Nr. 55 | Juni 2010

Bahn fahren in Italien Ein Blick auf den südlichen Nachbarn Trends im UKV Sattelanhänger statt Wechselbehälter Fachleute in der Luft Ausbildung von BAV-Mitarbeitenden im ­Seilbahnbereich

Nr. 55 | Editorial

Interview Roberto Castelli: «Wir können nicht alle Probleme ­gleichzeitig lösen»

4

Aktuell Italien: Hochgeschwindigkeit gibt den Ton an

8

Reportage In der Rolle eines Rettungsspezialisten

12

Aktuell Mit dem öV unterwegs bis 100

16

Hintergrund «Jeder Unfall ist einer zu viel!»

18

BAV-News

22

Portrait Wir über uns

23

Titelbild Eine «Freccia Rossa» ETR 500 in neuer Lackierung in Roma Termini.

«Die Herausforderungen sind gross»

Impressum Herausgeber Bundesamt für Verkehr CH-3003 Bern www.bav.admin.ch Redaktion Olivia Ebinger Sektion Information und Informatik 031 323 89 92 Konzept und Realisation Satzart AG, Bern Übersetzungen BAV-Sprachdienste Bestellungen für kostenlose Abonnemente Bundesamt für Verkehr www.bav.admin.ch Vertrieb und Einzelnummern BBL, Verkauf Bundespublikationen, CH-3003 Bern www.bundespublikationen.admin.ch Bestellnummer: 802.000.55/d ­(Gratisabgabe) Bilder Andreas Mack (S. 1, 6), Béatrice Devènes (S. 2, 12, 13, 23), SVEA (S. 3), BAV (S. 3, 16, 22), Sandro Mahler (S. 4, 5), Gerhard Lob (S. 7), FS Italia (S. 8), Herbert Graf (S. 9, 21), ÖBB (S. 9), Autorità Portuale di ­Genova (S. 10, 11), Hupac (S. 14, 15), Fliegl (S. 15), SBB (S. 18, 19), ­Bundespolizeiinspektion Düsseldorf (S. 19), Deutsches Museum (S. 21) Druck UD Print AG, Luzern gedruckt auf chlorfrei gebleichtes, holzfreies Papier Auflage 11 000 Exemplare (Deutsch, Französisch) © BAV 2010

2

«Wir stehen im Zentrum des besten öffentlichen Verkehrsnetzes.» Dieser Satz steht zu Beginn einer Broschüre über das Bundesamt für Verkehr – und so soll es auch bleiben. Dieser Satz beinhaltet zwei wichtige Aussagen: Die Schweiz hat das beste öffentliche Verkehrsnetz. Es ist das Ziel, dieses System nachhaltig zu gestalten und weiter zu verbessern. Die Herausforderungen sind gross und drehen sich derzeit vor allem um die Finanzierbarkeit des Systems. In erster Priorität sind der sichere Betrieb und der nachhaltige Unterhalt des bestehenden Angebotes zu ge­ währleisten. Gestützt darauf muss das Angebot ausgebaut werden, um die zusätzliche Nachfrage zu bewältigen. Zweitens ist die Effizienz der Leistungserbringer – sei es bei den Bahnen oder bei der Zulieferindustrie – ständig zu verbessern. Und schliesslich muss die Frage beantwortet werden, in welchem Ausmass die Benutzer und Benutzerinnen auf der einen und die Steuerzahlenden auf der anderen Seite für die Kosten dieses welt­ besten Systems aufkommen. Grundtenor muss sein, dass der wachsende und erfolgreiche öffentliche Verkehr seine Wirtschaftlichkeit kontinuierlich verbessert.

Wenn das Bundesamt für Verkehr im Zentrum stehen will, ist dies eine hohe Herausforderung. Als Direktor des Amtes werde ich mein Handeln auf fünf Werte ausrichten. Dem Amt stehen gemäss gesetzlichem Auftrag jährlich rund 4,6 Milliarden Franken zur Verfügung. Mit diesem Geld ist die grösstmögliche Wirkung für den öffentlichen Verkehr zu erzielen. Alle Ansprechpartner des Amtes dürfen erwarten, dass wir unsere Tätigkeit effizient ausüben, die gleiche Effi­ zienz erwarten wir von den Leistungserbringern im öffentlichen Verkehr. Als Bundesamt sind wir der Offenheit verpflichtet: Wir sagen, was wir tun, und wir machen, was wir sagen. Auf die Zuverlässigkeit unseres Handelns können sich alle Partner verlassen. Und schliesslich lässt sich ein komplexes System wie das öffentliche Verkehrsnetz der Schweiz nur mit Vertrauen führen. Wenn alle in ihrer Rolle eine optimale Leistung erbringen, können wir weiterhin auf das beste öffentliche Verkehrsnetz stolz sein. Ich freue mich auf meine Aufgabe. Peter Füglistaler  Direktor

HintErGrund

ickrück l Bu

Ein

z

Schweizer Güterwagen von damals

KurZ notiErt das Buch «Schweizer Güterwagen von damals» kann bestellt werden beim SVEAShop: Frau M. rutschi, Blankweg 4A, 3072 ostermundigen, oder online: www.eisenbahn-amateur.ch

Schweizer Güterwagen von damals

Davide Demicheli

tabellen zur internationalen Kennzeichnung der Güterwagen, eine uiC-umzeichnungsliste von 1966, zahlreiche typenskizzen im (für Modellbauer wichtigen) Massstab 1:87 sowie durch die Präsentation der Vereinigung «Association 10264» sowie der «Historischen Eisenbahn Gesellschaft», die sich beide für den Erhalt historischen rollmaterials einsetzen. Herausgeber des Buches ist der Schweizerische Verband Eisenbahn-Amateur (SVEA). Es ist eine Erweiterung einer Artikelreihe über ältere Schweizer Güterwagen, die davide demicheli im Magazin «Eisenbahn Amateur» zwischen 1996 und 1997 publiziert hatte. «davide demicheli hat uns damit ein Standardwerk hinterlassen», schreibt SVEAPräsident rudolf Steinmann in einem nachruf zum tode davide demichelis.

Schweizer Güterwagen von damals / Les wagons suisses d’antan

das Buch von davide demicheli in Zusammenarbeit mit Marcel Broennle zeigt die Entwicklung der normalspur-Güterwagen, die von 1870 bis 1955 in der Schweiz gebaut wurden. in dieser Zeit wandelten sich die Anforderungen an Güterwagen stark. in früheren Jahren transportierte der Bahngüterverkehr vornehmlich Vieh, Holz, Kohle, landwirtschaftliche Produkte und Stückgut. dazu genügten drei Arten von Güterwagen einfacher Bauart: geschlossene, offene und Flachwagen. Mit fortschreitender industrialisierung verlangte das transportgewerbe neue Wagen für einen effizienteren Gütertransport. So entstanden Spezialgüterwagen, die nur bestimmte ladegüter wie Benzin, Wein, Bier oder Zement befördern konnten. Ältere Güterwagen stehen heute praktisch nicht mehr im Einsatz: durch die reduzierung des SBB-Güterwagenbestandes um fast die Hälfte in den 80er- und 90er-Jahren sowie die Modernisierung der Flotte verschwanden älterere Modelle von den Gleisen. Einzelne Exemplare sind noch als historische Güterwagen bei der SBB und privaten Vereinen in Betrieb. das Buch stellt reich illustriert die einzelnen Güterwagenserien dar. Ergänzt wird das Werk durch ein «Güterwagenlatein», durch

Davide Demicheli

Les wagons suisses d’antan

Olivia Ebinger  Kommunikation Zur PErSon In Erinnerung: Davide Demicheli davide demicheli, langjähriger Mitarbeiter des BAV und früherer Chefredaktor von Swisstraffic, ist in diesem Frühjahr verstorben. Zum Gedenken widmet Swisstraffic die historische Seite dieser Ausgabe seinem Buch und damit seiner leidenschaft: historischem rollmaterial. in Zuschriften an Swisstraffic drückten Abonnenten und Freunde ihre Betroffenheit aus: «davide war eine aussergewöhnliche Persönlichkeit: kultiviert, weltgewandt und von aussergewöhnlicher Höflichkeit» oder «ich kannte ihn als Menschen mit einer leidenschaft für Eisenbahnen, professionell und exakt bis ins detail». das BAV und Swisstraffic verlieren mit davide demicheli einen engagierten, fachkundigen Mitarbeiter mit liebevollem Blick fürs detail.

3

Nr. 55 | Interview

Roberto Castelli, Vizeminister für Infrastruktur und Verkehr in Italien

«Wir können nicht alle Probleme gleichzeitig lösen»

Italien ist ein wichtiger Partner für die Schweiz: Im Güterverkehr sind die Schweiz und Italien als Nachbarstaaten Teil des EU-Bahnkorridors A von Rotterdam nach Genua, und im Personenverkehr verlaufen viele Verbindungen der Metropolen im Norden und Süden durch die Schweiz. Im Interview mit SwissTraffic äussert sich

Zur Person Roberto Castelli

Roberto Castelli, Vizeminister für Infrastruktur und Verkehr in Italien, zu bahnpolitischen Themen und zur Zusammenarbeit mit der Schweiz. Wir haben ihn gefragt, wie er als Leiter der italienischen Delegation im Lenkungsausschuss Schweiz–Italien die Arbeit in diesem Gremium beurteilt. Roberto Castelli: Ausgezeichnet! Die Zusammenarbeit ist professionell sehr gut, aber es gibt auch freundschaftliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern der beiden Delegationen. Und ich habe den Eindruck, dass sich die Resultate sehen lassen können. Wir haben ja zwei Aufgaben – kurzfristige und langfristige. Zum einen müssen wir optimale Zugsverbin-

Für die Strecke Milano–Como–Chiasso spricht man seit Zeiten von einem Ausbau von zwei auf vier Spuren. Ist das Geld dafür vorhanden? Dieser Ausbau ist für den Güterverkehr nicht unbedingt nötig. Wir können einen fliessenden Güterverkehr auch ohne Verdoppelung garantieren. Dennoch sind wir der Meinung, dass dieser Ausbau gemacht werden sollte, weil wir zusätzlichen Personenverkehr Richtung Gotthard erwarten. Die Finanzen für diesen Ausbau stehen noch nicht bereit, weil andere Streckenabschnitte, die zu den angesprochenen Sofortmassnahmen zur Engpassbeseitigung gehören, Vorrang haben; beispielsweise die nördliche Umfahrung von

«Wichtig ist, dass vom Gotthard kommend die Um­ fahrung des Grossraums Mailand funktioniert.»

Roberto Castelli wurde am 12. Juli 1946 in Lecco (Lombardei) geboren. Er studierte Ingenieurwesen am Polytechnikum von Mailand und war beruflich vor allem im Bereich des Lärmschutzes und als Berater für Sicherheitsfragen am Arbeitsplatz aktiv. Sein politisches Engagement in den Reihen der von Umberto Bossi geführten Lega Lombarda begann 1986. Von 1992 bis 1996 sass er in der Abgeordnetenkammer, von 1996 bis 2001 im Senat. Von 2001 bis 2006 war er Justizminister in der Regierung Berlusconi, danach wieder ­Senator für die Lega-Nord. Nach den parlamentarischen Erneuerungswahlen von 2008 wurde er erneut in die Regierung Berlusconi berufen, zuerst als Staatssekretär, kurz darauf als Vizeminister im Ministerium für Infrastruktur und Verkehr.

4

dungen zwischen den beiden Ländern garantieren, das heisst Engpässe und Überlastungen des Netzes vermeiden. Dabei gibt es kurz­fristige Probleme zu lösen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass mittel- und langfristig eine gute Entwicklung des Bahnverkehrs zwischen der Schweiz und Italien gewährleistet ist. Wir wollen vermeiden, dass in der Zukunft plötzlich Flaschenhälse auftauchen und der Verkehr ins Stocken kommt. Einer dieser möglichen Flaschenhälse könnte als Folge der NEAT entstehen, wenn sowohl der neue Gotthard-Basistunnel (2017) als auch der neue Ceneri-Basistunnel (2019) in Betrieb sind. Wie bereitet sich Italien auf ­dieses Ereignis vor? Wir haben auf italienischer Seite die möglichen Flaschenhälse eruiert. Dies gilt insbesondere für den Güterverkehr. Es handelt sich eigentlich um einige wenige Streckenabschnitte, an denen wir etwas machen müssen, zum Beispiel eine Verdoppelung der Anzahl der Gleise oder den Bau eines Bypasses um den Güterverkehr zu garantieren.

Mailand für den Güterverkehr, die sogenannte «Gronda Bergamo–Seregno». Das heisst Como–Chiasso hat keine Priorität? Es ist in der Tat aus unserer Perspektive nicht der fundamentale Aspekt. Wichtig ist, dass vom Gotthard kommend die Umfahrung des Grossraums Mailand funktioniert. In diesem Sinne arbeiten wir an der Bahnverbindung Arcisate–Stabio als westlichen Ast für den Regionalverkehr. Und auf der anderen Seite haben wir die erwähnte Strecke Bergamo– Seregno. Von Schweizer Seite wird für den Güterverkehr ein Ausbau der Linie via Luino gutgeheissen, damit nicht eines Tages zu viel Güterverkehr am Südportal des neuen CeneriBasistunnels zusammenläuft. Wir versuchen, den Güterverkehr auf der Westseite von Mailand zu kanalisieren. Das ist der Schweiz bekannt. Und ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die Schweiz Teil des Korridors A Genua–Rotterdam ist, der für uns fundamental ist.

Interview

Der italienische Vizeminister Roberto Castelli im Gespräch mit Gerhard Lob für SwissTraffic.

Apropos Korridor: Italien spielt eine zentrale Rolle bei der neuen transeuropäischen Eisenbahnachse Lyon–Triest–Ljubljana–Budapest. Ist diese Ten-6-Achse wichtiger als der Korridor A? Nein, der Korridor A Genua–Rotterdam hat absolute Priorität. Dieser Korridor ist auch am weitesten fortgeschritten. Ich erinnere daran, dass wir vergangenen Oktober in Genua einen wichtigen Vertrag unterschrieben haben, der bis 2015 ein vollständig interoperables System für diesen Korridor garantiert. Eine Achse Italiens Richtung Norden über die Schweiz verläuft durch den Simplon-Tunnel. Gelegentlich spricht man auch von einem neuen Simplon-Basistunnel, weil es auf der Zulauflinie zwischen Domodossola und Iselle noch erhebliche Steigungen und einen Kehrtunnel gibt. Ist daran etwas Konkretes? Nein, das ist nicht vorgesehen. Wir sind ja in Bezug auf Infrastruktur an etlichen Fronten aktiv, bei den Tunnels beispielsweise beim

Mont-Cenis-Basistunnel oder dem neuen Brenner-Basistunnel. Wir sind der Meinung, dass der bestehende Simplontunnel mindestens bis 2025/2030 für unsere Bedürfnisse ausreichend ist. Vorher wird der Sättigungspunkt kaum erreicht. Die Schweiz verfolgt im Rahmen ihrer Verkehrspolitik die Vision, möglichst viele Güter per Bahn zu transportieren. Welche Vision hat Italien?

in Bezug auf ihre Flexibilität grosse Vorteile gegenüber dem Bahngüterverkehr aufweisen. Italien hat sehr viel Geld in das Hochgeschwindigkeitsnetz investiert und die Fahrzeit zwischen Mailand und Rom erheblich reduziert. Der Regierung wird vorgeworfen, umgekehrt die regionalen und lokalen Züge sträflich vernachlässigt zu haben. Haben Sie Verständnis für die Klagen?

«Der Korridor A Genua–Rotterdam hat absolute Priorität.» Natürlich ist es wünschenswert, so viele Güter wie möglich mit der Bahn zu transportieren. Doch diese Vision steht im Konflikt mit der Realität. Denn die reale Wirtschaft bevorzugt den Transport auf der Strasse. Dies liegt vor allem daran, dass die Strassentransporte

Ich möchte einfach festhalten, dass kein Staat alle Probleme gleichzeitig lösen kann. Wir waren und sind der Auffassung, dass die Verbindungen zwischen unseren grossen Städten prioritär sind, auch aus ökonomischer Sicht. Doch jetzt werden wir auch das Prob-

5

Nr. 55 | Interview

«Konkurrenz ist immer gut.» lem der Pendler anpacken. Niemand konnte im Übrigen vorhersehen, dass die Nachfrage von Seiten der Pendler so extrem ansteigen würde. Von Seiten der Pendler gab es teilweise sehr heftige Reaktionen und Proteste … … wir arbeiten an den Problemen. Die Strecke Mailand–Lecco wurde beispielsweise gerade auf Doppelspur ausgebaut: Und Tren­ italia wird Rollmaterial für den Pendlerverkehr in grossem Umfang anschaffen. Die Investi­ tionen belaufen sich auf 2 Milliarden Euro. Im internationalen Personenverkehr von Italien mit der Schweiz, Frankreich, Österreich gibt es heute wesentlich weniger Direktverbindungen als noch vor zehn Jahren. Isoliert sich Italien im Eisenbahnverkehr? Italien hat ein wichtiges Ziel erreicht: Wir haben die Bahn saniert. Dieses Jahr wird die italienische Bahn mit einem beträchtlichen Gewinn abschliessen. Das ist ein historisches Ereignis. Die Bahn arbeitet nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Und Linien, die von keinen Passagieren benutzt werden, werden eben aufgegeben. Andere Unternehmen springen in die Lücke: Auf bestimmten Linien wie über den Brenner verkehren nun im Rahmen der Liberalisierung EuroCity-Züge der DB/ÖBB sogar bis Mailand. Doch dort enden sie nicht im Hauptbahnhof,

Eine «Freccia Rossa» ETR 500 in neuer Lackierung in Roma Termini.

sondern im Bahnhof Porta Garibaldi. Ist das eine gezielte Benachteiligung? Da sehe ich gar keine Benachteiligung. Dieser Bahnhof bietet doch die gleichen Dienstleistungen wie Milano Centrale. In Italien sollen die Hochgeschwindigkeitszüge «Frecce Rosse» ab Sommer 2011 durch Hochgeschwindigkeitszüge der privaten NTV konkurrenziert werden. Was halten Sie davon? Konkurrenz ist immer gut. Und ich hoffe, dass es funktioniert. Mit der Cisalpino AG hat man einen Versuch unternommen, ein grenzüberschreitendes

Bahnunternehmen im Personenverkehr zwischen der Schweiz und Italien zu schaffen. Doch Cisalpino wurde vor kurzem aufgelöst. Die nationalen Bahngesellschaften arbeiten wieder in Eigenverantwortung bis zur Grenze. Bedauern Sie das? Wenn etwas nicht funktioniert, muss man auch den Mut haben, es wieder aufzugeben. Da spielen auch ökonomische Gründe eine Rolle. Vielleicht kann man diesen Versuch aber eines Tages wieder aufnehmen. Interview: Gerhard Lob  freier Journalist, schreibt regelmässig zu Verkehrsthemen

Kurz Notiert Ferrovia dello Stato in Zahlen Ferrovie dello Stato (FS) ist der Name der staatlichen italienischen Eisenbahngesellschaft. Sie wurde 1905 als Zusammenschluss mehrere Regionalgesellschaften gegründet. Im Jahr 2000 erfolgte eine Aufteilung in einzelne Betriebsgesellschaften, darunter Trenitalia für den Bereich Personen- und Güterverkehr, Rete Ferroviaria Italiana (RFI) für die Bereiche Schienennetz und Eisenbahninfrastruktur sowie weitere Tochtergesellschaften. Das FS-Schienennetz umfasst 16 500 Kilometer. Die Zahl der Angestellten

6

für die gesamte Gruppe beläuft sich auf 83 000. Damit ist FS das grösste Unternehmen des Landes. Trenitalia fährt täglich rund 9200 Züge und transportiert im Jahr 500 Millionen Fahrgäste sowie 80 Millionen Tonnen Güter. Die italienische Staatsbahn konnte in den letzten Jahren ihr Geschäftsergebnis deutlich verbessern. Das Jahr 2009 schloss die Gruppe FS mit einem Nettogewinn von 44 Millionen Euro ab (2008: 16 Mio. Euro; + 175 %). Sogar die Tochter­gesellschaft Trenitalia schrieb 2009 mit 20 Millionen Euro erstmals schwarze

Zahlen (2008: – 42 Mio. Euro). Das ist eine ­Revolution für einen Betrieb, der bis vor wenigen Jahren noch ein Defizit von 2 Milliarden Euro aufwies. Laut offizieller Statistik konnte Trenitalia die Pünktlichkeit ihrer Züge verbessern. Konsumentenschützer bezweifeln aber diese Statistiken. In Italien gelten alle Züge mit Verspätung von weniger als 15  Minuten als pünktlich. Auf der Homepage ­www.­viaggia treno.it lassen sich die aktuellen Verspätungen der Zugskompositionen im Fernverkehr online abrufen.

Hintergrund

Zusammenarbeit Schweiz–Italien: Gemeinsam zu Lösungen

Als Partner in Politik, Wirtschaft und Kultur ist Italien auch wegen seiner geografischen Lage ein wichtiger Verbündeter zur Umsetzung der Schweizer Verlagerungspolitik. Bern und Rom arbeiten auf verschiedenen Ebenen zusammen: Ziel ist, das Bahnangebot auf der NordSüd-Achse für Güter und Menschen zu koordinieren und zu verbessern. Die Ziele der Zusammenarbeit der beiden Länder im Verkehrsbereich sind seit 2001 in einer Vereinbarung festgehalten: In erster Linie sollen die Züge, die auf den beiden Achsen, der Lötschberg-Simplon- und der Gotthardachse der NEAT verkehren, optimal an das italienische Hochleistungsnetz angeschlossen werden. Das betrifft die Nord-SüdVerbindungen zwischen Mailand, Novara und Genua und Zürich, Basel, Bern, Genf und Lausanne. Die Vereinbarung zielt dabei auf eine mittelund langfristige Verbesserung der Kapazitäten und eine Verkürzung der Reisezeiten. Ausserdem sollen die Anschlüsse an den Mailänder Flughafen Malpensa optimiert und eine neue Hochleistungsverbindung zwischen Lugano und der lombardischen Metropole Mailand gebaut werden. Die Erweiterung der Infrastruktur- und Betriebskapazitäten soll «schrittweise, koordiniert und entsprechend der Verkehrsnachfrage sowie der Entwicklung der Schienentechnik» erfolgen. Für die ­Realisierung der geplanten Projekte setzt die Vereinbarung jedoch keine Fristen oder kein festes Abschlussdatum fest. Organisation Ein Lenkungsausschuss unter der Leitung des BAV-Direktors und des italienischen Vize-­ Ministers Roberto Castelli trifft sich mindestens einmal im Jahr, um Fragen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Vereinbarung zu behandeln. Der Ausschuss wird von verschiedenen Arbeitsgruppen unterstützt. Die grösste Arbeitsgruppe zählt insgesamt zwölf Mitglieder und beschäftigt sich mit der

Entwicklung der Infrastruktur. Sie trifft sich in der Regel zweimal jährlich abwechselnd in der Schweiz und in Italien und stützt sich in ihrer Arbeit auf Studien und Analysen der Betreibergesellschaften SBB und BLS (Schweiz) und RFI (Italien) zu Nachfrage, Kapazitäten und Investitionsbedarf. Die Zusammenarbeit der Schweiz und Italiens findet in einer konstruktiven Atmosphäre statt. Und dies, obwohl die Gestaltung der Bahnnetze und die Entscheidungsprozesse, insbesondere zur Finanzierung, in den beiden Ländern unterschiedlich sind. Eine Herausforderung ist, langfristig eine gute Koordination der Informationen sicherzustellen. Nur so ist rasches Handeln, wenn nötig auch auf der Ebene der Ministerien, möglich. Ausbauten und Neubaustrecken Einiges wurde in den letzten zehn Jahren erreicht: So haben sich Bern und Rom auf die zur Bewältigung der Nachfrage erforderlichen Ausbauten der Linien Brig–Simplon– Novara und Bellinzona–Luino–Novara geeinigt. Die Ausbauten der Linie nach Luino dienen hauptsächlich dem Güterverkehr. Auch eine neue Strecke zwischen Mendrisio und Varese ist im Bau. 2008 wurden die Arbeiten zur Verbindung von Stabio–Arcisate in

der Schweiz aufgenommen; ein halbes Jahr danach erfolgte der Baubeginn in Italien. Die Neubaustrecke wird den grenzüberschreitenden Personenverkehr erleichtern und ermöglicht Fahrzeitverkürzungen zur Simplonlinie hin und zum Mailänder Flughafen Malpensa. Die Inbetriebnahme ist für 2013 geplant. Für den Anschluss der NEAT-Gotthardlinie an das italienische Hochleistungsnetz sind mehrere Projekte vorgesehen. Dabei handelt es sich unter anderem um den Ausbau der Güterverkehrslinien östlich von Mailand (Seregno–Bergamo) und den Vierspurausbau des Streckenabschnitts zwischen Bivio Rosales und Seregno. Damit werden genügend Kapa­ zitäten für den reibungslosen Schienengüter­ verkehr nach der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels 2019 zur Verfügung gestellt. Die Schweiz erachtet diese Massnahmen als absolut notwendig. Für die Zukunft wird derzeit die Realisierung einer neuen Linie, die Bellinzona mit Laveno über Luino verbinden soll, und einer neuen Verbindung zwischen Lugano und Chiasso untersucht. Verschiedene Varianten liegen vor, ein Entscheid ist noch nicht gefallen.

Helene Glaser und Florence Pictet 

Internationale Fernverkehrszüge werden in italienischen Bahnhöfen (hier Mailand) immer seltener. Die neuen ETR610-Züge der Cisalpino wurden nach dem Ende der Zusammenarbeit von SBB und Trenitalia aufgeteilt.

7

Nr. 55 | AKTUELL

Freccia Rossa – einer der neuen italienischen Hochgeschwindigkeitszüge.

Hochgeschwindigkeit gibt den Ton an

Italien hat in den letzten Jahren vor allem sein Netz für die Hochgeschwindigkeitszüge ausgebaut. Regionale und lokale Ver­bindungen blieben genauso wie der internationale Zugsverkehr auf der Strecke. Ein Blick auf die italienische Bahnlandschaft. Keine Frage: Im Bereich der Hochgeschwindigkeitszüge (HG) hat Italien enorme Fortschritte gemacht und spielt europaweit heute in der obersten Liga. Die Krönung der langjährigen Bemühungen war die Einweihung der durchgehenden HG-Strecke von Mailand nach Rom im Dezember 2009. Seither kann man mit den eleganten Roten Pfeilen (Freccia Rossa) in genau drei Stunden von der lombardischen Metropole in die 600 Kilometer entfernte Hauptstadt rasen  – ohne Zwischenhalt. Bis vor kurzem brauchte man mit dem Eurostar noch viereinhalb Stunden. Hochmoderne Züge der Baureihe ETR 500 machen die Fahrt angenehm. Auch die Anzahl Verbindungen wurde erhöht.

8

Die italienische Bahn hat nach eigenen Angaben 32 Milliarden Euro (48 Milliarden Franken) in den Bau ihres Hochgeschwindigkeitsnetzes investiert. Es umfasst die Strecken Turin–Mailand–Bologna–Florenz–Rom–Neapel–Salerno und damit fast 1000  Strecken­ kilometer. «Die Investitionen waren so hoch, weil wir die Linie zum Teil durch bergiges und dicht besiedeltes Gebiet führen mussten», erläutert Federico Fabretti, Sprecher der Staatsbahnen Ferrovie dello Stato (FS). Besonders aufwändig war in dieser Hinsicht der Abschnitt Bologna–Florenz, der durch den Apennin praktisch vollumfänglich unterirdisch verläuft (73 von 78 Kilometern). Jetzt wird noch die Infrastruktur verbessert. So entsteht etwa in Rom-Tiburtina bis Mai 2011 ein eigener, hochmoderner Bahnhof für die Hochgeschwindigkeitszüge. Der eigentliche Ausbau des HG-Schienennetzes ist vorläufig abgeschlossen. Es gibt zwar Pläne für eine HG-Verbindung Mailand–Venedig–Triest sowie einen Ausbau der Strecken Neapel–

Bari sowie Salerno–Reggio Calabria. Doch dafür steht bis anhin noch kein Geld bereit. Der Fokus von Trenitalia auf den HG-Verkehr zwischen den italienischen Metropolen hat seine Kehrseiten. Andere Bereiche werden vernachlässigt, insbesondere der Nahverkehr. Im lokalen und regionalen Schienenverkehr müssen Pendler häufig mit veraltetem, verschmutztem und teils defektem Rollmaterial Vorlieb nehmen. Verspätungen, Streiks, überraschende Zugsausfälle und Platzmangel zu Stosszeiten sind an der Tagesordnung. Die italienischen Medien berichten regelmässig über Pendler, die mit ihren Nerven am Ende sind. Die freundlichen Durchsagen «Trenitalia si scusa per il disagio» (Trenitalia entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten) wirken auf viele Bahnkunden wie Hohn. Weitere Ärgernisse sind die Reservationspflicht in Schnellzügen sowie die Mühen, einen internationalen Fahrausweis zu erwerben. Wenigstens in Bezug auf das Rollmaterial sind Verbesserungen in Sicht. Im September

AKTUELL

2009 hat FS ein 2-Milliarden-Euro-Paket vorgelegt, mit dem das Rollmaterial im Regionalverkehr in den nächsten Jahren erneuert werden soll. Die Finanzierung will Trenitalia mit 1,5 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln garantieren, der Rest kommt von staatlichen Stellen. Von einem ähnlichen Engagement ist im ­internationalen Verkehr nicht die Rede. Tren­ italia verabschiedet sich zusehends von Verbindungen mit dem Ausland. Durch drei von sieben überregionalen Grenzbahnhöfen (Ventimiglia, Triest, Tarvisio) verkehren keine internationalen Tageszüge mehr. Auch in die Schweiz ist die Zahl der Verbindungen von 32 im Jahr 2000 auf 14 Zugspaare (2010) geschrumpft. Von Mailand verkehren nach der Einstellung der Cisalpino AG noch sieben Direktverbindungen nach Zürich, ebenso zwischen Genf/Basel und Mailand. Trenitalia und SBB teilen sich die Fahrten. Die traditionellen Nachtzüge aus der Schweiz nach Rom wurden eingestellt. «Es stimmt nicht, dass uns internationale Verbindungen generell nicht interessieren, doch es interessieren uns nur solche, auf denen man Gewinne schreiben kann», sagt FS-Sprecher Fabretti mit Verweis auf die neue privatrechtliche Organisation von Trenitalia. Defi­ zitäre Linien könnten nur dann betrieben werden, wenn der Staat oder einzelne Regionen diese mitfinanzierten. Doch das sei selten der Fall.

Italien setzt auf Hochgeschwindigkeit (Bild: Venezia Mestre), viele Regionallinien und Pendlerstrecken werden dabei vernachlässigt.

Wo sich die italienische Staatsbahn zurückzieht, versuchen neue Player im Rahmen des Open Access den Markt zu erobern. Dies ist insbesondere auf der Brenner-Linie der Fall: Trenitalia hat die Verbindung Verona–Bozen– München aufgegeben. In diese Bresche ist im Dezember 2009 ein Konsortium aus ÖBB und DB zusammen mit der norditalienischen Ferrovie-Nord gesprungen. Fünf Zugspaare werden von München nach Bozen geführt, zwei fahren weiter nach Verona und je eines nach Mailand beziehungsweise Bologna. Allerdings ist der Markteintritt für dieses Konsortium nicht einfach. Trenitalia weigert sich etwa, Auskünfte zu geben oder Tickets zu verkaufen, weil diese Züge als Konkurrenz auf den inneritalienischen Streckenabschnit-

ten gesehen wird. Auch bei den Trassen wird DB/ÖBB benachteiligt; der internationale Euro­City aus München wird in der Endstation Mailand gar auf den zweitrangigen Stadtbahnhof Porta Garibaldi gezwungen. «Wir sind trotz der Schwierigkeiten bisher ganz zufrieden», bilanziert ÖBB-Pressesprecher Rene Zumtobel. Man habe auch schon einige Verbesserungen erreicht. Bald soll eine Direktverbindung München–Venedig aufgenommen werden, und Billette werden mittlerweile über Internet, aber auch direkt im Zug verkauft. Echte Konkurrenz erwächst Trenitalia im Rahmen der Marktliberalisierung derweil auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die von einigen Industriellen gegründete, private ­Eisenbahngesellschaft NTV (Nuovo Trasporto Viaggiatori) will ab Sommer 2011 mit eigenen HG-Zügen vor allem auf der Strecke zwischen Mailand und Rom verkehren. 25 Zugskompositionen wurden bei Alstom bestellt. Das Unternehmen hat mit der Einstellung des Personals und der Ausbildung der Lokführer begonnen. Wenig glänzen kann Italien schliesslich beim Bahngüterverkehr. Nur 9,4 Prozent der Waren werden in Italien nach einer Erhebung des Arbeitgeberverbandes Confindustria mit der Bahn transportiert. Dieser Ansatz liegt weit unter dem europäischen Mittelwert von 17 Prozent. Um den Anteil der Bahn im Modalsplit zu erhöhen, ist laut Confindustria unter anderem ein zügiger Ausbau des Korridors A (Genua–Rotterdam) nötig. Gerhard Lob  Freier Journalist

links Italienische Staatsbahnen www.ferroviedellostato.it Trenitalia www.trenitalia.it Nuovo Trasporto Viaggiatori NTV www.ntvspa.it

Trenitalia hat sich zurückgezogen, neu fährt ein Konsortium von ÖBB, DB und Ferrovie-Nord Personenzüge auf der Brenner-Linie.

ÖBB/DB in Italien www.obb-italia.com

9

Nr. 55 | Reportage

Hafen Genua: Sorgenkind auf dem Korridor A

Es ist neun Uhr früh am Hafen von Genua. Die Luft ist erfüllt vom Dröhnen der Schiffsmotoren und vom Ruf der Möven. Silvia Martini und Pietro Oddone von der Hafenbehörde Genua halten sich fest an der Reling. Das Boot legt ab zur Inspektionsfahrt im Hafen. Wir gleiten langsam aus dem Becken. Ins Blickfeld gerät ein Containerterminal, an dem die «Hanjin Mumbai» gelöscht wird: ein 300 Meter langes und 58 000 Tonnen schweres Containerschiff aus Fernost. «Ein solches mittleres Schiff kostet 50 000 Dollar Charter im Tag», erklärt Oddone. «Jeder Stillstand kostet Geld. Deshalb wird hier Tag und Nacht gearbeitet, bis die Fracht gelöscht ist.» Der Hafen Genua ist mit 50 000 Arbeitern der grösste Arbeitgeber Liguriens. Ein Zehntel der Stadtbevölkerung findet Lohn in den Werften, an den Containerhäfen, am Früchteterminal, am Kohlen-, am Zelluloseund am Metallterminal. Die grössten Reedereien der Welt würden in Genua anlegen, sagt Oddone. Der Hafen sei 1000 Jahre alt und der grösste Hafen im Mittelmeer. Oddone spricht voller Stolz. Zugleich

Hafengelände Genua.

10

räumt er ein: «Genua ist gegenüber Nordeuropa in Rückstand geraten.» Vernächlässigte Infrastruktur «Spediporto» ist ein Zusammenschluss von 400 Transportfirmen mit 7000 Angestellten und vier Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. «Der Hafen hat grosse Schwierigkeiten hinter sich», sagt Roberta Oliaro, die Leiterin von «Spediporto». Die Infrastruktur sei lange Jahre vernachlässigt worden. Immerhin gebe es jetzt den Willen, verlorenes Terrain gutzumachen. Roberta Oliaro erläutert die Probleme an einem Beispiel: In Rotterdam brauche es nur einige Stunden, um die Waren und Container aus dem Hafen zu bringen. In Genua dauere es Tage. Ein Schiff, das vom Suezkanal kommend an Genua vorbei und nach Rotterdam oder Antwerpen fahre, sei zwar fünf bis sieben Tage länger auf See, am Ende sei der Container aber doch früher beim Kunden. Jeder Wartetag im Hafen Genua kostet pro Container rund 250 Euro. Ein riesiger Schaden angesichts der 1,5 Millionen Container,

Kurz Notiert Der Text ist ein gekürzter Auszug der Sendung «International  – Europas Frachthäfen: die Zukunft liegt im Norden» von Schweizer Radio DRS von Mitte März 2010. Autoren sind die Korrespondenten Alexander Grass und Urs Bruderer. Die gesamte Sendung kann unter www.srdrs.ch angehört werden.

die in Genua umgeschlagen werden. Vier Tage Wartezeit kosten so 1000 Euro. Entnervt forderten die Spediteure Strafgelder für unnötige Wartezeiten. Doch nicht nur die schleppende Abwicklung im Hafen schafft Nachteile. Die Hauptschwierigkeiten, sagt Oliaro, seien die Bahnver­ bindungen im Hafen-Hinterland. Da seien Genua und ganz Italien im Vergleich zur Konkurrenz zurückgeblieben. Der Hafen ersticke zusammen mit der Stadt Genua im Verkehr. Der Boom im Norden Zwar hat sich in den letzten dreissig Jahren der Containerumschlag in Genua um das Achtfache vergrössert. Nur: In den Nordseehäfen verlief das Wachstum noch stürmischer. Antwerpen zum Beispiel wuchs um das 15fache. Und so werden laut einem deutschen Bericht allein zwischen Antwerpen und Italien pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Güter hin und her transportiert. Verschiedene Unternehmen ziehen sich aus Genua zurück: so etwa die Güterbahngesellschaft Crossrail. Sie führt Züge zwischen Deutschland, Belgien, Holland und Italien. Nicht aber nach Genua. Walter Finkbohner, Verwaltungsrat, betont: «Wir versuchen seit Jahren mit Genua ins Geschäft zu kommen. Aber unsere Kunden sind nicht bereit, die Konditionen von Genua zu akzeptieren.» Die Konditionen: Das sind die Zuverlässigkeit und die Preise. Finkbohner: «Das Problem ist

Reportage

die Hafenbahn: Ein Container, der ausgeladen wird, muss zuerst mit der lokalen Hafenbahn zu einem Übernahmepunkt geführt werden. Erst dann kann er auf das Netz der italienischen Bahn übergehen. Das braucht sehr viel Zeit und kostet auch sehr viel Geld. Man kann sagen: Auf der Strasse ist ein Container beinahe schon in Mailand, während ein Container auf der Schiene immer noch im Hafengelände liegt.» So war Genua früher der wichtigste Hafen der Schweiz. Finkbohner verfolgt die Entwicklung schon lange: «In den 60er-Jahren hat der Hafen von Genua buchstäblich den Anschluss verpasst. Warum? Die Gewerkschaften, die Hafenverwaltung und die vor Ort ansässigen Spediteure haben ganz einfach den Kunden vergessen.» Schneller durch die Alpen Die Häfen im Norden traten an die Stelle Genuas: Crossrail lebt davon, dass ihre Kunden in der Lombardei und im Piemont sich aus Nordeuropa beliefern lassen. Dies ist auch ein Markt der HUPAC, der grössten Anbieterin im kombinierten alpenquerenden Verkehr. In Busto Arsizio vor den Toren Mailands betreibt HUPAC einen Umschlagterminal. Und im Hafen von Antwerpen hat HUPAC Anfang Jahr einen neuen Terminal eröffnet. Beim Stichwort Genua kommt HUPAC-CEO Bernhard Kunz ins Grübeln. Genua wie auch Livorno spielten, so habe HUPAC schmerzhaft erfahren, in der Regionalliga: «Wir haben sehr auf die italienischen Häfen gebaut. Wir haben versucht, Genua an Busto, unser grösstes Terminal im HUPAC-Netzwerk anzubinden. Doch es ist uns nicht gelungen, drei volle Züge pro Woche aus Genua zu führen.» Zwischen Antwerpen und der Schweiz hin­ gegen verkehrten zehn Züge täglich. Mit dem neuen Terminal kann HUPAC bis zu 24 Züge abfertigen. Das Hauptportal Europas ist in den Häfen von Antwerpen, Rotterdam, Hamburg. Deren Produktivität ist höher, ihre Anbindung ans europäische Schienen- und Flussnetz besser. Letzte Chance Doch Genua hat sich einiges vorgenommen: Mit der Spediporto-Chefin Roberta Oliaro und Luigi Merlo, dem neuen Präsidenten der Hafenbehörde, ist eine neue Generation ans Ruder getreten. Für 450 Millionen Euro soll im Hafen dank zwei neuen Containertermi-

Investitionen in die Hafeninfrastruktur sind nötig, um mit den Häfen im Norden Schritt zu halten.

nals die Kapazität verdoppelt werden. Es gibt Pläne, die Hafenbahn zu erneuern und das Hafenbecken für Schiffe mit grossem Tiefgang auszubaggern. Das Personal soll besser ausgebildet, die Kontrollen von Zoll und Verwaltung verschlankt werden. Die italienische Hafenpolitik befinde sich in einer delikaten und wichtigen Phase, sagen die beiden führenden Köpfe im Hafen von Genua. Ein Hafengesetz mit mehr finanzieller Autonomie ist in Arbeit. Für fünf Milliarden Euro soll im Norden Genuas eine neue Güterbahn entstehen. Aber werden die finanziellen Mittel aus dem Staatsbudget auch fliessen? Diesen Februar war Spatenstich zum «terzo valico», der

neuen Bahnlinie von Genua Richtung Mailand, doch es stehen erst 500 Millionen zur Verfügung. Luigi Merlo gesteht ein, dass Rom die für Genua versprochenen Investitionsmillionen am Ende durchaus Richtung Süditalien umleiten könnte. Doch wird die Chance beim Wiederaufschwung verpasst, so sind sich die Verantwortlichen im Hafen Genua bewusst, dann findet auch das künftige Wachstum nicht in Genua, sondern in den Häfen Nordeuropas statt.

Alexander Grass und Urs Bruderer  Schweizer Radio DRS

11

Nr. 55 | Reportage

In der Rolle eines Rettungsspezialisten

22 Mitarbeiter des BAV aus dem Bereich Seilbahnen reisten dieses Frühjahr für einen ­besonderen Tag nach Charmey im Greyerzerland. Die Idee: Mitarbeiter, die Seilbahnanlagen überprüfen, sollen den Einsatz der Schutzausrüstung üben. Höhepunkt des Ausbildungstags «extra muros» – des ersten dieser Art – war die Simulation einer Seilbahn­ evakuierung. Zum Treffpunkt am Bahnhof Freiburg erschienen alle mit wetterfester Kleidung, Wanderschuhen mit gutem Profil und einem Rucksack. Gleich bei der Ankunft in Charmey ruft Raphäel Gingins von der Sektion Fahrzeuge des BAV den Anwesenden nach der Begrüssung die Spielregeln in Erinnerung: «Ich verlange von euch Disziplin, es geht um Sicherheit.» 15 Angehörige des BAV tragen ihre persönliche Schutzausrüstung bei sich. Im ersten Kursteil werden deshalb die Helme, Handschuhe, Brillen, Gurte, Sicherheitswesten, Seile und verschiedenen Karabinerhaken vorgestellt und ihre Verwendung besprochen. Dank des technischen Fortschritts ist das einfache Hanfseil, das unsere Vorfahren für die Sicherung nutzten und dessen Einsatz eher psychologischen als praktischen Nutzen hatte, längst Vergangenheit. Aber auch die neusten Produkte auf dem Markt bieten keine absolute Sicherheit: Raphäel Gingins zeigt die Folgen eines Schnitts mit dem Taschenmesser oder von Hitze am Seil: «Die Zigarettenasche besser nicht auf die Ausrüstung fallen lassen, und im Sommer die Ausrüstung nicht hinter die Windschutzscheibe im Auto legen», mahnt Gingins. Auch Leim oder Tinte auf Polyamidfasern können böse Überraschungen bereiten. Für die BAV-Mitarbeiter, die für die Prüfung der Seilbahnanlagen mit einer Bundeskonzession regelmässig auf Stützen steigen, ist eine Sicherheitsausrüstung in gutem Zustand Pflicht. Aber auch die Rettungskräfte müssen sich auf das Material verlassen können, wie sich in der zweiten Kurshälfte am Nachmit-

12

lienne» ein und gleitet bis zum Kabinendach. Dort entriegelt der Retter die Tür der Seilbahnkabine, indem er die beiden Verriegelungsgriffe kräftig nach aussen zieht. Dann sichert er jeden Fahrgast einzeln und seilt ihn auf die darunter liegende Kuhweide ab. Diese ist vor kurzem frisch begüllt: Manch einer rümpft die Nase!

Kurz Notiert

Zu Übungszwecken aus der Kabine abgeseilt.

tag zeigte. Alle Kursteilnehmer meldeten sich freiwillig, um sich aus vier Seilbahnkabinen, die in luftiger Höhe zwischen Charmey und Vounetz stehengeblieben waren, retten zu lassen. Sechs Mitglieder der Rettungskolonne des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) werden zu Übungszwecken zu Hilfe gerufen. Die vier Männer von der Rettungsstation in Bulle und die beiden von der Station Kaiseregg nehmen eine Lagebeurteilung vor und legen jeweils zu zweit los. In ihren Rucksäcken tragen sie die Ausrüstung für Evakuierungen mit sich, die jedes Seilbahnunternehmen für den Notfall bereithalten muss. Der Aufstieg auf die Stützen wird vom Rasseln der Karabinerhaken begleitet, die die Retter alle zwei oder drei Sprossen auf der Metallleiter nach oben neu einklinken. Oben auf der Plattform der Stütze angekommen klinkt sich je ein Mitglied jedes Zweierteams in eine «Tyro­

In der Schweiz gibt es rund 650 Stand­ seilbahnen, Sessellifte, Gondelbahnen und Pendelbahnen mit einer Bundeskonzession. Das sind Seilbahnanlagen, die für die gewerbsmässige Beförderung von mindestens acht Personen je Fahrtrichtung zu­ gelassen sind. Das BAV erteilt Plangenehmigungen und Betriebsbewilligungen. Es überwacht auch den Betrieb der Seilbahnen. In diesem Zusammenhang kann es Kontrollen und Audits durchführen, Prüfungen und Sachverständigengutachten verlangen. Das BAV übt seine Überwachungstätigkeit dort stichprobenweise gemäss Risikobewertung aus. Die Prüf­ kriterien für die Sicherheit umfassen die Organisation des betreffenden Unternehmens, den Betriebsablauf, das Personal, den Unterhalt und das technische Niveau der Anlage. Das Seilbahnunternehmen ist für die Sicherheit seiner Anlage selbst verantwortlich. Nach dem Seilbahngesetz muss der Inhaber oder die Inhaberin der Betriebsbewilligung «die Seilbahn so in Stand halten, dass die Sicherheit jederzeit gewährleistet ist». Die Inhaber müssen sich also proaktiv verhalten und dürfen nicht darauf warten, dass das BAV eine Lücke entdeckt. Das BAV kann Massnahmen anordnen, wenn die Betreibergesellschaft die geltenden Vorschriften nicht einhält. In schweren Fällen kann das BAV den Betrieb einstellen.

Reportage

Den lähmenden Schreck, der die Fahrgäste einer blockierten Kabine oft befällt, scheinen die BAV-Leute nicht zu kennen: Alle lassen sich problemlos am Seil hinab zu Boden gleiten; einige kramen sogar ihre Fotokamera aus der Tasche, um den Moment zu verewigen. Der Vorschlag, nun selbst die Rolle der Retter zu übernehmen, löst jedoch weniger Begeisterung aus. «Ich habe kein Problem damit, auf eine Stütze zu steigen. Aber entlang des Seils zur Kabine zu gleiten, entspricht mir weniger», bringt es ein Teilnehmer auf den Punkt.

Trotzdem wagen zehn den Versuch. Oben auf der Stütze werden die angehenden Retter von den Spezialisten nochmals instruiert, dann folgt die Fahrt mit der Tyrolienne. Die BAV-Leute bewegen sich ruckweise vorwärts und drehen sich um sich selbst im wolken­ losen Himmel. Was bei den SAC-Spezialisten so einfach und elegant aussah, wirkt mangels Übung deutlich weniger flüssig und langsamer. Dasselbe gilt für den Hochseilakt auf dem Trittbrett der blockierten Seilbahnkabine, die es zu evakuieren gilt.

Die Anstrengung vermag die gute Laune dieser Mutigen nicht zu verderben. Sie werden von ihren Kollegen, die unten auf der Weide geblieben sind, angefeuert. Das Fazit eines der Sicherheitsspezialisten für Seilbahnen beim BAV, der für ein paar Minuten in die Rolle des Rettungsspezialisten geschlüpft ist, lautet denn auch: «Es war gut, eine solche Übung zu machen. Dadurch erlebt man, wovon man spricht.» Florence Pictet  Kommunikation

Die Retter steigen in Zweierteams auf den nächstgelegenen Masten. Während ein Retter mit einer Tyrolienne zur Kabine fährt, wird er vom Team­kollegen auf dem Masten gesichert. Das Öffnen der Tür einer Seilbahnkabine in luftiger Höhe ist nicht ganz einfach.

13

Nr. 55 | HINTERGRUND

Trends im Güterverkehr: immer mehr Sattelanhänger

Die Verlagerung des Güterverkehrs in und durch die Schweiz auf die Schiene ist  ein Kernelement der Schweizer Verkehrspolitik. Um dieses Ziel zu unterstützen, wirft das BAV soweit möglich einen Blick in die Zukunft: Welche Trends zeichnen sich im Unbegleiteten Kombi-Verkehr ab? Und welches sind die Folgen für die Infrastruktur und den Markt? Eine Studie kommt zum Schluss, dass künftig vermehrt höhere Güterzüge durch die Schweiz fahren werden. Die Zeit für schwerere, schnellere oder längere Züge ist jedoch noch nicht gekommen. Die Entwicklung im Unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) wird von zwei Faktoren geprägt: Neue Fahrzeugtypen von Lastwagen im Strassengüterverkehr beeinflussen den Markt und damit die durch die Schweiz transportierten Mengen. Die technologischen Innovationen ihrerseits beeinflussen die künftige Abmessung der UKV-Züge und stellen damit Anforderungen an die Schienen- und Terminal-Infrastruktur in der Schweiz. Gigaliner in Diskussion Im Bereich Strassengüterverkehr ist das Stichwort auf dem Tisch: Gigaliner, Trucks mit ­einer Länge von 25,25 Metern und ­einem Gesamtgewicht von 60 Tonnen. Seit rund vier Jahren streben Automobilindustrie, Verlader und Teile der Transport- und Logistikwirtschaft nach höheren Gewichtslimiten für LKW in Europa. Heute liegt das maximale LKW-Gewicht für den grenzüberschreiten-

Kurz Notiert Die Studie wurde im Auftrag vom BAV von den Beratungsbüros KombiConsult und K+P Transport Consultants unter Einbezug verschiedener Akteure der Transport- und Logistikbranche erarbeitet. Sie ist abrufbar unter www.bav.admin.ch/ verlagerung.

14

Der Trend: Im Unbegleiteten Kombi-Verkehr werden immer mehr Sattelanhänger eingesetzt.

den Verkehr bei 40 Tonnen. Ausnahmen sind Finnland und Schweden, die bereits vor dem EU-Beitritt schwerere LKW zugelassen hatten. Überdies kennen im innerstaatlichen Verkehr 9 von 27 Mitgliedsländern höhere Gewichtslimiten als 40 Tonnen. Die Diskussion über die Zulassung von Gigalinern ist noch nicht beendet. Es ist gemäss Studie davon auszugehen, dass die EU in dieser Frage wohl einen Kompromiss anstrebt: etwas länger und etwas schwerer, aber keine Gigaliner. Konkret: Die maximal zulässige Länge eines Sattelkraftfahrzeuges wird auf 17,9 Meter erhöht (60 t = 25,25 m). Dies würde rund zehn Prozent mehr Kapazität bringen. Zusätzlich wird das Gesamtgewicht auf 44 Tonnen (bei sechs Achsen) erhöht. Dies käme «gewichtigen» Branchen wie der Papier-, Stahl-, Chemie- oder Baustoffindustrie zugute. Mega-Trailer auf den Strassen Eine weitere Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass immer mehr hohe Sattelzüge im Einsatz sind. Seit der sogenannte Mega-Trailer mit einer Laderaum-Innenhöhe von 3 Metern bei 40 Tonnen Gesamtgewicht auf dem Markt ist, setzt er sich mehr und

mehr als Standard durch. Dieser Fahrzeugtyp überschreitet zwar mit einer Gesamthöhe von bis zu 4,10 Meter die zulässige Höhe, dies wird von vielen Strassenverkehrsbehörden in Europa jedoch toleriert. Diese beiden Entwicklungen der LKW  – 44 Tonnen Gewicht und 4,10 Meter Gesamthöhe – haben an sich keine direkten Folgen für die Anforderungen an den UKV: Entsprechende Ladeeinheiten im UKV können bereits heute transportiert werden. Allerdings würde eine höhere Gewichtslimite von 44 Tonnen im Strassenverkehr für den UKV den Verlust ­eines Wettbewerbsvorteils bedeuten: Mehrere Staaten – so auch die Schweiz – erlauben heute nur im Rahmen des UKV bereits ein LKW-Gewicht von 44 Tonnen. Dieser Gewichtsvorteil gegenüber dem reinen LKWVerkehr würde hinfällig. Keine Alternative ist, parallel das Gewicht im UKV auf 46 oder 48 Tonnen zu erhöhen, da damit die Umschlagsgeräte in den Terminals überfordert wären. Trailer statt Wechselbehälter Die Bahninfrastruktur und den Markt beeinflussen könnte jedoch der steigende Anteil von Sattelzügen, also Zugfahrzeuge mit Trai-

HINTERGRUND

lern. Dieser Trend zu mehr Sattelzügen gegenüber den herkömmlichen Lastwagen (Fahrerkabine fest mit Laderaum verbunden) wird anhalten. Viele KV-Kunden stellen von Wechselbehälter auf Trailer um oder setzen bei Ersatzinvestitionen auf Sattelanhänger statt anderer Behälter. Zwar liegt heute unter Berücksichtigung aller Verkehre der Anteil an Sattelzügen unter zehn Prozent. Doch die Unterschiede sind enorm: Während im Verkehr mit SüdwestEuropa gar keine Sattelanhänger befördert werden, sind es im durchgehenden Verkehr mit Nordeuropa bis zu 90 Prozent. Bis im Jahr 2030 dürfte sich der Sattelanhänger-Anteil am kontinentalen UKV mit der Schweiz auf rund 20 Prozent verdoppeln. Überdies besteht ­Potenzial für die Verlagerung auf die Schiene: Im Jahr 2008 waren rund 62 Prozent der ­alpenquerenden Fahrten durch die Schweiz LKW mit Sattelanhänger. Höhere Lichtraumprofile Im UKV von und nach Italien können derzeit einzig im Lötschberg-Korridor und nur in begrenzter Zahl Züge mit entsprechender Eckhöhe geführt werden, nicht aber im Gotthard-Korridor. Ein Blick nach Österreich zeigt, wie sich ein höheres, für Sattelanhänger taugliches Lichtraumprofil auswirken könnte: Im Jahr 2000 wurde das Profil im BrennerTransitverkehr angehoben. Während sich der UKV über den Brenner von 1999 bis 2008 rund vervierfachte, stieg der Anteil an kranbaren Sattelanhängern um mehr als das Sechsfache. Der Marktanteil von Sattelanhängern stieg von 18 auf 28 Prozent. Würde diese Entwicklung 1:1 auf die Schweiz übertragen, stiege der Anteil an Sattelanhängern im intermodalen Kontinentalverkehr durch die Schweiz im Jahr 2030 auf über 25 Prozent. Die Schweizer Korridore würden mit höherem Lichtraumprofil an Attraktivität gewinnen. Weitere Markttrends Die Studie analysiert eine Reihe von weiteren Trends und Technologien im Entwicklungsstadium: So etwa das Marktpotenzial bei Transporten, die bei konstanter Temperatur durchgeführt werden müssen. Allerdings fehlt noch eine technische Lösung für die durchgehende, effiziente Stromversorgung der Temperaturregelung. Würde hier eine befriedigende Lösung gefunden, bestünde im Bereich

Food und Chemie ein grosses Marktpotenzial für den UKV. Beurteilt werden in der Studie überdies Versuche mit längeren Güterzügen und höheren Geschwindigkeiten. Die Bedürfnisse des Marktes sind hier eindeutig: Gewünscht wird eine Standardisierung auf einheitliche Zugslängen und einheitliche Zugsgeschwindigkeiten, weil dies – ebenso wie ein weitgehend standardisiertes Terminal-Layout – eine optimale Ausnutzung der Kapazitäten erlaubt. Die ebenfalls untersuchten Cargosprinterund andere spezielle Shuttlezug-Technologien können dagegen nur Nischen füllen und keine erfolgreiche Alternative zum herkömmlichen UKV darstellen.

höhe auf dem Gotthard-Korridor wird im Rahmen des Konzepts Bahn 2030, Variante 21 Milliarden, geprüft. Stehen weniger Finanzen zur Verfügung, stehen die Massnahmen in Konkurrenz zu Massnahmen für mehr Kapazität und Sitzplätze auf der OstWest-Achse. Voraussichtlich im ersten Halbjahr 2011 wird der Bundesrat die Vernehmlassung zu Bahn 2030 eröffnen. Zugleich wird geprüft, ob mit besonderen finanziellen Anreizen im Rahmen der schweizerischen KV-Förderung technische Entwicklungen, die neue Marktpotenziale – zum Beispiel im Bereich temperaturgeführter Güter – erschliessen, forciert werden können.

Konsequenzen für die Politik Die Ergebnisse der Studie sind zugleich Aufgabe für weitere Arbeiten des BAV: Eine Erhöhung des Lichtraumprofils auf 4-m-Eck-

Reto Schletti  Sektion Güterverkehr

Sattelanhänger (vorne) unterwegs im UKV auf der Gotthard-Strecke.

Mega-Trailer mit einer Laderaum-Innenhöhe von drei Metern bei 40 Tonnen Gesamtgewicht setzen sich als Standard durch.

15

Nr. 55 | Aktuell

Mit dem öV unterwegs bis 100

Kurz Notiert Die Unterlagen der Tagung sind auf der BAV-Website (www.bav.admin.ch/mobile) aufgeschaltet. Dort kann auch gratis die DVD «Offside  – Senioren im öffentlichen Verkehr» bestellt werden. Mit dem Film will das BAV namentlich öV-Unternehmen und Verkehrsplaner für die Schwierigkeiten und Bedürfnisse älterer Menschen im öffentlichen Verkehr sensibilisieren.

Aufnahmen zum Video «Offside – Senioren im öffentlichen Verkehr».

Die Menschen werden immer älter. Oft bleiben sie unternehmungslustig und mobil. Und aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt der Anteil älterer Menschen in der Schweizer Bevölkerung stetig zu. In den nächsten Jahrzehnten wird sich dies auch massgeblich auf den öffentlichen Verkehr (öV) auswirken. ­Einerseits sind öV-Unternehmen gesetzlich verpflichtet, ein altersgerechtes Angebot zu erbringen. Ältere Kundinnen und Kunden sind aber auch eine Chance, den Marktanteil des öV zu erhöhen. Mit dem Ziel, die öV-Unternehmen für die Herausforderungen und Chancen durch die ältere Kundschaft zu sensibilisieren, hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) am 8. April 2010 eine Tagung mit dem Titel «öV-Kunde bis 100: Altersgerechtigkeit im öffentlichen Verkehr» durchgeführt. Das Interesse der an-

16

gesprochenen Unternehmen war gross. Rund 70 Vertreterinnen und Vertreter von Bahn-, Bus- und städtischen Verkehrsunternehmen sowie von Kantonen und Gemeinden der ganzen Schweiz nahmen an der Fachveranstaltung teil. Wie BAV-Vertreter ausführten, gibt es bereits eine gesetzliche Grundlage, die ein öV-Angebot für Menschen mit spezifisch altersbedingten Bedürfnissen verlangt: Der Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) umfasst verschiedene Arten von Beeinträchtigungen, auch Einschränkungen im Bereich Sehen, Hören und Beweglichkeit im Alter, selbst wenn dabei selbstverständlich nicht von «Behinderungen» im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann. Nebst den gesetzlichen Grundlagen wurden an der Tagung die möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen älterer Menschen

und die damit verbundenen Herausforderungen für die Benützung des öffentlichen Verkehrs aufgezeigt: So sind sie etwa langsamer im Zu- und Aussteigen von Fahrzeugen, haben vielleicht Schwierigkeiten mit der Verständlichkeit von Lautsprecherdurchsagen oder mit der Schriftgrösse und Darstellung von Bildschirmen, Fahrplänen und Informa­ tionstafeln. Ein von der BAV-Fachstelle Mobilitätsfragen in Auftrag gegebener Film «Offside  – Senioren im öffentlichen Verkehr» präsentiert professionell, aber mit einer unterhaltenden Note die Thematik. Thema an der Tagung waren auch die Chancen für den öV: Viele ältere Menschen wollen oder müssen auf das Auto verzichten. Um trotzdem mobil zu bleiben, bietet der öV eine gute Alternative. Als Referentinnen und Referenten traten Vertreter des BAV und des Bundesamtes für Strassen (ASTRA), der Arzt Ludo Cebulla (Cebulla Gesundheitsprojekte), die Mobilitätsfachfrau Andrea de Meuron (rundum-mobil) sowie Ernst Widmer vom Schweizerischen Seniorenrat (SSR) und Werner Hofstetter von der Fachstelle Behinderte und öffentlicher Verkehr (BöV) auf.

Gregor Saladin  Kommunikation

HINTERGRUND

Mit Bahn, Bus, Schiff und Seilbahn sicher unterwegs

Wer mit dem öffentlichen Verkehr (öV) unterwegs ist, reist nicht nur umweltbewusst, sondern auch sicher. Dies zeigt der soeben veröffentlichte Sicherheitsbericht 2009 des Bundesamtes für Verkehr (BAV). Die Unfallzahlen bei Bahnen, Bussen und Schiffen liegen wie in den Vorjahren auf tiefem Niveau. Im Jahr 2009 ereigneten sich im öV in der Schweiz 220 Unfälle mit Toten und Schwerverletzten oder mit grossem Sachschaden, rund die Hälfte davon bei den Eisenbahnen. Dies ist eine Abnahme gegenüber den Vorjahren, als 260 (2008) und 254 (2007) Unfälle gemeldet wurden. Bei diesen Ereignissen starben insgesamt 39 (im Vorjahr 41) Personen, davon drei Fahrgäste. Zum Vergleich: Auf den Schweizer Strassen sterben jährlich rund 350 Personen1. Die Zahl der schwer verletzten Personen im öV sank gegenüber dem Vorjahr um 50 auf 144. Die meisten Todesfälle und schweren Verletzungen ereignen sich beim unberechtigten oder unvorsichtigen Überqueren von Bahn- und Tramgeleisen (vgl. Artikel «Jeder Unfall ist einer zuviel» auf Seite 18 dieser Nummer).

chen Verkehr erarbeitet, der sich an die ­Sicherheitsberichte der europäischen Eisenbahnbehörden anlehnt. Der jüngste Bericht umfasst die Aufsichtstätigkeit des Amtes über die verschiedenen Verkehrsbereiche (Bahnen, öffentlicher Verkehr auf Strasse, Seilbahnen und Schifffahrt) sowie Ereignisse und Massnahmen des Jahres 2009. Die Unfalldaten für den BAV-Sicherheitsbericht werden für den Eisenbahnbereich nach denselben Definitionen für Unfälle und Personenkategorien aufgearbeitet, die auch die europäischen Eisenbahn-Sicherheitsbehörden verwenden (gemäss Artikel 18 der EU-Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit). Weil diese Definitionen nicht sinnvoll auf die anderen öffentlichen Verkehrsmittel angewandt werden können, werden auch die Unfallzahlen gemäss der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU) erhoben. Die obigen Zahlen beziehen sich auf die Darstellung gemäss VUU.

Kurz Notiert Im Zug deutlich sicherer unterwegs als im Auto In der Schweiz liegt kein Quervergleich zur Sicherheit der verschiedenen Verkehrsträger vor. Ausgehend von der Verkehrsleistung (22 % davon werden vom öV erbracht, 78 % vom motorisierten Individualverkehr) und der Anzahl Toten und Verletzten (39 gegenüber rund 350 und 144 gegenüber rund 5000) ergibt sich überschlagsmässig ein Verhältnis von rund 1:3 oder 1:10 bei Unfallopfern und Verletzten. Werden hingegen die Insassen betrachtet, so ist das Fahren im Zug und Bus bei drei getöteten Reisenden im Jahr 2009 etwa 40-mal sicherer als mit einem individuellen Verkehrsmittel. Die deutsche Vereinigung «Allianz pro Schiene» schätzt das Todesrisiko im Zug als 63-mal geringer ein als im Auto, das Verletzungsrisiko als 96-mal geringer.

Gregor Saladin  Kommunikation 1

Das BAV im Dienste der Sicherheit Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es indes bei keinem Verkehrsträger. Um den hohen Sicherheitsstandard im öffentlichen Verkehr der Schweiz zu halten und zu verbessern, hat das BAV auch 2009 zahlreiche Kontrollen vor Ort durchgeführt. Zudem wurden Ver­ ordnungen und Regelwerke angepasst, Auflagen an Verkehrsunternehmen ausgesprochen sowie Bauprojekte oder Fahrzeuge geprüft. Das BAV hatte für das Jahr 2007 erstmals ­einen Bericht über die Sicherheit im öffentlilink Der Sicherheitsbericht 2009 ist abrufbar auf www.bav.admin.ch ì Themen ì Sicherheit

Die Unfallzahlen für den Strassenverkehr im Jahr 2009 lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Für die verschiedenen Verkehrsträger des öffentlichen Verkehrs sehen die Zahlen für 2009 wie folgt aus: Verkehrsart

Unfälle

Getötete

schwer Verletzte

2007 2008 2009 2007 2008 2009 2007 2008 2009 Eisenbahn

115

103

104

22

24

30

53

51

40

Zahnradbahn

0

0

2

0

0

0

0

0

1

Strassenbahn

47

58

39

5

5

6

41

50

33

Trolleybus

24

13

18

1

3

1

25

10

17

Autobus

41

76

54

5

8

2

39

73

49

Standseilbahn

0

1

0

0

0

0

0

1

0

Luftseilbahn

7

7

3

0

1

0

7

7

4

Schiff

0

2

0

0

0

0

0

2

0

Total

254

260

220

33

41

39

165

194

144

17

Nr. 55 | HINTERGRUND

Im Schulzug der SBB werden Jugendliche auf Gefahren im Gleisbereich aufmerksam gemacht.

«Jeder Unfall ist einer zu viel!»

Unvorsichtiges Verhalten in Gleisnähe hat oft schwerwiegende Folgen. Nicht nur in Bahnhöfen oder bei Gleisübergängen, auch in Städten mit Trambetrieb kommt es oft zu schweren Unfällen. Präventionsmassnahmen sollen auf Gefahren im Gleisbereich aufmerksam machen. Mehr als 10 000 Ergebnisse ergibt alleine die Internetsuche mit den Begriffen «Personenunfall» und «Schiene». Darunter finden sich Zeitungsberichte sowie Foren- und Blog-Einträge. Es fällt dabei auf, dass häufig unvorsichtiges Verhalten Grund für Unfälle im öffentlichen Verkehr ist: Kinder spielen kurz vor einer Zugeinfahrt in St. Margrethen auf den Gleisen – ohne Folgen. Ein Jugendlicher versucht in Basel zwischen zwei Tramwagen hindurch zu steigen und wird einige Meter mitgeschleift  – er stirbt. Eine 17-Jährige in Muralto klettert auf einen Bahnwagen und erhält einen Stromschlag – sie hat die Fahr-

18

leitung nicht berührt. Ein junger Mann will einen abfahrenden Zug besteigen und gerät unter den Zug, eine andere Person stirbt beim Überqueren von Gleisen. Die Liste könnte beliebig ergänzt werden. Doch wie kann man solche Unfälle verhindern? Die SBB zum Beispiel setzt seit 2003 einen Schulzug ein. Bereits mehr als 100 000 Schülerinnen und Schüler zwischen 11 und 16 Jahren wurden so auf Gefahren im Gleisbereich, aber auch auf Vandalismus, Littering und Gewalt aufmerksam gemacht. Diego Marti, Leiter SBB Schulinfo und Projektleiter «Sicher fair!», sieht in den Besucherzahlen einen Vertrauensbeweis: «Das europaweit einzigartige Angebot gefällt. Dies zeigt die positive Resonanz der Lehrpersonen.» Die kritische Lehrerschaft würde ein schlechtes Angebot nicht unterstützen. Doch konnte der Schulzug die Zahl der Unfälle beeinflussen? Die Anzahl Unfälle sei statistisch gesehen relativ gering, erklärt Marti.

Daher sei ein direkter Zusammenhang zwischen Aufklärung und Unfallzahlen nicht fassbar. Diego Marti: «Doch jeder Unfall ist einer zu viel. Wir tun, was wir können, und wir würden auch bei null Unfällen in einem Jahr weitermachen. Denn es ist eine Investition in die öV-Kunden von morgen. Auch künftige Generationen müssen zuerst über Gefahren informiert werden.» Ziel ist es laut Marti, Gefahren aufzuzeigen und den Jugendlichen einen Denkanstoss zu geben. Denn bauliche Massnahmen, gezielte Präsenz der Bahnpolizei, präventive Plakatwerbung oder das Verteilen von Bussen verändere das Verhalten nicht immer. In Deutschland ist unter anderen die Bundespolizeiinspektion Düsseldorf aktiv, um auf die Gefahr des Starkstroms aufmerksam zu machen. Seit 2008 wird ein Oberleitungsmodell an sogenannten Blaulichttagen und Präven­ tionsprogrammen präsentiert. Das Modell wurde zusammen mit der Deutschen Bahn

HINTERGRUND

entworfen. «Mit der Ausrichtung auf ein breites Zielpublikum erhoffen wir uns», erklärt Armin Roggon, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Düsseldorf, «dass zum Beispiel auch Eltern oder Grosseltern ihre Sprösslinge und Enkelkinder über diese ­Gefahr informieren». Unbestritten besteht Handlungsbedarf: Im Jahr 2008 gab es allein im Raum Nordrhein-Westfalen sechs Todesopfer aufgrund von Stromschlägen. Die meisten Opfer sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, welche die Gefahr nicht richtig einschätzten und unachtsam seien, so Roggon. Strom ist nicht sichtbar und werde gerade von Kindern oft nicht als Gefahr erkannt. Seit zwei Jahren wird an Schulen auch über andere Gefahren im Gleisbereich informiert. «Wir handeln offensiv», sagt der Pressesprecher, «und passen uns an die jeweilige Altersgruppe an. Wir wollen die Sicht der Kinder einnehmen.» So wird beispielsweise bei Jugendlichen auch die Graffiti-Kultur angesprochen. Die Aussenwirkung bei Graffitis auf Bahnwagen ist hoch. «Man wird als Sprayer wahrgenommen. Und die Szene lebt vom Kick. Doch leider wird auch in dieser Szene die Gefahr oft unterschätzt.» Hannes Meuli, Leiter der Sektion Sicherheitsrisiko-Management beim Bundesamt für Verkehr, sieht die Unachtsamkeit der Bevölkerung ebenfalls als grösstes Sicherheitsproblem im Gleisbereich: «Die grösste Zahl der Personenschäden ist auf unerlaubtes Betreten von Gleisen zurückzuführen.» Zwar sind die Transportunternehmen nach Eisenbahngesetz für die Sicherheit der Kunden verantwortlich. «Doch die Sicherheitsprobleme dürfen uns als BAV nicht egal sein», ergänzt Meuli. Verschiedene Vorschriften wurden bereits erlassen. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundesamts für Verkehr und der

Am 15. Deutschen Präventionstag von Mitte Mai 2010 in Berlin informiert die Bundespolizei Düsseldorf über Gefahren mit Starkstrom.

Auf attraktive, spielerische Weise testen Jugendliche im SBB-Schulzug ihr Wissen um Gefahren im Bahn­bereich.

E­ isenbahnunternehmen klärt zudem ab, wie die Sicherheit auf Perrons weiter erhöht werden könnte. Doch nicht alle Unfälle können durch organisatorische oder bauliche Massnahmen verhindert werden. Bauliche Verbesserungen stünden oft auch in einem gewissen Zielkonflikt zu anderen gesellschaftlichen Anliegen wie beispielsweise Naturschutz oder Ästhetik. «Ein weiterer Hotspot sind Bahnübergänge», sagt Meuli. «Auch hier muss man handeln!»

Auf die Gefahren im Bereich der Bahnübergänge will das Bundesamt für Verkehr mittels einer Informationskampagne aufmerksam machen. Diese wird in der letzten Juniwoche im Schweizer Fernsehen gezeigt. «Mit der Kampagne wollen wir die Leute sensibilisieren und zu mehr Selbstverantwortung auffordern», so Meuli. Peter Gisler  Sektion Direktionsgeschäfte

19

Nr. 55 | HINTERGRUND

Umgang mit Risiken

Erkenntnisse

Verwaltungsinstrumente (Datenbanken, spezifische Tools usw.)

Bewertungsinstrumente

Führungsinstrumente

Risikoanalysen

Überwachungsplanung

Besondere Massnahmen

Sicherheitsbericht

Auswertungen

Stellungnahmen

VUU: Verordnung über die Unfalluntersuchung UUS: Unabhängie Unfalluntersuchungsstelle für Eisenbahnen und Schiffe

Sicherheitsrelevante Informationen und deren Verwendung im BAV.

20

Medien/ Ausland

Audit durch BAV

für bestimmte Züge. Gleichzeitig wurden vertiefte Analysen durchgeführt, um Gewissheit über die Ursachen der Bremsprobleme der Güterzüge zu erlangen. Das BAV führte gemeinsam mit verschiedenen Bahnunternehmen weitergehende Untersuchungen durch: Hat die unsachgemässe Beladung der Eisenbahnwagen negative Folgen auf die Wirkung der Bremsen? Steht die  ungenügende Bremswirkung in Zusammenhang mit der Instandhaltung der Wagen? Stimmen die langjährigen Berechnungsgrundlagen für die Bremswege oder müssen die bestehenden Grundlagen den heutigen Gegebenheiten angepasst werden? Für die Untersuchung der ersten Frage wurde modernste Technologie eingesetzt: «RadlastCheckpoints» messen das Gewicht der Wagen und stellen gefährliche Ladungsverschie-

Betriebskontr. durch BAV

Meldungen (intern/extern)

Berichte der UUS

Meldung gemäss VUU

Aussagen

Ein grosser Teil der Arbeit des BAV als Aufsichtsbehörde im Bereich Sicherheit besteht darin, Risiken und deren Ursachen möglichst frühzeitig zu erkennen – noch ehe ein Unfall geschieht. Ein Element dieser Arbeit ist die Auswertung von Ereignissen, die zwar nicht zu Unfällen geführt haben, die aber durchaus schlimmere Folgen hätten zeitigen können. Anhand eines Beispiels zeigt Swiss­ Traffic das Vorgehen auf. Anlässlich von Versuchsfahrten im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Eisenbahn-Sicherungssystems ETCS wurde festgestellt, dass viele Güterzüge offenbar nicht immer innerhalb des geforderten Bremswegs anhalten können. Diese Erkenntnis gab Anlass zu Sofortmassnahmen wie zum Beispiel die Anordnung von tieferer Geschwindigkeit

Kurz Notiert Das BAV beteiligt sich am Internationalen Bahnübergang-Präventionstag ILCAD (International Level Crossing Awareness Day) Auf Bahnübergängen verunfallen immer noch viele Personen: In Europa sind jedes Jahr Hunderte solcher Unfälle zu beklagen. Die allermeisten dieser Unfälle werden durch Fehlverhalten von Strassen­ verkehrsteilnehmenden verursacht. Aus diesem Grund wurde ein «Tag der Bahnübergänge» eingeführt. Am 22. Juni 2010 soll die Öffentlichkeit daran erinnert werden, dass Unfälle auf Bahnübergängen vermieden werden können, wenn die Verkehrsvorschriften eingehalten werden.

bungen fest. Die Daten können mit den Zuglisten verglichen werden, mit welchen vorgängig die Bremswirkung berechnet wurde. In diesem Bereich wurden keine massgebenden Abweichungen zu den Vorschriften festgestellt; der Verdacht auf überladene Güterwagen erhärtete sich nicht. Im Bereich der Instandhaltung zeigte sich Handlungsbedarf bei Zügen, die sich stets aus den gleichen Wagen zusammensetzen. Wagen solcher Züge verlieren gemeinsam an Bremskraft. Bei Blockzügen kann dies zu ­einem Akkumulations-Effekt führen, welcher bei Zügen, deren Wagen regelmässig gemischt und neu zusammengestellt werden, nicht vorkommt. Die Sektion Sicherheitsrisiko-Management (SRM) des Bundesamts für Verkehr (BAV) wertet laufend verschiedenste sicherheits­ relevante Informationen aus. So lassen sich gefährliche Situationen und Trends rechtzeitig feststellen. Die Zahl der schweren Unfälle in der Schweiz ist glücklicherweise ausgesprochen klein. Alleine auf dieser statistischen Grundlage kann das Risiko nicht zuverlässig genug abge-

Museum

BAV-Mitarbeitende unterwegs: Museumstipp

Verkehrszentrum des Deutschen ­Museums

In der Nähe von Trin warnt die RhB vor Aufenthalt im Gleisbereich.

schätzt werden. Deshalb betreibt das BAV die «Risikolandschaft» (RiLa), welche das gesamte Schienennetz der Schweiz bewertet. Dank der periodischen Weiterentwicklung der «RiLa» ist das BAV in der Lage, ergänzend zum statistischen Risiko auch das potenzielle Risiko des Bahnfahrens abzuschätzen. Auf dieser Basis kann das BAV in seiner Aufsichtsarbeit risikoorientiert Prioritäten setzen und Massnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt treffen. 

Das Deutsche Museum auf der Münchner Isarinsel gilt als eines der wichtigsten technischen Museen der Welt. Ein grosser Teil des Bereiches Verkehr ist jedoch im Verkehrszentrum, einer Zweigstelle in den alten Messehallen, untergebracht. Im Verkehrszentrum München gibt es vieles zu entdecken: Fahrräder aller Zeiten und Typen – vom Ur-Velo bis zum Mountainbike –, verschiedene Oldtimer-Fahrzeuge, aber auch «Formel-1»-Autos. Mechanische Aspekte werden multimedial dargestellt. Besucherinnen und Besucher können zudem eine hervorragende Modelleisenbahn bewundern, wenn auch etwas bescheidener als diejenige der Gotthard-Linie im Verkehrshaus Luzern. Einige Quadratmeter des bayrischen Museums sind auch dem Thema Mobilität gewidmet: Generelle Mobilitätsfragen werden angesprochen, aber beispielsweise auch die Funktionsweise eines Katalysators. Im Schienenverkehr wird eine interessante Reihe von Modellen gezeigt, aber auch Züge in Originalgrösse: ein Bahnpostwagen, in welchem Briefe und Pakete während der Fahrt sortiert wurden, ein ICE, ja sogar Rollmaterial

aus der Schweiz: ein Personenwagen der Rhätischen Bahn (RhB) und ein Zahnrad-Dampftriebwagen der Pilatusbahn. Laëtitia Béziane  Sektion Planung

link www.deutsches-museum.de

Kurz Notiert Was Verkehrsausstellung des Deutschen Museums in 3 Hallen Wo Theresienhöhe 14a, 80339 München Wann offen meist von 9 bis 17 Uhr (ausser an Feiertagen) Wie U-Bahn: U4 oder U5, dann Bus 134, Haltestelle Schwanthalerhöhe oder ­S-Bahn: Haltestelle Hackerbrücke (von dort rund 15 Minuten zu Fuss) (Gebäude Brändle-Sanitär)

21

Nr. 55 | XX HiEr ruBriK XX

BAV-News Vom BAV zum BFS ulrich Sieber wechselte per 1. Juni vom Bundesamt für Verkehr zum Bundesamt für Statistik BFS. Er übernimmt die leitung der Abteilung Publikation und Kommunikation und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Sieber war seit 1999 Kommunikationschef und Mitglied der direktion sowie seit 2009 Präsident der «Koordination des Verkehrswesens im Ereignisfall» KoVE. Gregor Saladin (stv. Sektionschef) übernimmt ad interim Siebers bisherige Aufgaben im BAV.

Ulrich Sieber wechselt vom BAV zum BFS.

Simplon-Südrampe die italienische Bahninfrastrukturgesellschaft rFi saniert im zweiten Halbjahr 2010 den Kehrtunnel Varzo auf der italienischen Seite der Simplon-Südrampe zwischen iselle und domodossola. dies führt während den Bauarbeiten zu Einschränkungen. im Kehrtunnel Varzo ist während der gesamten Bauphase nur Einspurbetrieb möglich. Zusätzlich sind totalsperren nötig. rFi hat sich nach einer in-

22

tervention des BAV für eine tägliche totalsperre in zwei Phasen, von 10–13 uhr und 16–19 uhr, entschieden. Somit sind keine Fernverkehrszüge betroffen. Für eine geringe Zahl an interregio- und regionalzügen gibt es einen Busersatz zwischen iselle und domodossola. das BAV hat sich für eine tagsperre ausserhalb der Pendlerzeiten eingesetzt, da die Folgen einer nachtsperre auf den Güterverkehr und die rola nicht kompensiert werden können: Eine umleitung via Gotthard-Achse ist aufgrund des geringeren lichtraumprofils nicht möglich. dies hätte entgegen der Schweizer Verkehrspolitik zu einer vorübergehenden Verlagerung von Gütern auf die Strasse geführt. Neue Leitung Sektion Recht Ab 1. September 2010 wird Peter König neu die Sektion recht leiten. Er tritt die nachfolge von ueli Stückelberger an. der Jurist arbeitete seit 1991 in verschiedenen Funktionen bei der SBB, zuletzt als leiter «Verträge netz» bei der SBB infrastruktur/Finanzen. Internationale Präsenz im rahmen der internationalen nEAt-Kommunikation informiert das BAV regelmässig im Ausland über die Schweizer Verkehrspolitik. So organisierte das BAV Anfang Jahr gemeinsam mit dem Hafen rotterdam einen roundtable in den niederlanden. Verantwortliche von Politik und der transportbranche erhielten Gelegenheit zum inhaltlichen Austausch.

Am Forum «trasporto Merci sostenibile con intermodalità» der Energethica in Genua referierte davide demicheli im namen des BAV über die Bedeutung des Korridors rotterdam–Genua, die Schweizer Verlagerungspolitik und die nEAt. und BAV-Vizedirektor Pieter Zeilstra stellte am Eröffnungsanlass des logistics Forums in duisburg im rahmen der Veranstaltung «Mega-infrastrukturprojekte – wird Mitteleuropa zum Flaschenhals internationaler Warenströme?» den Schweizer Beitrag zu einer europäischen Verlagerungspolitik dar. Leitfaden für Vorschriften das Verfassen neuer Betriebsvorschriften durch die Bahnunternehmen ist anspruchsvoll. das BAV hat zusammen mit SBB, VöV und dem arbeitspsychologischen institut der EtH einen anwendergerechten leitfaden entwickelt. Er setzt sich namentlich vertieft mit dem «Human Factor» auseinander. das BAV ist überzeugt, mit dem leitfaden einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Eisenbahnverkehr zu leisten. BAV redet mit nach einer längeren Vorlaufzeit wurde die Schweiz als Vollmitglied mit Stimmrecht in eine teil-organisation der uno, das SubCommittee on transport of dangerous Goods (tdG), aufgenommen. die organisation befasst sich mit der Harmonisierung der internationalen Vorschriften für den transport gefährlicher Güter.

PortrAit

Wir über uns

Christian Banfi Sektion Fahrzeuge tessin, romandie, deutschschweiz: nach meiner Berufslehre habe ich meinen Heimatkanton verlassen und in Yverdon am damaligen technikum Maschineningenieur studiert. danach arbeitete ich in der industrie und kam im Juni 2006 ins BAV. Hier begleite ich Seilbahnen in allen Phasen: Genehmigungsverfahren, inbetriebnahme und auch Betriebskontrollen. nebst technischen Kenntnissen erfordert meine Arbeit auch eine gute Kondition: Ab und zu steige ich auf das dach einer Seilbahnkabine oder eine Stütze, um den Zustand der Anlage zu kontrollieren; auch wenn das Wetter nicht immer ideal ist. Auch privat bin ich oft in luftiger Höhe: mit einem Gleitschirm. Wenn ich in locarno bin, fahre ich auf den Cimetta – den Hausberg von locarno – auf 1650 Meter über Meer und gleite hinunter. der Flug dauert mindestens zwanzig Minuten. Mit den modernen Gleitschirmen lässt sich die Flugdauer aber auch auf mehrere Stunden ausdehnen. im BAV schätze ich die Kompetenz meiner Kolleginnen und Kollegen und auch den Kontakt zu Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen. in meinen Ferien entdecke ich gerne andere Kulturen. letztes Jahr war ich im Mittleren osten. und ich fuhr mit dem Motorrad – einer anderen leidenschaft von mir – bis hinauf ans nordkap. Mit dem Motorrad habe ich auch die algerische Wüste erkundet. diesen Sommer möchte ich nach Polen fahren. obwohl ich ein leidenschaftlicher Motorradfahrer bin, reise ich an den Wochenenden mit dem Zug heim ins tessin.

Heidi Ryser Abteilung Sicherheit Seit bald 29 Jahren arbeite ich im BAV. Hier trat ich meine erste Arbeitsstelle an. Eigentlich sah ich die Handelsschule nur als Überbrückung bis zum lehrbeginn als Kinderkrankenschwester. Aber nach einem Praktikum entschied ich mich 1981 doch fürs Büro. Von Beginn weg arbeitete ich im Vorzimmer des damaligen Vizedirektors Hans rudolf isliker und wurde später seine persönliche Sekretärin. Seither arbeitete ich immer für die leiter der «technischen» Abteilung. Meine Arbeit erfuhr dabei einen grossen Wandel: Einerseits die umstellung von Schreibmaschinen auf textverarbeitungssysteme und Computer. Vor allem änderte aber meine Zuständigkeit: Früher war Hauptaufgabe einer Sekretärin, die handschriftlichen notizen der Abteilungsleiter abzutippen. Mitdenken einer Sekretärin war viel weniger gefragt. Heute organisiere ich selbständig das Abteilungssekretariat, termine und Anlässe und unterstütze damit den Abteilungsleiter und die mir zugeteilten Sektionen. nach der Geburt des ersten meiner zwei Kinder, 1990, war ich die erste Mutter, die in teilzeit zu 50 Prozent im BAV weiterarbeitete – heute wieder zu 100 Prozent. damals wie heute ist das Verbinden von Familie und Beruf aufwändig und so bleibt wenig Zeit für Sport und Musik. ich bin aber weiter aktiv im «turnen für alle» und fahre gerne Velo. Sehr wichtig ist mir der Chor der neuapostolischen Kirche: ich singe gern und in dieser Gemeinschaft fühle ich mich getragen – in guten wie in schlechten Zeiten.

Martin Känzig Sektion Bautechnik Gotthard- und Ceneri-Basistunnel, dMl, CEVA, aber auch kleinere Projekte: Als leiter im Bereich tunnelbau und -sicherheit der Sektion Bautechnik bin ich zuständig für die Prüfung der Sicherheit der Eisenbahntunnel. nach dem Studium an der EtH war ich zuerst als Bauingenieur in ingenieurbüros tätig, dann 19 Jahre bei der SBB. dort leistete ich mit meinem team viel Entwicklungsarbeit für die infrastruktur der Bahn. Einiges davon wurde zum «State of the art»: Es entstanden zum Beispiel neue normen für Boden- und Felsanker, für lärmschutzwände oder Standards für die nEAt. Viele, gerade internationale Kontakte aus dieser Zeit konnte ich in den bald zehn Jahren beim BAV nutzen und weiter pflegen. das hilft, die diskussion und die BAV-Entscheide in Sicherheitsfragen breit abzustützen. Seit zwei Jahren habe ich ein 70-ProzentPensum, so bleibt genügend Zeit für andere dinge, die mir wichtig sind: meine Familie mit vier erwachsenen Kindern, oder unser Haus, das wir zurzeit renovieren. Als Ausgleich zur kopflastigen Büroarbeit bin ich gerne in der natur: Joggen und Velofahren gehören dazu. oft sind wir mit dem Velo unterwegs: an der ostsee, in der Bretagne oder in der Steiermark. Velofahren ist ein gutes tempo für die Ferien: nicht zu schnell, nicht zu langsam. nebenbei engagiere ich mich für den kleinen Spiele-laden «ludocca» meiner Frau, an der Berner rathausgasse; auch eine Gelegenheit, alte und neue Bekannte zu treffen.

23

Nr. 56 | vorschau

24

Die Südostbahn: Interview mit CEO Thomas Küchler. BAV-Fachleute im Ausland: gefragte Experten. Eisenbahn und Umwelt: Beitrag zur Biodiversität.