schon zu Beginn werden Souvenirs angeboten. Ein betonierter Trampelpfad führt durch das nahezu menschenleere Vorzeigedorf. Die wenigen sichtbaren Ureinwohner hocken apathisch vor ihren Häusern und lassen sich bereitwillig fotografieren. Das eigentliche Dorfleben scheint sich in den Hinterhöfen abzuspielen. Moni fühlt sich auch hier nicht wohl und drängt mich zum Weitergehen. Ein kleines Mädchen in einem schmutzigen Schlafanzug schaut mich mit großen, schwarzen Augen an. Nach der unvermeidlichen Portraitaufnahme will ich ihr etwas schenken. Moni ist in der Zwischenzeit weitergegangen und so greife ich in die leeren Taschen meiner Weste. Ich finde nichts, aber auch gar nichts was ich diesem Kind schenken könnte und komme mir mit einem Mal erbärmlich vor. Wo bin ich hier eigentlich, im DisneyLand oder im Zoo? Diese Situation wird mich noch länger beschäftigen. Auch das Portrait, ein traurig-schönes Bild, betrachte ich mit gemischten Gefühlen. Wir fahren weiter und erreichen 30 Minuten später die Hmong-Hill-Lodge, eine gepflegtes Camp mit rustikaler Empfangshalle, Feuerstelle und geräumigen Übernachtungshütten. Die scheuen Gastgeber begrüßen uns in traditioneller Hmong-Tracht. Auf den ersten Blick könnte man die kleinwüchsigen Menschen für Kinder halten. Mit ihren runden Gesichtern und den bunten Quasten in den hochgesteckten Haaren wirken sie puppenhaft. Wortlos reichen sie ein frisches Getränk, wobei sie den direkten Blickkontakt meiden. Chu-Chu erklärt uns das Geheimnis dieser Anlage ...diese Hmong-Bauern gehören alle zu einer Großfamilie ...sie haben hier eine neue Heimat gefunden und dürfen in dem Royal-Project wohnen und arbeiten ...der König unterstützt die Bergvölker... Mag sein, aber glücklich wirken diese geschmückten Dienstboten nicht. Wir beziehen unsere einfache, liebevoll ausgestattete Bambushütte und strecken uns für ein paar Minuten aus. Nach einer kalten Dusche in der provisorischen Nasszelle erkunden wir die Gegend. Die Anlage ist von ausgetrockneten Reisterrassen umgeben. Einzelne Büffel grasen in sicherer Entfernung. Wir finden einen halbwegs begehbaren Wanderweg und folgen ihm bis zu einer Schafsweide. Auf einem Brettergestell, ca. 2 m über dem Boden, döst der Hirte. Den Kopf unter einem Strohhut streckt er alle Viere von sich. Wir wollen ihn nicht aufschrecken und treten den Rückzug an. Auch den Angriff eines Kälbchens, das mit gesenktem Kopf in Stellung geht und seine angebundene Mutter verteidigt, überstehen wir unbeschadet.

- 27 -

Jenseits der Weiden leuchtet eine goldfarbene Steppenlandschaft in der Abendsonne. Neben einer stattlichen Papaya-Palme strecken 3 - 4 m hohe Weihnachtssterne ihre roten Köpfe in den stahlblauen Himmel. Wir lassen uns Zeit, genießen diese absolute Ruhe, die warme Sonne auf der Haut und den würzigen Geruch einheimischer Kräuter. In der Nähe der Anlage treffen wir wieder auf das ungleiche Unternehmerpaar aus Sachsen. In Gesellschaft einiger Einheimischer sitzen die beiden auf der Veranda eines groben Bretterverschlages, trinken Singha-Beer und probieren kleine Leckereien aus der thailändischen Küche. In dem zur Veranda offenen Verschlag steht ein hagerer Mann mit lückenhaften Zähnen, verkauft Schnaps, Zigaretten und Lebensmittel. Für wenig Geld kann man hier einen Flachmann mit dem guten Mekong erstehen. Um die Hütte herrscht geschäftiges Treiben. Offensichtlich laufen die Vorbereitungen für ein Grillfest. Gemüse, Pilze und allerlei Kräuter werden blanchiert, gewürzt und in einer verbeulten Radkappe gebraten. Mit viel Liebe wird ein mageres Huhn gespickt, aufgespießt und unter einem Ölkanister gegrillt. Als Brennmaterial dient trockenes Reisstroh. Schon nach wenigen Minuten lüften sie den glühenden Blechmantel und halten einen dunkelbraunen Gummiadler in die Luft. Ein Jubelschrei geht durch die Reihen und die Augen der großen Kinder leuchten. Das Kamerateam aus Sachsen dokumentiert die überschwänglichen Reden der verkappten Pfadfinder ...Mensch guck doch mal Heidrun – wie bei den Pionieren - 28 -

...hast du das im Kasten?... Die beiden faszinieren mich. Sie interessieren sich auch für das einfache Leben am Straßenrand und sind die einzigen der Gruppe, die wir auch ohne Führung vor den Türen der Hotelanlagen antreffen. Bei unserer Rückkehr wirkt die Anlage ausgestorben. Die müden Krieger scheinen sich in ihre Höhlen verkrochen zu haben. Nur ein paar Hmong-Frauen trippeln über den Grillplatz und stellen die Tische für das abendliche Grillfest auf. Zeit für eine kurze Siesta. Während ich mich ausstrecke, leert Moni unsere Brieftaschen aus, prüft die Schecks und zählt die restlichen Bath nach. Am Ende stellt sie zufrieden fest ...alles im grünen Bereich... Das heißt wir haben für den Rest der Reise noch genug Bares. Vor allen anderen erscheinen wir am Grillplatz. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen und die kleinen, fleißigen Bienen unter ihren weißen Hauben stehen hinter ihren Töpfen und Pfannen bereit. Chu-Chu fotografiert die ersten Gäste und gesellt sich zu uns. Unter ihrem Arm klemmt eine Flasche Mekong ...ich habe genug Schnaps dabei, drei Flaschen, heute werden wir feiern, ja... Nachdem sich auch noch die letzten Nachmittagsschläfer eingefunden haben, schenkt Chu-Chu die erste Runde Mekong ein. Endlich ist es soweit, die Schlacht kann beginnen. Fleischspieße, Gemüsepfannen und Reisgerichte werden mit einer scharfen Soße übergossen. Natürlich ist der Nachschlag im Preis enthalten. Die kleinen Gastgeber bemühen sich redlich und wir sind am Ende satt und zufrieden. Im Rahmen eines bunten Abends lernen wir die traditionellen Tänze der Hmong kennen. Hier wird man vergebens nach einem Rhythmus suchen. Mit schwerfälligen Bewegungen stapfen die Akteure im Kreis, neigen den Kopf und verdrehen die Hände. Nach jedem Tanz verneigen sie sich mit versteinerter Miene und treten bescheiden in den Hintergrund. Zu einer monotonen Trommel schwingt ein kaum hörbarer Sing-Sang über den Platz. Für den aktionshungrigen Europäer sind diese im Zeitlupentempo vorgetragenen Rituale kaum auszuhalten. Vergeblich suche ich nach dem Sinn für diesen lethargischen Akt. Ich denke hierzu müsste man die Geschichte dieser Bergvölker kennen. Nach einer Stunde zieht sich die gesamte Familie völlig unspektakulär zurück. Sie verschwinden im Schatten der Nacht und lassen die Gäste mit ihren Fragen zurück. Warum nicht, die Sinfonie funktioniert auch ohne Paukenschlag. Chu-Chu lädt zum nächsten Schnaps ein und wir verbringen den Rest des Abends am Lagerfeuer. Ein sympathisches Ehepaar aus Berlin zählt zum harten Kern. Wir erfahren von ihrem Neuanfang auf der friesischen Insel Borkum. Zusammen mit einer Tochter betreiben sie dort ein Strandrestaurant mit dem Namen 'Kartoffelkäfer'. Neben all den griechischen, italienischen und türkischen Spezialitäten stürzen sich die Urlauber jetzt wieder auf die gemeine Ackerknolle. In unserer Küche, so erzählt der passionierte Chefkoch, werden die Kartoffel noch per Hand geschält und das zentnerweise. Im Kreis der trinkfesten Nachteulen beschließen wir den Abend mit einem letzten Glas Mekong. 28. Januar 2001 Schon bevor der allgemeine Weckruf ertönt lausche ich den schrillen Stimmen der Vögel. Die Morgensonne mogelt sich durch die Ritzen der geflochtenen Fensterläden und projiziert bizarre Muster an die gegenüberliegende Schilfwand. Fast könnte man glauben im Dschungel zu erwachen. Moni schläft noch tief, stößt ab und zu einen Seufzer aus und zieht sich die Decke immer weiter über den Kopf. Was mag sie wohl träumen? Vorsichtig beginne ich sie zu wecken. Nach der ersten Berührung zieht sie nur eine Grimasse. Ich tippe ihr auf die Nasenspitze und ernte ein zorniges Knurren. Moni schnappt nach meinem Finger und will sich wieder in ihre Höhle zurückziehen. Das lasse ich nicht zu. So bleibt ihr nur die Flucht nach vorn. Mit einem Auge fixiert sie ihren Peiniger, stöhnt und sieht sich vorsichtig im Raum um. Dann brabbelt sie - 29 -

verschlafen ...müssen wir schon aufstehen? - ist doch noch sooo früh... Wie zu Hause denke ich bei mir. Während ich mir die letzten Bartstoppeln abschneide, ca. 15 Minuten später, krabbelt diese Schlafratte endlich aus den Federn. Der Tag kann beginnen. Die Hmong-Bauern verwöhnen uns mit einem herzhaften Frühstück. Rührei mit Speck, Toast mit Käse überbacken, Butterhörnchen, kurz gesagt, alles was das Herz eines Mitteleuropäers höher schlagen lässt. Noch während des Frühstücks erklärt Chu-Chu das Tagesprogramm ...heute besuchen wir das Maesa-Elefantencamp, eine Orchideenfarm und eine Schirmfabrik bei Chiang Mai... Sie hat es nicht leicht. Eine ältere Dame beschwert sich mit weinerlicher Stimme über die unkomfortable Unterbringung und die kalte Nacht ...ich habe nicht schlafen können - die ganze Nacht über musste ich frieren... Natürlich konnte auch ihr weitgereister Ehemann nicht schlafen. Er bestärkt seine bessere Hälfte und die Gruppe schweigt. Wir waren eigentlich gewarnt. ChuChu hatte uns vor den niedrigen Temperaturen in den Hmong-Bergen gewarnt. Trotzdem hört sie sich das zweistimmige Lamento geduldig an und entschuldigt sich am Ende für die unverschämt kalten Nächte Thailands. Auf dem Weg in das Maesa-Elefantencamp erzählt uns Chu-Chu von den Besitzern der grauen Riesen ...ihr müsst wissen ein Elefantenführer, wir sagen Mehut, kümmert sich zuerst um seinen Elefanten, dann erst um seine Frau ...ein Elefant kostet etwa 30.000 Dollar, das ist ungefähr so viel wie man für einen Pick-up bezahlen muss ...aber diese Leute haben mit ihrem Elefanten eine sichere Existenz ...der Elefant wird etwa 70 Jahre alt, so alt wie der Mehut, so können sie zusammen in die Rente gehen ...schlimm ist es, wenn der Elefant krank wird, wenn er zum Beispiel in das Elefanten-Hospital nach Lampang gebracht werden muss, das ist sehr teuer und der Mehut hat kein Einkommen mehr, seine Familie muss leiden ...im Maesa-Elefantencamp helfen sich die Führer gegenseitig aus ...sie haben ein eigenes Sozialsystem... Nach einer Stunde Fahrt erreichen wir das gutbesuchte Camp. Zahllose Dickhäuter drängen sich durch die johlende Touristenschar und manch ahnungsloser Besucher wird das Opfer eines futterraubenden Rüsseltieres. Trotz all dieser Enge gibt es keine Unfälle. Die Elefanten lassen sich bereitwillig lenken und respektieren ihre Knechtschaft. Im Minutentakt heben sie quietschende Menschen hoch, warten auf das O. K. des Fotografen und setzen ihre Last wieder vorsichtig ab. Erstaunlicherweise scheinen diese zum Kran degradierten Akkordarbeiter ihren Job gerne zu machen. Wie heißt es doch in der Bibel ...macht euch die Erde untertan... Der kleine Mensch bestimmt die Spielregeln. Bevor die Elefanten in einer Arena eine zirkusreife Vorstellung bieten, werden sie unter den Augen neugieriger Zaungäste von ihren Mehuts gebadet. Am Ende besuchen wir noch die Kinderstube des Camps. Chu-Chu erzählt uns von dem ausgeprägten Familiensinn der Dickhäuter ...wenn ein Elefant stirbt, dann trauern die anderen ...der Mehut muss sein Tier trösten und kann dann etwa nicht weiterarbeiten... Diese lebenslange Symbiose zwischen Mensch und Tier beeindruckt. Mag sein, dass diese stolzen Elefantenführer einen beschränkten Horizont haben. Vermutlich können die meisten weder schreiben noch lesen. Sie sprechen nicht über Weltpolitik, über den Krieg im Nahen Osten oder die Ölpest an der Kalifornischen Küste. Auf dem Rücken ihrer Elefanten sind sie Fürsten. Wieder suche ich nach meinen Wurzeln, frage nach den Ursachen für meine verborgenen Depressionen. Vielleicht wäre das einfache Leben, weit weg von einer reizüberfluteten Zivilisation der Schlüssel zum Glück. Wir wissensdurstigen Abendländer wollen alles begreifen, gieren nach Informationen, prahlen mit geklauten Weisheiten und geben uns dabei ständig neue Rätsel auf, die den Blick für das Wesentliche verstellen, ja die eigenen Wünsche und Nöte regelrecht begraben.

- 30 -

Wir fahren weiter und erreichen eine kleine Orchideenfarm. Schmale Pfade führen durch ein üppig blühendes Freigelände. Unendlich viele Orchideen klettern über alte Holzkisten, und scheinen von Luft und Liebe zu leben. Das Herz einiger Pflanzenliebhaber schlägt höher und auch Moni, eine erklärte Gegnerin dieser Pflanzengattung, verdreht die Augen. Dem Freigelände ist ein kleiner Tierpark angegliedert. Die traurigen Vierbeiner, meist Hunde und Katzen, verbringen ihre lebenslange Einzelhaft in engen Käfigen. Apathisch legen sie den Kopf auf die Pfoten und starren ins Leere. Moni fragt empört ...wer führt den diese armen Kreaturen aus... Mit einem flauen Gefühl im Magen verlassen wir dieses Elend und lenken uns zwischen Gewächshäusern und lichtdurchfluteten Palmengärten ab. Nach einer knappen Stunde treffen wir uns am Ausgang. In langen Vitrinen kann man hier eine farbenprächtige Schmuckkollektion, so zum Beispiel Orchideenblüten, die unter einer hauchdünnen Glashaut ihre Form und Farbe behalten, bestaunen. Ein absolutes Muss für den eingefleischten Souvenirjäger. Nach einem weiteren kulinarischen Höhepunkt in dem vertrauten Restaurant der Einheimischen am Fluss fahren wir nach Chiang Mai zurück und besuchen eine der traditionsreichen Lackschirmfabriken in San Kamphaeng. In einer Fertigungsstrasse aus Fleisch und Blut arbeiten ausschließlich Frauen. Per Hand stellen sie das filigrane Schirmgerippe her. Hierbei spalten sie die groben Bambusstämme mit einem langen Buschmesser in millimeterfeine Sprossen. Diese werden im Akkordtempo zusammengefügt und mit feinem Zwirn fixiert. Nachdem das Grundgerüst mit einem transparenten Wachspapier überspannt ist, beginnen die Malerinnen ihr Werk. Auf bunten Flächen entstehen feine Blumenmuster, Drachen und Tänzerinnen. Die Gesichter der Arbeiterinnen wirken angespannt. Mit eingespielten Handgriffen versuchen sie dem hohen Tempo dieser Massenproduktion gerecht zu werden. Wir Zuschauer fangen ab und zu ein gehetztes Lächeln ein, mehr Zeit bleibt nicht. Sicher werde ich die kitschigen Lackschirme künftig mit anderen Augen sehen. Durch den Tourismus begünstigt, explodierten die traditionellen Familienunternehmen. Wie viele Tonnen Holz mögen diese Frauen schon gespalten, wie viele Quadratkilometer Wachspapier gespannt haben. Allein die Vorstellung in dieser Sitzhaltung auf dem blanken Boden ausharren zu müssen, bereitet mir höllische Kreuzschmerzen. Nach der Werksbesichtigung folgt der unvermeidliche Gang durch das werkseigene Schirmgeschäft. In einem ansprechenden Ambiente finden wir eine große Auswahl an solider Handwerkskunst, vom einfachen Schirm, über den verzierten Fächer bis hin zur Designerleuchte. Auch wenn der Preis stimmt, scheitert ein Großeinkauf am problematischen Transport der zerbrechlichen Waren. Einige lassen sich kleine Bilder auf ihre Taschen malen. Ich bewundere das Geschick dieser Künstlerinnen, kann mich aber mit den verspielten Motiven der asiatischen Bauernmalerei nicht anfreunden. Nur ein paar Hundert Meter weiter sehen wir uns in einer Jadeschleiferei um. Nach einem interessanten Videofilm über den Abbau der verschiedenen Halbedelsteine, - 31 -

sehen wir den mit Mundschutz ausgerüsteten Jade-Schleifern über die Schultern. Aus groben Jadebrocken, die vorwiegend aus Laos und Burma importiert werden, entstehen feinstrukturierte Skulpturen der asiatischen Mythologie. Das penetrante Geräusch der Handschleifmaschinen verursacht Zahnschmerzen. Von der zentralen Fertigung getrennt, werden Schmucksteine veredelt. Auf winzigen Flächen entstehen Bilder von Drachen und Schwertkämpfern. Nur durch die Lupe kann man die Miniaturbilder erkennen. Wieder sind es vorwiegend Frauen, die mit guten Augen, Geduld und der notwendigen Feinmotorik ausgerüstet sind. In einem großen Saal stehen die Schätze dieses Handwerks zum Kauf bereit. Moosgrüne Buddha-Statuen, braun gemusterte Bettelmönche und rosafarbene Elefanten. Auch hier muss ich mein Vorurteil über die asiatische Massenproduktion ...made in Thailand, China oder Taiwan... korrigieren. Diese Menschen arbeiten mit einfachsten Mitteln und leisten erstaunliches. Auch wenn ich die Steine lieber in ihrer ursprünglichen, ungeschliffenen Form mag, ziehe ich den Hut vor diesem alten Kunsthandwerk. Bei unserem letzten Halt auf dieser Butterfahrt durch San Kamphaeng lernen wir eine Silberschmiede kennen. Nach dem üblichen Schwenk durch die erneut von Frauen dominierten Fertigungshallen werden wir durch die edle Ausstellung geführt. Viele der reich verzierten Schalen, Bestecke und Schmuckstücke wirken überladen. Dazwischen finden wir aber auch einige interessante Exponate in modernem Design. Hier könnte man sicher das ein oder andere Schnäppchen machen. Eine junge Verkäuferin trippelt uns geduldig hinterher. Sie bedrängt uns nicht und erkennt schnell, dass sie nicht die 'important customers' vor sich hat. Mit viel Fingerspitzengefühl zeigt sie uns die erschwinglichen Teile. Entgegen unserer Vorsätze verlassen wir den Nobeltempel mit einem schlichten Herrenring und einer Halskette für Moni. Im Bus werden kritische Stimmen laut ...durch wie viele Geschäfte werden wir noch geschleift ...hier geht es doch wieder einmal nur ums Geschäft... Chu-Chu hört sich die Beschwerden mit trauriger Miene an, schiebt ihre Brille zurecht und verweist auf das Reiseprogramm ...sehen sie, hier wird ein Besuch der Handwerkermärkte in San Kamphaeng angeboten ...wenn ich nicht zu den Werkstätten fahre, bekomme ich Probleme mit dem Reiseveranstalter ...deutsche Touristen studieren ihre Reiseunterlagen und haken alles ab ...wenn ich etwa einen Markt oder einen Tempel vergesse, dann beschweren sie sich hinterher oder sie fordern Geld zurück ...dann habe ich den Ärger... Auch wenn ich unsere leidgeprüften Nörgler bis zu einem gewissen Punkt verstehen kann, blase ich nicht in dieses Horn. Wem soll diese Diskussion über das Für und Wider einer Pauschalreise nutzen. Ein Fahrgast der den Zug von Nürnberg nach München nimmt, muss sich nicht wundern, wenn er durch Ingolstadt fährt. Zudem fand ich den Blick hinter die Kulissen des thailändischen Handwerks nicht uninteressant. Wir fahren in die zweitgrößte Stadt Thailands Chiang Mai zurück und quartieren uns am frühen Abend im Chiang Mai Hill ein. Durch die vielen Werksbesichtigungen ausgelaugt fehlt uns der Elan für größere Stadtbesichtigungen. Chu-Chu verrät uns ihren Geheimtipp, ein modernes Einkaufszentrum in der Innenstadt ...normalerweise gehe ich dort alleine shoppen, erhole mich von den anstrengenden Touristen... Zusammen mit einer kleinen Gruppe fahren wir im Sammeltaxi in die Stadt. Im Windschatten von Chu-Chu streifen wir durch die überfüllten Hallen, vorbei an Wühltischen und Kleiderständern. Die ernste Schwäbin sucht verzweifelt nach einem Reiskocher. Schriller Funk-Rock dröhnt durch den hässlichen Innenhof. Wir wechseln in die obere Etage und finden dort die gleiche Situation wieder. Nichts wie raus hier denke ich bei mir. Mit unserem letzten Bargeld lassen wir uns auf der Terrasse eines asiatischen Fastfood-Restaurants nieder. Ein junger Alleinunterhalter zupft auf einer akustischen Gitarre und singt 'Imagine'. John Lennon hätte seine Freude gehabt. Moni fragt angespannt ...willst du unbedingt auf diesen Nachtmarkt gehen? ... wir haben keine müde Mark - 32 -

mehr... Über meine Bemerkung, dass uns eine müde Mark in Thailand auch nicht weiterbringen würde, kann sie nicht lachen. Sie hat natürlich Recht. Wir geben der Bedienung unsere letzten Moneten und steuern total blank auf den berüchtigten Nachtbazar zu. Natürlich gibt es hier reihenweise Wechselstuben, die den abgebrannten Touristen wieder auf die Sprünge helfen. Wieder liquide stürzen wir uns in die Massen. In den belagerten Verkaufsständen am Straßenrand werden die üblichen Surrogate angepriesen. Wesentlich interessanter sind die kleinen Geschäfte im Souterrain der angrenzenden Geschäftshäuser. In einer kleinen Boutique finden wir eine schicke Trachtenjacke für Moni. Wie so oft muss ich meiner sparsamen Finanzverwalterin gut zureden. Auf dem Rückweg handele ich mir noch einen Gürtel aus Elefantenleder ein. Wie singt doch der Grönemeyer ...ich kauf mir was, kaufen macht so viel Spaß... Gut gelaunt lassen wir uns im Sog der Massen zum vereinbarten Treffpunkt tragen und fahren mit dem Sammeltaxi in das Hotel zurück. Chu-Chu bewundert die Jacke und hängt gleich noch ein paar Komplimente an ...eine schöne Jacke für eine schöne Frau... Kurz vor Mitternacht kriechen wir todmüde in unsere Falle. Vor dem Einschlafen erinnern wir uns an den kuscheligen Nachtmarkt in Chiang Rai, der seinen berühmten Bruder in Chiang Mai glatt in den Schatten stellt. 29. Januar 2001 Heute wartet der asiatische Dschungel auf uns. Westlich von Chiang Mai dringen wir in die unwegsame Bergregion der Lisu und Karen ein. Nur eine schmale Straße führt in das Mae-Taeng-Tal, ein Labyrinth der grünen Flüsse, die sich in tiefen Schluchten den Weg durch die bewaldeten Hügelketten suchen. Aufsteigende Nebelschleier ziehen über die Kronen der alten Teakbäume. Hier wäre ich gerne zu Fuß unterwegs. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreichen wir das Mae Taeng Rafting and Elephant Camp. Chu-Chu hat natürlich alles vorbereitet. In ihrer direkten Art teilt sie die Gruppe ein und führt die unerschrockenen Mitglieder der Kavallerie zu einer Rampe. Über sie klettern wir problemlos auf den Rücken eines Riesen und schnallen uns auf dem Schaukelstuhl fest. Die Karawane setzt sich träge in Bewegung, hinter uns die lustigen Kartoffelkäfer aus Borkum, vor uns die illustren Herren aus dem Schwabenland. Zunächst steigt unser geduldiges Transporttier einen steilen Hang hinauf und ich stelle mir die Folgen eines Sturzes vor. Auch Moni schaut skeptisch in die Tiefe. Der Elefant bewegt sich mit einer traumwandlerischen Sicherheit über die ausgetretenen Pfade, wobei sich immer nur ein Bein in der Luft befindet. Langsam aber sicher erreichen wir den ersten Bergrücken und schwenken in ein verträumtes Seitental ein. Knorrige Baumriesen verschränken ihre Äste über uns und die Sonnenstrahlen ziehen feine Linien durch das finstere Unterholz. Einem kleinen, steinigen - 33 -

Bachlauf folgend tauchen wir tief in den von Schlingpflanzen überwucherten Hochwald ein. Es ist angenehm kühl und die Stimmen fremder Vögel vermischen sich mit dem gelegentlichen Schnauben der Elefanten. Unser Mehut gibt ab und zu seltsame Zischlaute von sich. Die Kulisse erinnert an einen alten Streifen mit Johnny Weismüller. Ein paar schreiende Affen, das Brüllen eines Leoparden, über uns eine armdicke Python und vor uns die versunkene Stadt, genau! Zurück in die Wirklichkeit, schon nach 20 Minuten verlassen wir die Wildnis und folgen einem breiten, talwärts führenden Pfad, vorbei an Papayabäumen und Bambuskulturen. Mit einer artistischen Hocke verlässt unser Mehut seinen Kommandostand und verlangt nach dem Fotoapparat. Ich darf mich an seiner Stelle auf dem Hals des Elefanten niederlassen und den erfahrenen Führer mimen. Der knipsfreudige Mehut dokumentiert die Szene. Ich muss an den BAP-Song ...time is cash, time is money... denken. Moni schwärmt von der elastischen Haut und den weichen Haaren des geduldigen Dickhäuters. Mit den bloßen Beinen spüre ich die Kühle unter seinen ausgefransten Ohren, das Muskelspiel und den Herzschlag des Elefanten. Trotz aller touristischen Rahmenbedingungen können wir diesen Moment genießen. Nach der Fotosession schaukeln wir in das Tal zurück, durchqueren den Fluss Taeng und wechseln das Transportmittel. Weiter geht es in einem zweispännigen, Eisenbereiften Ochsenkarren. Der Kutscher, ein schmächtiger Mann mit Zahnlücke schwingt eine kurze Peitsche und treibt die armen Vierbeiner über den steinigen Weg. Auf bockharten Holzbänken werden wir ordentlich durchgeschüttelt. Die Klagerufe ängstlicher Touristen scheinen diesen ehrgeizigen Reisbauern anzuspornen. Mit dem gelassenen Gesichtsausdruck eines Humphrey Bogart zieht er an seiner selbstgedrehten Zigarette. Der holprige Hohlweg führt durch einen kleinen menschenleeren Ort. Langbeinige Hühner springen in einer aufsteigenden Staubwolke zur Seite. Dieses Spektakel gehört zum Alltag dieser Menschen. Ihre ehemals kärglichen Ländereien wurden Teil eines überdimensionalen Abenteuerspielplatzes. Das Ochsenkarrenrennen endet am Taeng. Dort erwarten uns mehrere Flößer, die uns mit einem hintersinnigen Grinsen auf ihre Bambusflöße dirigieren. Chu-Chu verteilt Reishüte und achtet auf eine ausgewogene Sitzverteilung. Die ca. 3 x 6 m großen Bambuskonstruktionen sinken mit jedem Fahrgast tiefer und werden stellenweise überspült. Die Sockenfetischisten strecken ihre Beine vergeblich in die Luft. Am Ende bekommen auch sie nasse Füße. Unser Floß wird von zwei mageren Männern mittleren Alters gelenkt. Auf den ersten Blick könnte man sie für Zwillinge halten. Mit ihren langen Stangen manövrieren sie uns in die Mitte des Stromes. Nach einem trägen Start gewinnt das Floß schnell an Fahrt und die Steuermänner haben alle Hände voll zu tun. Die meisten Fahrgäste kauern auf ihren kleinen Fußschemeln, stemmen beide Füße gegen den schwappenden Boden und versuchen das Gleichgewicht zu halten. Argwöhnisch beobachten sie meine kleine Foto-Exkursion, für die ich meinen zugewiesenen Platz verlassen muss. Jeder Schritt führt zu lokalen Überflutungen. Schlagartig heben die wasserscheuen Kameraden ihre Füße hoch, wodurch eine - 34 -

weitere Gewichtsverlagerung und somit eine weitere Überschwemmung ausgelöst werden. Durch diese unfreiwillige „La Ola“ ermuntert, beginnen unsere wortkargen Flößer zu plappern. Ihre kurzen Sätze enden stets mit einem kräftigen Lachen. Mit frecher Miene mustern sie ihre Passagiere, deuten auf den einen oder anderen Kandidaten und lachen noch lauter. Auch von benachbarten Flößern hagelt es thailändische Kommentare und das unverschämte Spottgelächter hallt über den ruhigen Fluss. Diese ungezügelte Heiterkeit steckt an und wir, die eigentlichen Opfer dieser Spötteleien, lachen am Ende mit. An beiden Ufern breitet sich ein dichter Dschungel aus. Bambuswälder werden von Schlingpflanzen überwuchert und zu einer unüberwindlichen Wand vereint. Die Welt jenseits dieses grünen Vorhangs bleibt uns wohl verborgen. Kleine Bachläufe speisen den Taeng und eröffnen den Blick in verschwiegene Seitentäler. Ein paar unerschrockene Waldbewohner trotzen dieser Wildnis. Zwischen den Schlingpflanzen hocken diese Einsiedler in ihrem Nest, bewohnen abenteuerliche Hütten und pflegen winzige Gärten, Papayabäume und Bananenstauden. Ihre Lebensader ist der grüne Strom. Der Taeng windet sich in weiten Bögen, strömt über Kiesbänke und stemmt sich gegen die stellenweise steil aufragenden Uferböschungen. Drei Jugendliche stehen bis zur Hüfte im Wasser und halten amerikanische Baseballmützen in die Luft. Ich fasse es nicht, hoch lebe der Adventure-Playground. Es kommt noch doller. Ein paar hundert Meter weiter bietet eine sonnengebräunte Reisbäuerin eisgekühltes Coca Cola und frische Kokosnussmilch an. Sie klammert sich an ihre Kühlbox und einen windschiefen Sonnenschirm. Ihre kleine Insel in der Mitte des Flusses droht jeden Moment abzutreiben. Moni bestellt sich eine frische Kokosnuss. Am Basiscamp beenden wir diesen abenteuerlichen Triathlon und sammeln uns am Reisebus. Die Stimmung in der Gruppe ist ausgelassen. Der Angstschweiß einiger Bedenkenträger trocknet. Jetzt am Ende dieses Unternehmens halten sie große Reden über die lebensgefährlichen Stromschnellen des Taeng. Zum Mittagessen steuern wir eine gepflegte Hotelanlage westlich von Chiang Mai an. In einem lichtdurchfluteten Speisesaal werden edle Gerichte aus Japan, Vietnam und Thailand angeboten. Rinderstreifen in Pfefferschoten, süßscharfe Hühnerbrüste und rohe Fische. Wir naschen in allen Töpfen. Nein, hier bleiben keine Wünsche offen. Nach einem kurzen Spaziergang durch den hoteleigenen Park geht es weiter. Wir fahren ein letztes Mal in das Handwerksviertel und besuchen eine Schreinerei. In einer offenen Halle werden reich verzierte Vitrinen, geschwungene Stühle und Barschränke gefertigt. Meist sind die Türen mit traditionellen Schnitzereien verziert. Die handgefertigten Möbel kann man zu vergleichsweise niedrigen Preisen erwerben und gegen einen geringen Aufpreis nach Deutschland liefern lassen. Erneut fällt mir die hohe Frauenquote auf. Wo treiben sich eigentlich die Männer dieser fleißigen Mädels rum? Hüten die vielleicht Heim und Herd? - 35 -

Wir verlassen San Kamphaeng und fahren in den nahegelegenen Naturpark Doi Suthep. Auf einem bewaldeten Bergmassiv steht der Wat Phra That Doi Suthep, einer der am höchsten verehrten buddhistischen Tempel Nordthailands. Von einer eindrucksvollen Naga flankiert führen knapp 300 Stufen zum Tempel. Mit Chu-Chu im Schlepptau steigen wir in einem gemütlichen Tempo auf. Auf dem Weg erzählt sie von einem Verkehrsunfall ...kurz bevor ich zum Flughafen gekommen bin hatte ich einen kleinen Unfall ...bin gestürzt mit dem Moped ...hab nicht aufgepasst und jetzt tun mir alle Knochen weh ...selbst schuld, aber macht nichts, das vergeht schon wieder... Völlig außer Atem schwärmt sie von der Schönheit dieses alten Tempels. An der Außenwand eines Wihans hängen schwere Tempelglocken. Einst wurden Mönche mit diesen Glocken zum Gebet gerufen. Heute sollen sie den Touristen Glück bringen. Das Herz

des Tempels wird von einem überdachten Wandelgang umringt. Eine junge Tempelwächterin verwehrt mir zunächst den Einlass. In einem freundlichen aber bestimmten Ton zeigt sie auf meine unbedeckten Waden. Widerwillig streife ich mir eine weite Baumwollhose über und versuche es ein zweites Mal. Mit einem spöttischen Lächeln tritt die gestrenge Wächterin zur Seite und gibt mir den Blick auf den prächtigen Innenhof frei. In der Mitte ragt ein vergoldeter Chedi in den stahlblauen Nachmittagshimmel. Zahlreiche Buddha-Statuen säumen den Weg zum zentralen Bot. Die üppig verzierten Portale der Gebetshallen, Relikte aus der Lanna-Dynastie, spiegeln sich in dem geschliffenen Marmorboden. An vergoldeten Schirmen baumeln BuddhaGlocken. Mit jedem Windhauch ertönt das helle Klingeln. Die grelle Mittagssonne brennt unbarmherzig nieder und lähmt auch den eifrigsten Pilger. Im Schatten der Wandelgänge strecken wir für einige Minuten die Beine aus. Naive Wandmalerein erzählen die Geschichte der Region, die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang zahlreicher Herrscher. Wie in vielen historischen Galerien dominieren Kriegsschauplätze und Kampfszenen. In einer kleinen Kapelle vermischen sich buddhistische Pilger und Touristen. Monotone Gebetsverse hallen durch den kahlen Raum und schaffen eine mystische Atmosphäre. Ein ca. 50-jähriger Mönch hockt auf einem Treppenabsatz und verteilt Buddhabänder. Er nimmt sich Zeit und schaut den Menschen tief in die Augen. Auch wenn ich kein Freund frommer Rituale bin, kann ich - 36 -

mich der Wirkung seines Blickes nicht entziehen. Während er den schlichten Baumwollfaden um mein Handgelenk bindet rät er mir ...hör nie auf nach deinem Weg zu suchen... Mit einem Knoten im Hals verlasse ich die dunkle Kapelle und warte auf Moni. Auch sie ist beeindruckt von der Ausstrahlung dieser einfachen Männer. Wer weiß, vielleicht könnte ich mich in einer buddhistischen Glaubensgemeinschaft leichter wieder finden? Zweifellos ringen auch die hartgesottenen Atheisten um ihren Glauben. In diesem Ringkampf sind auch sie manipulierbar und anfällig für spirituelle Schleuderkurse. Bevor wir die 300 Stufen wieder hinuntersteigen genießen wir noch einmal den Panoramablick über die Wälder des Doi Suthep Nationalparks. Am Ende der Treppe haben einige Trödler ihre Verkaufsstände aufgebaut. Hier finde ich die schlichte Bronzeskulptur eines Bettelmönches. In einem schwer verständlichen Englisch fordert die junge Frau 800 Bath. Ich biete 400 und kaufe sie schließlich für 600 Bath. Zufrieden rollt sie mir den mageren Mönch in ein Zeitungspapier. Zu Beginn der Rundreise warnte Chu-Chu vor dem Kauf sakraler Kunstgegenstände ...ihr müsst wissen, die Buddhisten wollen nicht, dass man ihren Buddha als Souvenir in einen Schrank oder vielleicht auf den Boden stellt ...an der Grenze kann man bestraft werden, wenn man Buddhaskulpturen ausführen will... ich glaube man sollte die Gefühle der gläubigen Buddhisten respektieren... Auf meinen Wanderprediger angesprochen meint sie ...nein, den kannst du kaufen ...ist schön, was hast du bezahlt? - 600 Bath! - geht schon... und dann mit einem spöttischen Zug um die Lippen ...die Menschen in Thailand wollen auch leben... Während ich den glatzköpfigen Mönch einrolle, sehe ich immer noch dieses versteckte Grinsen und ihrem schrägen Blick über den Brillenrand. Mit dem scharfen Humor eines Till Eulenspiegel bringt mich Chu-Chu immer wieder zum Nachdenken. Eine alte Straßenhändlerin beobachtet mich. Auf dem Weg zum Bus schwenkt sie eine Schnur mit verschiedenen Buddhaglocken. Das potentielle Opfer erkannt, heftet sie sich an meine Versen. Nach der Devise, wer einen Bettelmönch kauft, braucht auch Buddhaglocken, gibt sie nicht auf bis ich gegen den Protest meiner Gattin weitere 100 Bath investiere. Moni schüttelt den Kopf ...du kannst einfach nicht nein sagen... Sie hat natürlich Recht. Schweißgebadet schleppen wir uns in den klimatisierten Bus. Natürlich gibt es wieder ein eisgekühltes Tuch und kurz darauf ein kühles Getränk. Wir fahren in das Chiang Mai Hill Hotel zurück und haben ein wenig Zeit zum Ausruhen. Das relativ dichte Programm zehrt an unseren Kräften. Moni stöhnt im Halbschlaf ...müssen wir eigentlich zu diesem Folklore-Spektakel gehen ...wollen wir nicht einfach im Hotel bleiben und weiterdösen... Hartnäckig klammert sie sich an ihre Bettdecke und kämpft um jede Sekunde Schlaf. Vor meinen geistigen Augen ziehen die Bilder der letzten Tage vorbei. Unzählige Gesichter, rauchige Städte und das Licht- und Schattenspiel in den Tempelruinen von Ayutthaya und Sukothai. Wir haben schon viel gesehen und werden morgen unsere letzte Station erreichen. ...time is fleeting... Moni schläft jetzt tief und kriecht immer tiefer in ihre Höhle. Während ich dusche kommt sie geschlichen und wir stehen am Ende pünktlich in der Hotelhalle. Nach der unvermeidlichen Volkszählung fahren wir zum Khantoke-Dinner ins Zentrum der Stadt. Der überquellende Parkplatz einer großen Hotelanlage verspricht einen kuscheligen Abend. Wieder treiben wir im Mainstream. 400 bis 500 Gäste strömen in einen großen Innenhof. Die kreisförmig angeordneten Sitzreihen umschließen einen kleinen Pavillon mit Bühnenaufbau. Chu-Chu erkämpft uns einen erhöhten Sitzplatz. Das Treiben erinnert an einen Schwabinger Biergarten im Hochsommer. Unzählige Sprachen wirbeln durcheinander und verschlucken die zaghaften Töne eines Musikanten, der auf seiner thailändischen Mandoline chake zupft. Die eifrigen Trommler des Begrüßungskomitees begleiten die letzten Besucher in den restlos ausverkauften Garten. Als Aperitif wer- 37 -

den Kokosnuss- und Ananas-Cocktails angeboten. Das eigentliche Khantoke-Mahl besteht aus pikanten Fleischgerichten mit Gemüse und Obst. Dazu gibt es klebrigen Reis khao niaw, den man mühelos mit den Händen essen kann. Das Dinner wird von einer Folklore-Show umrahmt. In prächtigen Kostümen trippeln Tänzerinnen über die kleine Bühne, drehen sich um die eigene Achse und verneigen sich vor einem unaufmerksamen Publikum. Chu-Chu zieht sich zurück, kaut an ihrem Kugelschreiber und schaut versonnen ins Leere. Auf unsere Frage hin meint sie ...ich schreibe einen Reisebericht für euch ...ihr sollt Thailand nicht vergessen... und dann mit einem Schmunzeln ...auch mich nicht, natürlich... Nein, Chu-Chu hat ihre Sache gut gemacht. Zwischen den im Reiseprogramm vorgesehenen Pflichtübungen hat sie uns immer wieder hinter die Kulissen thailändischer Bühnen geführt und über die Geheimnisse des alltäglichen Lebens aufgeklärt. Das heutige Khantoke-Dinner gehört sicher nicht zu den Höhepunkten dieser Reise. Nach zwei Stunden ist das Spektakel vorbei und die Massen stürmen den Busparkplatz. Frustriert versuche ich diesen steifen Abend auf die Reihe zu bringen. Warum kann ich mich bei Großveranstaltungen nicht entspannen? Warum kann ich nicht einfach die Beine unter den Tisch strecken und mit der Meute heulen? Während ich zu später Stunde alleine über den Nachtmarkt stolpere kreisen meine Gedanken um diesen Abend. Vergeblich suche ich die Ursache für meine Frustration. Von einer lähmenden Müdigkeit befallen arbeite ich mich blindlings vorwärts. Ein junger Uhrenhändler tippt mir auf die Schulter und zeigt mir seine Kollektion ...du brauchst eine Uhr, ja? ...ich habe die besten, Breitling, Rollex, JWC... Ich zeige auf meine Uhr und antworte ...eine ist genug... Mit einem spöttischen Unterton liest er ...C-i-t-i-z-e-n, was ist das - Citizen kannst du vergessen... Mit wichtiger Miene erklärt er mir die Vorteile seiner Qualitätsuhren ...natürlich kommen diese Uhren nicht aus der Schweiz, aber sie kommen aus einer guten Fabrik ...auch Thailänder können gute Uhren machen... Er beobachtet mich und amüsiert sich über die Wirkung seiner überschwänglichen Reden. Ich lasse mir eine Automatikuhr zeigen und frage nach dem Preis. ...oh, Automatic - gut aber teuer ...schau Batterieuhr billig, kannst du haben für 1000 Bath, aber Automatic immer teuer... Er fordert 2200 Bath und lässt sich auf 1600 Bath runterhandeln. Mit einem entschlossenen Kopfschütteln und der üblichen Floskel ...I look around... gehe ich weiter. Immer wieder muss ich an diesen schlitzohrigen Thai denken und so ist es auch kein Zufall, dass ich ihn auf dem Rückweg wiedersehe. Schon von weitem taxiert er mich und zeigt seine Verhandlungsbereitschaft in wilden Gesten an. ...heute schlechtes Geschäft, was zahlst du?... Mit einem ausgedehnten Seufzer akzeptiert er schließlich mein letztes Angebot. So werde ich für 1000 Bath der stolze Besitzer einer JWC Automatik. Ein Tuk-Tuk bringt mich auf direktem Wege ins Hotel zurück. Moni registriert mich nur noch im Halbschlaf und ich krieche leise zur ihr ins Bett. 30. Januar 2001 Wir starten zur letzten Etappe unserer Nordthailandrundreise und erreichen schon am frühen Morgen den belebten Gemüsemarkt Ton Pahyom in Chiang Mai. Wieder steigt uns der penetrante Geruch gebratener Schweinehaut in die Nase. Die Übeltäterinnen, zwei rundliche Frauen um die Zwanzig, kann man nur schemenhaft erkennen. Sie stehen hinter ihren dampfenden Pfannen und schöpfen die triefende Schweinehaut ab. Gleich daneben wird die erkaltete Haut in transparenten Tüten zum Kauf angeboten. In ihrer Form und Farbe erinnern die geringelten Hautstreifen an englische Chips. Nein, bei aller Liebe zu fremden Speisen, man muss nicht alles probieren. Eine grobschlächtige Marktfrau versteckt sich hinter einem Berg von Obst und Gemüse. Zwischen Paprikaschoten und Kopfsalat steht ein großformatiges Bild - 38 -

von König Bhumibol. In diesem Grünzeug wirkt das verblichene Foto grotesk. Auch das grell flimmernde TV-Gerät im Rücken der Bäuerin passt nicht in diese natürliche Kulisse. Sofort meldet sich meine tief verankerte Abneigung gegen störende Einflüsse. Während meine Gedanken um dieses groteske Arrangement kreisen, streckt mir ein janusköpfiger Spötter die Zunge raus ...du ärmliche, harmoniesüchtige Krebsnatur... Chu-Chu führt ihre interessierten Küchenschaben in die Geheimnisse der regionalen Reiskultur ein ...ihr müsst wissen, der Duftreis aus Nordthailand wird etwa in der ganzen Welt als Spezialität gehandelt... In einer Seitengasse sitzt ein hagerer Kreis vor mehreren Flaschen mit einer goldfarbenen Flüssigkeit. Mit dem Rücken zur Wand, verbirgt er seine tiefliegenden Augen im Schatten eines ausgefransten Strohhutes. Er mustert mich kurz und scheidet mich im gleichen Augenblick als Käufer aus. Seine trüben Augen gleichen dem Inhalt der Flaschen. Am Ende entpuppt sich der mutmaßliche Schnapsbrenner als harmloser Honigverkäufer. Wir verlassen Chiang Mai und fahren nach Lamphun, die Hauptstadt des ehemaligen Königreiches Haripunchai. Am Ufer des Kuang zeugen alte Siedlungen von einem längst vergangenen Reich. Die auf gekalkten Sockeln ruhenden Konstruktionen wurden um die Jahrtausendwende errichtet. Das wichtigste Zeugnis dieser Epoche ist der in den dreißiger Jahren restaurierte Tempel Wat Phra That Haripunchai. Im nördlichen Teil des Komplexes findet man einen pyramidenförmigen Chedi, ein für Thailand ungewöhnliches Bauwerk. Interessant ist auch ein monumentaler Gong, der 1860 gegossen wurde und als der größte der Welt gilt. Chu-Chu führt die unersättlichen Kulturreisenden durch die Anlage, erzählt von Herrschern vergangener Königreiche, von Mönchen und Göttern, die in Stein gemeißelt oder in Bronze gegossen unendliche viele Geheimnisse verbergen. Auch wenn sie die Historienreise mit lustigen Anecktoden spickt, kann ich ihr nicht mehr folgen. Auch Moni hört nur noch mit einem halben Ohr zu. Sie scheint meine Gedanken zu erraten und wir setzten uns vorzeitig in den angrenzenden Park ab. Im Schatten alter Bäume schlendern wir über einen kleinen Marktplatz. Hier finden wir die begehrten, hauchdünnen Wickelhosen der Reisbauern. Eine kostet 100 Bath, das sind gerade mal 5 DM. Vor einem kleinen Kaffee entdecke ich den Doppelgänger von Mahatma Gandhi. Er versteckt sich hinter einer großen Zeitung und schaut ab und zu verstohlen in die Menge. Jugendliche Mönche schlendern unbekümmert über den Platz. In ihren lässig über die Schultern hängenden Baumwolltüchern wirken sie kostümiert. Ich muss an Chu-Chu denken, an ihre Geschichten von den verwöhnten Männern ...in Thailand gehen die jungen Männer für eine gewisse Zeit ins Kloster ...das ist eine Ehre für die Familie und eine wichtige Lebenserfahrung ...bei den Mönchen lernen die verwöhnten Muttersöhnchen das einfache Leben, das Beten und Betteln kennen... und dann im ironischen Nachwort ...schadet nicht, aber hilft auch nicht immer... Wir verlassen die mehr als tausendenjährige Tempelanlage und fahren in einen Sportpark zum Mittagessen. Das Hotel im Zentrum der Anlage erinnert an die Herrenhäuser der Südstaaten. Riesige Säulen flankieren den feudalen Eingang. In einem schmucken Innenhof wird uns ein festliches Essen aufge- 39 -

tischt. Asiatische Folk-Music rundet das Bild ab. Auch hier lässt sich's wieder gut leben. Unter vorgehaltener Hand verhandeln wir über die Trinkgelder für Chu-Chu, den Busfahrer und den Boy. Wie zu erwarten gehen die Vorstellungen hier weit auseinander. Obwohl ich mich in den zurückliegenden Tagen immer wieder vom Feld absetzte, werde ich von einigen Mitreisenden um Rat gefragt ...was meinen sie, wir sollten nicht kleinlich sein... andere meinten ...die werden doch eh schon gut bezahlt... schließlich rückt eine ältere Dame mit ihrem eigentlichen Anliegen heraus ...nehmen sie doch die Sache in die Hand, wir schließen uns dann alle an... Natürlich folgt das allgemeine Kopfnicken und mir fällt der ungeliebte Job des Geldeintreibers zu. Dem Fluss Yom folgend queren wir das Menam-Becken in südöstlicher Richtung. Unser Ziel, der Binnenflughafen Phitsanoluk rückt näher und mit ihm das Ende der Rundreise. Die grelle Mittagssonne lässt die Natur blass aussehen. So weit das Auge reicht breitet sich die karge Steppe aus. Im Bus herrscht das große Schweigen und ich schreibe an einer Abschiedskarte für Chu-Chu. Moni schläft mit offenem Mund. Vermutlich träumt sie schon von einer kühlen Brise am Strand von Jomtien. Von dem ursprünglichen Reiseplan abweichend halten wir vor dem Tempel Wat Phra That Suthon Mongkonkiri. Zwei kolossale, goldene Drachen wachen über den weiten Vorplatz. Stolz erzählt uns Chu-Chu die Geschichte dieses modernen Tempels ...ihr müsst wissen, dieser Tempel wurde erst in den 90er Jahren erbaut ...er ist in keinem Reiseführer erwähnt, wird aber von den Einheimischen gerne besucht und gewinnt immer mehr an Bedeutung ...unter der Führung eines jungen Mönches, ich glaube er ist etwa 35 Jahre alt, entstanden hier ein Museum und eine Klosterschule ...der junge Mönch genießt hohes Ansehen und sein Einfluss auf die moderne buddhistische Lehre findet auch bei den Traditionalisten Beachtung ...zur Zeit hält er sich in Indien auf, ich glaube er besucht dort den Dalai-Lama... Durch diese Einführung neugierig geworden steigen wir den kleinen Hügel zum Tempel hinauf. Bei Temperaturen um die 35 Grad im Schatten steht uns schon nach wenigen Metern der Schweiß auf der Stirn. Moni entdeckt einen Hund, der ihrer Asta fast auf das Haar gleicht. An fremde Menschen gewöhnt lässt er sich gerne das struppige Fell streicheln. Die kleine Ausstellung im Museum erzählt die Geschichte der Region. Geschichten über das Leben der einfachen Bauern, über den Buddhismus und die Erfolge der glorreichen Herrscher. Der Tempel selbst hält keine Überraschungen bereit. Hier wurde die Bronze in alte Formen gegossen. Vergeblich suchen wir nach den Einflüssen moderner Architektur, nach abstrakten Skulpturen und futuristischen Spielereien. Nein, auch hier begegnen wir dem glockenförmigen Chedi, den verzierten Tempelhallen und einem zentralen Bot. Im Gegenteil, die Verzierungen sind hier noch üppiger ausgefallen und das Gold der vielen Buddha-Figuren blendet in der Sonne. Was hier fehlt ist der Staub der Jahrhunderte, das Moos zwischen den grellen Dachziegeln und das Patina auf den Gesichtern der Bronzestatuen. In unseren Vorstellungen wird eine zeitgenössische Kunst stets von dem innovativen Gedanken getragen. Kein Bildhauer würde auf die Idee kommen eine barocke Madonna zu schaffen. In einer schnelllebigen Zeit suchen wir permanent nach neuen Trends. Jede Generation sucht nach einem eigenen Stil und die Werke vergangener Epochen sind Teil der Geschichte. Hier ist nichts von diesem Streben erkennbar. Die Revolutionen westlicher Kulturen scheinen hier keinen Nährboden zu finden. Hier treibt alles im gleichen Strom, Vergangenheit und Gegenwart, getragen von einer friedlichen Religion, die den Alltag der Menschen prägt. Mit trockener Kehle kämpfen wir uns durch dieses sakrale Sammelsurium und die hoch stehende Sonne schluckt unsere Schatten. Bunte Mosaiken schleudern Lichtreflexe in das über allem liegende Hitzeflimmern. Nach einer Stunde sind wir restlos erledigt und stürmen den kühlen Bus. Auf einer öden Schnellstraße kommen wir unserem Ziel rasch näher. So bleibt die Zeit für einen kurzen Halt an einem unscheinbaren - 40 -

Straßenmarkt. Die wenigen ärmlichen Hütten kleben aneinander und spenden sich gegenseitig Schatten. An den Vordächern der zur Straße offenen Behausungen hängen Körbe, Besen und Bürsten. Die Bewohner scheinen gerade ihre Siesta abzuhalten. Gelassen kauern sie in ihren geschwungenen Korbsesseln, strecken ihre Beine aus oder dösen in abgenutzten Hängematten. Auch unsere Ankunft löst nicht gerade ein geschäftiges Treiben aus. Allein der Barkeeper zu Beginn des Marktes lockt mit seinen kühlen Drinks oder einem heißen Espresso. Er bemüht sich nicht umsonst. Die meisten Helden unserer Truppe belagern die Theke seines kleinen Cafés. Nein, ich kann mich nicht schon wieder hinsetzen. Moni begleitet mich und wir schlendern gemeinsam durch diese asiatische Dult. Die gastfreundlichen Menschen mustern uns neugierig. Unaufdringlich zeigen sie ihre handgearbeiteten Waren. Am Ende landen wir auf einer winzigen Veranda und bestellen grünen Tee. Laut Chu-Chu soll es hier den besten grünen Tee Nordthailands geben. Sie versteht es jeder Station dieser Reise ein Etikett anzuheften. Während Moni den direkten Rückweg sucht lasse ich mir noch etwas Zeit. Gedankenverloren zwänge ich mich durch einen Antiquitätenladen und stehe plötzlich unmittelbar vor einer älteren Dame, die sich zwischen ihrem Trödel in einer Hängematte versteckt. Sie grinst amüsiert und scheint mich die ganze Zeit über beobachtet zu haben. Irgendwie fühle ich mich überrumpelt und mir bleibt keine Zeit für einen schnellen Rückzug. Nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Art der Verteidigung‘ schaue ich ihr tief in die Augen und grinse frech zurück, worauf sich die Frau aus der Hängematte rollt und im hinteren Teil der Hütte verschwindet. Ist sie etwa vor mir davongelaufen, geflüchtet vor dem neugierigen Touristen? Bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringe erscheint sie mit ihrer attraktiven Tochter, die ihren Sohn im Arm hält. Jetzt werde ich von drei schwarzen Augenpaaren aufmerksam gemustert. Unbefangen streckt der Kleine seine Arme nach mir aus. Mutter und Tochter beginnen zu tuscheln und lachen hinter vorgehaltener Hand. Wenige Augenblicke später halte ich den kleinen Mann im Arm. Übermütig ziehen mich die beiden Frauen in einen hinter Sisalmatten verborgenen Raum. Stolz zeigen sie mir ihr kleines, persönliches Reich. Auf weniger als 20 Quadratmetern gibt es alles was man zum Leben braucht. Es riecht nach Gemüsesuppe und ich fühle mich sofort zu Hause. Gerne hätte ich mich auf einem der Korbstühle niedergelassen. Aber der Boy sucht bereits nach den verlorenen Schafen und streckt seinen Kopf in den Raum. Nach einem kurzen und schmerzlosen Abschied bleibt gerade noch Zeit für ein Erinnerungsfoto. Moni beobachtet die Szene aus der Ferne und schüttelt verwundert den Kopf ...dich kann man aber auch keine zwei Minuten alleine lassen... Chu-Chu lacht hintersinnig und fragt mich unverhohlen ...du magst die Frauen in Thailand, ja?... und im

- 41 -

gleichen Atemzug ...ja, wir haben schöne Frauen, besonders im Norden, dort haben sie keine Nasen wie Birnen, aber sie sind stolz und nicht immer treu ...wenn der Mann etwa länger unterwegs ist, dann finden sie schnell einen Hausfreund ...die Frauen im Osten sind nicht so schön, sie sind klein und haben runde Gesichter, aber sie sind treu ...so ist das, man kann im Leben nicht alles haben... Am Ende ihres philosophischen Vortrages wechselt sie das Thema und lästert einmal mehr über die Herren der Schöpfung. Wir erreichen den Stadtrand von Phitsanoluk und die tiefstehende Sonne spiegelt sich in der Heckscheibe eines vorausfahrenden Pick-ups. Auf der Ladefläche dösen drei junge Bauarbeiter. Unweigerlich muss ich an den Schlafwagen zur Eisenschmelz zwischen Laufach und Sailauf denken. In keinem Bett dieser Welt habe ich tiefer geschlafen. Am frühen Abend erreichen wir das geschmückte Phitsanoluk. Die überquellenden Straßen der Innenstadt gleichen einem Jahrmarkt. Chu-Chu klärt uns über dieses Spektakel auf ...wir haben Glück, in Phitsanoluk feiern sie das Tempelfest ...wir werden viele Menschen aus der Region sehen ...sie kommen in den Tempel, bringen ein Opfer und feiern dann bis spät in die Nacht... Auf dem Weg zum Tempel müssen wir mehrfach anhalten. Unzählige Mopedfahrer balancieren ihre klapprigen Vehikel durch die Menge, suchen verzweifelt nach einem Parkplatz und drehen ausgelassen am Gasgriff. Blaue Wolken steigen auf und vereinen sich zu einer bedrohlichen Wolke. Dazwischen bahnen sich abenteuerliche Dreiräder und Fahrradrikschas ihren Weg. Wieder staune ich über die Gelassenheit und die Geduld dieser Menschen. Obwohl es hier keine Verkehrsregeln zu geben scheint, findet jeder seinen Weg. Auch Moni freut sich auf das Tempelfest und so bleiben wir nur kurz im Hotel. Zwischen einem meist erheblich kleineren Publikum schlängeln wir uns durch den buddhistischen Rummelplatz. Den kitschig dekorierten Tempel erkennen wir erst auf den zweiten Blick. Zwei Buddha-Statuen in der Mitte des Tempelhofes wurden vorsorglich mit Lackschirmen ausgestattet. So passen sie besser in diese weltliche Kulisse. Auch die Mönche scheinen keine Probleme mit diesem skurrilen Spektakel innerhalb ihrer geheiligten Mauern zu haben. Im Gegenteil, sie sitzen zwischen den Händlern und sprechen ihre monotonen Verse, die von vorsintflutlichen Lautsprecheranlagen verstärkt über den Platz hallen. Einer versucht den anderen zu übertönen und wir wissen bald nicht mehr wo uns der Kopf steht. Wie sagt doch Chu-Chu ...wenn der Thai feiert, dann vergisst er alles andere... Wir lassen uns von der ausgelassenen Stimmung der Einheimischen anstecken und es bereitet mir eine diebische Freude Blicke einzufangen, mit Mund und Augen zu kommunizieren. Nein, hier schaut niemand auf den Boden und kein Mensch würde auf die Idee kommen einen Walkman umzuschnallen. Die Leute sind neugierig aufeinander und haben sich noch etwas zu erzählen. Auch hier sehe ich keine Betrunkenen. In Thailand scheint der Alkohol keine Rolle zu spielen. Nach einem zweistündigen Bad in der Masse kehren wir aufgedreht ins Hotel zurück und genehmigen uns noch einen Schlummertrunk in der Hotelhalle. Ein Tag voller Begegnungen geht zu Ende. - 42 -

31. Januar 2001 Der letzte Tag im Januar verspricht hochsommerlich heiß zu werden. Heute treibt es mich schon vor dem allgemeinen Weckruf aus den Federn. Hinter den muffigen Vorhängen breitet sich eine sonnendurchflutete Stadt aus. Der wolkenlose Himmel leuchtet stahlblau und ich denke an Zuhause. Im nasskalten Donaumoos werden sich missgelaunte Menschen die Mütze tief über die Ohren ziehen und vergeblich nach der Sonne Ausschau halten. Um sie herum vereinen sich Nebelbänke und Regenwolken zu einem erdrückenden Grau in Grau. Hier in Thailand blinzelt meine verschlafene Nachteule und versucht den lästigen Sonnenstrahlen auszuweichen. Moni knurrt ...was machst du denn so früh am Fenster, zieh endlich die Vorhänge wieder zu und komm zurück ins Bett... Zu spät, der Tag hat mich längst in seinen Fängen. Ich ziehe die Vorhänge zu und gehe auf die Straße. Hier erwacht das Leben und die ersten Rauchwolken treiben durch die klare Luft. Händler karren ihre Waren auf den Markt. Die ersten Frauen sind bereits auf dem Rückweg. Sie schleppen schwere Körbe oder sitzen auf hoffnungslos überladenen Mopeds. Unaufhörlich nicken sie sich gegenseitig zu oder schleudern ein paar schrille Worte in die Menge, wodurch in aller Regel ein mehrstimmiges Gelächter ausgelöst wird. Hier wird niemand ausgeschlossen und ich fange mir auch das ein oder andere Augenzwinkern ein. Es ist so einfach und doch bringe ich es zu Hause nicht fertig. Wie all die anderen ziehe ich mich zurück, verstecke meine Gefühle und hoffe gleichzeitig auf ein Wunder. Mit diesen Gedanken kehre ich ins Hotel zurück. Moni hat bereits gepackt und schaut streng auf die Uhr. Nach dem Frühstück lädt Chu-Chu zu einem letzten Rundgang ein. Im Dutzend traben wir durch die Innenstadt und ziehen die neugierigen Blicke der Tempelbesucher auf uns. Wir besichtigen unseren letzten Tempel, Wat Phra Si Rattana Mahathat, den großen Bot mit der bekannten Buddha-Statue Phra Buddha Chinarat und eine buddhistische Kunstsammlung. Unsere Kulturfetischisten hängen immer noch am Rockzipfel der Reiseleiterin. Nein, bei aller Liebe ich denke wir haben auf dieser Reise genug sitzende, liegende und stehende Buddhas gesehen. In Gedanken höre ich den stillen Ozean rauschen. Die Zeit ist reif für eine Erholungspause. Auf der Fahrt zum Flughafen bahnen wir uns wieder den Weg durch die überquellende Innenstadt. Die Menschen springen ohne Groll zur Seite und ich ärgere mich über die rüde Fahrweise unseres selbstgefälligen Busfahrers. Gegen 12.30 Uhr checken wir ohne große Formalitäten ein und heben kurz darauf in einer kleinen Linienmaschine der Thai-Air ab. Auf dem ungefähr einstündigen Flug reicht man uns einen kleinen Imbiss. Während die Stewardessen die letzten Becher einsammeln tauschen wir in die Dunstglocke von Bangkok ein. Nach der Landung verabschieden wir uns von der Truppe. Chu-Chu führt uns zu einem Kleinbus der uns nach Jomtien bringen soll. Auf dem Weg dorthin gibt sie ihre wahre Identität preis. Chu-Chu heißt mit Nachnamen Grieshaber und wohnt am Bodensee. Wir sind platt und fragen sie nach dem Grund ihres Versteckspiels. Mit ihrem spitzbübischen Lachen erklärt sie ...ich verrate meinen Namen nicht so gerne ...klingt so deutsch ...alle wundern sich dann über meine schlampige Aussprache und denken etwa ich sei faul oder dumm... Zum Abschied lässt sie sogar eine vorsichtige Umarmung zu. Mit einem pseudo-kritischen Blick warnt sie Moni vor den thailändischen Frauen und rät ihr gut auf mich aufzupassen. Das war’s dann, mit einem letzten ...Halleluja... verschwindet sie in der Flughalle. Wir steigen in den Kleinbus und verlassen die unter einer Dunstglocke schwitzende Millionenstadt Bangkok. Der Fahrer, ein junger Mann mit schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren hat das derbe Gesicht eines Indianers. Der Beifahrer, ein älterer Herr mit weißen Haaren klärt uns in einem gut verständlichen Englisch - 43 -

über die Fahrt nach Jomtien auf. Fast zwei Stunden folgen wir der Küstenstraße und passieren die Rotlicht-Metropole Pattaya. Der Weißhaarige dreht sich um und zeigt mit gespielt ernster Miene auf eine große Leuchtreklame ...a very good nightshow... Der Indianer schielt kurz in den Rückspiegel und schätzt unsere Reaktionen ab. Er brummelt etwas Unverständliches und die Beiden beginnen zu lachen. Südlich von Pattaya tauchen die ersten Hoteltürme auf. Wir fürchten in eines dieser Massenlager einquartiert zu werden und atmen auf als wir zehn Minuten später in den von Palmen gesäumten Weg zum Botany Beach Hotel einbiegen. Die lehmfarbenen Gebäude werden durch einen mediterranen Park aufgewertet. Über die einladende Hotelhalle, die von rustikalen Balken überspannt an die englischen Hotels der Kolonialzeit erinnert, erreichen wir das nach allen Seiten abgeschottete Areal. Unser Zimmer finden wir in einem dreistöckigen, lang gestreckten Gebäude. Ein schmuckloser Gang verbindet die parallel angeordneten Zimmer. Die phantasielose Einteilung erinnert mich an heimische Krankenhäuser. Zwei junge Zimmerfrauen lachen uns im Vorbeigehen freundlich zu. In ihren hellblauen Kitteln passen sie prima in dieses Bild. Doch am Ende dieses Tunnels führt eine Türe ins Freie und lässt uns den albernen Vergleich schlagartig vergessen.

Nein, wir können nur noch staunen. Vor unseren Augen breiter sich der zum Meer hin offene Hotelgarten aus. Palmen und blühende Büsche säumen einen verspielten Swimmingpool. Im Wasser spiegelt sich der farbenprächtige Abendhimmel und im Hintergrund rauscht der Pazifische Ozean. Ein paar ältere Hotelgäste dösen unter blauen Sonnenschirmen. Im Vordergrund entdecken wir die Hotelbar in Form eines Pavillons. Hinter der runden Theke gähnt ein arbeitsloser Barkeeper und schaut sehnsüchtig auf seine Armbanduhr. Eine verdächtige Ruhe, fast wie in einem Sanatorium. Moni wirft mir einen fragenden Blick zu und ich antworte mit einem ratlosen Achselzucken. Hoffentlich sind wir nicht im einsamsten Hotel Thailands abgestiegen. Unser Zimmer ist einfach aber geschmackvoll ausgestattet. Ein Bad mit großer Duschkabine, ein kleiner Balkon im Süden, Kühlschrank, Fernseher und ein breites Bett mit neuer Matratze, was will der Mensch mehr. Nachdem wir uns notdürftig eingerichtet haben gehen wir auf Entdeckungsreise. Wir finden eine kleine Boutique, - 44 -

einen Frisiersalon und das Restaurant mit Frühstücksterrasse. Die beiden baugleichen Hauptkomplexe fassen schätzungsweise 200 bis 300 Betten. Daneben gibt es noch ein paar kleine Ferienhäuser, das bereits erwähnte Pavillon und ein Bistro in der Nähe des Pools. Das überschaubare Areal wirkt wie aus dem Ei gepellt und bietet jeden Komfort. Ohne Zweifel kann man hier in aller Ruhe die Sonne anbeten. Das Meer wirft kleine Wellen gegen den schmalen Sandstrand. Vor einem Jachtclub südlich der Anlage schaukeln die weißen Spielzeuge reicher Leichtmatrosen. Im Norden dehnt sich ein bewaldetes Sumpfgebiet aus. Unter einem Strohdach trocknen bunte Fischerboote. Dahinter leuchtet die Silhouette von Pattaya. Unser erster Rundgang endet in einem abenteuerlichen Busch-Café. Nur ein schmaler Pfad trennt dieses ...Einheimisch-Restaurant... vom Botany Beach Hotel und trotzdem liegen Welten dazwischen. Neugierig lassen wir uns in diesem improvisierten Biergarten nieder. Das Meer verschmilzt mit dem tiefroten Abendhimmel und die Linie des Horizonts ist bald nur noch schemenhaft erkennbar. Mit fortschreitender Dunkelheit verstummt der Strand. Die Stille ist fast greifbar und wird nur durch die Schreie der Möwen unterbrochen. Leider können wir die wohltuende Ruhe nicht lange genießen. Dieser unselige Wirt schaltet sein schepperndes Notstromaggregat ein und schlägt alle heimlichen Nachtschwärmer in die Flucht. Vor der kleinen Hütte flammt eine Leuchtstoffröhre auf und wird bald von unzähligen Faltern umschwirrt. Der vergilbte Lampenschirm schluckt einen Teil der Leuchtkraft und sorgt für ein gespenstisches Grünlicht. Gerne hätten wir diese überflüssige Technik gegen ein paar Kerzen eingetauscht. Doch das spielt heute keine Rolle mehr. Ein anstrengender Tag fordert seinen Tribut und wir brechen unsere Zelte bald ab. 01. Februar 2001 Heute dürfen wir uns noch einmal umdrehen. Ohne den üblichen Weckruf trödeln wir gegen neun Uhr durch die Hotelhalle. Über die sonnige Frühstücksterrasse weht der Duft frisch gebrühten Kaffees. Wir haben alle Zeit der Welt und freuen uns über das königliche Frühstücksbüfett. Arme Ritter, frische Croissants, Spiegelei mit Speck und tropische Früchte zwingen uns zu einem ausgiebigen Brunch. Den Rest des Tags pendeln wir zwischen Liegestuhl, Swimmingpool und Strand. Ein gutes Buch zum Lesen, ein schattiges Plätzchen unter Palmen, fünf Schritte zum Pool und fünfzig zum Meer. Ein Paradies für Sonnenanbeter, doch leider gehöre ich dieser anspruchslosen Spezies nicht an. Nein, schon nach zwei Stunden regen sich die Grillen in meinem Bauch. Unruhig lege ich das Buch zur Seite und drehe meine erste Strandrunde, vorbei an einer chinesischen Großfamilie, an den Schirmen der schwitzenden Masseurinnen und den - 45 -

bunten Fischerbooten. An diesem endlosen Strand zwischen Jomtien und Pattaya ist keine Menschenseele unterwegs, nur ein paar streunende Hunde bellen mir nach. Der schäumende Algengürtel leuchtet in allen Farben. Hier treiben Flaschen, Bierdosen und Plastiktüten. Traurige Bilder, die in den bunten Hochglanzprospekten der Reiseveranstalter nicht auftauchen. Fast zwei Stunden ziehe ich meine Spuren durch den Sand. Moni hat sich zwischenzeitlich mit älteren Herrschaften aus Linz angefreundet. Sepp, ein ca. 55-jähriger, rundum gebräunter Geschäftsmann mit Bauchansatz, über dessen behaarter Brust mehrere Goldketten baumeln, streckt mir weltmännisch die Hand entgegen. In seinem breiten Linzer Dialekt stellt er mir seine spindeldürre, rotblonde Ehefrau vor. Spontan muss ich an die gestylten Gattinnen amerikanischer Präsidenten denken. Wie ein Taschenkrebs ziehe ich die Fühler ein und verkrieche mich hinter meinen Vorurteilen. Gerade noch rechtzeitig ertappe ich mich auf der unsinnigen Flucht in meine festgefahrenen Klischees und kehre um. Rosi, so heißt die bessere Hälfte des Geschäftsmannes, wirkt bescheiden. Auf ihre natürliche Art relativiert sie die Sprüche ihres gutgelaunten Sunnyboys. Wir lernen noch eine 75-jährige, resolute Marktfrau, ihre beiden betagten Freundinnen und einen 70-jährigen Hauptmann a. D. der Gendarmerie Linz kennen. Diese auf den ersten Blick doch sehr illustre Gesellschaft wächst uns bald ans Herz. Schon nach dem ersten Small Talk nimmt mich die Marktfrau zur Seite und verrät mir hinter vorgehaltener Hand ...der Sepp ist stinkreich, der ist Millionär... Mit spitzem Mund reibt sie Daumen und Zeigefinger aneinander. Für einen Augenblick schleicht sich das Bild einer Hösbacher Gastwirtin in meine Gedanken. Wie sich die Menschen doch gleichen. Natürlich kennen diese alten Hasen aus Linz das Busch-Cafe und wir verabreden uns für den Abend. Zuvor lasse ich mich am Strand massieren. Fünf Frauen buhlen um die Gunst der wenigen Touristen. Schon am frühen Morgen rollen sie ihre Wolldecken aus. Unter windschiefen Sonnenschirmen kneten sie dann die steifen Europäer durch. Trotz dieser unmenschlichen Anstrengung bei Temperaturen um die 35 Grad im Schatten verlieren diese Frauen ihren Humor nicht. Mit ihren schrillen Stimmen locken sie die vorbeigehenden Strandgäste ...hey Mister, you want a massaasch... Mich müssen sie nicht lange betteln. Neugierig lasse ich mich auf der Decke einer Masseurin nieder. Es scheint meine Bestimmung zu sein, dass ich immer an den gleichen Frauentyp gerate. Auch Hmong, wie sich diese 50-jährige Magierin nennt, würde glatt als Navajo-Squaw durchgehen. Mit ihren herben Gesichtszügen und der leicht pockennarbigen Haut entspricht sie wohl keinem westlichen Schönheitsideal. Trotzdem fasziniert sie mich, ihre schwarzen Augen, der geschwungene Mund und ihr ruhiges und zugleich stolzes Lächeln. Auch ihre Falten, die sich wie ein feines Spinnennetz um ihre Augen schmiegen, schmälern die Wirkung nicht. Im Gegenteil, gerade das Spiel dieser feinen Linien wirkt charismatisch. Wieder stelle ich fest, dass ich nicht für die schönen Püppchen dieser Welt geschaffen wurde. Nein, es sind die warmen, weichen Frauen die mich anziehen. Wie heißt es doch in einem alten Song von Klaus Lage ...ihr müsst sie nur einmal mit meinen Augen seh’n... - 46 -

Für 150 Bath (7,50 DM) verwöhnt sie mich fast 90 Minuten lang. Über die 50 Bath extra freut sie sich riesig. Offensichtlich sitzt das Trinkgeld bei ihren Kunden nicht immer so locker. Moni empfängt mich mit der spitzen Bemerkung ...das hat aber lange gedauert... Sie wirkt angespannt und ich versuche ihren verkniffenen Gesichtsausdruck zu deuten. Ist es Langeweile oder ein Anflug von Eifersucht? Eigentlich will ich dieser Frage gar nicht auf den Grund gehen. Ohne weitere Diskussionen schleife ich meine widerspenstige Gattin in den Pool und bringe sie dort rasch auf andere Gedanken. Spätestens nach dem kühlen Drink im Pavillon ist die Welt wieder in Ordnung. Den Rest des Tages verbringen wir am Strand. Gegen Abend sammelt ein hagerer Mann Liegestühle und Sonnenschirme ein. Mit seiner dunkelgrünen Baseballmütze und der farblich abgestimmten Weste erinnert er mich an die alten Knaben in der Whiskeywerbung von Jack Daniels. Die heiteren Strandmasseurinnen bearbeiten immer noch die schlaffen Muskeln ihrer zumeist ergrauten Kunden. Trotz fortgeschrittener Stunde denken sie noch nicht an den Feierabend. Übermütig springt uns eine in den Weg, setzt ein breites Grinsen auf und quasselt los ...Madame, come to me for a massaasch... In meine Richtung schneidet sie nur eine schräge Grimasse. Moni weiß nicht recht wie sie ihren Kopf aus der Schlinge ziehen soll. Spontan verspricht sie ...tomorrow... worauf diese angriffslustige Frau ihre Stirn in Falten legt und mit skeptischer Miene nachfragt ...tomorrow?... Moni bleibt nur noch ein hilfloses Nicken. Nach einem Jubelschrei tanzt sie an ihren Sonnenschirm zurück. Woher beziehen diese Menschen ihre überschäumende Lebensfreude. Nein gegen diese quirligen Mädels können wir lethargischen Abendländer nur blass aussehen. Nach einer kurzen Siesta im kühlen Zimmer kehren wir frisch gestylt an den Strand zurück. Die tiefstehende Sonne verwandelt das Meer in einen goldenen Spiegel und ein lauer Westwind treibt uns die salzige Luft des Pazifiks entgegen. Hungrig steuern wir das versteckte Busch-Café an. Ein graumelierter Herr mit Goldrandbrille verschlingt eine gebratene Pekingente. Mit dem Charme eines Vermögensberaters schielt er pausenlos über den Rand seiner Brille, zwinkert in die Runde und führt lautstarke Selbstgespräche. Hierbei scheint ihm wichtig zu sein, dass er auch an den hinteren Tischen gut verstanden wird. Seine deutlich ältere Partnerin versteckt ihre Augenringe unter einer dunklen Sonnenbrille und spielt gelangweilt mit ihrem Whiskeyglas. Keine zehn Minuten später erscheint die Tochter des Hauses und präsentiert mir ebenfalls eine Pekingente. Doch bevor ich protestieren kann höre ich den Vermögensberater plappern ...habe ich für sie bestellt ...müssen sie probieren, köstlich... Ich fasse es nicht, hat mir dieser dämliche Clown doch tatsächlich eine Ente bestellt. Zwei Dinge halten mich ab diesen Menschen auf der Stelle zu erwürgen. Zum einen tut mir die ratlose Bedienung leid und zum anderen sieht dieser Flattermann wirklich gut aus. Wie sagt man doch ...Ente gut, alles gut... Mit einem Kopfschütteln proste ich diesem selbsternannten Alleinunterhalter zu und konzentriere mich auf den Braten. Nach dem Essen winken uns die trinkfesten Linzer an ihren Tisch. Sie lassen sich gerade die zweite Runde Mekong auftragen und ich staune zum ersten Mal über die robusten Witwen. Vor allen anderen läuft die Marktfrau zur Hochform auf und erzählt unglaubliche Geschichten aus ihrem wilden Leben. Ihren Thailandaufenthalt kommentiert sie trocken ...geh, warum soll ich mir dohoam an Arsch abfrier´n, wann ich hier bei 35 Grad am Strand liegen kánn? ...und außerdem in Linz suacht mich jetzt eh kaner... Der Hauptmann verwandelt sich in Hans Moser und die Resi, eigentlich die Ruhigste in diesem betagten Verein, stellt dem rassigen Wirt nach. Wie sagt doch Lotti Huber ...es geht auch so, aber anders geht es auch... Ich sehe die Ehekirchener Weiberlein vor mir, die sich in ihren schwarzen Mänteln gebückt zur Kirche schleppen. Das pralle Leben längst vergessen, die Träume begraben, ergeben sie sich der Tristesse ihres Alltags. Im Grund

- 47 -

sind es die gleichen Menschen, die sehnsüchtig nach dem Mark des Lebens suchen. Wie würden sie sich wohl in dieser Umgebung verändern? Wo werde ich in dreißig Jahren überwintern? Mit diesen Gedanken schlafe ich weit nach Mitternacht ein. 2. Februar 2001 Heute ist es Moni, die mich aus meinen schweren Träumen reißt. Der letzte Mekong klopft mir in den Schläfen und ich kann mich nur langsam an das grelle Licht gewöhnen. Nach dem Frühstück ziehen wir uns in den Schatten zurück. Die Zeit spielt keine Rolle. Um die Mittagszeit erscheint Sepp und fragt mich ob ich Lust auf einen Trip nach Pattaya hätte. Durch seine verschwollenen Augen zwinkert er Moni zu und flunkert ...na, brauchst kane Angst hab´n ...ich bring ihn schon wieder zurück... Mit gemischten Gefühlen steige ich gegen zwei Uhr hinter diesem Casanova in ein Sammeltaxi. Wir folgen der breiten, verkehrsreichen Straße, die durch ausgedehnte Industriegebiete einer vergammelten Vorstadt führt. Eine halbe Stunde später steigen wir vor einem Einkaufszentrum an der Strandpromenade von Pattaya aus. Das Meer versteckt sich hinter den Bretterwänden der Verkaufsbuden. Zwischen einer endlosen Blechlawine huschen unzählige Radfahrer und Fußgänger über die Straße. Die Stadt wirkt hektisch und droht unter einer Dunstglocke zu ersticken. Hier sehne ich mich zum ersten Mal nach dem ruhigen Strand in Jomtien. Sepp schleust mich durch die berühmtberüchtigte, sündige Meile, das Mekka der Sextouristen. Hier also treffen sich die verschämten Junggesellen und lassen so richtig die Sau raus. Jetzt bei Tage betrachtet wirkt dieses fragwürdige Vergnügungsviertel wie ausgestorben. Nur ein paar lichtscheue Gestalten verstecken sich in den schlüpfrigen Bars. Die übernächtigten Bordsteinschwalben meiden das Tageslicht. Mit betretenen Mienen kauern sie auf ihren Barhockern und pflegen ihre müden Augen. Der kalte Rauch kriecht aus den Höhlen und vermischt sich mit den Auspuffgasen der Lieferanten. An der nächstbesten Bar bestellen wir uns ein eiskaltes Singha-Beer. Sepp kokettiert fleißig und ich amüsiere mich über die großen Augen der Bedienung, die sich redlich abmüht sein Linzer Englisch zu verstehen. Nach einer Weile schaut sie Hilfe suchend zu mir. Die absolute Ratlosigkeit greift um sich, als er seine Austrian-Bank-Card zieht und umständlich nach dem nächsten Geldautomaten fragt. Das Mädchen schnappt sich die rotweiße Karte und verschwindet hinter der Theke. Kurz darauf erscheint ein dreiköpfiges Komitee. Die Chefin, eine 40-jährige Frau mit malaiischem Einschlag erklärt dem missverstandenen Gast, dass man in diesem Etablissement nur Bares schätzt. Sepp rudert mit den Armen und sucht verzweifelt nach den richtigen Worten. Am Ende bezahlen wir unsere Drinks und ziehen weiter. Zwischen verstaubten Reklametafeln quellen die Abfalltonnen über und der Planet brennt erbarmungslos auf die braune Teerdecke. Es riecht nach Fäulnis und ich sehne mich zum zweiten Mal nach meinem Liegestuhl am Strand. Sepp führt mich durch einen großen Fischmarkt. Auf einer langen Kühltheke warten ein paar hundert gefesselte Langusten auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Ihre Stielaugen scheinen mich zu verfolgen. Nichts wie raus hier denke ich angewidert. Wieder auf der Straße folge ich meinem Führer, der seine Scheckkarte in sämtliche Bankomaten des Rotlichtviertels steckt. Zähneknirschend nimmt er am Ende seinen letzten Traveler-Scheck und reiht sich in die Warteschlange vor dem Schalter einer Bank ein. Tja, was bringen die Millionen in Linz, wenn diese Blechdeppen die Austrian-Bank-Card nicht kennen. Fast eine Stunde irren wir nun durch Pattaya und ich beginne mich über diesen sinnlosen Dauerlauf zu ärgern. Gerade noch rechtzeitig finde ich ein kleines Café, in dem ich in aller Ruhe auf die Rückkehr meines Linzer Bankräubers warten kann. Eine junge Thai bringt - 48 -

mir ein Bier und leistet mir Gesellschaft. Mit einem frechen Grinsen spult sie ihre Standards runter ...what´s your name? ...where do you come from? ...oh from Germany ...I like Germans... doch dann kommt sie schnell zur Sache ...do you want a butterfly? ...I have a little room ustairs in this house , you want?... Mir wird schnell klar wofür der Begriff Schmetterling steht und ich erkläre ihr, dass ich keine Zeit für Abenteuer habe. Sie gibt nicht auf und erklärt mit einem gespielten Lächeln ... only a short time... Mit meinem begrenzten Wortschatz versuche ich ihr klar zu machen, dass ich keine Lust auf den schnellen Sex in dunklen Hinterzimmern habe, worauf sie mich beleidigt fragt ...you don´t like me... Ich mustere sie genauer und entdecke kreisrunde Brandwunden an ihren Oberarmen und an ihrem Hals. Ihre Ohren sind mehrfach eingerissen und vernarbt. Darüber können auch die vielen Kreolen nicht hinweg täuschen. Wie alt wird dieses Mädchen sein, 15 vielleicht 16 Jahre? Gerade mal so alt wie Hanna. Was mag sie schon alles durchlitten haben. Welche Zukunftsperspektiven bleiben ihr? Sie scheint meine Gedanken zu lesen. Fast schüchtern weicht sie meinen Blicken aus. Ich sehe ein geschminktes Kind mit knallroten, eingerissenen Fingernägeln und ich sehe ein Heer von Sadisten, die sich hemmungslos bedienen. Zu allem Übel verstehen sich diese kranken Gehirne noch als Förderer einer unterlegenen Kultur. Wie singt doch der Niedecken ...auch wenn ihr Netzstrümpf 1 A steh´n, sie ist halt doch noch zu jung... Nein, Mitleid hilft diesem gestrandeten Geschöpf auch nicht weiter. Ich bestelle mir einen Cappuccino und lade sie auf einen Cocktail ein. Ihre bedrückte Miene hellt sich auf und wir wechseln das Thema. Sepp kommt kurz darauf zurück und übernimmt das Ruder. Wieder flüssig bezahlt er am Ende die gesamte Rechnung. Wir verabschieden uns und Sepp stellt belustigt fest ...schau hin, die steht auf dich, die Klaane... Was soll ich darauf sagen, dieser arme Wurm strampelt sich hier ab und lächelt notgedrungen. Auch dem letzten Heuler vermittelt sie das Gefühl ein toller Hecht zu sein und während man sie in diesem Teufelskreis herumreicht, zieht das eigentliche Leben an ihr vorbei. Gegen 16 Uhr steigen wir wieder in ein Sammeltaxi und fahren nach Jomtien zurück. Moni fragt mich verwundert ...schon zurück - war´s langweilig?... Die Schilderung meiner Eindrücke kommentiert sie knapp ...hast du etwas anderes erwartet?... Damit schließen wir dieses Thema ab. Nach einem ausgedehnten Strandspaziergang schleichen wir uns klammheimlich an den Schirmen der Masseurinnen vorbei. Die quirlige Tänzerin von gestern entdeckt uns trotzdem und lockt mit schriller Stimme ...Madame, come to massaasch... auch die Antwort nimmt sie spöttisch vorweg ...tomorrow - tomorrow... Moni bleibt nur ein zustimmendes Nicken. Wir lassen den Tag am Pool ausklingen. Die Österreicher wollen uns in ein Fischrestaurant nach Pattaya schleifen. ...ein absoluter Geheimtip... verspricht Sepp. Nein, das muss ich heute nicht mehr haben. Wir strecken unsere Füße in den warmen Sand, genießen den kühlen Wind auf der Haut und hängen unseren Gedanken nach. Ohne Eile schlendern wir gegen Abend in das kleine Buschrestaurant und bereiten uns gedanklich auf den nächsten fernöstlichen Gaumenschmaus vor. Wir suchen heute keinen Anschluss und genießen die Ruhe unter den Palmen. Ein schwammiger Herr aus Düsseldorf schleppt sich über den Strand und stellt seinen massigen Oberkörper im Feinripp-Unterhemd zur Schau. Wie ein großer Frosch dreht er seinen halslosen Kopf in alle Richtungen, klotzt durch seine breitrandige Sonnenbrille und sucht nach potentiellen Opfern. Moni flüstert ...der wird doch hoffentlich nicht an unseren Tisch kommen... Wenige Augenblicke später baut er sich vor uns auf, schnappt sich einen freien Stuhl und stellt sein Glas zu den unseren ...ihr habt noch Platz für mich, das ist schön... Dieser Fleischberg erinnert mich an die verhinderten Sumo-Ringer, die sich bevorzugt in deutschen Männersaunen ausbreiten und ihren Schweiß nach allen Seiten verspritzen. Mehr als eine halbe Stunde hören wir uns seine platten Sprüche an, er-

- 49 -

dulden seine feuchte Aussprache und versuchen über seine abgedroschenen Witze zu lachen Erst als wir ihm demonstrativ den Rücken zukehren sucht er sich neue Zuhörer. Warum kann ich nicht einfach sagen ...verzieh´ dich, du störst hier... oder ...wärst du doch in Düsseldorf geblieben... Wo liegt die Grenze zwischen Höflichkeit und Dummheit. Moni hat recht, ich scheine diese Schwätzer förmlich anzuziehen und was viel schlimmer ist, ich habe bis heute kein wirksames Rezept gegen sie gefunden. Nicht ohne Schadenfreude sehen wir die betretenen Gesichter der neuen Opfer am Nachbartisch, das gequälte Lachen und den hilflosen Zorn. Befreit lehnen wir uns zurück - der Abend kann beginnen. Paradiesisch, fehlt nur noch der trockene Rotwein. Nach den guten Erfahrungen der letzten Tage gibt es nur noch eine Steigerung, den süß/scharfen Red Snapper. Während ich den gegrillten Fisch zerlege, beobachte ich einen einsamen Nachtschwärmer, ein Seemann aus Kiel wie ich tags darauf erfahre. Wortlos schleicht er sich an den letzten freien Tisch, bestellt eine große Flasche Mekong und füllt ein Wasserglas bis an den Rand. Während er mit gleichgültiger Miene auf seine Hände starrt leert er Glas um Glas. Innerhalb einer Stunde verwandelt sich sein ernstes Gesicht in eine grinsende Fratze mit starren, glasigen Augen. So ähnlich müssen die berühmt-berüchtigten Kampftrinker in Irrland aussehen. Am Ende stellt er die leere Flasche auf den Kopf und der letzte Tropfen rollt auf seine Zunge. Wie auf Kommando stemmt er sich aus dem Korbstuhl, grunzt ein unverständliches ...zahlen... wirft einen Bündel Scheine auf den Tisch und wendet sich zum Gehen. Die Bedienung versucht ihn aufzuhalten und steckt ihm die Scheine in die Jackentasche zurück, worauf er sie zornig wegstößt. Der Chef des Hauses und ein weiteres Mitglied der Familie klemmen sich den Trunkenbold unter den Arm und schleifen ihn in das Hotel zurück. Ohne großes Spektakel verschwinden sie in der Dunkelheit und die schadenfrohen Zuschauer kommen nicht auf ihre Kosten. Zweifellos nehmen sich diese ehrlichen Menschen keinen Bath zuviel und der Kieler Seemann wird sich am nächsten Tag über die zerknüllten Scheine in seiner Jackentasche wundern. Der Red Snapper schmeckt phantastisch und der Abend wird nach einer holprigen Einleitung ein voller Erfolg. Erst gegen Mitternacht schlendern wir zurück. Ein lauer Nachtwind kühlt und wärmt zugleich. Im Pool spiegelt sich der Nachthimmel und ich habe absolut keine Lust in einem dunklen Hotelzimmer zu verschwinden. Moni scheint den gleichen Gedanken zu haben. Spontan holen wir unsere Handtücher und tauchen in diesen magischen Spiegel unter Palmen ein. Lautlos lassen wir uns auf dem Rücken treiben. Die Weite des Nachthimmels beginnt sich in mir auszubreiten, saugt mich ein macht mich zu einem unbedeutenden Teil dieser unendlichen Kulisse. Fast eine halbe Stunde lassen wir uns treiben, hören die Straßen von Jomtien, das Rauschen des Pazifiks und das Rascheln der Palmzweige. Fledermäuse huschen wie kleine Schatten durch die Lichtkegel der Laternen. Morgen noch, dann ist dieser Zauber vorbei. 3. Februar 2001 Der vorletzte Tag in Thailand beginnt mit einer Geburtstagsfeier. Sepp bringt uns zwei Tortenstücke mit brennender Kerze an den Frühstückstisch. Therese, die Grand Madame aus Linz, feiert ihren 82. Geburtstag. Auch wenn Sepp mit seinen opulenten Goldketten das Bild eines klassischen Weiberhelden verkörpert beweist er in dieser Situation viel Herz. Liebevoll hat er den Stuhl der alten Dame mit Blumen schmücken lassen und die ganze Gesellschaft feiert ausgelassen. Mit unserem zweistimmigen Geburtstagsständchen rühren wir die Jubilarin zu Tränen. Noch vor zwei Tagen lag die rüstige Therese flach und Sepp verständigte den Notarzt. Er befürchtete das Schlimmste und wir bedauerten die Arme, die fern der Heimat um ihr Leben kämpfte. - 50 -

Zumindest dachten wir so, bis sie gestern Nachmittag auf der Terrasse des Hotels erschien und nach einem Wiener Schnitzel fragte. Am Ende war sie auch mit einem Hamburger zufrieden und am Abend fuhr sie mit der Meute nach Pattaya. Wie sagte man schon im alten Rom ...die Totgesagten leben länger... Nach diesem opulenten Frühstück lassen wir uns faul am Strand nieder. Heute gibt es kein Programm, keinen Plan und keine Eile. Moni überwindet ihren inneren Schweinehund und lässt sich auch massieren. Hmong erzählt mir ihre Lebensgeschichte. Eine starke Frau, die mit ihrem vergleichsweise hohen Einkommen drei Familien unterstützt. Sie bestätigt das von Chu-Chu vermittelte Bild über die verwöhnten Göttergatten in Thailand. Fast zwanzig Jahre ernährte sie einen Gelegenheitsarbeiter mit und während sie die Kohle heranschaffte trieb er sich in Pattaya herum. Irgendwann ist dann der Groschen gefallen. Sie hat ihren Streuner mit Sack und Pack vor die Tür gesetzt und lebt seither alleine. Von ihrer Familie wurde sie wegen dieser vermeintlich unmenschlichen Aktion verurteilt. Sie bekam den Zorn einer konservativen Gesellschaft zu spüren und musste sich die Gunst ihrer Angehörigen regelrecht erkaufen. In Pattaya war sie seit Jahren nicht mehr. Traurig und stolz zugleich erzählt sie von ihrer Schwester, die es wirklich zu etwas gebracht hat. Sie hat eine richtige Familie, Kinder und einen erfolgreichen Mann, der eine kleine Druckerei besitzt. Während sie ihre Geschichte erzählt meidet sie jeden Blickkontakt. Am Ende ihrer Lebensgeschichte gesteht sie ...alleinstehende Frauen in meinem Alter haben in Thailand keine Chance ...hier musst du jung, hellhäutig und schön sein... Ich finde diese geheimnisvolle Frau faszinierend und verrate ihr meine Gedanken. Mein Kompliment quittiert sie mit einem ungläubigen Blick. Ich erzähle ihr von unserer Rundreise, von Chiang Mai und dem Goldenen Dreieck. Sie freut sich ehrlich über meine Begeisterung, das positive Urteil über die Menschen in Thailand und lädt mich scherzhaft ein bei ihr zu bleiben ...du kannst bei meinem Schwager in der Druckerei arbeiten und in meiner Wohnung wäre genug Platz für dich... So vergehen fast zwei Stunden und ich träume mich für wenige Augenblick in ein anderes Leben. Was mag diese Indianerin schon alles erlebt haben. Wie oft mag sie diese Geschichte schon erzählt haben. Vielleicht erzählt sie auch jedem Gast eine andere, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Sie ist eine Frau mit Charisma und verdient bewundert zu werden. Den Rest des Tages verplempern wir am Pool und haben absolut kein schlechtes Gewissen dabei. In den zurückliegenden Tagen sind wir viel gelaufen, haben unendlich viele Eindrücke gesammelt, ein Leben im Zeitraffer. Warum sollen wir uns also auf der Zielgeraden keine Pause gönnen. Moni freut sich auf zu Hause. Gedanklich ist sie längst abgeflogen. Nein, ich kann ihre Ungeduld nicht verstehen, nicht nach dieser kurzen Zeit. Ich habe mich gerade an den Herzschlag dieser exotischen Welt gewöhnt und beginne die ersten Geheimnisse zu verstehen. Bis spät in die Nacht lie-

- 51 -

ge ich wach. Im Halbschlaf stürmen unzählige Bilder auf mich ein und verbinden sich zu einem wirren Film.

4. Februar 2001 Während ich gegen 4 Uhr zum zehnten Mal auf die Uhr schaue schleicht die Morgendämmerung ins Zimmer. Was war das für eine seltsame Karussellfahrt. Mir ist schwindelig und ich flüchte ins Freie. In das tiefe Grau des sternenlosen Nachthimmels fließen die ersten Rottöne. Kurz entschlossen schnappe ich mir den Rucksack und stapfe durch die totenstille Anlage. Der Parkwächter schläft in einem Liegestuhl. Wie von einer Tarantel gestochen fährt er hoch und schaut mich aus seinen roten Augen an. Dann versucht er die Zeiger seiner Armbanduhr zu erkennen ...vour o`clock, oh man... Während er seinen verdienten Schlaf fortsetzt, lasse ich mir den Pazifik um die Beine spülen, laufe ziellose dem Tag entgegen. Auch hier finde ich keine Ruhe. Pausenlos versuche ich diese Flut von Gedanken auf die Reihe zu bringen. Woher kommt diese Sehnsucht nach fremden Ländern, das Gefühl für exotische Menschen und die Panik vor einer Rückkehr in den Alltag. Wovor habe ich eigentlich Angst. Zuhause warten viele Menschen auf mich, Menschen die ich brauche wie die Luft zum Atmen. Nein, ich kann die Ursache für dieses Sehnen nach einem anderen Leben nicht finden. Ich denke an einen Song von Element of Crime ...in meiner Kehle sitzt ein Tier das frisst die klugen Worte auf... Ein alter Thai grüßt mich im vorübergehen. Eine viertel Stunde später treffe ich ihn wieder und er fragt mich unbekümmert was ich um diese frühe Stunde am Strand mache. Ich erzähle ihm von unserer Reise durch den Norden Thailands. Mit einem ehrlichen Interesse fragt er nach den Details. Wir unterhalten uns fast eine halbe Stunde. Mit seiner schwarzen Hornbrille und seinem weißen, kurzärmeligen Hemd gleicht er den steifen BusinessTypen aus Japan. Zuhause hätte ich ihn wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen. Aber darin legt wohl der Hund begraben. Nach dieser Begegnung hocke ich noch lange am Strand. Der Parkwächter tippt mir auf den Rücken und stellt mir einen Lie-

- 52 -

gestuhl auf. Während ich Hmong einen kurzen Brief schreibe erwacht das Leben rund um mich. Die Möwen beginnen zu kreischen und die ersten Frühaufsteher reiben sich den Schlaf aus den Augen. Gegen sieben Uhr strecke ich mich noch ein wenig auf dem Bett aus. Moni kuschelt sich an mich und ihre Augen strahlen. Sie hat schon gepackt und flüstert ...heute fliegen wir wieder heim, endlich... Sie ist das Beste was ich habe und ich freue mich mit ihr. Noch vor dem Frühstück stellen wir unsere Koffer bei der Rezeption unter. Zum letzten Mal reihen wir uns vor dem opulenten Frühstücksbüffet ein. Früchte, überbackene Toastbrote und Minihörnchen. Nein, über das Essen konnten wir uns wirklich nicht beklagen. Die asiatischen Gastgeber haben uns auf allen Stationen dieser Reise fürstlich bewirtet. Wir gehen das letzte Mal zum Strand und verabschieden uns von den Linzer Lebedamen und dem pflichtbewussten Strandwächter. Natürlich bleibt Zeit für eine letzte Strandmassage. Die Mädels verabschieden uns wie alte Freunde und behängen uns mit Jasmin-Girlanden. Hmong fragt mich ...kommst du wieder?... Wer weiß das schon? Auch in der Buschküche werden wir wie Stammkunden verabschiedet. Die Fahrt zum Flughafen wird ein Fiasko. Wir fahren durch Pattaya und sammeln die übernächtigten Junggesellen ein. Überall werden wir mit den gleichen Bildern konfrontiert. Grölende Helden liegen sich in den Armen, schwenken Bierdosen und schwören mit feuchten Augen wiederzukommen. Ihre Gespielinnen sind in diesem maskulinen Freudentaumel nur Randfiguren. Unweigerlich muss ich an die furchtlosen Casanovas in Ehekirchen denken. Mit diesen Szenen verabschieden wir uns von Pattaya und kehren in den Hexenkessel Bangkok zurück. Auf der Fahrt kehrt bald Ruhe ein. Jeder hängt seinen Gedanken nach und ich beginne meine wirren Eindrücke zu ordnen. Thailand, was weiß ich schon von dir? Ich mag deinen spröden Charme, deine überquellenden Straßen, die verspielten Tempel und deine bescheidenen Menschen.

...es geht auch anders, aber so geht es auch...

- 53 -