Better than well oder Doping?

„Better than well“ oder Doping? Leistungssteigernde Substanzen und Risiken des Neuro-Enhancements von Giselher Spitzer _______________________________...
Author: Hede Schubert
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„Better than well“ oder Doping? Leistungssteigernde Substanzen und Risiken des Neuro-Enhancements von Giselher Spitzer _________________________________________________________________________

1. Einleitung „Better than well“ ist ein anregendes Wortspiel, zugleich eine Karikatur der angenommenen Befindlichkeitssteigerung, die Anhängern des Neuro-EnhancementKonzepts1 entgegengehalten wird. Kann es einem gesunden Menschen an jedem Tag seines Lebens durch Einnahme von Medikamenten überhaupt besser gehen als „gut“? Für unser Thema schließt sich zugleich die Frage an: Ist „Neuro“Enhancement nicht zugleich auch „Doping“? Unter der Leit-Frage „Doping oder nicht?“ diskutiert Bernd Ahrbeck in diesem Buch ausführlich die Erklärungsmodelle, Diagnose und Therapie bei einer vorliegenden oder falsch diagnostizierten ADHS im Kindes- und Jugendalter. Michael Soyka analysiert die internationale Datenlage zum Gebrauch von Psychopharmaka und bewertet den Missbrauch. Im Folgenden werden hingegen aus der Perspektive des Sports (und entsprechend auch als „Einwurf“) die Konsequenzen von ADHS-Medikamenten und verwandten Substanzen aus der Behandlung von Demenz- und Schlafkrankheit für die Anti-Doping-Politik beleuchtet. Sie ergeben sich aus dem am 12. Oktober 2009 vorgestellten “Memorandum” der Forschungsgruppe um Thorsten Galert von der „Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen“ (Bad NeuenahrAhrweiler) zum Umgang mit „Brain-Enhancement“. Über das Internet ist leicht Einblick in die Ausgabe der populärwissenschaftlichen Zeitschrift „Gehirn&Geist“ zu nehmen. Dort findet sich der von sieben Autoren verantwortete Text: „Das optimierte Gehirn. Ein Memorandum zu Chancen und Risiken des Neuroenhancements“ (Galert et al. 2009). Übersetzt kann man das Vorgehen der Forschergruppe der Europäischen Akademie so beschreiben, dass eine Selbstmedikation mit hirnwirksamen Substanzen vorgenommen wird, die der Verbesserung der geistigen („kognitiven“) Fähigkeiten und der Befindlichkeit dient, wobei der Sport nicht berührt würde. Als ‚Doping im Sport’ versteht die Autorengruppe lediglich die körperliche Leistungssteigerung, die durch das beschriebene „Neuro-Enhancement“ jedoch nicht erreicht wird und auch nicht beabsichtigt wird. 1

Vgl. Hoberman 2008, Knörzer et al. 2006; Waddington 2000; Heck & Schulz 1997; Seel 2008; Soyka, Sievers & Fischer-Erlewein 2009 oder mit Blick aus der AD(H)S-Problematik Amft 2006 sowie den kritischen Sammelband Leuzinger-Bohleber, Brandl, & Hüther 2006. Bei dem vorliegenden Text handelte es sich um die Überarbeitung eines Beitrags, der beim Hearing des sportwissenschaftlich-philosophischen Teilprojekts der Humboldt-Universität zu Fragen der Leistungssteigerung bei Kindern und Jugendlichen am 11. November 2009 gehalten wurde.

„Better than well“ oder Doping? Neuro-Enhancement und Sport

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So setzt man sich in der Autorengruppe vom Doping-Begriff ausdrücklich und offensiv ab. Hiermit ist allerdings keine „Entwarnung“ für die Doping-Problematik verbunden, wie unsere Überlegungen zeigen können. Dieser Beitrag soll nämlich eine kurzschlüssige Fehldeutung des Memorandums vermeiden und dadurch einer missbräuchlichen Verwendung entgegenwirken, um besonders Kinder und Jugendliche vor medizinischen und rechtlichen Nachteilen zu bewahren. Die der öffentlichen Präsentation vorgeschaltete Pressemitteilung vom 9. Oktober 2009 verdeutlicht das Denkmodell in plakativer Weise. Der Ansatz wird knapp formuliert und ausdrücklich vom Doping abgegrenzt: „Berlin, 12. Oktober 2009. – Zunehmend berichten Medien von Studenten, die zur Prüfungsvorbereitung Aufputschmittel nehmen, oder von Menschen, die dem Druck am Arbeitsplatz mit Medikamenten begegnen, welche sonst zur Behandlung von Depressionen (Antidepressiva) oder der Alzheimerkrankheit (Antidementiva) dienen. Eine solche Verwendung von Psychopharmaka ohne therapeutischen Zweck wird oft abschätzig als „Hirndoping“ bezeichnet. Als neutrale Alternative hat sich in Fachkreisen der Begriff „Neuro-Enhancement“ durchgesetzt. Wie häufig gesunde Menschen gegenwärtig tatsächlich Medikamente einnehmen, um ihr Gedächtnis, ihre Konzentrationsfähigkeit oder ihre Stimmung zu verbessern, lässt sich nur schwer abschätzen. Kaum zu bezweifeln ist jedoch, dass das Interesse an den Möglichkeiten des pharmazeutischen NeuroEnhancements wächst. Es ist daher an der Zeit, eine breite öffentliche Debatte darüber zu führen, wie diese Entwicklung zu beurteilen ist. Was spricht eigentlich dagegen, Psychopharmaka zu nehmen, um kognitive Fähigkeiten oder die emotionale Befindlichkeit über das „normale“ Maß hinaus zu verbessern?“2 Das Memorandum hat offensichtlich eine doppelte Stoßrichtung: Es gibt zum Teil vorläufige Einschätzungen auf Wirkungen und Nebenwirkungen bereits existierender Heilmittel mit „Neuro-Enhancement“-Potential vor. Der Weg der Veröffentlichung war vielleicht missverständlich gewählt: Anstatt die differenzierten Analysen der Gruppe vorzustellen wählte man den Weg eines populär gehaltenen Pamphlets. Dies öffnete medialen Missverständnissen Tür und Tor. Bei der Präsentation in der BerlinBrandenburger Akademie der Wissenschaft war m. E. Differenzierteres zu hören als im Memorandum zu lesen; so, als Projektleiter Galert zwar eine Liberalisierung forderte, jedoch vor unkritischem Gebrauch und unangemessenem sozialem Druck warnte, der gleichsam gegen den Willen zur Einnahme von EnhancementPräparaten durch den Pressor „rücksichtslose Ellbogengesellschaft“ führte. Der letzte Aspekt, der von Forschergruppe der Europäischen Akademie angesprochen wurde, wird zunehmend problematisiert. So hat eine viel beachtete Studie der DAK inzwischen empirische Belege über „Doping am Arbeitsplatz“ vorgelegt, die bedrücken (DAK Forschung 2009). Im Memorandum wird das Thema Arbeitsrecht und Arbeitsschutz allerdings nicht thematisiert: Ob die Gewerkschaftsbewegung NeuroEnhancement in der Berufsausübung tolerieren könnte, ist nicht anzunehmen. Im Gegenteil gibt es von dort erste Warnungen, wenn auch noch keine entfalteten Konzepte. So wies DGB-Vorstandmitglied Annelie Buntenbach noch vor dem Memoran2

http://www.ea-aw.de/de/service/pressemitteilungen/2009/oktober/09/empfehlungen-zumverantwortungsvollen-umgang-mit-den-chancen-und-risiken-des-pharmazeutischenneuro.html 4

Berichte sind u.a. in Spiegel online vom 14. Juli 2009 zu finden.

Giselher Spitzer

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dum 2009 auf die Verwendung leistungssteigernder Mittel hin: „Doping am Arbeitsplatz und verschleppte Krankheiten“ würden massive Folgekosten für Unternehmen und Sozialsysteme nach sich ziehen.4 Letzte Auswirkungen waren Reflexionen über die Einflüsse auf das Bildungswesen, wenn der Berliner „Tagesspiegel“ am 18. Januar 2010 titelte: „Bildung nicht ans Doping ausliefern“. Die Verzehnfachung des Ritalin-Konsums innerhalb des letzten Jahrzehnts war dort Anlass, in ähnlicher Weise wie hier davor zu warnen, dass der Zugang zu psychotrophen Medikamenten eine „Verkürzung des Bildungsgedankens“ bewirken könne. Statt „learning to the test” könnte es dann heißen: “doping to the test“. Andere aktuelle Begrifflichkeiten für Neuro-Enhancement sind „Smart pills“, „Brainbooster“ und „Cognitive enhancer”.5 Auch für den Bereich von Sport und Bewegungskultur machte das Memorandum allerdings Überlegungen über die Folgen nötig, die im November 2009 vorgestellt wurden.

2. Auswirkungen des Neuro-Enhancement-Konzepts auf den Sport Die Forschergruppe der Europäischen Akademie setzt sich im Memorandum damit auseinander, was zukünftige Situationen ergeben könnten: Wenn es irgendwann einmal für Gesunde Mittel zur Verbesserung der Fähigkeiten gäbe, die ohne gesundheitliche Risiken verwendet werden könnten – dann? Genau an diesem Punkt setzt gleichsam das Denkspiel dieser Arbeitsgruppe ein: Möglichkeiten und Grenzen der Verwendung der Neuro-Enhancement-Präparate in der Gesellschaft – ausdrücklich nicht im Sport! – werden gleichsam im Sinne der Zukunftsforschung durchgespielt.6 Dem europäischen Mainstream folgend wird dabei durchaus relativiert, ob es beim Gesunden überhaupt eine Wirkung der Heilmittel gäbe und wie gefährlich die Einnahme der Präparate für den Gesunden sein könne. Echte Warnhinweise fehlen jedoch und werden auch nicht kommuniziert. Hier ragt die gewichtige Warnung „Black box“ der „Food & Drug Administration“ (FDA) vor Risiken bei der Langzeiteinnahme von Methylphenidat-Präparaten heraus. Die Reaktion der schreibenden Presse auf das Programm war jedenfalls fast durchgängig nicht zustimmend. Den Abschluss machten zeitverzögert die „Neue Zürcher Zeitung“ mit einer kritischen Auseinandersetzung sowie der „SPIEGEL“ (26. Oktober 2009), der mit Interviews und einer verfremdeten Fallstudie einer Mutter und Apothekerin mit Ritalin-Abusus ein denkbar ungünstiges Bild vom Neuro-Enhancement mit heute zugänglichen Substanzen zeichnete. Die Zuordnung einiger Schlagworte soll das Spannungsfeld zwischen Doping und Neuro-Enhancement illustrieren, um die Diskussion für dieses neue Feld der Prävention zu öffnen.7 5

In diesem Zusammenhang ist als pointierter englischsprachiger Impulstext für den Unterricht geeignet: Das „Pro“ von John Harris und das „No“ von Anjan Chatterjee in: „Is it acceptable für people to take methylphenidate to enhance perfomance? In Head to head. BMJ (2009), 1532.

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Eine ausführliche Kritik des Neuro-Enhancement-Ansatzes aus Sicht der transdisziplinären HU-Arbeitsgruppe folgt.

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Die Problematik des zwischen Doping und Enhancement entstandenen Spannungsfelds wird später noch differenziert betrachtet.

„Better than well“ oder Doping? Neuro-Enhancement und Sport

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Freie Entscheidung – Zwang Sport – Freizeit – Beruf Geistige und/oder körperliche Leistung Doping ->

Chancengleichheit und Fairness



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