Castor schottern: Zum Widerstand gegen den Transport nach Gorleben. Seite 4

Das linke Magazin für Oberhausen

Schacht IV: Bangel macht aus Industriedenkmal Wohnen mit Flair? Seite 7

Nummer: 19

Dezember 2010

Bert-Brecht-Haus und nun? Kaum war in der örtlichen Presse durchgesickert, dass die Sanierung des Bert-Brecht-Hauses auf Grund zuvor nicht bekannter baulicher Mängel teurer werden würde als angenommen, setzte in Oberhausen der übliche Streit zwischen der CDU und der von SPD und Grünen gestellten „Stadtregierung“ ein. Man warf sich vor, was man sich in solchen Fällen vorwirft. Schlechte Planung, Inkompetenz, Verschwendung von Steuergeldern usw. Den Vogel abgeschossen hat jedoch wieder einmal Jörg Vorholt, seines Zeichens Schreiberling beim Anzeigenblättchen „Wochen Anzeiger“, der in einer der letzten Ausgaben schlichtweg den Abriss des BBH forderte, da die Sanierung zu teuer sei und man das Geld für besseres ausgeben könnte. Grund genug für Paroli den Blick auf die wechselvolle Geschichte des heute unter dem Namen Bert-BrechtHaus bekannten Gebäudes zu werfen. Bereits 1925 , also vor exakt 85 Jahren, wurde der hintere fünfgeschossige Teil des Bauwerks errichtet und von der damals in Oberhausen erscheinenden katholischen Zeitung „Ruhrwacht“ genutzt. Zwei Jahre später begann die zweite Etappe des Baus. Um die Schwierigkeit der spitz zulaufenden Straßen in diesem Bereich des Grundstücks zu überwinden, orientierte sich der mit der Planung beauftragte Architekt Otto Scheib an dem 1924 eingeweihten Hamburger Chilehaus, das zu Recht neben dem „Michel“ und der Reeperbahn noch heute als eines der Wahrzeichen der Hansestadt gilt. Innerhalb eines Jahres entstand so auf dem Grundstück zwischen der heutigen Langemarkstraße und der

Paul-Reusch-Straße einer der eindrucksvollsten Bauten des deutschen Backsteinexpressionismus. Nach der Fertigstellung 1928 eröffnete in dem damals im Volksmund noch Ruhrwachthaus genannten Gebäude die Leonard Tietz AG das erste Warenhaus Oberhausens. Auf für damalige Verhältnisse unvorstellbaren fünf Etagen konnten die Besucher alles, von Hüten bis zu Lebensmitteln, erwerben. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Warenhaus Tietz zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten Oberhausener Einzelhandelsunternehmen. Zwangsarisierung Diese Erfolgsgeschichte fand nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, am 30. Januar 1933 ein jähes und brutales Ende Ende: am 8. März 1933 wurde auch das Warenhaus Tietz, wie die

Bert Brecht Bert Brecht gilt als einer der bedeutendsten Theaterschriftsteller und Dichter des 20. Jahrhunderts. Er wurde am 18. Februar 1898 in Augsburg geboren. Sein Studium musste er 1918 unterbrechen, um im I. Weltkrieg Kriegsdienst zu leisten. Durch seine Kriegserfahrungen entwikkelte Brecht eine ausgeprägte Antikriegshaltung, die sich in seinen Werken widerspiegelt. Bekannt wurde Brecht in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Stücken wie die „Dreigroschenoper“ oder “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Zu seinen bekanntesten Werken gehören darüber hinaus „Mutter Courage und ihre Kinder“ und „Der kaukasische Kreidekreis“. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung floh Brecht mit seiner Familie ins Exil, zunächst nach Skandinavien, später in die USA. Seine Werke wurden in Nazi-Deutschland verboten und verbrannt. 1947 kehrte er über die Schweiz nach Ostberlin zurück. Als undogmatischer Marxist engagierte er sich, trotz seiner teils kritischen Distanz zur SED, am Aufbau eines sozialistischen Staates in der damaligen DDR. Berühmt wurden seine Theaterinszenierungen am Theater am Schiffbauerdamm. Er verstarb am 14. August 1956 in Ostberlin.

Bert-Brecht-Haus (Foto: Tineke Blij, www. wikipedia.de) Geschäfte vieler anderer Jüdinnen und Juden in Deutschland, zur Zielscheibe des antisemitischen Terrors des NS und seiner Helfershelfer in der deutschen Bevölkerung. Schlägertrupps der SA forderten die sofortige Schließung des erfolgreichen Warenhaus und klebten Plakate mit Aufrufen zum Boykott jüdischer Geschäfte in die Schaufenster. In Folge dessen traten die jüdischen Aufsichtsratsmitglieder am 3. April 1933 zurück. Die Familie Tietz wurde gezwungen ihren Anteil am Aktienkapital weit unter Wert an die Commerzbank, die Dresdener Bank und die Deutsche Bank zu verkaufen. Am 11. Juli 1933 entstand daraus die Westdeutsche Kaufhof AG.

Stadt Oberhausen es für nur 1,4 Millionen Mark erwarb. Das anfängliche Vorhaben, das gesamte Gebäude als Erwachsenenbildungszentrum zu nutzen, musste allerdings aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten aufgegeben werden. Erst fünf Jahre später, 1983, wurden die Mittel für ein geändertes Sanierungskonzept genehmigt: neben den Räumlichkeiten für die VHS wurden andere kommunale Einrichtungen, wie zum Beispiel die Hauptstelle der Stadtbibliothek sowie Ladenlokale für den Einzelhandel eingeplant. Der fast zweijährige Umbau kostete etwa 9,8 Millionen Mark. Mit der feierlichen Neueröffnung 1985 erhielt das Gebäude seinen heutigen Namen: Bert-Brecht-Haus.

Ein Domizil der Erwachsenenbildung

Und nun? Erst recht!

Nachdem der Kaufhof 1961 in einen Neubau auf der Marktstraße zog und die Ruhrwacht ihren Betrieb im Dezember 1967 einstellte, stand das Gebäude mehr oder weniger leer. Seine architektonische Bedeutung wurde jedoch bereits 1966 vom damaligen Landeskonservator entdeckt, der das Gebäude folgerichtig unter Denkmalschutz stellte. In kommunalen Besitz gelangte das Bauwerk schließlich 1978, als die

Seit 1985 sind einige Jahre ins Land gezogen und die Stadtspitze ergriff angesichts der knappen Kassenlage sichtbar dankbar die Möglichkeit lang gehegte Sanierungs- und Modernisierungswünsche mit den Geldern aus den Konjunkturpaket II endlich in die Tat umzusetzen. Nachdem erste unsägliche Pläne, die vorsahen das Gebäude mit einem überdimensionierten Wintergarten zu verschandeln, zum Glück genauso

schnell vom Tisch verschwanden, wie sie in die Öffentlichkeit gelangten, konnte mensch zunächst guter Dinge sein, was die weitere Entwicklung des BBH betraf. Sicherlich: der Finanzierungsrahmen von 2,5 Mio. EUR schien von Anfang an arg optimistisch gesteckt worden zu sein. Und, dass der Zahn der Zeit vielleicht stärker am BBH genagt haben mag, als man es in der Verwaltung sehen wollte, auch dass hätte man sich denken können. Aber wie so oft sind hinterher immer alle schlauer. Doch was wäre die Alternative gewesen: nichts tun? Das BBH stillschweigend verkommen und verrotten lassen? Wohl kaum! Oberhausen ist eine junge Stadt. Diese Tatsache und die im zweiten Weltkrieg verursachten Zerstörungen sorgen dafür, dass der Bestand an historischen Gebäuden in Oberhausen eher gering ist. Das BBH, als herausragendes Baudenkmal seiner Zeit, ist insofern ein Glücksfall für diese Stadt. Es zu erhalten, sollte Ziel aller Bürgerinnen und Bürger sein. Der „Skandal“ besteht daher weniger in den gestiegenen Kosten, sondern darin, dass die Kommune noch nicht einmal mehr die finanziellen Mittel hat, um herausragende denkmalgeschützte Gebäude zu erhalten und zu sanieren.

Backsteinexpressionismus Backsteinexpressionismus ist Baustil der Architektur unter Verwendung von Backstein, der in den 1920er Jahren hauptsächlich in Deutschland entstand. Im Rhein-Ruhr-Gebiet erlebte der Backsteinexpressionismus seine größte Verbreitung und wurde quasi zu einem regionalen Stil. So ist neben dem Bert-Brecht-Haus auch das Rathaus in diesem Stil gebaut worden.

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Neues Album

Weder Kosten noch Mühe haben Michael Pauly und Helmut Kehr gescheut: Vier Tage haben Sie sich in der Evangelischen Kirche Oberhausen Buschhauen eingeschlossen, um ihr erstes Album aufzunehmen. Ragtime und Swing vom Feinsten. Und jetzt ist Sie da - Die CD vom Original Emschertal Duo! Helmut Kehr mit seiner unverwechselbarer Spielart ist immer wieder ein Kongenialer Rhythmusgitarrist. Lassen Sie sich Überraschen! Paroli findet’s Klasse und hat das Duo gesponsort. Für 10,-€ ist die “Volume One” vom Original Emschertal Duo bei Paroli erhältlich. Einfach bei uns melden: Paroli-Verein für politische Kultur e.V. Friedensplatz 8; 46045 Oberhausen Tel.: 49-(0)208 88422016

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Stuttgart 21

Das Volk, der große Lümmel, greint nicht, es begehrt auf „Vertrauet Eurem Magistrat, Der fromm und liebend schützt den Staat Durch huldreich hochwohlweises Walten, Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.“

Mit bissiger Ironie geißelt Heinrich Heine 1853 in den „Erinnerungen aus Krähwinkels Schreckenstagen“ die Arroganz der Mächtigen. Als hätte er gestern zur Feder gegriffen, um den Bürgerbewegungen zur Seite zu stehen: im Wendland (Atommüll), Berlin (AKW-Laufzeitverlängerungen) und in Stuttgart gegen ein überflüssiges und teures Megaprojekt, das – je nach Gutachten – bis zu 11 Milliarden Euro kosten kann. Den seit langem zu Zehntausenden und zeitweilig auch zu Hunderttausenden demonstrierenden Stuttgarterinnen und Stuttgartern wird genau das gesagt: Haltet’s Maul! Ihr, die Egoisten, die saturierten Satten. Ihr ahnungslosen Unwissenden wollt unsere Zukunft blockieren, die wir so hochwohlweise walten lassen wollen.. In dieser Kakophonie geben der Bahnboss, Unternehmerbosse, Bundes- und Landesregierung, den Ton an. Viele Tintenkulis in bürgerlichen Medien stimmen da mit kräftiger Stimme und abgefeimter Geschicklichkeit ein. Lasst ab von eurem Tun, sagen sie den friedlich Demonstrierenden. Ihr gefährdet die Demokratie und den Standort Deutschland. Und – Heinrich Heine abgewandelt – „Sie dirigieren das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel.“

Nun greint das Volk, der große Lümmel nicht, es begehrt auf. Und das ist auch gut so! Und genau das erschreckt die Mächtigen. Der große Lümmel will nicht nur die Wahrheit

über Stuttgart 21 wissen; die ganze Wahrheit – auch das Kleingedruckte – dass nicht einmal alle gewählten Volksvertreter kennen, denen sie vertrauen sollen.. Die Bürgerinnen und Bürger, die Arbeiter und Angestellten, die Schulerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Rentnerinnen und Rentner wollen mehr. Sie wollen ganz konkret nicht, dass ihr Kopfbahnhof abgerissen und unter die Erde verlegt wird. Sie halten es für überflüssig, dass da eine Bahnlinie verlegt werden soll, die immer mehr Milliarden Euro kosten soll, nur um 18 Minuten früher München zu erreichen. Experten befürchten auf eine Bahnlinie nach Ulm so steile Streckenabschnitte, dass nicht alle Güterzüge sie befahren können. Die Menschen wollen nicht, dass die alten, ökologisch unverzichtbaren Bäume im Schlosspark gefällt werden, um Baugrund zu schaffen. Deshalb halten sie nicht das Maul, sondern demonstrieren sie weiter. Sie lassen nicht ab und entsagen nicht. Das nervt die Herrschenden im bisher so friedlichen, Ländle, im demonstrationsarmen Deutschland. Vizekanzler Westerwelle, der sich schon mal vollmundig „Die Freiheitsstatue der Bundesrepublik“ nennt, hat verordnet: Der Staat darf nicht einknicken. Innenminister De Maiziere attackiert Eltern de-monstrierender Kinder. Er sieht in den Protesten einen Missbrauch des Demonstrationsrechts. Dennoch wollen die Protestlerinnen und Protestler nicht einknicken und schon holen die heutigen Nachkommen der Herrscher aus „Krähwinkels Schreckenstagen“ den Knüppel, den Wasserwerfer und den Pfefferspray raus. Am Schreckenstag

von Stuttgart „wird unverzüglich füsiliert„: „Wer auf den Straßen räsoniert Wird unverzüglich füsiliert, Das räsonieren durch Gebärden Soll gleichfalls hart bestrafet werden.“

Aber hallo – der brutale Polizeieinsatz ging gegen das Volk, den Souverän. Der ist weit davon entfernt, Revolution zu machen. Soweit denkt das Volk zur Zeit gar nicht. Aber es misstraut jedoch mit guter Begründung der weitverzweigten Verquickung von Politikern und Geschäftemachern. Es will mitbestimmen können und verhindern, wenn der Verdacht besteht, dass die mit Abrissfirmen, Baulöwen und Immobilienhaien verbandelten Volksvertreter hochwohlweisend die Lebensqualität in der Stadt ruinieren wollen. Wenn die SpätzleConnection z.B. mit dem Abriss des Kopfbahnhofs und dem Kahlschlag des Schlossparks einer ImmobilienConnection auf dem Gleisgelände des Bahnhofs profitablen Baugrund in attraktiver Innenstadtlage schaffen will, dann ruft das verdienstvollerweise den großen Lümmel auf die Straße. Noch hat sich - auch nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler - grundsätzlich an der Situation um S21 nicht viel geändert. In der Immobilienspekulation sehen viele Menschen vor Ort den eigentlichen Zweck des Megaprojekts Stuttgart 21 und den Grund für die Härte der Unterdrückungsmaßnahmen gegen diese Bürgerbewegung. Ihr Einsatz für mehr Demokratie verdient Dank und Unterstützung. Die Forderung muss bleiben: weiterhin Baustop und Volksabstimmung. Werner Finkemeier

Linkes Zentrum eröffnet Am 30.11.2010 wurde die Eröffnung des neuen Linken Zentrums gebührend gefeiert! Mit musikalischer Begleitung, tollem Buffet sowie Bier- und Sektempfang wurden die Räume auf der Elsässer Straße eingeweiht. DIE LINKE Oberhausen, DIE LINKE.LISTE-Fraktion und der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat wollen Platz für Diskussionsrunden und Veranstaltungen bieten. Das Linke Zentrum soll für Bürgerinnen und Bürger offen stehen. Ab dem 12.01.2011 laden die Mitglieder der LINKE.LISTE-Fraktion jeden Mittwoch zwischen 17:00 und 19:00 Uhr im Linken Zentrum zur BürgerInnensprechstunde ein.

Michael Pauly und Helmut Kehr begleiten musikalisch die Eröffnungsfeier des Linken Zentrums.

Eure Meinung ist gefragt Anregungen, Kritik oder Reaktionen? Eure Ideen an folgende Email: [email protected] oder per Post an: Paroli—Verein für politische Kultur e.V. Friedensplatz 8 46045 Oberhausen

IMPRESSUM

Paroli—Verein für politische Kultur e.V. Friedensplatz 8 46045 Oberhausen [t] +49-(0)208 88422016 [f] +49-(0)208 88422017 [e-Mail] [email protected] Redaktionsteam:

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Astrid Adamczak, David Driever, Werner Finkemeier, Claudia Leischen, Dirk Paasch, Gerd Schäfer, Christian Salewski, Jörn Vanselow

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LINKES ZENTRUM Elsässer Straße 19 46045 Oberhausen Tel.: 0208 69691537

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Verfehlte Integration Eine Gesprächsrunde über Ausländerpolitik Integrationspolitik wird seit dem ausgehendem Jahrzehnt immer größer geschrieben. Aus dem Ausländerbeirat der Stadt Oberhausen ist das Pilotprojekt “Migrationsrat” geworden, der heute den Namen Integrationsrat trägt. Nicht nur kommunalpolitisch wird immer häufiger über Integrationskonzepte diskutiert. Dabei ist Deutschland nicht erst in der jüngsten Zeit zu einem Einwanderungsland geworden. Die Einwanderungsgeschichte vieler hier lebender Menschen erstreckt sich bereits über Generationen. Besonders über Menschen mit türkischen Migrationshintergrund wird viel diskutiert. Paroli hat einige von ihnen eingeladen, um ihre Meinung über verfehlte und erfolgreiche Integrationspolitik zu erfahren. Ein Gespräch auf Papier zwischen Sevim Kun, Raci Helvali, Mehmet Ipek, Gökhan Kiziroglu und Yusuf Karacelik: Raçi: Unter Integration wird leider oft Assimilation verstanden. Also, dass sich die Kultur der Einwanderinnen und Einwanderer der anderen Kultur unterordnet und ihre Identität verliert. Ich habe dazu eine andere Meinung. Eine richtige Assimilation lässt sich heute nicht mehr vollziehen. Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Wir stehen vor einem Punkt, an dem wir aufgrund der Globalisierung mit der ganzen Welt aneinander geraten sind. Was man früher unter einer Assimilation verstanden hat ist heute gar nicht mehr möglich. Goekhan: Du meinst alleine aufgrund der Verbreitung von Medien? Internet, Sattelitenfernsehen und vieles mehr. Raçi: Ja, auf jeden Fall sehe ich Assimilation nicht als eine Gefahr für die Identität an. Jeder Mensch der sich assimilieren lassen will, kann das tun. Dagegen sage ich gar nichts. Yusuf: Ich finde, das Wort Integrationspolitik wurde viel zu lange gar nicht definiert. Man wusste lange Zeit gar nicht was Integration ist und wie man sie bewerkstelligen soll. Aber vorher hat man über Integration gar nicht geredet. Zu Beginn der Einwanderungsgeschichte war es auch nicht notwendig darüber zu reden, weil die Vorstellung vorgeherrscht hat, die Gastarbeiter werden auch wieder gehen.

Raçi: Die türkischen Medien sprechen von Anpassungspolitik, wenn es um Integrationspolitik in Deutschland geht. Unter erfolgreicher Integration verstehe ich, dass sich die Kulturen austauschen und die Teilhabe an der Gesellschaft allen offen steht. Ich kritisiere diesen Begriff der Anpassungspolitik, wie ihn die türkischen Medien verbreitet, weil ich mich frage, was damit gemeint ist. Woran anpassen? Ich habe das Gefühl, dass Integration auf die Unterordnung an eine Leitkultur reduziert wird. Yusuf: Integration kann vielmehr sein. Aber mit diesem Begriff nennen die Medien die herrschende Politik in Deutschland beim Namen. Sevim: Natürlich wird unter dem Stichwort Integration verlangt, dass sich Ausländerinnen und Ausländer anpassen. Ich glaube das wird überwiegend unter Integration verstanden. Und nichts anderes. Deshalb finde ich es richtig, wenn die türkische Presse es in diesem Sinne kritisiert. Raçi: Okay, aber es muss doch auch vermittelt werden, dass Integration mehr leisten muss als zu verlangen, dass man sich anzupassen hat. Sevim: Ist es denn falsch zu verlangen, dass wir uns anpassen müssen? Raçi: Einerseits nicht. Anderseits schon. Anpassung ist auf vielen

Gebieten notwendig und sehr wichtig. Aber eine vollständige Anpassung nicht. Außerdem ist Integration nicht nur etwas, was von Migrantinnen und Migranten verlangt werden kann. An Integration müssen alle arbeiten und sie muss von allen verlangt werden. Sevim: Das ist das was du gerne möchtest. Aber wenn ein CDUPolitiker von Integration spricht dann meint er nur die Eingewanderten. Und von denen wird verlangt, dass sie sich anpassen. Und ich finde auch, dass die Deutschen viel zu lasch mit dieser Forderung umgehen. Sicher haben sie ein Recht darauf so etwas von Eingewanderten zu verlangen. Immerhin sind die ja auch freiwillig hier. Goekhan: Darüber sollten wir reden. Also, ob die Türken, die in den 1960er Jahren eingewandert sind tatsächlich freiwillig hier sind und ob es deren Kinder und Kindeskinder sind. Sevim: Ich werde nicht gezwungen hier zu bleiben. Ich kann jeder Zeit zurück. Und ich glaube, dass die Ausländerinnen und Ausländer, die hier sind, zu wenig tun. Wir fordern viel. Aber geben nicht. Yusuf: Das ist aber doch das, was wir immer hören. „Die Ausländer kommen nicht auf uns zu.“ „Die Ausländer wollen sich nicht integrieren. Es liegt an ihnen.“

Raçi Helvali engagiert sich ehrenamtlich in der Literaturwerkstatt Bezek. Sevim: Es ist ein wenig Stammtisch, was ich formuliert habe. Aber es ist doch wahr. Wir passen uns doch nicht an. Yusuf: Nein, das stimmt so nicht. Lassen wir kurz die erste Generation außen vor. Wir haben heute einige Möglichkeiten an der Gesellschaft teilzuhaben und dennoch: Wenn ich an mich oder meine Schwester denke, dann stelle ich fest, wir haben überwiegend türkische Freunde. Liegt das daran, dass ich mich schlecht integriere? Nein, es stimmen die Rahmenbedingungen nicht. Meine Schwester ist hier geborgen, sie geht hier arbeiten, sie zahlt hier ihre Steuern und vieles mehr. Aber sie hat noch einen türkischen Pass. Warum hat sie keinen deutschen Pass? Weil es Formalitäten gibt, die es erschweren die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Das Einbürgerungsverfahren muss erleichtert werden. Viele Menschen leben hier und sie haben gar kein Wahlrecht. Das sind für mich einige Punkte, die mit Integration zusammenhängen. Raçi: Man muss das ganze vor seinem geschichtlichen Hintergrund betrachten. Erst seit 2005 wird Integration groß geschrieben. Dabei hat 1978 der damalige NRWMinisterpräsident Heinz Kühn sehr fortschrittliche Thesen formuliert. Nur wollte niemand aus der Politik damit etwas zu tun haben. Und wenn man bedenkt, dass heute, also dreißig Jahre später auf einmal die Leute integriert werden sollen, dann fragt man sich doch was das soll. Es wäre heute eine ganz andere Situation, wenn man sich viel früher mit den Problemen auseinandergesetzt hätte.

Sevim Kun (links) und Mehmet Ipek (rechts) kandidierten 2010 für den Integrationsrat der Stadt Oberhausen.

Mehmet: Damals war es zunächst eine andere Perspektive. Die Gastarbeiter sind selber davon ausgegangen, dass sie für zehn oder fünfzehn Jahre in Deutschland arbeiten werden und dann zu ihren Familien zurückkehren. Mein Vater ist mit dieser Vorstellung hier-

her gekommen und eine Ausländerpolitik hat es noch gar nicht gegeben. Yusuf: Eine Ausländerpolitik hat es zu diesem Zeitpunkt schon gegeben. Aber wie sah sie aus und welchen Effekt hatte sie? In den 1960er Jahren wurden türkische Arbeiterinnen und Arbeiter angeworben. Sie sollten kommen. 1973 war Zuzugstop es durfte erstmal keiner mehr rein. Das führte dazu, dass, bevor ganz Dicht gemacht worden ist, viele ihre Familien geholt haben. Vielleicht wären viele wieder zurückgegangen. Aber die Einwanderung ist eine Reaktion auf die Politik gewesen. In den 80er Jahren konnte man noch Kinder, die in der Türkei z.B. bei den Großeltern waren, nach Deutschland holen. Als diese Möglichkeit auf Kinder unter sechzehn Jahre beschränkt wurde, haben sofort alle ihre Kinder rübergeholt. Mehmet: Ich zum Beispiel. Yusuf: Und dann wurde das Gesetz von sechzehn Jahre auf sechs Jahre verschärft. Ausländerpolitik war immer eine „Verschärfung der Einwanderung“, ohne Bemühungen, die bereits Eingewanderten zu integrieren. Heinz Kühn hatte zwar schon Ideen zur Integration. Stattdessen hat es „Hau-ab“-Prämien gegeben. Sevim: Deutschland stand vor dem Dilemma: Entweder wir verschaffen Ausländern mehr Rechte oder wir schaffen sie uns vom Hals. Yusuf: Ja, Kanzler Helmut Kohl hat gesagt, er wolle die Zahl der Ausländer halbieren. Aber nur wenige haben die Prämien genommen, um zurückzukehren. Goekan: So hat Ausländerpolitik immer ausgesehen. Und sie haben sich dafür nie entschuldigt. Die Umstände unter denen die Migrantinnen und Migranten gekommen sind und hier gelebt haben, werden oft einfach ausgeblendet. Zum Beispiel hatten die allermeisten damals gar kein Fachwissen gehabt. Es wurden genau diejenigen für schwere Arbeit hergeholt, die keine gute schulische Ausbildung hatten. Fortsetzung auf Seite 6.

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Das kostet richtig Schotter!

Schottern, blockieren - Hand in Hand

Ende Oktober hat der Deutsche Bundestag den Atom-Deal der Bundesregierung mehrheitlich durchgewunken und damit die Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke beschlossen. Noch zusätzliche drei Jahrzehnte sollen die Reaktoren von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW jährlich Milliardengewinne abwerfen. Um Akzeptanz in der Bevölkerung für dieses Vorgehen zu erreichen, werden sowohl von der Bundesregierung als auch von der Atomlobby bewusst Falschinformationen über die Kernenergie verbreitet: Die schwarz-gelbe Bundesregierung verkauft Atomkraft als "Brückentechnologie" in ein neues Zeitalter der Erneuerbaren Energien. Das Gegenteil ist der Fall. Der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wirkt sich negativ auf den Ausbau regenerativer Energien aus. Das Problem ist folgendes: Sobald regenerative Energien den Strombedarf decken würden, müssen alle anderen deutschen Kraftwerke abgeschaltet werden. Das ist allerdings technisch gar nicht möglich: Atomreaktoren haben einen komplizierten und deshalb langwierigen Anund Abfahrtsprozess. Um diesem Dilemma aus dem Weg zu gehen, werden Windparks teilweise abgeschaltet. Die Verbraucher zahlen dann aber doppelt: Einmal für die die regenerativen Energien und für den Atom-Strom. Nur ein konsequente Abschaffung der Atomkraftwerke würde also einen Ausbau regenerativer Energien fördern. Neben dem Unmut über die Verstrickungen der Atomlobby mit der höchsten Ebene der Politik ist es auch die Wut der Bevölkerung über die Ignoranz der schwarz-gelben Regierung, die den Protest gegen die Atomkraft Anfang November auf die Straße brachte: circa 80 Prozent der BürgerInnen lehnen den Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg ab. Angesichts dieser breiten Ablehnung ist die Rede von Innenministers de Maiziere (CDU) im Bundestag zum Thema Castor-Transport blanker Hohn: „Die Straße hat keine höhere demokratische Legitimation, als Parlament und Gesetz“, so der Minister. Dass er als Abgeordneter von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurde und ihre

Interessen vertreten soll, scheint für ihn keine Rolle mehr zu spielen. Am ersten Novemberwochenende war es dann soweit: Der hochradioaktiv strahlende Castor erreichte mit einer historischen Verspätung von 92 Stunden sein Ziel im Wendland, nämlich das Zwischenlager Gorleben. Historisch ist diese Verzögerung nicht nur im Hinblick auf die zeitliche Dimension – bisher wurde der Castor erst ein einziges Mal über 24 Stunden blockiert; auch die Beteiligung der BürgerInnen am Protest war einzigartig. Erreicht wurde dieser Erfolg der Anti-AtomBewegung in erster Linie durch das solidarische Ineinandergreifen verschiedenster Protestformen. Trotz des breiten Widerstands im Wendland wurde der Castor jedoch nicht aufgehalten. Kosten wird der Einsatz der Polizei zwischen 25 und 26 Millionen Euro. Zahlen muss das letztlich der Steuerzahler. Mit aller Macht und viel Geld setzte sich schwarz-gelb gegen den politischen Willen der Bevölkerung durch. Bleibt unterm Strich demnach eine Niederlage für die Antiatomkraftbewegung? Ich denke Nein! Die wehrhafte Demokratie, so wie ich sie mir vorstelle, hat mit dem legitimen Protest gewonnen. Wenn Menschen sich gemeinsam gegen eine umweltfeindliche und unsoziale Politik wehren, ist das ein Wert für sich. Entscheidend für die Aktion war, dass der Protest gegen die schwarzgelbe Politik sichtbar gemacht wurde und damit ein weiteres Mal gilt: Diese Bundesregierung steht für eine Politik, die sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung richtet. Indes wurde am Rande der Proteste bekannt, dass die Bundesregierung einen weiteren Castor-Transport aus dem nordrhein-westfälischen Ahaus in die russische Plutoniumfabrik Majak plane. Wann genau dieser Transport stattfinden wird, war bei Redaktionsschluss noch klar, es deutet aber vieles darauf hin, dass der Castor noch dieses Jahr das Lager in Ahaus verlassen soll. Aktuelle Entwicklungen können unter folgender Internetadresse nachgelesen werden: http://www.bi-ahaus.de Niema Movassat, MdB DIE LINKE

AktivistInnen blockieren Gleise (Foto: Christian Ditsch)

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Einig ist der Widerstand! Am ersten Novemberwochenende machten sich die Castorgegnerinnen und Castergegner auf dem Weg. Die Eckdaten des Widerstands: Weit über 50.000 Menschen nahmen an der Auftaktkundgebung gegen den Atom-Transport teil, mit über 600 Schleppern solidarisierten sich die örtlichen Landwirte mit dem Protest, rund 150 Traktoren blockierten das ganze Wochenende die zentralen Versorgungswege der Polizei, tausende AktivistInnen beteiligten sich an den Gleis-Blockaden der Initiative x-tausendmal quer und folgten dem Aufruf zum „Castor-Schottern“. Überwältigend ist die Verankerung des Protests in der Region: Kaum ein Fenster oder Vorgarten, kaum eine Lichtung oder eine Allee in dem kein unterstützendes Plakat hing, kaum ein Haushalt in dem nicht Suppe für die DemonstrantInnen gekocht wurde, um die Stunden in der Kälte und Nässe zu überstehen. „Ich bin tief beindruckt von der Solidarität, die uns Angereisten von den Wendländern entgegen gebracht wird,“ so ein Aktivist. „Sie wissen, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Als ich in der Küche einer Familie stand und darauf wartete, den nächsten Suppentopf für die DemonstrantInnen auf der GleisBlockade entgegen zu nehmen, bedankte ich mich gerührt für die nächtelange Arbeit. Die 65-jährige Großmutter der Familie schaute mich verwundert an und fragte: ´Junger Mann, woher sind Sie angereist?´ Aus dem Ruhrgebiet, sagte ich. ´Sehen Sie – sowas brauchen wir hier! Schön, dass Sie gekommen sind´, sagte die Vollblut-Aktivistin einmütig und wandte sich dann wieder ihrem Suppentopf zu.“ Für besondere Aufmerksamkeit sorgte bei der diesjährigen Mobilisierung zu den Anti-Castor Protesten der Aufruf von „Castor schottern“. Die AktivistInnen der Initiative riefen öffentlich dazu auf, den Schotter der Gleise in einer massenhaft geplanten Aktion zu entfernen und damit das Passieren des Castors auf der Schiene unmöglich zu machen. Neu daran war nicht die Aktionsform selbst, sondern der öffentliche Aufruf dazu. Das geplante Vorgehen wurde so transparent und zugänglicher für

AktivistInnen blockieren Gleise (Foto: Christian Ditsch) interessierte AktivistInnen. Das politische Signal dahinter ist klar: Wir verstecken unseren legitimen Protest nicht, sondern stehen auf der richtigen Seite. Bereits im Vorfeld der Mobilisierung wurde von Seiten der Behörden massiv gegen die Initiative „Castor schottern“ aufgefahren. Die AktivistInnen würden Menschenleben gefährden, hier wären Linksextremisten am Werk, gegen die die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren einleiten würde. Die Realität sah anders aus. „Geschottert“ wurde selbstverständlich nur auf der Strecke des Castors, der sich mit Schrittgeschwindigkeit bewegte. Dem Transport selbst fuhr ein Reparaturwagen voraus, der die geschotterten Stellen begutachtete, um zu entscheiden, ob hier noch gefahren werden konnte oder nicht. Eine bewusste Gefährdung von Menschenleben wurde von den Schotter-AktivistInnen zu keinem Zeitpunkt in Kauf genommen. Im Gegenteil: Alle Aktionsbündnisse betonten wiederholt, dass von ihnen keine Eskalation ausgehen werde. Ziel der Schotterer war zudem auch die Schiene und nicht die Auseinandersetzung mit der Polizei. Dieser breit getragene Konsens und die Entschlossenheit der AktivistInnen führte dazu, dass einige PolizistInnen sehr überrascht von der Beharrlichkeit der Schotterer waren. Unermüdlich strömten die AktivistInnen gegen den brutalen Knüppeleinsatz nach vorne auf die Gleise. So gelang es schließlich insgesamt ca. 150 Meter Schiene zu schottern und das Passieren des Castors zu behindern. Völlig unverhältnismäßig war dabei die eingesetzte Gewalt der Polizei. Trotz der schockierenden Bilder der Proteste gegen das Bauprojekt Stuttgart21, wo durch den Einsatz von Wasserwerfer, Pfefferspray und Polizeiknüppel DemonstrantInnen teils erblindeten oder schwer verletzt wurden, kamen CS-Gas, Pfefferspray und Knüppel ohne Vorwarnung auch im Wendland exzessiv zum Einsatz. Registriert wurden über 900

Verletze, darunter etliche Augenverletzungen, verursacht durch den Einsatz von aggressivem Reizgas, Knochenbrüche, Platzwunden und schwere Gehirnerschütterungen. Eine Demonstrantin stürzte bei einem Angriff der Polizei und wurde von der Reiterstaffel niedergetrampelt. Sie musste mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Lüneburg kündigte an, gegen alle Unterzeichner des „SchotterAufrufs“ ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Gegen das unverhältnismäßige Vorgehen der PolizeibeamtInnen wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren angestrebt – hierfür brauchte es erst eine Anzeige eines Aktivisten. Foto- und Videomaterial gibt es hierfür zu Hauf. Neben dem fragwürdigen Einsatz von Pfefferspray und Knüppel, ist auch der Einsatz von ausländischen Polizeieinheiten und deutschen Bundeswehrkräften bisher nicht von der Staatsanwaltschaft weiter verfolgt worden. Bereits zugegeben hatte die Polizei die Verwendung unbemannter Drohnen, zur Überwachung des Geländes. Solche Technik wird normalerweise bei Militäreinsätzen verwendet. Beeindruckend ist allerdings, dass die Polizei es trotz massiver Repressionen vor und während der Anti-Castor-Proteste nicht geschafft hat, den Widerstand in „gute“ und „böse“ DemonstrantInnen zu spalten. Auf der Blockade des x-tausend mal quer Bündnisses war regelmäßig der Sprechchor zu hören: „Schottern, blockieren - Hand in Hand! Einig ist der Widerstand!“ „Für mich war es ein absolut beeindruckendes Wochenende, das mir gezeigt hat, wie eine 30 –jährige Bewegung eine Region verändern kann. Das hat mir unglaublich viel Kraft und Hoffnung gegeben“ so ein Anti-Castor-Aktivist. „Ich werde mit Sicherheit wiederkommen und beim nächsten Transport, werden wir mit noch mehr Menschen den Castor nach Hause schicken!“ Azad Tarhan

Castor ist die Abkürzung für „cask for storage and transport of radioactive material“ (engl. für: Behälter zur Lagerung und Transport radioaktiven Materials).

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Haustier? Gibts nicht mehr! Regelsatzerhöhung Hartz IV Groß war die erste Freude vieler Betroffener, und Arbeitsloseninitiativen, als im Februar dieses Jahres das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Höhe der Regelsätze für das Arbeitslosengeld II scheinbar für verfassungswidrig erklärte. Auch wir hier in der Paroli-Redaktion sind im ersten Moment über die Feinsinnigkeiten des Juristinnendeutsch des obersten Gerichtes in diesem Land gestolpert. Doch mitnichten hatte das BVerfG die Höhe der Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Zwar stellte das BVerfG fest, dass die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen würden. Im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung heißt es dann aber, dass die geltenden Regelleistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht als vollkommen unzureichend angesehen werden können. Sie würden – so die Richterinnen weiter - zur Sicherung der physischen Seite des Existenzminimums zumindest ausreichen. Mit anderen Worten: die Höhe der Regelsätze für die Betroffenen ist völlig okay, da niemand offensichtlich damit verhungern würde. Bemängelt wurde vom BVerfG lediglich die Art und Weise wie der Gesetzgeber, die frühere RotGrüne Bundesregierung unter dem SPD-Kanzler Schröder, die Regelsätze berechnet hat, nicht jedoch ihre Höhe. „Kostenneutralität“ als oberstes Gebot Daher war es nicht verwunderlich, dass schon am Tag nach der Urteilsverkündung das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) darauf verwies, dass eine Neuregelung des ALG-II nach den Vorgaben des BVerfG nicht zwangsläufig eine Erhöhung der Regelsätze bedeuten würde. Deutlicher formulierten es die Interessenvertreter der Industrie, allen voran Arbeitgeberpräsident Hundt: es dürfe schlichtweg keine Erhöhung der Regelsätze dabei herauskommen. Die dauerstrahlende Supermutter der Nation und verantwortliche Ministerin Ursula von der

Leyen versprach dann auch zügig einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der sowohl die Forderungen des BVerfG, als auch denen von Herrn Hundt und Co. Genüge tun solle. Das dies dann doch etwas länger dauerte, kann verstehen, welche sich den nun vorliegenden Gesetzentwurf einmal näher ansieht. Galt es doch den Forderungen des BVerfG nach einer nachvollziehbaren und plausiblen Berechnung der ALG-II-Regelsätze zu folgen, gleichzeitig die gewünschte Kostenneutralität zu wahren und dem ganzen auch noch das Mäntelchen scheinbarer Legitimität zu geben. Selbst im Land der „furchtbaren Juristinnen“ eine Übung, die etwas länger dauern kann. Nun liegt er also vor, der „Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“1. Ein Dokument, das zeigt, was das Kapital und die aktuell in dessen Diensten stehende Regierung von denen hält, die sie für die Maximierung der Profite nicht mehr braucht: nämlich nichts. Auch wenn das Wort vom menschenwürdigen Existenzminimum in dem Gesetzes nahezu überstrapaziert wird, wird hier niemand mehr als Mensch mit eben menschlichen Bedürfnissen gesehen, sondern als zu verwaltendes „etwas“, als Störfall im System von Ausbeutung und Profit. Menschen haben in dieser Sicht keine Bedürfnisse, sondern lediglich „Bedarfe“. So wie die Waschmaschine im Keller einen „Bedarf“ nach Wasser und Strom hat. Und damit die weiter oben erwähnte Vorgabe der „Kostenneutralität“ gewahrt bleibt, werden diese „Bedarfe“ auf das absolute Minimum festgelegt, was der Mensch braucht, um in diesem Land

nicht zu verhungern oder allzu offensichtlich zu verelenden: Blumen sind „nicht existenzsichernd“ Verfügt die Bezieherin von ALG-II noch über eine Wohnung mit Balkon, sollte sie evtl. noch vorhandene Balkonpflanzen (ebenso wie Zimmerpflanzen) direkt entsorgen. Für Grün ist kein Platz im Leben einer Hartz-IV-Empfängerin! Schnittblumen und Zimmerpflanzen sind ebenso wie ein Garten „nicht existenzsichernd“. Selbiges gilt auch für die notwendigen bescheidenen Gerätschaften, die zur Pflege des häuslichen Grünbestands benötigt werden. Die Anschaffung einer kleinen Gartenschere, wie man sie im Baumarkt bereits für 5.-EURO bekommt, ist daher im „Bedarf“ einer Hartz-IV-Bezieherin nicht vorgesehen. Hund? Katze? - Ab ins Tierheim damit! Haustiere sind, wie der vorliegende Gesetzesentwurf feststellt „nicht existenzsichernd“. Dass die Haustierhaltung – neben den emotionalen Bedürfnissen, die sie bei ihren HalterInnen befriedigt – nachweislich Menschen dabei hilft auch in einer Krisensituation wie dauerhafter Arbeitslosigkeit ihr Leben zu strukturieren, geschenkt! Dass gerade Kinder durch Haustiere lernen Verantwortung zu übernehmen und darüber soziale Kompetenz erlernen, wen interessiert dies im BMAS? Die Verfasserinnen dieses Gesetzes jedenfalls nicht. Die Eltern haben ja schließlich auch genug Zeit ihrem Kind zu erklären, warum „Polly“ oder „Raudi“ im Tierheim zukünftig besser aufgehoben sein werden. Und sollte die Bezieherin von ALGII wider Erwarten doch einmal ein Vorstellungsgespräch haben, so kann

HARTZ IV AG der LINKEN protestiert gegen das Sparpaket der Bundesregierung Unter dem Motto „Was wir uns künftig sparen“ veranstaltete DIE LINKE Oberhausen am 15.11.2010 eine Aktion vor der Agentur für Arbeit. Betroffene hatten die Möglichkeit aufzuschreiben, was sie sich künftig sparen wollen: angefangen von Merkel über Westerwelle bis hin zu den Finanzspekulanten. Die Aktionsform hat dezentral in der ganzen Bundesrepublik stattgefunden. Die so entstandenen Sparpakete der Bürger aus der gesamten Republik sind pünktlich am 26.11.2010 im Bundestag eingetreoffen, als das Sparpaket der Bundesregierung zur Abstimmung gestellt wurde. Ein Drittel der Sparmaßnahmen liegt im Sozialbereich.

Da würde man gerne in großem Schwall hinein kotzen, in dieses Gesicht. (Rainald Goetz, Schriftsteller, über Frau von der Leyen in seinem Buch „Klage“) sie eine eventuell notwendige chemische Reinigung von Hosenanzug oder Kostüm bitte aus den anderen Teilen ihres Regelsatzes begleichen. Denn merke: a) Jogginganzüge müssen nicht chemisch gereinigt werden und b) Jobs bei denen frau evtl. Anzug oder Kostüm tragen muss, sind für Bezieherinnen von Hartz-IV in der Vorstellungswelt der Macherinnen dieses Gesetzes sowieso nicht vorgesehen. Im Niedriglohnsektor wird in der Regel auf „repräsentative“ Kleidung keinen großen Wert gelegt. Als ganz schlecht können sich auch Entscheidungen erweisen, die die Betroffene in einem früherem, besseren Leben getroffen hat. Zum Beispiel ein Umzug weg vom elterlichen Wohnort. Sollten die Eltern mittlerweile alt oder gebrechlich sein und in einem Alten- oder Pflegeheim leben, werden sie auf den Besuch der arbeitslosen Tochter zukünftig weitgehend verzichten müssen. Mit den ca. 20.- EUR, die für „persönliche Mobilität“ vorgesehen sind, kann frau keine allzu großen Reisen machen. Schon die einfache Fahrt nach Dortmund kostet von Oberhausen aus 9,20 EUR und erschöpft somit für Hin- und Rückfahrt das hierfür vorgesehene monatliche Budget beinahe vollständig. Und zuguterletzt: Zigaretten? Alkohol? - Nichts da! Wo kämen wir auch dahin, wenn die Empfängerin von ALG-II dem Elend des eigenen Lebens ab und zu in einem kleinen Rausch entkommen könnte! Welche jetzt einwenden möchte, dass beides der Gesundheit nicht zuträglich sei, der sei entgegen gehalten, dass ca. 95% des alltäglichen Fernsehprogramms zumindest für die geisti-

ge Gesundheit nicht weniger abträglich sind, als zwei Biere oder ein Gläschen Wein am Feierabend. Hartz-IV ist eine ständige Drohung an die, die noch Arbeit haben Die Liste der Beispiele ließe sich noch ein ganzes Stück fortsetzen. Allen ist gemein, dass sie die Bezieherinnen von ALG-II auf ihre bloße physische Existenz reduzieren. Mehr als nicht verhungern und das Notdürftigste gibt es nicht mehr für jene, die man als Arbeitskräfte nicht mehr braucht. Ein „Leben“, gar ein menschenwürdiges Leben, sollen die Betroffenen mit dem ihnen vom Staat zugeteilten Almosen namens Arbeitslosengeld-II nicht führen können. Hartz-IV bleibt daher das, was es von Anfang an war: das staatlich organisierte Nachtreten auf Menschen, die sowieso schon an den gesellschaftlichen Rand gedrängt sind. Die ständige Drohung an jene, die noch Arbeit haben. Damit auch jede ausgebeutete Verkäuferin bei bei einem der Lebensmittel- und Textildiscounter, weiß dass es noch was schlimmeres gibt als den eigenen mies bezahlten Scheißjob: Hartz-IV. Dass nun bei der „Neuberechnung“ der Regelsätze für Hartz-IV 5.EURO mehr herausgekommen sind, ist weder gute Absicht, noch Zufall, sondern der blanke Hohn. Daran ließ die verantwortliche Ministerin keinen Zweifel, als sie bei Vorstellung des Entwurfs anmerkte, dass aufgrund der Neuberechnung der Regelsätze die für Kinder und Heranwachsende eigentlich sofort gesenkt werden hätten müssen. Ein Hohn für den man von den Betroffenen auch noch Dankbarkeit erwartet.

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Verfehlte Integration Fortsetzung der Gesprächsrunde von Seite 3 Mehmet: Ich hatte ein Erlebnis vor wenigen Tagen. Bei mir auf der Arbeit hat jemand in der Pause etwas gesagt. Ausländer, die hier leben und bleiben wollen, sollen sich ansehen, wie Deutsche leben und ihr Leben daran anpassen. Also genauso leben. Und meine Kollegen haben genickt. Daran gehe ich kaputt. Ich habe dann versucht zu erklären: Ich bin seit 15 Jahren hier in der Firma. Wir alle kennen uns seit 15 Jahren. Warum nimmst du mich nicht als Mehmet, so wie ich bin und ich dich, wie du bist? Wir können zusammen leben. Wir können zusammen arbeiten und was zusammen machen, aber die Hauptsache ist, dass ich akzeptiere, wie du lebst und gelebt hast. Und du kannst mich auch so akzeptieren. Wo gibt es da ein Problem? Und die Reaktion: „Nein, ihr seid hier. Also müsst ihr euch hier anpassen.“ Da gehe ich dran kaputt. Das ist viel-

leicht nur eine Kleinigkeit. Aber das erlebe ich. Raçi: Das, was Mehmet anspricht, finde ich wichtig. Obwohl es nun diese Integrationspolitik gibt, auf die seit 2005 so viel Wert gelegt wird, sind wir immer noch nicht akzeptiert, wie alle anderen. Am Anfang, in den 60/70er wurden wir Gastarbeiter genannt. Ab den 80er Jahren wurden wir als Ausländer bezeichnet. Und seit den 90er und 2000 sind wir die Migrantinnen und Migranten. Wir bekommen ständig neue Namen, die uns als andere ausweisen. Aber das hilft nicht uns als Mitbürgerinnen und Mitbürger dieses Landes zu akzeptieren. Goekan: Wir sind immer Klassifizierungen unterworfen. Wie wird man uns wohl in zehn Jahren nennen? Yusuf: Wir haben über die Geschichte der Einwanderung geredet. Was sollte besser sein? Bildung ist ein wichtiger Bereich über den man Integration fördern kann. Unter Migrantinnen und Migranten ist die Arbeitslosigkeit höher. Wodurch kommt das? Hauptschulbesuche! Bildunggerechtigkeit ist das A und O.

Sevim: Aber dazu muss ich sagen, kommt doch ein muslimisches Problem hinzu. Und zwar, dass wir Parallelgesellschaften selber aufbauen und auch selber wollen. Yusuf: Ne, ne, ne. Das wollen sie nicht. Sevim: Dann sieh dir doch Mitglieder in den Moscheen an. Die wollen doch unter sich sein.

Yusuf: Das haben wir immer gefordert. Dass Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden sollen, die bilingual erziehen können. Mehmet: Man darf bei solchen Prozessen keine schnellen Ergebnisse erwarten. Es wird sich jetzt nicht plötzlich alles verändern. Man kann gute Gesetze erlassen. Aber das ganze braucht viele Jahre

Yusuf Karaçelik: Stadtverordneter der LINKE.LISTE. auch ein Problem. Das gehört doch auch dazu. (Alle rufen durcheinander)

Yusuf: Dann nehmen wir mal Marxloh als Beispiel. Marxloh ist nicht durch Wille entstanden. Es ist entstanden, weil woanders nur schwer Wohnungen für Migrantinnen und Migranten zu finden waren. Da gibt es keine Absprache zusammenzuziehen. Jeder geht auf seine Wohnungssuche und trotzdem ist Marxloh so entstanden, wie wir es heute kennen. Sevim: Aber ich bezweifele, dass Bildung der einzige Weg ist, um solche Probleme zu lösen.

Sevim: Schon im Kindergarten.

Gökhan Kiziroglu: Mitglied im Integrationsrat für die Internationale Linke Liste Bottrop und Bezirksverter Bottrop Süd.

und junge Generationen müssen sich von Kleinkindalter an gegenseitig akzeptieren. Menschen, die bereits zwanzig, dreißig Jahre oder älter sind, sind schon geprägt, erzogen und haben eine Schule besucht. Es braucht Zeit bis es ein Nebeneinander in der Gesellschaft gibt.

Yusuf: Bildung ist nur ein Beispiel. Und es ist der wichtigste Weg. Wenn Jemand Chancen erhält, z. B. eine Hochschule zu besuchen, dann ergeben sich ganz andere Möglichkeiten. Das ist ganz was anderes. Sevim: Aber es gibt doch auch viele Gebildete, die sich in ihre Religion zurückziehen. Damit haben wir doch

Mehmet: Gehen wir mal so an das Problem heran: Du hast auch ein Kind. Wie hast du denn dein Kind erzogen? Sevim: Ich habe mein Kind deutsch, also deutschsprachig erzogen. Wenn ich nicht einen gewissen Bildungsstand gehabt hätte und nicht deutschsprachig erzogen hätte, wäre mein Kind auf der Sonderschule gekommen. Yusuf: Moment. Das ist doch genau das, was ich gemeint habe. Die Bildung ist das A und O. Sevim: Wir müssen mal auf den Boden der Realität bleiben. Viele unserer Landsleute sprechen nicht einmal vernünftig türkisch. Und dann verlangen wir Bilingualität? Mehmet: Du sagst, du hast dein Kind deutschsprachig erzogen.

Könnte auch türkisch sein. Sevim: Aber mein türkisch ist nicht gut genug dafür. Deshalb... Mehmet: Ich wollte damit sagen, ob deutschsprachig oder türkisch erzogen, wenn ich mit deinen Sohn rede, dann würde er gar nichts von Moschee erzählen. Oder alevitische Gemeinde. Damit hat er gar nichts zu tun. Und das ist ganz normal, weil er nicht so erzogen wurde. Damit hängt das zusammen. Yusuf: Bildung ist eine Vorraussetzung. Und nur wer gebildet ist, kann seinen Kindern etwas weitergeben. Und dann können Forderungen umgesetzt werden, wie z.B. mehr Migrantinnen und Migranten in der Verwaltung. Oder Lehrerinnen und Lehrer. Wir sind dort unterrepräsentiert. Goekhan: Ja, das steht in keinem Verhältnis zur Bevölkerungsstruktur. Paroli bedankt sich für das spannende Gespräch

Probearbeit Jobchance oder Ausbeutung? In Anbetracht der Tatsache, dass derzeit mehr als 5,5 Mio. Menschen ohne Arbeit sind, reibt sich so mancher Arbeitgeber die Hände. Denn auf eine freie Stelle bewerben sich im Durchschnitt ca. 200 - 400 Menschen. Da ist es natürlich nicht einfach sich für Jemanden zu entscheiden um die freie Stelle bestmöglich zu besetzen. Also lädt man eine Handvoll Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch ein. Danach geht es an einen Probearbeitstag. Natürlich unentgeltlich. Denn nur so kann sich der Arbeitgeber angeblich ein Bild davon machen, ob der Bewerber für den Job geeignet ist. Dies gilt für Ausbildungsstellen genauso wie für einen Minijob. Aber halt, wird sich da so mancher fragen, gibt es dafür nicht die Probezeit? Richtig, doch hat diese für den Arbeitgeber einen kleinen Haken: er muss für die geleistete Arbeit Lohn bezahlen. Ganz anders ist dies beim Probearbeiten: aus Sicht eines Arbeitgebers wir an einem Probearbeitstag

eine bezahlte Arbeitskraft durch eine „Die-brauche-ich-nicht-zu-entlohnen Arbeitskraft“ ersetzt. Sehr praktisch zum Beispiel bei akuten Personalengpässen. Anstatt dem eigenen Personal teure Überstunden bezahlen zu müssen, lässt man einfach zwei, drei Bewerberinnen „probearbeiten“. Das ist erheblich billiger. Mädchen für Alles Da ich nach meiner Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel nicht

sofort eine Stelle bekommen habe, habe auch ich meine Erfahrung mit Probearbeiten machen können. . So auch in der Hotelbranche, als „Mädchen für Alles“. An meinem ersten Probearbeitstag wurde ich nett begrüßt, mir wurde meine Kollegin vorgestellt und dann ging es an die Arbeit. Zimmer säubern. Badezimmer säubern, staubwischen, Betten machen, Boden staubsaugen. Zeit pro Zimmer 15 Minuten. Ich habe mein Bestes gegeben und fiel abends todmüde ins Bett.. Natürlich

gab es auch noch einen zweiten Probearbeitstag. Den ich völlig kaputt nach vier Stunden beenden durfte. Meinen vielleicht zukünftigen Chef habe ich weder am ersten, noch am zweiten Probearbeitstag zu Gesicht bekommen. Dabei war er es doch, der mittels Probearbeit angeblich herausfinden wollte, ob ich für den Job geeignet bin. Zwei Tage habe ich alle mir aufgetragenen Aufgaben erledigt, meine Kollegin entlastet und eine fehlende Arbeitskraft ersetzt. Und dafür nicht

mal einen feuchten Händedruck bekommen, geschweige denn ein Dankeschön. Und Lohn gab es natürlich auch nicht. Na ja wozu auch? Die nächste Bewerberin steht schon in den Startlöchern. Und ein Gesetz zur Probearbeit gib es bis heute nicht. Wer arbeitet hat Recht auf Lohn So sind der Ausbeutung Tür und Tor geöffnet. Und dies auch noch mit tatkräftiger Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit und den Argen vor Ort. Die Bezieher/innen von ALG-I und ALG-II bekommen nämlich schlichtweg die Leistungen gekürzt, wenn sie an ein solches Angebot ablehnen. Es wird daher höchste Zeit für eine gesetzliche Regelung der Probearbeit. Wer arbeitet hat ein Recht auf Lohn. Auch ein Probearbeitstag muss nach den tariflichen Regelungen der jeweiligen Branche entlohnt werden! Denn Arbeit ohne Lohn ist nichts weiter als eine andere Form der Sklaverei. Vanessa Sapor

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Hintergrund

Heimatfront ist geplant, die ausgesetzte Wehrpflicht durch einen militärischen Zivildienst zu ersetzen. Wehrbereichskommandos unter Leitung von Reserveoffizieren sind seit längeren in Arbeit. Die Aufgaben dieses Dienstes hören sich zivil an: Katastrophenschutz, Einsätze bei Hochwasserfluten; ja, und Terrorismusbekämpfung. In jedem Falle werden die Aufgaben Einsätze im Inneren sein:

Die finsteren Pläne eines adeligen Strahlemanns Eines guten Tages beschloss ein Adelsspross in der bayrischen Provinz Politiker zu werden. Bevor er seine politischen Laufbahn antrat verkloppte er 25 Prozent des im Familienbesitz befindlichen Stammkapitals der Rhönklinik für 260 Millionen Euro. Er trat in die CSU ein und wurde alsbald die Allzweckwaffe des Bayern-Krawallo Seehofer. Sein Marschbefehl: Minister in Berlin werden. Zunächst löste er den leicht tölpelhaften Wirtschaftsminister Michel Glos (CSU) ab und dann den Verteidigungsminister Jung (CDU), der auch kein Geistesriese war. Beiden klebte der Vorwurf, dass sie eine miese neoliberale Politik auch noch schlecht verkauften, wie ein ausgekauter Kaugummi am Hemd. Im angenagten Politpersonal der Bundesregierung fiel der adelige Schnösel auf. Er war redegewandt und sprach fließend drei Sprachen: bayrisch, englisch und hochdeutsch. Er wirkte nicht marktschreierisch wie der Wichtigtuer Westerwelle. Sein Auftreten unterschied sich deutlich z.B. von Brüderles Auftritten, dem Provinzmaccavelli vom Südpfälzer Wurstmarkt. Neben der miesepetrigen Bundeskanzlerin Merkel wirkte er wie ein Strahlemann. Heerscharen der bundesdeutschen Medienmacht stürzten sich auf den Neuen aus dem begüterten bajuwarischen Adelsstall und modellierten ein Image: edel soll er erscheinen und so unabhängig, dass er dass Politgeschäft eigentlich gar nicht

nötig hätte. Sie stilisierten mit großem Eifer und Können sein Image auf Hochglanz mit rosa Schleifchen. Karl Theodor Maria Nikolaus Johan Jacob Philipp Franz Josef Sylvester wurde zum Shootingstar der Berliner Politszene gemacht. Für eine gläubige, leicht verführbare Öffentlichkeit ist er derzeit der beliebteste Politiker in Deutschland. Eine Musterfallstudie zum Thema Meinungsmache. Dieser Strahlemann hat die Aufklärung des Massakers von Kunduz im Parlament durch vorenthaltene Informationen behindert. Diese Tatsache wurde in der öffentlichen Wahrnehmung weggelächelt und geriet in Vergessenheit. Eine ähnliche Strategie ist bei der Durchsetzung der Bundeswehrreform im Anmarsch. Sympathischer Nebel um eine bedrohliche Militarisierung der Politik. Die Kerngedanken des Vorhabens, das der Stabsunteroffizier der Reserve zu Guttenberg und der Reserveoffizier und Oberarbeitsamtmann Weise planen, lassen aufhorchen.

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Bundeswehr soll insgesamt verkleinert und die Kampfeinheiten für Interventionskriege sollen verstärkt werden. Der Hightech-Soldat, ist gefragt. Die Welt im Visier Das kapitalistische System hat für die Heimatfront auch schon Pläne; aber zunächst hat es die NATO

beauftragt, die Welt ins Visier zu nehmen. Dafür soll die Bundeswehr fit gemacht werden: • für den Zugriff auf die weltweit verstreuten Bodenschätze – Rohstoffe, Wasser, Energie – für die Ausplünderung der Welt • für sichere Transportwege, um geplünderte Schätze ans Ziel zu bringen • für den sicheren Verkauf eigener Produkte auf den Märkten der ausgeplünderten Länder, die deren wirtschaftliche Entwicklung hemmen die Sicherung von • für Auslandsinvestitionen und deren Geschäften gegen das Ringen von Einheimischen für ökologische, soziale und arbeitrechtliche Standards

• Auch bei großen Streiks? • Auch wenn aufmüpfige Bürger und Bürgerinnen ihren Regierungen nicht mehr trauen und um ihr Recht ringen, wie bei Stuttgart 21, oder beim Widerstand gegen die Laufzeitverlängerung der AKWs, oder beim Widerstand gegen die Castortransporte, oder bei Aktionen der Demokraten gegen Naziaufmärsche? Zu weit hergeholt? Da fällt mir eine alte Barrasweisheit ein: Holzauge sei wachsam! Werner Finkemeier Grafiken: ISW

Hightech-Waffen für Hightech-Soldaten Für diese Ziele sind HightechWaffen erforderlich, damit die NATO-Einheiten effizienter künftige Krieg führen und dem Kapital dienstbar sein kann. Dass die Rüstungsindustrie Gewinne dabei macht, versteht sich von selbst; große Gewinne. Diese Umrüstung ist nicht mit Kartoffelschalen zu bezahlen. Sie kostet viele Milliarden Euro Steuergelder; 2010 waren es über 31 Milliarden, um die das Volksvermögen an der Heimatfront geplündert wurde.

Die Wehrpflicht wird ausgesetzt. Man sei ja grundsätzlich dafür, aber der Grundwehrdienst sei sicherheitspolitisch nicht mehr erforderlich. Auf deutsch: Deutschland wird nicht mehr bedroht und muss nicht mehr verteidigt werden. Wehrdienstleistende sind nicht mehr effizient genug, um wirkungsvoll im Ausland eingesetzt werden zu können. Die

Ziviler Militärdienst Militärischer Zivildienst Für die von außen nicht gefährdete

Schacht-IV letzter Akt im Trauerspiel? Der in der letzten Ratssitzung beschlossene Bebauungsplan für das Gelände rund um Schacht-IV, sowie die Berichterstattung in Teilen der lokalen Presse lassen nun für das weitere Schicksal des Geländes Schlimmstes befürchten. So plant, wenn man einem Artikel des WA glauben schenken mag, die Firma Bangel aus dem Gelände einen „Wohnort mit Flair“ zu machen. Was das heißt ist schnell erzählt: die noch bestehende ehemalige Waschkaue wird komplett entkernt. Die Außmauern dienen dann lediglich nur noch als dekorative Fassade für eine Zeile Reihenhäuser, denen so einen gewisser "Flair" verliehen werden soll. Ein ähnliches Schicksal droht dem früheren Förderturm. Auch er soll in den unteren Etagen entkernt werden und dadurch Platz für Büros bieten. Diese Entwicklung ist letztendlich das Ende für alle Pläne, die einen sensiblen Umgang mit diesem einmaligen Zeugnis der Industriekultur Oberhausens vorsahen und die Schacht-IV der Öffent-

lichkeit zugänglich machen wollten. Geblieben sind nun eine handvoll Wohnungen mir Garten für die wohl-

habenderen Teile der Bevölkerung und weitere Büroflächen, die niemand wirklich braucht.

In immer stärkerem Maß zerfällt eines der herausragendsten Denkmäler der Oberhausener Industriekultur. Auf http://www.schachtiv.de/ gibt es mehr Fotos zu sehen.

Seit 1967 hilft das Friedensdorf International den schwächsten Opfern von Krieg in der Welt. Kinder aus Angola, Afghanistan, Vietnam und vielen andere Orten der Welt haben Hilfe in Oberhausen erhalten und werden sie in Zukunft in Anspruch nehmen müssen. Das Friedensdorf bietet medizinische Versorgung, Verpflegung, Betreuung und Unterbringung für Kinder aus krisengeschüttelten Gebieten. Das alles bedarf viel Idealismus und vor allem viel Geld. Deshalb sucht das Friedensdorf nach Fördermitgliedern und Geldspenden. Auch Sachspenden, allen vorran gut erhaltene Kleidung, Schuhe, Gehhilfen und Rollstühle für Kinder und Erwachsene kann das Friedensdorf dringend brauchen. Mehr Informationen sind unter https://www.friedensdorf.de/ zu finden.

Somigli Foto: Sandro

SPENDENKONTEN Stadtsparkasse Oberhausen Kontnonummer: 102400 BLZ: 365 500 00 IBAN: DE59 3655 0000 0000 1024 00 SWIFT-BIC: WELADED1OBH Sparkasse Dinslaken-Voerde-Hünxe Kontnonummer: 111 153 BLZ: 352 510 00 IBAN: DE84 3525 1000 0000 1111 53 SWIFT-BIC: WELADED1DIN Postbank Essen Kontnonummer: 1218-434 BLZ 360 100 43 IBAN: DE12 3601 0043 0001 2184 34

Somigli Foto: Sandro

Spritzgebäck 500g Mehl 300g Butter 200g Zucker 2 Päckchen Vaniliezucker 125g gemischte Mandeln 1 Ei 1 Eigelb ½ Päckchen Backpulver Das alles zu einem Mürbeteig verkneten und anschließend einige Stunden kalt stellen. (Am besten über Nacht im Kühlschrank lassen.) Am nächsten Tag durch einen Fleischwolf drehen und zu Buchstaben formen. Dann auf 175 Grad für 10 bis 15 Minuten backen. Eventuell mit Schokolade verzieren!