Basil Bernsteins Soziologie des Unterrichts

Basil Bernsteins Soziologie des Unterrichts Folgende Problemstellungen: - Wie transformieren sich MakroVerhältnisse der Gesellschaft auf die MikroEbe...
Author: Jens Maier
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Basil Bernsteins Soziologie des Unterrichts

Folgende Problemstellungen: - Wie transformieren sich MakroVerhältnisse der Gesellschaft auf die MikroEbene (des Unterrichts, der familiären Sozialisation, …? - oder: Wie reproduziert sich soziale und kulturelle Ungleichheit? - Wie funktionieren die Prozesse, die dafür sorgen, dass sich Gesellschaften relativ stabil reproduzieren? = dass sich Ungleichheit reproduziert?

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BB nennt diese Mechanismen der kulturellen Reproduktion Pädagogik; genauer: In der Pädagogik sind diese Mechanismen als unbewusst ablaufende Prozesse eingebaut:

Konzept 1: die Codes oder pädagogischen Codes Konzept 2: pedagogic device oder pädagogisches Dispositiv. Die Codes bewirken, dass im Prozess der Aneignung von Wissen unterschiedliche soziale Positionierungen (re)produziert werden. Das päd. Dispositiv ist die „Übersetzungsmaschine“, mit der Macht- und Klassenverhältnisse in pädagogische Unterrichtsverhältnisse übersetzt werden.

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Was ist ein Code? Eine „Geheimbotschaft“, ein Schlüssel oder bestimmte Regeln, über die ich verfügen muss, um die „richtige“ Botschaft entschlüsseln zu können. Ohne Code gibt es „Missverständnisse“. Die Codes bewirken, dass sich die Aneigner im Prozess der Aneignung unterschiedlich positionieren.

Definition nach Bernstein: Der Code ist ein stillschweigend angeeignetes regulatives Prinzip, das - die relevanten Bedeutungen, - die Form ihrer Realisierung und - den sie erzeugenden Kontext selektiert und integriert. Soziologie des Unterrichts

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O Code = ––––––––––––– (+-)K (+-)R

Der Code sorgt für die Orientierung – damit ich die richtigen Bedeutungen, den richtigen Sinn abrufe. Die zwei Prinzipien, die den Code bilden: Klassifikation

und

Rahmung

sorgt für /korrespondiert mit Erkennungsregeln

Realisierungsregeln

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Das pädagogische Dispositiv

Makro

Dispositiv

Verteilungs-Regeln

Meso

Diskurs: Schultypen, Curricula

Rekontextualisierungs-R.

Mikro

Praxis

ID -----RD Evaluations-Regeln

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O Code = -------KR 6

Instruktions-Diskurs (inhaltliche Ordnung) ID Pädagogischer Diskurs = ------------------------------------------------------------------Regulations-Diskurs (soziale Ordnung) RD Bei Dominanz der sozialen Ordnung (Beispiel: Literatur und Kunst in verschiedenen Schultypen)

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Der Code sorgt für die Orientierung – damit ich die richtigen Bedeutungen, den richtigen Sinn abrufe. Die zwei Prinzipien, die den Code bilden: Klassifikation

und

Rahmung

sorgt für /korrespondiert mit Erkennungsregeln

Realisierungsregeln

Klassifikation (K) übermittelt die Diskurs-Grenzen. Wo hört der Diskurs auf? Wo beginnt ein anderer. Ruft beim Aneigner „Erkennungsregeln“ ab. Rahmung (R) übermittelt die die Regeln des Diskurses. Was ist eine legitime Praxis oder Botschaft. Ruft beim Aneigner „Realisierungsregeln“ ab. (genauer: s. Grafik)

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Code besteht aus Klassifikation und Rahmung; darin „eingebettet“ die Orientation to Meaning. Und die ist ungleich verteilt. elaborierte Orientierung – dekontextualisierte Sprache, universelle Bedeutungen restringierte Orientierung – kontextgebundene Sprache, partikuläre Bedeutungen

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Restringierter Code

Elaborierter Code

(working class)

(middle class)

vorhersagbar

wenig/nicht vorhersagbar

instrumentelle Haltung

„theoretische Haltung“

deskriptive Begriffe

abstrakte Begriffe

implizite Bedeutungen

explizite Bedeutungen

situations-spezifisch

situations-unspezifisch

partikulare Orientierung

universelle Orientierung

kontextgebundene Sprache

dekontextualisierte Sprache (Bildungssprache)

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Beispiel 1: Kinder bekommen 4 Bilder (Jungen beim Fußball Spielen) vorgelegt: „Erzähle die Geschichte!“

1.

„Drei Jungen spielen Fußball und ein Junge schießt den Ball und er fliegt durch das Fenster der Ball zertrümmert die Fensterscheibe und die Jungen schauen zu und ein Mann kommt heraus und schimpft mit ihnen weil sie die Scheibe zerbrochen haben also rennen sie fort und dann schaut diese Dame aus ihrem Fenster und sie schimpft hinter den Jungen her.“

2.

„Sie spielen Fußball und er schießt ihn und er fliegt rein dort zertrümmert er die Scheibe und sie schauen zu und er kommt raus und schimpft mit ihnen weil sie sie zerbrochen haben deshalb rennen sie weg und dann sieht sie raus und sie schimpft hinter ihnen her.“

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1. Elaborierter Code: „Drei Jungen spielen Fußball und ein Junge schießt den Ball und er fliegt durch das Fenster der Ball zertrümmert die Fensterscheibe und die Jungen schauen zu und ein Mann kommt heraus und schimpft mit ihnen weil sie die Scheibe zerbrochen haben also rennen sie fort und dann schaut diese Dame aus ihrem Fenster und sie schimpft hinter den Jungen her.“ 2. Restringierter Code: „Sie spielen Fußball und er schießt ihn und er fliegt rein dort zertrümmert er die Scheibe und sie schauen zu und er kommt raus und schimpft mit ihnen weil sie sie zerbrochen haben deshalb rennen sie weg und dann sieht sie raus und sie schimpft hinter ihnen her.“ (a.a.O., S.284) Dekontextualisiert – elaboriert – macht die Zusammenhänge explizit Kontextgebunden – implizit – lässt die Zusammenhänge implizit, soweit sie auf den Bildern erkennbar sind Soziologie des Unterrichts

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Klassifikation und Rahmung dieses Beispiels???

K: Welchem Kontext wird die Aufgabe zugeordnet? R: Welche kommunikative Steuerung? 1. Werden die Kriterien explizit gemacht? (KR?) 2. Wie ist die Hierarchie kommuniziert? (HR?)

ad 1. „Erzähle die Geschichte!“ ad 2. lockeres gespräch zwischen Versuchsleiter und Kind

Kind mit working class-background greift auf Alltagserfahrung zurück. Kind mit middle class-background erkennt den „schulischen Code“ („Sprich in ganzen Sätzen“) Soziologie des Unterrichts

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Bsp. 2: Lebensmittel sortieren (vgl. Sertl 2012) Achtjährigen Kindern, wiederum klar der Mittelschicht und der Arbeiterschicht zuordenbar, wurden insgesamt 24 Bildkarten mit unterschiedlichen Nahrungsmitteln vorgelegt. Nachdem sich der/die Versuchsleiter/in versichert hatte, dass alle Nahrungsmittel erkannt wurden, wurde folgende Aufforderung an das jeweilige Kind gerichtet: „Glaubst du, du könntest diese hier nach Gruppen zusammenlegen? Mach es wie du willst. Lege einfach die zusammen, die zusammenpassen könnten. Du brauchst nicht alle benutzen, wenn du nicht willst.“ Als Ergebnis stellt Bernstein zwei grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen fest: Die erste Herangehensweise nimmt Bezug auf den realen Lebenskontext bzw. auf den Alltag der Kinder. Die Kinder formulieren Texte wie: „Das gibt’s bei uns zum Frühstück; haben wir am Sonntag gegessen; das koche ich für Mami; das mag ich nicht, ..“ Die zweite Herangehensweise nimmt Bezug auf gemeinsame Merkmale der Nahrungsmittel. Mögliche Antworten sind dann: Das ist Gemüse, das kommt aus dem Meer, o. ä. Dabei zeigte sich, dass sich Arbeiterschichtkinder eher für die erste Herangehensweise entschieden und Mittelschichtkinder eher für die zweite Herangehensweise. Soziologie des Unterrichts

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elaboriert – indirekte Beziehung zur materiellen Welt restringiert – direkte Beziehung zur materiellen Welt

Nach der ersten Erledigung der Aufgabe wurden die Kinder gebeten, eine weitere Ordnung zu überlegen: Vielleicht könne man die Bilder auch anders ordnen. Diesmal verwendete auch ein signifikanter Anteil der Mittelschichtkinder die erste („lokale“) Herangehensweise. Die Arbeiterschichtkinder blieben im Wesentlichen bei der ersten Herangehensweise. Immerhin ein Drittel der Arbeiterschichtkinder wechselte auf die zweite („universale“) Herangehensweise (vgl. CCC4, S. 19). „Prioritätsregel“ der MS-Kinder Wie sehen (Klassifikation und) Rahmung aus? Soziologie des Unterrichts

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Beispiel 3: Das Tennis-Beispiel (Cooper/Dunne 2000) Kontext erläutern: 6. Klasse, nationale Tests usw. Die Klasse von David und Gita organisiert ein Mixed-Doppel-Tennis-Turnier. Dafür müssen Buben und Mädchen paarweise gewählt werden. Sie geben die Buben-Namen in den einen Sack und die Mädchen-Namen in den anderen.

Finde alle möglichen Paare, die mit den Buben und Mädchen gebildet werden können. Schreib die Paare auf. Ein Paar ist schon notiert. Rob und Katy __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ __________________________________________________________________

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Neues Konzept der Klassifikation:

•Kl. der Unterrichtsinhalte: Der Text der Aufgabenstellung hat keinerlei Bezug zur Mathematik. •Kl. der sprachlichen Mittel Die sprachlichen Mittel sind alle der Alltagssprache entnommen. •Kl. der „Praxeologie“ (oder des fachlichen Gehalts) Es gibt nur unklare Hinweise auf eine Operation im Sinne der Kombinatorik – Die Säckchen u.U. können als Mengen-Symbole gelesen werden.

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Die Lösungen von Diane (MS) und Mike (AS)

Finde alle möglichen Paare, die mit den Buben und Mädchen gebildet werden können. Schreib die Paare auf. Ein Paar ist schon notiert. Rob und Katy

Die Lösungen von Diane:

Die Lösungen von Mike: 1. Lösung: 2. Lösung:

Rob and Katy Rob and Ann Rob and Gita David and Ann David and Katy “ and Gita Rashid and Ann “ and Katy “ and Gita

Rob and Katy David and Gita Rashid and Ann

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David + Ann Rashid + Katy Rob + Gita David + Gita Rashid + Ann Rob + Katy David + Katy Rashid + Gita Rob + Ann 19

Tabelle 1: Ergebnisse der Tests und der Interviews (Cooper/Dunne, Tab. 6.6, 6.7, S.108)

Ergebnis Test

Ergebnis Interview

n

Service Class

0,59

0,83

59 (47,9 %)

Intermediate Class

0,47

0,80

30 (24,4 %)

Working Class

0,39

0,64

33 (26,8 %)

gesamt

0,50

0,77

Leseanleitung: Für die Aufgabe werden bei richtiger Lösung 1,00 Punkte gegeben. Ein Wert von 0,50 bedeutet also, dass 50 Prozent dieser Gruppe die Aufgabe richtig gelöst haben.

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Tabelle 2: Lösungsstrategien in den Interviews (in Prozent; Cooper/Dunne, Tab. 6.8, S.110)

„esoterisch“ „gemischt“

„realistisch“

Service Class 79,7

6,8

13,6

Intermediate Class

66,7

6,7

26,7

Working Class

45,2

16,1

38,7

gesamt

67,5

9,2

23,3

Zusammenfassung: Unterricht orientiert auf („esoterische“) Fachinhalte. Unterrichtsformen, die das nicht explizit machen, benachteiligen Kinder aus nicht-privilegierten Milieus. Soziologie des Unterrichts

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