3. Uneigentliche Integrale

Die Funktion f sei auf dem rechts o enen Intervall a ≤ x < b erklart und auf jedem abgeschlossenen Teilintervall [a, c], c < b, stuckweise stetig, b ∈ R ∪ {∞}. Dann der Integralbegri erweitert werden auf (1) Integranden f (x), die bei der Annaherung x → b− nicht beschrankt sind; (2) unbeschrankte Integrationsintervalle [a, ∞) durch die De nition b

Z

Z

c

f (x) dx := lim

c→b−

a

f (x) dx,

Z

bzw.



c

Z f (x) dx := lim

a

f (x) dx.

c→∞

a

a

Vollig analog gilt b

Z

Z f (x) dx := lim

c→a+

a

b

f (x) dx,

bzw.

Z

c

b

Z

f (x) dx.

f (x) dx := lim

c→−∞

−∞

b

c

Soll betont werden, dass keine Ausnahmesituation vorliegt, dann nennt man die bisher betrachteten bestimmten Integrale eigentlich. Man sagt, dass ein uneigentliches Integral konvergiert (bzw. divergiert ), wenn der zugehorige Grenzwert existiert (bzw. nicht existiert). Beispiel

Z

6.10. Es sei α ∈ R, α 6= 1, dann gilt



  ( 1 dx 1 1 , α−1 = lim 1 − α−1 = α c→∞ (α − 1) x c ∞,

falls falls

α>1 α1 α 1 nimmt sie mit wachsende Zeit zu. Die Dichtefunktion ist • •

( f (t) :=

k λ

t

k

e−( λ ) , t ≥ 0, 0, x < 0.

 t k−1 λ

Weibull-Verteilungsdichte f(t) für verschiedene Parameter

Wie man leicht durch Integrieren erhalt, ist die Verteilungsfunktion Z F (x; k, λ) = 0



k λ

 k−1 t k x k t e−( λ ) dt = 1 − e−( λ ) . λ

3. UNEIGENTLICHE INTEGRALE

81

Der Erwartungswert ist ∞

Z 0

Mit der Substitution τ := ∞

Z

√ k

τ λe

−τ

 t k λ

 k−1 t k t e−( λ ) dt λ

k t λ

wird daraus ∞

Z dτ = λ

τ

0

1+ k1 −1 −τ

e

0

  1 , dτ = λ Γ 1 + k

dabei bezeichnet Γ die Gamma-Funktion. Eine weiter Anwendung ist die Existenz uneigentlicher Parameterintegrale, wie z.B. der Gamma-Funktion Γ(x). ∞

Z

tx−1 e−t dt.

Γ(x) = 0

6.15. Gamma-Funktion.

Beispiel

Wir wollen zeigen, dass • Γ(x) f ur alle x > 0 existiert, • Γ(1) = 1 ist, • Γ(x + 1) = xΓ(x) rekursiv berechnet werden kann. Aus der zweiten und der dritten Beziehung folgt dann: Γ(n + 1) = nΓ(n) = n(n − 1)Γ(n − 1) = n(n − 1)(n − 2)Γ(n − 2) = . . . = n(n − 1)(n − 2) . . . 3Γ(3) = n(n − 1)(n − 2) . . . 3 · 2Γ(2) = n(n − 1) . . . 3 · 2 = n!

Die Gamma-Funktion erklart also die Funktion n! fur alle reellen x > 0. (Allgemein sogar fur alle reellen x, wobei die Funktion Polstellen fur bestimmte negative x hat, mehr noch ist die Gamma-Funktion fur alle komplexen x erklart, siehe Literatur.) Am einfachsten lasst sich Γ(1) berechnen: ∞

Z Γ(1) =

e

Z

−t



dt = lim

A→∞

0

0

t=A e−t dt = lim −e−t t=0 = lim (−e−A + 1) = 1. A→∞

A→∞

Da fur 0 < x < 1 auch an der Stelle t = 0 eine Singularitat, d. h. eine Stelle wo der Ausdruck, in diesem Fall tx−1 , nicht erklart ist, auftritt, wird das Integral in 2 Teilintegrale aufgeteilt: Z

∞ x−1 −t

t

e

Z

T

dt =

0

x−1 −t

t

e

0

Z dt +



tx−1 e−t dt.

T

Wir wenden das Majorantenkriterium an, indem wir abschatzen, tx−1 e−t ≤ tx−1 , dae−t ≤ 1 f ur t ≥ 0. Dann gilt Z

T x−1 −t

t 0

e

Z dt =

T x−1 −t

t 0

e

Z dt ≤

T x−1

t 0

Z dt = lim

ε→0+0

ε

T

tx−1 dt =

Tx 0,

und t ∈ [T, ∞),

T > 0.

Dazu aquivalent ist, dass wir zeigen, dass die Funktion g(t) = tx−1 e−t/2

auf dem Intervall [T, ∞), T > 0 beschrankt ist (durch C.) Dazu untersuchen wir die Funktion g(t), die stetig und stetig di erenzierbar auf [T, ∞) ist, mit der Ableitung 0

g (t) = (x − 1)t

x−2 −t/2

e

x−1

+t

 ·



−1 2

−t/2

e

=t

x−2 −t/2



e

 t x−1− . 2

Wegen tx−2 e−t/2 > 0 fur t > 0 hangt das Vorzeichen der Ableitung nur vom Term in eckigen Klammern ab. Wir erhalten fur 0 < x ≤ 1, dass g(t) in [T, ∞), T > 0, streng monoton fallend ist, da hier g 0 (t) < 0 gilt, in diesem Fall ist C = T x−1 e−T /2 . Gilt dagegen 1 < x < ∞, so ist    > 0, t < t0 , 0 g (t) 0, t = t0 = 2(x − 1),   < 0, t > t , 0

d.h. die Funktion g(t) hat an der Stelle t = t0 = 2(x − 1) ein globales Maximum und deshalb gilt in diesem Fall C = (2(x − 1))x−1 e−(x−1) . Somit erhalten wir Z

∞ x−1 −t

t

e

Z



dt ≤ C

T

e−t/2 dt = 2Ce−T /2 < ∞.

T

Damit existiert auch das Gesamtintegral. Die Rekursionsformel folgt aus der Formel der partiellen Integration ∞

Z

x −t

Γ(x + 1) =

t e 0

Wegen x > 0 ist

dt =

t=∞ −e−t tx t=0

−e−t tx |t=0 = 0



Z + 0



t=∞ xtx−1 e−t dt = −e−t tx t=0 + xΓ(x).

und

xtx−1 x(x − 1)(x − 2) . . . (x − n + 1)tx−n tx = − lim = . . . = − lim = 0, t→∞ et t→∞ t→∞ et et

lim −e−t tx = − lim

t→∞

da nach endlicher Anwendung der L'Hospitalschen Regel im Zahler x − n < 0 gilt und der Grenzwert deshalb Null ist. Oder aber durch Abschatzen: 0 ≤ lim e−t tx ≤ lim t · C · e−t/2 = C lim t→∞

t→∞

t

t→∞ et/2

= C lim

1

t→∞ 1 et 2

= 0.

4. ANWENDUNGEN

83

Gamma-Funktion

.

Γ(x), x>0, Fakultät n! Γ(1) = 0! = 1, Γ(2) = 1! = 1, Γ(3) = 2! = 2,

.

.

.

.

Γ(4) = 3! = 6, Γ(5) = 4! = 24.

4. Anwendungen 4.1. Volumen von Rotationsk¨ orpern. Von einem dreidimensionalen Korper sei nach Wahl eines geeigneten kartesischen Koordinatensystems fur jedes x ∈ [a, b] der Flacheninhalt F (x) des Querschnitts bekannt. y

ΔX

z

x

Das Volumen der Scheibe der Dicke ∆x betragt naherungsweise F (x)∆x. In Kurzform: dV = F (x)∆x; die Integration ergibt Z Z b

V =

dV =

F (x) dx. a

Speziell gilt mit F (x) = π(f (x))2 : Satz

6.4. Ein durch Drehung der Kurve (Kontur) y = f (x),

um die x-Achse erzeugter Rotationskorper hat das Volumen Z V =π a

b

(f (x))2 dx.

a ≤ x ≤ b,

84

Beispiel

6.16. Volumen eines Torus (Reifen). y

r

R

x

Torus

Der Torus entsteht durch Rotation des oberen Halbkreises y1 = R +



r 2 − x2

um die x-Achse, wobei der "innere Korper\ entfernt wird. Der "innere Korper\ entsteht durch die Rotation des unteren Halbkreises y2 = R −



r 2 − x2

um die x-Achse. Damit ergibt sich das Volumen des Torus zu Z

r

Z

r

dx − π

y22

Z

r

dx = π (y12 − y22 ) dx −r −r −r Z r√ Z r √ √ (R2 + 2R r2 − x2 + r2 − x2 − R2 + 2R r2 − x2 − r2 + x2 dx = 4Rπ r2 − x2 dx =π V =π

y12

−r

−r

Substitution: t = π2 ergibt

x = r sin t, dx = r cos t dt, −r = r sin t ⇐⇒ t = − π2 , r = r sin t ⇐⇒

Z

π 2

= 4Rπ 2

Z

− π2 π 2

= 4Rr π

Z p 2 2 2 r − r sin t r cos t dt = 4Rπ



r2 cos2 t r cos t dt

− π2 2

2

Z

π 2

cos t dt = 4Rr π − π2

π 2

2

2

Z

π 2

cos t dt = 2Rr π − π2

cos 2t + 1 dt − π2

2

= 2Rr π



 π2 1 sin 2t + t = 2Rr2 π 2 . 2 −π 2

4.2. Kurvenl¨ ange. Die Parameterdarstellung x = x(t), y = y(t) (a ≤ t ≤ b) einer Kurve heit regular, wenn die Funktionen t 7→ x(t), t 7→ y(t) uber [a, b] stetig di erenzierbar sind und x(t) ˙ 2 + y(t) ˙ 2 6= 0 f ur a ≤ t ≤ b gilt, dabei sind x(a) ˙ und x(b) ˙

als einseitige Ableitungen zu verstehen.

4. ANWENDUNGEN

85

6.5. Es gilt (1) Die Lange eines Kurvenbogens mit regularer Parameterdarstel-

Satz

lung betragt

Z bp x(t) ˙ 2 + y(t) ˙ 2 dt. L= a

(2) Der Graph y = f (x) einer stetig di erenzierbaren Funktion f : [a, b] → R

hat die Lange

Z bp 1 + f 0 (x)2 dx. L= a

Beweis: Wir zerlegen das Parameterintervall [a, b] in (aquidistante) Zwischenpunkte ti+1 − ti = ∆t,

a = t0 < t1 < . . . < tn = b,

 in n Teilintervalle. Uber jedem dieser Teilintervalle wird der Kurvenbogen ersetzt

Δs Δy Δx

durch die Sehne der Lange ∆s =

p p (∆x)2 + (∆y)2 = x(ξ ˙ i )2 + y(η ˙ i )2 ∆t

mit ξi , ηi zwischen ti und ti + ∆t. Dies ist eine Folgerung aus dem Mittelwertsatz 4.10. Summation und der Grenzubergang ∆t → 0 (bzw. n → ∞) ergeben die Behauptung a). b) ist ein Spezialfall von a), denn es ist x(t) = t und y(t) = f (t) eine stetig di erenzierbare Parameterdarstellung der Kurve y = f (x). #

4.3. Mantelfl¨ ache. Die Mantel ache eines Rotationskorpers mit der Kontur y = f (x), a ≤ x ≤ b, berechnet man dadurch, dass die Mantel ache dM einer d unnen Scheibe der Dicke dx angenahert wird durchpdie Mantel ache eines Zylinders mit dem Radius f (x) und der Mantelhohe ds = 1 + f 0 (x)2 dx (vgl. Satz 6.5). Folglich

gilt

dM = 2π f (x)

und Integration ergibt

p 1 + f 0 (x)2 dx

86

Z

b

f (x)

M = 2π

p 1 + f 0 (x)2 dx.

a

Beispiel

6.17. Wir mochten die Matel ache des in Beispiel 6.16 betrachte-

ten Torus berechnen.√Die Mantel ache setzt sich wieder aus der vom oberen Kreisbogen y1 = R + r2 − x√2 erzeugten Mantel ache M1 und aus der vom unteren Kreisbogen y2 = R − r2 − x2 erzeugten Mantel ache M2 zusammen. Es gilt wegen (y10 )2 = (y20 )2 Z rp p 0 2 (y1 + y2 ) 1 + (y1 ) dx = 4πR M = M1 + M2 = 2π 1 + (y10 )2 dx −r −r Z rr Z r r2 1 √ = 4πR dx dx = 4πRr 2 2 2 r −x r − x2 −r −r Z

Substitution: t = π2 ergibt

r

x = r sin t, dx = r cos t dt, −r = r sin t ⇐⇒ t = − π2 , r = r sin t ⇐⇒ Z

π 2

= 4πRr − π2

r cos t dt = 4π 2 R r. r cos t

Die Rechung lasst sich erheblich verkurzen, wenn man berucksichtigt, dass Z

r

−r

p 1 + (y10 )2 dx = πr

die Lange des Halbkreisbogens ist.