Canarisches Tagebuch

Luise Schmidt Canarisches Tagebuch 1904-1906 Zech Verlag 2 3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio...
Author: Thilo Pohl
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Luise Schmidt

Canarisches Tagebuch 1904-1906

Zech Verlag 2

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.dnb.de.

Alle Rechte vorbehalten All rights reserved · Todos los derechos reservados © Verlag Verena Zech, Santa Úrsula, Teneriffa/Spanien Text und Fotos: Erben von Luise Sonntag geb. Schmidt Abschrift und Digitalisierung: Klaus Matzdorff Buchgestaltung: Karin Tauer ISBN 978-84-938151-8-9 Printed in Spain

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Aus meinem Leben (Auszug)

Emma Luise Schmidt (14. Dezember 1883–16. März 1961)

Ich war daheim die mittelste von drei Schwestern. Wir hatten eine schöne Jugend im eigenen Hause in der 1. Vereinsstraße in Halle a.S. Wir sind wohl nie zu anderen Kindern gegangen, aber sie kamen reichlich zu uns »in die Laube« im Sommer. Wir »puppten« viel, aber dabei mußte immer genäht werden, so wurden unsere Hände sehr früh geschickt dafür. In der Schule war ich sehr eifrig u. schon in der untersten Klasse war ich bald die Erste und blieb es 8 Jahre in der Bürger-, später Mittelschule. Alles fiel mir leicht, nur im Rechnen brachte ich es nie über die 2 hinaus und im Singen war ich direkt unbrauchbar, da gabs eine 4 oder gar einen Strich. Mutter brachte mich dann zur Ausbildung in einen Privatkindergarten auf dem großen Berlin in Halle zu einer älteren Offizierstochter, Frl. Köstler. Es war wirklich der richtigste Beruf für mich, ohne daß ich ihn selbst gewählt hatte, denn dabei kam meine Liebe zu Kindern, mein Geschick zu allen Bastelarbeiten, Zeichnen und Näharbeit recht in Benutzung. Nur Singen hat mir immer gefehlt. Nach Beendigung der Ausbildung kam ich nach Godesberg an den Rhein zu einer Arztfamilie, hoch oben, hinter der Godesburg, Sanatorium Haus Godeshöhe, um dort zwei Jungens v. 7 u. 3 Jahren zu betreuen. Ein wundervolles Fleckchen Erde war es mit dem Blick auf den Rhein und das Siebengebirge. Meine Schwester Grete folgte mir bald nach als Kochlehrling. Wir hausten zusammen im Turmzimmer und nach 1½ Jahren kehrte ich mit ihr zusammen zurück, vorher aber mit ihrem Verlobten noch einige Tage den Rhein, Bonn, Köln genießend.

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4 Wochen daheim, dann gings auf 2 Jahre nach Bielefeld/Westphalen zu einer Kaufmannsfamilie Bendix zu 4 Kindern. Dann kehrte ich zurück, um erst mal nähen zu lernen. Morgens hatte ich Unterricht, nachmittags überwachte ich in einer Offiziersfamilie die Schularbeiten der Kinder. In dieser Zeit fiel mir ein »Daheim« in die Hände, ein Gesuch einer Kindergärtnerin für die Canarischen Inseln. Heimlich schrieb ich hin und wurde, nach einer Vorstellung in Neudorf, Harz, beim Bruder des Hotelbesitzers, engagiert, zum Entsetzen meiner Mutter, aber zur Freude meines Vaters. Schon am 6. Februar 1904 ging mein Dampfer »Lucie Woermann«. Vater brachte mich nach Hamburg. Es war ein Truppentransporter, da ja gerade der Aufstand der Hereros in Deutsch-Süd-West ausgebrochen war. Über diese Reise u. die 3½ Jahre meines Dortseins hab ich Tagebuch geführt. Es war keine leichte Zeit dort, aber sie hat doch mein ganzes Leben reich gemacht und die dort verlebte Zeit ist mir so unvergeßlich. 1907 kehrte ich zurück über London. Leider mit den Nerven arg runter. 5 Kinder, immer Verantwortung, immer Hitze. ...

Luise Schmidt war 20 Jahre alt, als sie am 6. Februar 1904 den Dampfer nach den Kanarischen Inseln bestieg.

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Neudorf-Harz- 31. XII. 03 Geehrtes Fräulein! Sie haben sich bereit erklärt die im »Daheim« ausgeschriebene Stelle auf den Canarischen Inseln bedingungsweise anzunehmen. Die Stelle ist im Hause meines Bruders des Herrn C.H.Trenkel Hotel Martianez Puerto Orotava Tenerife. Es wird besonderer Wert darauf gelegt, dass das Fräulein auch den Kindern den ersten Schulunterricht zu erteilen vermag. Mein Bruder hat deshalb in der Nähe des Hotels eine besondere Wohnung erworben, in welcher seine Frau und Kinder nebst einem Bedienten, unabhängig vom Hotel wohnen. Die Frau ist Engländerin. Spricht deutsch, die Kinder sprechen deutsch, englisch + spanisch, Familie war 1902 bei mir zu Besuch. Mein Bruder schreibt mir: Freie Hinreise, bei länger als 2 jähr. Dienstzeit auch freie Rückreise wird gewährt. Welches Gehalt würden Sie beanspruchen? Wann würden Sie die Stelle event. antreten können? Ich kann die Stelle nur empfehlen und bin überzeugt, dass wer die Stelle erhält, sich darin wohlfühlen wird. Bei Annahme würden Sie mit einem Woermanndampfer ab Hamburg via Tenerife fahren. Wollen Sie sich näher informieren, so möchte ich Sie bitten, sich bei mir persönlich vorzustellen Hochachtungsvoll Carl Trenkel Gemeindevorsteher

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1904 Hamburg, Teneriffa, den 5. Februar 1904

Schreibweisen und Zeichensetzungen wurden beibehalten, nicht eindeutig lesbare Passagen sind mit (?) gekennzeichnet, der Hrsg.

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Ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnt jetzt, meine Gedanken und Erlebnisse auf Teneriffa, den Canarischen Inseln will ich schildern vom 4. Februar 1904 an, wo ich meine Heimat verließ um in der Ferne mein Glück zu suchen. Meine guten, lieben Eltern u. meine Geschwister, ihr tut mir so leid, daß ich Euch so viel Sorge dadurch bereite, ich weiß daß es vor allem Dir, mein Muttchen sehr schwer fiel mich so allein in die weite Welt gehen zu lassen, wo das Meer mich von Euch allen trennt, doch, ich gehe mit Gott, er wird mich schon schützen vor allen Gefahren u. wird auch Euch mir gesund erhalten. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. So sagte Vater, Muttchen aber hatte mich nicht mit zum Bahnhof begleitet, ihr wurde es zu schwer, sie weinte laut auf, als ich sie zum letzten mal in meine Arme schloß. Vater, Grete, Fritz, Else, Reinhold und Paul begleiteten mich. Ein letztes Lebewohl – der Zug fuhr ab. Vater fuhr mit bis zum Schiff. In Hamburg glücklich angelangt wurden wir mit einem Omnibus samt Gepäck durch die belebten Straßen Hamburgs

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