Broschüre zur ausstellung 200 Jahre höhere Mädchenbildung Gymnasium Leonhard Ausstellung 31. August bis 20. Dezember 2013

DANKE Das Gymnasium Leonhard dankt allen, die in irgendeiner Form zu dieser Ausstellung beigetragen haben, insbesondere den vielen Ehemaligen / dem Staatsarchiv Basel-Stadt / der Universitätsbibliothek Basel / dem Sportmuseum Schweiz / dem Schwabe Verlag sowie den Sponsorinnen und Sponsoren: Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige (GGG) Scheidegger-Thommen-Stiftung Frau Katia Guth-Dreyfus Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern, Präsidialdepartement

Ausstellungskonzept und Ausstellungsgestaltung Elfi Belleville Wiss, Ernest Menolfi, Marcel Scheible, Jelena Stefanovic Texte Elfi Belleville Wiss, Ernest Menolfi, Jelena Stefanovic Plakatgestaltung Noëmi Bachmann und Marcel Scheible Broschürengestaltung Noëmi Bachmann Bearbeitung des historischen Filmmaterials Werner Laschinger

200 Jahre «Höhere Mädchenbildung» in Basel Von 1813 an wurde in Basel auch der weiblichen Jugend eine dauerhafte höhere Schulbildung angeboten. Zum Anlass des 200-jährigen Jubiläums hat das Gymnasium Leonhard, in dessen Gebäude die einstige Töchterschule und dann das Mädchengymnasium beherbergt waren, eine Ausstellung vorbereitet. Auf den Aufruf, Erinnerungsstücke in sprachlicher und gegenständlicher Form zu liefern, haben sich viele Ehemalige engagiert auf die Suche gemacht. Diese Relikte aus schulischer Vergangenheit bilden einen wichtigen Teil der Ausstellung, welche im Schulhaus verteilt auf Plakaten, in Vitrinen und an Videostationen ausgewählte Themen zur Darstellung bringt. Die vorliegende Broschüre dient dazu, Interessierten etwas ausführlichere Begleittexte zur Verfügung zu stellen. Damit war aber keinesfalls eine vollständige Geschichte der höheren Bildung für Mädchen in Basel angestrebt. Wer weitere Informationen wünscht, sei auf die Literaturangaben in dieser Broschüre sowie auf das im Herbst erscheinende Jahrbuch 2013 des Gymnasiums Leonhard hingewiesen.

Inhaltsverzeichnis

Situationsplan Von der Töchterschule zum Gymnasium Leonhard

2–5 6 – 15

Jugendstilpalast oder «Affenkasten»?

16 – 18

«Während meiner Schulzeit war der Krieg»

19 – 24

«Unvergessliche» Tage

25 – 35

Mädchensport

36 – 38

Als die Lehrerinnen streikten

39 – 42

Öffnung – Aufbruch – Wandel: Die Zeit nach 1959

43 – 49

Zeugnisse und Noten

50 – 51

Die Last des Wissens

52

Auf dem Weg zur jungen Wissenschaftlerin

53

Weisst du noch?

54 – 57

Was von der Schulzeit übrig bleibt

58 – 60

Filmdokumente

61

2 Sport (Videostation)

7

Mädchensport

Eingänge Kanonengasse

Mädchensport

5 6

Was von der Schulzeit übrig bleibt

3

4

Die Last des Wissens

Bettina Eichins Gedenktafel zum Lehrerinnenstreik

2

Erdgeschoss

Einführung

1

7

Untergeschoss – «Roter Boden» (Eingangsbereich Kohlenberg 17)

6

5

1

Sekretariat

Eingang Kohlenberg

Cafeteria

4

3

2

3

Foto des Eröffnungsakts zum 200-Jahr-Jubiläum

Unterricht, Kolonien (Videostation)

«Während meiner Schulzeit war der Krieg»

Weisst du noch?

Jugendstilpalast oder «Affenkasten»?

9

10

11

12

13

13

Von der Töchterschule zum Gymnasium Leonhard

8

erster stock

12

11 10

9

8

4

Exponate zur Schulgeschichte

Lehrpersonen (Videostation)

Die Töchterschule – ein Kind der GGG /

16

17

Als die Lehrerinnen streikten

Öffnung – Aufbruch – Wandel: Die Zeit nach 1959

18

19

Schulgeschichte ist auch Familiengeschichte

Zeugnisse und Noten

14

15

zweiter Stock

19

18 17

16

15

14

5

Aufführungen (Videostation)

21

22

von Maturaarbeiten aus den Jahren 2002 bis 2012

Auf dem Weg zur jungen Wissenschaftlerin mit einer Auswahl

vierter Stock

«Unvergessliche» Tage

20

dritter Stock

20

22

21

Von der Töchterschule zum Gymnasium Leonhard Die Töchterschule – ein Kind der GGG

Als der Aufklärer Isaak Iselin 1777 zusammen mit Gleichgesinnten die Gesellschaft zur Aufmunterung und Beförderung des Guten und Gemeinnützigen – kurz GGG – gründete, war es um das öffentliche Schulwesen in Basel und insbesondere um die Mädchenbildung schlecht bestellt. Für Knaben gab es vier (Kirch-) Gemeindeschulen, drei in Gross- und eine in Kleinbasel. In diesen Schulen erteilten je ein Schulmeister und ein Unterlehrer dürftigen Elementarunterricht im Lesen, Schreiben und allenfalls im Rechnen. Den Mädchen standen sogar nur zwei Gemeindeschulen offen, und an jener im «minderen» Basel wirkte nur ein einziger Schulmeister. Die Lehrer klagten nicht darüber, dass sie Klassen mit teilweise über hundert Schülern zu unterrichten hatten, da ihr Lohn wesentlich vom Schulgeld der Eltern abhing. Für Kinder, die in Fabriken arbeiteten, bestanden obrigkeitliche Armenschulen mit täglich einer Stunde Unterricht, im Sommer von sechs bis sieben Uhr morgens vor Arbeitsbeginn, in der übrigen Zeit während der Mittagspause. Eine höhere Schule existierte lediglich für Knaben, in Form des sechsjährigen Gymnasiums «auf Burg», aus dem später das Humanistische Gymnasium (HG) und heutige Gymnasium am Münsterplatz hervorging. Dem seit 1756 als Ratsschreiber amtierenden Iselin war der mangelhafte Zustand der öffentlichen Schulen wohl bekannt, doch er hatte sich bisher weitgehend vergeblich für Reformen eingesetzt. So erstaunt es nicht, dass sich die Aktivitäten der GGG von allem Anfang an zu einem grossen Teil auf den Bildungsbereich bezogen. Bereits 1777, also im Gründungsjahr der GGG, kam der Plan auf, eine «Frauenzimmerschule» nach dem Vorbild der 1774 in Zürich eröffneten Töchterschule zu schaffen. Der Antrag wurde von Jakob Sarasin, dem Seidenbandfabrikanten und Bauherrn des Weissen Hauses am Rheinsprung, eingebracht und an eine Kommission verwiesen. Diese liess sich Zeit und legte schliesslich 1779 ihre Zweifel an der Realisierbarkeit des Projekts dar: Die Zürcher Schule, die Töchtern aller Stände im Alter von 12 bis 18 Jahren offen stehe, entspreche den hiesigen Umständen und Sitten nicht. Vornehme Eltern scheuten die Vermischung der Stände, und der Mittelstand erachte es als unziemlich, dass Töchter im heiratsfähigen Alter ihre Zeit nicht mit Handarbeiten, sondern mit mehrstündigem geistigem Unterricht ausserhalb des Elternhauses verbrächten. Zudem überstiegen die Kosten die Kräfte der noch jungen Gesellschaft bei weitem. So errichtete die GGG 1779 anstelle der Töchterschule eine unentgeltliche Nähschule für zwölf arme Mädchen zwischen 9 und 12 Jahren. Gemäss den Worten Isaak Iselins sollten die Schülerinnen «dereinst brauchbare und nützliche Dienstboten ihrer begüterten Mitmenschen und rechtschaffene Ehegattinnen und Hausmütter solcher Familien 6

werden, welche ihren Unterhalt einzig und allein durch ihre Handarbeit gewinnen müssen». 1 Dazu erhielten die Mädchen nicht nur Unterricht bei einer Nählehrerin, sondern sie lernten bei einem Lehrer auch etwas Lesen, Schreiben und Rechnen und wurden durch einen Kandidaten der Theologie in christlicher Moral unterwiesen. Eine namhafte Geldspende von Peter Ochs, dem späteren Nachfolger Isaak Iselins als Basler Ratsschreiber, ermöglichte es der GGG dann aber doch, am 12. März 1781 eine Töchterschule im Haus «zum grünen Drachen» an der Freien Strasse 37 zu eröffnen. In Elisabeth Speisegger aus Schaffhausen hatte man eine Lehrerin gefunden, die mit den Methoden der Zürcher Töchterschule vertraut war und zudem die französische Sprache beherrschte. Frau Speisegger hatte nachmittags fünfzehn von der GGG bestimmte Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren zu unterrichten. Von den Schülerinnen wurde verlangt, dass sie «schon lesen, oder wenigstens gut buchstabieren können, auch zum schreiben angeführt worden seyn» 2 . Für diesen Nachmittagsunterricht wurde kein Schulgeld erhoben. Vormittags sollte Elisabeth Speisegger das bescheidene Gehalt, das ihr die GGG zahlte, durch Privatstunden aufbessern. Da sie auch Französisch erteilen konnte und die Kenntnis dieser Sprache im damaligen Basel als wichtigstes Kennzeichen höherer Mädchenbildung galt, hoffte die GGG, dass vermögende Eltern ihre Töchter zu Frau Speisegger schicken würden. Wie knappe Tagebuchnotizen Isaak Iselins von April und Mai 1781 zeigen, besuchten auch Kinder aus seiner Familie Privatstunden bei Elisabeth Speisegger. Vom Alter her zu schliessen, dürften es am ehesten die dritt- und die zweitjüngste seiner sieben Töchter gewesen sein. Die Methode von Frau Speisegger gefiel Iselin aber nicht: «Sie macht die Mädgen nur lesen und erklärt ihnen nichts.» 3 Möglicherweise erschien Speiseggers Qualifikation auch anderen zahlungskräftigen Eltern zweifelhaft. Jedenfalls wurden zu wenig Privatschülerinnen angemeldet, so dass der Plan der GGG, ihre Ausgaben durch das seltsam zweigeteilte Schulmodell niedrig zu halten, nicht aufging. 1 Iselin, Isaak: Anweisung für die Lehrer in der auf Unkosten

der Aufmunterungsgesellschaft in Basel errichteten Nähschule, S. 1.

2 Nachricht [betreffend die von der Gesellschaft errichtete neue Töchterschule],

Universitätsbibliothek Basel A Lambda I 7:152.

3 Ein herzlicher Dank gebührt Hans-Urich Fiechter für die Überlassung

der von ihm transkribierten Tagebuchnotizen Iselins. 7

1782 legte Elisabeth Speisegger der Gesellschaft ein neues Schulkonzept vor, das unter anderem die Erhebung von Schulgeld bei allen Schülerinnen beinhaltete. Gleichzeitig verlangte sie einen höheren Lohn. Am 25. August, kurz nach dem Tod Isaak Iselins, beschloss die GGG aber, die Schule nach Ablauf der zweijährigen Versuchsphase aufzuheben. Die Lehrerin erhielt noch bis März 1783 ihr bisheriges Gehalt. Ein Inserat in den «Wöchentlichen Nachrichten» vom 23. Januar 1783 zeigt ausserdem, dass Elisabeth Speisegger das von ihr vorgeschlagene neue Schulkonzept in eigener Regie umsetzen wollte; sie scheint aber erneut nicht genug Schülerinnen gefunden zu haben. 1787 wagte die GGG einen weiteren Versuch zur Gründung einer Töchterschule. Diesmal knüpfte sie an das erfolgreiche Konzept der 1779 gegründeten Nähschule an, zu der sich mittlerweile zwei weitere gesellt hatten. Um Töchtern aus dem Mittelstand einen kostspieligen Welschlandaufenthalt zu ersparen, wurde der Nähunterricht durch eine Lehrerin französischer Muttersprache erteilt. Bei einem «Sprachmeister» lernten die zwölf Schülerinnen Französisch, Lesen, Schreiben sowie Rechnen, und ein Geistlicher unterwies sie im praktischen Christentum. Aber auch diese «französische» Nähschule, in der im Unterschied zu den anderen drei Nähschulen ein Schulgeld von 7½ Talern jährlich erhoben wurde, war von kurzer Dauer. Die am 1. Juni 1787 eröffnete Schule wurde bereits Ende 1788 aufgehoben, nachdem mehrere Schülerinnen ausgetreten waren und weitere ihren Austritt angekündigt hatten. Nach diesem neuerlichen Misserfolg verschwand das Basler Töchterschulprojekt für fast 25 Jahre in der Versenkung. Während die 1774 entstandene Zürcher Töchterschule dank vielen Gönnern nie um ihre Existenz bangen musste, bis sie 1803 samt ihrem beträchtlichen Vermögen von der Stadt Zürich übernommen wurde, kam der entscheidende Anstoss für die Basler Töchterschule erst 1812: «Eine Anzahl vaterländisch gesinnter hiesiger Bürger» beklagte in einer Eingabe an die GGG, dass in Basel kein Bildungsangebot für Töchter mittleren Standes existiere, obwohl selbst kleine Städte wie Winterthur oder Zofingen eine Töchterschule hätten. 4 Dieser Vorstoss bewog die Gesellschaft, es noch einmal mit einer solchen Einrichtung zu versuchen. Um aber diesmal der Töchterschule eine dauerhafte Existenz zu sichern, sollte sie möglichst bald «stärkern Händen» 5 , nämlich denjenigen des Staates, überlassen werden. Die 400 Franken, die die GGG jährlich an die Betriebskosten beitrug, würde man heute als Anschubfinanzierung bezeichnen. Die restlichen Mittel mussten durch Schulgelder aufgebracht werden. Die Töchterschule begann am 4. Januar 1813 in zwei Zimmern im Hinterhaus der Schneidergasse 24. 4 StABS PA 146a D 9.3. 5 Jahresbericht GGG 1813, S. 10. 8

Für die 36 Schülerinnen von etwa 8 – 12 Jahren, die gemäss Alter und Vorbildung in zwei Klassen aufgeteilt waren, standen täglich 3 Stunden Vormittagsunterricht in Religion, Französisch, Deutsch, Rechnen, Schreiben und einem Mix aus Geschichte, Geographie und Naturkunde auf dem Stundenplan. Dafür waren monatlich 40 Batzen zu entrichten. Für den auf vielfachen Wunsch eingeführten nachmittäglichen Handarbeitsunterricht waren weitere 12 Batzen fällig. Die Knaben am Gymnasium «auf Burg» dagegen bezahlten nur 20 Batzen monatlich. Trotz des vergleichsweise hohen Schulgelds entwickelte sich die Töchterschule vorerst gut; die auf 60 angewachsene Schülerinnenzahl machte schon im Sommer 1813 die Bildung einer dritten Klasse und den Umzug an den Spalenberg 23 nötig. Aber die GGG war mit der Leitung der Schule und auch finanziell überfordert. Zum Glück konnte sie wieder auf Peter Ochs zählen, der bereits 1781 die erste Töchterschulgründung mit einer Geldspende ermöglicht hatte. Ochs war 1803 – wenige Jahre nach dem kurzen Intermezzo als Direktor der Helvetischen Republik – dank Nominierung durch Baselbieter Zünfte und Losglück in den Grossen und den Kleinen Rat gewählt worden und präsidierte seit Ende 1812 das Deputatenamt, d.h. die für das Kirchen-, Schul- und Armenwesen zuständige Behörde. Auf Antrag von Ochs bewilligte der Basler Rat im November 1813 einen jährlichen Beitrag von 600 Franken an die Töchterschule, und im Oktober 1814 wurde die Schule auf der Basis eines von Ochs ausgearbeiteten, detaillierten Konzepts zur «obrigkeitlichen» Lehranstalt erhoben. Die GGG zahlte aber noch bis Ende 1818 jährlich 400 Franken an die Betriebskosten und blieb bis dahin auch an der Schulführung beteiligt. Die Anfänge der «obrigkeitlichen» Töchterschule

Vom 1. Dezember 1814 bis zum Umzug an die Kanonengasse auf dem Kohlenberg im Jahre 1884 war das Haus «zum Sessel» am Totengässlein 3 (heute Sitz des Pharmazie-Historischen Museums) Standort der Töchterschule. Im April 1815 trat der erste Rektor, der Deutsche Andreas Otto, sein Amt an. Die Wahl war wohl auf ihn gefallen, weil er geläufig Französisch sprach und mit einer gebürtigen Neuenburgerin verheiratet war. Diese erteilte künftig den Handarbeitsunterricht an der Töchterschule in ihrer Muttersprache und unterrichtete zusammen mit Octavie Ebray, der Tochter des Pfarrers der Französischen Gemeinde, sowie der Schwester von Universitätsprofessor Alexandre Vinet auch das Fach Französisch. Mit der Deutschlehrerin Auguste Nüsslin aus Mannheim setzte Rektor Otto eine weitere Frau für den Unterricht in «wissenschaftlichen» Fächern ein. Im Unterschied zu den Handarbeitslehrerinnen sollten diese Frauen nach Auffassung Ottos gleich entlöhnt werden wie ihre männlichen Kollegen; er fand damit bei der Inspektion aber kein Gehör.

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1842 trat ein Gesetz über die Organisation der Mädchenschulen in Kraft, das im Gegensatz zum ersten Mädchenschulgesetz von 1822 auch für die Töchterschule Geltung hatte. Diese sollte auf der vierjährigen Gemeindeschule aufbauen und den Mädchen «eine solche Bildung [geben], dass sie sowohl vermöge der Entwicklung ihrer Geisteskräfte als der erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten für die ihrem Geschlecht und ihren Verhältnissen angemessene Bestimmung vorbereitet werden. Sie soll zugleich die Heranbildung von Lehrerinnen erleichtern.» 6 Damit die Töchterschule ihrer Aufgabe besser gerecht werden konnte, brauchte es nach Auffassung von Erziehungsrat und Inspektion einen Neuanfang. Rektor Otto wurde nach 28 Jahren der Rücktritt nahegelegt, und an seiner Stelle übernahm Dr. Abraham Heussler 1843 die Schulleitung. Er hatte zuvor zehn Jahre an der Mädchengemeindeschule St. Theodor und sechs Jahre als Deutschlehrer am Gymnasium «auf Burg» unterrichtet. Während seines Rektorats konnten Lehrerinnen, dem Schulgesetz von 1842 entsprechend, nur noch für Handarbeitsstunden angestellt werden. Ihre Aufgabe bestand ausserdem darin, als «Klassenlehrerin» die Schülerinnen in allen Stunden zu begleiten und Aufsicht zu halten. 7 Nachdem Rektor Heussler einer Choleraepidemie zum Opfer gefallen war, trat im Frühling 1856 Waisenvater J.R. Lucas Burckhardt seine Nachfolge an. Wegen des ständigen Wachstums der Töchterschule mussten neue Lehrer angestellt werden, und dabei wurden auch wieder Lehrerinnen mit dem Unterricht in «wissenschaftlichen» Fächern wie Deutsch und Geographie betraut, allerdings zu einem viel niedrigeren Stundenlohn als die Männer. Erste Schritte einer Lehrerinnenausbildung

Auch Rektor Burckhardt starb im Amt. Ihm folgte von 1862 bis 1887 Frédéric Cherbuin, der schon seit 1847 an der Töchterschule unterrichtete. Er erweiterte das Unterrichtsangebot, das nach dem Ausbau unter Rektor Otto von 3 auf 4 und dann auf 5 Klassenstufen seit 1825 stagniert hatte, auf vorerst 6 Klassenstufen. In der 6. Klasse wurde neu auch Englisch unterrichtet. Mit dem Schulgesetz von 1880, das endlich die Unentgeltlichkeit für alle Schulen brachte, folgte die Unterteilung in eine untere Töchterschule mit 4 und eine obere mit 2 Klassenstufen. Cherbuin nahm sich auch des Problems an, dass es bislang keine Lehrerinnenausbildung gab.

6 Flueler, S. 58. 7 Wie der Jahresbericht der Töchterschule 1905/06 vermerkt, wurde die Funktion

der «Klassenlehrerin», die eine kostspielige Doppelbesetzung der Stunden bedeutete,



seit dem Schulgesetz von 1870 auf den Aussterbeetat gesetzt.

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Es wurden zweijährige Fortbildungsklassen geschaffen, die im Anschluss an die obere Töchterschule besucht werden konnten. Die Schülerinnen, die Lehrerinnen werden wollten, erhielten zusätzlich zu den allgemeinbildenden Stunden der Fortbildungsklassen pädagogischen Unterricht. So entwickelte sich eine allgemeine und eine pädagogische Abteilung. Die Abschlussprüfungen an der letzteren ermöglichten seit 1884 den Erwerb eines offiziellen Lehrdiploms, das zum Unterricht an der Primarschule, an der Mädchensekundarschule sowie an den beiden untersten Klassen der Töchterschule berechtigte. Im gleichen Jahr 1884 konnte die Schule ein neues Gebäude auf dem Kohlenberg beziehen, denn die Schülerinnenzahlen waren mittlerweile so angewachsen, dass die Klassen nicht nur im Haus «zum Sessel», sondern noch an drei anderen Standorten hatten untergebracht werden müssen. Auch das neue Schulhaus auf dem Kohlenberg genügte der Töchterschule bald nicht mehr. 1892 wurde an der Leonhardsstrasse ein «Dependenzgebäude» mit sechs Klassenzimmern erstellt, und seit 1906 ergänzte ein Jugendstilbau an der Ecke Kanonengasse/Kohlenberg den Bau von 1884. Weitere Berufsausbildungen und Entwicklung zum Mädchengymnasium

Von 1887 bis zu seinem Tod 1892 leitete der vormalige Rektor der Mädchensekundarschule, J.H. Kägi, die Töchterschule. Sein Nachfolger Dr. Anton Philipp Largiadèr eröffnete den Schülerinnen neue Bildungsmöglichkeiten durch die Schaffung einer Handelsabteilung im Jahre 1894 und die Einführung einer Kindergärtnerinnenausbildung im Jahre 1896. Ein Schlaganfall im Januar 1898, von dem er sich nicht mehr richtig erholte, hinderte Largiadèr daran, die zusätzlich geplante Maturandinnenabteilung zu verwirklichen. Diese war dringend nötig geworden, da die Universität Basel seit dem Regierungsratsbeschluss vom 7. März 1890 endlich auch Frauen offen stand. Ab 1899 wurde die Gymnasialabteilung unter Largiadèrs Nachfolger Konrad Merk schrittweise aufgebaut. 1906 bestanden die ersten vier Schülerinnen die eidgenössischen Maturitätsprüfungen, und 1913 erlangte die Schule die eidgenössische Anerkennung als Maturitätsschule. Seither galten die Lehrerinnendiplome der Töchterschule nur noch für die Primarschule; für den Unterricht an der Mittelstufe wurde nun ein Studium vorausgesetzt. Unter Rektor Merk wurde mit Dr. Julie Gisi übrigens eine der ersten phil.II-Studentinnen der Basler Universität als Lehrerin angestellt. In den Jahren 1915 – 1927 leitete mit Dr. Albert Barth ein engagierter Reformpädagoge die Töchterschule. Er erkannte, dass etliche seiner Lehrerinnen, die nur über ein Primarlehrerdiplom verfügten und einzig in den beiden untersten Klassen eingesetzt wurden, über besonderes pädagogisches Geschick und über das nötige intellektuelle Potential verfügten, um auch an höheren Klassen eingesetzt zu werden. Zu diesen Frauen gehörten Rosa Göttisheim, Pauline Müller, Georgine Gerhard und Antonie 11

Heman, die nicht nur in der Schule ihr Bestes gaben, sondern sich darüber hinaus im Rahmen des Basler Lehrerinnenvereins auch aktiv für die Anliegen ihres Berufsstandes sowie diejenigen der Mädchenbildung und der Frauenrechte im allgemeinen einsetzten. In diesem anregenden Umfeld machte Paul Gessler, der spätere Rektor, seine ersten Erfahrungen als junger Lehrer, nachdem ihn Barth zuerst als Vikar an die Töchterschule geholt und 1926 fest angestellt hatte. Die 1920er-Jahre brachten einschneidende Strukturänderungen an der Töchterschule. Diese fielen zum Teil bereits in die Amtszeit von Barths Nachfolger Dr. Paul Burckhardt: Die pädagogische Abteilung und die Kindergärtnerinnenausbildung wurden ab 1925 vom kantonalen Lehrerseminar (heute: Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz) übernommen, und die Handelsabteilung ging mit dem Schulgesetz von 1929 in der Kantonalen Handelsschule auf (heute: Wirtschaftsgymnasium und Wirtschaftsmittelschule/WW). Die Töchterschule ihrerseits hiess nun Mädchengymnasium und umfasste ein zweijähriges Progymnasium, an das sich drei Abteilungen mit je sechs Klassenstufen anschlossen: die Gymnasialabteilung mit Latein und eidgenössischer Matur, die Realabteilung mit lateinloser kantonaler Matur, die die künftigen Primarlehrerinnen auf den Eintritt ins Lehrerseminar vorbereitete, und die maturitätslose Allgemeine Abteilung. Das Mädchengymnasium auf dem Weg zum Gymnasium Leonhard

1938 trat Dr. Paul Gessler die Nachfolge von Rektor Paul Burckhardt an. «In einem für alle neuen Strömungen offenen Geist» 8 führte er das Mädchengymnasium 24 Jahre lang. Da er sich als «pater familias» verstand, war es ihm sehr wichtig, die versammelte Schulgemeinde im Rahmen von Feiern zu Beginn und Ende des Schuljahres, aber auch wenn etwas Weltbewegendes geschah, gemeinsam ansprechen zu können. 9 Dafür war das Mädchengymnasium durch die seit Beginn der 50er-Jahre stark gewachsene Schülerinnenzahl eindeutig zu gross geworden. Deshalb beschäftigte sich Rektor Gessler in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit mit der Planung und Durchsetzung einer möglichst sinnvollen Schulteilung. Als erstes wurde die Allgemeine Abteilung verselbständigt, die als maturitätsloses Überbleibsel der ehemaligen Töchterschule im Mädchengymnasium ohnehin ein Stiefmütterchendasein gefristet hatte. Sie erhielt 1957 ein eigenständiges Profil als Mädchenoberschule (MOS; nach Einführung der Koedukation in Diplommittelschule/ DMS umbenannt; heute: Fachmaturitätsschule/FMS). Mit Margarethe Amstutz, die 8 Marchand, S.256. 9 Gessler, Luzius, S. 33. 12

neben ihrer engagierten Unterrichtstätigkeit am Mädchengymnasium auch aktiv im Lehrerinnenverein mitgearbeitet hatte, wurde in Basel erstmals eine Frau zur Rektorin einer allgemein bildenden Schule 10 gewählt. In einem weiteren Schritt wurde 1959 das noch immer an die 1700 Schülerinnen umfassende Mädchengymnasium in zwei selbständige Schulen aufgeteilt. Die ehemalige Gymnasialabteilung verblieb als altsprachlich ausgerichtetes Mädchengymnasium I (MG I) in den bisherigen Gebäuden und erhielt in der Person von Dr. Lajos Nyikos einen neuen Rektor. Dr. Paul Gessler seinerseits übernahm – obwohl er während über 30 Jahren viel und gern Latein unterrichtet hatte – die anspruchsvolle Aufgabe, aus der lateinlosen Realabteilung den schweizerischen Prototyp eines neusprachlichen Gymnasiums zu formen. Mit einem besonders erneuerungsfreudigen Teil seines Kollegiums dislozierte er in das neue Gebäude vis-à-vis, das eigens für das Mädchengymnasium II (MG II) erstellt worden war. Mit der Einführung der Koedukation im Jahre 1968 wurde dann aus dem MG I das Gymnasium am Kohlenberg (GK) und aus dem MG II das Holbeingymnasium (HoG). Fast vierzig Jahre lang gingen die beiden Gymnasien auf dem Kohlenberg getrennte Wege. Am MG II/HoG trat Dr. Fritz Burri 1962 in die Fussstapfen von Rektor Gessler, am MG I/GK wurde Dr. Werner Oberle 1973 Nachfolger von Rektor Nyikos. Trotz hoher Anforderungen in drei Fremdsprachen blieb dem MG II/HoG die eidgenössische Anerkennung des neusprachlichen Maturtypus D bis 1971 versagt. Um der drohenden Abwanderung von Schülerinnen zu begegnen, bot Rektor Burri seit 1965 auch einen Maturzug mit Latein (Typus B) an. Nun musste das MG I/GK um seine Zukunft bangen. Die Einführung der Koedukation 1968 und die Gründung des Gymnasiums Bäumlihof 1969 verschärften die Lage, da nun Mädchen an mehreren Basler Gymnasien eine Matur des Typus A oder B erwerben konnten. Der seit 1956 am Mädchengymnasium neu aufgebaute Typus A mit Griechisch starb am GK gar aus. Als Rektor Nyikos 1973 zurücktrat, wurde die Wiederbesetzung seiner Stelle vorerst ausgesetzt, denn es gab Pläne, das GK mit dem HoG zusammenzuschliessen. Schulleitung, Inspektion und Lehrerschaft wehrten sich aber erfolgreich gegen die «Fusion». 1975 durfte Rektor Oberle am GK zusätzlich den Typus D einführen, was seiner Schule ausreichenden Schülerinnen- und Schülernachwuchs sicherte.

10 Bereits 1951 war Gertrud Bossert zur Direktorin der Frauenarbeitsschule gewählt worden.

Vgl. Hungerbühler, S. 133. 13

Mit der Basler Schulreform, die als Folge der Einführung der Orientierungsschule (OS) eine Verkürzung der Gymnasialdauer von acht Schuljahren auf fünf mit sich brachte, stellte sich die Fusionsfrage erneut, diesmal allerdings nicht nur für die beiden «Töchter» des Mädchengymnasiums, sondern auch für weitere Basler Gymnasien. Hans Georg Signer, der 1991 gewählte Nachfolger von Dr. Fritz Burri, leitete als letzter Rektor des Holbeingymnasiums gleichzeitig die für die Gymnasialreform zuständige Projektgruppe. Es ist nicht zuletzt seinem überlegten und kooperativen Führungsstil zu verdanken, dass die 1997 vollzogene Verschmelzung von RG und MNG zum Gymnasium Kirschgarten (GKG) und diejenige von GK und HoG zum Gymnasium Leonhard (GL) ohne nennenswerte Misstöne über die Bühne ging. Durch die gleichzeitige Umsetzung des neuen eidgenössischen Maturitätsanerkennungsreglements an den nunmehr fünf Basler Gymnasien traten Schwerpunktfächer an die Stelle der Maturtypen A,B,C, D und E. Die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Leonhard haben die Wahl zwischen Latein, Spanisch, Italienisch, Bildnerischem Gestalten und Musik. Zum letzten Rektor des GK war 1985 Dr. Luzius Gessler gewählt worden. Wie einst sein Vater Paul Gessler führte er die Schule mit grossem pädagogischen Engagement bis zu seiner Pensionierung 1997, die zeitlich mit der «Wiedervereinigung» von GK und HoG im Gymnasium Leonhard (GL) zusammenfiel. Hans Georg Signer wirkte als erster Rektor des GL, bis ihn Regierungsrat Dr. Christoph Eymann an die Spitze des Bereichs Bildung im Erziehungsdepartement holte. Von 2002 bis 2008 übernahm der langjährige Konrektor Dr. Peter Litwan die Leitung des GL, und seit August 2008 hat sie Roger Morger inne. Elfi Belleville Wiss

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Bibliografie: Burckhardt, Paul: Geschichte der Töchterschule in Basel besonders während der ersten Jahrzehnte ihres Bestehens. Beilage zum Bericht der Töchterschule 1905 – 1906. Basel 1906. Ders.: Die Töchterschule. In: Das Basler Schulwesen 1880 – 1930, S. 147 – 175. Hrsg. vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. Basel 1930. Flueler, Elisabeth: Die Geschichte der Mädchenbildung in der Stadt Basel. 162. Neujahrsblatt. Herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige. Basel 1984. Gessler, Luzius: Paul Albert Gessler-Schaerer. Ein Lehrerleben zwischen Jahrhundertwende und Jahrhundertneige, nachgezeichnet an der Trauerfeier vom 10. Dezember 1981. Gessler, Paul: 150 Jahre Höhere Mädchenbildung in Basel. Festrede gehalten an den Jahresschlussfeiern der Mädchenoberschule und der Mädchengymnasien I und II zum hundertfünfzigsten Jubiläum der Basler «Töchterschule» am 29. und 30. März 1963. Hundert Jahre Töchterschule der Stadt Zürich. Erinnerungsschrift. Hrsg. vom Schulamt der Stadt Zürich. Zürich 1975. Hungerbühler, Oliver: Eine Schule macht Schule. In 130 Jahren von der Frauenarbeitsschule zur Berufsfachschule Basel. 191. Neujahrsblatt. Herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige. Basel 2012. Jahresberichte der GGG (erschienen unter «Geschichte der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen in Basel» ), 1777 – 1819. Jahresberichte der Töchterschule, des Mädchengymnasiums und des MG I und II, 1882 – 1965. Marchand, Hansjörg: Geschichte des Mädchengymnasiums und seiner Töchterschulen. Basler Stadtbuch 118 (1997), S. 255 – 259. Pilgram, Ch. (Red.): 50 Jahre MOS – DMS – FMS (CD). (Basel) 2007. Staatsarchiv Basel-Stadt (StABS): Akten der GGG (PA 146a A 9, PA 146a D 6, D 9.1, 9.2, 9.3), Erziehungsakten (Protokolle T 10, 68 – 72; Erziehung W 1 – 3, 6 – 7; ED-REG 1c 454-0 (2), 454-0 (3), ED-REG 6, ED-REG 18a 21 – 23, ED-REG 28, ED-REG 29) Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht-Haus zu Basel, 1781 – 1783, 1787, 1812 – 1815. Zur Centenarfeier der Töchterschule. Basel 1913.

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JUGENDSTILPALAST ODER «AFFENKASTEN»? In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war die Töchterschule an wechselnden Standorten in der Innerstadt untergebracht, wobei jeweils fast ununterbrochen zusätzliche Räumlichkeiten zugemietet werden mussten. Ein erster Versuch für den Bau eines grossen, zentralen Schulhauses scheiterte 1882 im Grossen Rat. Es ging damals um einen Standort auf dem Areal der Barfüsserkirche, der den Chorraum der Kirche miteinbezogen hätte. Zustimmung fand hingegen das Projekt auf dem Kohlenberg. Im späten Mittelalter war diese Umgebung Wohnort gesellschaftlich geächteter Menschen (Bettler, Henker, Totengräber, Prostituierte) gewesen, doch diese Zeiten waren inzwischen längst vorbei. Hier fand nun die Töchterschule 1884 endlich eine standesgemässe Bleibe, und der ruhige Ort in unmittelbarer Nähe des Barfüsserplatzes bot beste Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der Schule. Das stattliche Gebäude mit symmetrischer Hauptfront gegen die Kanonengasse und zwei Turnhallen im Hinterhof kostete etwas mehr als eine halbe Million Franken, was nach heutigem Geldwert wohl rund 5 bis 10 Millionen Franken entsprechen dürfte. Der ausdrückliche Wunsch der Schulbehörden, die untere und die obere Abteilung der Töchterschule in baulicher Hinsicht klar zu trennen, führte dazu, dass entgegen den ursprünglichen Plänen zwei Treppenhäuser, zwei Zeichensäle und zwei Toilettenanlagen erstellt wurden. Im hinteren Teil des Hauptgebäudes befand sich eine kleine Abwartswohnung. Der Zustrom junger Frauen zur Töchterschule hielt weiter an, sodass auch dieses Gebäude bald aus allen Nähten platzte. Daran änderte auch wenig, dass 1892/93 an der Leonhardsstrasse ein «Dependenz»-Gebäude mit sechs Klassenzimmern bezogen werden konnte. Nachdem die Idee der Errichtung einer Filiale der Töchterschule in Kleinbasel verworfen worden war, bot sich als Lösung der Anbau eines weiteren Gross-Schulhauses an der Strassenecke in Richtung Barfüsserplatz an. 1903 sprach der Grosse Rat einen Kredit von Fr. 710‘000.–, und 1904 konnte unter der verantwortlichen Leitung von Hochbauinspektor Hünerwadel der Bau begonnen werden. 1906 war das in schlichtem Jugendstil gestaltete, helle Sandsteingebäude bezugsbereit. Dieser Erweiterungsbau umfasst drei Hauptstockwerke und einen markanten Turm. Im Innern finden sich in den Korridoren und bei den Türeinfassungen feingliedrige Verzierungen. An der Steintafel mit den Worten Herders «Licht, Liebe, Leben», oberhalb der Eingangstreppe, sind inzwischen viele Generationen von Schülerinnen und Schülern des «Affenkastens» vorbeigezogen. Den Ursprung dieses traditionellen Spitznamens kennt man übrigens nicht genau, und bei den heutigen Jugendlichen hört man ihn kaum mehr. Nachdem die Schule inzwischen auf nahezu 1700 Schülerinnen angewachsen und die Suche nach weiteren Räumlichkeiten unausweichlich geworden war, kam es 1959 zur Teilung in ein Mädchengymnasium I (später Gymnasium am Kohlenberg) und ein Mäd16

chengymnasium II (später Holbeingymnasium). Letzteres bezog damals einen Neubau auf der gegenüberliegenden Seite an der Kanonengasse. Für den Sportunterricht stand dort im hinteren Hofbereich zudem eine neue Doppelturnhalle zur Verfügung. Dass beim neuen Schulhaus bei den Baukosten massiv gespart wurde, zeigte sich früher als erwünscht. Einer der Nachteile war die Ringhörigkeit der Zimmer, was sich beispielsweise während schriftlichen Arbeiten als sehr störend erwies. Auch war das Lehrkräftezimmer für das anwachsende Kollegium viel zu klein bemessen. Ein sehr erfreulicher Aspekt war hingegen der 1961 erfolgte Einbau eines von Otto Staiger geschaffenen monumentalen Glasbildes als Schmuck der Pausenhalle. Auch in diesem Schulhaus stellte sich bald der Raummangel ein. Abhilfe schufen das 1966 einer Gesamterneuerung unterzogene kleine Leonhardsschulhaus an der Kanonengasse 1 und später vorübergehend das Spalenschulhaus am Cityring. Während Jahrzehnten symbolisierte das lichtdurchflutete Glashaus für die am Holbeingymnasium tätigen Lehrkräfte Aufbruch, Offenheit und Reformfreude. Gegenüber der Schwesterschule am Kohlenberg kam es im Laufe der Zeit zu einer erkennbaren Abgrenzung, begründet unter anderem durch die eintretende Konkurrenzierung zwischen den Maturtypen und einem auf wenig Gegenliebe stossenden Fusionsvorschlag in den 1970er-Jahren. So taten sich einige Lehrkräfte auch schwer, als 1997 mit der Reduzierung der Gymnasialzeit auf fünf Jahre die Zusammenlegung der beiden Standorte zu einem gemeinsamen Gymnasium Leonhard die geeignetste Lösung schien. Mit dieser Verschmelzung gingen aber verschiedene bauliche und weitere schulische Veränderungen einher. Die beiden kleinen Turnhallen und das «Dependenzgebäude» an der Leonhardsstrasse mussten einem grosszügigen roten Sandsteinbau weichen, der neben der WBS Leonhard auch Räume für die naturwissenschaftlichen Fächer des Gymnasiums Leonhard beherbergt. Mit dem Bau einer grossen, modernen Mehrfach-Turnhalle ging zudem ein alter Wunsch der Sportlehrkräfte in Erfüllung. Aber auch die Gebäude der beiden ehemaligen Gymnasien erlebten einen Wandel. Das Holbeingymnasium wurde zur WBS Holbein, und im ehemaligen Gymnasium am Kohlenberg wurden etappenweise bauliche Veränderungen durchgeführt. Zu erwähnen sind die Umwandlung der alten Aula in eine Mediothek, der Ausbau des Dachstockes für Schulzwecke, der Einbau eines Lifts und die Schaffung einer Cafeteria. Dafür, dass die Schulgebäude von 1884 und 1906 über alle Jahre nichts von ihrer besonderen Ausstrahlung und ihrem unverwechselbaren Charakter eingebüsst haben, waren nicht zuletzt die Hauswartfamilien besorgt, welche mit Geduld, Verständnis, Engagement und der notwendigen Hartnäckigkeit das schöne Erbe bis heute gepflegt haben. 17

Aus einem Zeitungsartikel vom 15. April 1906 zur neuerbauten Töchterschule auf dem Kohlenberg, archiviert im Staatsarchiv Basel-Stadt: «Der Neubau der Töchterschule am Kohlenberg, der schon äusserlich einen bedeutenden Eindruck hervorbringt, ist auch im Innern ein mit liebevoller Sorgfalt künstlerisch ausgestattetes Meisterwerk moderner Schulpaläste. Man darf dieses Wort hier wirklich gebrauchen, ohne zu übertreiben. […] Das Licht ist, mit Ausnahme des Zeichnungssaales, wo Auerbrenner installiert sind, elektrisch.» «Auch die Korridorwände haben Bilderschmuck erhalten, einestheils treffen wir hier die vom Kunstwart herausgegebenen Meisterbilder, anderseits begegnen wir einer ausgezeichneten Auslese von Photographien, die berühmte Bilder grosser Meister der Plastik und Malerei umfasst. Die Schülerinnen können an diesen ihren Geschmack bilden und man wird denjenigen, welche die Auswahl getroffen haben, umso mehr Dank wissen, als sie vollständig von jenen süsslich-sentimentalen Bildern abstrahiert haben, die sonst Backfische als ‹himmlisch, nuggisch, nuggetetisch› bezeichnen.» «Im Rektorzimmer erblicken wir neben den gewöhnlichen Utensilien ein Stadtund ein Haustelephon. Dieses ermöglicht dem Rektor, von seinem Zimmer aus in alle Räume zu telephonieren.» «Der Turm dient drei Zwecken. Er bildet den Zugang zu den zwei bereits erwähnten, über dem Dachfirst liegenden Terrassen, welche behufs Vornahme von Orientierungsübungen von der Lehrerschaft gewünscht wurden. Dann dient er zur Aufnahme einer Uhr mit Kontaktwerk zum Läuten der Pausenzeichen, und schliesslich ist er zur Belebung der Silhouette erforderlich.» «Man mag nun das neue Töchterschulgebäude betrachten von welcher Seite man will, so wird es in seiner vornehmen Schlichtheit auf den Beschauer nie seine Wirkung verfehlen. Mit ihm hat Basel ein Werk erhalten, das für die Schulfreundlichkeit von Behörden und Volk ein schönes Zeugnis ablegt.» Ernest Menolfi Bibliografie: Rathschlag betreffend Ankauf eines Bauplatzes für die Töchterschule. Dem Grossen Rath vorgelegt den 8. Mai 1882. Rathschlag betreffend den Bau einer Töchterschule an der Kanonengasse. Dem Grossen Rathe vorgelegt den 9. October 1882.

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«WÄHREND MEINER SCHULZEIT WAR DER KRIEG» Erster Weltkrieg (1914 – 1918)

«Der Ausbruch des Krieges und die schwere Erkrankung mehrerer Lehrer erschwerten, besonders in den Sommermonaten, den regelmässigen Betrieb des Unterrichts. Neun Lehrer standen für kürzere oder längere Zeit unter den Waffen. Die Räumlichkeiten der Unteren Töchterschule wurden zweimal während einiger Tage für die Unterbringung von Soldaten in Anspruch genommen. Die Obere Töchterschule dagegen verlor keinen Unterrichtstag.» 1 Mit diesen Worten wurde im Jahresbericht des Schuljahres 1914/15 des gerade ausgebrochenen Ersten Weltkriegs gedacht. Basel wurde vom Krieg völlig unvorbereitet getroffen. V.a. in den ersten Augusttagen 1914 herrschten in der Bevölkerung schlagartig Angst und Unsicherheit. Das wirtschaftliche Leben geriet ins Stocken. Allgemein herrschte Not im Leben vieler Baslerinnen und Basler. Die eingezogenen Soldaten erhielten keinen Verdienstausfall, Lebensmittel und Brennstoffe wurden teurer. 1916 richtete man Volksküchen ein. 1917 fehlte es in der ganzen Schweiz an Kohle, denn in der Kohlenversorgung war das ganze Land von Einfuhren aus Deutschland abhängig. Auch in Basel kam es zu Engpässen, was auch die Töchterschule zu spüren bekam: «Weil die Kohlen in der Schweiz anfingen knapp zu werden, mussten die Weihnachtsferien bis zum 4. Februar verlängert und vom Oktober ab ein Winterschulbetrieb eingerichtet werden, durch den der Samstag schulfrei wurde und der übrige Unterricht sich in den Stunden zwischen halb 9 und halb 5 Uhr mit zweistündiger Mittagspause abwickelte. Das bedeutete für unsere Schule eine ganz neue Stundenverteilung, indem auf den Vormittag nur vier Lektionen zu 45 Minuten, auf den Nachmittag drei verlegt werden mussten. Auch der Mittwochnachmittag wurde für den Unterricht in Anspruch genommen. Es hat sich nach übereinstimmender Ansicht unserer Lehrer gezeigt, dass diese Zusammendrängung des Unterrichts verbunden mit einer starken Belegung der Nachmittage [...] auf die Leistungen der Schülerinnen einen vermindernden Einfluss ausübt. Doch fügte man sich eben der Notlage. Die Untere Töchterschule wurde ausser der langen Winterferien noch zweimal, im September und November, zu je 14-tägigen Ferien gezwungen, weil das Militär unser Schulhaus in Anspruch nahm. Die Arbeitszeit war daher hier eine recht beschränkte.» 2 Kohlenknappheit wirkte sich aber nicht nur auf den Schulalltag aus, sondern auch auf die besonderen Schulanlässe. So musste in den Schuljahren 1917/18 und 1918/19 die Schlussfeier in der Aula stattfinden, da die Schule die Pauluskirche nicht heizen lassen 1 Jahresbericht (JB) 1914/15, S. 8. 2 JB 1917/18, S. 6. 19

durfte. Auch die Schulausflüge hatten unter dem Krieg zu leiden. Schon in den Jahren zuvor wurden sie eingeschränkt, doch im Schuljahr 1917/18 durften nur noch die Basler Tramverbindungen und die der Birsigtalbahn benutzt werden. Nur die drei obersten Klassen durften für ihre zweitägigen Ausflüge die «mit Dampf betriebenen Bahnen» 3 nutzen. Im darauffolgenden Schuljahr wurden die Schulausflüge gänzlich auf Wanderungen im nahen Jura beschränkt. Auf die oben erwähnten Massnahmen der Einschränkung der Schultage folgten weitere. Im Jahresbericht 1917/18 ist erstmals davon die Rede, dass während des Winters Schulsuppe verteilt wurde. 100 Schülerinnen benützten diese Einrichtung in diesem Schuljahr. Im Folgejahr waren es dann nur noch 30 Schülerinnen im Sommer und 55 im Winter, was im Jahresbericht wie folgt kommentiert wurde: «Ob in dieser Tatsache schon das Kriegsende und eine gewisse Erleichterung der Ernährungslage erkenntlich ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Trotzdem bei Abschluss des Berichtes die Friedensprojekte vorliegen, steht es ja noch nicht fest, ob wir in den nächsten Jahren, wenigstens in der Schule, mit ruhig fortschreitender Arbeit rechnen dürfen.» 4 Obwohl in den Jahresberichten der Krieg mehrheitlich als Störfaktor für den Unterricht dargestellt wird, ist davon auszugehen, dass diese grosse Gefahr so nahe vor der eigenen Haustür, auch sehr auf die Stimmung gedrückt hat. So wird im Jahresbericht 1917/18 erwähnt, dass «mit der Dauer des Krieges [...] unsere Sehnsucht nach normalen Zuständen [wächst]. Alles ist in diesem Jahre knapper geworden, alle Anschaffungen schwieriger. Aber wir werden uns wohl nur auf weitere und grössere Schwierigkeiten und Einschränkungen einrichten müssen.» 5 In diese Zeit fällt auch eine weitere Katastrophe: Die Spanische Grippe. In Basel erkrankte ein Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner an ihr, und viele Menschen starben. Auch für die Töchterschule bedeutete die Grippe einen «tiefen Eingriff in die Schularbeit». 6 Der Schulbetrieb war unregelmässig, «da der Grippe wegen die Absenzen der Schülerinnen zeitweise auf 200 (von 1162 Schülerinnen), die der Lehrer und Lehrerinnen auf 12 gleichzeitig anstiegen». 7 3 JB 1917/18, S. 6. 4 JB 1918/19, S. 10. 5 JB 1917/18, S. 9. 6 JB 1918/19, S. 7. 7 Ebd. 20

Der Krieg wirkte sich selbst nach seinem Ende weiter auf die Schule aus: «Auch an unsere Schule traten im vergangenen Schuljahr mancherlei Anforderungen um Hilfeleistungen heran. So wurde neben der alljährlichen Suppenkollekte u.a. eine Sammlung für ein Ferienheim von Wiener Mittelschülern, für Schweizerkinder im Ausland und eine Kleidersammlung für Budapester Kinder veranstaltet. Ausserdem wirkten von unsern Schülerinnen viele mit beim Verkauf der Lose für die Nationalspende. Der Ertrag des Schülerinnenkonzerts, das unter der Leitung des Herrn Menet noch im März 1919 veranstaltet wurde, fiel grösstenteils der ‹Ferienversorgung› zu.» 8 Zweiter Weltkrieg (1939 – 1945)

Basels geografische Lage hatte auch im Zweiten Weltkrieg Auswirkungen auf die Bevölkerung, denn dank der Nähe zu Deutschland bestanden zahlreiche private und wirtschaftliche Verbindungen. Im Jahre 1935 besassen zehn Prozent der Basler Bevölkerung einen deutschen Pass! Trotzdem war Basel der nationalsozialistischen Diktatur gegenüber klar ablehnend eingestellt. Als Mitte März 1933 erstmals eine Hakenkreuzfahne am Hauptgebäude des Badischen Bahnhofs gehisst wurde, kam es zu strassenschlachtähnlichen Auseinandersetzungen, nachdem einige antifaschistische Basler erfolglos versucht hatten, die Flagge zu entfernen. Nach dem Ausbruch des Krieges war die militärische Bedrohung für Basels Bevölkerung eine ständige Begleiterin. Umso mehr war man darauf bedacht, die eigene nationale Unabhängigkeit zu demonstrieren. Öffentliche Feste und Feiern zum 1. August, zum 1. Mai oder auch der Besuch von General Henri Guisan boten sich dafür förmlich an. Doch musste man sich auch militärisch schützen. So wurde die Stadt direkt nach Kriegsausbruch provisorisch durch Barrikaden an den Grenzübergängen und auf den Rheinbrücken befestigt. Als Hitlers Truppen 1940 Frankreich überrannten – ein Ereignis, das in Basel eine eigentliche Massenpanik auslöste – änderte die Schweizer Armee ihre Verteidigungsstrategie. Sie zog sich in die Voralpen und Alpen (in das sogenannte Réduit) zurück und erklärte Basel zu einer offenen Stadt, was bedeutete, dass sie im Kriegsfall nicht mehr hätte verteidigt werden sollen. Dies führte bei der Bevölkerung zu einer grossen psychischen Belastung. Wie sich der Zweite Weltkrieg auf die mittlerweile zum Mädchengymnasium umbenannte Töchterschule auswirkte, lässt sich im Jahresbericht der Schuljahre 1938/39 bis 1940/41 nachlesen. Rektor Gessler blickt schweren Herzens auf die drei Jahre zurück: «Es fällt schwer, wie in normalen Jahren seine Bücher, Chroniken, Tabellen drei Jahre 8 JB 1919/20, S. 8.

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zurückzublättern und daraus nach dem üblichen Schema einen Dreijahresbericht zusammenzustellen. Drei Jahre! In was für friedliche Zeiten reicht das zurück! Seither ist halb Europa äusserlich und innerlich zusammengestürzt.» 9 Schon vor Kriegsausbruch war etwas in der Luft. Eine Reihe von Lehrern musste sich im Mai 1939 einem Landsturmwiederholungskurs unterziehen. Am 26. Mai marschierten sie, auf die verschiedenen Territorialbataillone verteilt, durch die Freie Strasse, dieses Mal «im Bewusstsein drohender Gefahr». 10 Und dann wurde es ernst: «Am Abend des 29. August wurde bekannt, dass die bei den Grenztruppen Waffenpflichtigen unter uns alles unbesehen liegen lassen, sich auf ihre Sammelplätze zu begeben und im weiteren nach Befehlen von oben zu handeln hatten. Eine beträchtliche Anzahl von Lehrern musste einrücken; vom Stabe der Schule der Rektor, der Konrektor, der Konferenzpräsident und der Abwart.» 11 Glücklicherweise sprang der Altrektor Paul Burckhardt ein, so dass die Schule nicht führungslos wurde. Die vielen Ausfälle seitens der Lehrer wurden kreativ gelöst, so kamen pensionierte Lehrer zurück oder Universitätsprofessoren sprangen ein. Doch auch Schülerinnen wurden zu Mobilität gezwungen: «Einquartierung überschwemmte das Haus. 14 Klassen mussten auslogiert werden: 13 fanden in der neuen Universität Aufnahme [...]. 50 Schülerinnen waren geflüchtet.» 12 Als am 10. Mai 1940 der Überfall Deutschlands auf Frankreich erfolgte, rief man erneut zur Generalmobilmachung auf. Erschwerend für den Schulbetrieb wirkte sich die in Basel ausgebrochene Massenpanik aus: «[...] nun setzte die grosse Flucht aus Basel ein; in einem gewissen Zeitabschnitt waren bis 40% der Schülerinnen evakuiert. Es kamen die Nächte, wo die Stellungen in Kleinbasel kriegsmässig besetzt waren, wo Züge motorisierter Truppen nach Basel hineinrasselten, und schliesslich die Kanonaden in unserer nächsten Nachbarschaft, aus der das Heulen und die Detonationen der Geschosse zu uns drangen. Und es kam der erschütternde Zusammenbruch eines grossen Nachbarvolkes. Aber trotz aller Aufregung und obwohl Basel einer Festung glich, war es wie bei der ersten Mobilisation mehreren Lehrern möglich, neben ihrer militärischen Tätigkeit eine Anzahl ihrer Stunden im feldgrauen Kleide zu erteilen. Sie haben wohl selten so dankbar und mit so viel Inbrust Schule gehalten wie damals.» 13 9 JB 1938/39 bis 1940/41, S. 7. 10 Ebd. 11 JB 1938/39 bis 1940/41, S. 8. 12 Ebd. 13 JB 1938/39 bis 1940/41, S. 9. 22

Auf diese turbulente Zeit folgte eine, in der der Schulalltag mehr oder wenige planbar wurde, da Militäreinsätze der Lehrer im Voraus angekündigt wurden und Vertretungen nun in Ruhe geregelt werden konnten. Rektor Gessler lobte die Schülerinnen. Diese hätten sich «in den bewegten Zeiten, da unser Schulhaus von Soldaten wimmelte» nicht nur gut gehalten, «sondern [...] während langer Monate regelmässig viel freie Zeit geopfert [...], um in der bei uns eingerichteten Soldatenküche beim Obst- und Gemüserüsten zu helfen» 14 . Doch schon bald wurde an der Schule Krieg zum Alltag, die Schülerinnen schienen sich der Gefahr nicht mehr bewusst. Rektor Gessler hoffte, dass die Rütlifahrten und die Bundesfeiern des Sommers 1941 den «Ernst der Stunde» in den Schülerinnen wieder wach rufen würden. Ein weiteres Fest war die 600-Jahr-Feier der Schlacht bei St. Jakob am 22. August 1944, als die gesamte Schule einen Ausflug auf die «schöne Waldwiese der Sichteren ob Liestal» unternahm. «Dort [...] lagerte sich die tausendköpfige Schar wie eine grosse Familie und nahm bei prächtiger Aussicht in die historische Landschaft eine eindrückliche Geschichtsstunde entgegen, sang gemeinsam und rief durch Sprechchöre der grossen und lebensvolle Aufführungen der kleinen Schülerinnen Bilder aus der Schweizergeschichte vor das äussere und das innere Auge. Noch nie vielleicht hat sich die grosse Schule so sehr wie damals als eine Einheit erlebt und an ihrem Dasein und ihrer Vielgestaltigkeit sich gefreut.» 15 Zum Schluss sollen noch drei ehemalige Schülerinnen zu Wort kommen. Eine von ihnen erinnert sich, wie ab dem Tag der schweizerischen Generalmobilmachung die elsässischen und badischen Mitschülerinnen nicht mehr in die Schule kommen durften. Weiter berichtet sie, dass ihre Klasse G5b durch eine Aushilfslehrerin für Französisch dazu motiviert wurde, eine Patenschaft für ein kriegsgeschädigtes Kind einzugehen (monatlich Fr. 10.–). (Erinnerung K.G.) Eine zweite Erinnerung knüpft an die kriegsbedingte Abwesenheit von Rekor Gessler an: «Als das ganze Schulhaus Stunden schwänzte: Rektor Gessler war im Militärdienst, er wurde vertreten durch Altrektor Burckhardt [...]. Manchmal wurden Wähentage für die stationierten Soldaten organisiert. Die Wähen wurden von den Schülerinnen gestiftet. Wohl zum Dank für diese willkommene Menu-Abwechslung trat eines Tages die Militärmusik im Schulhof an und spielte für die Schülerinnen, die selbstverständlich

14 Ebd. 15 JB 1941/42 – 1945/46, S. 9.

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unverzüglich die Schulzimmer verliessen. Als dann der Trupp unter Musik davon marschierte, folgten die Schülerinnen bis zur Uni, wo nochmal gespielt wurde. Es gab ein Nachsitzen, wenn ich mich richtig erinnere.» (Erinnerung S.W.) Der Beginn des dritten Zitats ist gleich zum Titel dieses Ausstellungspostens geworden: «Während meiner Schulzeit war der Krieg und an der Schule herrschte ein patriotische Stimmung. Anno 41 hat man Jubiläum gefeiert und man ging aufs Rütli. Die meisten Mädchen wollten eine Tracht, auch ich. Man hat in der Pfadi, wo ich auch war, auch Aufgaben bekommen, es kamen nämlich Emigrantenkinder, diese musste man betreuen. Wir haben ganz fest an unsere Armee und unsere Soldaten geglaubt und irgendwie war der Krieg für mich, muss ich sagen, interessant.» (Erinnerung L. D.) Jelena Stefanovic

Bibliografie: Berner, Hans et al.: Kleine Geschichte der Stadt Basel. Stuttgart 2008. Haumann, Heiko et al.: Orte der Erinnerung. Menschen und Schauplätze in der Grenzregion Basel 1933 – 1945. Basel 2008. Jahresberichte der Schuljahre 1914 – 1920 und 1938 – 1946 (Archiv Gymnasium Leonhard).

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«UNVERGESSLICHE» TAGE Kulturelle Veranstaltungen und besondere Schulanlässe heute

Heute darf sich das Gymnasium Leonhard der Tatsache rühmen, dass Kultur zum Herzstück der Schule gehört. Das Kulturprogramm besteht aus Auftritten des schuleigenen Sinfonieorchesters, unserer Chöre und der Leo-Band, aber auch aus literarischen Lesungen, philosophischen Kaffees, Tanzdarbietungen und Theateraufführungen. Letztere sind bei jeder Klasse im vorletzten Schuljahr fest im Terminkalender verankert. Weiter lösen unsere Frühlingskonzerte, bei denen Chor und Orchester gemeinsam ein abendfüllendes Programm präsentieren, regelmässig Begeisterung aus. Grössere kulturelle Projekte werden alle paar Jahre in Angriff genommen, so z.B. unser Musiktheater «Der falsche Tod» oder die Jugendoper «Die sieben Raben». Auch sei hier das im April aufgeführte Jubiläumskonzert mit Stücken von ausnahmslos Komponistinnen erwähnt. Besondere Schulanlässe zählen bei uns zum Alltag. Zu diesen gehören die Projektwoche in der 1. Klasse, die Studienwoche in der 2. Klasse, die «Jokerwoche» für 3., 4. oder 5. Klassen, die als Ergänzung zum Unterricht z.B. auch mal nach Berlin führen kann und für besonders initiative Klassen gedacht ist, sowie die Theaterwoche in der 4. Klasse, die intensive Proben für die Theateraufführung ermöglicht, das 2-wöchige Berufspraktikum am Ende der 4. Klasse und schliesslich die Kulturreise, die sowohl als Abschlussreise dient als auch den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gibt, im Klassenverband fremde Kulturen, Städte und Gegenden zu erkunden. 1 Natürlich gehören die eintägigen Ausflüge, die Sportstage, die Sommersport- und Wintersportlager auch zu den Anlässen, die in unserem Schulalltag nicht mehr wegzudenken sind. Wirft man zeitlich einen Blick zurück, merkt man, dass dieses variationsreiche Angebot nicht einfach aus dem Nichts entstanden, sondern von Jahr zu Jahr gewachsen ist. Besondere Schulanlässe und kulturelle Veranstaltungen damals Schulspaziergänge und Schulkolonien

Die Jahresspaziergänge wurden im Schuljahr 1901/02, als sie zum Schloss Wildenstein, nach Bad Bubendorf, Ramsach, zur Frohburg, zur Farnsburg, auf den Hohentwiel, zum Rheinfall, auf die Wengernalp und nach Interlaken führten, bereits als «üblich» bezeichnet. Es scheint also schon damals zur Tradition gehört zu haben, jedes Jahr einen ein- bis zweitägigen Ausflug mit allen Klassen zu organisieren.

1 Siehe Informationsbroschüre des Gymnasiums Leonhard,

www.gymnasium-leonhard.ch/schule/informationsbroschure, 29.3.2013. 25

Im selben Winter konnte der «eintönige [...] Schulbetrieb» eine «angenehme Abwechslung» erfahren, «indem an vier Nachmittagen die Schule eingestellt und die Schülerschaft hinausgeführt wurde auf die Eisbahnen Basels und seiner Umgebung oder an die steilen Abhänge des Jura, um sich im Schlittschuhlaufen und im Schlitteln zu üben. [...] Diese turnerischen Leistungen der vortrefflichsten Art in freier, frischer Luft ersetzen reichlich den Ausfall an Unterrichtsstunden.» 2 Man war jedes Jahr bemüht, Schulausflüge zu organisieren, die die Schülerinnen etwas weiter als in die Region führten. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, musste wegen Kohlenmangel jedoch auf weitere Reisen verzichtet werden (siehe Text «Während meiner Schulzeit war der Krieg»). Doch auch nach dem Krieg galt es, sich anzupassen: «Die Schulausflüge mussten auch diesmal wieder in bescheidenem Rahmen gehalten werden, da die Bundesbahnen wegen der Kohlenknappheit keine Schulen zu befördern wünschten und deshalb auch keine Fahrpreisreduktion bewilligten. So mussten wir ganz darauf verzichten, unsern obersten Klassen auf einer zweitägigen Reise einen Einblick in die Alpenwelt zu geben und uns auf Juratouren beschränken. Der schöne Versuch des Vereins ehemaliger Töchterschülerinnen, unserer Schule einen Reisefonds zu verschaffen, um die Ausgaben für diese Fahrten doch etwas zu verkleinern, hatte bisher einen ganz unzulänglichen Erfolg, trotzdem der Verein an alle gegenwärtigen und alle erreichbaren ehemaligen Schülerinnen die Bitte um Beiträge gerichtet hatte. Die Zeit ist eben ungünstig für solche Sammlungen, und man hat sich in den Basler Schulen gewöhnt, alles von der Hand des Staates entgegenzunehmen.» 3 Im Sommer 1920 war Basel vom natürlichen Umland im Elsass und Baden isoliert, die Grenzen waren damals noch hermetisch verschlossen, und wegen der «heftig auftretenden Viehseuche» 4 war man auch von der Schweizer Nachbarschaft abgeschlossen, so dass die Schulspaziergänge auszufallen drohten. Sie wurden dann glücklicherweise in den Wintermonaten nachgeholt. Während des Zweiten Weltkriegs hat man etliche Spaziergänge ausfallen lassen müssen, denn «nach so viel Störungen und Arbeitsausfall» konnte man sich nicht dazu entschliessen, «durch einen Ausflug wieder Beunruhigung und Unterbrechung zu

2 Jahresbericht (JB) 1906/07, S. 25. 3 JB 1919/20, S. 7 – 8. 4 JB 1920/21, S. 7 – 8.

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schaffen». 5 Trotzdem versuchte man, die üblichen Spaziergänge durchzuführen, aus Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage hat man sich aber, was Reiseziel und Kosten betraf, etwas eingeschränkt. Bei einem Ausflug in der 2. Hälfte der 40er-Jahre passierte etwas «Unvergessliches». Eine ehemalige Schülerin erzählt: «Frl. Lore Koegler war mir stets zu kompliziert, doch ich staunte, als sie mich auf einem Schulausflug unerwartet ansprach mit der Frage ‹Lotti, wie kochen Sie Artischocken?› und ich gab ihr unser Hausrezept. Ja, das war auf dem Napf, wo wir uns arg verliefen und die grösste Mühe hatten, wieder einen Pfad zur SBB zu finden. Doch jener Ausflug ist für mich unvergesslich, denn dort sah ich zum ersten Mal einen prächtigen Frauenschuh.» (Erinnerung C.S) Eine andere Schülerin erinnert sich an einen dreitägigen Ausflug auf die Goppisbergeralp im Sommer 1951: Da das Bähnli kaputt ging, musste die ganze Klasse den Mast hinunterklettern. Die Mädchen kamen darum zu spät in der reservierten Herberge an und verloren ihren Platz. Die sich erinnernde Schülerin hatte in der Umgebung Bekannte; auf ihr Bitten durfte die Klasse in deren Hütte übernachten. (Erinnerung L.K.) Eine weitere Schülerin erinnert sich an eine Schulkolonie: «Im Jahre 1948 verbrachten wir mit unserer Parallelklasse, mit Dr. H.P. Müller und mit Rektor Gessler, zehn Tage in einem gemütlichen Chalet in Kandergrund. Tagsüber gingen wir in Gruppen durch die herrliche Natur, lernten Bauern, Handwerker und Dorfbewohner kennen und erlebten die Lebensweise ausserhalb der Stadt. Nach dem einfachen Nachtessen wischten wir die Holztische sauber, holten unsere Liederbüchlein und sangen fröhlich Kanons und Volkslieder, meistens zweistimmig. Rektor Gessler begleitete auf der Gitarre und lehrte mich auch ein paar einfache Akkorde – es war eine glückliche Stimmung. Ein paar Wochen später kam eine Meldung in unsere Klasse : ‹L.E. um 9 Uhr 20 aufs Rektorat.› ‹Oh je› , dachte ich, ‹was habe ich wieder Dummes gemacht?› Schüchtern klopfte ich an die Türe – da sass der Rektor mit der Gitarre und sagte fröhlich, er wolle sehen, ob ich die Akkorde, die er mir gezeigt hatte, noch könne. Er, Dr. H.P. Müller, Dr. Häberli und andere Lehrer jener Generation haben uns gelehrt an den einfachen Werten des Lebens Freude zu finden.» (Erinnerung L. M.-E.) Im Jahresbericht 1946/47 – 1949/50 erläuterte Rektor Dr. Paul Gessler, was der Sinn und Zweck solcher Schulkolonien war, die seit 1944 in dieser Form jährlich in den 6. Klassen jeweils in den letzten beiden Wochen vor den Sommerferien stattfanden: «Für das Wichtigste an der Schulkolonie sehen wir an, dass hier von Schülerinnen 5 JB 1938/39 und 1940/41, S. 27. 27

und Lehrern so etwas wie die Urpflanze des Unterrichts wieder entdeckt wird: dass gearbeitet wird aus einem natürlichen und spontanen Interesse für eine Sache und nur um dieser Sache willen und in einer durch das gleiche Interesse zusammengehaltenen kleinen Gemeinschaft. [...] Alles Unwesentliche, das in der Schule meist so furchtbar überwuchert, wie Noten, Probeblätter [...] fällt hier weg. Auch die Schülerinnen sind durchaus imstande, das zu erkennen; ja, es gibt vielleicht etliche, denen hier zum erstenmal aufgeht, was die Schule eigentlich mit ihnen will.» 6 Im Juni 1966 ging die Klasse 6a nach Ausserberg im Wallis in die Kolonie. Eine Schülerin erinnert sich: «Dort wurde intensiv gearbeitet. Themen wie Familienforschung, Arbeit der Bauern und Botanik der Alpwiesen, aber auch Wanderungen auf der Lötschberg-Südrampe standen auf dem Programm. Speziell eindrücklich war die Expedition entlang der Wasserfuhre – Bisse – ins Baltschiedertal. Der Weg ging über Stock und Stein und schmale Planken und zwang uns zur Überwindung von Höhenangst. Auch eine abenteuerliche Fahrt ins Lötschental im VW-Käfer des Pfarrers [...] von Ausserberg habe ich noch präsent. Bei beginnendem Regen hielt der Wagen abrupt an. Herr Pfarrer stieg aus und ging ein Stück zurück. Mit dem davongeflogenen Scheibenwischerblatt kam er zurück und fuhr weiter [...] das passiere halt, erklärte er in aller Ruhe.» (Erinnerung J. S.-E.) Landdienst

In der Schweiz gab es zwar schon vor dem Zweiten Weltkrieg Landdienst, dies v.a. während der Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren. In Basel ist er aber vor allem ein «Kriegskind» 7. Als nämlich im Zweiten Weltkrieg alle wehrpflichtigen jungen Männer einberufen wurden, fehlte es auf dem Land an Arbeitskräften. Schülerinnen und Schüler sowie Freiwillige sprangen ein. 8 Am Mädchengymnasium wurde der Landdienst im Jahre 1942 eingeführt, also schon bevor man ihn 1944 für Schulen obligatorisch erklärte. 1946 wurde die Landdienstpflicht wieder aufgehoben; umso erfreulicher empfand man die Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Schülerinnen des Mädchengymnasiums auch nach dem Krieg für den Landdienst entschied. Der dreiwöchige Landdienst fand in den letzten zwei Wochen vor den und in der ersten Woche der Sommerferien in der 7. Klasse statt. Ausgewählt wurden meist Höfe in Basel-Stadt und Basel-Land, schliesslich hatte man als Schule 6 JB 1946/47 – 1949/50, S. 11. 7 JB 1946/47 – 1949/50, S. 13. 8 www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/Jonas_Bauer_fuer_zwei_Wochen.html?cid=30913784, 3.4.2013. 28

durch die Organisation des Landdienstes auch die Verantwortung für die Schülerinnen übernommen und wollte sie nicht allzu weit wegschicken. Die Schülerinnen, die nicht mitmachten (in der Regel 15 – 25%), wurden in einer sozialen Institution beschäftigt oder zu einer Klasse zusammengefasst und unterrichtet. Die Lektüre der Berichte, die von den Landdienstleistenden nach den Sommerferien verfasst wurden, war für Rektor Gessler «etwas vom Erquicklichsten im ganzen Jahre» 9 . Die meisten Teilnehmerinnen erzählten von einer guten Zeit auf den Bauernhöfen; es gab gar solche, die ihre ganzen Sommerferien dort verbrachten. Ein Mädchen schrieb: «Ich habe auf dem ...hof eine Heimat gefunden, und ich weiss, dass ich mich jederzeit wieder dorthin wenden kann.» 10 Ein anderes zeigte sich tief beeindruckt von der «einfachen Weisheit der Mutter» auf dem Hofe. 11 «Ich gäbe das, was ich im Landdienst gelernt hab, nicht her für zehn Sechser» 12 , meinte eine weitere Schülerin. So scheint es also, dass das Ziel des Landdienstes erfüllt wurde, nämlich die Mädchen «in eine Lebenssituation zu stellen, was in der Schule sonst kaum möglich ist, wenn man unter einer solchen Situation eine Lage versteht, die den Menschen als ein Ganzes in Anspruch nimmt, Hand, Herz und Kopf, die verlangt, dass er sich in eine natürliche Lebensgemeinschaft hineinfinde» 13 . Ein Mädchen schrieb z.B. in seinem Bericht, dass zwar «eine ganze Leistung» verlangt würde «aber man wird dafür auch als ganzer Mensch behandelt» 14 . Nicht ganz so positiv klingt jedoch die Erinnerung einer ehemaligen Schülerin: 1945 war sie in Herzogenbuchsee im Landdienst, bei reichen Bauern, die den Gasthof «Braui» betrieben. Anfangs musste sie immer abwaschen, bis sie durchsetzte, auch im Freien arbeiten zu dürfen. Auf dem Getreidefeld musste sie «Bändel» auslegen, mit denen dann die Garben gebunden wurden. Geschlafen wurde im Schulhaus, aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Unterkunft der Schülerinnen im Vorjahr. (Erinnerung L.D.) Die folgende Aufzeichnung aus den 1960er-Jahren stimmt wieder optimistischer: «Wenn das Erlebnis der Kolonie noch mit einem anderen verglichen werden kann, dann in erster Linie mit dem Landdienst. Der Unterschied zur Kolonie besteht hauptsächlich 9 JB 1946/47 – 1949/50, S. 14. 10 JB 1950 – 1954, S. 16. 11 Ebd. 12 JB 1954/55 – 1958/59, S. 14. 13 Ebd. 14 Ebd. 29

darin, dass hier noch mehr an das Einzelne appelliert wird. Zum ersten Mal leistet man eine Arbeit, die unmittelbar von einem Resultat gefolgt wird. Es ist sehr befriedigend, einmal mit den Händen arbeiten zu können: befriedigend auch, wenn man dann und wann feststellen kann, dass die Arbeit, die man leistet, eine einfach unentbehrliche Hilfe ist. Der Betrieb auf einem Bauernhof ist ein ganz exaktes Uhrwerk und für drei Wochen sind wir ein Rädchen davon. Die Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke, die ich von diesen drei Wochen heimbrachte, gäbe ich um nichts in der Welt her. Und wenn ich in etwa zwei Jahren die Schule verlassen werde, werde ich bestimmt daran denken, dass der Landdienst ein wesentlicher Schritt zur wirklichen Maturität, zum inneren ReifSein war.» (Tagebucheintrag M.-L. B.) Seit den 1970er-Jahren hat sich der ausserschulische Arbeitsdienst schrittweise verändert: Der Dienst wurde auf zwei Wochen gekürzt, den Schülerinnen und Schülern wurde die Wahl zwischen Landdienst, Sozialdienst oder einem Betriebspraktikum geboten, und das Obligatorium wurde eingeführt. Heute besteht der Dienst aus dem zweiwöchigen Berufspraktikum, welches in der vierten Klasse von allen Schülerinnen und Schülern absolviert wird. Skilager

Wie so Vieles, was im Schulalltag heute zum festen Repertoire gehört, scheinen auch die Skilager aus einem ausserordentlichen Engagement von Lehrpersonen heraus entstanden zu sein. So fanden in den Jahren 1935 – 1938 «freiwillige, nicht von der Schule, sondern von einzelnen Lehrern veranstaltete Wintersportlager an verschiedenen Alpenorten» 15 statt. Ende der 1940er-Jahre und Anfang der 1950er-Jahre waren die Skilager zum festen Bestandteil des Schuljahres geworden und fanden üblicherweise in der Woche vor der Fasnacht statt. In ihrer Organisation ähnelten sie schon damals der heutigen Form: Die Teilnahme an einem Skilager beruhte auf Freiwilligkeit, die daheimgebliebenen Schülerinnen wurden in Klassen zusammengenommen und von daheimgebliebenen Lehrpersonen unterrichtet. Jedes Lager wurde von Lehrpersonen und zusätzlichen Leiterinnen und Leitern begleitet, wobei man auf Studierende und ehemalige Schülerinnen angewiesen war.

15 JB 1935/36 bis 1937/38, S. 20 .

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Eine ehemalige Schülerin erinnert sich: «Unter Rektor Paul Gessler wurden die Skilager ins Leben gerufen. Zu Fuss ging‘s mit Fellen auf die Ibergeregg. Als eine der wenigen, die schon Skifahren konnten, war ich vom WC-Putzen etc. befreit und musste dafür zu Tal fahren, um Proviant zu holen und mit den Fellen zum Lagerhaus zu schleppen.» (Erinnerung L.D., redigiert) Eine weitere ehemalige Schülerin berichtet: «Von der 2. Klasse an durften wir Schülerinnen jährlich ins Skilager gehen. Welch ein Vergnügen, obwohl es selbstverständlich war, dass NIE ein Skilift benutzt werden durfte, auch wenn er nur 10 Meter von der Hütte entfernt war. (Mit unsern damaligen Skischuhen konnten wir eben noch bergauf fellen.) Die Hütten waren für heutige Bedürfnisse primitiv: WC mit Echo (Plumpsklo), Telefonbücher, an einer Schnur aufgehängt, als WC-Papier, Massenlager für die ganze Klasse. An den Abenden wurde beinahe non-stop gesungen, vom Lumpeliedli bis zu Studentenliedern. Daheim wurden dann die Texte in einem Liederbüchlein aufgeschrieben und mit Zeichnungen verziert. Natürlich machten wir auch Scharaden und Sketch-Aufführungen zum Gaudi aller Schülerinnen und Lehrer. (Erinnerung L.J., 1950er-Jahre) Maturreisen

Längere Abschlussreisen scheinen in den 1920er-Jahren in Mode gekommen zu sein. So ist im Jahresbericht 1927/28 davon die Rede, «dass die oberste Gymnasialklasse nach dem Maturitätsexamen eine äusserst genussreiche 13-tägige Reise unternahm, die sie nach Mailand, Genua, Sa. Margherita, Pisa, Florenz und Siena führte. Die Mittel waren von den Schülerinnen seit Jahren zusammengespart [...] worden.» 16 In diese Zeit fällt die Maturreise der Klasse R4 der Realabteilung nach München aus dem Jahre 1930. Gar in einer Tageszeitung wurde davon berichtet. Nachfolgend ein kurzer Ausschnitt daraus: «Vollzählig zogen wir in München ein, das uns in 7 kurzen Tagen unendlich viel zu sehen bot. Die ungetrübte Stimmung dieser Tage haben wir vor allem der trefflichen Leitung unserer Führerinnen Frl. A. St. und Fr. Dr. V. zu verdanken. Erfolgreich hatten sich die beiden Damen mit ganzer Kraft um die Vorbereitung und Durchführung der Reise bemüht. Wir dürfen schon gestehen, dass wir trotz unserem amtlichen ‹Reife›-Ausweis dem Grossstadtleben ziemlich hilflos gegenübergestanden hätten ohne die zielsichere Leitung und Fürsorge unserer selbstlosen Reisemarschallinnen.» 17

16 JB 1927/28, S.16. 17 H.B. R4, Zeitungsausschnitt (Leihgabe M.K.). 31

Die Klasse wurde in München von Dr. Gustav Meyer, «Bruder des Baselbieter Lehrerdichters Traugott Meyer» 18 betreut, der den Schülerinnen und den begleitenden Lehrerinnen durch seine «Stadtkundigkeit und genaue und kritische Kenntnisse der Münchner Kunstschätze [...] deren Studium zu einem grossen Genuss machte.» 19 Dies hinderte die Mädchen nicht daran, ein mehrseitiges, ironisch-humorvolles und doch liebevolles Gedicht über ihren «Meyer» zu schreiben. Nachfolgend die letzten Zeilen: «Aber jetzt ist ‹einsam› Mode und ich heule mich zu Tode; und mein armes Herze bricht, weil ich R4 habe nicht!!!» 20 Ende der 1930er-Jahre wurde die jährliche Abschlussreise der Maturitätsklassen ins Ausland Usus. Es handelte sich dabei um acht- bis zehntägige Reisen, die nach Italien oder Südfrankreich führten. 21 Eine Schülerin erinnert sich an ihre Maturreise in den 1950er-Jahren: «Auf der Maturreise im Jahre 1952 wurde unser Mathelehrer Lachenmeier im Tram in Rom bestohlen und blieb ganz ohne Geld zurück. Damit Herr Lachenmeier doch noch vernünftig durch die Maturreise kam, sammelten wir Schülerinnen Geld für ihn und liehen es ihm aus!» (Erinnerung L.K.) Auf der gleichen Maturreise, nun in Neapel, stahlen sich in einer Nacht alle Mädchen aus dem Schlafsaal und trafen sich mit Jungs, nur die brävste Schülerin blieb zurück. Als Herr Lachenmeier Schlafsaalkontrolle machte, machte er grosse Augen und musste die ganze Nacht auf die Mädchen warten. Konsequenzen gab es keine für dieses Fehlverhalten, aber die Mädchen wurden natürlich gerügt und entschuldigten sich auch bei Herrn Lachenmeier. (Erinnerung L.K.) Nicht weniger abenteuerlich erging es einer Klasse des MG II in den 1960er-Jahren auf ihrer Maturreise: «Frau Kessler und Dr. Stohler waren unsere Begleitung auf der Maturreise in den Herbstferien 1968. Da wegen des Einmarsches der Sowjets in die Tschechoslowakei (21. August 1968) die geplante Fahrt nach Prag nicht möglich war, wichen wir auf den Klassiker Mailand-Venedig-Ravenna-Florenz-Genua-Mailand aus. Am Bahnhof in Milano stiegen wir in einen kleinen FIAT-Bus. Der freundliche ‹Autista› 18 Ebd. 19 Ebd. 20 M.K. 21 JB 1935/35 und 1937/38, S. 20. 32

chauffierte uns sicher von Ort zu Ort und am Schluss durch den Feierabendverkehr wieder an den Ausgangsbahnhof. Dass auf dem letzten Abschnitt nur noch die Handbremse des Busses funktionierte, haben wahrscheinlich nicht alle Insassen mitbekommen.» (Erinnerung J.S.-E.) Auch in diese Zeit fällt eine interessante Diskussion. Zum ersten Mal wurde 1965 Griechenland zum Reiseziel einer Klasse. Es gab Stimmen im Umfeld der Schule und der Schulleitung, wegen der langen Anfahrt per Bahn – Flugreisen waren nicht erlaubt – künftig Reisen nach Griechenland zu verbieten. Dagegen führte Rektor Lajos Nyikos folgende Gründe an: «Gegen ein Verbot ist einzuwenden, dass eine Griechenlandreise heute nicht mehr teurer ist als z.B. eine Jugoslawienreise, ferner dass sich Griechenland wegen seiner Kunstschätze und seiner Landschaft ausgezeichnet für eine Maturreise eignet und schliesslich, dass hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung und insbesondere der Männer eine Griechenlandreise mit einer Mädchenklasse eher zu verantworten ist als eine Reise durch Italien. Wir haben Reisen nach Italien südlich von Rom in den letzten Jahren strikte ablehnen müssen.» 22 Theateraufführungen

Im Jahresbericht 1925/26 ist erstmals von Theateraufführungen die Rede, welche die Schülerinnen selbst inszeniert hatten: «Klasse R1 stellte unter Leitung von Fräulein Dr. Dietschy Tierfabeln nach Lafontaine dar, Klasse 1b unter Leitung von Fräulein Müller feierte auf Grund von Erzählungen und Gedichten ein Tierfest als Ergebnis der Behandlung dieses Gebietes im Unterricht. Die Klasse 1e von Fräulein Göttisheim gab die Ereignisse und Eindrücke des Schuljahres in französischer Sprache und teils in dramatischer Form wieder. Und schliesslich brachte G3, die Englischklasse des Herrn Dr. Merian, eine Szene aus Bernhard Shaws ‹Arms and the Man› englisch auf die Bühne. Solche Aufführungen, zu denen die Eltern eingeladen werden, erfordern natürlich viel Vorbereitungsarbeit, machen aber Schülerinnen auch viel Freude.» 23 Die Theateraufführungen schienen sich in den folgenden Jahren als Möglichkeit etabliert zu haben, Geld für die Abschlussreise zu sammeln. Dass dies nicht nur positive Folgen hatte, können wir im Jahresbericht des Schuljahres 1931/32 nachlesen. Zwar werden die «zahlreichen Aufführungen» (nicht weniger als acht) hochgelobt und als grosser Gewinn für die Schülerinnen betrachtet, doch wird kritisiert, dass für viele Schülerinnen der Gelderwerb zu sehr in den Vordergrund geraten sei. Auch hätte der Unterricht sehr unter den Proben für die Aufführungen zu leiden. Interessant ist, dass 22 JB 1959 – 1965, S. 43. 23 JB 1925/26, S. 9. 33

mit der Zeit gar «öffentliche Propaganda, Einladung der Presse oder Entsendung von Rezensionen, Inseratenwerbung für das Programm, Steigerungen des Eintrittspreises, Büffet oder Verkäufe während der Pausen» verboten werden mussten. 24 Auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurde eifrig Theater gespielt. Im Bericht über die Schuljahre 1938 – 1941 weist Rektor Dr. Paul Gessler darauf hin, dass sich die Theateraufführungen inhaltlich weiter entwickelt hätten: «Nachdem der kleine Vorrat an bescheideneren und doch einigermassen gehaltvollen Stücken erschöpft war, ist man dazu übergegangen, grössere und anspruchsvollere Sachen aufzuführen. Man kann das von verschiedenen Standpunkten aus anfechten: selbstverständlich stellt es eine geistige Überforderung dar, und eine künstlerisch gültige Ausführung ist nicht möglich, nur schon wenn man bedenkt, dass die Männerrollen von Mädchen gespielt werden.» 25 Andererseits, so Gessler weiter, würden die jungen Menschen durch ihre Rollen über sich selbst hinauswachsen. «Emilia Galotti», «Kabale und Liebe», «Die Räuber», «Viel Lärm um nichts», «The Importance of Being Earnest» sind nur einige der vielen in diesen Jahren aufgeführten Stücke. So sehr Rektor Gessler versuchte, Positives in Bezug auf die Theateraufführungen zu betonen, so musste er auch in diesen Jahren auf Negatives hinweisen. Er meinte, dass «an die schöne Sitte dieser Aufführungen, die sich im Laufe von anderthalb Jahrzehnten zu einer festen und eigenartigen Schultradition ausgewachsen hat, [...] sich gelegentlich allerhand Unsitten anzuschliessen versucht» haben. 26 Er sprach damit die «Nachfeiern» an, welche von Eltern der aufführenden Klassen organisiert wurden, in Privathäusern stattfanden und «immer regelmässiger auf die zweite Aufführung zu folgen pflegten, und zwar unmittelbar, so dass sie die Stunden vor und nach Mitternacht, oft bis zum Morgen, ausfüllten». 27 Als Folge mussten sich die Klassen vor Beginn eines Theaterprojektes bereit erklären, keine solche Einladung seitens der Eltern anzunehmen. Doch nicht nur daran störte sich Gessler: Eine ehemalige Schülerin erzählt, dass ihre Klasse im Oktober 1943 im Saalbau Breite das Stück «Jugend im Sturm» aufgeführt hat. Das Stück hatte einen französischen Autor. Weder dem Lehrer Wilfried Häberli, der die Aufführung leitete, noch sonst jemandem war bewusst, dass der französische Autor ein Kollaborateur war. Dass Rektor Gessler die Aufführung vorzeitig verliess, hatte denn auch einen anderen Grund: Die von Mädchen gespielten Liebesszenen waren ihm zu realistisch! (Erinnerung K.G.) 24 JB 1950 – 1954, S. 23. 25 JB 1938/39 bis 1940/41, S. 29. 26 JB 1938/39 bis 1940/41, S. 30. 27 Ebd. 34

Konzerte

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde von «Elitenkonzerten» gesprochen. Dies waren Konzerte des Schülerinnenchors und -orchesters, die unter der Leitung von Musiklehrpersonen der Töchterschule organisiert wurden, oft verbunden mit dem Sammeln von finanziellen Mitteln u.a. für Neuerungen im Schulhaus, z.B. 1905, als Geld für den Wandschmuck im Jugendstilanbau gesammelt wurde. Auch wurden regelmässig Hauskonzerte gegeben. Unser heute noch gepflegtes Weihnachtssingen im Gang vor dem Lehrpersonenzimmer hat auch schon eine längere Tradition: «Vor Weihnachten ist meist im Schulhaus Kurrende gesungen worden, zum Teil von Lehrern, die mit einer Klasse ein oder mehrere Lieder [...] einstudiert hatten und sie an verschiedenen Kreuzwegen unseres grossen Schulhauses vortrugen.» 28 Dazu folgender Kommentar von Rektor Gessler: «Es ist hoch erfreulich, dass heute, im Zeitalter der ‹Büchsenmusik›, noch so viel Hausmusik getrieben wird und dass so viele Schülerinnen neben ihrer Schularbeit und den hunderterlei Ablenkungen durch das Kultur- und Gesellschaftsleben einer Grossstadt noch die Zeit, die Energie und die Liebe zur Sache aufbringen, die es für ein ernsthaftes Musizieren braucht.» 29 Im letzten gedruckten Jahresbericht des MG I, demjenigen der Jahre 1959 – 1965, wird auf die wichtige Rolle der «Musischen Erziehung» verwiesen. Gesangsunterricht war am MG I nur in den ersten drei Klassen obligatorisch. «Alles, was darüber hinaus an unserer Schule musiziert wird – und es wird viel musiziert –, ist freiwillig und zusätzlich zum Pensum.» 30 Es war möglich im fakultativen Unterricht der Gesangseliten, im Orchester, in den Kammermusikgruppen und im alljährlich durchgeführten Musiklager. In diesen Jahren wurde auch jährlich im Winter ein traditionelles Elitenkonzert gegeben. Neben einfacheren Kompositionen wurden auch grosse und anspruchsvolle Werke dargeboten, so z.B. «Le Jeu du Feuillu» von Emile Jacques-Dalcroze, das zweimal, nämlich im Juni 1959 und im Mai 1980, im grossen Musiksaal des Stadt-Casinos szenisch aufgeführt wurde. Jelena Stefanovic

28 JB 1950 – 1954, S. 19-20. 29 JB 1950 – 1954, S. 20. 30 JB 1959 – 1965, S. 33.

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MÄDCHENSPORT Als Begründer der modernen körperlichen Ertüchtigung in Europa gilt «Turnvater» Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852). Bis der Turnunterricht allgemein anerkannt und in den Schulen eingeführt war, dauerte es jedoch Jahrzehnte. 1828 erschien in den «Mitteilungen zur Förderung des Gemeinwohls» der Aufsatz eines anonymen Verfassers, in dem er mit etwas ironischem Unterton den Mangel an körperlicher Erziehung beim weiblichen Geschlecht bedauerte. Er prangerte an, dass die Mädchen den ganzen Tag im Zimmer «eingegrenzt» wären und auch Anspruch auf Erholung hätten, welche das «Krummwerden» verhinderten. Weiter schrieb er: «Man wird doch keinen Turnplatz verlangen, auf dem auch das weibliche Geschlecht in Gefahr kommen soll, Hals und Bein zu brechen? Mit nichten. Klettern sollen unsere Mädchen nicht, über den Graben springen sie übrigens, wo wir es nicht verlangen. […] Aber hängen sollten sie sich, täglich einmal, am Reck nämlich.» 1 Dieser Ruf blieb vorerst ungehört. Wichtige Impulse zur Einführung des Frauenturnens und des Turnunterrichts an Schulen verdankt man dann Adolf Spiess (1810 – 1858), der in den Jahren 1844 bis 1848 in Basel unterrichtete und danach einem Ruf als Assessor des Studienrats nach Darmstadt folgte. Mit seiner musischen Begabung brachte er Freiübungen und tänzerische Elemente in den Unterricht ein, machte Basel zu einem Pionierkanton bezüglich des Schulturnens und beeinflusste nachhaltig die weitere Entwicklung des europäischen Frauenturnens. Seine Neuerungen wurden folgendermassen beurteilt: «Wenn das Turnen früher bei der Entwickelung einer einseitigen rohen Kraft sowohl des Leibes als des Geistes stehen blieb, so trat hier eine Weiterbildung desselben durch Spiess recht deutlich hervor, indem der ästhetische Charakter, die volle Harmonie jeder Bewegung und ganzer Reihen von Uebungen wahrnehmbar werden. Durch einfache, nützliche und schöne Uebungen erreichte Spiess eine harmonische Bildung des Leibes zu allerlei Brauchfertigkeit und Frische der Gesundheit». 2 Als im Mai 1845 Adolf Spiess auch an der Töchterschule zu unterrichten begann, wurde diese zur ersten Schule in der Schweiz, die das Turnen für Mädchen einführte. Bis zur offiziellen Anerkennung als Schulfach verstrichen allerdings noch einige Jahre. Der erste Turnplatz für Mädchen in Basel war die Wiese neben dem Stachelschützenhaus innerhalb des Stadtmauerrings auf dem Petersplatz. Als Turngeräte dienten Springseil, Ball und Schwebekanten. Um die Mädchen vor neugierigen Blicken zu schützen, war der Platz von einer eigens errichteten und grün gestrichenen Holzwand 1 Burckhardt, S. 63. 2 Kloss, S. 25. 36

umgeben. Dass die «Klassenlehrerinnen» den von einem Manne erteilten Unterricht überwachten, kann nicht weiter erstaunen. Im Winter fand der Turnunterricht im Saal der Schuhmacherzunft, später der Safranzunft statt. Damals gab es noch keine besondere Sportbekleidung, sodass der Turnunterricht in den Alltagskleidern stattfand, «sittsam lang und hoch geschlossen». 3 Im letzten Jahrhundert wurde es dann aber üblich, dass im Turnunterricht alle gleich gekleidet waren, zuerst mit langen Röcken, dann mit Pluderhosen («Pumphosen») und ärmellosem Oberteil. Diese kornblumenblaue Einheitskleidung stellten die Mädchen im Handarbeitsunterricht selber her. Die individuellere und damit auch im Handel erhältliche Sportbekleidung setzte sich erst in den 1960er-Jahren durch. Bis weit ins 20. Jahrhundert bestand der Turnunterricht für Mädchen in Freiübungen, im Hantieren mit einfachen Geräten (z.B. Holzstab, Wurfball) und dem Geräteturnen. Der Turnstab soll eine symbolische Weiterentwicklung des Exerzierens mit dem Gewehr sein, was bei dem früher stark vom militärischen Drill beeinflussten Turnunterricht nicht abwegig erscheint. Dazu passten schliesslich auch die im Taktschritt ausgeführten Marsch- und Formationsübungen. Unter dem Einfluss der englischen Sportbewegung wurden im 20. Jahrhundert vermehrt auch Ballspiel-Sportarten eingeführt (z.B. Korbball, Völkerball) sowie leichtathletische Disziplinen. Mädchen finden heute auch vermehrt Gefallen am Fussballspiel. «Übungen mit dem kleinen Handball. Die Schülerinnen üben zuerst in freier, zwangloser Weise, später geordnet auf Befehl. Der Ball wird senkrecht aufgeworfen. Um nach und nach einige Sicherheit im Fangen mit beiden Händen zu erzielen, sollen die Schülerinnen zu deren richtigen Haltung angeleitet werden. (Hände in Gesichtshöhe mit den Handwurzeln sich berührend, ein Handrücken dem Gesicht zugewendet). Im Anfang geschehe das Werfen nur mässig hoch.» (Aus: Schweizerische Turnschule für Mädchen, S. 52). Zum ersten Sportstag, 1929: «Zum ersten Mal wurde im Sommersemester 1929 der obligatorische Spiel- und Sportnachmittag für alle Klassen durchgeführt. An vier Nachmittagen von 4 – 6 Uhr wurden je zwei Abteilungen, die in Gruppen zerfielen, auf den beiden Plätzen beim Buschwilerhof und an der Pruntruterstrasse zu Turnübungen und 3 Flueler, S. 64. 37

Spiel vereinigt. Ein abschliessendes Urteil über den Erfolg der neuen Einrichtung lässt sich jetzt schon deshalb noch nicht gewinnen, weil sich in den ersten Monaten des Betriebes mancherlei Übelstände und Unvollkommenheiten noch nicht beheben liessen.» (Jahresbericht 1929/30, S. 8 – 9) «Die Klasse ist nicht koeduziert, was sich durch besondere Rauf- und Bewegungslust auswirkt. Die Mädchen wollen so gut sein wie Knaben und reagieren sich dann im Turnen ab. Sie werfen den Ball rücksichtslos mit voller Wucht gegen ihre Mitschülerinnen, und sie bearbeiten mit den Fäusten sämtliche Geräte. Leider sind die alten Turnhallen für die grossen Klassen (über 30 Schüler) viel zu klein.» (I.P., Bericht zum Schuljahr 1968/1969) Ernest Menolfi

Bibliografie: Burckhardt, Paul: Geschichte der Töchterschule in Basel besonders während der ersten Jahrzehnte ihres Bestehens. Beilage zum Bericht der Töchterschule 1905 – 1906. Basel 1906. Flueler, Elisabeth: Die Geschichte der Mädchenbildung in der Stadt Basel. 162. Neujahrsblatt. Herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige. Basel 1984. Kloss, Moritz: Die weibliche Turnkunst. Leipzig 1867. Lion, J.C.: Kleine Schriften über Turnen von Adolf Spiess. Nebst Beiträgen zu seiner Lebensgeschichte. Hof 1872. Schweizerische Turnschule für Mädchen. Verlag der Erziehungsdirektion. Zürich 1916. www.deutschebiographie.de: ADB-Artikel zu Spiess, Adolf.

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ALS DIE LEHRERINNEN STREIKTEN Wer das Gymnasium Leonhard vom «Ritter Georg» her kommend betritt, stösst in der Eingangshalle gleich zu seiner Rechten auf eine Gedenktafel der Bildhauerin Bettina Eichin. Das Werk entstand auf Anregung der Frauenliste Basel und wurde am 14. Juni 1999, dem achten Jahrestag des Schweizer Frauenstreiktags von 1991 und vierzig Jahre nach dem Basler Lehrerinnenstreik, feierlich enthüllt. Weshalb legten die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums am Dienstag, dem 3. Februar 1959, für einen Tag solidarisch die Arbeit nieder und brachten damit den gesamten Schulbetrieb zum Erliegen? Die Lehrerinnen streikten nicht etwa, weil sie damals gegenüber ihren männlichen Berufskollegen mehrfach benachteiligt waren: Sie erhielten weniger Lohn, und wenn sie heirateten, verloren sie ihre feste Anstellung sowie die Mitgliedschaft in der Pensionskasse und konnten bestenfalls als (noch) schlechter bezahlte Vikarinnen mit Jahresvertrag weiterbeschäftigt werden. Trotzdem wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen, für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zum Mittel des Streiks zu greifen. Anders verhielt es sich beim politischen Mitspracherecht der Frauen. In der eidgenössischen Volksabstimmung vom 1. Februar 1959 lehnten die Schweizer Männer das Frauenstimm- und -wahlrecht mit 66,2% ab. Auch im Kanton Basel-Stadt wurde die Vorlage mit 53,2% verworfen. Da die baselstädtischen Männer den Frauen zudem schon im Dezember 1954 (und zuvor 1917, 1920 und 1927) die Mitsprache in kantonalen Angelegenheiten verweigert hatten, war somit aus Sicht der Lehrerinnen der staatsbürgerliche Rechtsanspruch der Frauen auf politische Gleichberechtigung erneut missachtet worden. Die Empörung entlud sich am 2. Februar im Lehrerinnenzimmer des Mädchengymnasiums – ja, Sie haben richtig gelesen, es gab damals noch getrennte «Lehrerzimmer», eines für Lehrerinnen und eines für Lehrer! Als Dr. Rut Keiser, die engagierte Frauenrechtlerin und ehemalige Konrektorin (sie war pensioniert, unterrichtete aber noch eine Klasse als Vikarin) an diesem Montag nach der Abstimmung den Vorschlag «wir streiken» in die Runde warf, fiel er auf fruchtbaren Boden. Das war für die damalige Zeit höchst aussergewöhnlich, denn die Erinnerung an den Landesstreik von 1918 steckte noch in manchen Köpfen, und Streiken war in weitesten Kreisen verpönt. Der «Vorwärts», das Organ der kommunistischen Partei der Arbeit, hielt fest, dass die letzte grössere Streikaktion der baslerischen Arbeiterbewegung weit 39

zurückliege, und spendete den streikenden Lehrerinnen für die vorbildliche Geschlossenheit ihrer Aktion, die sorgfältige Planung und das völlige Dichthalten höchstes Lob. Und dieser Applaus – auch wenn er für die Lehrerinnen wohl von der falschen Seite kam – war berechtigt. Innert eines Tages war es gelungen, nahezu alle Kolleginnen für den Streik zu gewinnen, auch wenn schätzungsweise die Hälfte nicht aus innerer Überzeugung, sondern bloss aus Solidarität mitmachte. Von den 54 Lehrerinnen, die damals am Mädchengymnasium beschäftigt waren, beteiligten sich nur 4 nicht. Effektiv in den Streik treten konnten von den verbleibenden 50 Lehrerinnen freilich nur jene, welche dienstags laut Stundenplan Unterricht zu erteilen hatten. Für acht traf das nicht zu, und drei waren krank bzw. beurlaubt, so dass letztlich 39 Lehrerinnen für einen Tag ihre Arbeit niedergelegten. Kenntnis vom Streikplan erhielt nur der Rektor, Dr. Paul Gessler, und zwar durch einen kurzen, formellen Brief, den ihm die Konrektorin am Vorabend aufs Pult legte: «Sehr geehrter Herr Rektor, Ich teile Ihnen mit, dass die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums Dienstag, den 3. Februar 1959 aus Protest gegen die neuerlich dokumentierte Missachtung unseres staatsbürgerlichen Rechtsanspruchs streiken werden. Mit vorzüglicher Hochachtung i.A. Dr. Lotti Genner». 1 Nachdem Dr. Gessler in mehrstündiger Nachtarbeit vergeblich versucht hatte, einen Plan für die eventuelle Ersetzung der streikenden Lehrerinnen aufzustellen, telefonierte er am Dienstagmorgen um 8 Uhr morgens dem Erziehungsdirektor Dr. Peter Zschokke und liess sich von ihm ermächtigen, den Unterricht an der ganzen Schule für einen Tag ausfallen zu lassen. Die Schülerinnen, die vergeblich auf ihre Lehrerinnen gewartet hatten, wurden ebenso wie diejenigen, die während der 1. Lektion bei einem Lehrer Unterricht hatten, um 9 Uhr nach Hause geschickt. In der Folge beschäftigte der Streik die staatlichen Instanzen. Der Regierungsrat verurteilte den Lehrerinnenstreik in einem Communiqué als sinnlose Aktion, die er aufs schärfste missbillige, und beauftragte das Erziehungsdepartement, über die Durchführung angemessener Disziplinarmassnahmen zu berichten. Das Erziehungsdepartement gab den Ball an die Inspektion des Mädchengymnasiums weiter. Diese zeigte im Gegensatz zum Regierungsrat Sympathie für die Protestaktion. Der Rektor qualifizierte den Streik zwar als Dienstverletzung und erachtete ihn insofern als bedenklich, als dadurch die seit dem Landesstreik von 1918 bestehende Ruhe 1 Staatsarchiv Basel-Stadt (StABS) ED-REG 28a 13 (1) 11. 40

gestört worden sei. «Aber wir haben in der Schweiz den Punkt erreicht, wo Recht nicht mehr Recht ist. Aus dieser Situation erfolgte die – bescheidene! – Explosion der Unterdrückten.» Mehr als eine symbolische Ahndung in Form des Abzugs eines Taglohns scheine ihm daher unangebracht. 2 Der Inspektionspräsident plädierte eher für einen Verweis, doch war umstritten, ob überhaupt eine Massnahme beschlossen werden sollte. Die drei Frauen in der Inspektion wollten an der Beschlussfassung nicht teilnehmen. Vermutlich durch Stichentscheid des Präsidenten entschieden schliesslich die Männer, einen Verweis zu beantragen. Auch der Erziehungsrat, dem nur Männer angehörten, war sich nicht einig, ob und wie die streikenden Lehrerinnen bestraft werden sollten. Erziehungsdirektor Zschokke schlug dem Gremium die Erteilung eines Verweises durch die Inspektion und einen Lohnabzug als zusätzliche, vom Regierungsrat zu beschliessende Massnahme vor. Aber der Verweis wurde nicht befürwortet, sondern nur zur Kenntnis genommen, und für den Lohnabzug fand sich keine Mehrheit. Der Regierungsrat machte aber trotzdem von seinem Recht Gebrauch, einen der versäumten Arbeitszeit entsprechenden Lohnabzug zu verfügen. Entgegen der Annahme der Inspektion des Mädchengymnasiums, dass der von ihr beantragte Verweis vom Regierungs- oder vom Erziehungsrat ausgesprochen würde, verlangte Erziehungsdirektor Zschokke, dass die Inspektion diesen selbst erteile. So musste die Inspektion zu einer zweiten Sitzung zusammenkommen, um nach Anhörung einer Dreierdelegation der Streiklehrerinnen über den Wortlaut des Verweises zu befinden. Dieser fiel so verständnisvoll für die Aktion der Lehrerinnen aus, dass der verärgerte Erziehungsdirektor später der Inspektion vorwarf, sie habe leider übersehen, dass sie sich mit einer Disziplinarmassnahme und nicht mit dem Frauenstimmrecht zu befassen habe. Die Würdigung der Motive einer Handlung dürfe nicht so weit gehen, dass die getroffenen Disziplinarmassnahmen im Widerspruch zur Begründung stünden und beinahe als stossend empfunden würden. Auf die Traktandenliste des Grossen Rats kam der Streik durch zwei Interpellationen, von denen die eine die Streiklehrerinnen unterstützte, während die andere ihnen vorwarf, ihre Schülerinnen in der Frage des Frauenstimmrechts einseitig zu beeinflussen. Bemerkenswert ist vor allem das öffentliche Interesse, das die entsprechende Grossratssitzung hervorrief: Die Tribüne war zum Bersten voll besetzt mit Frauen, die Polizeidirektor Brechbühl von zwölf Polizisten (zwei uniformierten und zehn in Zivil) bewachen liess, «um die Ruhe und das Hausrecht zu wahren» 3 . 2 StABS Protokolle T 69.1. 3 Vorwärts, 20. Februar 1959. 41

In den Medien löste der Streik eine Flut von Berichten, Kommentaren und Leserbriefen aus. Die Protestaktion der Lehrerinnen schaffte es sogar auf Seite 3 der New York Times vom 4. Februar 1959! Die Palette der Meinungen reichte von schärfster Verurteilung und moralischer Entrüstung bis hin zu glühenden Sympathiekundgebungen. Lore Maria Koegler, eine der Streiklehrerinnen, schrieb nachträglich: «Haben wir nun mit unserer Demonstration der Sache des Frauenstimmrechts geschadet oder genützt? Das eine wie das andere wird schwer zu beweisen sein. Auf alle Fälle haben wir eine heilsame Aufmerksamkeit erregt, nicht für uns, aber für die von uns gemeinte Sache, und eine viel breitere, als wir das je gedacht hätten.» 4 Aus heutiger Sicht haben die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums die Sache des Frauenstimmrechts zumindest im Kanton Basel-Stadt vorangebracht. Ohne ihre mutige Aktion hätten wohl 1961 nicht auf Anhieb 13 Frauen – darunter die Streiklehrerinnen Dr. Dora Allgöwer, Dr. Salome Christ und Dr. Gertrud Spiess – den Sprung in den 40köpfigen Bürgergemeinderat geschafft, auch wenn die Basler Bürger das Mitspracherecht der Frauen in der Bürgergemeinde schon 1958, also vor dem Streik, beschlossen hatten. Und der Lehrerinnenstreik hat wohl auch dazu beigetragen, dass Basel-Stadt 1966 als erster Deutschschweizer Kanton das Frauenstimm- und -wahlrecht einführte. Elfi Belleville Wiss Bibliografie: Belleville Wiss, Elfriede: Der Lehrerinnenstreik am Basler Mädchengymnasium. Eine denkwürdige Episode im Kampf um das Frauenstimmrecht. In: Basler Stadtbuch 130 (2009), S. 78 – 83. Koegler, L.M.: Die Protestaktion der Lehrerinnen des Mädchengymnasiums. In: Die Staatsbürgerin Nr. 4, 1959, S. 1 – 3. Krattiger, Ursa (Hrsg.): «Randalierende Lehrerinnen». Der Basler Lehrerinnenstreik vom 3. Februar 1959. 188. Neujahrsblatt. Herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige. Basel 2009. Liebherr, Charly: Wenn Lehrerinnen wollen, ist keine Schule! In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Band 93 (1993), S. 109ff. Schmidlin, Antonia: Der Basler Lehrerinnenstreik von 1959.In: Quergängerin 5, S. 61ff. Verlag Frauenstadtrundgang. Basel 1997. Wegmüller, Renate: Es reicht: Der Basler Lehrerinnenstreik vom 3. Februar 1959. In: Der Kampf um gleiche Rechte. Basel 2009, S.134ff.

4 Koegler, S. 3. 42

ÖFFNUNG – AUFBRUCH – WANDEL: DIE ZEIT NACH 1959 Koedukation

In früheren Jahrhunderten war es üblich, dass Mädchen und Knaben den Unterricht nicht nur in getrennten Klassen, sondern auch in verschiedenen Schulhäusern besuchten. Dies änderte sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts. Von 1958 an begann man in den Primarschulen Mädchen und Knaben gemeinsam zu unterrichten, doch in den Mittelschulen blieb es bei der strikten Geschlechtertrennung. Den Mädchen stand dabei einzig die Töchterschule (später Mädchengymnasium) offen. Bei besonderer Begabung und Interesse durften sie allerdings bereits von 1961 an auch die oberen Klassen des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums besuchen. An dieser Stelle sei angefügt, dass es «halboffizielle» oder private Initiativen gab, damit sich die jungen Töchter und Burschen wenigstens ausserhalb der Schule unbeschwert treffen konnten. Mit Einwilligung der Eltern gab es gelegentliche Hausbälle, und die Schülerinnen des Mädchengymnasiums organisierten zusammen mit ihren männlichen Altersgenossen des Realgymnasiums Maturbälle. Einer ehemaligen Schülerin blieb besonders ein Maturball in einer Villa in Riehen in Erinnerung: «Man rollte die Teppiche auf, tanzte die ganze Nacht, hörte Musik auf dem Plattenspieler und um 5 Uhr morgens räumte man ganz brav gemeinsam auf.» (Erinnerung L.K.). 1968 wurden auf der Gymnasialstufe erstmals die gemischt-geschlechtlichen oder koeduzierten Klassen eingeführt. Am Gymnasium am Kohlenberg (zuvor MG I) traten in jenem Jahr 151 Mädchen und 91 Knaben in die ersten Klassen ein. Im Holbeingymnasium (zuvor MG II) waren es 136 Mädchen und 83 Knaben. In beiden Schulen wurden nur sechs der sieben ersten Klassen koeduziert geführt, um in den gemischten Klassen ein einigermassen ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter zu erreichen. Später konnte es dann aber aufgrund von Fächerkombinationen vorkommen, dass drei oder vier Knaben zusammen mit einer grossen Mädchengruppe eine Klasse bildeten. Nicht alle Lehrkräfte kamen mit der Umstellung auf gemischte Klassen gleicherweise zurecht. Mit dem Einzug der Knaben änderten sich im täglichen Schulablauf, in den Pausen und in der Freizeit der Umgangston und das Verhalten der Jugendlichen. Zu Problemen konnte es kommen, wenn die Knaben und jungen Männer zu lautstark und zu dominant auftraten und damit die tägliche Arbeit der Lehrkräfte erschwerten. Dies führte auch dazu, dass in den ersten Jahren deutlich mehr Knaben als Mädchen removiert werden mussten. Allerdings dürfen nicht alle tief greifenden Veränderungen der 70-er Jahre an der Schule auf die Einführung der Koedukation zurückgeführt werden, denn fast gleichzeitig öffnete sich das Gymnasium verstärkt bildungsfernen Schichten und Kindern aus Gastarbeiterfamilien. 43

Über die Vor- und Nachteile des koeduzierten Unterrichts wird bis heute immer wieder diskutiert. Bei den Lehrkräften der Mädchengymnasien bestanden grosse Befürchtungen, dass die Lehrpläne und das Unterrichtsgeschehen zu stark auf die Knaben ausgerichtet werden müssten und damit die jungen Frauen mit ihren Bedürfnissen benachteiligt wären. Der damalige Rektor des Mädchengymnasiums, Dr. Paul Gessler, ein Befürworter der Koedukation, versuchte 1963 anlässlich seiner Rede an der Jahresschlussfeier die Argumente der Gegner zu zerstreuen. Gemäss seinen Ausführungen waren deren brennendste Fragen: «Wird durch die Koedukation das weibliche Element im Lehrkörper nicht noch mehr zurückgedrängt? Werden unsere Mädchen nicht noch mehr vermännlicht werden, indem ihr besonderer Entwicklungsrhythmus nicht berücksichtigt werden kann?» Solche Stimmen sind inzwischen verstummt, auch wenn der getrennte Unterricht in einzelnen Fächern noch immer Befürworter findet. Mit der Einführung neuer, freierer Lehr- und Lernformen, die mehr selbständiges Arbeiten erfordern, ist nun aber die Situation eingetreten, dass es eher die Knaben und jungen Männer sind, denen eine besondere Unterstützung und Beachtung zukommen müsste. Heute besuchen gesamthaft 780 Schülerinnen und Schüler das Gymnasium Leonhard; davon sind 532 Mädchen und 248 Knaben. Diese ungleichen Zahlen haben mit der Schultradition und mit dem Fächerangebot zu tun. Gesamthaft sind die Zahlen in Basel-Stadt etwas ausgeglichener, auch wenn tendenzmässig immer mehr Mädchen das Gymnasium besuchen. Aus den Berichten der Lehrkräfte für die Jahre 1968 bis 1971

«Gegenüber den Mädchen, die ich seit 22 Jahren unterrichte, stelle ich bei den Knaben im Allgemeinen einen auffallenden, teils erschreckenden Mangel an Sorgfalt fest. […] Offenbar geht ihnen alles Andere vor: Fussball, Fernsehen, Heftli; die Aufgaben werden mit dem kleinen Finger der linken Hand ohne jede Anstrengung erledigt.» (F.W., Schuljahr 1968/1969). «Schon haben wir ein ganzes Jahr Koedukation hinter uns. All die schrecklichen von Pessimisten prophezeiten Dinge sind nicht eingetreten. Es finden sich unter den Knaben genau so viele fast-Engelchen und ganz-Bengelchen wie unter den Mädchen, nur dass bei den Buben das notorische Bedürfnis sehr viel grösser ist, sodass es von seiten des Lehrers einen bedeutend grösseren Kräfteaufwand braucht, um die gemischte Klasse im Zaum zu halten.» (H.F., Schuljahr 1968/1969).

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«Die Buben sind sachlicher interessiert. Im Klassenganzen musste man bedacht sein, dass sie mit ihrer Lebhaftigkeit trotz ihrer kleinen Zahl die Mädchen nicht an die Wand drückten.» (E.F., Schuljahr 1968/1969). «Die Mädchen arbeiteten wie gewohnt mit Eifer, Genauigkeit und Ehrgeiz. Die Knaben hingegen, wenigstens die Mehrzahl, nahmen die Schule nicht so ernst; neben ihr existierten für sie der Fussballplatz, die Autorennbahn, die elektrische Eisenbahn, Hamster, weisse Mäuse, kurz, sie führten ein intensives und vielseitiges Privatleben, mit dem die Schule nicht immer erfolgreich konkurrieren konnte. Das hatte ich bei Mädchen in dem Mass nie erlebt.» (M.G., Schuljahr 1968/1969). «Für die ersten Erfahrungen mit der Koedukation scheint mir unsere erste Klasse nicht die günstigste zu sein. Die Schüler hatten zu Beginn des Schuljahres eher das Bedürfnis, sich voneinander abzusondern oder sich zu plagen.» (E.G., Schuljahr 1968/1969). «Die stimmlichen Leistungen beider Geschlechter waren gänzlich verschieden; die der Mädchen gut, die der Knaben i. allg. schlecht.» (V.K., zum Gesangsunterricht, Schuljahr 1968/1969). «Fach Singen: In unserem Fach hat die Koedukation schwerere Konsequenzen als in anderen Fächern. Die Zahl der nicht oder falsch singenden Schüler ist gut dreimal grösser als bei den Mädchen. Vielleicht wären die Klassen wieder wie Turnen und Handarbeit besser se-eduziert zu führen.» (H.K., zum Gesangsunterricht, Schuljahr 1968/1969). «Eigentliche Reibereien zwischen Mädchen und Buben gab es bisher nicht, doch waren alle empört, als ich für vier Wochen verlangte, dass sich Mädchen und Buben in eine Bank zusammensetzten.» (H.Sch., Schuljahr 1968/1969). «Von Anfang an übernahmen die Knaben unbestritten die Führung, und die Mädchen hatten Mühe, sich zu behaupten. Bei den Leistungen im Rechnen waren die Mädchen jedoch den Knaben deutlich überlegen.» (A.S., Schuljahr 1968/1969). «Einige Knaben brauchten dreiviertel Jahre, bis sie imstande waren, nicht umherzurutschen, mit den laut knirschenden Stühlen nicht zu schaukeln, nicht zu scharren usw. Trotz der körperlichen Ruhelosigkeit befassten sich die gleichen Knaben viel kritischer mit dem Inhalt des Unterrichts. Sie setzten sich viel selbstverständlicher und spontaner mit dem Stoff auseinander, wodurch in den Schulstunden ungekünstelte, echte Lehrgespräche entstanden.» (H.W., Schuljahr 1969/1970).

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«Von den Vätern der 18 Mädchen haben 8 selbst ein Gymnasium besucht und studiert; […] von den Vätern der 11 Buben ist nur einer Akademiker.» (L.G., Schuljahr 1970/1971). «Mir war dieses Jahr die Wohltat beschieden, lauter reine Mädchenklassen zu unterrichten. Der Kelch der grossen zusätzlichen Belastung, die die Koedukation bringt, geht sogar auch im nächsten Schuljahr an mir vorüber, wofür ich dankbar bin.» (M.M., Schuljahr 1970/1971). «Früher stellte der Montag einen freudvollen Anfang der Wochenarbeit dar; der Einsatz erfolgte freudig und ausgeruht. Heute ist es nur zu oft ein lustloses Unterfangen, voll Müdigkeit und Abneigung, als müssten sich die Jugendlichen von den Strapazen des Weekends zuerst erholen. Heute kämpft weit mehr als die Hälfte aller Schülerinnen, z.B. während einer schriftlichen Arbeit, mit der Frisur – unfrei, wie Sklaven, so wie ihnen das manche Erwachsene vorleben.» (M.M., Schuljahr 1970/1971). Guete Daag, ciao, salut, dobar dan,bog, iyi günler … Ausländerkinder am Gymnasium

Die Zusammensetzung der Klassen und der Zugang zu höherer Bildung widerspiegeln selbstverständlich immer auch die gesellschaftliche Situation. Dies betrifft nicht nur die soziale Herkunft der Kinder, sondern auch deren Staatszugehörigkeit. Grundsätzlich kann man sagen, dass vor den 1960er-Jahren Ausländerkinder stets nur in kleiner Zahl an der Töchterschule, beziehungsweise am Mädchengymnasium, anzutreffen waren. In der Zeit zwischen etwa 1875 und 1914 kam es zu einer bedeutenden Zuwanderung deutscher Arbeiter- und Handwerkerfamilien nach Basel, aus denen Vereinzelte den Weg zur Höheren Mädchenbildung fanden. Viele dieser Familien, welche die Rückkehr in ihr im Ersten Weltkrieg massgeblich betroffenes Heimatland nicht mehr in Erwägung zogen, liessen sich dann in Basel einbürgern. Andere Schülerinnen stammten beispielsweise aus ausländischen Unternehmer- und Direktorenfamilien, welche in der aufstrebenden Industriestadt Basel wichtige Positionen einnahmen. Eine Art ausländisches Element bildeten auch Mädchen, welche als Auslandschweizerinnen in der Fremde zur Welt gekommen waren und deren Familien dann aus verschiedenen Gründen den Weg zurück in die Schweiz und nach Basel fanden. Wenn sie nicht oder nur schlecht Deutsch sprachen und sich in ihrem Verhalten deutlich von den Einheimischen unterschieden, konnte es vorkommen, dass sie trotz ihres roten Passes den Weg in das Netzwerk der bestehenden Klassen nicht richtig fanden.

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In der Zwischenkriegszeit besuchten auch einige Schülerinnen aus dem elsässischen und badischen Grenzgebiet den hiesigen Unterricht. Mit der Mobilmachung zu Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurde diesen jedoch der Zugang zu den Basler Schulen verwehrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) kam eine rasch wachsende Zahl von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern nach Basel, zuerst aus Norditalien, dann in den späten 1950er- und den 1960er-Jahren auch aus Süditalien, Spanien, Portugal und Griechenland. Da es sich wegen der Einreisebeschränkungen aber vorerst vor allem um Saisonniers und ledige Personen handelte, war das Schulwesen zu jenem Zeitpunkt erst wenig betroffen. Dies änderte sich, als in der Mitte der 1960er-Jahre der Familiennachzug erleichtert wurde und es inzwischen vermehrt zu Heiraten und Familiengründungen der Zugewanderten gekommen war. Die Einführung des neusprachlichen Maturtypus D erleichterte dann auch den Töchtern und Knaben aus den Gastarbeiterfamilien den Schritt ins Gymnasium. Das Einleben in ein völlig anders strukturiertes Schul- und Erziehungssystem ging allerdings nicht immer ohne Schwierigkeiten vor sich. Die Zahl der removierten oder von der Schule gewiesenen Kinder war bei jenen mit fremdsprachigem Hintergrund überproportional. Es war für die Lehrkräfte trotz gutem Willen nicht einfach, mit dem teils bildungsfernen Hintergrund und dem ungenügenden Beherrschen der deutschen Sprache umzugehen und eine angepasste Benotung zu finden. Ein neues Phänomen war auch, dass sich die ausländischen Jugendlichen nun in den Pausen bald selbstbewusst und teils lautstark in ihrer Muttersprache unterhielten. In früheren Jahren war es noch ein erstrebenswertes Ideal gewesen, sich möglichst wenig von den Einheimischen zu unterscheiden und sich im öffentlichen Raum ausschliesslich des hiesigen Dialekts zu bedienen. Während sich in den 1970er-Jahren als Folge der «Schwarzenbach-Initiative» und der so genannten Ölkrise etliche ausländische Familien zur Rückkehr in ihre Heimat entschlossen, nahm umgekehrt die Zahl der Zuwanderer aus der Türkei und danach aus Ex-Jugoslawien beträchtlich zu. Über die Jahre ist inzwischen auch für sie der Zugang zu höherer Bildung und der Besuch eines Gymnasiums kein ungewöhnlicher Schritt mehr. Die heutigen Klassenlisten, die fast durchgehend auch afrikanische und asiatische Namen aufweisen, stellen somit ein einigermassen getreues Abbild der gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte dar. Hier sei nebenbei auch angefügt, dass Basler Mädchen inzwischen nicht mehr die traditionellen Name wie Salome, Silvia, Marianne, Ursula, Bettina, Verena usw. tragen, sondern mit ihren «exotischeren» Vornamen der modernen Internationalisierung Ausdruck geben. 47

Zitate aus Schulberichten, persönliche Erinnerungen, Klassenliste

Ein Auslandschweizer-Mädchen, das in den 1940er Jahren aus Italien kam und in die Klasse G6b des Mädchengymnasiums eintrat, berichtet, wie erstaunt es war, dass hier die Mädchen mit Sie angesprochen wurden und dass man im Unterricht die Hand hochhalten musste, wenn man etwas sagen wollte. Das Mädchen blieb eine Aussenseiterin in der Klasse und erinnert sich:«In all den 3 Jahren kam es nur ein einziges Mal vor, dass ich bei einer Schulkameradin daheim an einem Nachmittag eingeladen wurde, und das, nachdem sie einige Tage zuvor die Bewilligung bei ihrer Mutter eingeholt hatte.» (Aufzeichnungen C. Sch., 2012) «In der grossen Mehrzahl sind es Kinder, deren Väter nicht an Bücherwände eilen, um Fragen zu vertiefen, die sich den Kleinen im Unterricht stellen. Wir leben in einer Zeit, wo unsere Zweitklässlerinnen ganz natürlicherweise Homer auf der ersten Silbe betonen. Sie haben den Namen zu Hause eben noch nie gehört.» (D.A., Schuljahr 1968/1969) «Damals» (um 1940) «stammte bis ein Viertel der Klasse aus der Dalben. Das ist nun vorbei. Es gibt heute achte Klassen ohne einen einzigen alten Baslernamen; Tulipanen und Ryssbleys sind Fremdwörter geworden.» (D.A., Schuljahr 1968/1969) «Wenn ich an das vergangene Schuljahr zurückdenke, kommt mir zunächst das Schicksal all der fremdsprachigen Kinder in den Sinn, die in der 1 B waren. Wir hatten zwei Italiener, zwei Tschechen, eine Türkin, einen Spanier und einen Welschschweizer. Von ihnen wurde nur der sehr intelligente Spanier normal in die 2. Klasse versetzt.» (M.G., Schuljahr 1970/1971) «Ich frage mich nun, ob es nicht nötig wäre, von den Gymnasien eine Übergangsklasse für intelligente Kinder zu schaffen. Wenn ein Schüler nicht ganz aussergewöhnlich begabt und dazu noch sehr fleissig ist, oder wenn seine Eltern nicht teure Privatstunden bezahlen können, bringt er es nicht zustande, gleichzeitig Deutsch und Französisch zu lernen und in allen anderen Fächern einer 1. Klasse zu folgen. Gerade intelligente Schüler empfinden ihr Versagen besonders schmerzlich und stören dann das Leben der Klasse zusätzlich. In einer solchen Übergangsklasse müsste jemand wirken, der die Schüler auch menschlich betreut und sie und ihre Eltern in unsere Verhältnisse einführt. Vielleicht liessen sich dafür auch ausländische Studenten und Studentinnen finden.» (M.G., Schuljahr 1970/1971)

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Leider sind immer wieder einmal Fälle von klarer Diskriminierung von Ausländerkindern vorgekommen. Ein frühes Beispiel stammt aus dem Jahre 1922. Ein im Welschland aufgewachsenes Mädchen, das bei seinem Eintritt in die Primarschule noch kein Wort Deutsch sprechen oder verstehen konnte, wurde von seiner Lehrerin als «verdammte Welsche» abgekanzelt. Das Mädchen wurde bei der Notengebung in Französisch klar benachteiligt. Als seine Mutter in einem krassen Fall deswegen bei der Lehrerin vorsprach, erwiderte diese, sie habe sich beim Setzen der Note nur verschrieben. (Erinnerungsbericht der ehemaligen Schülerin M.K.) Klassenliste 1A Schuljahr 2012/2013, Gymnasium Leonhard: Azizi Muhamed, Bonell Vivianne, Boog Myriam, Born Sina, Cattelani Giulia, Decorvet Luisa, Demir Sidika, Giamboni Lavinia, Gubler Hannes, Guggisberg Lea. Kadoic Mia, Karacic Antonela, Münch Luca, Pasquier Sarah, Raeymaekers Pauline, Ramljak Tomislav, Redaschi Fiona, Schacher Livia, Studer Irina, Vogg Selma. (16 Mädchen/4 Knaben) Ernest Menolfi

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ZEUGNISSE UND NOTEN Die Leistungsbewertung in Form von Noten begleitet das Schulwesen seit seinen Anfängen. Erreicht man einen gewissen Notenstand oder ein gewisses Notenbild, so bedeutet dies die Beförderung in die nächsthöhere Schulstufe, beim Maturitätszeugnis die Zulassungsberechtigung zum Studium an der Universität. Im Unterschied zu vielen anderen Kantonen erfolgt aber der Zutritt zum Gymnasium in Basel-Stadt in der Regel nicht über eine Zugangsprüfung, sondern aufgrund eines Notenbildes, entsprechender Empfehlungen und des erfolgreichen Absolvierens einer Probezeit. Über Sinn und Nutzen von Noten wird immer wieder einmal kontrovers diskutiert. So kam anlässlich von Konferenzen und in den Fachberichten nicht selten die Frage der Notengerechtigkeit auf, welche sich aus der uneinheitlichen Anwendung der Beurteilungskriterien durch die Lehrkräfte ergab. In diesem Zusammenhang sei ein bemerkenswert fortschrittliches Experiment aus den Schuljahren 1943 bis 1949 erwähnt. Gemäss den Schulberichten jener Jahre wurden am Mädchengymnasium die Zeugnisnoten 6 bis 1 durch die stark pauschalisierenden Beurteilungen «gut», «genügend» und «ungenügend» ersetzt. In jüngerer Zeit versucht man den Schulstress mit einer geringeren Anzahl von Prüfungen zu vermindern und mit breiter gefassten Bewertungskriterien sowie mit Lernberichten und anschliessenden Elterngesprächen zu einem umfassenderen Beurteilungsprofil zu kommen. Da Zeugnisse amtliche Dokumente und Leistungsausweise sind, wurde ihrem äusserlichen Erscheinungsbild schon bald grosse Bedeutung beigemessen. Während vielen Jahren schrieb der Biologieassistent Louis Fröhlich für das Holbeingymnasium die über einhundert Maturitätsausweise in schöner Zierschrift, und zwar grösstenteils in der Nacht zwischen den letzten mündlichen Prüfungen und der Maturfeier des folgenden Tages. Heute werden alle Zeugnisse computergesteuert ausgedruckt. Dies ist allerdings nicht unbedingt eine zeitliche Erleichterung, da die Eingabe Tausender Einzelnoten das Personal des Schulsekretariats vor eine aussergewöhnliche Herausforderung stellt. In den Zeugnissen widerspiegelt sich nicht nur der sich wandelnde Fächerkanon, sondern auch die Einstellung von Lehrkräften und Schulbehörden gegenüber ergänzenden, meist die Disziplin betreffenden Bemerkungen in den Zeugnissen. Ein frühes Beispiel dafür stammt aus dem Jahr 1823. Damals gab es neben dem monatlichen [!] Zeugnis die guten und bösen Striche auf den Schultabellen, ein Disziplinierungsmittel, das

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gemäss Paul Burckhardt bereits seit 1796 am Humanistischen Gymnasium eingeführt war. 1 Neben den lange Zeit unverzichtbaren Fleissnoten wurden bis in die 1980er-Jahre auch negative Beurteilungen des disziplinarischen Verhaltens angeführt. Inzwischen sind solche heiklen Ergänzungen völlig aus den Zeugnissen verschwunden. Geblieben ist jedoch der Eintrag entschuldigter und unentschuldigter Absenzen, was je nach Gesichtspunkt auch einer Disziplinarmassnahme gleichkommt. In Erinnerung an das Schuljahr 1945 bedauert eine ehemalige Schülerin, dass ihr das Klettern an der Stange im Turnen eine zu grosse Schwierigkeit bedeutete: «Zu meinem Kummer gelang mir diese Kunst mit 12 Jahren noch nicht. Und ich wurde natürlich mit ungenügenden Noten abqualifiziert. Jedoch versuchte ich nach einer 3-Uhr-Pause von aussen her die Steinwand hoch durchs Fenster ins Erdgeschoss-Schulzimmer zu klettern. Es gelang! Stolz stieg ich über den Sims ins Zimmer – im selben Augenblick, da der Lehrer durch die Türe den Raum betrat. Für diese sportliche Leistung erhielt ich die Bemerkung ‹Betragen gibt zu Tadel Anlass› im nächsten Zeugnis.» Ernest Menolfi

1 Burckhardt, Geschichte der Töchterschule in Basel besonders während

der ersten Jahrzehnte ihres Bestehens. Basel 1906, S. 29. 51

DIE LAST DES WISSENS Zur Ausrüstung der Schülerinnen und Schüler für den Unterricht gehörten traditionellerweise ein Etui für die Schreibutensilien sowie Bücher und Hefte. Schulbücher wurden früher aus finanziellen Erwägungen oft nur leihweise abgegeben, und sie waren versehen mit einem vorne eingeklebten Zettel der Schulmaterialverwaltung, wo sich die jeweiligen Benützerinnen einzutragen hatten. Die Schule führte zudem eine Sammlung von Klassensätzen für Lektüre sowie Lehr- und Quellenbücher, die jeweils im Unterricht benutzt und danach wieder eingesammelt wurden. Den Lernstoff vermittelten zudem viele Lehrkräfte mittels Diktat, sodass die Heftführung eine weit grössere Rolle spielte als heute. Zur Schonung von Büchern und Heften benutzte man ein besonderes Einfasspapier. Während in der Primarschule die Utensilien in einem ledernen Tornister («Schulsack») mitgeführt wurden, benutzten die Mädchen am Gymnasium zweiteilige Ledermappen, die sich aufklappen liessen. Zur Zeit der «Blaustrümpfe», der Mädchen mit Drahtbrillen, die ihre Intellektualität bewusst zur Schau tragen wollten, galten die mit einem Ledergurt zusammengehaltenen Bücherstapel als letzter Schrei. In den 60er-, 70erund frühen 80er-Jahren, als in der Zeit vor Weihnachten das Stricken von Pullovern und Halstüchern grosse Mode war, kamen auch geflochtene Körbe als Tragmittel zum Einsatz, beispielsweise die sogenannten Bananen- oder Mondkörbe. Aus gesundheitlicher Sicht bedeuteten die meist farbenfrohen Rucksäcke einen grossen Fortschritt, doch sind sie inzwischen ausser bei Velofahrerinnen auch nicht mehr «in». Sie wurden fast vollständig durch trendige Damenhandtaschen abgelöst, die wohl oft nicht nur Schulmaterial, sondern möglicherweise auch eine reiche Auswahl persönlicher Utensilien und elektronischer Gadgets enthalten. Da heute Schulbuchverlage für die Herstellung ihrer Werke weit schwereres Papier verwenden als früher, ist das Problem der beträchtlichen und einseitigen Belastung des jugendlichen Körpers wieder recht akut geworden. Um diese tägliche Schwerarbeit zu reduzieren, steht der Schülerschaft seit einigen Jahren eine Anzahl Schliessfächer zur Verfügung. «Schulmappen und Rucksäcke benutzten wir lieber nicht. Wir stopften die Hefte und Bücher gerne in grosse Handtaschen – heute ‹Shopper› genannt – oder banden sie mit einem Gurt zusammen. Das war zwar modisch, aber dem Schulmaterial nicht sehr zuträglich.» (Erinnerung J. S.-E., am MG II 1965 – 1969) Ernest Menolfi

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AUF DEM WEG ZUR JUNGEN WISSENSCHAFTLERIN Eine der grundlegenden Aufgaben des Gymnasiums ist es, die Schülerinnen und Schüler schrittweise zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten hinzuführen. Diesem Zweck dient unter anderem die Abfassung einer grösseren, selbständigen und längerfristig zu planenden Arbeit gegen Ende der Schulzeit. Auf Initiative der Deutsch- und Geschichtslehrkräfte führte man in den 1920er-Jahren an der Töchterschule, deren Maturitätsprüfungen seit 1913 eidgenössisch anerkannt waren, sogenannte Quartalsarbeiten ein. Diese wurden am Mädchengymnasium auf alle Fächer ausgedehnt und bis 1972 auch am Gymnasium am Kohlenberg und am Holbeingymnasium weiter gepflegt. Danach beschritten die beiden Schulen neue Wege. An die Stelle der Quartalsarbeiten traten obligatorische, klassenübergreifende Veranstaltungen, die fest ins Pensum des letzten, später bereits auch des zweitletzten Schuljahres, eingebaut waren. Anfänglich liefen sie unter der Bezeichnung «Arbeitsgemeinschaften», dann als «Wahlfachkurse». Seit der Basler Gymnasialreform von 1997 misst man dem selbständigen Arbeiten noch grössere Bedeutung zu. Dies findet seinen Ausdruck im Fach «Lernen am Projekt», in der breiten Palette der Ergänzungsfächer sowie in den im Jahre 2002 erstmals abgegebenen Maturaarbeiten. In all diesen Bereichen zeigen die Schülerinnen und Schüler oft aussergewöhnliches Engagement, und insbesondere die Maturaarbeiten beeindrucken immer wieder mit teils brillanten und verblüffenden Ergebnissen. Ernest Menolfi

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WEISST DU NOCH? Wenn ehemalige Schülerinnen vielleicht nach langen Jahren auf Klassenkameradinnen treffen und mit ihnen über die gemeinsame Schulzeit reden, so ist oft unergründlich, weshalb ganz unterschiedliche Ereignisse und Persönlichkeiten in der Erinnerung haften geblieben sind. Meist sind solche Reminiszenzen mit starken Emotionen verbunden, mit lustigen oder peinlichen Situationen, mit Glücksmomenten oder mit Ärger. Das Ausstellungsteam hat ehemalige Schülerinnen gebeten, ihm besondere Erinnerungen an die Schulzeit zu verraten. Etliche sind der Bitte nachgekommen und haben entweder zur Feder gegriffen oder im Gespräch von vergangenen Zeiten erzählt. Im Folgenden soll eine Auswahl davon vorgestellt werden, wobei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur Initialen und keine vollen Namen angegeben werden. «Zu Beginn meiner Schulzeit hatten wir noch Pulte mit eingebauten Tintenfässli. Aus Langeweile haben wir manchmal ‹Spitzete› in die Tinte hineingemischt, sodass wir nicht mehr gut mit den Federhaltern schreiben konnten. Daher ‹mussten› wir hinausgehen, um die Fässli draussen zu reinigen, was eine angenehme Abwechslung war. Erst mit der Zeit wurden die Füllfedern erlaubt, das Schreiben mit der Neucréation Kugelschreiber hingegen war verboten, da diese neue Erfindung ‹die Schrift charakterlos macht›, wie es hiess. Übrigens kosteten die allerersten Kullis um die Fr.100.–!» (Erinnerung L.J., 1950er-Jahre) «Warum um Gottes Willen muss man fünfzig Mal die gleichen Aufsätze schreiben? Schon in der Primarschule hiessen die Themen gleich immer: ‹Mein erster Schultag›, ‹Warum gefällt es mir im Gymnasium›, ‹Warum gehe ich ins Gymnasium›, ‹Was ich werden möchte›. Und da soll man noch etwas Vernünftiges schreiben können.» (Tagebucheintrag M.-L. B., 1960) «In der 1. und 2. Klasse hatten wir einen sehr strengen Rechnungslehrer. Kopfrechnen ging folgendermassen: Alle Schülerinnen erhoben sich, der Lehrer donnerte mit lauter und sehr langsamer Stimme: ‹Eeeeintausend vierhundertt zweiiiundzwanziggg (1422) und dreiihunderttt fünfundsechziggg (365). Rrrrechnen!› Wer das Resultat als Erste rufen konnte, durfte sich setzen. Kein einziges Mal war ich fähig, einen klaren Gedanken zu äussern, also blieb ich meistens als Letzte stehen. Ich wusste, was das hiess: Eine Tatze mit dem Meerrohr auf die Hand. Ein Glück für mich, dass er mich mochte (und vielleicht auch Angst hatte, ich könnte wieder einmal vor Angst in Ohnmacht fallen), jedenfalls schlug er bei mir weniger hart zu als bei andern schlechten Rechnerinnen». (Erinnerung L.J., 1950er-Jahre) 54

«Unser Italienischlehrer, ein junger Professor, war bei uns sehr beliebt. In der ersten Stunde sagte er: ‹Italienisch ist für euch Freifach. Ihr könnt spicken so viel Ihr wollt, ich werde dagegen nichts unternehmen. Schliesslich lernt Ihr ja für euch selber.› Wenn er uns Aufgaben gab und vorsichtig fragte: ‹Könnt Ihr 10 Wörtli auf nächste Woche lernen oder ist es zu viel?›, brüllte die Klasse: ‹Zu wenig, geben Sie uns mehr Aufgaben!› Wenn wir aber im Franzi oder Englisch 20 Wörtli lernen mussten, murrten wir und seufzten ‹das ist viel zu viel!!!›.» (Erinnerung L.J., 1950er-Jahre) «Mit Zittern und Zagen stieg ich in die sog. R-Matur, später hiess sie neusprachlich, und bestand sie. Wir zogen johlend durchs Schulhaus und durch die Stadt, trafen uns mit den Absolventen von HG, RG und MNG (es war vor der Koedukation!), zerrissen die alten Schulhefte und endlich hatten wir das wahre Leben vor uns. Ob wohl heutige Maturandinnen noch so einen unbeschwerten Blick in ihre Zukunft haben können?» (Erinnerung I.S., Ende 1940er- bis Anfang 1950er-Jahre) «Unsere Französischlehrerin Frau Balmer nahm mich eines Tages nach dem Unterricht ganz mitleidig zur Seite und fragte mich, ob ich in Trauer sei, weil ich eine schwarze Bluse anhatte.» (Erinnerung H.L. Ende 1940er- bis Anfang 1950er-Jahre) Eine ehemalige Schülerin berichtet, dass im Frühjahr 1940 die Klasse ihrem Klassenlehrer Holbro ein Jahr vor der Matur einen Streich gespielt hat: «Wir erwarteten unseren Klassenlehrer Dr. Viktor Holbro für die Mathematikstunde. Wir hatten ein Plakat mit folgender Aufschrift an die Türe gehängt: ‹Prüfungen. Bitte nicht stören.› Erwartungsvoll schweigend, unser Kichern unterdrückend, sassen wir im Klassenzimmer. Als wir Schritte hörten, die sich entfernten, drehten wir das Plakat um, auf dessen Rückseite nun stand: ‹1. April.› Kurz darauf trat Herr Holbro herzhaft lachend ein und freute sich – wie es halt Basler Art ist – über den Witz ‹seiner› Klasse.» (Erinnerung G.N., 1940) «In guter Erinnerung bleibt [...] Physik, wo ich trotz leichtem Schwarm für den attraktiven Holbro den Viertaktmotor bis zur Stunde nicht begriffen habe» (Erinnerung I.S., Ende 1940er- bis Anfang 1950er-Jahre)

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Erinnerung an Dr. Josef Lachenmeier: «Oh jeh, oh jeh, jetzt hän mir bald dä Lachemeier iberseh! Dä liebi Ma het s‘Schicksal gha, die II. H im Rächne z'ha Mit vill Humor dreit är uns vor, wievill git Null plus 1 Schaltjohr? Derby vegisst das Rächnigsschenie, das mir doch grossi Niäte sin. Er meint mir däte Brüch begriffe und gli tuet er zum Dreisatz griffe Oh Liebe Du, was bildisch dir y? für uns sin Brüch und Dreisatz s'glich.» (Schnitzelbank der Klasse 2 H, L.T., 1958) «Dr. Wilfried Häberli war ein Meister des Erzählens. Wenn wir ihn mit dem richtigen Stichwort dazu brachten, war jede Lektion schnell vorbei. Sowohl in Deutsch als auch in Geschichte hat er uns enorm viel Allgemeinwissen vermittelt.» (Erinnerung J. S.-E.) «Dr. Jacques Wirz war ein sehr beliebter Lehrer bei uns Mädchen. Es waren wohl nur wenige, die nicht zu ihm aufblickten – um nicht zu sagen ihn ‹anhimmelten›; nicht nur wegen seiner Jugendlichkeit, sondern auch, weil er gross und gut aussehend war. Stets trat er als Gentleman im besten Sinne auf.» (Erinnerung J. S.-E.) «Frau Herta Grieshaber war eine liebenswürdige, nicht mehr ganz junge Sportlehrerin. Sie hat uns mit viel Geduld in der Turnhalle und auf dem Sportplatz St. Jakob ‹herumdirigiert›. Wir haben sowohl Leichtathletik als auch Ballspiele, vor allem aber ‹ungefährliche› Gymnastik mit und ohne Ball oder Reifen, begleitet am Klavier, betrieben.» (Erinnerung J. S.-E.) Erinnerung an Dr. Werner Meyer: «Burge go usgrabe das könnt nid viel Knabe Dr Meyer isch aine vo däne Wenn är so witermacht denn het är viellicht Schwein und findet emoll e scheens Burgfroilain.» (Schnitzelbank der Klasse 4d, 1965/1966) «Als zum ersten Mal der Zeppelin über Basel flog, das wurde ja in der Zeitung angekündigt, den dumpfen Ton höre ich heute noch. Wir hatten gerade Unterricht bei Dr. Moosherr, da sagte er: ‹Dr Zeppelin kunnt!» (er war sonst nicht so einer), da rannten wir alle zusammen runter zur Kanonengasse und haben diesen Zeppelin in der Luft gesehen. Wir konnten uns kaum erholen, dass ein so grosses Ding in der Luft schweben kann.» (Erinnerung M.K., 1920er-Jahre) 56

Erinnerung an die Lehrerin Maisie Corfe: «Wir haben sie geliebt, unsere Englischlehrerin Miss Maisy [sic] Corfe, und gleichzeitig haben wir sie gefürchtet – oder vielleicht sage ich besser: Wir hatten grossen Respekt vor ihr. [...] Schon während der ersten Lektion (ca. 1972) erhielten wir von Miss Corfe einen kleinen Ordner, auf dessen innere vordere Deckelseite wir folgenden Spruch von John Keats schreiben mussten: «A Thing of Beauty and a Joy for Ever» und wir glaubten unserer Lehrerin sofort, dass sie es äusserst ernst meinte mit dem Inhalt des Satzes, der für sie bedeutete, dass dieser kleine Ordner mit grösster Sorgfalt von uns geschrieben, gestaltet und nachgeführt werden musste.» (Erinnerung R.P.) In früheren Jahren, als die Lehrerinnen und Lehrer von ihren Klassen noch stärker als Autoritätspersonen wahrgenommen wurden, war es üblich, dass die Schülerinnen Übernamen verwendeten, wenn sie unter sich von ihnen sprachen. Dank verschiedener Hinweise konnten einige Beispiele zusammengetragen werden: Frl. Dr. Rut Keiser (F, D, Gs): Käng Frl. Dr. Marie-Jeanne Hublard (F, D, L): Hübsle Frl. Dr. Maria Schubiger (E): Schubsle Frl. Alice Gysi (D, F, Gs): d‘Schnappe Frl. Dr. Margrit Plüss (Gg, B): Tante Plüss Frl. Margrit Wagen (Sch, Z): s‘Wägeli Herr Dr. Luzius Jecklin (Ch): Jeck Herr Dr. Alfred Stöcklin (D, Gs): Stockus Herr Friedrich Galey (F, D): Gallus Herr Dr. Viktor Holbro (Ph): Ho Herr Bruno Straumann (Mu): Straugoggs Herr Dr. Alfons Meier (D, Gs, L): Funs Jelena Stefanovic

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WAS VON DER SCHULZEIT ÜBRIG BLEIBT Wir bewahren gerne Erinnerungsstücke aus unserer Jugend auf, die uns besonders viel bedeuten. Nicht selten sind es Gegenstände, die mit der Schulzeit in Verbindung stehen, vielleicht ein schönes Schulheft oder im Handarbeits-, Hauswirtschafts- und Zeichenunterricht entstandene Produkte. Erfreulicherweise haben sich einige ehemalige Schülerinnen des Mädchengymnasiums vorübergehend von solchen Schätzen getrennt, sodass sie in dieser Ausstellung einem breiteren Publikum gezeigt werden können. Der Handarbeitsunterricht hatte an der Töchterschule einen hohen Stellenwert. Das erkennt man am 1812 formulierten Bildungsziel und der ihm entsprechenden Stundendotation für dieses Fach. Eine «Tochter mittleren Standes» sollte «Fertigkeit in weiblichen Handarbeiten, verständiges und fertiges Lesen und Schreiben, einige bescheidene Kenntnisse in Geographie, Geschichte und Naturlehre, vorzüglich aber Beherrschung der französischen Sprache» 1 erlernen. Den «weiblichen Handarbeiten», die wortwörtlich an erster Stelle standen, widmete man zu Beginn 15 Lektionen pro Woche, den «wissenschaftlichen» Fächern insgesamt 18. Im Jahre 1843 wurden die Handarbeitslektionen auf 6 pro Woche reduziert. Gleichzeitig erfolgte eine Degradierung der Lehrerinnen, die zuvor noch «wissenschaftliche» Fächer unterrichten und nun für fast zwei Jahrzehnte nur noch im Handarbeitsunterricht tätig sein durften. Laut dem Lehrplan von 1882 sollte man im Handarbeitsunterricht z.B. Folgendes erlernen: «Stricken von Strümpfen, Ärmelchen, u. dgl. Erlernen des einfachen Saumes und des Kreuzstiches auf grober Leinwand.» 2 Sobald es nicht mehr üblich war, in gewöhnlichen Kleidern zu turnen, gehörte das Nähen der Turnkleider zum Handarbeitsunterricht. Eine ehemalige Schülerin erinnert sich: «In der ersten Klasse nähten wir unsere Turnkleider in der ‹Handi›. Wir erhielten blauen Baumwollstoff für die kurzen Pumphosen und das ärmellose Oberteil. Wir Mädchen im Gym fassten den Ausschnitt und die Öffnungen an den Armen mit gelben Bändern ein. In der Real- und der Sekundarschule wurden die gleichen Turnkleider genäht, allerdings mit orangen und roten Bändern. Man stelle sich nun vor, dass jedes Mädchen, das in eine untere Schulstufe wechseln musste, durch das Turnkleid als ‹Versagerin› entlarvt wurde. Wie peinlich.» (Erinnerung L.J., 1950er-Jahre) 1 Gessler, S. 14. Formuliert wurde das Bildungsziel in der Eingabe einer «Anzahl vaterländisch

gesinnter Bürger» an die GGG, eine Töchterschule zu gründen (StABS PA 146a D 9.3).

2 Lehrplan der Unteren Töchterschule, JB 1882 – 1883, S. 13. 58

Heiterer präsentiert sich ein Schnitzelbankvers, der daran erinnert, dass im Handarbeitsunterricht des Mädchengymnasiums auch Stoffhüllen für den Schulatlas genäht und bestickt wurden: «Nodle uff, Nodle ab, Nodle-n-ab, Nodle-n-uff, Oh je, mir arme Gofe. Die Lehrerinne sinn jo nätt, Doch unsri Finger sinn wie Lätt, Wenn mir sotte, mit Ach und Krach, Unsri Atlasdeckene Näje» (Schnitzelbank aus der Erinnerung L.T., Ende 1950er-, Anfang 1960er-Jahre) Das Stricken von Strümpfen war wie in den 1880er-Jahren an der Töchterschule auch noch in den 1950er-Jahren am Mädchengymnasium Teil des Handarbeitsunterrichts, wie das folgende Zitat zeigt: «Zu meiner grossen Freude durften wir hie und da im Winter im Turnunterricht auf die ‹Kunsti› (Kunsteisbahn) oder auf den Margarethenhügel zum Schlitteln gehen. Dies war der einzige Tag, an dem uns erlaubt war, Hosen zu tragen. Selbst bei 20 Grad unter Null mussten wir in Röcken zur Schule gehen. Wer unerlaubterweise in Hosen kam, wurde nach Hause geschickt. Damit wir nicht kalt hatten, gaben uns unsere Mütter beissende Wollstrümpfe, die überall juckten. Die Kniestrümpfe, die wir in der Handarbeit aus dunkelbrauner Wolle strickten, waren erträglicher, aber nicht gerade nach unserm Schönheitsideal, was die Farbe betraf.» (Erinnerung L.J.) Am Gymnasium Leonhard gibt es keinen Handarbeitsunterricht mehr. Das Fach hatte im Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung verloren und wurde zuletzt am Gymnasium am Kohlenberg und am Holbeingymnasium nur noch in den drei untersten Klassen erteilt. Da durch die Schaffung der Orientierungsschule (1994) eine Verkürzung der Gymnasialdauer von acht Jahren auf fünf eintrat, verschwand die Handarbeit ganz aus der Stundentafel des Gymnasiums. Das gleiche Schicksal war dem Hauswirtschaftsunterricht schon 1957 mit der Ausgliederung der Allgemeinen Abteilung aus dem Mädchengymnasium beschieden. Anders verhält es sich mit dem Fach Zeichnen. Dieses wurde 1815 – zusammen mit Singen – in den Lehrplan der Töchterschule aufgenommen, war aber lediglich mit 2 Lektionen wöchentlich dotiert. Das Fach wurde damals vom Rechenlehrer erteilt; dementsprechend erstaunt es nicht, dass v.a. geometrische Figuren gezeichnet wurden. Am Mädchengymnasium wurde Zeichnen mindestens bis in die 6. Klasse erteilt und 59

zählte zu den Maturfächern. Ab Schuljahr 1978/79 hatten die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums am Kohlenberg und des Holbeingymnasiums die Wahl, ob sie in der 5. und 6. Klasse Zeichnen oder Musik als Maturitätsfach besuchen wollten. Eine weitere Aufwertung erfuhren die beiden Fächer mit der Basler Gymnasialreform von 1997. Am Gymnasium Leonhard können nun neben den Sprachen auch Bildnerisches Gestalten oder Musik als Schwerpunktfach gewählt werden. Die folgenden beiden Zitate belegen, dass es schon früher durchaus Sinn gemacht hätte, die Fachbezeichnung «Zeichnen» durch «Bildnerisches Gestalten» zu ersetzen: «Jahrelang beschränkte sich der Zeichenunterricht auf Themen wie ‹was ich in den Koffer packe› und dergleichen Subjects. Dann kam GILBERT CHIQUET, und der Zeichen- und Werkunterricht wurde spannend. Man kratzte in Farbe, man hämmerte Kupfer, es entstanden Linolschnitte, welche auf Stoff gedruckt wurden, farbige Kieselsteine wurden zerschlagen und in Mosaik gelegt, und vor allem galt: jeder kann zeichnen! Mir fiel skizzieren sehr leicht. Jedoch der junge Lehrer rügte oft, es sei zu clichéhaft.» (Erinnerung S.W., Schuljahre 1939 – 1947) «Ich habe in der 2. Gym-Klasse (1964/65) mit dem Zeichenlehrer Fritz Wartenweiler glasierte Töpferware hergestellt. Damals war dies für mich eine sehr spannende Arbeit, und ich war fasziniert, wie die Sachen aus dem Brennofen gekommen sind.» (Erinnerung R. R.-R.) Bibliografie: Burckhardt, Paul: Geschichte der Töchterschule in Basel besonders während der ersten Jahrzehnte ihres Bestehens. Beilage zum Bericht der Töchterschule 1905 – 1906. Basel 1906. Gessler, Paul: 150 Jahre Höhere Mädchenbildung in Basel. Festrede gehalten an den Jahresschlussfeiern der Mädchenoberschule und der Mädchengymnasien I und II zum hundertfünfzigsten Jubiläum der Basler «Töchterschule» am 29. und 30. März 1963. Jelena Stefanovic

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Filmdokumente Bewegte Bilder machen die vergangenen Zeiten unserer Schule besonders nachvollziehbar und realistisch. Wenn man bedenkt, wie aufwendig das Filmen früher war, so können wir uns umso glücklicher schätzen, dass die Schule sogar über einige Filmminuten aus dem Jahr 1945 verfügt. Sie zeigen in Schwarz-Weiss und ohne Ton Schülerinnen und ihre Lehrer auf der Maturreise ins Tessin. Für diese Ausstellung konnten aber noch weitere Filmmaterialien beigezogen werden. Für die Jahre 1955 bis 1959 hielt die Klasse 5a – 8a wichtige Momente ihrer Klassengeschichte fest und überspielte diese später auf eine DVD. In den frühen Siebzigerjahren drehte Lehrer Hans Karrer anlässlich besonderer Schulereignisse mehrere Filme im Format Super-8. Auch diese sind inzwischen digitalisiert. Vereinzelt sind Video-Filme erhalten, so etwa ein Mitschnitt der Aufführung «Le Feuillu» vom Mai 1980 oder eine Aufzeichnung einer Snowboardschulung für Lehrkräfte. Als Klassenarbeit in einer Schulkolonie in Stels oberhalb Schiers entstand 1983 mit einfachen Mitteln ein Spielfilm zur Sennentuntschi-Sage. Da noch kein Schnittrekorder zur Verfügung stand, wurden die Szenen in der Kamera in der richtigen Reihenfolge der Handlung angesetzt. Mit fortschreitender Technik wurde die Zahl der Filme und die Bildqualität besser. Doch die Themen blieben mehr oder weniger die gleichen: Besondere Schulanlässe («Der falsche Tod», 2001; «Die sieben Raben», 2009), Schüleraufführungen, Skilager, Kolonien, Verabschiedungen usw. Es ist anzufügen, dass aufgrund der frühen Beschäftigung mit Filmen im Laufe der Zeit eine rege benutzte Medienwerkstatt entstand, in der Schülerinnen und Schüler mit halbprofessioneller Ausrüstung und Unterstützung durch Lehrpersonen selbst Filme produzieren können. Aus den vielen Stunden solchen Materials entstanden für diese Ausstellung in aufwendiger Arbeit acht Filme mit je einer Dauer von ungefähr 15 Minuten. Sie decken den Zeitraum von 1945 bis in die heutige Zeit ab, wobei das ältere Material etwas stärker berücksichtigt wurde. Sie werden an vier Videostationen mit je zwei Filmen kontinuierlich abgespielt. Werner Laschinger

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