Bericht zur Sprachstandserhebung bei Grundschülerinnen und Grundschülern mit Migrationshintergrund Teil II Analyse schriftsprachlicher Texte in der Muttersprache zum Ende des ersten Schuljahrs 1999/2000

Erhoben im Rahmen von SCHUBILE "Schulen fördern bilinguales Lernen in der Primarstufe"

Projekt der RAA Essen & des Schulamtes für die Stadt Essen

Erarbeitet von: Christoph Schroeder Fachbereich 3, Universität Essen

unter Mitarbeit von: Birkan Gülcan-Doğan und Zehra Bilici Essen, Mai 2001

Inhalt 1. Einleitung 1.1. Untersuchungsrahmen und Datengrundlage 1.2. Untersuchungsschritte 1.3. Zur Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse: organisatorische und methodische Probleme 2. Zum Analyseraster 2.1. Ziele der Analyse 2.2. Die einzelnen Analysebereiche 2.2.1. Schriftbild/Graphemebene 2.2.2. Laut-Schrift-Beziehung 2.2.3. Wortschatz/Lexikon 2.2.4. Morphologie 2.2.5. Syntax 2.2.6. Textebene 3. Analyseergebnisse 3.1. Textlängen 3.2. Die einzelnen Bereiche 3.2.1. Schriftbild 3.2.2. Laut-Schrift-Beziehung 3.2.3. Wortschatz 3.2.4. Morphologie 3.2.5. Syntax 3.2.6. Textebene 3.3. Zusammenfassung 4. Diskussion der Ergebnisse und Weiterarbeit 4.1. Allgemeine Einordnung der Ergebnisse 4.2. Spezifische Problembereiche 4.3. Noch einmal zur Methode 4.4. Weiterarbeit Anhang Teil I: Teil II: Teil III:

Analyseraster Bildergeschichte Übersicht über die Klassenergebnisse und Notizen zu den einzelnen Texten (nur im Berichtsexemplar für die RAA Essen enthalten)

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

1. Einleitung 1.1. Untersuchungsrahmen und Datengrundlage Die Sprachstandseinschätzungen, deren Teilergebnisse der vorliegende Bericht vorstellt, beziehen sich auf ein von der RAA / Büro für interkulturelle Arbeit Essen in Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht und den beteiligten Schulen durchgeführtes Förderkonzept SCHUBILE ("Schulen fördern bilinguales Lernen in der Primarstufe"). 1 Ziel der Untersuchungen ist, die sprachlichen Lern- und Entwicklungsschritte der im Rahmen des Konzeptes unterrichteten Kinder türkischer und libanesisch-arabischer Muttersprache zu dokumentieren und evaluieren – und zwar sowohl in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache. In den Gesamtrahmen der Sprachstandseinschätzungen einbezogen sind sowohl mündliche als auch schriftsprachliche Daten; mündliche Daten wurden zu Beginn und zum Ende des ersten Schuljahres erhoben, schriftsprachliche Daten zum Ende des ersten Schuljahres. Zusätzlich wurde bei der Ersterhebung der mündlichen Daten Lehrerbeobachtungen zum aktiven Sprachgebrauch und zum passiven Sprachverständnis sowohl für die Mutter- als auch für die Zweitsprache der Kinder durch Lehrerfragebögen abgefragt. Grundlage des vorliegenden Berichts bilden die zum Ende des ersten Schuljahrs erhobenen schriftlichen Daten der türkisch-deutschen zweisprachigen Schüler in der Muttersprache. Insofern ist dieser Bericht "Teil eines Teilberichts" – er vermag allenfalls den Sprachstand und den Stand des Schrifterwerbs in der Muttersprache zum Ende des ersten Schuljahrs zu beschreiben. Alle Kinder, deren Texte hier analysiert werden, wurden in der Schule deutsch und türkisch alphabetisiert – allerdings nach von Schule zu Schule teilweise unterschiedlichen Methoden und in verschiedenen Formen der Koordination von Deutsch- und Muttersprachenunterricht. Bei der Erhebung der Daten wurde den Kindern eine Bildergeschichte (siehe Anhang) aus vier Bildern vorgelegt. Die Kinder hatten die Aufgabe, die Geschichte, die sich in ihrer Vorstellung aus diesen Bildern ergibt, aufzuschreiben. Die gleiche Bildergeschichte wurde für die mündlichen Spracherhebungen zum Ende des ersten Schuljahrs verwendet; der Zeitpunkt dieser Erhebungen lag unmittelbar vor den schriftsprachlichlichen Erhebungen. Den Kindern war die Geschichte somit bekannt. 2 Die MuttersprachenlehrerInnen, die die Schriftproben erhoben, waren jedoch gebeten worden, die Geschichte nochmals abzusichern, damit sicher davon ausgegangen werden kann, dass alle Kinder die Geschichte verstanden hatten, bevor sie sie niederschrieben. Insgesamt lagen 34 Texte aus 4 Klassen vor. Die Verteilung auf die einzelnen Klassen und Schulen gestaltet sich folgendermaßen:

1

Vgl. RAA / Büro für interkulturelle Arbeit Essen (Hrsg.). 2000. SCHUBILE - Schulen fördern bilinguales Lernen in der Primarstufe. Essen. 2 Zu Parallelen auf der textuellen Ebene zwischen den Daten dieser (zweiten) mündlichen Erhebung und den schriftlichen Daten wird in dem Bericht über die Analyse der zweiten mündlichen Spracherhebungen zu berichten sein.

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Christoph Schroeder, Universität Essen

Schule A (Klasse F1) Schule B Schule C (Klasse 1b) Schule D

10 Texte 9 Texte 9 Texte 6 Texte

1.2. Untersuchungsschritte In der Untersuchung wurde in folgenden Schritten vorgegangen: 1. Voranalyse und Entwurf eines Auswertungsrasters für die Texte (Christoph Schroeder) 2. Analyse der einzelnen Texte anhand des Auswertungsrasters (Birkan Gülcan-Doğan, Zehra Bilici) 3. Zusammenfassungen der Analysen für den einzelnen Schüler / die einzelne Schülerin (Birkan Gülcan-Doğan, Zehra Bilici, Christoph Schroeder) 4. Zusammenfassungen in Klassensätzen (Christoph Schroeder) 5. Berichterstellung (Christoph Schroeder) 1.3.

Zur Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse: organisatorische und methodische Probleme Es ist darauf hinzuweisen, dass die Analyse, deren Bericht hier vorgelegt wird, als Werkvertrag mit einem äußerst engen Finanzrahmen durchgeführt wurde. Es standen insgesamt 2.000 DM zur Verfügung. Dieser organisatorische und finanzielle Rahmen hat Konsequenzen, die auch die Gültigkeit der Ergebnisse betreffen: 1. Es war nicht möglich, die mitarbeitenden Studentinnen für ihre Arbeitsleistung bei den Auswertungen adäquat zu bezahlen. Da im Lehramtsstudiengang Türkisch, an dem die Analyse der muttersprachlichen Daten durchgeführt wurde, nur Lehrer für die Sekundarstufen ausgebildet werden, erlaubte das Lehrprogramm des Berichterstellers nur begrenzt eine inhaltliche Koordination der Schriftanalyse mit durchgeführten Seminaren. Der Arbeitsaufwand war entsprechend erheblich und führte, da die Qualität der Arbeit nicht beeinträchtigt werden sollte, zu zeitlichen Verzögerungen. 2. Der Umfang des Werkvertrages machte es nicht möglich, das gesamte SCHUBILE-Projekt wissenschaftlich zu begleiten. In der Konsequenz konnten weder die Alphabetisierungsprozesse in den verschiedenen Schulen noch die Datenerhebung selbst wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Das bedeutet u.a., dass es nicht vertretbar ist, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Methoden in der Alphabetisierung und den Analyseergebnissen herzustellen. Es sollte jedoch möglich sein, auf der Grundlage des vorliegenden Berichts einen Zusammenhang zwischen der Organisationsform der zweisprachigen Alphabetisierung und ihrem Erfolg herzustellen – zumindest was die muttersprachliche Alphabetisierung angeht. Dieser Bericht selbst kann dies jedoch nicht leisten. 3. Im Rahmen dieses Berichtes konnte keine Korrelation der Analyseergebnisse mit den im Rahmen von SCHUBILE erhobenen Sozialdaten der Schüler vorgenommen werden, da eine Auswertung dieser Daten bisher nicht vorliegt. Eine derartige Korrelation ist zu einem späteren Zeitpunkt auf jeden Fall anzustreben.

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Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

2. Zum Analyseraster 2.1. Ziele der Analyse Die Analyse setzte sich vier Ziele: 1. Der Entwicklungsstand der graphischen Fähigkeiten der Kinder sollte festgestellt werden. Diese sind zunächst sowohl von den sprachlichen Fähigkeiten als auch von der Beziehung zwischen Laut und Schrift getrennt zu sehen und beziehen sich zunächst rein auf die Entwicklung des Schriftbildes. 2. Der Entwicklungsstand in der Anwendung der Laut-Schrift-Beziehung sollte untersucht werden. Hier stand nicht normativ-orthographische Richtigkeit im Vordergrund, sondern die Suche nach den (kreativen) Strategien bei der Verschriftung – es konnte davon ausgegangen werden, dass die Kinder viele der von ihnen verwendeten Wörter zum ersten Mal verschrifteten. 3. Das sprachliche Wissen der Kinder sollte festgestellt werden, soweit dies angesichts eines kurzen Textes möglich war. Im Rahmen der Untersuchung sprachlichen Wissens bot es sich einerseits an, auf die im Rahmen des ersten Berichts zur Sprachstandsuntersuchung vom Oktober 2000 3 entwickelten Kriterien (Wortschatz – Morphologie – Syntax) zurückzugreifen. Demgegenüber spielt jetzt jedoch die Textebene eine stärkere Rolle. Dies hat zwei Gründe. Zum einen konnten in der Erstuntersuchung textuelle Kriterien nicht tiefergehend untersucht werden, da die sprachlichen Daten dies zum größten Teil nicht hergaben: In der ersten mündlichen Spracherhebung stand im Großteil der Texte keine Bildergeschichte im Vordergrund, sondern ein Bild, das sich aus vielen einzelnen Szenen zusammensetzte, so dass nur wenige narrative Sequenzen vorlagen. Bei den hier vorliegenden Texten aber diente eine (Bilder-)Geschichte als Impuls, Narration war entsprechend zu erwarten. Darüber hinaus bietet die Schrift als bleibendes Medium die Möglichkeit der Reflexion über das Erzählte und erlaubt so eine stärkere Konzentration auf eine textuelle Abgeschlossenheit. Auf der Textebene waren also Aufschlüsse über das sprachliche Wissen der Kinder zu erwarten. 4. Gewissermaßen als "Querschnittsaufgabe" durch alle Analysebereiche sollten mögliche Interferenzen aus dem Deutschen festgestellt werden. Auch hier steht wieder im Vordergrund, dass Interferenzen zunächst als kreative Lösungen für die Bewältigung sprachlicher Aufgaben stehen. Dies ist besonders deutlich bei der Laut-Schrift-Beziehung: Wenn ein Kind eine im Deutschunterricht gelernte Laut-Schrift-Beziehung auf das Türkische anwendet, so zeigt dies in erster Linie, dass das Kind etwas gelernt hat und es anzuwenden weiß. Das kann ein wichtiger Hinweis auch für den Deutschlehrer/die Deutschlehrerin sein, ein Hinweis vor allem, der aufgrund möglicher sprachlicher Schwierigkeiten des Kindes im Deutschen in dessen deutschen Texten nicht so klar verstanden wird. Im zweiten Schritt dient die Feststellung von Bereichen, in denen besonders häufig Interferenzen auftreten, dem Muttersprachenlehrer/der Muttersprachenlehrerin als Hinweis auf Lernbereiche, die didaktischer Schwerpunktsetzung bedürfen.

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Vgl. Benholz, Claudia, Eva Lipkowski, Christoph Schroeder (unter studentischer Mitarbeit). 2000. Bericht zur Sprachstandserhebung bei Grundschülerinnen und Grundschülern mit Migrationshintergrund zum Zeitpunkt der Einschulung 1999. Universität Essen. (Manuskript). Ich verweise im folgenden mit "Benholz-LipkowskiSchroeder 2000" auf diesen Bericht.

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Christoph Schroeder, Universität Essen

In Benholz/Lipkowski/Schroeder (2000, 4-5) wurde bereits auf das grundsätzliche Problem der sprachlichen Ausgangsnorm bei der muttersprachlichen Sprachstandsuntersuchung von zweisprachigen Kindern mit Migrationshintergrund hingewiesen. Diese Problematik bleibt unverändert auch hier bestehen. 2.2. Die einzelnen Analysebereiche Entsprechend der eben angestellten Überlegungen bezieht sich die Auswertung auf folgende Bereiche: 1. Schriftbild/Graphemebene 2. Laut-Schrift-Beziehung 3. Wortschatz/Lexikon 4. Morphologie 5. Syntax 6. Textebene Darüber hinaus wurde die Zahl der Grapheme, Wörter und Sätze gezählt. In Bezug auf die Sätze wurde dabei ein syntaktischer Satzbegriff zugrunde gelegt (Vorhandensein eines finiten Prädikats), der jedoch auch Ellipsen zuließ. Im folgenden werden die für die einzelnen Bereiche ausgewählten Indikatoren kurz vorgestellt. Eine Kopie des Analyserasters findet sich im Anhang. 2.2.1. Schriftbild/Graphemebene Die Analyse des Schriftbildes konzentriert sich auf: - Schwierigkeiten in der Darstellung einzelner Grapheme (vertikale/horizontale Positionierung, Verwechslung sowie in der linearen Anordnung (lautlich unmotivierte Auslassung und Dopplung); - Einsatz von Groß- und Kleinschreibung; - lautlich unmotivierte Zusammen- und Getrenntschreibung von Wörtern; - Einsatz von Interpunktion; - Beherrschung und Einsatz der Grapheme ş /Ş (für [S]) ç / Ç (für [tS]), ı (für [μ]), İ (Kapital von i) und ğ (Dehnungszeichen), die im türkischen Alphabet vorhanden sind, im deutschen jedoch nicht. In diesem Bereich haben die zweisprachig alphabetisierten Kinder besonderen Lernaufwand zu leisten. In der Voranalyse wurde festgestellt, dass die Bewältigung dieses Lernbereichs u.a. zu Strategien des Übereinsatzes bzw. zur systematischen Ersetzung der spezifisch türkischen Grapheme durch auch oder nur im deutschen Alphabet vorhandene Grapheme führen kann (z.B. sch anstelle von ş). Gleichzeitig stellt das Dehnungszeichen ğ ein besonderes Problem dar, da es normschriftlich zwar eingesetzt wird, in der umgangssprachlichen Lautung jedoch starken Schwankungen unterliegt, vgl. Kirchner (1999). 4

4

Kirchner, Mark. 1999. Türkisch ğ, Deutsch r. In: Lars Johanson, Jochen Rehbein (Hrsg.). Türkisch und Deutsch im Vergleich. (Turcologica 39) Wiesbaden: Harrassowitz, 139-152.

4

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

2.2.2. Laut-Schrift-Beziehung Eine Voranalyse ergab, dass die Laut-Schrift-Beziehung besonders sensibel gegenüber Interferenzen aus dem Deutschen ist. Dies betrifft einerseits die unmittelbare Phonem-GraphemBeziehung, besonders die Bereiche, wo für ein im Deutschen als auch im Türkischen vorhandenes Phonem verschiedene Grapheme eingesetzt werden (z.B. dt. w, tk. v für [v]). Ein anderer gegenüber Interferenzen sensibler Bereich ist die Repräsentation des türkischen Phonems [μ] (/ı/). Dieses Phonem ist einerseits dem Schwa-Allophon des deutschen /e/ ähnlich. Andererseits wird es von türkischen Deutschlernern im Deutschen oft epenthetisch eingesetzt, um die oft komplexe Silbenstruktur des Deutschen dem türkischen (C)V(C)–Muster anzupassen. So lernen die Kinder leicht, dass dieser Laut im Deutschen nicht geschrieben wird und wenden das auch auf das Türkische an. Neben der Untersuchung möglicher Interferenzen sollte in diesem Abschnitt auch untersucht werden, wie die Kinder mit umgangssprachlichen und dialektalen türkischen Lautstrukturen umgehen, die sich von der Schriftsprache unterscheiden. Dies betrifft bestimmte Konsonantenerweichungen im Anlaut (/k/ wird zu /g/), Verschleifungen und Reduktionen in In- und Auslauten (z.B. z.B. fallen bestimmte Suffixanlaute umgangssprachlich weg und wird bir "ein/e/r" umgangssprachlich zu bi), aber auch den Umgang mit formelhaften Strukturen, die schriftsprachlich nicht zusammen geschrieben werden (ozaman "dann" statt o zaman), sowie der Umgang mit morphologisch komplexen Wörtern, die zumindest in der Kindersprache teils reduziert werden (z.B. sineniyor statt sinirleniyor "er/sie ärgert sich"). Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass das Ziel dieser Untersuchung keine "Fehleranalyse" ist, auf deren Basis die Kinder anschließend klassifiziert werden. Vielmehr ging es darum, die Strategien der Verschriftung zu analysieren und auf dieser Grundlage Hinweise auf Bereiche zu geben, die im muttersprachlichen Türkischunterricht in der Primarstufe besonderer Beachtung bedürfen. 2.2.3. Wortschatz/Lexikon In diesem Abschnitt ging es darum, den Umfang, die Adäquatheit und die Spezifik des Wortschatzes zu erfassen, der zum Erzählen der Bildergeschichte eingesetzt wurde. Dabei wurden sowohl lexikalische Vollwörter (Substantive, Verben, Adjektive) erfasst als auch die Funktionswörter (Konjunktionen, Pronomen, Postpositionen). Da letztere allerdings zur Bildung syntaktischer Konstruktionen herangezogen werden, wurden sie im Abschnitt "Syntax" erfasst. 2.2.4. Morphologie Als agglutinierende Sprache ist Türkisch eine Sprache, in der grammatische Kategorien wesentlich stärker als im Deutschen mit Endungen ausgedrückt werden. Vor allem das Verb kann morphologisch hochkomplex werden. Entsprechend konzentriert sich der morphologische Teil der Untersuchung auf die Verbalmorphologie. Darüber hinaus wurde nach Wortableitungen und komplexen nominalen Strukturen (Genitivverbindungen) gefragt, sowie nach weiteren morphologischen Auffälligkeiten, die als dialektal oder interferenzbedingt vermutet werden konnten.

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2.2.5. Syntax Im syntaktischen Teil wurde nach der Komplexität der eingesetzten Sätze, den Satztypen sowie den Typen von Satzverbindungen gefragt. Bei den Satzverbindungen wurde u.a. gefragt, wieweit stärker schriftsprachliche Strukturen der Unterordnung durch Partizipien, Gerundien und Nominalisierungen (i. Ggs. zu Verbindung durch Konjunktionen) eingesetzt waren. Die Wortstellung des Türkischen unterliegt wesentlich weniger streng grammatischen Prinzipen als im Deutschen. "Unangemessenheit" der Wortstellung bezieht sich eher auf textuelle Kriterien als auf grammatische. Sie kann aber auch ein Indiz für Interferenzen aus dem Deutschen sein. 2.2.6. Textebene Auf der Textebene wurden zum einen die Verweisstrukturen in der Vertextung der Bildergeschichte untersucht. Als Indikatoren dienten hier der Einsatz von Pronomen sowie die Mittel zur Einführung der Protagonisten der Bildergeschichte (Mädchen, Vögel, Katze) in den Text. Darüber hinaus wurde untersucht, wieweit verschiedene Erzählebenen eingesetzt wurden, z.B. Verhaltensbewertungen und –erklärungen sowie textsortenbezogene Kommentare und der Einsatz von verschiedenen Tempora als Perspektivwechsel. Im Gegensatz zum Deutschen erlaubt das Türkische die Reduktion des Subjekts, wenn dessen Referent aus dem Kontext rekonstruierbar ist. Im Rahmen der Indikatoren "nicht notwendiger Einsatz von Pronomen" und "unangemessener Übereinsatz des Subjekt-Substantivs" sollte untersucht werden, wieweit die Kinder Subjektreduktion als textuelles Mittel einsetzten. Die Formulierungen "nicht notwendig" und "unangemessen" gehen dabei vom Blickpunkt einer "Gesamterzählung" aus, die von der Segmentierung der Bildergeschichte durch vier Bilder absah. Im Nachhinein wurde deutlich, dass einige Kinder jedes Bild für sich genommen erläuterten. Hier konnte dieses Kriterium nicht greifen. Im Rahmen der Textebene wurde darüber hinaus nach Sprachmischungen Deutsch-Türkisch gefragt. Es sei an dieser Stelle bereits gesagt, dass sich in keinem der Texte Sprachmischungen, deutsche Wörter oder eindeutig als Interferenz erkennbare Muster fanden.

3. Analyseergebnisse 3.1. Textlängen Als Grundlage für die Messung der Textlänge werden hier die Graphemzahlen genommen. 5 Sie verteilen sich folgendermaßen: Schule A Kind Nr. Anzahl Grapheme

5

10 7 1 12 13 8 2 158 146 141 127 118 115 82

16 80

15 49

6 39

15 49

Zur Anzahl der Wörter und Sätze in den einzelnen Texten siehe die Klassenübersichten im Anhang.

6

6 39

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

Kind 15 hat sich mehrmals korrigiert – auf seinem Blatt hat die Lehrerin notiert, dass es krank war, als die Schriftprobe erhoben wurde. Schule B Kind Nr. Anzahl Grapheme

18 14 1 4 12 183 150 144 132 95

5 89

20 70

10 69

16 66

Schule C Kind Nr. Anzahl Grapheme

7 11 136 96

10 66

2 58

8 51

4 11

5 89

9 86

1 71

Kind 4 scheint die Buchstaben nicht ausreichend zu beherrschen um der Aufgabe gerecht zu werden. Der Text ist mit unserem Raster nicht adäquat analysierbar und wurde nicht mit aufgenommen. Schule D Kind Nr. Anzahl Grapheme

2 4 6 1 5 163 138 114 113 89

3 15 (29)

Ein Kind 3 hat sehr schnell abgebrochen und einen Großteil des Geschriebenen später wieder ausradiert. Der Text ist zu kurz um analysierbar zu sein und wurde nicht mit aufgenommen. 3.2. Die einzelnen Bereiche 3.2.1. Schriftbild Schule A Stark auffallende Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes sind nicht festtzustellen. Zwei Kinder (12, 8) haben ein sehr gleichmäßiges Schriftbild. Zum Teil sind Grapheme in der Vertikale verschoben (Schreibung von p, g, y über der Linie) oder m steht statt n bzw. umgekehrt. Ausgelassene Grapheme, wo dies nicht lautlich motiviert ist, sind sehr selten und betreffen dann Endbuchstaben. Bei Kind 6 allerdings fehlt sämtliche Kasusmorphologie – nicht jedoch andere Flexionsmorphologie, wie z.B. die Pluralendung.. In bezug auf die spezifisch türkischen Grapheme fällt auf: Bei dem Großteil der Kinder sind diese Grapheme vorhanden und richtig eingesetzt. Kind 6 setzt dagegen konsequent sch für ş und an der Stelle, wo ç auftauchen könnte, setzt es s (das könnte aber auch lautlich bedingt sein). ı ist vorhanden und wird richtig verwendet. Bei Kind 8 scheint ç nicht vorhanden und wird durch c ersetzt. Kind 2 setzt konsequent kein ı – dies ist allerdings eher lautlich zu begründen (siehe 2.2.2.). Nicht lautlich motivierte Getrenntschreibung von Wortteilen finden sich bei zwei Kindern (8, 10), wo die Pluralendung bei Substantiven teilweise vom Wort getrennt geschrieben ist. In Bezug auf Groß- und Kleinschreibung ergibt sich ein recht divergentes Bild: Kind 12 schreibt nur den Namen des Mädchens groß; vier weitere Kinder (7, 8, 13, 15) schreiben den (selbstgewählten) Namen des Mädchen groß; Kind 2 setzt den Punkt ein und schreibt danach immer groß; Kind 10 schreibt am Zeilenanfang groß. Ansonsten wechseln diese Kinder teil7

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weise zwischen Groß- und Kleinschreibung im Text. Ein Kind schreibt konsequent klein (1); zwei Kinder (6, 16) schreiben alle Buchstaben gleich groß, wechseln dabei aber zwischen Groß- und Kleinschreibung. Die Hälfte der Kinder setzt bereits Punkte zur Segmentierung von Textteilen ein. Schule B Größere Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes sind bei drei Kindern (10, 16, 20) festzustellen: Bei allen dreien findet sich zum Teil Skelettschreibung in verblüffend gleichen Mustern – so schreiben alle drei çamKBn statt camdan bakıyor "sie schaut aus dem Fenster", alle drei setzen das ı nicht oder nur teilweise ein (ks statt kız), alle drei führen das o nicht ganz aus, schreiben b auch im Wort immer groß und beginnen für jede Satzeinheit eine neue Zeile, wobei der erste Buchstabe immer groß geschrieben wird und die Einheit mit Birks/Binks/Birkıs (anstelle von Bir kız "ein Mädchen") beginnt. Bei zwei weiteren Kindern (5, 12) finden sich ähnliche Unsicherheiten, allerdings weniger ausgeprägt und vor allem nicht in der fast identischen Form. Kind 12 hat offenbar fast den gesamten Text einmal ausradiert und neu geschrieben. Bei zwei der genannten Kinder (5, 16) schwankt die Buchstabengröße zudem relativ stark. Die übrigen Kinder (1, 4, 14, 18) haben ein gleichmäßiges Schriftbild mit systematischem Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung (Großschreibung zum Anfang von Satzeinheiten, z.T. auch bei Zeilenbeginn). Kind 4 setzt systematisch d anstelle von b. In bezug auf die spezifisch türkischen Grapheme fällt auf: ş ist bei vier Kindern eingesetzt (1, 12, 14, 18), Kind 4 setzt systematisch sha (möglicherweise auch als sh mit einem epenthetischen /a/ zu werten) anstelle von ş, einmal, auslautend, auch c; die übrigen Kinder setzen s. Das Graphem ı ist beim Großteil der Kinder vorhanden, nicht vorhanden ist es bei den Kindern 5, 16 und 20. Kind 5 ersetzt es konsequent durch e; Kind 16 und 20 dagegen ersetzen das fehlende ı konsequent nicht – möglicherweise ein Hinweis auf eine lautliche Motivation. Beim Großteil der Kinder ist ç vorhanden, bei Kind 5 wird es durch s ersetzt (evtl. ist dies kindersprachlich und somit lautlich bedingt), bei den übrigen beiden Kindern (4, 12) gibt der Text diesbezüglich nichts her. Nicht lautlich motivierte Getrenntschreibung von Wortteilen finden sich bei einem Kind (5), wo die Pluralendung bei Substantiven immer vom Wort getrennt geschrieben ist, teilweise auch die Präsensendung am Verb. Alle Kinder bis auf zwei (5, 12) setzen bereits Punkte zur Segmentierung von Textteilen ein. Schule C Größere Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes sind bei drei Kindern (1, 2, 8) zu beobachten. Bei Kind 8, teilweise auch Kind 2 und 1 findet sich Skelettschreibung; bei Kind 2 fallen ähnliche Buchstaben (d, l und y) in einem Zeichen zusammen; Kind zwei hat Schwierigkeiten, Wortgrenzen einzuhalten; bei Kind 1, 2 und 8 findet eine systematische Unterscheidung zwischen Groß- und Kleinschreibung nur in Ansätzen statt. Zwei weitere Kinder (9,11) haben Schwierigkeiten bei dem komplexen Wort uçuyor. Bei Kind 10 war der Sinn zweier Wörter (bomd Gziga) nicht zu entschlüsseln. Die übrigen beiden Kinder (5, 7) haben ein gleichmäßiges Schriftbild mit systematischem Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung. 8

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

In bezug auf die spezifisch türkischen Grapheme fällt auf: Der Großteil der Kinder beherrscht das ş, nur Kind 9 setzt s an die Stelle und Kind 11 systematisch sch. Vier der Kinder beherrschen eindeutig das ı (2, 7, 9, 10); zwei Kinder ersetzen es konsequent durch kein Graphem (1, 8), ein weiteres scheint sich in der Schreibung unsicher und setzt g. Bei den übrigen Kindern gibt der Text diesbezüglich nichts her. ç (lautlich [tS]) ist bei drei Kindern (5, 7, 8) eindeutig vorhanden; bei drei Kindern (1, 9, 10) gibt der Text diesbezüglich nichts her, bei zwei weiteren Kindern (2, 11) wird das gleiche Graphem eingesetzt wie für [S] – dies kann umgangssprachlich/dialektal bedingt sein. Nicht lautlich motivierte Getrenntschreibung von Wortteilen finden sich bei einem Kind (5), wo die Pluralendung bei Substantiven immer vom Wort getrennt geschrieben ist, teilweise auch die Präsensendung am Verb. Zwei Kinder (7, 11) setzen bereits Punkte zur Segmentierung von Textteilen ein. Schule D Stark auffallende Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes sind nicht festtzustellen. Die Kinder haben gleichmäßige Schriftbilder. Bei Kind 5 fällt auf, dass es z.T. Kasusendungen auslässt und die Wörter nicht voneinander trennt oder einmal auch die substantivische Pluralendung vom Stamm getrennt schreibt. Die spezifisch türkischen Grapheme sind bei allen Kindern vorhanden. Kind 4 setzt allerdings i für ı und setzt dort kein Graphem, wo /ı/ stark abgeschwächt wird, und Kind 5 setzt zunächst kein ı ein, später aber doch. Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung im Wort findet sich bei zwei Kindern (1, 5); die übrigen Kinder unterscheiden hier systematisch – Kind 4, indem es oft Anfangsbuchstaben groß schreibt, Kind 2 und 6, indem sie am Zeilenanfang groß schreiben. Alle Kinder setzt bereits Punkte zur Segmentierung von Textteilen ein. 3.2.2. Laut-Schrift-Beziehung Schule A Allen Kindern gelingt eine lautgemäße Verschriftung der Geschichte. Einige setzen dabei teilweise deutsche Phonem-Graphem-Beziehungen ein: sch für ş (Kind 6) und w für v (Kind 1, 8, 10), einmal auch eine Konsonantendoppelung möglicherweise als Strategie zur Kürzung des vorangehenden Vokals (Kind 15: attiya für atıyor). Die Verschriftung ist teilweise von türkischer umgangssprachlicher Lautung geprägt. Zum Beispiel wird normsprachliches auslautendes z manchmal durch s ersetzt und anlautendes stimmloses k durch stimmhaftes g, manchmal auch Verstimmhaftung von t durch d, das normsprachlich anlautende y ([j]) der Präsensendung wird in der Regel nicht repräsentiert, auslautendes r wird öfters nicht repräsentiert (z.B. bi statt bir "ein"); Klitika und Formeln werden teilweise zusammen geschrieben (z.B. usaman statt o zaman "dann"). Zum Teil finden sich auch Dialektmuster, so recht stark bei Kind 15 (Präsensendung ist konsistent -iya für ıyor). Kind 7, 12 und 16 setzen allerdings sehr konsequent normschriftliche Muster auch an Stellen ein, wo die Umgangssprache von der Normsprache abweicht – lediglich die Repräsentation langer Vokale mit dem Dehnungszeichen ğ findet sich noch nicht. Kind 2 interpretiert ı möglicherweise als Schwa-Laut und repräsentiert ihn nicht.

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Christoph Schroeder, Universität Essen

Schule B Sieht man von den Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes ab, die einige Kinder aufweisen (vgl. 3.2.1.), finden sich in der Laut-Schrift-Beziehung insgesamt ähnliche Tendenzen wie in der Schule A – allerdings etwas ausgeprägter. Das heißt, deutsche PhonemGraphem-Beziehungen werden konsistenter eingesetzt (vor allem w für v); die oben angeführten umgangssprachlichen Muster sind häufiger; ein Kind (4) hat starke dialektale Muster; auch die fehlende Repräsentation abgeschwächter Vokale ist relativ häufiger. Drei Kinder (1, 14, 18) setzen sehr konsequent normschriftliche Muster auch an Stellen ein, wo die Umgangssprache von der Schriftnorm abweicht. So schreiben sie z.B. den in der Umgangssprache stark reduzierten Vokal zwischen einem konsonantenauslautendem Verbstamm und dem Präsenszeichen –yor systematisch auf. Schule C Grundsätzlich finden sich ähnliche Tendenzen wie bei Schule B – allerdings in einer noch stärkeren Heterogenität: Neben den Kindern, die größere Unsicherheiten in der Gestaltung des Schriftbildes haben (1,2, 4, 8) setzt ein Kind (7) sehr ausgeprägt normschriftliche Muster ein. Eine stark dialektal geprägte Verschriftung findet sich darüber hinaus bei Kind 5, 10 und 11. Kind 10 setzt dabei sehr konsequent deutsche Phonem-Graphem-Beziehungen ein. Schule D Allen Kindern gelingt eine lautgemäße Verschriftung der Geschichte. Eine deutsche Phonem-Graphem-Beziehungen wird nur einmal eingesetzt: w für v (Kind 2). Die Verschriftung ist teilweise von türkischer umgangssprachlicher Lautung geprägt, nach den oben (Schule A) angegebenen Mustern. Kind 5 zeigt einige Muster, die möglicherweise als Dialektverschriftungen oder Kindersprache interpretiert werden können (viriyor statt veriyor "sie gibt", uşuoyor statt uçuyor "sie fliegen" und/oder hat Schwierigkeiten mit der Unterscheidung der Vokale. Alle Kinder (bis auf Kind 3, das nicht in die Analyse aufgenommen ist, siehe 3.1.) setzen bereits normschriftliche Muster auch an Stellen ein, wo die Umgangssprache von der Normsprache abweicht – selbst das Dehnungszeichen ğ taucht auf (Kind 1). 3.2.3. Wortschatz Schule A Die Protagonisten der Bildergeschichte sind in allen Texten benannt. Auffallend ist, dass fast alle Kinder das Futter für die Vögel spezifisch mit yem ("Futter") und nicht allgemein mit yemek ("Essen") benennen. Unterschiede zeigen sich vor allem im Verbgebrauch: Eine Gruppe (Kind 1, 10, 12, 13) setzt sehr spezifische Verben ein (yakala- "fangen", gopar(kopar-) "abreißen"), bzw. spezifiziert die Handlung mit Modal- und Lokaladverbien. Eine weitere Gruppe setzt alle Verben ein, die zum Erfassen der Handlung angemessen sind. Zwei Kinder haben sehr kurze Texte (6, 15); dabei verwechselt Kind 6 möglicherweise zwei Verben und schreibt gülior ((die Katze) "lacht") anstelle von geliyor "kommt". Ähnlich ist es möglich, dass Kind 13, wenn es bezogen auf das letzte Bild kedi güzel "die Katze ist schön" schreibt, eigentlich kedi üzülüyor "die Katze ärgert sich/ist traurig" meint. Es ist aber bei beiden Kindern nicht möglich zu entscheiden, ob es sich hier um ein lexikalisches oder ein graphisches Mißverständnis handelt. Kind 2 beschränkt sich auf sehr wenige zentrale 10

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

Substantive und Verben – ob lexikalische Schwierigkeiten hier eine Rolle spielen oder nicht, läßt sich nicht beurteilen. Schule B Auch hier sind die Protagonisten der Bildergeschichte in allen Texten benannt. Wieder benennt der Großteil der Kinder das Futter für die Vögel spezifisch mit yem ("Futter"). Der Verbgebrauch von Kind 1, 14 und 18 ist sehr elaboriert; eine weitere Gruppe setzt alle Verben ein, die zum Erfassen der Handlung angemessen sind. Kind 10, 16 und 20 beschränken sich auf wenige zentrale Verben – ob lexikalische Schwierigkeiten hier eine Rolle spielen oder nicht, läßt sich nicht beurteilen. Schule C Bei Kind 4 und 8 machen die Unsicherheiten im Schriftbild eine Wortschatzanalyse schwierig – sie sind hier nicht einbezogen. Alle anderen Kinder benennen die Protagonisten der Bildergeschichte und benennen das Futter für die Vögel spezifisch mit yem. Der Verbgebrauch von Kind 5 und 7 ist sehr elaboriert – beide Kinder und auch Kind 1 setzen zudem Adverbien zur weiteren Spezifizierung der Handlung ein. In allen anderen untersuchten Texten sind alle zentralen Verben eingesetzt, die zum Erfassen der Handlung angemessen sind – lediglich bei Kind 9 wird ein Satz vor dem Verb abgebrochen. Schule D Der sehr kurze Text von Kind 3 läßt keine Wortschatzanalyse zu. Bei den übrigen Kindern fällt die im Vergleich zu den anderen Klassen relativ große Breite und Homogenität sowohl im substantivischen als auch im verbalen Wortschatz auf. Kind 1 setzt zudem mehrfach Adverbien der Art und Weise ein. 3.2.4. Morphologie Schule A Als Tempuskategorie überwiegt die einfache Gegenwart; fünf Kinder setzen darüber hinaus die einfache Vergangenheit ein (Kind 1, 2, 8, 10, 13), Kind 1 auch die Evidentialis- ("Hearsay"-) Form. Darüber hinaus findet sich in der Verbalmorphologie mehrmals eine Kausativverwendung ((Kind 10, 12, 13), die Befehlsform, Negation, sowie die Potentialis- ("können"-) Form bei Kind 1. Eine Adverbbildung (Reduplikation) setzt Kind 12 ein; Kind 1, 2, 10 und 13 bilden Genitivverbindungen. Bei Kind 6 fällt auf, dass die gesamte Kasusmorphologie fehlt – nominaler Plural und Verbalmorphologie sind jedoch vorhanden. Da die Unsicherheiten von Kind 15 auch auf seine Krankheit zum Untersuchungszeitraum zurückgeführt werden können (siehe 3.1.), wird dieser Text hier nicht einbezogen. Weitere morphologische Auffälligkeiten beziehen sich auf Muster, die auch beim einsprachigen Spracherwerb Türkisch in diesem Alter zu erwarten sind (kuşun tüsünü statt normsprachlich kuşun tüyünü "die Feder des Vogels" – der halbvokalische Auslaut von tüy "Feder" wird als vokalischer Auslaut interpretiert; entsprechend bekommt die Possessivendung –(s)ü das anlautende s-). 11

Christoph Schroeder, Universität Essen

Schule B Als Tempuskategorie überwiegt die einfache Gegenwart; vier Kinder setzen darüber hinaus die einfache Vergangenheit ein (Kind 1, 4, 5, 2), Kind 4 auch die Evidentialis- ("Hearsay"-) Form. Darüber hinaus findet sich in der Verbalmorphologie mehrmals die Negations- Potentialis- ("können"-) Form sowie der Optativ ("wollen"). Kind 1 reduziert zweimal morphologisch komplexe Verben (sineniyor statt sinirleniyor und yaklıyamyor statt yaklaşamıyor). Bei den Kindern 10, 16 und 20 fehlt die Kasusmorphologie – dies kann jedoch auch auf die Schwierigkeiten im Schriftbild zurückzuführen sein, die diese Kinder haben. Auch bei Kind 5 fehlt einmal die Kasusmorphologie Schule C Die Texte von Kind 4 und 8 lassen sich aufgrund der Schwierigkeiten im Schriftbild nicht adäquat morphologisch analysieren. Bei den übrigen Kindern überwiegt als Tempuskategorie die einfache Gegenwart; fünf Kinder setzen darüber hinaus die einfache Vergangenheit ein (Kind 1,7, 9, 10, 11). Kind Nr 7 setzt adverbiale Wortbildung (Reduplikation) ein. Kind 2, 9, 10 und 11 schreiben bei den Kasusendungen immer nur jeweils den ersten Buchstaben. Schule D Der Text von Kind 3 läßt sich aufgrund der Schwierigkeiten im Schriftbild nicht adäquat morphologisch analysieren. Bei den übrigen Kindern überwiegt als Tempuskategorie die einfache Gegenwart; drei Kinder (1, 2 und 6) setzen darüber hinaus die einfache Vergangenheit ein. Kind 1 wechselt im Text ganz von der Gegenwart zur Vergangenheit. Darüber hinaus findet sich in der Verbalmorphologie zweimal mehrmals der Kausativ (Kind 4 und 5), einmal die Befehlsform (Kind 2), einmal die negierte Potentialis- ("können"-) Form (Kind 2). Kind Nr 1 setzt adverbiale Wortbildung ein. Kind 4 schreibt zweimal keine Kasusendung wo sie notwendig wäre; Kind 5 läßt einmal eine Kasusendung aus und wechselt bei der Beschreibung der Vögel von Singular zu Plural – möglicherweise eine Selbstkorrektur. 3.2.5. Syntax Schule A Bei den Kindern überwiegen Sätze mit Subjekt, Objekt und weiterem Satzglied. Kind 13 gebraucht darüber hinaus auch Sätze mit nichtverbalen Prädikaten. Bei Kind 16 überwiegen Zweiwortsätze und Kind 6 hat Schwierigkeiten mit dem Satzbau (Verbendstellung ist vorhanden, Substantive werden jedoch ohne Kasusmorphologie einfach aneinander gereiht). Das zur Erhebungszeit kranke Kind 15 bricht beim dritten Satz ab. Vier Kinder setzen Satzverbindungen mit Konjunktion ein (1, 8, 10, 16); viermal finden sich auch komplexe nichtfinite Nebensatzkonstruktionen (Nominalisierungen, z.T. mit Postpositionen – Kind 1, 7, 10 und 13). Außer bei Kind 6 zeigen sich keine Auffälligkeiten in der Wortstellung.

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Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

Schule B Grundsätzlich ist deutlich, dass alle die Kinder die türkische Satzstellung beherrschen. Eine eingehendere syntaktische Analyse von Kind 10, 16 und 20 ist jedoch aufgrund der Schwierigkeiten im Schriftbild nicht möglich. Bei den übrigen Kindern überwiegen Sätze mit drei und mehr Wörtern – abgesehen von Kind 5 und 12, die überwiegend Zweiwortsätze bilden. Außer Kind 5 setzen alle Kinder Satzverbindungen mit Konjunktionen ein; Kind 3 bildet mehrere nichtfinite Adverbialsätze; Kind 12 und 14 setzen Nominalisierungen zur Unterordnung von Sätzen ein. Kind 4 und 5 wiederholen zweimal bereits Geschriebenes mit kleinen Veränderungen bzw. setzen mehrmals von vorne an, eine Satzstruktur aufzubauen. Sie scheinen unsicher – ob in der Wortwahl, im Satzbau oder allgemein angesichts der gestellten Aufgabe, kann nicht entschieden werden. Schule C Der Text von Kind 4 ist aufgrund der Schwierigkeiten im Schriftbild nicht adäquat syntaktisch analysierbar. Bei den übrigen Kindern ist grundsätzlich deutlich, dass sie die türkische Satzstellung beherrschen. Eingehender kann jedoch auch der Text von Kind 8 nicht adäquat syntaktisch analysiert werden. Bei Kind 4, 9, 10 und 11 überwiegen Sätze mit 3 und mehr Wörtern; Kind 9 bricht jedoch einen Satz vor dem Verb ab. Bei Kind 2 und 5 überwiegen Zweiwortsätze. Kind 7 setzt mehrfach Konjunktionen zur Satzverbindung ein. Schule D Grundsätzlich ist deutlich, dass alle die Kinder die türkische Satzstellung beherrschen. Eine eingehendere syntaktische Analyse von Kind 3 ist aufgrund der Schwierigkeiten im Schriftbild nicht möglich. Bei den übrigen Kindern überwiegen Sätze mit drei und mehr Wörtern – Kind 6 hat nur komplexere Sätze; bei Kind 2 überwiegen sie bei weitem; Kind 5 setzt auch einen nichtverbalen Satz ein (kedi üzgün "die Katze ist traurig"). Kind 2, 4 und 5 gebrauchen Konjunktionen zur Verbindung von Sätzen; in dem Text von Kind 6 findet sich darüber hinaus eine Satzeinbettung. 3.2.6. Textebene Schule A Die sehr kurzen Texte von Kind 6, wo Schwierigkeiten auf der syntaktischen Ebene bestehen und Kind 15, der abgebrochen wird (das Kind ist krank), entziehen sich einer adäquaten Analyse auf der Textebene. Abgesehen vom Text von Kind 2, wo die Katze nicht erwähnt wird und der eigentliche "Plot" der Geschichte ausfällt, präsentieren die übrigen Texte die Bildergeschichte in abgeschlossener Form. Die meisten Kinder geben dem Mädchen einen Eigennamen; bei Kind 13 wechselt der Eigenname im Text von Fatma zu Ayşe. Die meisten Kinder benennen das Subjekt des Satzes auch dann, wenn es in den Text eingeführt ist und pronominalisiert werden könnte. Es ist gut möglich, dass dies der Vorlage zu verdanken ist: die Kinder beschreiben die Geschichte mehr oder weniger eng an den einzelnen Bildern orientiert. Daran mag es auch liegen, dass die Protagonisten nicht eingeführt werden, sondern gleich als bestimmt benannt. 13

Christoph Schroeder, Universität Essen

Vier Kinder (7, 8, 10, 13) gehen über die beschreibende Ebene hinaus und liefern Verhaltensoder Stimmungsinterpretationen und – begründungen (z.B. "(das Mädchen) klopft an die Scheibe, damit die Vögel wegfliegen" oder "die Vögel wollen essen" oder "(das Mädchen) ärgert sich"). In den Texten der Kinder 7 und 10 werden darüber hinaus mit Temporaladverbien (usaman "dann", bu arada "da") sequentielle Beziehungen zwischen den Ereignissen der Geschichte aufgebaut. In den Texten, wo ein Tempuswechsel von der Gegenwart zur einfachen Vergangenheit stattfindet (Kind 1, 2, 8, 10, 13), dient dies zur Formulierung eines Resultats ("die Katze hat eine Feder erwischt" oder "die Vögel sind weggeflogen") oder begleitet den Wechsel zur interpretativen Ebene (Kind 13). Der Einsatz der Evidentialis-Form (-miş-Form/"Hearsay") im Text von Kind 1 scheint wie ein Versuch, einen Märchenstil zu entwickeln (türkische Märchen gebrauchen oft diese Form), der dann aber nicht durchgehalten wird. Schule B Außer im Text von Kind 16, wo lediglich das Kind und die Vögel erwähnt werden, sind in allen Texten alle Protagonisten erwähnt und die Kinder bemühen sich, die Bildfolge als Geschichte zu erzählen. Am stärksten orientieren sich dabei neben Kind 16 noch Kind 10 und 20 an den einzelnen Bildern; sie werden hier sogar durchnumeriert. Allerdings brechen die letzten beiden Texte bei dem vierten Bild ab, ohne zu einem Abschluß zu kommen. In den übrigen Texten wird die Geschichte bis zu ihrem "Plot" (die Katze erwischt die Vögel nicht) geführt. Im Gegensatz zu den Texten der Schule A bekommt das Mädchen aus der Bildergeschichte dabei keinen Eigennamen. Auch findet jetzt mehrmals eine Pronominalisierung von Protagonisten statt und in dem sehr elaborierten Text von Kind 18 wird die Katze explizit eingeführt (".. kommt eine Katze"). Fünf Kinder (1, 4, 12, 14, 18) gehen über die beschreibende Ebene hinaus und liefern Verhaltens- oder Stimmungsinterpretationen und –bewertungen. In den Texten der Kinder 1, 14 und 18 wird darüber hinaus mit Temporaladverbien, bei Kind 18 sogar mit einem adverbialen Nebensatz (~ Konverb) ("als das Kind aus dem Fenster schaut...") eine sequentielle Beziehungen zwischen den Ereignissen der Geschichte aufgebaut. In den Texten, wo ein Tempuswechsel von der Gegenwart zur einfachen Vergangenheit stattfindet (Kind 1, 4, 5 und 18), dient dies zur Formulierung der Ausgangssituation (1, 4), eines Resultats (5) oder wird im spannendsten Moment der Geschichte eingesetzt (18). Bei Kind 18 ist darüber hinaus ein Märchen- ähnlicher Abschluß formuliert ("Hier hört die Geschichte auf und das Leben des Mädchens ist voller Freude"). Schule C Der sehr kurze Texte von Kind 4, wo Schwierigkeiten im Schriftbild bestehen, entzieht sich einer adäquaten Analyse auf der Textebene. Auch in drei weiteren Texten (Kind 2, 8, 10) ist aufgrund der Unsicherheiten im Schriftbild nicht ganz klar, ob die Geschichte insgesamt erfasst wurde. Allerdings scheinen alle Protagonisten erwähnt. Kind 1 bricht beim vierten Bild ab. 14

Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

In den übrigen vier Texten (Kind 5, 7, 9, 11) wird die Geschichte bis zu ihrem Plot geführt. Im Gegensatz zu den Texten der Schule A bekommt das Mädchen aus der Bildergeschichte dabei keinen Eigennamen. Pronomen werden nicht eingesetzt; Protagonisten nicht explizit eingeführt. Die Texte gehen über die beschreibende Ebene hinaus und liefern Verhaltensoder Stimmungsinterpretationen. In den Texten der Kinder 7 und 11 wird darüber hinaus mit Temporaladverbien eine sequentielle Beziehungen zwischen den Ereignissen der Geschichte aufgebaut. In den Texten, wo ein Tempuswechsel von der Gegenwart zur einfachen Vergangenheit stattfindet (Kind 1, 7, 10, 11), dient dies zur Formulierung der Ausgangssituation (10), eines Resultats (7) oder wird im spannendsten Moment der Geschichte eingesetzt (1, 11). Schule D Der sehr kurze Text von Kind 3, wo Schwierigkeiten im Schriftbild bestehen, entzieht sich einer adäquaten Analyse auf der Textebene. Die übrigen Texte präsentieren die Bildergeschichte in abgeschlossener Form. Drei Kinder (1, 2, 4) geben dem Mädchen einen Eigennamen. Pronomen werden nicht eingesetzt. Bei Kind 5 wird die Katze explizit eingeführt. Die Texte gehen über die beschreibende Ebene hinaus und liefern Verhaltens- oder Stimmungsinterpretationen und –begründungen. Eine Sequentialisierung der Geschichte durch lexikalische Mittel findet nicht statt, doch alle Kinder numerieren die einzelnen Teile der Geschichte entsprechend den Bildern von 1 bis 4 durch. Möglicherweise wurden sie angehalten, sich eng an die Bilder zu halten. Bei den Texten der Kinder 2 und 6 dient der Tempuswechsel von der Gegenwart zur einfachen Vergangenheit zur Formulierung eines Resultats; bei Kind 1, wo ab dem dritten Bild die einfache Vergangenheit eingesetzt wird, scheint sie ein Stilmittel zum Spannungsaufbau und/oder zur Beschleunigung der Erzählung zu sein und geht mit einem Wechsel zu kürzeren Sätzen einher. Zu einem ähnlichen Stilmittel greift Kind 4: Hier wird der bedrohlichste Moment, als die Katze sich den Vögeln nähert, durch Einwortsätze und Wiederholung verdeutlicht ("sie [das Mädchen] ist wütend, sie ist wütend... – sie [die Vögel] fliegen weg"). 3.3. Zusammenfassung Was die Bereiche des Wortschatzes, der Syntax und der Morphologie angeht, so läßt sich zwischen den einzelnen Klassen und den Kindern insgesamt eine ähnliche Distribution im Sprachstand feststellen, wie bei der Untersuchung der mündlichen Texte zum Beginn der Einschulung: Relativ gesehen liegt der muttersprachliche Sprachstand bei ca. 15% der Kinder hinter dem Mittelfeld zurück. Weitere 15% liegen über dem Mittelfeld. Ein anderes Bild ergibt sich in den Bereichen Schriftbild, Laut-Schrift-Beziehung und Textebene: Hier finden sich starke Unterschiede zwischen den einzelnen Klassen: Eine relativ große Homogenität innerhalb der Klassen der Schulen A und D kontrastiert mit einer stärkeren Heterogenität der Leistungen in diesen Bereichen in den Klassen der Schulen B und C. In diesen beiden Klassen ist hier das Mittelfeld kleiner als in den Klassen A und D; eine größere Gruppe liegt hinter dem Mittelfeld zurück, während es gleichzeitig einige Kinder gibt, die sehr elaborierte Texte mit normsprachlichen Mustern produzieren.

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Christoph Schroeder, Universität Essen

4. Diskussion der Ergebnisse und Weiterarbeit 4.1. Allgemeine Einordnung der Ergebnisse Für den muttersprachlichen Sprachstand der untersuchten Kinder gilt zumindest in den Bereichen Wortschatz, Morphologie und Syntax das Gleiche, was im Bericht zum Sprachstand der Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung formuliert wurde (vgl. Benholz-Lipkowski-Schroeder 2000, S. 24): Der weitaus größere Teil der Kinder hat einen seinem Entwicklungsstand wahrscheinlich angemessenen Sprachstand. Dies ist bewusst vorsichtig formuliert, da die sprachwissenschaftliche Forschung zur Sprachentwicklung türkischer Kinder in Deutschland noch nicht über gesicherte Erkenntnisse bezüglich der Sprachentwicklung in der Erstsprache verfügt. Eine einseitige Orientierung an der Sprachentwicklung türkischer Kinder in der Türkei wird den Kindern nicht gerecht. Etwas anders gestalten sich die Ergebnisse in den Bereichen Schriftbild, Laut-Schrift-Beziehung und Textebene. In den Ergebnissen und ihren Zusammenfassungen (3.2. und 3.3.) wurde deutlich, dass in diesen Bereichen innerhalb der Klassen der Schulen B und C eine größere Heterogenität herrscht als in den Klassen der Schulen A und D. Auf der einen Seite finden sich hier mehr Kinder, die in ihrer Rechtschreibentwicklung noch im "halbphonetischen Stadium" (vgl. Spitta 1988 6 / Scheerer-Neumann 1987) 7 zu stehen scheinen, auf der anderen Seite Kinder, die über die (altersgemäßen) Phasen des lautentsprechenden Schreibens hinaus entwickelte Rechtschreibmuster zeigen und sortenspezifische textuelle Muster entwickeln. Die Bereiche Schriftbild, Laut-Schrift-Beziehung und Textebene hängen eng mit dem Erwerb einer schriftsprachlichen Norm in der Schule zusammen. Insofern besteht ein enger Zusammenhang mit dem Sprachstand der Kinder in diesem Bereich und den entsprechenden schulischen Maßnahmen. Die relative Homogenität in den Texten der Kinder der Schulen A und D kann so als ein Erfolg der schulischen Maßnahme gewertet werden. Bei den Kindern der Schulen B und C drängt sich dagegen eher der Eindruck auf, dass einige Kinder in diesen Klassen in ihrem Versuch, einen Text in ihrer Muttersprache Türkisch zu verschriften, etwas allein gelassen wurden, andere hingegen, die möglicherweise auch in ihrer familiären Umgebung eine stärkere Förderung erfahren, die gestellte Aufgabe sehr selbständig meistern. 4.2. Spezifische Problembereiche Insgesamt muss bei der Interpretation der Ergebnisse unterschieden werden zwischen - allgemeinen Problemen des Schrifterwerbs, der unterschiedliche Wege gehen und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen kann, je nach den spezifischen Fähigkeiten der Kinder, der angewandten Methode und anderem, und - spezifischen Problemen des koordinierten zweisprachigen Schrifterwerbs TürkischDeutsch in einer mehrheitlich deutschsprachigen Umgebung. Während Probleme im Schriftbild in erster Linie zu den allgemeinen Problemen des Schrifterwerbs gehören, steht im Rahmen dieser Untersuchung der zweite Bereich im 6

Spitta, Gudrun. 1988. Kinder schreiben eigene Texte. Frankfurt a.M.: Scriptor. Scheerer-Neumann, Gerhard. 1987. Kognitive Prozesse beim Rechtschreiben. In: Eberle, G., Reiss, G. (Hrsg.). Probleme beim Schriftspracherwerb. Heidelberg: Schindele, 193-219.

7

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Bericht Sprachstandserhebung (schriftliche Texte Türkisch)

Vordergrund. Im folgenden sollen einige Bereiche angesprochen werden, die hier auffallen, und die möglicherweise stärkerer didaktischer Bearbeitung bedürfen: -

Im weiteren Verlauf der Alphabetisierung wird selbstverständlich weiter auf die spezifisch türkischen Grapheme zu achten sein. Die Grapheme ğ und ı scheinen hier besondere Schwierigkeiten zu bereiten, aus den in 2.2.1. und 2.2.2. angesprochenen Gründen.

-

In bezug auf deutsch-türkische Interferenzen in der Laut-Schrift-Beziehung fällt besonders der Einsatz des deutschen Graphems w für [v] anstelle des türkischen v auf.

-

Es ist klar, dass im weiteren Verlauf der Alphabetisierung der Übergang von den lautentsprechenden zu den normsprachlichen Schreibmustern vollzogen wird. Es sei jedoch an dieser Stelle noch einmal auf die z.T. recht starken umgangssprachlichen und dialektalen Muster in der Sprache der Kinder hingewiesen. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass türkische Migrantenkinder in Deutschland mit weniger Kontakt zum muttersprachlichen Standard aufwachsen als Kinder in der Türkei bzw. deutsche Muttersprachler in Deutschland (siehe auch Benholz-Lipkowski-Schroeder 2000, S. 5 und 22-23). Entsprechend erfordert die Hinführung zum Standard in der türkischen Alphabetisierung in Deutschland besondere didaktische Aufmerksamkeit.

-

Im Bereich der Morphologie fällt besonders auf, dass öfters Kasusendungen nicht verschriftet wurden. Einerseits kann hier ein morphologisches und somit ein Sprachproblem vorliegen. Andererseits kann es sich um ein Problem der Verschriftung von Sprache in dem Sinne handeln, dass die Kinder lediglich die ihnen semantisch am markiertesten erscheinenden Teile der entsprechenden Wörter verschrifteten. Welche Art von Problem hier vorlag, konnte nicht ermittelt werden. Es empfiehlt sich aber, diesen Bereich stärker zu beachten.

-

Auf der Textebene fällt auf, dass die Kinder sehr selten Pronominalisierung als Mittel zur Kohärenzherstellung einsetzen. Möglicherweise liegt dies mit der Vorlage zusammen, die eine volle lexikalische Benennung der Protagonisten mit jedem neuen Bild erlaubt. Es empfiehlt sich aber doch, diesen Bereich stärker zu beachten.

4.3. Noch einmal zur Methode Bei einigen Texten wurde im Verlauf der Untersuchung deutlich, dass die entwickelten Raster teilweise nicht griffen, da das Stadium der Rechtsschreibentwicklung der Kinder lediglich eine unmittelbare Schriftbildanalyse erlaubte. Die den Kindern gestellte Aufgabe bezog sich jedoch auf die Erstellung eines Textes – eine Aufgabe, mit der eben diese Kinder überfordert waren. Vor einer erneuten Erhebung von Schreibkenntnissen der Kindern sollte eine Kombination mit Diagnosemethoden überlegt werden, bei denen sicher davon ausgegangen werden kann, dass sie keines der Kindern überfordern. Beispielsweise bieten sich Einsatz des "Leeren Blatts" sowie Schrifterkennungsuntersuchungen an. 8 8

Beide Methoden wurden bereits für Sprachstandsanalysen zweisprachiger Schulanfänger adaptiert, vgl.: Institut für Interkulturelle Bildung der Universität Koblenz-Landau. Hamburger Erhebung zum Sprachstand und zur

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Christoph Schroeder, Universität Essen

4.4. Weiterarbeit Im Rahmen dieses Berichts konnte der Zusammenhang zwischen den erst- und den zweitsprachlichen Produktionen der Kinder nicht thematisiert werden. Dies ist jedoch dringend erforderlich, da ohne diesen Zusammenhang nichts über den Sinn und Zweck der zweisprachigen Alphabetisierung in bezug auf den Zweitspracherwerb Deutsch ausgesagt werden kann. Es bietet sich jedoch an, die hier vorgelegte Untersuchung der Schriftproben als Grundlage für eine Lehrerfortbildung zu nutzen. Sie kann sich speziell an türkische Muttersprachenlehrer und –lehrerinnen richten, die in türkisch-deutsch zweisprachigen Alphabetisierungsprojekten engagiert sind. Darüber hinaus kann der vorliegende Bericht als Grundlage für die Entwicklung einer von den Lehrern und Lehrerinnen selbständig einsetzbaren, weniger aufwendigen Methode zur Schriftanalyse türkischer Texte zweisprachig geförderter Grundschulkinder dienen.

Sprachentwicklung türkisch-deutscher Schulanfänger des Jahres 1999/2000. Bericht über die Erhebung von Schreibkenntnissen im 1. Schuljahr. März 2000 (unveröffentlicht).

18

Christoph Schroeder, UGH Essen

Anhang Teil I: Analyseraster Schriftproben Türkisch Fassung 1, November 2000

1. Schriftbild 2. Laut-Schrift-Beziehung 3. Wortschatz 4. Morphologie 5. Syntax 6. Textebene 7. Sonstiges / Bemerkungen

Schule: ...... Klasse: ......

Schüler Nr.: .......

Anzahl der Grapheme:

.......

Anzahl der Wörter:

.......

Anzahl der Sätze:

.......

Analyseraster Schriftproben Türkisch

1. Schriftbild / Graphemebene Typ völlig unmotivierte/nicht interpretierbare Zeichen Raum-Lage verkehrte Grapheme

Beispiel b statt d

Anzahl: *

Verwechslung von graphisch ähnlichen Graphemen

a für o, v für y, n für r

*

Ersatz eines Graphems durch ein anderes

zeziz statt sessiz

*

vertauschte Reihenfolge von Graphemen

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*)

*

fehlendes Graphem wo das Fehlen nicht lautlich motiviert ist zusätzliche Grapheme, wo dies nicht lautlich motiviert ist Doppelschreibung von Graphemen, wo dies durch die deutsche Verschriftlichung nicht motiviert sein kann besondere Probleme bereitet die Schreibung folgender Grapheme:

üsliyr statt üzülüyor Anzahl: Binrks statt birkis/bir køz Anzahl: Anzahl:

Unsicherheit in der Schreibung, die später korrigiert wird

für kedi erst: kid, später richtig

*

türkische Grapheme sind vorhanden nicht vorhandene türkische Grapheme

*

ja – nein *

Übereinsatz eines türkischen Graphems

durchgehend þ für þ und * ç

folgende Grapheme werden anstelle spezifischer türkischer Grapheme (ð, ø, þ, ç) eingesetzt:

sch für þ, s für þ, i für ø

*

lautlich unmotivierte Zusammenschreibung

uçtudiye

Anzahl:

1

lautlich unmotivierte Getrenntschreibung

ver yor statt ver(i)yor

Großschreibung ist richtig eingesetzt Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung im Wort kusLar Groß- Kleinschreibung nach deutschem Rechtsschreibmuster Interpunktion ist vorhanden Interpunktion ist sinnvoll eingesetzt

Komma bei Einbettungen

Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: ja– nein ja– nein

2

Analyseraster Schriftproben Türkisch

2. Laut-Schrift-Beziehung / Graphem-Phonem-Beziehung Typ

Beispiel

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*)

lautgemäße Verschriftung unter Einsatz deutscher Phonem-Graphem-Beziehung

dt. w für tk. v, dt. j für tk. y, Langvokal ohne ð

*

lautgemäße Verschriftung gemäß türkischer dialektaler/umgangssprachlicher Lautung

køs (Entstimmung von [z] im Auslaut), uþdu statt uçtu), -ior statt -iyor, gøz statt køz etc.

*

standardgemäße Verschriftung ist vorhanden wo die Aussprache in der Umgangssprache abweicht

bir køz statt bi køz

*

"Fehler" aufgrund türkischer allophoner Variation

Probleme mit auslautendem /r/

*

lautgemäße Zusammenschreibung wo sie vom Standard abweicht (Formeln, Klitika)

bitane, ozaman

*

- abgeschwächte (Schwa-) Vokale sind nicht repräsentiert

kz statt køs

Anzahl:

3

3. Wortschatz /Lexikon Typ

Beispiel

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*) *

Verben

Konjunktionen

ve sonra B14, da C1b-7, ama F1-1,

*

andere Funktionswörter

z.B. Postpositionen, Pronomen

*

Adverbien und Adjektive

güzelcene D1a-1, sevinçle bakiyor D1a-4

*

Substantive (ohne Wiederholung) deutsche Wörter

Anzahl: Anzahl:

4

Analyseraster Schriftproben Türkisch

4. Morphologie Typ komplexe Verbalmorphologie

Beispiel

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*) Anzahl Passiv: Anzahl Reflexiv: Anzahl Kausativ: Anzahl Reziprok:

Anzahl -yor-Präsens: Anzahl einfache Vergangenheit: Anzahl Futur: Anzahl Aorist: Anzahl miþ-Form Anzahl zusammengesetztes Tempus: Anzahl Befehlsform: Anzahl Konjunktiv: Anzahl Negation: Anzahl ebil/-abil: Anzahl Optativ: Wortbildungen (Derivationen)

Adverbbildung gizli gizli C1b-13

Genitivverbindung kuþun tüsünü F1-10 tüsünü F1-10 statt tüyünü morphologische Auffälligkeiten, Fehler, unangemessene Morphologie

*

Anzahl: *

5

5. Syntax Typ unvollständige Sätze var/yok-Sätze andere Subjekt-Prädikatsätze nichtverbale Sätze Sätze mit Temporal- oder Lokalangabe Sätze mit weiterem Satzglied Satzverbindungen mit Konjunktion Satzeinbettungen (diye) Partizipien Konverben/ Gerundien Nominalisierungen

Sätze mit postverbaler Position "unangemessene" Wortstellungen

Beispiel

Kedi üzgün bu arada ... kedide kuþlarø yiyemedi kuþlara bakøyor kuþlar uçdudiye D1a-6 køs çamdan bakarken B18 Ayþe kuþlarøn kaçmasø için F1-7 kþlr yemek istyor B12 onlarø yalamadø için B14 køs kuþ lara Barøyor camdan F1-10

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*) Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl: Anzahl:

Anzahl: *

6

Analyseraster Schriftproben Türkisch

6. Textebene Typ

Beispiel

Anzahl/ja – nein/Auflistung (*)

Verhaltensbewertungen

kötü kedi gliyor B12

Anzahl:

textsortenbezogene Kommentare

hikaye burda sona erøyor B18

Anzahl:

Sachverhaltserklärungen Tempuswechsel (als Perspektivenwechsel) Verwendung von Eigennamen nicht notwendiger Einsatz von Pronomen

cünkü kuþ lar ucdu kedi onu yemedi F1-8 B 18, C1b-10, D1a-2, ... Funda (als Name für das Mädchen) D1a-1

Anzahl: Anzahl:

unangemessener Übereinsatz des SubjektSubstantivs

Ks knþlara yen weror. Ks knþlara Bakror. Ks... A F1-2

Sprachmischungen

ja – nein *

*

*

7

7. Sonstiges / Bemerkungen ____________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________________________________

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Analyseraster Schriftproben Türkisch

Anhang Teil II: Bildergeschichte

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