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Zepf, S. (2011): Psychoanalyse. Aufsätze zu epistemologischen und sozialpsychologischen Fragen sowie zu den theoretischen und therapeutischen Konzepte...
Author: Christina Abel
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Zepf, S. (2011): Psychoanalyse. Aufsätze zu epistemologischen und sozialpsychologischen Fragen sowie zu den theoretischen und therapeutischen Konzepten. 2 Bde. Gießen: Psychosozial, 763 S. Seit 2006 die zweite, damals wesentlich erweiterte Auflage seines dreibändigen Psychoanalyse-Lehrbuchs erschienen war, hat Siegfried Zepf weiter unablässig in vielen deutschsprachigen und internationalen psychoanalytischen Fachzeitschriften publiziert: zu erkenntnistheoretischen, metapsychologischen, klinischen Themen und Themen der Analytischen Sozialpsychologie. Viele dieser nun in zwei voluminösen Bänden im Psychosozial-Verlag neu herausgegebenen Aufsätze liegen damit nicht nur erstmals auf deutsch vor, sondern können auch im Zusammenhang rezipiert werden. Dabei kann man – genau wie beim erwähnten Lehrbuch – die Leseerfahrung machen, daß der Autor an der heute vielfach suspendierten inneren Verbindung zwischen der Psychoanalyse als Theorie des menschlichen Seelenlebens und ihren klinisch-therapeutischen sowie gesellschaftstheoretischen und kulturkritischen Anwendungen festhält. Diese Verbindung ergibt sich aus dem, was man Zepfs ›Markenzeichen‹ oder vielleicht sogar besser: ›Alleinstellungsmerkmal auf dem psychoanalytischen Theoriemarkt‹ nennen könnte: seiner harten kritischen Prüfung der Konzepte Freuds und dessen Nachfolger bis heute, ihrer konsequenten Überarbeitung, Neufassung bzw. Verabschiedung und schließlich ihrer stringenten Nutzung für einen aus den allermeisten psychoanalytischen Publikationen in dieser Form nicht mehr gekannten Erkenntnisgewinn. Diese Arbeit am Begriff, die mitzumachen man hier aufgefordert ist, läßt nach und nach einen Denkraum entstehen, in dem nicht nur viele psychoanalytische Ungereimtheiten allererst sichtbar werden, sondern wo sich für diese auch konzeptuelle Lösungen finden ­lassen. Diese Herangehensweise, die irgendwie neben der ›offiziellen Konzeptforschungsabteilung‹ der IPA steht, mir aber mindestens ebenso produktiv erscheint, läßt sich etwa am hervorragenden Aufsatz über »Formen der Identifizierung« veranschaulichen. Er trägt den etwas sperrigen Untertitel »Freuds Konzepte neu organisiert«. Das stimmt aber insofern wiederum genau, als mit Hilfe des Lorenzerschen Konzepts der Interaktionsformen eine Rückführung des Gegenstandes auf konkrete psychische Operationen gelingt und so sämtliche Formen von Identifizierungsvorgängen und deren verschiedene Resultate in einen schlüssigen und bei der klinischen Arbeit enorm hilfreichen Zusammenhang gebracht werden. Es sind dies die primäre Identifizierung, die hysterische und narzißtische Identifizierung, Introjektion, Introjekt, Identifizierung mit dem Angreifer, altruistische Triebabtretung, Projektive Identifizierung, Selbstobjekt und narzißtisches Objekt. Bei dieser Aufzählung wird deutlich, daß es eben nicht nur die Freudschen Konzepte sind, die hier reorganisiert werden. Freud stellt aber hier wie auch in fast allen anderen Arbeiten den methodischen Ausgangspunkt dar, worin Buchbesprechungen

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man einen gewissen wissenschaftlichen Trotz des Autors erblicken mag: Wo die Freudschen Gedanken und Freudsches Denken bisweilen in zu große Ferne gerückt scheinen, beharrt hier jemand auf deren originärer Kraft und Geltung. Daß es bei dieser Haltung zum Teil so scheint, als würden Argumente mit dem reinen Ausweis ihrer Freudschen Provenienz gerechtfertigt, bleibt an dieser Stelle freilich kritisch anzumerken. Trotzdem: Woran liegt es, daß diese in der Tat stabilisierenden Sanierungsarbeiten am psychoanalytischen Theoriegebäude, die das Werk Siegfried Zepfs durchziehen, nicht längst zur Standardlektüre in der Ausbildung gehören? Warum benutzen wir die Früchte dieser Erkenntnisarbeit nicht? Im folgenden will ich auf einige der 27 hier versammelten Arbeiten einen kurzen Blick werfen, um einen Eindruck von Arbeitsweise und Themenspektrum zu geben. Im ersten Teil der Aufsatzsammlung behandelt Zepf epistemologische Fragen der Psychoanalyse. Die Arbeit über eine Kritik konstruktivistischer psychoanalytischer Erkenntnistheorie klärt gleich zu Beginn Zepfs eigene Position als historisch-materialistische. Zepf macht hier klar, wie nur in einem dialektischen Blick auf das Subjekt in seiner inneren und äußeren Praxis sowohl ein idealistischer Subjektivismus als auch ein szientistischer Objektivismus vermieden werden kann, die beide in gnoseoloische Sackgasse führen und eine kritische Aufklärung von Subjektivität verfehlen müssen. Es folgt eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit dem Kernkomplex der Neurosen, dem Ödipuskomplex. Zepf rekonstruiert sehr genau die z.T. widersprüchliche Argumentation bei Freud, dessen ›Erfindung‹ und Aufgabe der allgemeinen Verführungstheorie und ihre Ersetzung durch ein Theorem der phylogenetischen Erbschaft. In einem biografischen Exkurs wird eine plausible Hypothese über Freuds eigene Verstrickung in die inzestuöse Schuld seiner Eltern als Motiv für die Suspendierung der notwendigen Annahme der Verführung dargelegt. Zepf kann in diesem Zusammenhang zeigen, daß Freud den Ödipus-Mythos in auffälliger Weise verkürzt rezipiert. Für Zepf ist klar: »Der kindliche ödipale Konflikt ist das Resultat der ungelösten ödipalen Problematik der elterlichen Figuren, die sich in Gestalt von Sublimierungen in gesellschaftlich approbierten Formen der Kinderpflege und Erziehung zwangsläufig durchsetzt« (Bd. 1, S. 93)1. Hier tut sich m.E. ein künstlich enger Spalt auf zwischen einer auch in meinen Augen unhaltbaren archaischen Erbschaft einerseits und einer von Zepf dem gegenüber gestellten kausalen unbewußten Einwirkung der unbewußt agierenden Eltern auf ihre Kleinkinder andererseits. Der hier konstruierte Antagonismus scheint keinen Raum mehr für das kindliche Phantasieleben zu lassen, d. h. für die ontogenetische seelische Welt des Kindes, das nicht nur konkrete Erfahrungen verarbeitet, sondern selber denkt und eigene Phantasien produziert. 1

Auch in: ZPTP, 2012, S. 152-180. Anm. d. Red.

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Diese unnötig verengte erkenntnistheoretische Perspektive scheint im Kontrast zu stehen zu Zepfs klarem Einspruch gegen die Methodologie der Säuglingsbeobachtung, der er in einer eigenen kritischen Arbeit eben das »Innenleben des Säuglings« (S. 149) entgegenhält, zu dem durch beobachtende Methoden nicht vorzudringen sei. Der Bindungstheorie, die und deren Eingemeindung in den psychoanalytischen Diskurs Zepf einer grundlegenden epistemologischen Kritik unterzieht, hält er vor allem vor, Freuds revolutionäre Ausarbeitung der kindlichen Psychosexualität mit der wesentlichen Bestimmung der sozialen Gemachtheit menschlicher Bedürfnisse in einen abstrakten Bindungsbedürfnis de facto zu suspendieren, bzw. zu biologisieren. Zepf argumentiert kompromißlos, d. h. allein sachlichen Argumenten verpflichtet und gänzlich unabhängig von jedweder wissenschaftspolitischer Erwägung. Er kann sich nicht entschließen, im theoretischen Pluralismus der Psychoanalyse etwas Positives zu erblicken, eher scheint es ihm, »dass mit einer Vermischung bindungstheoretischer und psychoanalytischer Konzepte die ›Abwärtsspirale‹, in welche im Urteil von Rangell […] die Psychoanalyse mit ihrer Diversifizierung in eine heterogene Meinungsvielfalt eingetreten ist, noch um einige Etagen tiefer vorangetrieben wird« (Bd. 1, S. 119). In diesem Sinn liest sich auch die ketzerische Auseinandersetzung mit Bion und dem auffälligen Phänomen der Huldigung seiner Theorien wohltuend: 2 Zepf arbeitet sich an den kryptischen Einlassungen dieses Autors ab und beharrt auf der Forderung nach Rationalität von Argumenten innerhalb eines wissenschaftliche Diskurses – auch dann, wenn der Gegendstand dieser Wissenschaft das Unbewußte und das Irrationale sein sollte. Eine methodologische Auseinandersetzung mit empirischer Psychotherapieforschung und ein Plädoyer für die psychoanalytische Metapsychologie beschließen diesen ersten, erkenntnistheoretischen Teil der zwei Bände. Aus dem zweiten Teil, der sich Fragen einer Analytischen Sozialpsychologie widmet, möchte ich hier eine Arbeit zum Thema »Konsumverhalten und Identität«3 herausgreifen. Hier befaßt sich Zepf mit unserer narzißtischen Identitätskonstruktion innerhalb der gegenwärtigen spätkapitalistischen Vergesellschaftungsform. Auf den ersten Blick ließen sich seine Ausführungen für eine Polemik halten, die vor allem aufrütteln möchte. So ungewohnt ist es geworden, mit dem Ernst unserer kollektiven Lage psychoanalytisch wirklich konfrontiert zu werden. Aber Zepf meint jeden Satz ernst, und daß das beim Lesen wehtut, heißt nur, mit abgewehrter Wahrheit in Berührung zu kommen. Und dabei fehlt in seiner Analyse zeitgenössischer Identitäts(waren)form noch weitgehend die durch die aktuelle Form der technischen Kommunikation (Smartphones, Web 2.0, soziale Netzwerke 2 3

Zuerst erschienen in: ZPTP, 2010, S. 78-85. Anm. d. Red. In kürzerer Fassung erschienen in: ZPTP, 2011, S. 146-168. Anm. d. Red.

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etc.) vermittelte beschleunigte Uniformierung bzw. Nivellierung lebensgeschichtlicher Individualität. Der zweite Band beinhaltet zunächst eine Reihe von Arbeiten zu theoretischen Konzepten der Psychoanalyse. Der erste Aufsatz »Über den Zusammenhang von Bewußtsein, vorbewußt, unbewußt und Sprache«� enthält gewissermaßen den Kern von Zepfs systematischer Reformulierung der Freudschen Metapsychologie, nämlich einen Erklärungsversuch des Unbewußten, einen sprachtheoretischen Aufweis, »wie Verdrängung genau funktioniert« (Bd. 2, S. 30). Zepf arbeitet heraus, wie es mittels bestimmter Operationen, die der Verdrängung und Ersatzbildung entsprechen, zur Veränderung unserer Begriffe (und Affekte) kommt, unseres Bewußtseins und Erlebens, und daß die Spezifität dieser Operationen bzw. die Spezifität von deren Konstellation die einzelnen klinischen Bilder erzeugt. Diese Konzeptualisierungen sind so klar und bestechend, daß die gesamte psychoanalytische Krankheitslehre auf ihr aufgebaut werden kann. Konkretisiert wird dies z. B. mit dem hervorragenden Text zur Kritik des Spaltungskonzepts, der exemplarisch vorführt, wie weit man mit einer konsequenten Anwendung der Freudschen Begrifflichkeiten kommen kann – nämlich weit über den Bereich der Neurosenpsychologie hinaus ins Feld der sogenannten Frühen Störungen. Ausgehend von den Widersprüchen v.a. in der Theorie Kernbergs wird dafür plädiert, die lediglich beschreibenden Konzepte der Spaltung und Verleugnung über die Mechanismen der Reaktionsbildung, Projektion, Idealisierung und Isolierung zu erklären, denen im Unterschied zu den oben genannten Erscheinungen reale seelische Prozesse zugrunde lägen. ›Spaltung‹ bezieht sich dann auf einen Zustand, der das Produkt jener Mechanismen ist. Zepf argumentiert zwar theoretisch, seine Klärung hat aber durchaus erhebliche technische Implikationen, wie mir scheint. Bekanntlich rät ja Kernberg, bei den entsprechenden Pathologien vor allem ›Spaltungsvorgänge‹ aktiv zu deuten als etwas, was der Patient macht, um einer unerträglichen Realität auszuweichen. Würde aber ein Gespaltensein von Selbst und Objekt in der Tat auf einen genuinen Spaltungsvorgang zurückgehen, dann könnte dieser gar nicht gedeutet werden, weil es weder einen Adressaten für solche Deutungen gebe (ein ungespaltenes Ich), noch auch der (ebenfalls gespaltene) Analytiker als ›Sender‹ einer solchen Deutung in Frage käme. Der mit Spaltung gemeinte innere seelische Zustand kann hingegen nur über dessen Bedingungen, d. h. über jene Mechanismen erreicht werden, durch die das Subjekt ihn bewirkt hat, d. h. durch eine Deutung der konkreten Idealisierungs-, Projektions- und Isolierungsvorgänge. Eine ebenso gelagerte Aufklärung erfolgt bzgl. der angeblichen Abwehrmechanismen der Rationalisierung und Intellektualisierung, die in Wirklichkeit Erscheinungsformen anderer Operationen seien. Man kann bzgl. der psychoanalytischen Technik wiederholen: Eine Deutung kann nur dann mutativ sein, wenn sie sich wirklich auf einen vom Subjekt ins Werk gesetz-

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ten seelischen Vorgang bezieht – deswegen ist die Genauigkeit unserer theoretischen Begriffe von solcher praktischen Bedeutung. Eben dieser psychoanalytischen Praxis widmet sich Zepf im letzten, mit therapeutischen Konzepten der Psychoanalyse befaßten, Teil. Es handelt sich um eine in fünf Einzelarbeiten vorgelegte Ausarbeitung dessen, was in der psychoanalytischen Arbeit zwischen Patient und Analytiker geschieht. Folgende Konzepte werden einer kritischen Sichtung unterworfen und innerhalb eines Modells des psychoanalytischen Prozesses integriert, mit dem sich die Psychoanalyse von allen anderen therapeutischen Verfahren abgrenzen und hinsichtlich empirischer Überprüfungen operationalisieren läßt: Übertragung, Übertragungsneurose, Gegenübertragung, Empathie, Abstinenz, Neutralität, Deutung, Durcharbeiten, Ersatzbildung und Widerstand. Diese Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse als Therapie ist insofern realistisch, als sie auch ihre systematischen Grenzen mit einschließt: die sogenannte Restneurose des Analytikers, Gegenstand der letzten Arbeit dieser beiden Bände. Bei all der hier nur angedeuteten thematischen und gedanklichen Fülle, die man geboten bekommt, darf doch ein das Lesevergnügen erheblich minderndes Manko nicht unerwähnt bleiben: Es ist das Ausmaß, in dem die Bände mit Fehlern durchsetzt sind. Mehr oder weniger permanent stolpert man über unvollständige oder verdrehte Sätze, immer wieder sind einer mehr als schludrigen Korrektur sogar sinnentstellende Fehler durchgegangen. Das ist angesichts des Anschaffungspreises äußerst ärgerlich. Am Ende dieser Besprechung soll dennoch klar ein anderes, inhaltliches Fazit stehen: Mit seiner streng aufklärerischen Intention und der Konsequenz, diese so klar wie möglich umzusetzen, ist Zepf in der gegenwärtigen Landschaft psychoanalytischer Theoriebildung ein Solitär. Aber nicht nur in der äußerlichen Übereinstimmung, daß Zepf jetzt ebenso eine dreibändige Neurosenlehre und eine zweibändige Aufsatzsammlung vorgelegt hat, sondern vielmehr in seiner Art zu denken, die auf kostbare Weise enzyklopädisches Wissen mit kritischer Leidenschaft und unbedingtem Erkenntnisdrang verbindet, ist er Otto Fenichel vergleichbar. (Philipp Soldt, Bremen)

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