Be sure to wear some flowers

g Radiokunst I Feature Be sure to wear some flowers … Die Hippies und der Summer of Love 1967 Feature von Udo Zindel Mit: Gerd Andresen, Nicole Bogut...
Author: Sarah Huber
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g Radiokunst I Feature

Be sure to wear some flowers … Die Hippies und der Summer of Love 1967 Feature von Udo Zindel Mit: Gerd Andresen, Nicole Boguth, Hubertus Gertsen, Andrea Hörnke-Trieß, Nadine Kettler, Karl-Rudolf Menke, Frank Stöckle und Andreas Serder Technische Realisation: Andrea Mammitzsch und Judith Rübenach Regie: Alexander Schuhmacher Redaktion: Christiane Glas SWR 2007 Sendung: 16.07.2017, 11.05 – 12.00 Uhr

Zur Verfügung gestellt vom NDR. Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers genutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag und Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR.

Zuspiel:

It was theatrical, it was utopian... ...it was practical... …it was drudgery... …it was fantasy... it was great!

Übersetzerin:

Es war theatralisch, utopisch,... ...durchaus praktisch... es war eine Mordschufterei... ...sehr fantasievoll... ...einfach großartig!

Zuspiel:

I think it is really hard to appreciate how radical, how bizarre or how unbelievable all of these things really were.

Übersetzer:

...wie radikal, wie bizarr, wie unglaublich das alles war, damals.

Ansagerin:

Be Sure to Wear Some Flowers in Your Hair...

Zuspiel:

I probably was one of the first people to wear flowers and feathers in my hair and would wear wild clothing.

Ansagerin:

...Die Hippies und der Summer of Love 1967. Ein Feature von Udo Zindel.

Autor:

Dieser alte O-Bus ist eine Zeitmaschine. Sie rüttelt und rumpelt von downtown San Francisco immer geradeaus nach Westen, ins einstige Herz der Hippie-Bewegung, ins Zentrum der Psychedelischen Rebellion. In ein Sodom und Gomorrah, hätten viele damals gesagt, in dem Sex, Drogen und Rock’n Roll regierten.

Zit‘rin Didion:

Es war kein Land in offener Revolution. Es war kein Land unter feindlicher Belagerung. Es waren die Vereinigten Staaten von Amerika im kalten Spätfrühling 1967.

1

Autor:

Ich war zu jung, zu brav, zu weit weg damals, um die kurze Blüte und den jähen Absturz dieser paradiesvogelbunten Jugendrebellion zu begreifen. Jetzt reise ich zurück in diese Zeit, wie in eine späte, zweite Jugend. Und habe die düsteren Worte der kalifornischen Essayistin Joan Didion im Ohr – über ihr Land in jenem „Sommer der Liebe“:

Zit‘rin Didion:

Es war ein Land der Bankrotterklärungen, der alltäglichen Berichte von beiläufigen Morden, verlassenen Häusern und Vandalen, die selbst die Schimpfwörter, die sie hinkrakelten, noch falsch buchstabierten. Jugendliche strichen von einer zerissener Stadt zur nächsten, streiften Vergangenheit und Zukunft ab wie eine Schlange ihre Haut. Kinder, denen man die Spiele, die die Gesellschaft zusammen hielten, nie beigebracht hatte und die sie auch nicht mehr lernen würden.

In San Francisco trat der gesellschaftliche Blutsturz zutage. In San Francisco sammelten sich die vermissten Kinder und nannten sich „Hippies“.

Zuspiel:

Oh, I’m way a hippie, I’m always a hippie, I’ll die a hippie.

Autor:

Bill ist so was von einem Hippie, sagt er, er war immer Hippie, und er wird, eines hoffentlich fernen Tages, einmal als Hippie sterben.

Er steigt mit mir aus dem Bus, in der Nähe der legendären Kreuzung von Haight und Ashbury Street. Vollbart, Sandalen, Haare bis unter die Schulterblätter, ein abgeschabter Gitarrenkoffer und auf dem Rücken seines verwaschenen TShirts leuchtet in roten Lettern: American Hippie. Doch mein Zeitzeuge, stellt sich heraus, ist noch jünger als ich. 2

Zuspiel:

Ah, I was, ah, five, goin’ on six. And I used to run around here barefooted and I used to go after Loveburgers, twentyfive cent Loveburgers. And I’d eat my weight in Loveburgers. Cause everybody give a kid a quarter, you know. So I’d eat three Lovevburgers, got a few quarters, went to my favorite headshop and get me a couple of underground cartoons. And I’d have to reach up to put the comix up on the counter, cause the counter’s real high and the guy would look down and say: “Oh Billy” – you know, it’s like, “Don’t you know you’re not supposed to have these!” And I was like: “You know, that doesn’t help with the other 40 or so, man, of it!”

Autor:

Im Sommer 67 war er fünf, na, fast schon sechs. Rannte hier barfuß herum, staubte Vierteldollarmünzen bei Passanten ab und kaufte sich dafür Loveburgers – so hießen Hamburgers damals, in der Goldenen Zeit des Haight-Ashbury.

Loveburgers bis er nicht mehr papp sagen konnte. Manchmal ging er in seinen Lieblings-Headshop, Underground-Comix kaufen. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die Hefte auf die Ladentheke zu legen, und der Typ im Laden guckte auf ihn herunter und stöhnte: „Ach Billy, weißt Du nicht, dass Du die noch nicht haben darfst?“ Aber er hatte doch schon 40 oder so daheim, man!

Autor:

Bill geht im Golden Gate Park Gitarre spielen. Und ich defiliere zweieinhalb Stunden lang an den Weihestätten des HaightAshbury-Viertels vorbei. Im Kielwasser der Flower Power Walking Tour – und mit wachsender Ungeduld. Alles hier „war einmal“, aber es ist nicht mehr.

Autor:

Unsere Flower Power Führerin, damals immerhin schon 14, erzählt von den Anfängen der Szene hier: von San Franciscos liberaler Atmosphäre und seinem milden Klima, von lächerlich billigen Mieten in den verfallenden, viktorianischen Häusern um die Haight Street. Von den misfits der Beat-Generation aus den 3

Fünfzigerjahren, die aus ihrem alten Szeneviertel North Beach hierher drifteten. Und sie erzählt von damals noch kaum bekannten Bands, die hier in Kommunen zusammen lebten: Jefferson Airplane, die Grateful Dead. Und – drei Straßen weiter – Country Joe McDonald und seine Geliebte Janis Joplin:

Zuspiel:

It was very quiet, very peaceful, very relaxed, initially, in 1966. We would have coffee, get a beer, go to the Park, it wasn‘t crowded. And we would walk down Haight-Ashbury together and see friends, with her dog George. And… it was very unpretentious and not anything to do with being a star or anything like that.

Autor:

1966, vor dem Summer of Love, war es hier sehr ruhig, friedlich, relaxed, erzählt mir Joe ein paar Tage später. Er ging mit Janis in die gemütlichen Cafés, in die Bars auf ein Bier, in den Golden Gate Park, der noch angenehm leer war. Sie führten Janis’ Hund George aus, trafen Freunde. Bescheidene Zeiten, keine Spur von Starallüren.

Autor:

Irgendwann war auch außerhalb des Haight-Ashbury nicht mehr zu übersehen, dass hier eine schrille, vor Phantasie überschäumende Subkultur heranwuchs. Ein harter Kern von vielleicht 1000 jungen, energiegeladenen Leuten, die den Vietnam-Krieg ebenso radikal ablehnten, wie den Materialismus des American Way of Life. (ab hier O.C.) Die Enge von suburbia, die gestaubsaugten Mittelschichtsbungalows, in denen das Leben wie ein Uhrwerk lief. Die vorgefertigten Karrieren und Rentenpläne (bis hier O.C.). Der SPIEGEL im fernen Deutschland beschrieb die utopischen Selbstversuche im Haight damals noch in warmen Tönen:

Zitator:

Ein „Feldzug der Gewaltlosigkeit für den Frieden und die Fröhlichkeit, für das Gute und die Liebe.“

Zuspiel:

There was so little anger – we are so just to seeing anger in daily life, we’re so used to seeing distance in daily life. 4

Autor:

...Lenore Kandel, Dichterin und Hippie-Aktivistin...

Zuspiel:

And people weren’t distant. They were warm toward each other as if they loved each other. We were all in harmony. That was it, that was what did it. Realizing that we don’t have to fight, that we could do it in harmony. I still think we can!

Übersetzerin:

Es gab so wenig Zorn damals. Und im Alltag erleben wir doch so häufig Wut und Zorn und Fremdheitsgefühle. Damals waren sich die Menschen nicht fremd. Sie begegneten sich offenherzig, als hätten sie sich wirklich gern. Wir lebten alle in Harmonie, wir begriffen, dass sich auch ohne Streit auskommen läßt. Und ich glaube heute noch, dass das geht!

Zuspiel:

For a period of time, especially in the Haight-Ashbury, there was a community understanding.

Autor:

...Judy Goldhaft, Tänzerin und Hippie-Aktivistin...

Zuspiel:

Essentially, there was an alternative society. There was a lot of sharing. Property was not so important, at least for the group of people that I was with. We were really involved in a more anarchistic existence. So everyone was fairly equal, both the men and the women. Everyone was very helpful, everyone was delighted to make things happen.

Übersetzerin:

Eine Zeit lang gab es echten Gemeinschaftsgeist im HaightAshbury - so etwas wie eine alternative Gesellschaftsform. Wir teilten fast alles, Privateigentum war nicht so wichtig, jedenfalls nicht für die Gruppe, der ich angehörte. Wir lebten eher anarchistisch. Frauen und Männer waren weitgehend gleichberechtigt. Alle waren sehr hilfsbereit, alle freuten sich etwas beitragen zu können.

Zitator:

Sie kommen aus guten Familien der Mittelschicht, sind meist weiß, meist zwischen 17 und 25 Jahre alt – obwohl es auch 50jährige Hippies gibt – und nennen sich selber „LiebesGeneration“ oder „Blumenkinder“. 5

Autor:

Der SPIEGEL, Heft 36, 1967

Zuspiel:

Irma: Young girls and young boys with long hair, some combed, some not. Some were clean, some were not. You had, you know, the clown-like makeup. You had the flowing pastel colors. It was a very happy feeling.

Übersetzerin 3:

Junge Frauen und Männer mit langen Haaren, manche gekämmt, manche ungekämmt, manche sauber, manche nicht. Bemalte Gesichter, ineinander fließende Pastell-Töne, eine sehr freudige Stimmung...

Autor:

Irma Bolick und ihren Mann Jerry treffe ich in einem Café mit dem hübschen Namen „Squat and Gobble“ – „Hinhocken und Runterschlingen“. Irma wurde im Haight-Ashbury geboren und war später, im Summer of Love, mit Jerry oft zu Besuch hier. Die beiden wurden nie zu Hippies, aber sie freuten sich an der farbenfrohen, ausgelassenen Szene erzählen sie, während wir Caffe Lattes und Cookies runterschlingen:

Zuspiel:

Jerry: There were bare feet and bare breasts and bare everything. And now we don’t think much about that. But then, this was completely bizarre! This was just off on the edge somewhere. But then the music, people playing impromptu concerts. We would go to the Panhandle, just two blocks from here and there would be free concerts. And all kinds of wonderful aromas wafting through the air, you know, lots of dope being smoked. But, again, very harmless, almost like a party in your backyard. Except your backyard was Golden Gate Park.

Übersetzer:

Bloße Füße, nackte Brüste, nackte allesmögliche… Heute scheint das relativ normal. Aber damals war das absolut bizarr, wie aus einer anderen Welt. Und dann die spontanen, kostenlosen Rock-Konzerte, auf dem Panhandle, nur zwei Blocks von hier. Wundervolle Aromen waberten durch die Lüfte, von all dem Marihuana, das da geraucht wurde. Aber es war 6

harmlos, fast wie eine Party im eigenen Garten. Nur dass der eigene Garten damals der Golden Gate Park war.

Zuspiel:

Bands played their hearts out, and people who came to hear it, listened with their hearts. They put their whole selves into it and nothing was held back and it was wonderful music. And it was wonderful dancing and it was great. No straight jacket, no rigidity, I mean people explored!

Übersetzerin:

Die Bands spielten aus vollem Herzen, und ihr Publikum hörte mit dem Herzen. Die legten ihr ganzes Wesen in die Musik und in den Tanz - nichts wurde zurückgehalten. Keine Zwangsjacken, keine Steifheit. Alles wurde riskiert und ausprobiert!

Autor:

„Die Hippies sind Reisende, Entdecker“, schrieb der Soziologe Stewart Hall, „sie sind Abenteurer des Unbewussten, der unterirdischen Keller im Menschlichen, der innerpsychischen Realität, des revolutionären Moments...

Zuspiel:

These young people were willing, they were daring enough to raise very searching questions about the society they lived in.

Autor:

Theodore Roszak, Geschichtsprofessor und Autor eines Bestellers über die Jugendrebellion der Sechzigerjahre.

Zuspiel:

They came to the point of questioning everything. Was there anything that their society, that their parents were doing right? Education, family life, gender relationships, generational relationships, racial relations in the society. No matter where you turned, there seemed to be something that could be improved, or something that was drastically wrong or deeply unjust. And I don’t think any generation ever took on as many issues. And, in a sense, it was almost too much to take on. You couldn’t address all of these issues at once.

Übersetzer :

Diese jungen Leute waren mutig genug, alle möglichen tiefschürfenden Fragen an die Gesellschaft zu stellen, in der sie lebten. 7

Sie trieben es so weit, alles in Frage zu stellen. Erziehung, Familienleben, das Verhältnis der Geschlechter, der Generationen, der verschiedenen Rassen zueinander. Egal wohin man schaute, überall gab es etwas, das verbessert werden konnte, das grundverkehrt oder zutiefst ungerecht war. Ich glaube, keine andere Generation setzte sich je mit so vielem auseinander. Tatsächlich war es fast zu viel, was sie sich vorgenommen hatten.

Zuspiel:

Civilization is falling apart, like the crust is disintegrating. I see people now they just walk down the street who have looks on their faces like they’ve just been in an earthquake: I see horror and fantastic joy. It really pushed stuff. It’s very desperate time. This is not like a time of normalcy. This ain’t Eisenhowers America no more! Minds are up for grabs, civilization is up for grabs. I think everybody knows it. And this is a time of like violent upheaval. The image to me is the sun comes up and the city burns down.

Autor:

Ein Videoclip von 1967: ein Mann Ende 20, lange Haare, Schnurrbart, Wut im Bauch.

Die Zivilisation zerfällt, wie eine Kruste, die zerbröckelt, sagt er einem kanadischen Dokumentarfilmer in die Kamera. Auf den Straßen begegnet er Leuten, die wirken, als kämen sie gerade aus einem Erdbeben: mit blankem Entsetzen in den Gesichtern oder unbändiger Freude. Verwegene, gefährliche Zeiten sind das, Zeiten gewalttätiger Umbrüche. Mit Eisenhowers Amerika hat das nichts mehr zu tun!

Ich hab das Bild im Kopf, sagt er, dass die Sonne aufgeht und die Stadt niederbrennt.

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Autor:

Vier Jahrzehnte später sitzen wir im Schatten eines Weinstocks in seinem Garten in San Francisco. Er ist jetzt 69, Brille, weißer Bart, weiße Haare zum Zopf gebunden. Die Wut ist längst verraucht, Peter Berg hat heute die Seelenruhe von einem, der einen Weg durch sein Leben gefunden hat. Und doch ist ihm und allen anderen, denen ich begegne, der Summer of Love präsent, als wäre er gestern gewesen. Ich brauche nur eine Frage zu stellen und schon donnert diese Zeit über uns hinweg wie die pazifische Brandung.

Zuspiel:

Oh normal people thought we were insane. There was a book here titled: We Are the People Your Parents Warned You About.

Autor:

Normale Leute dachten damals, die Hippies wären durchgeknallt, erzählt er. Ein Buch aus dieser Zeit hatte den Titel: “Wir sind die Leute, vor denen Euch Eure Eltern immer gewarnt haben”. Damals war Peter Berg Anarchist, machte Straßentheater und half, die Diggers – einen Trupp von Schauspielern und Hippie-Aktivisten – zu gründen. Sie wollten der Mainstream-Gesellschaft – seelenlos und verknöchert in ihren Augen – einen Spiegel vorhalten.

Zuspiel:

They thought we were examples of all the worst things they could imagine. You know here’s some: They are not working, they are dressed in crazy ways, they are letting their hair grow, they are having sex all over the place, they are playing whatever music they want. They are laughing at us! Oh yeah – the straight society was combattative. Their response was to have conflict with the hippies – or see them as a kind of a zoo!

Übersetzer:

Die dachten wir seien lebende Beispiele für ihre schlimmsten Fantasien: Die arbeiten nicht, die ziehen sich ausgeflippt an, lassen ihre Haare wachsen, haben Sex wo immer es ihnen paßt, hören unsägliche Musik. Die machen uns lächerlich!

9

Ja, die “normale” Gesellschaft gab sich kämpferisch, die suchten Streit mit den Hippies – oder sahen sie als eine Art Zoo!

Autor:

Hinter hohen Maschendraht-Zäunen, direkt am Golden Gate Park, waren damals die cops zuhause – die Bullen – und sie sind es heute noch. Junge, durchtrainierte, auffallend freundliche Uniformierte. Park Station galt als verschlafener Außenposten, erzählen sie – bis die Hippies in Scharen auftauchten. Dann wurde das Revier zum Brennpunkt und die täglichen Verhaftungen fingen an: Drogendelikte, durchgebrannte Teenager, Leute, die sich nicht ausweisen konnten.

Patrolman Art Gerrans war damals ein besonders scharfer Hund in den Augen der Hippies: So scharf, dass sie Buttons drucken ließen mit der Aufschrift „We love you, officer Gerrans“!

Zuspiel:

The health conditions were pretty bad. You had a lot of people there that weren’t workin’. Somebody would rent the flat and then they’d move anywhere from 20 to 30 people in one flat. Their garbage, they threw it out the back window. I remember more than one place the garbage was piled up to the second story. They didn’t pay the garbage bill. The homes were filthy and dirty. They had dogs, they had young kids crawling on the floor, you had dog feces on the floor – it was, ah, pretty nasty!

Übersetzer:

Die sanitären Verhältnisse im Viertel waren ziemlich übel. Viele Leute haben nicht gearbeitet. Jemand mietete eine Wohnung und dann zogen 20 oder 30 Leute bei ihm ein. Manche schmissen ihren Müll einfach aus den Fenstern - und in einigen Hinterhöfen reichten die Müllberge bis in den ersten Stock. Die Wohnungen waren verkommen, wenn sie Hunde hatten, lag oft Hundekot auf dem Boden und ihre Kinder krabbelten darin herum – ganz schön widerlich!

Autor:

Amerika wirkt heute geradezu gespenstisch ruhig. Damals bebte das Land – und eines der Epizentren lag genau hier. Immer 10

mehr junge Leute sahen im Haight-Ashbury eine konkrete Utopie, eine Insel im amerikanischen Alltagsmief, ein Land ihrer Träume, in das sie, schon damals, mit der treuen alten OBuslinie fahren konnten.

Zuspiel:

I mean there were kids from the suburbs who wanted to have that experience of being in the city and free, and away from their parents, and going naked. I mean something that wouldn’t be acceptable in the suburbs, like Concord or even Berkeley. You had kids growing up in a very rigid household and once they were able to, if they were in high school or college came out here and slept in the Park and totally felt liberated, I am sure.

Übersetzerin:

Da gab es Jugendliche, die es aus monotonen Vororten in die Stadt, in die Freiheit zog, weg von den Eltern. Die dann splitternackt durchs Haight spazierten, was zuhause ganz undenkbar war. Die aus strengen, engen Familien stammten – und sich hier auf das Wunderbarste befreit fühlten.

Autor:

Der Gipfel der Freiheit war Hippie Hill, im Golden Gate Park. Eine sanft geneigte Wiese auf der musiziert, gesungen, getrommelt und getanzt wurde, wo Joints die Runde machten. Viele, so geht die Legende, haben sich hier geliebt, im Schutz der Sträucher, unter mächtigen Zypressen. Freie Liebe, Freier Sex – dank der vor kurzem erfundenen Antibabypille. Heute finde ich hier keine Spur mehr von Blumenkindern – oder ihren Enkeln. Obdachlose und Junkies statt dessen, Leute die seit Jahrzehnten am Ende sind, Alkoholiker die sich ins Delirium saufen. Überall aufgeregtes, aggressives Geschnatter, Beschimpfungen, Drohungen.

Rückzug also - auf eine Wiese in der Nähe, zwischen Familien, die friedlich beim Picknick sitzen.

11

Autor:

Am Nachmittag des 14. Januar 1967 kamen auf dem Polo Field im Park an die 30.000 junge und junggebliebene Rebellen und Zivilisationsmüde zusammen: von den Beatniks der Fünfzigerjahre über Hippies bis zu maoistischen Studenten. Es war das erste Human Be-In, die Stunde Null des Summers of Love.

Die besten Rockbands San Franciscos spielten umsonst und Hell’s Angels bewachten die Generatoren für ihre Verstärker. Ein Studentenführer aus Berkeley agitierte gegen den VietnamKrieg. Und der LSD-Guru Timothy Leary, den ein Bundesrichter zum “gefährlichsten Mann der Welt” erklärt hatte, deklamierte seinen berühmten Satz: „Turn on, tune in, drop out – törn dich an, stimm dich ein, steig aus!“

Zitator:

Der Tempel unserer Religion ist der Körper. Wenn sich jeder antörnen würde, wären die Straßen bald mit Gras bewachsen. Und schuhlose, schlipslose Götter würden durch die Städte tanzen.

Zuspiel:

We passed out several thousand hits of LSD to the crowd. We got a lot of free LSD and gave it to anybody who wanted it. So the atmosphere was of everybody being on stage, in a way. When you walked through the crowd, people weren’t particularly listening to what people (on stage) were saying. They were using it as an event to express themselves to each other. So it was more like a meeting of all these different strands that were running through the psychedelic rebellion at the time.

Übersetzer:

Man hatte uns eine Menge LSD geschenkt, und wir verteilten ein paar tausend Dosen an alle, die wollten. Und die Stimmung in der Menge war so, als seien alle irgendwie “on stage”. Die Leute hörten denen auf der Bühne kaum zu. Die nutzten das Be-In eher um einander zu begegnen. Es war ein Treffen all der vielen Bewegungen, die sich damals zur Psychedelischen Rebellion zählten. 12

Zuspiel:

It was a beautiful day. One of those amazing days that can happen in San Francisco, when the sky is clear and its sunny and cool at the same time. Did you know that a parachutist suddenly appeared floating down into the crowd, in, I believe, it was a red or rainbow colored parachute? If you were, if you were on LSD and watching this occur, it seemed like the entire universe was approving.

Übersetzer:

Es war einer dieser erstaunlichen Tage in San Francisco: klarer Himmel, sonnig und trotzdem angenehm kühl. Und plötzlich schwebte ein Fallschirmspringer auf die Menge nieder. Mit einem regenbogenfarbenen Fallschirm. Wenn Du auf LSD warst und das gesehen hast, kam es Dir vor, als wäre das ganze Universum unserer Sache freundlich gesonnen.

Autor:

Die Dichterin Lenore Kandel feierte damals ihren 35. Geburtstag. Sie saß in einem leuchtend orangen Kleid auf der Bühne – „eine große, rumänische Ungeheuerschönheit“, in den Worten Jack Kerouacs. Lenore rezitierte erotische Gedichte aus ihrem Lovebook, das wenig später wegen Obszönität verboten wurde:

Übersetzerin:

ich liebe dich / dein Schwanz in meiner Hand rührt sich wie ein Vogel zwischen meinen Fingern während du anschwillst und in meiner Hand hart wirst meine Finger auseinanderdrängst mit deiner unnachgiebigen Kraft du bist schön / du bist schön du bist hundertmal schön

Zuspiel:

I think it changed a lot of people’s lives. They felt that there was more to life than thing. It was an expression beyond the material - of the wonderful bliss that exists in putting smiles on other people’s faces!

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Übersetzerin:

Das Be-In hat viele Menschen verändert. Sie spürten, das zum Leben mehr gehört als nur das Sichtbare. Es war ein Ausdruck jenseits des Materiellen – ein Ausdruck des tiefen Glücks, das darin liegt, ein Lächeln auf die Gesichter anderer Leute zu zaubern.

Autor:

„Hippies Run Wild“ titelte der San Francisco Chronicle am nächsten Tag – die Hippies rasten aus. Und die Nachrichten von der unerklärlichen, unerhörten Zusammenkunft brachten junge Leute von Alaska bis Florida dazu, sich auf den Weg ins HaightAshbury zu machen.

Mit den Semesterferien im Frühsommer begann die größte Massenwanderung junger Menschen in der Geschichte der USA. Zehntausende strömten nach San Francisco, lasen die verdutzten Leser der WELT im fernen Westdeutschland:

Zitator :

Kriegsdienstgegner, Teenager, die von zu Hause weggelaufen waren, Musiker, Sinnsucher, Neugierige und solche, die von den Drogen und dem billigen Leben angezogen wurden.

Zuspiel:

TV-Reporter: The City of San Francisco has been warned of a hippie-invasion come summer in numbers almost too staggering to comprehend. The Park and Recreation Dep. has ruled that no longer will the hippies be allowed to sleep in Golden Gate Park. And police chief Thomas Cahill says the rule will be rigidly enforced. Chief Cahill: If they come in and you have them in the Park, where there are no facilities for them, then you are going to have a health problem… Zeitungsreporter: Chief, are you threatening to kick them out of San Francisco? Chief Cahill: I never said a word about that, but I will take whatever police action is necessary and I am not going to cross bridges until I come to them. And certainly, no one should let their children come into San Francisco unsupervised to become a part of a group such as that. 14

Zitator:

San Francisco wird vor einer Invasion der Blumenkinder gewarnt, die jede Vorstellung sprengt.

Polizei-Chef Cahill versteht da keinen Spaß: Hippies dürfen nicht länger im Golden Gate Park übernachten, weil sie ständig in die Büsche kacken!

Zitator:

Chief, drohen Sie damit, die Hippies aus der Stadt zu schmeißen?

Zitator Melvin:

Das hab ich nie gesagt – aber ich werde jedwede Polizeiaktion durchsetzen, die mir nötig scheint. Und noch eines: Niemand sollte seine Kinder unbeaufsichtigt nach San Francisco kommen lassen, um sich einer Gruppe wie dieser anzuschließen!

Autor:

Mitte Juni platzte das adrette Kleinstädtchen Monterey, zwei Autostunden südlich von San Francisco, aus allen Nähten. 200.000 junge Leute groovten und trippten drei Tage lang beim ersten Rock-Festival der Welt. Musiker wie Canned Heat, Simon and Garfunkel und Jimmi Hendrix spielten zum ersten Mal vor großem Publikum. Die psychedelische Rockszene aus San Francisco wurde mit einem Schlag berühmt. Selbst der Brite Eric Burdon widmete der Hauptstadt der Hippies eine Hymne.

Autor:

Die Musik traf die Herzen der Baby-Boomer, Amerikas stärkste Generation, die während des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Fast jeder zweite US-Bürger war damals unter 25. Zumindest die Kinder der weißen Mittelschicht unter ihnen waren in Frieden, Freiheit und unerhörtem Wohlstand aufgewachsen. Und sie hätten, dachten ihre Eltern, allen Grund dankbar zu sein.

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Zuspiel:

The black community had been struggling with injustice ever since the days of slavery. But what did white middle class kids have to complain about? That was really mysterious. Because they, in a sense, were the beneficiaries of the whole system. And if you could not control people and win them over by giving them affluence, by giving them privilege, then what did you have to fight with, to control society short of using brute force? Which was not what parents wanted to see used on their children. So the rebellion of white middle class young people was a much more mysterious, paradoxical and threatening aspect of the protest movement.

Übersetzer:

Afro-Amerikaner hatten sich seit den Tagen der Sklaverei mit Ungerechtigkeit herumgeschlagen. Aber worüber, um Himmelswillen, hatten sich denn weiße Mittelschicht-Kinder zu beklagen? Die waren ja eigentlich die Nutznießer des ganzen Systems. Und wenn man die Menschen nicht damit gewinnen konnte, dass man ihnen Reichtum und Privilegien gewärte – was blieb einem dann noch, um die Gesellschaft unter Kontrolle zu halten, außer brutaler Gewalt? Und dass der Staat ihre Kinder mit Gewalt zur Räson bringt, kam für die Eltern nicht in Frage. Deshalb war die Rebellion der jungen, weißen Mittelschicht ein wesentlich rätselhafterer, widersprüchlicherer und bedrohlicherer Aspekt der Protestbewegung.

Autor:

Im Haight-Ashbury selbst wurde die Lage immer unübersichtlicher. Tausende zu Fuß auf den Straßen, die Bürgersteige verstopft, die Straßen blockiert, überall angetörnte junge Leute, halbnackt oder in wilden Klamotten. Scharen von Polizisten, Zeitungs- und Radioreportern, Fernsehleuten. Vielen Anwohnern wurde das alles zuviel. Eine schimpfte im Sommer `67:

Zuspiel:

Resident: I don’t like their morals, I don’t like the example they are setting for younger people. I don’t like being pushed off the street, walking in their filth on the street. I don’t like to look at ‘em. I don’t like the sound of their voices and the filthy words they use, I don’t like their filthy posters – I just don’t like them. 16

Autor:

Sie mag die Moralvorstellungen der Hippies nicht, mag das schlechte Vorbild nicht, das sie für junge Leute abgeben. Mag nicht durch ihren Dreck auf der Straße laufen, findet ihren Anblick unerträglich, den Klang ihrer Stimmen, und die schmutzigen Worte, die sie in den Mund nehmen. Sie mag ihre ekligen Posters nicht – sie mag Hippies überhaupt nicht.

Autor:

Im Hochsommer kletterte Scott McKenzies weichgespülter Song an die Spitze der amerikanischen und britischen Charts. Der Mann mit der sanften Stimme wurde zum Rattenfänger, der die Jugend der Welt nach San Francisco lockte, zum Entsetzen vieler Hippies der ersten Stunde. Die Diggers versuchten, den Ansturm für ihre Zwecke zu nutzen.

Zuspiel:

So from that came the idea of relating to the influx of people into the Haight-Ashbury, as though they were an audience for a kind of socio-political theatre of what the world could be like if it was an ideal world, from our point of view. We called that live-acting and we live-acted a theatre where there were two principles: “Everything is Free” and “Do Your Own Thing!” “Everything is free” meant that it was not commercial. People shouldn’t identify themselves as workers or wage slaves. And “Do your own thing” was to be creative. To find your creative identity rather than your utility to society as a worker. And because we knew the people who were going to come here weren’t going to have jobs, they weren’t going to be working.

Übersetzer :

Wir kamen auf die Idee, die vielen Menschen, die ins HaightAshbury strömten, als Zuschauer einer Art von sozio-politischem Theater zu betrachten – um zu zeigen, wie eine ideale Welt aus unserer Sicht aussehen würde. Wir nannten das live-acting und es folgte zwei Prinzipien: “Alles gibt’s umsonst” und “Mach dein eigenes Ding!” “Alles gibt’s umsonst” hieß, es war nicht kommerziell. Die Leute sollten sich selbst nicht als Arbeitskräfte oder Lohnsklaven betrachten. Und “Mach dein eigenes Ding” bedeutete kreativ zu 17

sein – deine schöpferische Identität zu finden, statt deinen Nutzen als Arbeitskraft für die Gesellschaft. Wir wussten, dass die Leute, die hierher kamen, keine Arbeit haben würden.

Zuspiel:

Somebody called themselves a free banker and we used to give cash to this person, who put it in their hatband and walked down the street and listened to people’s stories and then gave money away. If you can have a free banker you can have free anything, right?

Übersetzer 3:

Einer nannte sich “Gratis-Banker” und wir gaben ihm Dollarscheine, die er sich unter sein Hutband steckte. Dann spazierte er die Straße entlang, hörte sich die Geschichten der Leute an und verschenkte Geld. Wenn man sogar einen GratisBanker haben kann – dann kann man alles umsonst haben, stimmt’s?

Autor:

Doch das Haight-Ashbury verkam immer mehr zu einem Zirkus, zu einer Karikatur seiner selbst. Etwa 100.000 Hippies und Wanna-be-Hippies drängten sich in den paar Straßenzügen, Schaulustige und Gaffer überall, in den Läden wohlfeile Langhaarperücken für Feierabendaussteiger. Stündlich karrten Busse staunende Touristen durch das Viertel. Die SightseeingFahrt wurde angepriesen als „die einzige fremdländische Tour innerhalb der USA“. Milan Melvin, einer der Liebhaber Janis Joplins, kommentierte bitter:

Zitator Melvin:

Die Spießer waren auf dem Marsch und traten die Gartenzäune von kleinen, alten Damen nieder, um sich Blumen ins Haar zu stecken, damit sie auch nur ja in der beschriebenen Aufmachung ankommen konnten.

Zuspiel:

We were doing it. To our hearts and minds and bodies extent we were doing it. We would have been doing it with twenty people or however many people there were. But the media made it all over the country so that totally incompetent, blithering people came and we had to take care of them. 18

They just came floating in on the wind. And we had to work like mad, because that’s when we had to start kitchens that would serve food, because they didn’t know how to feed themselves. They just expected it to arrive - and their vision did not include things like “Where does the food come from?” - “Where do you sleep when it rains?”

Übersetzerin:

Wir lebten unsere Vision - mit Körper, Herz und Verstand. Wir hätten sie auch gelebt, wenn wir nur 20 Leute gewesen wären. Aber die Medien trompeteten die Nachrichten durch das ganze Land – und so kamen völlig unfähige, dämliche Leute hierher, um die wir uns kümmern mussten.

Die trieben mit dem Wind heran. Und wir schufteten wie verrückt, denn von da an mussten wir Suppenküchen betreiben, weil die Leute nicht wussten, wie sie sich ernähren sollten. Die dachten das Essen fällt ihnen in den Mund – und ihr Horizont reichte nicht bis zu so einfachen Fragen wie “Wo kommt mein Essen her?” oder “Wo schlafe ich, wenn es regnet?”

Autor:

Das war nicht die Welt des neugewählten Gouverneurs von Kalifornien, Ronald Reagan. Ein Hippie, sagte er zu Beginn seiner Amtszeit, sei einer, „der sich wie Tarzan anzieht, der die Haare wie seine Dschungelfrau Jane trägt und der riecht wie ihr Schimpanse Cheetah.“

Zuspiel:

Governor Ronald Reagan: Well I am terribly frightened by the problem of LSD. I think there has been a great deal of misinformation by those who seem to see no harm in it. And I think our only hope lies in a concerted effort of education, so that young people will be aware that there is nothing smart, there’s nothing grown-up or sophisticated in taking an LSD-trip at all. They’re just being complete fools.

Übersetzer:

Das LSD-Problem macht mir furchtbare Angst. Ich denke, unsere einzige Hoffnung liegt in einer gemeinsamem Erziehungsoffensive, damit den jungen 19

Leuten klar wird, dass ein LSD-Trip überhaupt nichts intelligentes hat, nichts erwachsenes oder aufgeklärtes. Sie machen sich damit nur zu Vollidioten. Zuspiel:

Well, LSD had an extremely powerful influence on everything that happened from 1965 really on. And the role of LSD, and of marijuana to a lesser extent, was to change your perception about reality – and what were the basic and important constituents of reality. And certainly working for a living, acquiring material goods was not something that came as a revelation with LSD. What came was to be creative, to hear, see think, not only differently but in a hugely expanded way, to where you were listening to sounds you never heard before, or to see colors you never saw before – and to have thoughts with an extreme level of profundity.

Übersetzer:

LSD hatte einen gewaltigen Einfluss darauf, was ab 1965 geschah. Und die Rolle von LSD, und zu einem kleineren Teil von Marihuana, war, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit zu verändern – und die Frage aufzuwerfen, was die wesentlichen Pfeiler der Wahrnehmung sind.

Arbeiten um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um materielle Güter anzuhäufen – das kam nicht als tiefe Einsicht durch LSD. Was kam, war schöpferisch zu sein, nicht nur anders zu hören, zu sehen, zu denken – sondern in einer ungeheuer ausgedehnten Weise. Klänge zu hören, die du noch nie zuvor gehört hattest, nie gesehene Farben zu sehen – oder Gedanken mit ungeheuerem Tiefgang zu denken. Zuspiel:

It had to do with the idea that there is something much more radically wrong than just political injustice. In the 1960ies there were very young people who had taken up this issue that the world they lived in, was crazy – the people who are running the world are crazy. They have lost touch with reality. And so you had this sprawling, untidy issue of consciousness – Cleansing the Doors of Perception. And this was a theme that ran through the music of the period, through the literature of the period. And it deepened the whole level of protest. Because it was more than just a political movement. It was more a movement for social 20

change. It was a movement for changing the very basis of consciousness.

Übersetzer:

Es hatte mit der Idee zu tun, dass es um einen viel radikaleren Missstand ging, als nur um politische Ungerechtigkeit. In den Sechzigerjahren gab es viele sehr junge Leute, die der Ansicht waren, dass die Welt in der sie lebten, verrückt ist. Dass die Leute, die die Welt regieren, verrückt sind, dass sie den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Und so kam es zu diesem wild wuchernden, verwirrenden Thema des Bewusstseins. Die “Pforten der Wahrnehmung” zu säubern – das war ein Motiv, das sich durch die Musik dieser Zeit zog, durch die Literatur. Und das der Protest-Bewegung größeren Tiefgang gab. Denn es war mehr als eine politische Bewegung. Es war mehr als eine Bewegung für gesellschaftlichen Wandel. Es war eine Bewegung, die die Fundamente der Wahrnehmung verändern wollte.

Zuspiel:

In a sense we had the Holy Grail…

Autor:

Seymour Carter, Bohemien der späten Beat- und frühen AcidÄra

Zuspiel:

– or we believed that the experience of LSD or the mindaltering properties of hallucinogenics allowed us to enter into mystic states of being – in the sense of emptiness, in a sense of spaciousness, a sense of whirling through metamorphic dimensions split-second by split-second. That hanging on to an ordinary consciousness or my sense of my personality was completely impossible.

Übersetzer :

In gewisser Weise besaßen wir den heiligen Gral – oder wir glaubten jedenfalls, dass uns LSD und andere Halluzinogene erlaubten, in mystische Bewusstseinszustände einzutreten – im Sinne einer großen Leere, ungeheuer weiter innerer Räume, eines Wirbelns durch sich ständig in Sekundenbruchteilen 21

verändernde Dimensionen. So dass das Festhalten an einem alltäglichen Bewusstsein oder an den Mustern der eigenen Persönlichkeit vollständig unmöglich war.

Autor:

Ich hocke fröstelnd auf einer Bank im Panhandle, einem mit Redwoods bestandenen Grünstreifen östlich des Golden Gate Park. Es ist neblig und klamm, wie im Sommer 1967. Ein paar gute LSD-Trips, hieß es damals, wiegten drei Jahre Psychoanalyse auf. Und schon zu Beginn des Summer of Love sollen hier jede Woche 100.000 Dosen LSD verkauft worden sein, zu Preisen von ein oder zwei Dollar pro Trip.

Ich wollte selber auf die Reise gehen, mich mit Haut und Haaren in diese Zeit stürzen, am eigenen Leib erfahren, wovon die psychedelischen Revolutionäre redeten. Ich, der ich nur einmal, halbherzig, an einem Joint gezogen hatte – ohne jeden Effekt. Ich lasse es schließlich bleiben: zuviel zu tun, zu wenig Ruhe – und Angst, die Kontrolle zu verlieren. „Du musst dem Strom in Dir bis zur Quelle folgen“, hatte ein Abenteurer der Acid-Szene damals geraten, „und dann aus dir verschwinden!“ Das bekommt nicht jedem.

Zuspiel:

We had a call of a man running around naked and the next thing you know he jumped through a store front window and cut himself – right through the window. He was all bleeding and masturbating there, sittin’ in the middle of the store naked. I mean it got pretty bad!

Übersetzer:

Wir wurden einmal gerufen, weil ein Mann im Drogenrausch nackt durch die Gegend rannte, durch ein Schaufenster sprang, und dann blutend und sich selbst befriedigend mitten im Laden hockte.

Autor:

Jeden Nachmittag um vier parkte, hier am Panhandle, der alte Dodge Truck der Diggers, beladen mit Aluminium-Kübeln voll 22

dampfender Suppen oder Eintöpfe. Kostenloses Essen für mittellose Blumenkinder – aus Abfalltonnen gefischte Wohlstandsreste, abgelaufene, von Supermärkten gespendete Lebensmittel, Einkäufe, finanziert mit Geld, das die Diggers Marijuana-Dealern abgeknöpft hatten.

Im Haight-Ashbury war eine komplette Infrastruktur im Schatten des Wirtschaftsystems entstanden. Ein Versuchsfeld in den Augen der Hippies, für die Zeit, in der Computer und Maschinen menschliche Arbeit überflüssig machen würden. Ein engagierter Arzt hatte eine kostenlose Klinik gegründet, Peter Berg war für den Free Store zuständig, in dem man sich umsonst mit Kleidung, Schuhen und allem möglichen anderem eindecken konnte.

Zuspiel:

We didn’t do any of the free public services simply as do-gooder enterprises. We did them all as staged events. For example, soldiers came in, took off their uniforms, left them on the rack, went to the changing room, changed into civilian clothes, and deserted the army – on the spot. And you know, people simply watched it, it was an obvious event. The FBI interviewed me about it, and I told them I didn’t know any of the people in the photographs they were showing me, and that was that.

Übersetzer:

Wir boten keinen unserer kostenlosen Dienste aus reinem Gutmenschentum an. Für uns waren das immer auch Bühnenereignisse. In den Free Store kamen zum Beispiel Soldaten, legten ihre Uniformen ab, hängten sie an die Kleiderständer, zogen sich Zivilklamotten an – und desertierten, mitten im Laden. Die Leute schauten zu dabei, das spielte sich alles ganz offen ab. Das FBI verhörte mich später dazu – ich sagte mir sei keiner der Gesuchten auf den Fahndungsfotos bekannt – und das war’s dann.

Zuspiel:

People of my age grew up understanding that authority was authority - and you obeyed. 23

Autor:

Jerry Bolick aus San Francisco.

Zuspiel:

And this whole notion that, in fact, you didn’t have to, was really an earthshaking kind of realization. It was a time of great pain, but it was also a time of great liberation. People’s lives changed radically, whether you were a long-hair-on-the-fringe dope smoker or just an ordinary person – because the world just no longer was the way it was. And we all had to find our own way within that radically very fast changing environment.

Übersetzer:

Leute meines Alters wuchsen auf in dem Bewusstsein, dass man sich Autoritäten zu fügen hatte. Und diese ganze Idee, dass man dazu, tatsächlich, gar nicht gezwungen war, war eine zutiefst erschütternde Einsicht für uns. Es war eine Zeit großen Schmerzes und eine Zeit großer Befreiung. Das Leben änderte sich radikal – egal ob man ein Haschraucher am Rande der Gesellschaft war, oder ein Durchschnittsbürger – weil die Welt nicht mehr die Selbe war. Und wir alle mussten unseren eigenen Weg durch diese sich rasant und radikal verändernde Welt finden.

Autor:

Doch je mehr die Utopie entgleiste, je kommerzieller und kaputter das Haight-Ashbury wurde, desto mehr wurden die Hippies zu Lachnnummern, zu Zielscheiben des Spottes, auch innerhalb der Jugendszene. Frank Zappa und seine Mothers of Invention veräppelten sie später in ihrem schrillen „Flower Punk“. Der SPIEGEL mokierte sich über die „Gymnasten-Mentalität“ der Blumenkinder.

Autor:

Am 8. August 1967 schaute George Harrison von den Beatles kurz im Haight-Ashbury vorbei. Er soll am Hippie Hill ein paar Songs auf einer geborgten Gitarre gespielt haben. Und was er in den Straßen an Elend sah, war genug, um ihn für den Rest seines Lebens von Drogen abzubringen. „Ich dachte, die wären

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alle freundlich, sauber und glücklich hier“, sagte er, und was er stattdessen fand, waren „abstoßende, picklige Teenager“. Zit‘rin Didion:

Wir sahen da etwas Bedeutendes...

Autor:

...Joan Didion, in ihrem Essay über den Summer of Love...

Zit‘rin Didion:

...Wir sahen den verzweifelten Versuch einer Handvoll lächerlich schlecht ausgerüsteter Kinder, innerhalb eines gesellschaftlichen Vakuums eine Gemeinschaft zu schaffen. (...) Irgendwann zwischen 1945 und 1967 hatten wir es irgendwie versäumt, diesen Kindern die Regeln des Spiels zu erklären, das wir da spielten. Vielleicht hatten wir selbst gar nicht mehr an die Regeln geglaubt, vielleicht waren uns selbst beim Spielen die Nerven durchgegangen. Vielleicht gab es auch nur zu wenige, die sie ihnen hätten erklären können.

Zuspiel:

TV-Reporter: Sandra, your father says you have run away from home three times and you’ve been gone now for sometime? Sandra: Yes! Reporter: But you said you’re not a run-away… Sandra: No, I’m not! I don’t consider myself a run-away at all! Reporter: Where did you spend last night? Sandra: That’s not of anybody’s business and I won’t tell. And I won’t tell where I have been for the past two weeks – ever! Reporter: How old are you, Sandra? Sandra: Fourteen.

Zitator Melvin:

Hübsches kleines 16jähriges Bürgermädel kommt in die Haight, um zu sehen, was da so läuft, & läßt sich von einem 17jährigen Straßendealer abschleppen, der sie den ganzen Tag unablässig mit Speed volldrückt, sie dann mit 3000 Mikrogramm füttert & ihren vorübergehend ruhig gestellten Körper in der größten 25

Haight-Street-Massenvergewaltigung seit der vorletzten Nacht verlost.

Autor:

Aus einer Straßenzeitung der Diggers, 1967

Zuspiel:

It seemed to me that the party presented too much of an opportunity for abuse. And people who weren’t really there to party, people who didn’t have good intentions came in to take advantage of people perhaps innocent a little too long.

Übersetzer:

Mir schien die Party zuviel Gelegenheit zum Missbrauch zu bieten. Und Leute, die nicht gekommen waren um mitzufeiern, die keine guten Absichten hatten, nutzten andere aus, die vielleicht ein bisschen zulange Unschuldslämmer geblieben waren.

Zuspiel:

The original hippies or beatniks that came out here for the poetry and the artist they saw things changin’.

Autor:

Patrolman Art Gerrans, San Francisco Police

Zuspiel:

You not only had people from all over the country here, you started gettin’ motorcycle gangs here. We were gettin’ parolees – guys gettin’ out of prison. Charlie Manson was here, him and his family was here. Matter of fact they even arrested some of these people here. And it got to be so bad that the original people that got here for the arts and the poetry and the love - they moved out.

Übersetzer:

Die echten Hippies und Beatniks, die ursprünglich wegen der Poesie, den Künsten und der Liebe hierhergekommen waren, erlebten eine Menge Veränderung. Die Szene zog nicht nur Leute aus aller Welt an, bald kamen auch Motorradgangs und Haftentlassene. Der spätere Serienmörder Charles Manson war hier mit seiner Familie – ein paar von ihnen wurden sogar verhaftet. Es wurde so übel, dass die Leute der ersten Stunde wegzogen. 26

Autor:

Harte, rasch süchtig machende Drogen wurden jetzt gedealt – Speed, Kokain, Heroin und Pervitin, der gefährlichste Stoff der Hippie-Zeit. Zwei Dutzend Undercover-Agenten der Drogenfahndung operierten im Haight. Und statt im LSD-Rausch mystische Erfahrungen zu suchen, schrieb ein Soziologe, benutzten viele die Droge als „chemischen Vorschlaghammer um aus ihren Panzern auszubrechen“.

Zuspiel:

People who had never faced their own reality and tried so hard to run away and keep running and they couldn’t succeed. And people got in terrible conditions, I mean dirty and diseased and sick. Yes there were a lot, lot of ugly and needful and hungry and ah, yes – there was a lot of work!

Übersetzerin:

Leute die sich nie ihrem eigenen Leben gestellt hatten, die mit aller Kraft vor sich davon gerannt waren – ohne sich je entkommen zu können. Viele waren in schrecklicher Verfassung – verdreckt, verkommen, krank, schlimm anzusehen, bedürftig, hungrig.

Zuspiel:

Hundreds of innocent people, innocent of philosophy, innocent of any ethical quest, were exploring the drug, too –

Autor:

Seymour Carter, Bohemien der Beat- und Hippie-Zeit

Zuspiel:

– and it would melt boundaries and move into domains were people were quite lost. Some of the people that were unprepared for that met the dark side and assumed that they were evil or filled with murderous aggressive impulses - and acted them out. Also people who were too young, too inexperienced in exploring extreme states of consciousness – and had no supports. Quite a number of people died, I am sure of just exposure, of neglect, also murders and crimes created a lot of problems.

Übersetzer:

Auch Hunderte unbedarfter, naiver Leute probierten Drogen – und das ließ ihre Grenzen verschwimmen und viele verloren sich im Rausch. Manche begegneten unvorbereitet ihrem Schatten,

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nahmen an sie seien von Grund auf böse oder voller mörderischer Aggressionen – und lebten sie aus.

Andere waren zu jung, zu unerfahren um extreme Bewusstseinszustände aushalten zu können – und sie hatten niemanden, der ihnen beistand. Viele starben, da bin ich sicher, an Auszehrung oder Vernachlässigung.

Zitator:

Auch Feindseligkeit unter den Hippies selbst ist nicht mehr ungewöhnlich. Gezückte Messer tauchen auf. Die Kinder auf den Straßen betteln nicht mehr, sie fordern.

Autor:

Der Spiegel, Heft 50, 1967.

Zuspiel:

What we meant to do was to point a way, be living signposts of “Look, you can do this!” And I was terribly disappointed at the number of people who just sat, with their hands out, waiting for them to be filled, and never learned the lesson that they could lead the line, too!

Übersetzerin:

Wir hatten einen Pfad zeigen wollen, als lebende Wegweiser der Botschaft: Schau mal, Du kannst das!” Und ich war sehr enttäuscht von der großen Zahl von Leuten, die nur da saßen, die Hände aufhielten und darauf warteten, dass jemand sie füllt. Und die nie die Lektion lernten, dass sie die Dinge selbst in die Hand nehmen können.

Zit‘rin Didion:

Steve bedrücken viele Sachen. Er ist dreiundzwanzig, in Virginia aufgewachsen und hat die Vorstellung, dass Kalifornien der Anfang vom Ende ist. „Das ist doch Wahnsinn hier“, sagt er, und seine Stimme senkt sich. „Es hat Zeiten gegeben, da hab ich gedacht, ich pack meinen Krempel und geh wieder an die Ostküste, dort hatte ich wenigstens ein Ziel. Wenigstens erwartet man dort, dass etwas passiert.“ Er zündet eine Zigarette an, und seine Hände zittern. „Hier weißt Du, dass nichts läuft.“ Ich frage,

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was denn passieren soll. „Ich weiß nicht“, sagt er. „Irgendwas, egal was.“ Zuspiel:

Reporter: The hippies strike back. They hold a mock funeral to symbolize the death of the term hippie. Complete with madebelief-corpse, the funeral also marks the birth of a new name for the sandals-beard-and-bead-set: They wanna be known as Americas free men or Freebies. Hippie or no – it’s enough to give one the freebie-jeebies

Autor:

Die Hippies schlagen zurück, frohlockte der Fernseh-Reporter in routiniertem Überschwang, am 6. Oktober 1967. Im Morgengrauen trugen die Diggers in theatralisch überhöhter Trauer eine lebensgroße Puppe im offenen Sarg die Haight Street entlang. Auf einer Wiese im Buena Vista Park verbrannten sie sie, samt allerlei Hippie-Ketten und -Kleidern, Blumen und Marijuana-Briefchen. Das war das symbolische Ende des kurzen Lebens von „Hippie – dem Sohn der Medien“. Er wurde zum Opfer seiner eigenen Popularität. „Das war kein Sommer der Liebe“, soll einer, der sich Teddybär nannte, einem Reporter damals erzählt haben. “Das war ein Sommer der falschen Versprechungen – und Ihr, die Presse, habt das angerichtet! Die sogenannten Blumenkinder kamen hierher um etwas zu suchen, weil Ihr sie dazu aufgefordert hattet – und es gab nichts zu finden!”

Zuspiel:

At the end of that summer, when I would walk down the Haight, it was, you know, like after a kind of a riot had happened. There were a lot of very dazed people on the street, it was dirty, the frivolity and the party-carnival-likeness of it disappeared. It was pretty bad.

Übersetzer 5:

Am Ende dieses Sommers sah es im Haight-Ashbury aus wie nach einer Riesenrandale. Viele Leute mit benommenem, verwirrtem Blick auf den Straßen, überall Dreck. Die Frivolität und die Karneval-Stimmung - verschwunden. 29

Zuspiel:

Probably 1969/1970 the Haight-Ashbury became a very scary place. It was not a place that you would want to be at night on the street: drugs, gangster types, thugs, violence on the streets, killings, all kinds of things were going on. The neighborhood took a dive. And it stayed that way for quite some time before what you see today: a kind of gentrified place where tourists come with their families, to walk up and down Haight-Street.

Übersetzer:

1969, 70 wurde Haight-Ashbury zu einem Ort der Angst. Nachts konnte man hier nicht mehr unterwegs sein. Harte Drogen, Gangstertypen, Schläger, Morde. Das Viertel stürzte ab. Und das blieb eine ganze Zeit so, bis es schließlich das wurde, was es heute noch ist: ein herausgeputztes Fleckchen, in das Touristen kommen, um die Haight-Street rauf und runter zulaufen.

Autor:

Ich blinzle in die gleißende Brandung, an einem Sandstrand von Big Sur, drei Autostunden südlich von San Francisco. Im Herbst 1967 büffelten die meisten der jüngeren Blumenkinder wieder in High-Schools und Universitäten. Viele der Hippies der ersten Stunde waren aus San Francisco geflohen. Sie zogen ins ländliche Marin County, nördlich des Golden Gate, sie gründeten Landkommunen in den leeren Waldgebirgen Nordkaliforniens – oder fanden unter den Aussteigern von Big Sur eine neue Heimat.

Autor:

Zur Utopie hatte die Szene im Haight-Ashbury nie getaugt: sie war zu spontan geboren, ein Flickenteppich verschiedenster Gruppen und Grüppchen, führerlos, phantasievoll, chaotisch, eine Blüte, die sich ebenso rasch auftat wie sie verwelkte.

Doch die Gesellschaftskritik der Hippies war alles andere als tot. Zwei Jahre später kamen in Woodstock eine halbe Million junger Menschen zum größten open air Rockfestival der Geschichte zusammen. Und von dort aus verbreiteten sich der Protest gegen den Vietnam-Krieg und die Seelenlosigkeit des Materialismus um die ganze Welt. Sogar jenseits des Eisernen 30

Vorhangs hungerten junge Leute nach sex, drugs and Rock’n Roll. Zuspiel:

A lot of young people bailed out, left, abandoned the mainstream culture. They attempted to experiment with collectives, with communes, with small utopian societies. They wanted a form of society that was not big, authoritarian, technological, even industrial. They wanted something like a return to the land, something simple, a voluntary primitivism, as it was sometimes called. So one of the deepest levels of protest during that period was the willingness of young Americans to raise questions about the rightness, the rationality, of industrial society.

Übersetzer:

Viele junge Leute seilten sich ab aus der Kultur des Mainstream. Sie experimentierten mit Kollektiven, mit Kommunen, mit kleinen utopischen Modellen des Zusammenlebens. Sie wollten eine Gesellschaftform, die nicht unübersichtlich groß, autoritär, technokratisch, ja nicht einmal industriell war. Sie versuchten die Rückkehr aufs Land, strebten nach dem Einfachen - freiwilliger Primitivismus, wie das manchmal genannt wurde. Einer der tiefgreifendsten Kritikpunkte dieser Zeit des Protests war der Wille junger Amerikaner, die Gerechtigkeit und Rationalität der Industrie-Gesellschaft zu hinterfragen.

Autor:

Das Haight-Ashbury ist heute einer der Touristenmagnete San Franciscos – quirlig, seicht und auf den schnellen Dollar bedacht wie Fisherman’s Wharf. Bei jedem Besuch hier werde ich lustloser und ratloser. Summer of Love ist mittlerweile ein eingetragenes Markenzeichen des Konzertveranstalters Bill Graham Enterprises. Der Begriff darf nur mit Genehmigung des Unternehmens verwendet werden. Scheiß drauf!

Zuspiel:

I’m way a hippie, I’m always a hippie, I’ll die a hippie. And I rank pretty high, you know. I’m one of the top ten of the highest, you know, the minds… We lost the mayor of Haight Street, Pablo, about five months ago, and it was natural causes, not drugs or alcohol. So they’re thinking of putting me as the mayor of Haight Street. That’s a big responsibility, you know, for being a hippie, 31

you know, sandals, shoes, you know, I’m talking about responsibility when there should be none, you know…

Autor:

Bill ist den alten Zeiten treu geblieben. Er hält die Fahne hoch! Übrigens, erzählt er dem Reporter-dude aus Germany, ist er einer der zehn hochrangigsten Köpfe hier. Vor kurzem verloren sie den Bürgermeister der Haight Street – natürliche Todesursache, keine Drogen im Spiel – und jetzt wollen sie ihn, Billie, in das Ehrenamt heben. “Ist ja eine Menge Verantwortung für einen Hippie”, sagt er, “für einen Sandalenträger wie mich. Verstehst Du, ich rede von Verantwortung, wo es gar keine geben sollte.”

Autor:

Scott McKenzie, der einst die Jugend der Welt herbeisang, lebt heute, schwer depressiv, in Los Angeles. Timothy Leary und andere dubiose Visionäre der Psychedelischen Rebellion sind gestorben. Janis Joplin und Dutzende anderer Rockstars sind längst tot. Und die noch lebenden Veteranen des Summer of Love, die Jugendrebellen von einst, sind heute alte Menschen.

Autor:

In den Begegnungen mit ihnen, in ihren Stimmen, ihren Gesten, ihren Augen finde ich das, wonach ich gesucht habe: Lebendigkeit und innere Freiheit, die mit den Jahren nicht erlischt. Peter Berg und seine Frau Judy Goldhaft betreiben heute eine gemeinnützige Naturschutzstiftung.

Zuspiel:

It’s very interesting that at the time the cartoon of a hippie, with flowers in their hair and not wearing underwear, with bare feet, eating natural food, having children through natural home delivery, thinking about the earth and the planet and their identity with animals and plants. You think about this – this isn’t just a cartoon of a strange human being, this is a much more natural human being. So in way a lot of the consciousness that the so called hippies had, is the consciousness of ecology today.

Übersetzer :

Die übliche Karikatur eines Hippies damals zeigte einen Menschen mit Blumen in seinem Haar, der barfuß läuft, naturbelassene Lebensmittel isst, der seine Kinder per 32

Hausgeburt zur Welt bringt, der sich Gedanken macht über den Planeten Erde – und darüber, was er mit Pflanzen und Tieren gemeinsam hat. Wenn man darüber nachdenkt, ist das keine Karikatur eines versponnenen Eigenbrötlers – es ist ein viel natürlicherer Mensch. Und so ist vieles von dem Bewusstsein, das die Hippies einst hatten, heute zum ökologischen Bewusstsein geworden.

Zuspiel:

It has left behind some extremely important changes in American culture. The position of women was revolutionized in the Sixties and the Seventies. The environmental movement hardly existed before the protest movement. Gay liberation became an important part of American society. A very real change for the better in race relations. Even though race is still a powerful issue in America, the difference between race relations before the Sixties and after the Sixties is very great indeed. So there were many, many changes. This is a much more open, tolerant, experimental society than it ever was before the Sixties.

Übersetzer:

Diese Zeit hat enorm wichtige Umbrüche in der amerikanischen Kultur bewirkt. Die Stellung der Frau hat sich in den Sechzigerund Siebzigerjahren radikal verbessert. Die Umweltbewegung gab es kaum vor den Jugendprotesten. Die Anerkennung Homosexueller wurde zu einem wichtigen Thema in der amerikanischen Gesellschaft. Echte Verbesserungen auch, was die Gleichstellung der Rassen angeht. Obwohl Rassismus immer noch ein ernstes Problem ist, hat sich da entscheidendes getan. Die US-Gesellschaft ist heute viel offener, toleranter, experimentierfreudiger als sie es je war, vor den Sechzigerjahren.

Zuspiel:

You can find hippies anywhere in the world you go. Germany is full of hippies, and Scandinavia is full of hippies and England is full of hippies, Australia is full of hippies – I think there are hippies everywhere, in spite of the fact, that the media and the literary community and the news wants to say that it died, you know. Well, of course it didn’t die! 33

Autor:

Hippies findest du überall auf der Welt, egal wo du hingehst, sagt Country Joe McDonald, der mit 65 noch mit der selben Verve gegen das Fiasko im Irak ansingt, wie in Woodstock gegen den Vietnam-Krieg. Deutschland sei voller Hippies, meint er, Skandinavien, Großbritannien, Australien – voller Hippies. Obwohl die Medien und manche Schriftsteller die Bewegung totgeschrieben hätten, sei sie – ganz klar – nie wirklich gestorben.

Zuspiel:

From my perspective, the message of love and the importance of love and tolerance and understanding was much needed at the time – it’s much needed today. And people devoted to that, I believe, continue to live and – in their own way - express that kind of devotion.

Übersetzer:

Aus meiner Sicht war die Botschaft von Liebe, Toleranz und gegenseitigem Verstehen damals sehr nötig – und sie ist heute genauso nötig. Und Menschen, die sich dieser Botschaft verschrieben hatten, leben sie weiter – und drücken sie, jeder auf seine Weise, weiter aus.

Autor:

Lenore Kandel dichtet unverdrossen weiter, mit ihren 75 Jahren, meist auf Schmierzetteln und gebrauchten Briefumschlägen. Seit einem schweren Motorradunfall, wenige Jahre nach dem Summer of Love, lebt sie zurückgezogen, kann ihre Wohnung kaum noch verlassen. Ich will ihr nicht nur die Hand geben zum Abschied – dieser großen rumänischen Ungeheuerschönheit, die heute eine alte, steife, von Schmerzen geplagte Frau ist. Ich umarme sie – und mit ihr diese ganze unangepasste, widerborstige, wundervoll unvernünftige Zeit:

Du bist schön, Lenore. Du bist schön. Du bist hundertmal schön! 34

Zuspiel:

We just wanted to change the world...

Übersetzerin:

Wir wollten nur die Welt verändern... Still do – it needs it more than ever!

Übersetzerin:

und wollen es immer noch sie hat es nötiger denn je... I wish I had the strength that I had

Übersetzerin:

Ich wollte ich hätte noch die Kraft, die ich damals hatte, aber... But… The need is even greater!

Absage

Be Sure to Wear Some Flowers in Your Hair... Die Hippies und der Summer of Love 1967. Ein Feature von Udo Zindel. Es sprachen:Gerd Andresen, Nicole Boguth, Hubertus Gertsen, Andrea Hörnke-Trieß, Nadine Kettler, Karl-Rudolf Menke, Frank Stöckle und Andreas Serder Technik: Andrea Mammitzsch und Judith Rübenach Regie: Alexander Schuhmacher Eine Produktion des Südwestrundfunks 2007.

Literatur: Todd Gitlin: The Sixties. Years of Hope, Days of Rage. Bantam Books. New York 1993. Lenore Kandel: Das Liebesbuch/Wortalchemie. Aus dem Amerikanischen von Caroline Hartge. Heartbeat No. 12, Stadtlichter Presse Berlin 2005. ISBN 3-93627124-0. Joel Selvin: Summer of Love: 40 Years Later. A four-part series in the San Francisco Chronicle. May 20 to 23, 2007. Tom Wolfe: The Electric Kool-Aid Acid Test. Bantam Books, New York City 1999. Jay Stevens: Storming Heaven. LSD and the American Dream. The Atlantic Monthly Press, New York City 1987. 35

Links: Die offizielle Seite zu den Feiern des 40. Jahrestags: http://summeroflove.org/ Summer of Love. A PBS-documentary (Fernseh-Feature), April 2007. Im Internet abrufbar unter: www.pbs.org/wgbh/amex/love/ Hippie Society: The Youth Rebellion. A CBC documentary, Im Internet abrufbar unter: http://archives.cbc.ca/IDD-1-69-580/life_society/hippies/ Die offizielle Webseite der Diggers, mit umfangreichem Archiv: www.diggers.org

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