Beitrag: Wenn der Paketbote nicht klingelt Ausbeutung bei DHL

Manuskript Beitrag: Wenn der Paketbote nicht klingelt – Ausbeutung bei DHL Sendung vom 13. Juni 2017 von Arne Lorenz Anmoderation: Eine ganz alltägl...
4 downloads 2 Views 164KB Size
Manuskript

Beitrag: Wenn der Paketbote nicht klingelt – Ausbeutung bei DHL Sendung vom 13. Juni 2017 von Arne Lorenz

Anmoderation: Eine ganz alltägliche Situation: Sie erwarten sehnlichst ein Paket. Bringen soll es DHL, also die Deutsche Post. Sie wissen genau, wann das gelbe Auto kommt. Denn Sie konnten die Sendung im Internet verfolgen. Sie bleiben extra zuhause und warten und warten. Vergebens! Immer mehr Kunden beschweren sich, dass der Postmann nicht mehr klingelt und das Paket irgendwo anders hinterlegt. Schuld an solchem Ärger sind nicht allein die Zusteller, sondern die unhaltbaren Zustände, unter denen sie arbeiten müssen. Arne Lorenz über Ausbeutung bei DHL.

Text: Pakete, Pakete – nichts als Pakete. Seitdem die Deutschen so gut wie alles übers Internet bestellen können, kommen die Zusteller mit der Arbeit kaum noch hinterher. Immer mehr schleppen in immer kürzerer Zeit. Kein Wunder, dass es da kaum zu schaffen ist, was die Post verspricht: Jeden Kunden in jedem Stockwerk pünktlich zu bedienen. Immer öfter kommt es vor, dass Pakete einfach liegen bleiben oder irgendwo anders abgeladen werden. O-Ton Frontal 21: Bekommt ihr die Pakete immer nach Hause, direkt an die Haustür geliefert? O-Ton Anwohnerin: Nein, eigentlich nicht. Auch, wenn man zu Hause ist, wird meistens gar nicht erst geklingelt, sondern die werden meistens direkt hier im „Späti“ abgegeben - oder bei Nachbarn. Wenn man Glück hat, findet man den Zettel irgendwo. O-Ton Anwohnerin:

Wahrscheinlich sind die überlastet und deswegen müssen sie wieder mitnehmen und dann kommt vom Postamt die Nachricht, dass ich nicht anzutreffen war, und das deswegen … Also, das ist halt ein bisschen merkwürdig. Bei den Verbraucherzentralen häufen sich die Beschwerden über die Post. O-Ton Ivona Husemann, Verbraucherzentrale NordrheinWestfalen: Die meisten Beschwerden beschäftigen sich tatsächlich mit der Zustellung vor Ort. Also, mit den letzten Metern, wenn das Päckchen schon im Wagen ist und zum Verbraucher geliefert werden soll. Das macht bei uns rund 60 Prozent aller Beschwerden aus. Also, entweder ist es so, dass der Verbraucher zu Hause ist und darauf wartet und es wird nicht geklingelt, oder es findet überhaupt kein Zustellversuch statt und die Ware wird direkt in einen Paketshop oder in eine Filiale geliefert, oder es wird beim Nachbarn abgegeben. O-Ton Ausschnitt aus Trickfilm, Quelle: Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Auf „Paketaerger.de“, dem Beschwerdeportal der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, können Postkunden ihren Ärger loswerden. Es werden immer mehr Einträge. Woran das wohl liegt? Die Kundenbeschwerden häufen sich, seit die Deutsche Post AG vor zwei Jahren aus ihrer Tochter DHL 49 Einzelgesellschaften ausgelagert hat, verteilt auf die gesamte Republik. DHL-Delivery GmbH, so der offizielle Name. Der Vorteil für die Post: neue Arbeitsverträge für deren Mitarbeiter – ohne Haustarifbindung. Der Nachteil für die Zusteller: Für sie gelten die schlechteren Tarife der Logistikbranche der Länder. Sie verdienen plötzlich sehr viel weniger als zuvor. Wir treffen einen ehemaligen Mitarbeiter, der wie viele andere von der Deutschen Post AG zur DHL-Delivery GmbH wechseln musste. Inzwischen arbeitet er dort nicht mehr. Seinen Namen möchte er trotzdem nicht nennen. O-Ton ehemaliger DHL-Mitarbeiter: Wir haben immer wieder Leute angelernt, es war nicht nachvollziehbar teilweise, wieso die entlassen werden oder wieso die bleiben. Es war einfach Chaos. Es gab viele, die einfach aufgehört haben. Da kam dann mittags das Auto – da waren noch 100 Pakete drin, und dann haben sie es abgestellt und sind gegangen. Ein postinternes, vertrauliches Papier bestätigt das. Offenbar sind

die Arbeitsbedingungen bei DHL-Delivery so schlecht, dass viele Mitarbeiter schon nach kurzer Zeit wieder abspringen. Die Fluktuation bei DHL-Delivery ist sechsmal so hoch wie im Mutterkonzern. Henning B. ist ganz neu bei DHL-Delivery. Er zeigt uns seinen Arbeitsalltag. Der beginnt morgens um sieben Uhr im Paketzentrum. Mit seinem Handy dokumentiert er, wie es dort schon mal zugehen kann: großes Durcheinander wegen der schieren Menge an Paketen, verzweifelte Paketboten. Abfahrt vom Depot, das Fahrzeug vollbeladen. Dann geht es los, so schnell wie möglich, Straße für Straße, treppauf, treppab. Kaum Zeit für eine Mittagspause. Schon nach wenigen Stunden werden die Knochen müde. Viele ältere Kollegen schaffen es längst nicht mehr, das geforderte Tempo zu halten. O-Ton Henning B., DHL-Fahrer: Die Kollegen fragen mich alle: Bist du verrückt, warum machst du hier diesen Job? Einige sind schon richtig fertig, viele haben Operationen hinter sich – an Schultern, Rücken und Gelenken. Kaum jemand ist über 40. Ständig sind Leute krank. Pakete werden nicht nur zugestellt, sondern auf Kundenwunsch auch abgeholt. Das kostet zusätzlich Zeit. O-Ton Henning B., DHL-Fahrer: Mir wurde gleich am Anfang beigebracht: Sei nicht zu schnell, sonst machst du dich kaputt und bekommst auch noch zusätzliche Straßen aufgebrummt. Doch Henning B. und seine Kollegen wissen sich zu helfen. O-Ton Henning B., DHL-Fahrer: Wenn es zu viele Pakete gibt, haben wir Tricks, die natürlich streng verboten sind. Ich zeig' euch mal, wie das geht: Man scannt das Paket, als ob man ausliefert. Und dann gehe ich einfach hier auf „benachrichtigt“ und dann auf „okay“. Dann druckt der einen Zettel aus, dass benachrichtigt wurde und der wird auf das Paket geklebt. Das war’s. Das Paket geht dann zurück. Rachid F. kann es sich nicht leisten, dass Pakete zurückgehen. An manchen Tagen können es bis zu 300 Sendungen sein. Er arbeitet nicht bei DHL, er arbeitet für DHL – für 1.500 Euro im Monat. Sein Chef ist privater Subunternehmer der Post. Und der wird pro ausgeliefertem Paket bezahlt. Rückläufer bringen kein Geld. O-Ton Rachid F., DHL-Fahrer: Deshalb spreche ich die Leute auch auf der Straße an, wenn

ich etwas für sie dabei habe. Bei diesen Mengen ist es oft gar nicht möglich, alles in den vierten oder fünften Stock zu schleppen. Also, bringe ich viele Pakete dann einfach in einen Kiosk und benachrichtige die Kunden, dass sie dort liegen. Aus der Not der Zusteller hat sich in Berlin eine echte Schattenwirtschaft herausgebildet. Kaum jemand rechnet hier noch damit, dass ihm die Pakete bis zur Haustür gebracht werden, so wie es die Post und DHL eigentlich versprechen. Stattdessen kommen die Kunden nun hierher: Besitzer Fatih H. hat weder einen Vertrag noch sonstige Vereinbarungen mit der Post. O-Ton Fatih H., Kiosk-Besitzer: Damit wir alles schneller für unsere Kunden finden, haben wir die Hausnummer auf die Pakete geschrieben. Damit die Leute nicht lange warten müssen. Dann haben wir zum Beispiel eine andere Straße Marienburger, oben Chodowiecki Straße, Raabestraße … Wir haben fast hier den ganzen Kiez ganze Kiez um die Ecke. O-Ton Frontal 21: Aber Sie sind kein offizieller DHL-Shop? O-Ton Fatih H., Kiosk-Besitzer: Nein, wir sind nur Hermes Shop. Fatih H. bringt das viel Kundschaft in den Laden. Er hat sogar sein eigenes Verteilsystem geschaffen, ganz außerhalb des regulären Postbetriebs. Die Deutsche Post AG kann mit diesen Zuständen gut leben: O-Ton Frank Appel, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Post: Liebe Aktionärinnen, liebe Aktionäre, 2016 haben wir mit einem Rekordergebnis abgeschlossen und wir schlagen Ihnen heute auch eine Rekord-Dividende vor. Mit dieser sehr guten Nachricht möchte ich Sie ganz herzlich hier in Bochum begrüßen und auch im Internet, wenn Sie unsere Hauptversammlung dort verfolgen. 3,5 Milliarden Euro Gewinn im vergangenen Jahr, trotz Chaos beim Service, trotz überforderter Mitarbeiter. Kein Wunder, dass die Gewerkschaft demonstriert. O-Ton Christina Dahlhaus, stellv. Bundesvorsitzende, Postgewerkschaft DPVKOM: Diesen Gewinn haben die Beschäftigten erwirtschaftet, die Zusteller, die tagtäglich draußen sind bei Wind und Wetter, die Kolleginnen und Kollegen im Brief- und Paketzentrum, die malochen, bis der Rücken kracht. Und da wird aber jetzt gespart und das ist für uns der völlig falsche Weg. Es fehlt

an Personal, es fehlt zum Teil an Arbeitsmaterial, es fehlt zum Teil an Arbeitsmitteln. Hier wird also an der falschen Stelle gespart. Nachfrage bei der Deutschen Post. Schriftlich teilt das Unternehmen mit, Zitat: „Die Arbeitsverhältnisse unserer Mitarbeiter in den Delivery GmbHs sind in den regionalen Tarifverträgen geregelt, die mit der Gewerkschaft Verdi ausgehandelt werden.“ Man halte sich an die vertraglich vereinbarten Regelungen wie Arbeitszeit und Vergütung. Weiter heißt es, Zitat: „Den Verpflichtungen, die sich aus diesen Tarifverträgen für uns als Arbeitgeber ergeben, kommen wir selbstverständlich nach.“ Der Bund ist größter Postaktionär, hält gut 20 Prozent der Aktien und kassierte allein für 2016 rund 260 Millionen Euro an Dividende. Er sollte sich also interessieren für Kundenbeschwerden und Arbeitsbedingungen. Klaus Barthel war lange im Ausschuss für Post und Telekommunikation des Bundestages. Hätte man nicht energisch gegen die Billigtöchter einschreiten müssen? O-Ton Klaus Barthel, SPD, MdB: Über die Anteilseignerschaft gibt es keine direkten Eingriffsmöglichkeiten eines Aktionärs, sondern das Aktienrecht schiebt hier einen Riegel vor. Ich finde vieles von dem, was ich da höre und auch selbst beobachte, als Kunde der Post und wenn ich in die Verteilzentren oder in die Zustellbasen komme, finde ich empörend, wie dort gearbeitet werden muss und es gibt dringenden politischen Handlungsbedarf. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen. Der Staat - der größte Eigentümer der Post - hat sich bisher kaum daran gestört, genauso wenig wie an den vielen verärgerten Kunden.

Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.