Buchrezension : Thomas Samuel Kuhn – The Structure of Scientific Revolutions, Chicago : The University of Chicago Press, 1962, 1970. – Second Edition, enlarged, 1970. - Sixth Impression 1975.

By David Koppensteiner

Thomas Samuel Kuhn, geboren im Jahre 1922 in Cincinnati, Ohio, und gestorben im Jahre 1996 in Cambridge, Massachusetts, war ein amerikanischer Wissenschaftstheoretiker und –historiker. Er gilt gemeinhin als einer jener Wissenschaftsphilosophen, die für das 20. Jahrhundert in theoretischer Hinsicht prägend geworden sind.

In seinem Hauptwerk, das ich hier heute vorstellen will, übt sich Kuhn in einer Beschreibung der Geschichte der Wissenschaften, die er als ein Wechselspiel zwischen Phasen der Normalwissenschaft und Phasen der wissenschaftlichen Revolutionen kennzeichnet. Herausragend werden dabei der Begriff des Paradigmas und der Begriff des Paradigmenwechsels. Eine wissenschaftliche Revolution tritt nach Kuhn zumeist dann auf, wenn es nach einer Phase der wissenschaftlichen Krise zu einem Paradigmenwechsel kommt. Solche Paradigmen von Theorien, die voneinander durch wissenschaftliche Revolutionen getrennt sind, bezeichnet Kuhn als inkommensurabel, d.h. die Begriffe, welche in den jeweiligen Theorien verwandt werden, sind nicht mit dem gleichen Maß meßbar.

Thomas Kuhn stammt aus einer jüdischen, jedoch ihre Religion nicht praktizierenden Familie aus Cincinnati. Sein Vater arbeitete als Ingenieur in der ansässigen Industrie, seine Mutter war als Korrektorin tätig. Im Jahre 1940, also im Alter von 18 Jahren, tritt Kuhn an der renommierten Harvard-Universität, an der bereits sein Vater studiert hat, ein Studium der Physik an. Währned seines Studiums belegt Kuhn mehrere Kurse in den Fachbereichen der Philosophie und der Literatur. Er schreibt außerdem für eine Studentenzeitung. 1943 kommt es zu seinem Bachelorabschluss und Kuhn arbeitet zunächst in einem Radioforschungslabor in Harvard. Als Theoretiker beteiligt er sich dort an Radar-Gegenmaßnahmen, die man im zweiten Weltkrieg ins Feld führte. Als Radartechniker wird er in England und dann im gerade von den Alliierten zurückerorberten Frankreich eingesetzt. Mit Ausgang des Krieges kehrt Kuhn nach Harvard zurück, wo er sein Studium fortsetzt. Er belegt erfolgreich sein Masterstudium und promoviert 1949 bei dem späteren Nobelpreisträger John H. van Vleck.

Sein eigentlicher Mentor in dieser Zeit ist der damalige Präsident von Harvard, James Bryant Conant, der auf Kuhn aufmerksam wird aufgrund seines ungewöhnlichen Engagements in der Studentenzeitung Harvard Crimson und in einem literarisch-philosophischen Club. Dem Präsidenten von Harvard ist es auch zu verdanken, dass Kuhn bereits vor seiner Promotion einen Kurs in Wissenschaftsgeschichte gibt. Diese ersten Schritte in der Lehrtätigkeit beeinflussen Kuhn so stark, dass er sich gegen sein eigentliches Studium der Physik und für eine Laufbahn als Historiker und Philosoph entscheidet. Ebenfalls auf die Initiative von Conant hin wird Kuhn Mitglied der Society of Fellows. Er beschäftigt sich dort vornehmlich mit der Geschichte der Wissenschaft, mit besonderem Bezug auf deren Auswirkungen auf die Philosophie. Im Jahre 1956 nimmt Kuhn eine Stelle als Hilfsprofessor für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte in Berkeley an, einige Jahre später wird er zum ordentlichen Professor für Wissenschaftsgeschichte. Auf seine Zeit in Berkeley geht unter anderem auch sein Hauptwerk The Structure of Scientific Revolutions, Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen, zurück. Das Buch, das Kuhn selbst, als Essay, also eine Abhandlung, bezeichnet, ist ursprünglich Teil der International Encyclopedia of Unified Science, deren Hauptherausgeber Otto Neurath ist. An der Herausgabe wirken auch Rudolf Carnap und Charles Morris mit. Anstoß für die Abhandlung über die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen war für Kuhn vor allem die relativ unbekannte Monografie Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache von Ludwik Fleck, in der einige Gedanken, die Kuhn in seinem Buch entwickelt, bereits vorweggenommen wurden. Von 1964 bis 1979 lehrt Kuhn an der Princeton University und wechselt danach ans Massachusetts Insitute of Technology, wo er eine Professur für Philosophie innehat, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1991 ausfülllt. Im Jahre 1982 wird Kuhn mit der George-Sarton-Medaille ausgezeichnet, dem höchst renommierten Preis für Wissenschaftshistorik, der von der von George Sarton und Lawrence Joseph Henderson gegründeten History of Science Society (HSS) verliehen wird. Kuhn stirbt im Jahre 1996 im Alter von 73 Jahren an Krebs. Bis zu seinem Tod hat er eine erweiterte Fassung seiner Ideen zur Wissenschaftstheorie unter dem Titel „The Plurality of Worlds: An Evolutionary Theory of Scientific Discovery“ zu etwa zwei Dritteln fertiggestellt.

Im letzten Jahr, 2012, hat sich das erstmalige Erscheinen von The Structure of Scientific Revolutions zum 50. Mal gejährt. Zu diesem Jubiläum hat die Zeitschrift The British Journal for the Philosophy of Science eine virtuelle Ausgabe herausgegeben, in der einige markante Beiträge aus dem Archiv der Zeitschrift rund um das Hauptwerk von Thomas Kuhn erschienen sind, die Anhaltspunkte geben darüber, wie die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen von anderen Wissenschaftern rezipiert worden ist.

Im 43. Volumen der Zeitschrift und der 4. Ausgabe vom Oktober 1992 hat Paul Hoyningen-Huene einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er die Verbindungen der Philosophie, der Soziologie und der Historiographie der Wissenschaften in der Kuhn’schen Theorie von der wissenschaftlichen Entwicklung behandelt. Im Folgenden werde ich mich vor allem auf diesen Aufsatz stützen, um die theoretischen Konzeptionen wissenschaftlicher Revolutionen nach Kuhn zu analysieren. Hoyningen-Huene stellt in diesem Aufsatz heraus, dass die Historiographie der Wissenschaften die Basis bilde für die Philosophie wie auch die Soziologie der Wissenschaft in dem Sinne, dass die fundamentalen Fragen dieser beiden Disziplinen von der angewandten Historiographie abhängen würden. Ein Hauptteil dieses Aufsatzes widmet sich der Fusion der Soziologie und der Philosophie der Wissenschaften, wie sie von Kuhn angestrengt wird. Diese Fusion bestünde im wesentlichen in einer Ersetzung der methodologischen Regeln dieser Disziplinen durch kognitive Werte, die die Entscheidungen wissenschaftlicher Gemeinschaften beeinflussen. Als Folge daraus würde sich ergeben, dass sich die Frage der Rationalität der Theoriewahl stellt, einmal mit Bezug auf aktuelle Entscheidungen, das andere Mal mit Bezug auf die mögliche Rechtfertigung kognitiver Werte und ihrer Veränderungen. Die herausragende Stellung der Historiographie wird von Kuhn selbst in seiner Einleitung zur Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen unterstrichen. Geschichte sei mehr als ein Archiv für Anekdoten und bloße Chronologie. Und wenn man die Geschichte unter diesem negativen Aspekt, dass sie nicht nur aus Anekdoten und aufeinanderfolgenden Ereignissen bestünde, verändert betrachten würde, so könnte sie laut Kuhn eine entschiedene Umwandlung des Bildes der Wissenschaften bewirken, von dem die Öffentlichkeit und die wissenschaftlichen Gemeinschaften beherrscht werden. Das Bild, das man sich gemeinhin von der Wissenschaft mache, werde vor allem aus abgeschlossenen, wissenschaftlichen Erfolgen gezeichnet, wie sie in klassischen Werken oder Einführungshandbüchern verzeichnet sind, aus denen jede neue Generation ihr wissenschaftliches Handwerk erlerne. Unvermeidlicherweise bestünde das Hauptmotiv solcher Werke und Handbücher in der Überzeugungsarbeit und sie dienten vornehmlich pädagogischen Zwecken. Man muß hier mit Kuhn betonen, dass dieses Bild, das man sich mithilfe solcher Bücher von der Wissenschaft macht, tatsächlich ein wenig verzerrt erscheint. Denn, wenn man ein solches Bild fraglos als Wahrheit akzeptieren würde und die Methoden und Lehrmeinungen einfach übernehmen würde, die darin kolportiert werden, wäre das in etwa, so Kuhn wörtlich, ähnlich dem Versuch, als würde man sich einer nationalen Kultur anhand einer Touristenbroschüre nähern. Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen intendiert damit, zu zeigen, dass man sich fundamental in die Irre führen lasse, wenn man das oberflächliche Bild, das von der Wissenschaft in solchen Handbüchern gezeichnet wird, unhinterfragt akzeptiert. Das Ziel des Buches und seines Autors besteht darin, ein davon gänzlich unterschiedenes Konzept der Wissenschaften zu entwerfen, nämlich eines, das man aus den historischen Aufzeichungen der Forschungsaktivitäten selbst gewinnen könne. Kuhn gibt dem berechtigten Zweifel darüber Ausdruck, ob die Arbeit des Historikers der Wissenschaft immer noch darin bestehen könne, einfach Fakten, Ereignis- und Beobachtungsdaten zu sammeln. Diese tiefen Zweifel gegen den kumulativen Prozeß der Wissenschaften münden bei Kuhn nicht nur in ein von der traditionellen Geschichtsschreibung unterschiedenes Bild von der Wissenschaft und ihrer Entwicklung, sondern in eine, wie er meint, „neue interne Historiographie der Wissenschaften“. Diese neue Historiographie, will einer Entwicklung nachkommen, hinter der sie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts noch weitgehend zurückgeblieben war, die sich jedoch in anderen humanwissenschaftlichen Bereichen bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts vollzogen hatte, nämlich

gerade die Überwindung ethnozentristischer und präsentistischer Voreingenommenheiten. Nicht nur setzt man sich zunehmend dagegen zur Wehr, die Geschichte hauptsächlich aus der Sicht des Okzidents zu schreiben, sondern auch die Projektion der Gegenwart in die Vergangenheit wird immer wieder heftiger Kritik unterworfen. Man kann die Geschichte nicht mehr allein aus Sicht der Gegenwart, in der man selbst lebt, schreiben, sondern man versucht zunehmend, die Vergangenheit aus sich selbst heraus zu begreifen. Solche voreingenommenen Haltungen bezüglich der Vergangenheit, aber auch gegen andere Völker wurden der älteren Historiographie in verstärktem Maße vorgeworfen. Diese ältere Form der Historiographie ist es jedoch eben, die bis hinauf in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vorherrschend geblieben war und sie ist es auch, die in ihrer präsentistischen Form in der Wissenschaftsgeschichte ein kumulatives Wachstum an Wissensbestandteilen aufdecken will, in dem der spätere Fortschritt nie wirklich mit den älteren Formen des Wissens bricht. Es kommt in diesem evolutiven und idealisierenden Bild von der Geschichte der Wissenschaften allerhöchstens zu einer erhöhten Präzision des Wissens. Dieses mitunter täuschende Bild von der Wissenschaftsgeschichte entsteht aufgrund einer Assimilation der älteren Wissenschaft an die jüngere Wissenschaft, der vergangenen an die gegenwärtige Wissenschaft durch die traditionelle Historiographie. Diese Assimilation geschieht auf zwei unterschiedliche Weisen. Einerseits ist die Auswahl dessen, was als Bestandteil des historischen Narrativs gelten kann, vorbestimmt durch den Inhalt der gegenwärtigen Wissenschaft. So werden zum Teil nur jene Elemente der vergangenen Wissenschaft als historisch wertvoll eingeschätzt, die auch Bestandteil der gegenwärtigen Wissenschaft sind. Andererseits – aber das erscheint nur als die zweite Seite derselben Münze – wird das historisch Wertvolle, das man durch dieses Kriterium selektiert, durch Mittel der Konzepte der gegenwärtigen Wissenschaft repräsentiert, was zu einer ernsthaften Verzerrung der älteren Formen des Wissens führen kann. Dadurch wird diesen älteren Formen des Wissens gerade der ihnen manchmal eigentümliche Charakter der Fremdheit gegenüber jüngeren Formen des Wissens genommen. Die Nachträglichkeit der Identifikationsmechanismen bewirkt hier oft ohne Zweifel, dass man das Ältere – aber auch das Fremde - nicht als das erkennt, was es an und für sich ist, sondern nur als das anerkennt, was es im Lichte der Gegenwart, aus der eigenen Perspektive heraus, in der man die Geschichte betrachtet, bedeutet. Ähnlich verfuhr die ältere Anthropologie, wenn sie fremde Kulturen mittels okzidentaler Wertmaßstäbe bewertete, sie mit Begriffen eigener, okzidentaler Werte konfrontierte. So erkannte man in fremden Kulturen bloß das Abfallen von solch eigenen Werten, in dem man sie im Lichte der okzidentalen Kultur betrachtete. Wissenschaftsgeschichtlich gehen also eine ethnozentristische und präsentistische Perspektive sicherlich häufig miteinander konform. Diese beiden Perspektiven sind demnach nur die zwei Seiten ein und derselben Voreingenommenheit. Nach Kuhn war die Wissenschaftsgeschichte lange Zeit über von einem solch täuschenden Bild der Wissenschaft geprägt und die Soziologie wie auch die Philosophie der Wissenschaften orientierte sich an diesem täuschenden Bild, während es in den eigenen Konzepten bloß perpetuiert wurde. Kuhn fordert uns also zum Mißtrauen gegenüber diesem täuschenden Bild der Wissenschaften heraus; im selben Maße wie es im Laufe der Zeit höchst problematisch geworden ist, von einem superioren Standpunkt aus von primitiven Kulturen zu sprechen, ist es ebenfalls problematisch geworden, gegenwärtige Wertmaßstäbe in der Geschichte auf vergangene Ereignisse zu übertragen. Damit stellt sich jedoch prinzipiell die Frage, wie man überhaupt ein unverzerrtes, authentisches Bild von der Wissenschaft gewinnen kann. Wie kann man authentisch Geschichte schreiben und wie kann man authentisch von fremden Kulturen schreiben, wenn die eigenen Wahrnehmungsschemata derart eingeschliffen sind, dass sie ein Abweichen von herkömmlichen Bewertungsstandards nicht oder nur

in geringem Maße zulassen? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage steckt vielleicht wirklich in einer hermeneutischen Lesart der Geschichte. Eher denn allgemeine Standards, Konzepte und Probleme der gegenwärtigen Wissenschaft auf die Geschichte oder auf andere Völker zu projizieren, müsste man versuchen, die Geschichte oder andere Völker aus sich selbst heraus, also von innen heraus zu verstehen lernen, auch wenn diesem Ziel scheinbar unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen. Dementsprechend wäre es an der neueren Historiographie, solche hermeneutische Ansätze in der Methodologie zu verwirklichen, um der Philosophie wie auch der Soziologie jene Daten zu liefern, die sie handhaben können. Das Bild von der Wissenschaft jedoch, das durch eine solche hermeneutische Methode gewonnen werden könnte, wäre freilich sehr verschieden vom herkömmlichen Bild der Wissenschaften und – was vielleicht am wichtigsten erscheint – es würde stets noch gänzlich andere Fragen aufwerfen, als dies traditionell der Fall ist. Aus den Entwürfen zu einer neuen, internen Historiographie, die Kuhn in seiner Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen vorlegt, ergibt sich eine wohlbekannte Unterscheidung zwischen zwei Phasen der wissenschaftlichen Entwicklung, bezüglich derer sehr unterschiedliche philosophische wie soziologische Fragen gestellt werden müssen und in der Tat aufgeworfen werden. Es handelt sich dabei um die Unterscheidung zwischen der Phase der Normalwissenschaft und der Phase der außerordentlichen oder revolutionären Wissenschaft. Dieser Unterscheidung wird in der Literatur vielleicht zurecht sehr kontroversiell begegnet, scheint man vom wissenschaftsgeschichtlichen Standpunkt aus, wenn man sich an historischen Ereignissen orientiert, doch festhalten zu müssen, dass die wirkliche Geschichte oft sehr widersprüchlicher verläuft, als dass man sie in vorübergehende, sich abwechselnde Phasen von Normalwissenschaft und revolutionärer Wissenschaft einteilen könnte. Ähnlich kontroversiell wird in der Literatur das von Kuhn eingeführte Konzept der Inkommensurabilität von bestimmten, aufeinanderfolgenden Theorien gehandhabt. Mit dem bereits erwähnten Paradigmenwechsel gehe nämlich eine mehr oder weniger subtile Veränderung wissenschaftlicher Konzepte einher, sodaß Begriffe früherer Theorien innerhalb späterer Theorien andere Bedeutungen annehmen würden, sodaß sie – obwohl dieselben Begriffe – in diesem veränderten Kontext kaum bis gar nicht mehr meßbar wären. Beispielhaft gilt der Begriff der Energie in der Newton’schen bzw. der Einstein’schen Physik. Der Begriff der Inkommensurabilität verschiedener Theorien und ihrer Konzepte meint hier freilich nicht, daß man bestimmte Theorien oder bestimmte Begriffe nicht an und für sich vergleichen könnte, Kuhn stellt mit diesem Begriff nur fest, daß den jeweiligen Theorien und ihren Begriffen der gemeinsame Maßstab abgeht. Indes wird die Bedeutung dieses Konzeptes der Inkommensurabilität für die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen in der Rezeptionsgeschichte des Werkes häufig überschätzt. Weit tragender scheint der Begriff des Paradigmenwechsels selbst zu sein. Gesetzt der Fall jedoch, es gibt wirklich solche Bedeutungsverschiebungen von Begriffen in den veränderten Kontexten unterschiedlicher Theorien, so kann man sichergehen, dass dadurch eine Menge an neuer Fragen in der Philosophie der Wissenschaften auftauchen werden und de facto aufgetaucht sind.

In der Tat stellte man sich im Anschluß an Kuhn häufig die Frage, wie Kommunikation über die revolutionäre Trennungslinie hinweg, die bestimmte Theorien voneinander abgrenzt, überhaupt noch möglich sei, wenn an sich gleiche Begriffe in den jeweils anderen Kontexten der verschiedenen Theorien andere Bedeutungen annehmen würden. Eine andere Frage bezieht sich darauf, was der wissenschaftliche Fortschritt überhaupt bedeuten kann und soll, wenn er nicht als ausschließlich kumulativ angesehen werden kann. Und was bedeutet es überhaupt, von wissenschaftlicher Rationalität zu sprechen? Die unmittelbare Beantwortung solcher Fragen scheint so gut wie unmöglich. Ich hoffe jedoch, in der verbleibenden Zeit wenigstens die Grundrisse umschreiben zu können, in welche die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen eingebettet ist und klar zu machen, warum diese Fragen überhaupt auftauchen. Der Begriff des Paradigmas wird von Kuhn sehr früh in seiner Abhandlung eingeführt. Allein die sehr häufige Verwendung dieses Begriffs deutet auf seine Wichtigkeit und seine zentrale Position in der Kuhn’schen Theorie hin. Ein Paradigma sei das, schreibt Kuhn in seinem Postscript, was die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft miteinander teilen und umgekehrt besteht eine wissenschaftliche Gemeinschaft aus Menschen, die ein Paradigma miteinander teilen. Diese intrinsich zirkuläre Argumentationsweise, die Kuhn hier anbietet, - und das ist auch ihm selbst nicht entgangen – ist die Quelle einiger theoretischen Schwierigkeiten. Nach Kuhn kann und soll man wissenschaftliche Gemeinschaften voneinander abgrenzen gerade ohne Rekurs auf bestimmte Paradigmen; Paradigmen selbst jedoch könne man entdecken, indem man das Verhalten einer gegebenen wissenschaftlichen Gemeinschaft überprüft. Es ist vielleicht von äußerster Bedeutsamkeit, daß Kuhn hier auf den Begriff der ‚wissenschaftlichen Gemeinschaft‘ Rekurs nimmt. In seinem Postscript gibt er unumwunden zu, daß er – wenn er die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen neu zu schreiben hätte – diesen Begriff der ‚wissenschaftlichen Gemeinschaft‘ und eine Diskussion über die Gemeinschaftsstruktur der Wissenschaften an vorderste Front stellen würde: „A scientific community consists, on this view, of the practitioners of a scientific specialty. To an extent unparalleled in most other fields, they have undergone similar educations and professional initiations; in the process they have absorbed the same technical literature and drawn many of the same lessons from it. Usually the boundaries of that standard literature mark the limits of a scientific subject matter, and each community ordinarily has a subject matter of its own. There are schools in the sciences, communities, that is, which approach the same subject from incompatible viewpoints. But they are far rarer there than in other fields; they are always in competition; and their competition is usually quickly ended. As a result, the members of a scientific community see themselves and are seen by others as the men uniquely responsible for the pursuit of a set of shared goals, including the training of their successors. Within such groups communication is relatively full and professional judgment relatively unanimous. Because the attention of different scientific communities is, on the other hand, focused on different matters, professional communication across group lines is sometimes arduous, often results in misunderstanding, and may, if pursued, evoke significant and previously unsuspected disagreement.” (Kuhn [1962], p. 177)

“Eine wissenschaftliche Gemeinschaft besteht in dieser Hinsicht aus Fachmännern eines wissenschaftlichen Fachgebiets. In einem Ausmaß, das in den meisten anderen Feldern keine Parallele hat, sind sie ähnlicher Bildung und professionellen Initiationen unterworfen worden; in diesem Prozeß haben sie dieselbe technische Literatur absorbiert und viele derselben Lehren daraus gezogen. Gewöhnlicherweise markieren die Grenzen dieser Standardliteratur die Grenzen eines wissenschaftlichen Stoffes, und jede Gemeinschaft hat gewöhnlicherweise für sich ihren eigenen Stoff. Es gibt Schulen in den Wissenschaften, das sind Gemeinschaften, die sich demselben Stoff mit inkompatiblen Perspektiven nähern. Aber sie sind weit seltener als in anderen Feldern; sie sind immer im Wettbewerb; und ihr Wettbewerb wird gewöhnlicherweise rasch beendet. Daraus resultiert, daß die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gemeinschaft sich selbst sehen und von anderen als diejenigen Männer angesehen werden, die auf eigentümliche Weise verantwortlich sind für das Verfolgen einer gewissen Anzahl gemeinsamer Ziele, darin beinhaltet das Training ihrer Nachfolger. Innerhalb solcher Gruppen ist die Kommunikation relativ dicht und professionelle Urteile relativ einmütig. Weil andererseits die Aufmerksamkeit verschiedener wissenschaftlichen Gemeinschaften auf unterschiedliche Stoffe gerichtet ist, ist die professionelle Kommunikation über Gruppengrenzen hinweg manchmal hitzig, resultiert häufig in Mißverständnissen und kann, wenn verfolgt, bedeutende und vorher nicht vermutete Meinungsverschiedenheiten hervorrufen.“ An anderer Stelle [Kuhn (1977), p. XX] gibt Kuhn zu bedenken, daß – obwohl die Wissenschaft von Individuen praktiziert werden würde – das wissenschaftliche Wissen in intrinsischer Hinsicht ein Produkt von wissenschaftlichen Gruppen oder eben der wissenschaftlichen Gemeinschaft wäre. Weder seine besondere Effizienz noch die Art und Weise, in der sich dieses wissenschaftliche Wissen entwickle, könne ohne Bezug zur besonderen Natur der Gruppen, die es produzieren, verstanden werden. In diesem Sinne, so Kuhn, sei seine Arbeit zutiefst soziologischer Natur, aber dies nicht auf eine Weise, die die Trennung dieses Fachs von der Epistemologie erlauben würde. Kuhn gebraucht zwei grundlegende Annahmen, um solche soziologische theoretische Elemente in die Philosophie der Wissenschaften zu importieren. Die eine Annahme ist die eben erwähnte, nämlich die, daß Gemeinschaften oder Gruppen und nicht Individuen als die grundlegenden Agenten der Wissenschaften angesehen werden müssen. Die zweite Annahme basiert auf dieser ersten und besagt, daß diese Gemeinschaften oder Gruppen durch die spezifischen, kognitiven Werte charakterisiert werden müssen, denen sie verpflichtet sind. Mit diesen theoretischen Annahmen setzt sich Kuhn in diametralen Gegensatz zu den Positionen des logischen Positivismus und des kritischen Rationalismus. In diesen beiden Position ist der prinzipielle Agent, also das Subjekt der Wissenschaft, das Individuum und nicht die Gruppe oder die Gemeinschaft. Dieses Individuum ist nicht irgendwelchen Werten verpflichtet, sondern es gehorcht Regeln – zumindest insoweit als er oder sie sich auf rationale Weise verhält. Im Gegensatz zum logischen Positivismus und dem kritischen Rationalismus also insistiert Kuhn darauf, daß man nicht länger voraussetzen könne, dass rationale wissenschaftliche Entscheidungen regelgeleitet wären, also dass sie bestimmten Algorithmen oder bestimmten Instruktionen, die auf eigentümliche Weise ausführbar wären, folgen würden. Eher wären diese Entscheidungen durch die kognitiven Werte beeinflusst, zu denen sich die diesbezügliche Gemeinschaft verpflichtet. Der wichtige Punkt scheint hier zu sein, dass eine Entscheidung, die durch Werte beeinflusst wird, nicht notwendigerweise völlig von Werten bestimmt wird. Dieser Einwand impliziert, dass verschiedene Individuen, die durch dieselben Werte beeinflusst werden, zu unterschiedlichen Entscheidungen gelangen können.

Um die Konsequenzen einer solchen Konzeption von wissenschaftlichen Entscheidungen zu verstehen, muss man vielleicht die Werte, denen sich nach Kuhn eine wissenschaftliche Gemeinschaft verpflicht, näher betrachten. Auf typische Weise herrscht in der Wissenschaft ein starker Konsens in Bezug auf die Akkuratesse oder die Genauigkeit, die Präzision bestimmter wissenschaftlicher Aussagen, d.h. eine Aussage, die von einer Theorie abgeleitet wird, sollte akkurat und präzise sein, sowohl in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht. Die Akkuratesse von bestimmten Aussagen ist somit ein Wert von höchster Wichtigkeit, obwohl diesem Wert oft nicht von sich aus bestimmende Kraft zukommt. Ein anderer Wert ist die Konsistenz einer Theorie. Eine Theorie sollte keine inneren Widersprüche aufweisen und sollte sich im Verhältnis zu anderen akzeptierten Theorien als konsistent erweisen. Andere Werte betreffen nach Hoyningen-Huene das möglichst breite Gesichtsfeld einer Theorie, ihre Einfachheit oder ihre Fruchtbarkeit; eine Theorie sollte auf die Entdeckung neuer Phänomene oder auf neue Verhältnisse zwischen bekannten Phänomenen hinweisen. Wenn man solche Werte mit der klassischen Wissenschaftsphilosophie vergleicht, stellt sich schnell heraus, dass es sich bei ihnen um keineswegs revolutionäre Werte handelt, sondern dass sie bereits in der klassischen Philosophie der Wissenschaften proklamiert werden. Der entscheidende Punkt jedoch scheint zu sein, dass im allgemeinen diese (und möglicherweise andere) kognitive Werte wissenschaftliche Entscheidungen mitnichten bestimmen. Kognitive Werte lassen hier im allgemeinen ihre bestimmende Macht vermissen. Jeder dieser Werte kann nämlich auf irgendwelche Art verschieden von unterschiedlichen Mitgliedern derselben wissenschaftlichen Gemeinschaft interpretiert werden. Zum Beispiel ist der Wert der Einfachheit und seine Bedeutung, sowie auch jene Aspekte von Theorien, die hier primär gemeint sind, nicht auf eigentümliche Art und Weise dingfest zu machen durch die Verpflichtung einer Gemeinschaft zu diesem Wert. Des weiteren können zwei verschiedene Werte in ihrer Anwendung jeweils einander widersprechen, was für die jeweilige Theorie das Abwägen dieser Werte notwendig macht. Das relative Gewicht dieser Werte, das ihnen beigemessen wird, ist selbst nicht durch die Verpflichtung der Gemeinschaft zu einer bestimmten Anzahl von Werten determiniert. Diese Unbestimmtheit des Systems von gemeinschaftlichen kognitiven Werten ist für Kuhn keineswegs eine Unvollkommenheit, die man im Grunde korrigieren sollte; viel eher spielt diese Unbestimmtheit eine vitale Rolle für die wissenschaftliche Entwicklung bestimmter Theorien. Der Hauptgrund dafür ist, dass die aktuelle Theoriewahl in der Wissenschaft fast immer risikobehaftet ist. Wissenschafter müssen sich gewöhnlicherweise bewußt darüber werden, mit welcher Theorie sie in bestimmten Situationen arbeiten wollen, während diese Theorien selbst nicht bereits vollständig ausgearbeitet sind und während niemand sich absolut sicher darüber ist, welche Theorie der endgültige Gewinner sein wird. Eine solche Risikobehaftetheit der Theoriewahl verstärkt sich verständlicherweise in Zeiten von wissenschaftlichen Krisen und in Zeiten erhöhten wissenschaftlichen Wettbewerbs. Je mehr Theorien darum konkurrieren, als die allgemein gültige anerkannt zu werden, desto höher ist bekanntlicherweise das Risiko für den Wissenschafter, in seiner Theoriewahl fehlgeleitet zu werden. Prinzipiell aber ist es in solchen Situationen, in denen es für den Wissenschafter selbst unklar ist, welche Theorie die beste oder optimalste sei, von vitalem Interesse für die Wissenschaft, dass einige Wissenschafter mit einer bestimmten Theorie arbeiten, während einige andere mit einer von ihr verschiedenen Theorie arbeiten; - auf diese Weise könne man sich erst des wahren Potentials beider Theorien versichern. Um mit Kuhn selbst zu sprechen, erfordern solche riskanten Situationen in der Wissenschaften rationale Entscheidungsprozesse, die es den Wissenschaftern selbst erlauben in ihrer Meinung voneinander abzuweichen. Sie müssen sich

wechselseitig widersprechen und in Dissens geraten dürfen; erst dann kann das Potential der Wissenschaften, eine Pluralität von Theorien zuzulassen und über den Weg von Theoriewahl und von Entscheidungsprozessen zu einer bestmöglichen Ausformung einer Theorie zu gelangen, ausgeschöpft werden. Nach Hoyningen-Huene wurde Thomas Kuhn desöfteren dafür angeklagt, aus der Wissenschaft ein irrationales und subjektivistisches Unternehmen zu machen. Es wurde ebenfalls kritisiert, dass diese soziologische oder historizistische Perspektive das wesentliche Element der Wissenschaft, nämlich ihren gerechtfertigten Anspruch auf das Wissen, schlicht verfehle. Kuhn selbst hat dieser Kritik wiederholt geantwortet, sie jedoch nur mit wenig Erfolg zurückweisen können. In dem Bild, das uns durch Kuhn von wissenschaftlichen Revolutionen vermittelt wird, sind die Resultate solcher wissenschaftlichen Ereignisse auf ausschließliche Weise durch Propaganda, Überzeugungsarbeit, Konversion und das Aussterben von wissenschaftlichen Gegnern bestimmt und keineswegs durch die nüchterne, vergleichende Bewertung der Erfolge oder Mißerfolge von bestimmten Theorien und auch keineswegs durch andere Argumente, die gute Gründe für die Wahl oder die Widerlegung von bestimmten Theorien liefern würden. So wirft sich in der Tat die Frage auf, ob innerhalb der Kuhn’schen Rahmenbedingungen die Theoriewahl selbst eine rationale Angelegenheit sei oder nicht. Dass aber verschiedene Wissenschafter unter bestimmten Umständen zu unterschiedlichen Theorien greifen und es eine bestimmte Divergenz der Theoriewahl unter verschiedenen Wissenschaftern gibt, ist – das kann wohl mit Sicherheit behauptet werden – weniger ein Indiz für die Irrationalität dieser Theoriewahl; viel eher scheint es ein Anzeichen unterschiedlicher Informationsgrundlagen, die in die Entscheidungsprozesse eingehen. Das heißt, daß bloße Abweichungen in der Theoriewahl vom einen Wissenschafter zum anderen nicht den Rückschluß darauf zuläßt, daß wohl diese Theoriewahl selbst aus bloß subjektiven oder irrationalen Gründen getroffen werden würde. Jeder Wissenschafter kann freilich oder sollte zumindest für sich – vorausgesetzt, er betreibt seine Arbeit mit einer gewissen Ernsthaftigkeit – gute Gründe nennen können, warum er sich für eine bestimmte Theorie entscheidet und eine andere zurückweist. Nach Kuhn stellt eine solche Theoriewahl weniger eine bloß subjektive oder irrationale Entscheidung dar, als daß diese Theoriewahl – und dies ist vielleicht aus dem Vorangehenden ersichtlich – eine Entscheidung ist, die im Kontext der wissenschaftlichen Gemeinschaft getroffen wird, der man sich via kognitiver Werte verbunden und verpflichtet hat. Neben vielfältigen Unstimmigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten in der Wissenschaft über die Richtigkeit oder die Falschheit bestimmter Theorien, kommt es häufig auch zu einem gewissen Konsens in den wissenschaftlichen Gemeinschaften darüber, welche Theorie die optimale sei. Von einem solchen Konsens spricht Kuhn vor allem in den Phasen der Normalwissenschaft. Ein solcher Konsens kann hinsichtlich des Kollektivs, in dem er entsteht, und in Bezug auf das Individuum, durch welche er weiterverbreitet wird, folgendermaßen charakterisiert werden. Die konsensuellen Resultate in den individuellen Entscheidungsprozessen, die das Ende der Unstimmigkeiten und der Meinungsverschiedenheiten bedeuten, implizieren nicht, daß diese individuellen Entscheidungen auf exakt denselben Gründen basieren wie die kollektiven. Eher verhält es sich so, daß die individuell variierenden Werte stets noch in die Entscheidungen und die Theoriewahl eingehen und als zusätzliche oder integrierte Gründe für diese Wahl funktionieren. Nach einer Phase der Unstimmigkeit und der Meinungsverschiedenheit scheint es zumindest häufig so, dass sich eine Menge von Argumenten gebildet haben, die zugunsten eines Kandidaten für die Theoriewahl sprechen; woraus auch immer das individuelle Wertsystem aber bestehen mag, jeder scheint dieselbe Wahl zu treffen. Oder fast jeder. Der Konsens, den man in der wissenschaftlichen

Gemeinschaft erreicht, mag weniger friedfertig gebildet werden, als man dies auf den ersten Blick vermuten würde. Dissidenten, die von der vorherrschenden Theoriewahl sich absetzen, könnten möglicherweise aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, daß sich die wissenschaftliche Gemeinschaft separiert und abspaltet, sodaß eine oder mehrere neue Gruppen entstehen, die jeweils sich anderen kognitiven Werten und damit einer anderen Theorie verschreiben. Das Wesentliche an solchen Entscheidungsprozessen scheint nach Kuhn zu sein, dass Konsens prinzipiell durch das kollektive System kognitiver Werte hergestellt wird. Mit Hoeningen-Huene läßt sich sagen: „The ultimate goal of science to produce general, explanatory theories about the world may well be beyond historical change; yet it is of vital importance to science. The cognitive values, however, that concretize this goal in an operationally meaningful way are themselves in part historically relative since they are dependent on what one believes about the world at some particular moment of time.” “Das ultimative Ziel der Wissenschaft, allgemeine, erklärende Theorien über die Welt zu produzieren, mag wohl nicht dem historischen Wechsel unterworfen sein; dieses Ziel scheint von vitaler Wichtigkeit für die Wissenschaft. Die kognitiven Werte indes, die dieses Ziel in einer operationell bedeutsamen Weise konkretisieren, sind selbst teilweise historisch relative, da sie davon abhängen, was man über die Welt in einem besonderen Moment der Geschichte glaubt.“

Kuhn’s These aus The Structure of Scientific Revolutions, daß die historische Entwicklung der Wissenschaften stets noch auf einem Wechselspiel konsensueller und dissensueller Momente basiert, daß in Zeiten wissenschaftlicher Krisen sich die wissenschaftlichen Dispute vielfach vermehren und intensivieren, bevor man in Phasen der breiten Übereinstimmung über bestimmte Theorien tritt, kann auf diese seine Abhandlung selbst angewandt werden. Die Kontroversen rund um dieses Buch geben ein beredtes Zeugnis von der konkurrierenden Natur wissenschaftlicher Theorien. Daß Kuhn selbst den Begriff des Paradigmas in weiterer Folge fallen gelassen hat und Begriffe wie den der disziplinären Matrix oder des Exemplars eingeführt hat, zeigt, daß seine Theorie offen für Revisionen war und ist. Von äußerster Wichtigkeit für jegliche wissenschaftliche Theorie scheint es zu sein, nicht halsstarrig an den eigenen Konzepten festzuhalten und den geschichtlichen und gesellschaftlichen Wandel zu berücksichtigen, wenn man sich zu einem Entwurf oder zur Revision einer Theorie entschließt. Vor allem Elemente seiner Theorie, die Kuhn der kognitiven Psychologie entnimmt, scheinen wohl heute reif dazu, eine bestimmende Rolle in der Geschichte und Philosophie der Wissenschaft einzunehmen.

Literatur: BIRD, Alexander (2012): The Structure of Scientific Revolutions and its Signicance. An Essay Review of the Fiftieth Anniversary Edition. – in: The British Journal for the Philosophy of Science, vol. 63, issue 04, December 2012, pp. 859–883 HOYNINGEN-HUENE, Paul (1992): The Interrelations between the Philosophy, History and Sociology of Science in Thomas Kuhn’s Theory of Scientific Development. – in: The British Journal for the Philosophy of Science, vol. 43, issue 04, October 1992, pp. 487-501 KUHN, T. S. (1962) ( = SSR): The Structure of Scientific Revolutions. Chicago: University of Chicago Press. 2nd edn. 1970. KUHN. T. S. (1977): The Essential Tension: Selected Studies in Scientific Tradition and Change. Chicago: University of Chicago Press.