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Manuskript radioWissen SENDUNG: 29.03.2016 9. 00 Uhr/B2 AUFNAHME: STUDIO: Literatur Ab 8. Schuljahr TITEL: Barden in China Vom Zauber des Erzähl...
Author: Astrid Günther
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Manuskript

radioWissen

SENDUNG: 29.03.2016 9. 00 Uhr/B2

AUFNAHME:

STUDIO: Literatur Ab 8. Schuljahr

TITEL:

Barden in China Vom Zauber des Erzählens

AUTOR:

Stefan Schomann

REDAKTION:

Petra Herrmann

REGIE:

Frank Halbach

TECHNIK:

Susanne Herzig

SPRECHER

Christian Baumann

REPORTERIN

Hemma Michel

INTERVIEWPARTNER ZUSPIELUNGEN: liegen vor

Besondere Anmerkungen:

Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; kostenlose Service-Nr.: 0800-5900 222 / Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

1. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 1) Scharfes, kastagnettenartiges Staccato der Kuai-ba’er, der hölzernen Klapperstöcke der Geschichtenerzähler. Anfangs kräftige Impulse, die dann langsam in den Hintergrund treten. Nach drei Sekunden

2. ZUSPIELUNG (Landstraße) Einzelne Autos, Motor- und Lastdreiräder. Dazu kommt die

3. ZUSPIELUNG: Fahrrad Aus dem Archiv: Ein altes, klappriges Fahrrad. Darüber nach weiteren fünf Sekunden der

REPORTERIN Als erster macht Yang Wan-shan sich auf den Weg. Die Busfahrt nach Ma Jie [sprich: Mah Dschjä] würde achtzig Yuan kosten, rund elf Euro, doch soviel hat er nicht. Also verabschiedet er sich von seiner Mutter, bei der er seit sechsundfünfzig Jahren lebt, schwingt sich auf sein Fahrrad Marke Fliegender Adler – mit Abstand das älteste im Dorf, alle wundern sich, dass es noch fährt – und strampelt sieben Wintertage lang durch Henan [sprich: Höhnan]. All seine Kleidung trägt er am Leib, die Trommel baumelt unter der Querstange. Fahrradklingel T.C. 0:26-0:35 Er schläft bei Bauersfamilien, denen er, statt Quartiergeld zu zahlen, eine Privatvorstellung gibt.

Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; kostenlose Service-Nr.: 0800-5900 222 / Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

3 Yang ist selbst Bauer, auch wenn sein schmales Feld kaum etwas abwirft. Außerdem zieht er als Geschichtenerzähler über die Dörfer, wenngleich er auch damit selten reüssiert. Er versteht sich so nicht recht auf die Pflichtforderungen des Lebens. Umso mehr aber versteht er – von Begeisterung.

4. ZUSPIELUNG (Flöte) Solo auf einer Piccolo-Kürbisflöte. Vorab ein spitzer Pfiff (beim Gedankenstrich), nach „Begeisterung“ dann ein halsbrecherisches Presto. Die Straßenatmo bald ausblenden. Darüber die

REPORTERIN Beim größten Fest seiner Zunft anzutreten, das lässt er sich nicht nehmen. Vielleicht heuert ihn ja hinterher jemand für einen Auftritt an, dann kann er doch noch was verdienen.

5. ZUSPIELUNG (Eisenbahn 1) Ein Zug setzt sich in Bewegung. Laut und rhythmisch rollen die Räder über die Gleise, vereinzeltes Pfeifen der Lokomotive. Allmählich entfernt sich der Zug. Unter dem letzten Pfiff der Flöte einblenden, so dass der erste Pfiff der Lokomotive unmittelbar anschließt. Danach Einsatz der

REPORTERIN Als nächster bricht Lin Feng-cheng [sprich: Fang-dschang] auf, von Harbin [leichtes „ch“ im Anlaut] in der Mandschurei. Zwei Tage lang wird er mit der Bahn unterwegs sein. Auch er ist Geschichtenerzähler, einer der gefragtesten im Land.

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4 Er tritt regelmäßig im Radio auf, und jeden Samstag glänzt er als Zugnummer einer Theaterrevue. Schon Lins Großmutter war Akrobatin. Die Eltern führten ein Opernensemble, bis die Roten Garden während der Kulturrevolution alle Kostüme und Instrumente zerstörten und damit die Lebensgrundlage der Familie. Woraufhin der damals zehnjährige Knirps sein Talent auf der Straße zur Schau stellte, um Geld zu verdienen. Vielleicht ist er auch deshalb dermaßen erfolgreich, weil er so die Schmach der Eltern tilgen kann.

6. ZUSPIELUNG (Eisenbahn 2) Abteilatmosphäre. Herr Li unterhält sich mit einem Sitznachbarn, im Hintergrund weitere Stimmen, ein Gameboy und das Walkie-Talkie eines Zugbegleiters. Darüber

REPORTERIN Dann folgt auch Meister Li, Li Zhan-tu [sprich: Tschan-tuh] mit vollem Namen, ein Veteran des Festivals. Für drei Stunden Fahrt besteigt er in Luoyang [sprich: L(u)oyang] den Schnellzug nach Schanghai. Die Strecke führt durch kleinkariertes Ackerland, beherrscht von Kraftwerken und Strommasten. Eine scheue Sonne glimmt durch den Dunst. Die letzten Tage des chinesischen Neujahrsfestes stehen an. Nur im Liegewagen hat Li noch einen Platz ergattert. Die Reisenden stapeln sich dort wie in Regalen; schnell kommt er mit ihnen ins Gespräch. Zuspielung Li kurz anheben. Und beklagt das schwere Los seines Standes. Im Teehaus, wo er viele Jahre aufgetreten ist, da wollen sie ihn nicht mehr. Hübsche Mädchen sind beliebter, selbst wenn es bei ihnen nur zum Fächertanz reicht. Was hilft es da, dass die Kulturbehörde ihm den Titel eines „Großmeisters“ verliehen hat? Atmo klingt aus. Davon, meint Herr Li, kann er sich nichts kaufen. Und dann nickt er ein. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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7. ZUSPIELUNG (Moped) Hintergrund-Atmo 07 Straße. Moped.

REPORTERIN Als eine der letzten macht Zhao Tao [sprich: Tschau Tao] sich auf den Weg. Auf ihrem Motorrad braust sie bei Tagesanbruch in anderthalb Stunden nach Ma Jie. Mit vierzig zählt sie noch zur jungen Garde. Der rote Schopf, die Stiefel, die stramme Erscheinung – sie könnte selbst einer ihrer Geschichten entsprungen sein. Moped ausblenden bzw. anhalten, Straßenatmo läuft weiter, geht dann über in die ähnliche, aber etwas ruhigere Hintergrund-Atmo von Shen 1 am Busbahnhof. Am Busbahnhof von Baofeng gewahrt sie am Straßenrand einen Kollegen:

8. ZUSPIELUNG (Shen 1) Lebhafter Vortrag von Shen Zhen-zhu, im Hintergrund Straßengeräusche und Stimmen. Das Klimpern steht zwischendurch kurz frei, auch die ein oder andere lautmalerische Textpassage, so daß Sprechertext und Vortrag gelegentlich alterieren.

REPORTERIN Die Silhouette ist unverkennbar: die raumgreifenden Armbewegungen, wie sie vom Tai Chi [sprich: Tai Dschi] vertraut sind, die drastische Mimik, die hochgezogenen Brauen. Zwei halbmondförmige Messingscheiben tanzen in der erhobenen Hand, , immer klimpern, immer klappern, damit die Leute aufmerken. Shen Zhen-zhu [sprich: Tschen-Tschuh] ist am Vorabend aus Qingdao [sprich: Tschíngdao; leicht gelispelt] eingeflogen. Von dort stammt auch seine Geschichte: Wu Sóngs Kampf mit dem Tiger!

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6 Das Moped fährt wieder weiter. Die Busbahnhofs-Atmo am Ende der 8. Zuspielung geht allmählich in die 9. Zuspielung über.

Resolut biegt Zhao Tao schließlich auf die Stichstraße ein. Das Festival findet auf einem riesigen Acker statt. Über Nacht ist etwas Schnee gefallen, das Weizenfeld wirkt mit wie mit Mehl bestäubt. Zwei tolle Tage wird es nun zu Chinas größter Bühne.

9. ZUSPIELUNG (Festwiese 1) Lautes Tohuwabohu: Musikbeschallung, Menschenmassen, einzelne, wild hupende Fahrzeuge. Das Moped schlängelt sich dazwischen hindurch; es muss mehrfach anhalten und wieder anfahren. Darüber weiter die

REPORTERIN Töffelnde Lastendreiräder und Motorrikschas, schnaubende Zubringerbusse und Scharen herbeiströmender Schaulustiger. Als Zhao vor fünfzehn Jahren das erste Mal teilnahm, standen neben den Tischen der Erzähler nur eine Handvoll Imbisswägen auf dem Feld. Inzwischen ist ein Jahrmarkt daraus geworden, mit Bühnen und Zirkuszelten, Fressmeilen und Fahrgeschäften. Atmo ausblenden. Doch allein dafür käme niemand nach Ma Jie. Nein, all diese Leute hungern nach Geschichten.

10. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 2) Handtrommel, scharfer Rhythmus. Steht etwa drei Sekunden lang frei, tritt dann mit Einsatz des Sprechers in den Hintergrund. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

7 11. ZUSPIELUNG (Gu Zheng 1) Mit Ende der Trommeleinlage beginnt eine elegische Rezitation auf der Gu Zheng, der chinesischen Wölbzither (etwa ab „…Grabbeigabe“). Ihre sphärischen Klänge führen uns in eine andere, vergangene Welt. Die Gu Zheng wird dem Sprecher noch mehrfach zur Seite gestellt.

SPRECHER (Hoch über dem Geschehen, auf der Spitze eines Obelisken, drischt ein Männchen quietschvergnügt auf eine Trommel ein. Es handelt sich um die Nachbildung einer antiken Terracottastatue, die als Grabbeigabe diente – der Verstorbene sollte auch auf seiner letzten Reise gut unterhalten werden. Zweitausend Jahre liegt das nun zurück. Und doch würde dieser quirlige Geselle, mischte er sich unters Künstlervolk von heute, in keiner Weise auffallen. Die Trommel aus der 11. Zuspielung klingt als Reminiszenz noch einmal durch). Noch immer wirkt der Zauber des Erzählens ungebrochen fort, allen modernen Massenmedien zum Trotz.

Musik ausblenden.

12. ZUSPIELUNG (Tempel 1) Stimmen alter Frauen, gesellige Atmosphäre, Vibrato der angeschlagenen Klangschalen. Darüber der

SPRECHER Ursprünglich war es ein spirituelles Fest. Der örtliche Tempel war dem daoistischen Feuergott geweiht. Erste Berichte über einen Sängerwettstreit reichen siebenhundert Jahre zurück. Und als 1863 jeder Künstler aufgefordert wurde, der Gottheit einen Groschen zu stiften, zählte man hinterher 2700 Münzen. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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Hintergrund-Atmo läuft weiter.

REPORTERIN Wie auch immer der Tempel einst ausgesehen haben mag – die Kulturrevolution hat so gut wie nichts davon übriggelassen. Besucht man den Tempel an einem beliebigen Tag des Jahres, trifft man dort allenfalls ein paar alte Mütterlein an. Ende der 12. Zuspielung Am elften Tag des chinesischen Neujahrs jedoch gerät man in ein Höllenspektakel!

13. ZUSPIELUNG (Tempel 2) Prasselnde Knallfrösche, dröhnende Trommeln und Schlagwerk, Menschenauflauf. Steht etwa zwölf Sekunden lang frei, darüber dann

REPORTERIN Zwei muskulöse Männer dreschen auf Kriegstrommeln vom Kaliber eines Traktorreifens ein: Radau gilt in China als Zeichen von Geselligkeit. Und so legen sich die Musiker ins Zeug, als solle man sie bis nach Peking hören. Auf dem Vorplatz ist ein Buffet für den Feuergott angerichtet, mit Nüssen, Äpfeln, Datteln und Kerzen. Die blauschwarzen Roben der Zeremonienmeister kontrastieren mit der derben Erscheinung der Götterfigur wie auch mit dem prosaisch gekleideten Publikum in Anoraks und alten Militärmänteln. Spektakel ausblenden. Das Fest der Geschichtenerzähler hat begonnen.

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9 SPRECHER (Früher fand diese Zeremonie im Morgengrauen statt. Wacht auf! Kommt herbei! Mit dem ersten Krähenschrei begannen die Sänger ihre Darbietungen. Der Rabenvogel könnte der Zunft auch als Maskottchen dienen: Sprecht, wie Euch der Schnabel gewachsen ist! )

14. ZUSPIELUNG (Festwiese 2) Stimmen, Hupen, Musikbeschallung; ein wildes Potpourri.

REPORTERIN Wer heute auf freiem Feld antritt, hat Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Neben dem Gedudel der Karussells und den Tiraden der Wahrsager und Losverkäufer beschallen auch die großen Bühnen unablässig das Gelände. Wer dagegen, wie Shen Zhen-zhu, von der mächtigen Volkskunstvereinigung entsandt worden ist, darf selbst eine dieser Bühnen bespielen. Entschlossen entert er die Rampe und legt los:

15. ZUSPIELUNG (Shen 2) Shens Vortrag (Innenaufnahme) bitte so verändern, dass er klingt, als würde er im Freien durch einen billigen Lautsprecher oder ein Megaphon verstärkt, wie die Geschichtenerzähler sie bei ihren Darbietungen benutzen. Dazu läuft die 14. Zuspielung als Hintergrundatmo weiter. Shens Vortrag und der Text der Reporterin werden miteinander verwoben. Das „Tikitikitik“ kommt synchron zum Klimpern den Klangschalen, das „da“ der Reporterin stimmt in Shens „daaaa“ (T.C. 0:20) mit ein. Drei Passagen stehen frei: „Oooh, wo che bu liao ta…“ bis „daaaa“ (T.C. 0:12 - 0:20), „Wu Song shuo ni cou huo …“ bis „Wo ta niang de jiu wan la“ (T.C. 0:46 – 0:56), und des Tigers Todesröcheln (T.C. 1:12 – 1:29).

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10 (kann hier auch selbst die Märchenerzählerin ein wenig durchklingen lassen) SPRECHER „Wu Sóng, der Geächtete, will nach Hause.“

REPORTERIN Und schon beißen die Leute an. Wu Song ist eine populäre Gestalt, die Story mit dem Tiger ein Evergreen.

SPRECHER Da kehrt der Held in einer Taverne ein. Der Wirt mahnt zur Mäßigung: drei Schalen Wein, und du bist blau! Wu Song schlürft achtzehn davon leer. Dann erzählt der Wirt ihm von einem umherstreifenden Tiger. Doch Wu schlägt seine Warnungen in den Wind und zieht in die Berge. Wo sich der Tiger über die leichte Beute freut – dann aber sein blaues Wunder erlebt, als der betrunkene Wanderer ihn zum Zweikampf stellt.

REPORTERIN (wieder normal) In der taillierten roten Jacke mit Stehkragen gibt Shen eine weltgewandte Erscheinung ab. Dreihundert Schaulustige hängen an seinen Lippen. Scheinbar mühelos spielt er alle Rollen gleichzeitig: den Helden, den Wirt und den Tiger. Dreißig Jahre jung und im Brotberuf Volksschullehrer, deklamiert er so einprägsam, wie man Kindern ein Märchen erzählt. Stellt euch vor: Wu Song packt den Tiger am Schwanz! Ende Zuspielung Shen. Hintergrund-Atmo ausblenden.

SPRECHER Und das ist Geheimnis von Ma Jie: dass es in allen Zuhörern die Kindheit wachruft, und damit auch die eigene Geschichte. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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16. ZUSPIELUNG (Gu Zheng 2) Glissando auf der Wölbzither. Kleine Zäsur, bald wieder ausblenden.

17. ZUSPIELUNG (Festwiese 3) Das gewohnte Tohuwabohu. Darüber die

18. ZUSPIELUNG (Li) Darbietung Lis mit einem Musiker; allmählich einblenden. Kann einmal auch zwischendurch freistehen. Darüber

REPORTERIN Irgendwo unten in der Menge hat Meister Li seinen Stand aufgeschlagen. Ein befreundeter Taxifahrer begleitet ihn auf der San Hu, einer dreisaitigen, immer etwas winselnden Geige.

SPRECHER „Alle mal herhören, unsere Geschichte beginnt: Die Han-Dynastie macht schwere Zeiten durch, als General Guan Yü sich in den Sattel schwingt ...“

REPORTERIN Dreißig Zuschauer scharen sich um den Routinier. Dass es mit der Han-Dynastie bereits vor eintausendachthundert Jahren zu Ende ging, spielt keine Rolle – Li erzählt so plastisch, als wäre Guan Yü noch letzte Woche durch Ma Jie getrabt. Der General verkörpert Treue, Gerechtigkeit und Mut. Wie der europäische Bänkelsang befleißigt sich auch das chinesische Pendant sittlicher Belehrung. Und die Moral von der Geschicht: breche keine Regeln nicht. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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19. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 3) Klapperstäbe und Trommel; kurzer Impuls synchron zum Reporter.

REPORTERIN Etwas weiter hat sich Yang Wan-shan postiert. Ein Tischchen hat er keines, schon gar keinen Lautsprecher. Weshalb er stoisch darauf wartet, dass zumindest auf der nächstgelegenen Bühne Mittagspause eintritt. Endlich geht der letzte Kandidat ab – Lin Feng-cheng, der Vollblutkünstler aus Harbin. Jetzt setzt Yang zu seinem Lieblingsstück an: die Geschichte von der Goldenen Turteltaube.

20. ZUSPIELUNG (Yang) Lauter, aber hörbar etwas ungeschickter und kratziger Vortrag, begleitet von einer San Hu. Steht etwa fünfzehn Sekunden frei, darüber erklärt dann die

REPORTERIN Diese verschnörkelte Legende aus seiner Heimatregion dreht sich um zwei hohe Beamte, der eine ehrlich, der andere korrupt. Doch gerade, als der rechtschaffene Beamte im Wald auf einen Räuber stößt, kapern einige Funktionäre die freie Bühne, um die Besucherscharen zum wiederholten Male zu begrüßen, wie üblich sehr, sehr laut

21. ZUSPIELUNG (Ansprache) Dröhnende Begrüßung. Yang versucht zunächst gegenzuhalten, geht jedoch bald unter. Die Ansprache rattert im Hintergrund weiter. Darüber

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13 REPORTERIN Resigniert bricht Yang seinen Vortrag schließlich ab. „Die schallen uns zu“, schimpft er. Viel Publikum hat er ohnehin nicht anlocken können. Ansprache und Festwiesen-Atmo ausblenden.

22. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 4) Kurzer, komischer Impuls auf kleiner Handtrommel mit Schellen. Gefolgt von

23. ZUSPIELUNG (Gu Zheng 3) Perlende Klänge auf der Wölbzither. Nach dem ersten Glissando setzt Sprecher ein:

SPRECHER Was die Erzähler von Ma Jie heute darbieten, haben ihre Vorgänger vor vielen Jahrhunderten ins kollektive Gedächtnis eingespeist. Die beliebtesten Schnurren entstammen dem Kanon der chinesischen Literatur, vor allem den „vier klassischen Romanen“, die ihrerseits aus Volksgeschichten zusammengesetzt sind. Über alle historischen Umbrüche hinweg ist ein Kern mündlicher Überlieferungen lebendig geblieben.

Die Musik klingt aus. Die nächsten beiden Absätze stehen frei; kurze Erholungspause für die Ohren.

Ein Manko gibt es allerdings, zumindest bei den Han-Chinesen: Sie haben kein identitätsstiftendes Heldengedicht vom Schlage des indischen Mahabharata, der isländischen Edda oder des finnischen Kalevala. Schon Hegel konstatierte in seiner Ästhetik: „Die Chinesen besitzen kein nationales Epos.

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14 Denn der prosaische Grundzug ihrer Anschauung sowie die für die eigentliche Kunstgestaltung unzulänglichen religiösen Vorstellungen setzen sich dem als unübersteigbares Hindernis in den Weg.“

24. ZUSPIELUNG (Zupfgeigen) Zwei Er-Hus spielen eine elegische Weise. Der tibetisch-mongolische Kulturraum klingt an.

REPORTERIN Wie gut, dass etliche Minderheiten über reiche epische Traditionen verfügen, von den sibirischen Ewenken über die Mongolen bis zu den Bergvölkern von Hunan. Die Krone gebührt den Tibetern. Was die Chinesische Mauer für die Baumeister, ist das Ruhmeslied von König Gesar für die Geschichtenerzähler: das Nonplusultra. Es hat etwa die zwanzigfache Länge der Ilias. Dennoch finden sich Naturtalente, die es auswendig hersagen können; manche davon Analphabeten. Durch die eingängigen Verse und den rhythmischen Vortrag versetzen sie sich in Trance. Die Ursprünge dieser Erzähltradition reichen bis in die schamanische Frühzeit zurück, als Kult und Kultur noch eins waren. In einem Großprojekt haben Philologen sie umfassend dokumentiert. Mittlerweile ist die mündliche Tradierung des Gesar auch in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen worden. Die tibetische Saga wird nun bisweilen allen Ernstes als „chinesischer Gesar“ präsentiert. Die Zupfgeigen klingen aus. Das Stück dafür ggf. in der Mitte etwas kürzen. Der Sprecher steht wieder frei.

SPRECHER (Ähnliche Überlieferungen kennen auch andere Minderheiten in China, etwa die Mongolen, die Kirgisen oder die sibirischen Ewenken im äußersten Norden der ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

15 Mandschurei. Auch dort stellt das Erzählen im doppelten Wortsinn eine Unterhaltungskunst dar, wobei noch eine direkte Verbindung zwischen den Geschichten und dem Göttlichen besteht. )

25. ZUSPIELUNG (Taxi) Steht anfangs zwei, drei Sekunden frei; gerne darf man erst einmal an „Stimmen aus dem Jenseits“ denken. Über undeutlichen Straßengeräuschen schallt ein ebenfalls undeutlicher Erzähler aus dem Autoradio, begleitet von einem kurzen Wortwechsel zwischen Fahrer und Passagierin.

SPRECHER Diese Tradition hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Nach Maos Tod etwa zogen etliche durchs Land und versicherten, mit ihm in Verbindung zu stehen. Rein diesseitig sind dagegen die vielen Geschichten im Radio, denen jeder zweite Taxifahrer in China lauscht. Nicht zu reden von den Künsten jener berufsmäßigen Erzähler, die, wie Meister Li, in nostalgischen Tee- und Theaterhäusern auftreten. Eine derart lebendige mündliche Kultur wie in China gibt es in keinem Land der Welt mehr.

Ende der Taxifahrt.

26. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 5) Kurzes Klappern, gefolgt von

27. ZUSPIELUNG (Künstlerhaus) Brummende, vielstimmige Atmosphäre mit gelegentlichem Fiedeln oder Gesangseinlagen. Langsam unter dem vorausgehenden Klappern einblenden. Nach etwa fünf Sekunden erklingt im Gewühl eine unverkennbare Melodie: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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28. ZUSPIELUNG (Donauwalzer) „An der schönen blauen Donau“ als Klingelton, gedudelt von einem Synthesizer. Nach vier Sekunden schaltet sich die Reporterin ein:

REPORTERIN Durchs Künstlerhaus von Ma Jie klingt der Donauwalzer: das Telefon von Zhang Man-tang [sprich: Tschang]. Der kleine, bescheidene Bauer bildet den Dreh- und Angelpunkt des Festivals, und seine Seele dazu. Während die Profis vom Landkreis betreut werden, halten sich all die Laienerzähler und Kleindarsteller an Zhang und seinen Sohn, der ihre Vorstellungen auf Video dokumentiert. Auf eigene Kosten haben sie ein Langhaus errichtet, in dem fünfzig Künstler unterkommen können. Bis tief in die Nacht fiedeln und feixen sie dort noch. Die einzigen Wärmequellen sind die Menschen selbst und die kleinen Scheinwerfer über dem Bühnenpodest. Atmo des Künstlerhauses läuft weiter. Darüber dann

29. ZUSPIELUNG (Zhang) Zhang Man-tang spricht über die Geschichte des Festivals. Nach drei Sekunden meldet sich darüber zusammenfassend

REPORTERIN Zhang hört ihnen jedes Jahr begeistert zu. „Von klein auf war das Fest Teil meines Lebens“, bekennt er. „Das darf nicht verschwinden.“ Ob es nicht auch ein Kandidat für die UNESCO wäre, für die Liste des immateriellen Weltkulturerbes? „UNESCO“, grübelt er, „ist das ein Volkskunstverein?“ Na ja, so etwas in der Art. „Dann sind sie uns willkommen!“

Die Atmo aus dem Künstlerhaus geht über in die ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

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30. ZUSPIELUNG (Festwiese 4) Im Prinzip identisch mit Festwiese 2, nur andere Sequenz. Darüber

REPORTERIN Auch am nächsten Tag ziehen die Dorfbewohner hinüber zur Festwiese, die älteren mit Klappstühlen, die jüngeren mit Kind und Kegel

31. ZUSPIELUNG (Oper) Scheppern, Gesang und Gedudel – ein Opernensemble aus Henan. Darüber weiter )

REPORTERIN Neben den Erzählern tritt noch anderes fahrendes Volk an: Akrobaten, Kabarettisten, Musikanten. Dazu eine Operntruppe, die mit einem eigenen Lkw über die Dörfer tingelt, um überall ihre Bühne aufschlagen zu können.

Opernspektakel und Festwiesen-Atmo werden abgelöst von

32. ZUSPIELUNG (Abbau) Stimmen, Hammerschläge, ein töffelnder Motor. Nur mehr wenige Menschen. Darüber dann

REPORTERIN Am Nachmittag schon ist das Spektakel dann vorüber. Im Handumdrehen werden die Zirkuszelte, Bühnengerüste und Lautsprechertürme abgebaut. Der Winterweizen ist komplett zertrampelt und mit Plastikmüll garniert. Die Kulturverwaltung des ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

18 Landkreises meldet, dass 300.000 Besucher teilgenommen hätten, und über 1500 Künstler.

33. ZUSPIELUNG (Gala) Pompöse folkloristische Musik. Darüber

REPORTERIN Die Abschlussgala findet im Theater von Baofeng statt. Shen Zhen-zhu und sein Tiger haben einen von zwölf ersten Preisen errungen. Ebenso Lin Feng-cheng aus Harbin. Großmeister Li dagegen trollt sich unwirsch. Die Jury hat ihn übergangen! Dafür wird er übermorgen zum Laternenfest in Luoyang eine Einlage im „Garten des Weißen Pferdes“ geben, dem ersten buddhistischen Tempel Chinas.

Ende der Musik.

34. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 6) Drolliges Tschingderassasabum, als anarchischer Kontrast zur vorausgehenden Propagandamusik.

35. ZUSPIELUNG (Jiao Lou) Ein paar alte Frauen und Kinder im Dorftempel von Jiao Lou. Ruhiges Gespräch. Nach einiges Sekunden erklärt die

REPORTERIN Zhao Tao ist nach Jiao Lou [sprich: Dschao Lou] eingeladen worden, ein Dorf, ebenso unscheinbar wie Ma Jie, nur dass Deng Xiao-ping dort 1947 eine Woche als Agitator für die Volksbefreiungsarmee verbracht hat. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

19 Die Alten erinnern sich noch an das Heerlager und die Soldaten mit ihren Gewehren, aus deren Läufen bekanntlich alle Macht kommt. Sie treffen sich öfter im buddhistischen Tempel, von dem die Kulturrevolution freilich nur die Mauern stehengelassen hat. Seither prangt, statt des wohlbeleibten Religionsstifters, ein Mao-Plakat an der Wand. Die ältere Landbevölkerung kann oft nur schlecht lesen und schreiben. Gerade der Analphabetismus aber ist der Grund, warum die ErzählKultur hier so lebendig geblieben ist. Die Barden agierten als wandelnde Medien, waren Zeitung, Radio und Alleinunterhalter in einem.

Ende Tempelgespräch.

36. ZUSPIELUNG (Zhao) Zhao Taos Organ scheppert durch den Lautsprecher. Nach Einsatz der Klapperstäbe und der Er-Hu fährt die Reporterin fort:

REPORTERIN Drei Tage lang tritt Zhao Tao hier auf, je zweimal für zwei Stunden. Gut hundert Zuhörer finden sich ein. Deren Haltung ließe sich als ein erwartungsvolles Lungern beschreiben. Ihr Beifall äußert sich darin, dass sie bleiben.

Ende Zhao Tao.

37. ZUSPIELUNG (Schlagwerk 7) San-Hu und kleines Becken, rasch und rhythmisch.

________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de

20 38. ZUSPIELUNG (Landstraße) Identisch mit den Verkehrsgeräuschen der 2. ZUSPIELUNG, dazu das alte Fahrrad aus dem Archiv.

REPORTERIN Yang Wan-shan dagegen musste ohne Engagement abziehen. Nach drei Tagen hat er die halbe Strecke zu seiner Mutter hinter sich gebracht. Mit einer Frau ist es ja nichts geworden bei ihm – wer will schon einen heiraten, der sich nichts aus Geld macht? Der lieber auf dem Fahrrad herumstromert und die Trommel schlägt?

39. ZUSPIELUNG (Yang) Identisch mit der 20. ZUSPIELUNG, als Reminiszenz an seinen verunglückten Auftritt beim Festival. Klingt nur fern und flüchtig durch. Darüber weiter

REPORTERIN Am Abend gibt er eine Vorstellung für seine Gastgeber im Dorf. Etliche Nachbarn sind gekommen, die Goldene Turteltaube flattert wieder, Yang ist ganz in seinem Element.

Ende Zuspielung Yang. Straßenatmo läuft wieder weiter, jetzt jedoch ohne das Fahrrad.

40. ZUSPIELUNG (Donauwalzer) Identisch mit der 28. ZUSPIELUNG, also Klingelton vom Synthesizer. Er endet, sobald Zhang abhebt.

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21 REPORTERIN Am folgenden Vormittag weht der Donauwalzer durch das Haus von Zhang Mantang, dem spiritus rector des Festivals. wechselt die Rolle „Hallo?“ „Hallo … Ja, also, hier spricht Frau Wu aus Shaozhuang [sprich: Schaodschuang]. Ein Radfahrer liegt bewusstlos am Straßenrand. Der Rettungswagen ist unterwegs. In der Jacke haben wir diesen Zettel mit Ihrer Telefonnummer gefunden.

Die Straßenatmo läuft noch kurz weiter.

REPORTERIN Die Zhangs fahren ins Krankenhaus. Schlaganfall, es sieht nicht gut aus. Am nächsten Tag holen sie auf dem Rückweg noch das Fahrrad ab, vielleicht braucht Freund Yang es ja eines Tages wieder.

Die Straßenatmo verebbt; die Stimme des Reporters steht frei.

Tatsächlich wird er schließlich nach Hause entlassen, doch ein paar Wochen später stirbt er. Zu dem wenigen, das von ihm bleibt, gehören die Videoaufnahmen, welche die Zhangs während des Festes von ihm gemacht haben.

42. ZUSPIELUNG (Sanxian) Kurzes Solo auf einer Sanxian, ähnlich einem Banjo; lustig und melancholisch zugleich.

Der Fliegende Adler steht seither herrenlos im Hof. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2016 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de