BAUSTELLE KIRCHE DAS FUNDAMENT

Evang.-Luth. Erlöserkirche, München BAUSTELLE KIRCHE DAS FUNDAMENT Prof. Dr. Dr. h.c. Gunther Wenz 15. November 2009, 11.30 Uhr Predigttext „Wir sin...
Author: Damian Kaufer
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Evang.-Luth. Erlöserkirche, München

BAUSTELLE KIRCHE DAS FUNDAMENT Prof. Dr. Dr. h.c. Gunther Wenz 15. November 2009, 11.30 Uhr

Predigttext „Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bau. Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden; jener Tag wird es sichtbar machen, weil es im Feuer offenbart wird. Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch. Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr.“ 1. Korinther 3, 9-17

Predigt Liebe Gemeinde, nach Martin Luther „weiß gottlob ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und ‚die Schäflin, die ihres Hirten Stimme horen’“ (ASm III: Von der Kirchen; BSLK 459,20-22). So hat es der Reformator in seinen Schmalkaldischen Artikeln von 1537 ausgedrückt. Ähnlich wurde es zuvor schon von Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon im VII. Artikel der Confessio Augustana aus dem Jahr 1530, dem wichtigsten reformatorischen Bekenntnis, gesagt: „Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“ (CA VII,2; BSLK 61,3-6) Auf Deutsch: Die Kirche ist „die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden“ (BSLK 61,4-7). Damit ist in einem Satze

umschrieben, was nach reformatorischer Auffassung das Wesen der christlichen Kirche ausmacht. Die christliche Kirche, so CA VII, ist ihrem Wesen nach congregatio sanctorum. Dies erinnert an die aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis vertraute Wendung von der communio sanctorum, der Gemeinschaft der Gläubigen. Wir dürfen sicher sein, dass Melanchthon an diesem Bezug gelegen war. Die lateinische Formel kann verschieden übersetzt werden, je nachdem ob man sanctorum neutrisch oder maskulin bzw. feminin fasst. Historisch ursprünglich ist das neutrische Verständnis. Die griechische Rede von der koinonia tōn hagiōn, die dem lateinischen communio sanctorum zugrunde liegt, bedeutet primär Teilhabe am Heiligen und erst sekundär Gemeinschaft der Heiligen. Kirche als die koinonia tōn hagiōn bzw. als die communio sanctorum ist danach in erster Linie die Gemeinschaft derer, die im Glauben am Heiligen, an den sancta partizipieren, nämlich an Wort und Sakrament und vermittels derer an Jesus Christus und an dem in ihm offenbaren dreieinigen Gott, um durch solch gläubige Teilhabe zu einer Gemeinde zusammengeschlossen zu werden. Kirche ist nicht, jedenfalls nicht zuerst die Versammlung von Menschen, die sich durch besondere individuelle Heiligkeit im Sinne überragender Moral oder sittlicher Größe auszeichnen. Zwar sind die Glieder der christlichen Kirche dazu bestimmt, in der Nachfolge ihres Herrn gute Werke zu tun und Liebe zu üben gegen jedermann. Aber dazu sind sie nicht von sich aus, sondern überhaupt nur deshalb in der Lage, weil sie im Glauben an Jesus Christus teilhaben, durch den sie in der Kraft des Hl. Geistes gerechtfertigt und geheiligt sind vor dem gerechten und heiligen Gott. Eine Gemeinschaft von Heiligen sind die Glieder der Kirche vor allem, weil sie eine Gemeinschaft der Gläubigen sind. Communio sanctorum ist im reformatorischen Sprachgebrauch dementsprechend gleichbedeutend mit communio fidelium. Schon Paulus setzte Heilige mit Gläubigen gleich. Nun fällt auf, dass Melanchthon im VII. Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses gegenüber der Rede von der communio diejenige von der congregatio sanctorum bevorzugt. Damit will er den konkreten Versammlungscharakter von Kirche unterstreichen, wie denn auch Luther in seiner Übersetzung des Neuen Testaments das griechische Wort für Kirche, ekklesia, stets mit Gemeinde wiedergegeben hat. Kirche im eigentlichen und prototypischen Sinne des Begriffs ist die versammelte Gottesdienstgemeinde. Dies wird durch die Wendung congregatio sanctorum eigens unterstrichen. Die um Wort und Sakrament versammelte Gottesdienstgemeinde ist Kirche im vollen Sinne des Begriffs. Sie ist nicht etwa nur zum Teil, sondern ganz Kirche. Gleichwohl ist sie nicht die ganze Kirche. Denn jede Gottesdienstgemeinde steht ihrem Wesen nach in einem universalkirchlichen Bezug, der ihr unveräußerlich zugehört. Luther und Melanchthon lehren keinen Kongregationalismus der Isolation, wonach jede Gottesdienstgemeinde atomistisch für sich und losgelöst von allen anderen existieren könnte. Es gilt vielmehr die Devise: ecclesia est communio ecclesiarum, die Kirche ist eine Gemeinschaft von Kirchen, eine Kirchengemeinschaft, die alle Grenzen des Raumes und alle Schranken der Zeit transzendiert. Kirche ist immer Kirche vor Ort, aber keine lokal beschränkte Größe, Kirche ist als Kirche fürs Volk immer Volkskirche, aber niemals eine völkische Kirche, für die ethnische Kriterien bestimmend sind. Nein, die Kirche Jesu Christi umfasst alle Völker und Nationen und vereint sie in sich,

sie ist international, global, ökumenisch, denn das Wort „ökumenisch“ meint seiner Ursprungsbedeutung gemäß „den ganzen bewohnten Erdkreis umfassend“. Volkszugehörigkeit darf niemals zur Bedingung möglicher Kirchenzugehörigkeit erklärt werden. Es gibt keine englische, französische, italienische oder deutsche Kirche, sondern stets nur eine Kirche in England, Frankreich, Italien, Deutschland oder sonstwo. Deutschland und selbst Bayern sind in ekklesiologischer Hinsicht zweitrangige Ordnungsgrößen von lediglich pragmatischer Bedeutung. Dies gilt bei allem Respekt vor VELKD, EKD und vor unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Auch die Grenzen des Geschlechts, der Lebensalter, der Berufsstände, ja auch der Bildung werden in der Kirche Jesu Christi transzendiert. Wir befinden uns in einem Universitätsgottesdienst, der von Mitgliedern der Universität geleitet und mitgestaltet wird. Aber es wäre wider das Wesen der Kirche, wenn er nur für Akademiker offen und nur an deren spezifischen Interessen orientiert wäre. Wie die Kirche Jesu Christi alle lokalen Grenzen übersteigt, so übersteigt sie auch alle zeitlichen Schranken. Die Kirchen der Reformation nehmen, um ein Beispiel zu geben, ihrem Selbstverständnis zufolge ihren Anfang nicht etwa im 16. Jahrhundert, sondern wissen sich mit den apostolischen Ursprüngen der Christenheit elementar verbunden und in einem kontinuierlichen Zusammenhang mit der Geschichte der Kirche und darüber hinaus mit der Geschichte des Volkes Israel, ja der Menschheit von Anbeginn der Zeit. Ohne Bewusstsein von Vergangenheit kann es keine kirchliche Geistesgegenwart geben. Dies ist der ekklesiologische Grund für die Notwendigkeit, sich theologisch mit der Geschichte der Kirche und ihrer Dogmen, mit den kanonischen Glaubensurkunden des Alten und des Neuen Testaments sowie mit den Inhalten der Menschheitsreligionen und des philosophischen Denkens zu beschäftigen. Zum Wesen der Kirche gehört Traditionsbewusstsein und Herkunftsbindung. Zum Wesen der Kirche gehört aber ebenso Zukunftsoffenheit. „Nach mir die Sintflut“ kann ebensowenig kirchliche Devise sein wie der leichtfertige Satz: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“ Kirche hängt am Alten, aber sie ist zugleich aufgeschlossen für Neues, weil in ihrer Gegenwart Vergangenheit und Zukunft keine absoluten Gegensätze darstellen. Selbst der Tod muss ein Beispiel hierfür geben. Zwar ist die Grenze sorgsam zu achten, die durch ihn gesetzt ist. Okkultismus hat in der Kirche keinen Platz, und vor spiritistischem Spuk und Schlimmerem ist das Kreuz zu schlagen, um den Ungeist der Verwesung und des teuflischen Unwesens für immer zu bannen. Wir sollen die Verstorbenen dahinfahren, ruhen lassen und nicht krampfhaft festzuhalten versuchen. Aber wir dürfen und können dies tun in der Gewissheit, dass sie bei Gott ewig leben und so auf ihre Weise an der communio sanctorum, der kirchlichen Gemeinschaft der Heiligen teilhaben, die mit allen irdischen Schranken auch diejenige hinter sich lässt, die durch den Tod gesetzt ist. Kirche ist Gottesdienstgemeinschaft. Wie gesagt: Jede Gottesdienstgemeinschaft ist ganz, aber nicht die ganze Kirche, weil jede Ortskirche mit der Universalkirche unveräußerlich verbunden ist. Kirche ist die universale Gemeinschaft lokaler Kirchen, die in der Einigkeit des Glaubens an Jesus Christus verbunden sind. In diesem Sinne bekennen wir uns zur una, sancta, catholica et apostolica ecclesia, zur einen, heiligen, katholischen, will heißen: allumfassend-allgemeinen und apostolischen Kirche. Apostolizität, Katholizität, Heiligkeit und Einheit sind die sog. Wesensattribute, die theologischen Eigenschaften der Kirche. Apostolisch heißt die Kirche, weil ihrer Ver-

kündigung durch das Ursprungszeugnis der Apostel der Weg gewiesen ist. Die Apostel waren Erstzeugen des auferstandenen Gekreuzigten mit einer speziellen Berufung zur öffentlichen Verkündigung des Osterevangeliums. Darin sind sie Urbilder des kirchlichen Amtes, wie es Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Trägern des bischöflichen Aufsichtsamtes aufgegeben ist. Diese sind in der Nachfolge der Apostel dazu berufen, publice docere, wie es im XIV. Artikel der Confessio Augustana heißt, also öffentlich zu lehren, d. h. zu predigen und die Sakramente im Auftrag der Gesamtkirche zu verwalten. Ohne diesen Dienst kann Kirche nicht angemessen existieren. Doch sind es nicht die Amtspersonen als solche oder gar ihre je persönliche Individualität, auf die es wesentlich ankommt. Entscheidend ist der Inhalt ihrer Botschaft. Jede Gestalt kirchlichen Amtes hat sich am Gehalt des Dienstes zu bemessen, welcher der Kirche aufgetragen ist. Bedarf es eines biblischen Beweises für diese Annahme, dann ist er mit dem antiochenischen Konflikt zwischen den Aposteln Petrus und Paulus gegeben. Als Petrus die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen in Antiochien am Orontes aufkündigte und damit der Freiheit, die das Evangelium eröffnete, zuwiderhandelte, da widerstand ihm Paulus, wie es im 2. Kapitel des Galaterbriefes heißt, ins Angesicht. Nicht der Apostel entscheidet über die Apostolizität des Evangeliums, sondern die Wahrheit des Evangelium entscheidet über die Apostolizität des Apostels. Die evangelische Kirche hat daher stets lehrmäßige Bedenken gehabt, Einzelne oder Personengruppen religiös zu überhöhen. Nicht dass kirchliche Amtsträger keinen Anspruch auf Respekt und Achtung hätten, der ihrem Dienst in der Gemeinde gebührt; aber ihre Autorität ist nicht sakrosankt, sondern offen für sachgemäße, am Evangelium orientierte konstruktive Kritik. Mit der gesamten Christenheit auf Erden bekennt sich die evangelische Kirche nicht nur zur Apostolizität, sondern auch zur Katholitzität als einem kirchlichen Wesensattribut. Es wurde bereits angedeutet, dass katholisch ein Lehnwort aus dem Griechischen ist und ursprünglich allumfassend bedeutet. Katholisch ist nicht in erster Linie Bezeichnung einer Konfession im Sinne einer kirchlichen Denomination. Entsprechendes gilt für die Begriffe evangelisch und orthodox. Wie Katholiken und Orthodoxe beanspruchen, evangelisch, nämlich am Evangelium orientiert zu sein, so wollen Evangelische, wenn sie sich recht verstehen, selbstverständlich nicht nur orthodox, nämlich rechtgläubig, sondern auch katholisch sein. Der ekklesiologische Begriff der Katholizität darf nicht auf den römischen Katholizismus beschränkt werden. Denn die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche ist nach evangelischer Auffassung überall dort gegeben, wo das Evangelium recht verkündet und die Sakramente stiftungsgemäß verwaltet werden. Für die Einheit der Kirche und die Gemeinschaft der christlichen Gemeinden untereinander ist es daher nach dem eingangs zitierten VII. Artikel der Confessio Augustana genug, wenn Konsens und Einverständnis im Blick auf rechte Wortverkündigung und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung bestehen. Nicht nötig für Kirchengemeinschaft ist dagegen Übereinstimmung in menschlichen Sitten und Gebräuchen oder darin, „dass allenthalben gleichförmige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden, wie Paulus spricht zun Ephesern am 4.: ‚Ein Leib, ein Geist, wie ihr berufen seid zu einerlei Hoffnung eines Berufs, ein Herr, ein Glaub, ein Tauf’.“ (BSLK 61,14ff.) Was im 4. und 5. Vers des 4. Kapitels des Epheserbriefes zu lesen steht, sagt der Apostel vergleichbar in unserem Predigttext 1. Korinther 3,9-17. Die Christengemeinde im griechischen Korinth hat der Apostel wahrscheinlich während seiner sog. zweiten Missionsreise (vgl. Apg 18,1-18) Anfang der 50er Jahre des 1. nachchristli-

chen Jahrhunderts gegründet. Nach seinem Weggang blieb er mit der Gemeinde in Verbindung und in brieflichem Verkehr. Den sog. 1. Korintherbrief hat der Apostel wohl zwischen 53 und 55 in im kleinasiatischen Ephesus geschrieben. Einen Anlass hierfür bildeten Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde, die Paulus zu Gehör kamen. Es waren Parolen im Umlauf wie „Ich gehöre zu Paulus“, „Ich zu Petrus“, „Ich zu Apollos“ (vgl. 1. Kor 1,12). Apollos war vermutlich ein gelehrter alexandrinischjudenchristlicher Missionar. Wie auch immer: Der Gemeinde der Hafenstadt Korinth gehörten Menschen von sehr verschiedener Mentalität und soziokulturell-religiöser Herkunft an, und auch die Prägung, welche sie in ihren christlichen Anfängen erfahren hatten, waren offenbar recht divergent. So kam es zu Spaltungen. Paulus nimmt die Gegensätze zum Anlass, sich, wie es im Briefkopf heißt, „an die Kirche Gottes in Korinth“ zu wenden, also an die Gemeinschaft derjenigen, „die in Christus Jesus geheiligt, zu Heiligen berufen sind“. Später hat man hinzugefügt: „Und mit ihnen zusammen an alle, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, wo auch immer sie versammelt sein mögen, bei ihnen oder bei uns“ (1. Kor 1,2). Ziel des Apostels ist es, die gemeindlichen Spaltungen dadurch zu beheben, dass eindringlich an das Fundament der Kirche und an die Basis ihrer Einheit erinnert wird. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1. Kor 3,11). Die Arbeiter der Baustelle Kirche sind viele. Auch die Baumeister wechseln. Jeder ist dazu bestimmt, am kirchlichen Aufbau je auf seine Weise mitzuarbeiten. Doch kann dies sinnvoll nur geschehen, wenn auf das tragende Fundament aufgebaut wird. Sonst ist der ganze Bau grund- und bodenlos, in den Sand gesetzt, um auf kurz oder lang in sich zusammenzustürzen wie der Turm zu Babel. An Jesus Christus entscheidet es sich, ob der Bau der Kirche steht oder fällt. Er ist Fundament, Eck- und Schlussstein der christlichen Gemeinde. Auf das beständige Vertrauen auf ihn kommt alles an, und ohne ihn ist alle kirchliche Mühe und Arbeit umsonst. Nicht dass christliche Werke überflüssig wären: Der Apostel unterscheidet ausdrücklich, ob „jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Streu weiterbaut“ (1. Kor 3,12). Am letzten Ende wird all dies offenbar und der Feuerprüfung unterzogen werden. Das eine wird standhalten, das andere niederbrennen, das eine Lohn einbringen, das andere Verlust. Der Apostel wusste, dass auch in der Kirche Jesu Christi nicht alles Gold ist, was glänzt, dass viel Mist gebaut und allerlei Tand aufgerichtet wird, der keinen Bestand hat. Er wusste aber auch und vor allem, dass all dies ein vergleichbar Geringes ist, solange das Fundament und die Basis des Ganzen unangetastet bleibt: der Grund, der gelegt ist, Jesus Christus. Wer auf diesen Grund baut, der wird gerettet, auch wenn er wenig bis nichts zustande bringt und nach Gesichtspunkten menschlicher Bauaufsicht eigentlich vom kirchlichen Arbeitsplatz entfernt werden müsste. „Der Grund, da ich mich gründe, / ist Christus und sein Blut“ (EG 351,3). Wo dies im Glauben und in der Gemeinschaft der Glaubenden bekannt wird, da steht der Bau der Kirche im Wesentlichen fest, auch wenn noch dies und jenes zu tun bleibt. Dann kann wie bei Paulus die Gemeinde selbst mit dem Tempel Gottes verglichen werden, in dem der Hl. Geist wohnt: „Gottes Tempel ist heilig - und der seid ihr.“ (1. Kor 3,17b) Die Glieder der christlichen Kirche wirken nicht nur äußerlich am Bau der Kirche mit; sie sind vielmehr dazu bestimmt, als kirchliche Gemeinschaft selbst der Tempel Gottes, die Wirkstätte des Hl. Geistes und der Leib zu sein, dessen Haupt Jesus Christus ist.

Religion, so lässt sich in thetischer Kürze formulieren, ist ihrem formalen Begriff nach die Beziehung zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt. Für das Christentum hat sich dieser Grund, den die Religionen, wenn auch nicht ausnahmslos, Gott zu nennen pflegen, in Jesus Christus erschlossen. Er ist der Offenbarer Gottes, der gottmenschliche Sohn, in dem der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden in der Kraft seines Heiligen Geistes als Vater manifest ist, der seine dem Übel und der Sünde verfallenen Kreaturen versöhnen und erlösen sowie der ewigen Vollendung in seinem Reich zuführen will. So bekennt es das Dogma der Alten Kirche, wie es im nizäno-konstantinopolitanischen Symbol klassischen Ausdruck gefunden hat. In Jesus Christus, der göttliche und menschliche Natur ungetrennt und unvermischt in seiner Person vereinigt, ist der dreieinige Gott als Schöpfer, Versöhner und Vollender von Menschheit und Welt offenbar und zwar dergestalt, dass im Geiste allen Menschen, die an Jesus Christus glauben, lebendiger Anteil gegeben wird an der Offenbarungswirklichkeit und an der Beziehung des gottmenschlichen Sohnes zu seinem himmlischen Vater. Im Glauben bleibt uns das Offenbarungsgeschehen nicht äußerlich, wir werden kraft des Geistes vielmehr von Innen her in es hineingezogen und gewahr, dass es dabei wahrhaft um den Grund unserer selbst und unserer Welt geht. Wenn uns Jesus Christus im Glauben vorstellig wird, um sich durch den Geist von sich aus in uns einzubilden, dann weichen die Trugbilder einer fehlgeleiteten Phantasie und uns geht als erstes auf, was wahrhaft Schöpfung ist und wahres Geschöpf. Die im Lichte Osterns, also geistvoll betrachtete Geschichte des irdischen Jesus bringt zur Einsicht, was es heißt, ein menschliches Gotteskind zu sein und Gott, den allmächtigen Herrn aller Dinge, zum Vater zu haben. Was Jesu Geschichte so erleuchtend und einleuchtend vorstellig macht, ist unser aller kreatürliche Bestimmung: Kinder zu sein unseres himmlischen Vaters, der uns erschaffen hat und erhält und an dessen Hand wir uns geborgen fühlen können, auch wenn wir den Weg, den er uns führt, nicht vorhersehen, ermessen oder abschätzen können. Jesus Christus ist als der inkarnierte Logos Urbild und personaler Inbegriff unser aller kreatürlicher Bestimmung. Sein Leben und insbesondere sein Sterben zeigt aber zugleich, dass wir diese Bestimmung immer schon gründlich verfehlt haben und zwar alle. Im Kreuzestod Jesu Christi sind der Fall der Sünde und jene Urschuld des Menschengeschlechts und jedes einzelnen Menschen offenbar geworden, aus der alle einzelnen sündigen Verschuldungen hervorgehen. Statt ein gottunterschiedenes Menschengeschöpf unter Geschöpfen in einer gemeinsam gegebenen Welt zu sein, will der Mensch aus seinem Unglauben an die Väterlichkeit des Schöpfers heraus sein wie Gott, womit alles von Grund auf und in abgründiger Weise verkehrt wird. An der Kreuzigung Jesu Christi als des inkarnierten Logos und wahren Geschöpfs wird dies und ebenso die Tatsache manifest, dass der Sünder dem gerechten Wesen Gottes zuwider ist. Genau dies besagt die Rede vom Zorn Gottes. Der Gotteszorn wirkt sich in besonderer Weise an Jesus Christus selbst aus, sofern dieser, wie sein Gang ans Kreuz belegt, Sohn Gottes nicht sein wollte ohne die verlorenen Söhne und Töchter des Menschengeschlechts, zu denen er sich geschwisterlich und wie ein Bruder verhielt. Die traditionellen Theorien vom Strafleiden Jesu Christi oder vom Sühnecharakter seines Leidens und Sterbens haben hier ihren theologischen Ort. Sie sind nicht erst in der Gegenwart in Misskredit geraten. Doch wird man mit dem theologischen Gedanken der Gerechtigkeit Gottes nicht leichtfertig umgehen dürfen, um die Differenz von gut und böse nicht zu egalisieren und am En-

de alles für gleichgültig zu erklären. Ist Jesu Christi Zuwendung zu den gottlosen und gottwidrigen Sündern gerecht gewesen, oder hat sie ihn nicht zurecht ans Kreuz gebracht? Man kommt aus Gerechtigkeitsgründen nicht umhin, mit Pharisäern und Schriftgelehrten Fragen dieser Art zu stellen, die auch und gerade dann ihr Recht behalten, wenn man sich selbst ganz auf die Seite der Gottlosen und Gottwidrigen gestellt sieht, wie das bei konsequenter Konfrontation mit den Geboten Gottes der Fall ist. Auch unter der Voraussetzung gegebener Allgemeinheit der Sünde des Menschen fällt die Differenz zwischen Gut und Böse nicht dahin, sondern behält ihr theologisches, in Gott selbst begründetes Recht. In dieser Wahrnehmung liegt der tiefe Ernst der Rede vom Strafleiden Jesu Christi und vom Sühnecharakter seines Todes begründet, der christlich unaufhebbar ist, auch wenn die traditionellen dogmatischen Deutungsgestalten des Todes Jesu reinterpretiert werden müssen. Im Kreuz Jesu Christi sind die Sünde und Gottes Gericht über sie offenbar. Kein Wort vom Kreuz jedoch, jedenfalls kein christliches, evangelisches, heilsames ohne Ostern. Ostern ist das Urdatum des Christentums, die Verkündigung der göttlichen Auferweckung und Auferstehung des Gekreuzigten der Zentralgehalt des Evangeliums. Denn in den Erscheinungen des auferstandenen Gekreuzigten ist offenbar geworden, dass Gott den hingerichteten Sünderfreund nicht dem Grabe und der Verwesung überlassen, sondern zu seiner Rechten erhöht und verewigt hat in sich selbst. Dieser göttliche Akt ist nicht lediglich eine äußere Bestätigung, sondern ein Ausdruck dafür, dass Gott selbst an der Passion seines Sohnes innigsten väterlichen Anteil nimmt. Nemo contra Deum nisi Deus ipse; niemand kann etwas gegen Gott ausrichten, es sei denn Gott selbst. Am Kreuz ist der alles entscheidende Streit zwischen göttlicher Gerechtigkeit und göttlicher Vaterliebe ausgetragen worden, dessen Lösung alles menschliche Begreifen übersteigt. In einer erlösenden Weise behoben ist der Gegensatz von Gerechtigkeit und Liebe allein im Namen Jesu Christi und zwar dergestalt, dass jeder verlorene Sohn und jede verlorene Tochter, die dem göttlichen Menschensohn glauben, aus unbedingter Gnadenliebe heraus Anteil gewinnt am ewigen Leben des gerechten Gottes. Die Zusage der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben ist der Inbegriff des Osterevangeliums, das der auferstandene Gekreuzigte in Person ist. Als derjenige, in dem die Versöhnung Gottes und des Menschen ursprünglich begründet und dauerhaft fundiert ist, wird Jesus Christus zuletzt auch Erlösung von allem Übel bereiten und die Gemeinschaft der Glaubenden der himmlischen Vollendung zuführen. In diesem Sinne erwartet der Glaube, der sich zwischenzeitlich in Liebe, aber auch in Geduld üben wird, hoffnungsvoll die Wiederkehr Jesu Christi als die Zukunft des Gekommenen. Dann wird Gott alles in allem sein, aber um Jesu Christi willen und kraft des Heiligen Geistes nicht ohne uns, sondern mit uns, ja durch uns, die wir untereinander eine ewige Gemeinschaft bilden werden, in der es keine Langeweile geben wird, weil für unendlichen Anschauungs- und Gesprächsstoff dort gesorgt ist, wo die Verschiedenen als Verschiedene in Gott ewig eins sein werden. Dass ein Abglanz dieser himmlischen Herrlichkeit in unserer Kirche und in unseren durch vielerlei Spaltungen getrennten Kirchen heute schon zum Vorschein komme, ist unsere Bitte an Gott, die im Vorfeld des Münchener Ökumenischen Kirchentags von besonderer Dringlichkeit sein muss. Gott möge in der Kraft seines Heiligen Geis-

tes bald herbeiführen, „dass unter einem Hirten eine Herde / aus allen werde“ (EG 221,3). Amen.

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6. Dezember 2009, 11.30 Uhr Prof. Dr. Christoph Levin