Bergbau- und Steine- und Erden-Tag 2017
Natur auf Zeit - Zum Umgang mit dem Wanderbiotop in Kiesgrube und Steinbruch
MinR Dr. Stefan Lütkes Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Referat N II 1 Bonn
Kiesgrube und Steinbruch als Lebensraum Räumlicher Wechsel von Abbaubereichen lässt nach und nach landschaftlich vielfältige Strukturen entstehen Bsp.: Rohboden, Steinhaufen, Tümpel, Steilufer
Prozess entspricht natürlichen Wechselvorgängen in der freien Landschaft Bsp.: Dynamische Landschaftsveränderung durch Hochwasserereignisse
„Wanderhabitate“
Kiesgrube und Steinbruch als Lebensraum Abbauphase Spärlich bewachsene Tonböden und flache tonige Kleinstgewässer entstehen Habitat z.B. von Gelbbauchunke und Kreuzkröte
Abbautätigkeit ruht oder ist abgeschlossen Es entwickeln sich etwas stärker bewachsene Gewässer Bevorzugter Lebensraum u.a. für den Laubfrosch
Grubenränder bieten strukturierte Felswände Gute Brutmöglichkeiten für bestimmte Vogelarten Bsp. Uhu
Artenschutzrechtliche Problematik
Gelbbauchunke, Kreuzkröte und Laubfrosch sind streng zu schützende Tierarten nach der FFH-RL Der Uhu ist eine europäische Vogelart im Sinne der Vogelschutz-RL Sie alle unterfallen den artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG Tötungsverbot (Nr. 1 ) Störungsverbot (Nr. 2) Verbot der Zerstörung von Lebensstätten (Nr. 3)
Artenschutzrechtliche Problematik
Tötungsverbot ist individuenbezogen und greift auch, wenn Tötung unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Handelns ist (vgl. bereits BVerwG, Urt. v. 09.07.2008, 9 A 14.07, juris, Rn. 91) Kann etwa bei Baufeldfreimachung relevant werden: „Verbleibt […] ein nicht ganz geringer Teil der Zauneidechsen auf dem vorgesehenen Baufeld, so lässt das den Schluss zu, dass zumindest einzelne Tiere im Zuge der […] Baufeldfreimachung durch den Einsatz schweren Geräts in Erdspalten usw. erdrückt werden.“ (BVerwG, Urt. v. 14.07.2011, 9 A 12.10, juris, Rn. 127 [Freiberg-Urteil])
Artenschutzrechtliche Problematik
Betreiberperspektive: Sorge, Artenschutzrecht könnte Abbaubetrieb behindern Folge: Bestrebungen, „Wanderbiotope“ gar nicht erst entstehen zu lassen Wirtschaftliche und ökologische Folgekosten Wirtschaftliche Kosten für die „Verhinderungspflege“ Ökologisches Potential der Flächen bleibt ungenutzt
Lösung über „Natur auf Zeit“? – Anknüpfungspunkte im BNatSchG § 14 Abs. 3: Ausnahmen vom Eingriffsbegriff für Wiederaufnahme land-/forst-/fischereiwirtschaftlicher Bodennutzung nach naturschutzbedingter Unterbrechung in bestimmten Fällen § 30 Abs. 5: Ausnahme vom Biotopschutz für die Wiederaufnahme land-/forst-/fischereiwirtschaftlicher Bodennutzung im Zusammenhang mit Vertragsnaturschutz § 30 Abs. 6: Ausnahme vom Biotopschutz für die Wiederaufnahme zulässiger Abbautätigkeiten in der Bodenschatzgewinnung Aber: Keine Regelung von „Natur auf Zeit“ im Bereich des Artenschutzes
„Tijdelijke natuur“ – Der niederländische Lösungsansatz Flächenbezogene Voraussetzungen Endgültige (wirtschaftliche) Nutzung des betreffenden Gebiets ist bereits planerisch festgelegt Nutzung ist noch nicht realisiert worden Areal bietet Potential für spontane Naturentwicklung
Flächeneigner… erhalten im Voraus FFH-Ausnahmegenehmigung für spätere Beseitigung entstehender Biotope zur Realisierung vorgesehener wirtschaftlicher Nutzung müssen bei Beseitigung Kompensationspflichten erfüllen
Folge: Natur hat ein bis zehn Jahre Zeit, sich zu entwickeln
„Tijdelijke natuur“ – Der niederländische Lösungsansatz
Grundlegende Konzeptentwicklung (ab 2004) Pilotprojekt Amsterdamer Hafen (2009) Amsterdamer Gericht bestätigt Rechtmäßigkeit (2011) Vorabausnahme gerechtfertigt Ausnahmegrund Naturschutz
Beleidslijn Tijdelijke Natuur (2015)
„Tijdelijke natuur“ – Der niederländische Lösungsansatz (P) Wie würde es der EuGH sehen? Amsterdamer Urteil von 2011 allein zu nationalem Recht Dort Ausnahmegenehmigung noch auf spezifische Arten beschränkt, mittlerweile Trend zur „Vollausnahme“ Lässt sich wirklich schon Jahre im Voraus mit hinreichender Sicherheit sagen, ob „die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“ (Art. 16 Abs. 1 FFH-RL / § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG)?
Natur auf Zeit auf Landesebene – Der Bayerische Lösungsansatz Handlungsempfehlung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz für „Natur auf Zeit“ in Abbaustätten (2016)
Mustervertrag Öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Abbauunternehmen, Naturschutzbehörde und Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. Soll erforderliche Rechtssicherheit zur Fortsetzung des Abbaus herzustellen und vorab Umgang mit artenschutzrechtlichen Verboten im Zusammenhang mit Projektmaßnahmen regeln
Natur auf Zeit auf Landesebene – Der Bayerische Lösungsansatz Abbauunternehmen verpflichtet sich, Fortpflanzungs- und Ruhestätten von geschützten Arten und deren Individuen gegen Zerstörung bzw. Tötung zu sichern falls erforderlich, CEF-Maßnahmen durchzuführen
Sollte gleichwohl eine Fortpflanzungs- und Ruhestätte beim Fortgang des Abbaubetriebs aus wichtigen betrieblichen Gründen zerstört werden müssen, sichert Behörde Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung zu § 38 VwVfG § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 und 5 BNatSchG
Natur auf Zeit auf Bundesebene? – F+EVorhaben des BfN
„Natur auf Zeit: Rechtliche und fachliche Rahmenbedingungen“ (FKZ 3516 81 0800) Laufzeit: August 2016 – Juni 2017 Ziel: Ermittlung der rechtlichen und naturschutzfachlichen Rahmenbedingungen des Konzepts „Natur auf Zeit“
Natur auf Zeit auf Bundesebene? – F+EVorhaben des BfN Handlungsleitfaden: „Natur auf Zeit“ – Eine neue Option für den integrierten Naturschutz Praxisbezogene Empfehlungen für die Ausgestaltung von „Natur auf Zeit“ zusammengetragen und anhand von Beispielen veranschaulicht Konkrete Empfehlungen zur Auslegung der vorhandenen Gesetze und Instrumente sowie zur Anlage, Entfernung und zum naturschutzfachlichen Management von „Natur auf Zeit“-Flächen Gesonderter Abschnitt zu „Flächen des Rohstoffabbaus“
Natur auf Zeit auf Bundesebene? – F+EVorhaben des BfN Im Handlungsleitfaden zusammengetragene Lösungsvorschläge Anwendbarkeit der Signifikanzrechtsprechung des BVerwG auf „Natur auf Zeit“-Flächen Nutzung von Auslegungsspielraum im Rahmen von § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG Rahmenvereinbarung zwischen dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Bundesverband Keramischer Rohstoffe und Industrieminerale e.V. vom 04.07.2012 als Umsetzungsbeispiel (Tatbestandslösung) Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG
Perspektiven – Neue Rechtsprechung und BNatSchG-Novelle 2017 2014 bezog das BVerwG die Signifikanzrechtsprechung ausdrücklich auch auf die Baufeldfreimachung und relativierte das Freiberg-Urteil in Fällen, in denen vor der Räumung effektive Vermeidungsmaßnahmen getroffen werden „Danach ist das Tötungsverbot hier nicht erfüllt. Wenn allenfalls noch ein ganz geringer Teil der Zauneidechsen im Baufeld verbleibt, ist mit der Baufeldfreimachung kein höheres Tötungsrisiko verbunden, als es für einzelne Tiere dieser Art insbesondere mit Blick auf natürliche Feinde auch sonst besteht.“ (BVerwG, Urt. v. 08.01.2014, 9 A 4.13, juris, Rn. 99)
Perspektiven – Neue Rechtsprechung und BNatSchG-Novelle 2017 Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes – vom Bundestag beschlossen am 23.06.2017 – bringt (u.a.) Neuerungen beim Tötungs- und Störungsverbot § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG n.F.: „[…] liegt ein Verstoß gegen […] das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, […]“
Perspektiven – Neue Rechtsprechung und BNatSchG-Novelle 2017 § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BNatSchG n.F.: „[…] liegt ein Verstoß gegen […] das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, […]“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!