Blockflotisten diirfen tun, was sie wollen

Blockflotisten diirfen tun, was sie wollen Ein Interview mit Dr. David Lasocki, Musikhistoriker und Bibliothekar der Musikabteilung an der Indiana Uni...
Author: Gerrit Schulze
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Blockflotisten diirfen tun, was sie wollen Ein Interview mit Dr. David Lasocki, Musikhistoriker und Bibliothekar der Musikabteilung an der Indiana University, Bloomington, USA

(Intervlew und Ubersetzung: Marlanne Mezger)

MM: David. Dein Name ist In der deutschsprachigen Welt vor allem 1m

Zusammenhang mit modernen Ausgaben bekannt, und ebenso den Lesern von Tibia, wo Du regelmasslg uber den neuesten Stand der Blockfiotenforschung berlcntest. Aus Deinem Curriculum Vltae ist zu erfahren, dass Du zuerst Chemle studlertest. Traverso und Blockflotenunterricht hattest, und 1983 In Musikgeschlchte promoVlertest. Erzahle uns bltte etwas uber Delnen Werdegang. DL: Ich wuchs In England auf. und zwar zu elner Zeit. wo das Schulsystem sehr spezlallslert war. Mit elf Jahren musste lch mlch bereits entschelden. entweder elnen naturwtssenschaftllchen oder elnen humanlstlschen Weg elnzuschlagen. Ich hatte gerade eln "Chemle-Set" geschenkt bekommen und war entzuckt von den verschledenfarblgen Verblndungen. die Ich damit herstellen konnte. Deshalb entschled ich mich fUr die naturwtssenschaftliche Richtung, obwohl die Schule mir elne Laufbahn In der Kunstabteilung vorgeschlagen hatte. Der schullschen Spezlallslerung wegen blleb Ich bis zum Universitatsabschluss auf dem gewahlten Geblet. Nach meinem Bachelor In Chemle gtng Ich direkt nach Amerlka. um Muslk zu studleren. MM: Du spieltest Blockfiote und Traverso. War es der Klang, die expresslven

Mow.lchkeiten. das RepertOire. oder der hlstorische Aspekt alter Muslk. der Dlcn am melsten interessierte? DL: Ursprungllch hatte lch mlch In den Traversoklang verllebt, zuerst war lch gar nicht angetan von dem der Blockfiote, obwohl lch seIber auch BlocKflote spielte. Ab ungefahr 1966 horte lch Aufnahmen und Konzerte mit Frans Bruggen, der historische Instrumente besplelte. Seln Spiel war fur mich ausschlaggebend. um ebenfalls den Klang der "neuen und anderen" Blockfiote gern zu bekommen. Ich denke, dass Ich ein geborener Forscher bin und kann mich kaum an elne Zeit erlnnern. wo Ich nlcht ~elc~elt1g an hlstorlschen Aspekten melner Instrumente Interesse gehabt hatte. Ubrlgens schmlss mlch melne damallge Lehrerln Ich war erst 17 Jahre alt - hlnaus, nachdem wir uns daruber gestrltten hatten. ob man Achtelnoten In elner Trlosonate von Quantz Inegal splelen sollte. Sle schlug mir vor. elnen anderen Lehrer zu suchen und sle hatte recht. Ich bevorzugte lmmer das FlOtenrepertoire des 18. Jh. vor dem der Blockflote. obwohl das letztere seine Schonheiten hat. Ebenfalls war lch immer auf der Suche nach "neuem" alten RepertOire und stoberte In Blbllotheken, wle beisplelswelse der British Library.

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MM: Kannst Du uns etwas uber Delnen Instrumentalunterricht erzahlen? DL: Wahrend melnes Chemlestudlums in London hatte ich Prlvatunterricht

auf Traverso und Blockfiote bel Edgar Hunt und wahrend der Semesterferlen besuchte 1ch Kurse auf dem FestIand. Das erste und fUr mich wichtigste Erlebnls war e1n vom Moeck-Verlag organ1slerter Kurs In der Nahe von CelIe. Ich war damals 18 Jahre alt. Auf dem Rurs begegnete lch Betty Bang (spater Betty Bang-Mather). und ihr htmmllsches Traversosplel ist daran schuld. dass lch zur Muslk wechseln wollte. Ich hatte auf dem Kurs Unterrlcht von Johannes Brinkman. Ich erinnere mich an seine Bemerkung. ich solIe vor allem nicht so steif sein. sondern mlch entspannen; dies war eln guter Rat fur einen jungen Englander. Betty riet mlr. bei ihrem ehemaligen Lehrer. Gustav SchecK. Unterricht zu nehmen. Er wurde meln Mentor wahrend der nachsten zwei Sommerurlaube. Ich mochte. wie er Traverso spielte. es war eine ausgewogene Mischung ZWischen Intellekt und Splritualitat. Scheck sprach ausgiebig (auf Deutsch) uber Zen-Buddhismus. Kathakali-Tanze und andere. fUr mich damals neue. Themen. Er war In hlstorischen Quellen bewandert und ich schatzte eSt mit ihm daruber diskutleren zu konnen. MM: Du hattest ganz fruh angefangen. Dich mit Auffuhrungspraxis zu beschaftigen und ubersetztest mit 21 Jahren Hotteterre's Principes 1968. Wer oder was hatte eine solche starke Anzlehungskraft auf Dich? DL: Meln Interesse an hlstorischer Auffuhrungspraxis entwickelte slch auf

naturliche Art. Ich las mit sechszehn Jahren Arnold Dolmetschs "Interpretation of the Music of the XVII and XVIIIth Centuries Revealed by contemporary Evidence" (1915). und dies weckte melnen Appetlt. Quantz. der einen wlchtigen Tefl in Dolmetschs Arbeit einnahm, zu lesen. Ich fing ubrigens an, Deutsch zu lernen mit der Absicht, ihn In der Origtnalsprache l.~sen zu konnen. Es gab damals noch keine veroffentlichte engUsche Ubersetzung. Aus dem gIelche~ Grund ubersetzte ich Hotteterres Prlncipes, und Edgar Hunt riet mlr. die Ubersetzung zu publlzleren. Meine Motivation war eSt Information zu finden. die ich in meinem Spiel anwenden konnte. Fur einen jungen Forscher wie mich war es naturl1ch aufregend, so leicht und so fruh etwas drucken zu konnen. MM: Viele Delner Ausgaben gehen ebenfalls in die 1970er Jahre zuruck. War das die Zeit. wo Du am meisten spieltest? DL: Meine Herausgebertatigkeit begann genau genommen 1969. gerade

bevor lch nach Amerlka ging. Ich suchte zusammen mit J.M. Thomson Richard Pringsheim von Musica Rara auf. um zu fragen. ob er die fur Scheck. der zuvor nie in England aufgetreten war. geplanten Konzerte unterstutzen wollte. Er lehnte abo aber icn benutzte die Gelegenheit. Ihn zu fragen. ob er Interesse hatte. Blasermusik des 18. Jh.. die ich in der British Library aufstoberte, zu verlegen. Er stieg darauf ein. und somit fing lch an. moderne Ausgaben zu versorgen. Meine Hauptmotlvatlon bestand darin. gute Ausgaben unter die Leute zu bringen. Meine Vorworte enthalten die fnformation. die ich gerne seIber in einer Ausgabe gefunden hatte. Sie 1llustrieren daruber hinaus meine Le1denschaft fur Musik und Musikgeschichte. Ich habe genau hundert Ausgaben von Blasermusik redigtert. Musik fur Oboe. Flote. Blockflote. und ein kleiner Tefl fUr Klarinette. Fagott und Horn. MM: Wie verlief Dein Musikstudium?

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DL: Ich studierte an der Universitat of Iowa (U.S.A.) in erster Linie. urn mit Betty Bang Unterrlcht zu haben. und zweitens. urn bei Ihr Auffuhrungspraxls zu studleren. Ich belegte moderne Flote mit dem Hlntergedanken. dass dies meinem Traversosplel zugute kame. Aber das Gegentell geschah. und ich verlor das Interesse am "Flotensplel. Ebenfalls wurde ich in Musikgeschlchte ausgeblldet.

MM: Du hattest Kontakte mit Frans Bruggen, er schlug Dir das Thema Deiner Doktorarbeit vor. DL: Ich lernte Frans durch die Konzerte, die er jahrlich in den 60er Jahren in London gab. kennen. Er las meine ArUkel und respektierte meine Arbeit. In den ausgehenden 70er Jahren wollte Frans eine Dokumentatlon uber Blockflotenspieler der Vergangenheit zusammenstellen. Er beauftragte Forscher aus verschiedenen Lfuldern Europas. der Geschichte der Blockflote nachzugehen und fragte mich, diese Arbeit fUr England zu ubernehmen. Leider war lch der einzige. der eine ferUge Arbeit zustande brachte. deshalb gab es nie einen Film. aber ich verwenaete das Material anschliessend fur meine DissertaUon "Professional Recorder Players in England 1540-1740". Als Bruggen mich fragte, der Blockflotensituation in England nachzugehen. hatte ien ein wenig blographlsches Material uber Johann Christian Schickhardt zusammengetragen, aber nie hatte ich in einem Archiv gearbeitet. Fur meine Dissertation musste ich alles von Grund auf lernen. Einmal mit der Forschungsarbeit begonnen. wurde ich auf Anhleb suchtig. Seither bin ich eln tlbiography junl{ie" (angefressener Biograph). Es ,:Q.bt nichts Aufregenderes fur mich 1m Leben. als die Biographie eines aften Muslkers aus klelnen fragmentarischen Tatsachen aus Archiven und BlbUotheken zusammenzustellen. Es ist unmoglich. die Befrledlgung jemandem zu erklaren. der sie nlcht seIber am eigenen Leibe erfahren hat. Es ist DetekUvarbeit. um Instrument und Musik zu beleuchten. Ich verbrachte unzahlige Stunden in Archiven und noch vlel mehr Zeit nachher. um die Information fur meine Dissertation. mit Hilfe eines der ersten pr1miUven Wordprocessors. zusammenzusetzen.

MM: DaVid. Du promoviertest an der Universitat von Iowa 1983 und arbeitest heute als Forscher in der MusikbibUothek der Indiana University. Wie kamst Du zu Deinem heutigen Beruf? DL: Nachdem ich das Doktorat 1983 erworben hatte. war ich arbeitslos. Der Arbeitsmarkt fUr Musikw1ssenschaftler war klein. und ich konnte nichts finden. Ich lebte sechs Monate von der Sozialhllfe. und das Arbeitsamt setzte mich an der offentl1chen Bibl10thek in Iowa City ein. Ich hatte vorher nie erleb1. wie elne BibUothek funkUoniert. und glelch von Anfang an war ich von meiner neuen Arbeit begeistert. [ch machte eine Ausblldung als Bibl10thekar und schloss 1985 abo Seither bin ich in dlesem Beruf taug. anfan~l1ch an der Universitat in North Carolina und seit 1987 an der MusikoibUothek der Indiana Unlvesity.

MM: Inwlefern hat die amerikanische Ausblldung Dich beeinfiusst. elne wissenschaftl1che und nicht etne prakUsche Laufbafin elnzuschlagen? DL: Ich glaube. dass die KombinaUon von Mustkgeschlchte. Auffuhrungspraxls und praktischer Musikerausblldung in Amerika meine Karriere mo~ich machte. Es ist schwierig zu spekul1eren. wie das damals in Europa der Fall hatte seln konnen. In Iowa fand ich heraus. dass ich nicht genug Passion und vielleicht auch nicht genug Talent hatte. urn ein ausfUhrender Berufsmusiker zu werden. Ich cfenke. die Erfahrung hat mich Selte 12

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gelehrt. dass ich eher ein Schriftsteller und Forscher bin. als ein ausiibender Muslker. MM: In den slebziger Jahren nahm AvantJ;!arde-Musik fUr Blockflote an

Bedeutung zu. aber gleichzeitlg wuchs eln Wlderstand In Kreisen. dIe slch mit hlstorlscher Auffiihrungspraxls auselnandersetzten. DL: Ich kannte verfremdete Klange von der Flote her. somit war dIes nlcht

neu fUr mlch. Aber ich fand dIe neuen Mogllchkelten aufregend. Ich schrleb eine Rezenslon von Michael Vetters "II Flauto dolce ed acerbo" 1968. und kaufte beglerlg Blockflotenstiicke von Jiirg Baur, Rob du Bois und anderen. sozusagen frisch ab der Presse. In Iowa splelte lch In elner Improvisationsgruppe mit zwei Komposltlonsstudenten zusammen, (einer davon wurde spater Dlrektor der Ju1lliard &hool of MusIc) und machte von so vlelen Avantgardetechniken Gebrauch. wie ich nur konnte. Unser Ensemble erre~e in Iowa Aufsehen, und ich erinnere mlch, dass Roger SessIons. eln oedeutender Gastkomponlst bemerkte, dass unsere Arbeit interessanter ware als die Komposltlonen unserer Mitstudenten. Auf jeden Fall sab und sehe ich keine Konfllkte ZWIschen der Rolle der Blockflote In der alten oder neuen Musik. MM: Deine Artikel und Rezenslonen wuchsen und sind lnzwlschen zu

Biichern geworden. Ich frage mlch, wieviel Zeit Delne Arbelt an der Universltat in Anspruch nlmmt. und Wieviel Du in private Forschung investierst. Deln zusammen mit Richard Griscom erschienenes Buch "The Recorder: A GUide to Writings about the Instrument for Players and Researchers" (New York. Garland 1994), das Frans Briiggen gewidmet ist. ist nicht mehr wegzudenken aus der Bibllothek eines an Blockflote interessierten Menschen. Du schreibst darln ebenfalls iiber die Zukunftsforschung der Blockflote. DL: Ich habe eine volle Stelle an der Universltat (ca. 40-50 Wochenstunden)

und ein aktives FamiUenleben. drei Kinder 1m Alter von 16. 18 und 20 Jahren. Meine Frau Catherine. sie war Fagottistin. hat soeben eine zweite Laufbabn in MedlZln in Angrtff genommen. Sle hat mlch gelehrt. kein Fachldiot zu sein. sondern eln ausgelllichenes, abgerundetes Leben zu fUhren. Meine Kinder sind anspruchsvoll und verlangen mlr viel Zeit und Energie abo Deshalb habe lch taglich nlcht mehr als etwa elne halbe Stunde Zeit fUr ForschunJ;!. aber wenn man J;!eniigend viele halbe Stunden zusammen nlmmt. kann man Biicher scfirelben. sogar dlcke ... ! Was die Forschung der Blockflote betrifft, haben sich in den letzten Jahren namhafte Leute aus den u.s.A. und Europa in Form von Thesen. Dissertationen oder Artikeln. die das Thema Blockflote in lrgend elner Weise tangiert. daran beteiUgt. und ich denke. dass dieser Trend anhalten wlrd. 1m Allgemeinen ist die Zahl der Blockflotenforscher noch gering. und der durchschnittllche Blockflotlst, ob Amateur oder Berufsbloclillotist, scheint nicht viel Interesse daran zu haben. Aber die. denen es WichtiJ;! 1st. fahren trotzdem welter. Ich denke. einer der er~ebigsten Versuche ist der. der Frans Briiggen fiir meine Dissertation ausgedacht hatte, namlich die Blockflote durch die Augen eines Berufsblockflotlsten In elnem besttmmten Land zu betrachten. Sobald man weiss. wer die Berufsleute waren. woo wann. warum und fUr wen sie splelten. welche Kompositionen und auf welchen Instrumenten. stimmen Musik und Auffiihrungspraxis iibereln. MM: DaVid. Du hast prazise Ansichten iiber dIe "grosse AuthentlZltats­

Debatte". Vlellelcht kannst Du ebenfalls etwas iiber Taruskin sagen.

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DL: Ich fing mit der fUr lange Zeit iibl1chen Idee, die jedermann, der sich mit

"Alter Musik" beschMtigte hatte, an, Auffiihrungspraxis zu erforschen. Der Grundgedanke dabei war, historische Auffiihrungspraxis zu rekonstruieren, die dann unvermeidl1ch zu besseren Auffiihrungen fUhren sollte. Richard Taruskin hat den niitzl1chen Schritt unternommen und uns gezeigt, dass unsere Ansichten nicht auf einer philosophischen Grundlage beruhen. WeU Musik interpretiert werden muss, konnen wir sie nicht wie beispielsweise ein altes GemaIde rekonstruieren. Unvermeidl1ch spielt der StU des Interpreten eine Rolle belm AusfUhren einer Komposition. Und der StU jedes modernen Interpreten stammt unweigerl1ch vom modernen Geschmack her, - sogar wenn er alle bis heute erTorschten historischen Tatsachen miteinbeziebt. Taruskin hat ebenfalls gezei~, dass wir bewusst Sachen, die zwar aus historischer Sicht belegt sina, ignorieren, falls sie mit unserem heutigen Geschmack nicht iibereinstimmen. Zum Beispiel: wir versuchen, ein einziges Tempo fUr einen ganzen Satz zu wahlen, (eine Erbschaft Maelzels), obwohl historische Musiker dies augenscheinlich nicht taten. Natiirl1ch ist es gut und angemessen, in einem StU, der historische Auffiihrungspraxis enthaIt. zu spiden. Wtr diirfen uns nur nicht vormachen, dass unser Versuch "authentischer" sei als jeder andere. Ich habe lange gebraucht. urn Taruskin zu verdauen und seine Argumente zu verstehen, aber ich bin jetzt ganz iiberzeugt von seinen Aussagen, und versuche, seine Ansichten zu popularisieren, so z.B. in Artikeln fUr "The Recorder" (Australien) und "The Recorder Education Journal" (Zeitschrift von ARTA und ERTA UK).

Dr. David Lasocki, Music Library, School of Music; Indi ana University, Bloomington USA.

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MM: Was diirfen oder sollen Blockflotenspieler Deiner Ansicht nach tun. was sollten sie unterlassen? Bitte zehn "Todsiinden". DL: Blockflotlsten diirfen tun. was sle wollen. Ich glaube nlcht, dass wir Siinden verschrelben konnen, aber fUr mich kann ich sagen. dass lch expressive und kreatlve Auffiihrungen mag. in welchem Stll auch tmmer. Wenn der Spieler mit dem PubUkum kommuniziert. hat er das Ziel als Interpret erreicht. Die g:ossen Blockflottsten unserer Zeit. Frans Briiggen als elner. sind grosse Erzahler und deshalb waren sie erfolgreich - der Grund des Erfolgs ist nicht, dass sie etwas von Auffiihrungspraxls verstehen. Elnmal habe lch John Coltranes Jazzinterpretatlon der Greensleeves auf dem Sopransaxophon als gutes Beispiel einer authentlschen Auffiihrung verwendet. Ich hore seIber gern friihe und neuere Muslk. seit meiner Jugend bin ich ein interessierter Jazz-Fan. Ich bevorzuge Musik. die unabhangtg von Sttl. Kompositlon oder Auffiihrungspraxts. mich anspricht und mich dabei belebt. entweder 1m emotlonellen oder spirituellen Bereich. Ich bevorzuge diese Art von Musik welt mehr als historisch "korrekte" und ernste Auffiihrungen alter Muslk. MM: Noch einige Fragen zur amerikanlschen Blockflotenszene. Inwiefern unterscheidet sle sich von der europatschen? Welche Mogllchkeiten stehen Studenten offen. was sind die Aussichten fUr eine Karriere als Berufsblockflotist? Wer splelt In Amerika Blockflote. welches RepertOire wird gesplelt? Wle stark 1st die "historische" Bewegung 1m Vergleich zur Avantgarde und zeltgenosslschen Musik? DL: Die amerikanische Szene Wird von Amateuren domlniert. Auch fiir die besten amerikanlschen Blockflotlsten 1st es schwlerig. elnen Lebensunterhalt als Blockflotlst zu verdienen. es sel denn mlt Unterrlchten. Die melsten der Besten gehen nach Europa oder schlagen slch als Lehrer von Amateuren durch und spielen dann und wann eln Konzert. Die Situatlon hier ist sehr entmutlgend. Der einzlge. iiber langere Zeit erfolgreiche Blockflotlst. der ausserhalb elner Universitat Karriere gemacht hat. 1st Scott Reiss. elner der Lelter von Hesperus in Washin,:(ton D.C .. Er stosst auf viel Interesse mit seiner "Crossover music". einer ""Mischung aus alter Musik. Folk und Jazz. dies vor allem in Deutschland. Er 1mprovislert ebenfalls Jazz auf der Blockflote! Hlstorlsche Auffiihrungspraxts wird an Hochschulen gelehrt. so z.B. in Eva Legene's BlockflotenkIasse an der Indiana Universitat. Aber Richard Taruskins Ideen drlngen zum Gliick auch langsam durch zu denen. die authentlsche Auffiihrungspraxts fiir sich beanspruchen. Pete Rose. der sich in Avantgarde spezialisiert, ist in den letzten Jahren auch in Europa aufgetreten. MM: Wle und worin siehst Du die Rolle der Blockflote in unserer Gesellschaft? DL: Ich glaube nicht. dass die Blockflote je ein Hauptinstrument sein kann wie z.B. die Flote oder Oboe, sie hat kein qualitatlv stark genuges friihes RepertOire und 1st zu schwierig. urn rtchtlg gut gespielt zu werden. Aber ich denke. dass sie weiterhin eine Rolle spielen wird. wahrscheinlich in kleinerem Rahmen als jetzt. auf der Primarschulstufe. in Amateurkreisen. und zu elnem klelnen Tell in zeitgenossischer und elektronischer Musik. In der letzteren sind die ZuhorerzahIen bereits jetzt klein. 1m Jazz, trotz Scott Reiss' Bemiihungen. sehe ich kelne grosse Rolle der Blockflote. sie klingt nicht "dirty" (schmutzig) genug.

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MM: Wie stehst Du zum Elnsatz der Blockflote auf Pr1marschulebene? DL: Ich bin nlcht slcher. ob Ich qual1fizlert bin. dlese Frage zu beantworten.

aber Ich versuche es trotzdem. Es 1st elnfach. die GrtfIe auf der Blocldlote zu erlernen und wenlgstens elne Art von Klang darauf zu produzleren. deshalb schelnt sle slch aIs Anfangerlnstrument zu elgnen. Muslklehrer und Ihre SchUler. sowle deren Eltern ~auben dies Jedenfalls. Das hat zum Ergebnls. dass es oft In "grobes' Musizleren hlnauslauft. und dass der Unterrlchtsstandard ttef 1st. Ich wiinschte. dass die Blockflote den Eindruck geben wiirde. so schWierig zu erlernen zu sein. Wie sie es In Wirklichkeit 1st. Trotzdem ermogllcht die Blockflote es vtelen SehUlern. die sonst nie die Moglichkeit hatten. sich an elnem Instrument zu versuchen. NatiirUch 1st es viel schWieriger als man annehmen wiirde. einen guten Klang hervorzubringen und eine Atemkontrolle zu entwickeln. die es einem ermoglicht. wlrklich Musik auf der Blockflote zu machen. Deshalb errelchen nur wenlge Schiiler das Stadium. wo sie musikallsch mit dem Instrument umgehen konnen. und dies gibt der Blockflote ihren schlechten Rut. Die Blockflote ist aber so gut etabHert auf der Pr1marschulstufe. dass ich mir vorstelle. dass sle dlese Rolle beibehalten wird. Deshalb ware es mir Wichttg. elnen hoheren Unterrlchtsstandard anzustreben. MM: Dank De1ner grossziigtgen HUfe an meinem englischen Flageolet- und Blockflotenschulen-Projekt habe ich Dich selt unserer Begegnung In Utrecht 1993 naher kennen gelernt. Ich wiirde Dich als ausserst genau beschreiben; Du musst Dlngen auf den Grund gehen. hast immer einen Rotst1ft zur Hand und liebst DlsKussionen. worin Du gerne das letzte Wort hast. Was melnst Du zu diesem Steckbrief? DL: Es ist wlchttg fUr elnen Forscher. so exakt wle mogllch zu setn. speziell

in Bezug auf biographische und bibHographlsche Forschung. Elne falsche Behauptung kann eine Tatsache rulnieren und somtt schlimmere Folgen haben als nur des Lesers Zett zu verschwenden. Ich Hebe eSt ebenso genau mit der Sprache umzugehen und arbeite .y1el mit Studenten. denen Ich beibringe. gutes Englisch zu schreiben. Ubrlgens habe ich elne zweite Karriere begonnen als Herausgeber von Prosa. Das mit dem Rotst1ft hast Du recht. Vielleicht 1st es ebenso elne Temperamentsfrage oder e1ne asthettsche Angelegenheit. Ich l1ebe eSt meinen Standpunkt zu verteldigen. wenn ich leidenschaftliche Gefiihle oder Anslchten zu einem Thema habe. Nimm z.B. die beriihmte Debatte vor ein paar Jahren. ZWischen Alec Loretto. Fred Morgan und mir. iiber die Sachet wer als erster elne Ganasstflote nach dem Wiener Orl~nal baute. Kiirzl1ch hatte ich eine ahnliche Debatte mit Bart Kuijken Uber authentische Aufi'iihrungspraxis. sie wird in der Dokumentatton des Utrechter Blockflotensymposlums verofi'entlicht werden. Ich denke. dass Ich dabei meinen Standpunkt besser als ~t verteidlgt habe. MM: Wie sehen Delne Zukunftsplane aus? DL: Ein Buch iiber den enlVischen Zweig der Bassanofamllie (zusammen mit

Roger Prior) wird 1m Mal Del Seolar Press erschelnen. ebenso die von mlr rediglerte Dokumentatton des Utrechter SympOSiums (STIMU). Der "Cambridge Recorder Companion" wird ebenfalls dieses Jahr erscheinen; ich habe drei Kapitel iiber Blockflotenkonzerte. Blockflotenspieler der Vergangenhett und Blockflotenschulen. friiher und heute. dazu beigesteuert. Ebenso bin ich daran. die Dokumentation des Symposiums fUr Doppelrohrblatt-Instrumente (Utrecht 1994) druckre1f zu machen. Andrew Ashbee. Peter Homan und ich arbelten an "A Biographical Dictionary of English Court MUSicians 1485-1714" fUr Seolar Press. das Buch ist fiir 1997

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vorgesehen. Und dazu kommen die regelmasslgen Artikel und Rezenslonen. Es glbt keln Mangel an Arbeit! MM: Was wiinschest Du der nachsten Generation von Blockflotisten? DL : Dass die Generation klelner seln soll.

und dass sle slch nlcht ausschl1essl1ch auf das Spiel der Blockflote beschranken so11.

MM: Was wiinschest Du Dlr seIber? DL: Meiner Leldenschaft zu folgen. was Immer sle seln wtrd.

MM: David. vlelen Dank. dass Du uns elnen Elnbl1ck In Deln Berufsleben gegeben und ebenso peine Anslchten uns mitgetellt hast. Ich hoffe. dass die Leser durch Delne "Uberbl1cke tiber die BlocKfiotenforschung" sowle durch Delne Publ1kationen mit Dtr In Verblndung blelben werden.

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