Dominik Collet (Göttingen) Das Academische Museum der Universität Göttingen (1773–1840). Inszenierung, Naturalisierung und ›Disziplinierung‹ aufgeklärten Wissens

Historische Sammlungen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Orte der Wissensproduktion wiederentdeckt worden. Anstatt als passives Archiv hat man Sammlungen zunehmend als aktiven Forschungsraum interpretiert und dabei auf strukturelle Homologien zwischen Museum und Labor verwiesen. Im Zuge dieser Engführung von Sammeln und Forschen sind nun auch die Universitätssammlungen in den Fokus des Interesses gerückt. Verschiedene Hochschulen haben ihre historischen ›Dinge der Aufklärung‹ daher im Rahmen großer Ausstellungen neu inszeniert – so bei den 600 Jahrfeiern in Leipzig und den 300 Jahrfeiern in Berlin.1 Dieser ›object turn‹ der Wissenschaftsgeschichte kann sich wesentlich auf Aussagen der historischen Akteure selbst stützen. In Göttingen, wo 1773 das erste deutsche Universitätsmuseum gegründet wurde, betonten die Professoren den Bruch mit den älteren ›Raritätenkabinetten‹. Johann Friedrich Blumenbach verkündete, es handele sich im Göttinger Fall um eine »academisch[e] Sammlung, – wo nichts zur Parade sondern alles zum Nutzen« diene.2 Auch Georg Christoph Lichtenberg bemerkte: »Diese älteren Sammlungen hatten doch den Fehler, daß man mehr Seltenheiten als Merkwürdigkeiten der Natur zusammenraffte und dadurch dem Ganzen ein buntschäckiges geschmackloses Ansehen gab [… In Göttingen dient] das akademische Cabinett dagegen nicht zum Prunck, sondern lediglich zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum Unterricht […] Göttingen ist die erste Universität in Deutschland, vielleicht in Europa, die mit einem eigentlich akademischen Museum versehen worden, und wir halten uns verpflichtet, von ihm, auch schon als epochemachendem Phänomen [zu sprechen]«.3 Solche programmatischen Abgrenzungen sind im Rückblick oft als Keimzelle einer modernen, objektbasierten Wissensepisteme interpretiert worden. Ein Blick auf die Praktiken der Akteure verweist aber auf die konstitutive Verschränkung neuer Evidenzstrategien sowohl mit älteren Sammlungsformen als auch mit akademischen 1 Jochen Hennig, Udo Andraschke (Hrsg.): Weltwissen. 300 Jahre Wissenschaften in Berlin. München 2010; Claus Deimel u. a. (Hrsg.): Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig. Leipzig 2009; Udo Andrascke, Marion Maria Ruisinger: Die Sammlungen der Universität Erlangen-Nürnberg. Begleitband zur Ausstellung. Nürnberg 2007. 2 Johann Friedrich Blumenbach: Einige Nachrichten vom academischen Museum zu Göttingen. In: Annalen der Braunschweigisch-Lünebürgischen Churlande 1 (1787), S. 84–99. 3 Georg Christoph Lichtenberg: Etwas vom Akademischen Museum in Göttingen. In: Taschenbuch zum Nutzen und Vergnügen fürs Jahr 1779 […]. Göttingen 1778, S. 45–57, hier S. 47 f.

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Traditionen. Neben der Forschung am Objekt diente der Sammlungsraum der Markierung disziplinärer Grenzen, der Selbstvergewisserung der Forscher und der Inszenierung akademischer Gelehrsamkeit. Aus der Perspektive einer neuen Wissenschaftsgeschichte lassen sich historische Sammlungen daher als materielle Kristallisationspunkte von spezifischen historischen Wissenskulturen verstehen. Die Sammlungen stellten Forschern und Fächern kulturelle Kapitalien zu Verfügung, die als Ressourcen wissenschaftlicher Identitätsstiftung genutzt wurden. Die kulturelle Konstruktion fachlicher Grenzziehungen wurde in den Sammlungen anhand von Objekten naturalisiert. Als »disciplinary objects«4 strukturierten und markierten die Exponate Wissensfelder- und praktiken und wurden so selbst zu Akteuren.5 Akademische Sammlungen bilden daher ein einzigartiges Archiv historischer Wissensordnungen der Aufklärung.

Ein »academisches« Museum Die Sammlungen der Georg-August-Universität gehören heute mit über sechs Millionen Objekten zu den größten Deutschlands. Mit ihren Wurzeln im »Academischen Museum« zählen sie zugleich zu den ältesten. Die Universität war 1737 als Ort der Erneuerung akademischen Lernens gegründet worden. Teil des Reformanspruchs war es, neue Fächer ins Curriculum zu integrieren. Viele akademische Disziplinen – Anthropologie, Archäologie, Kunstgeschichte, Musikwissenschaften, Veterinärmedizin oder die Deutsche Philologie – sind daher in Göttingen erstmals als eigenständiges Fach konzipiert worden – ein Prozess, der regelmäßig in enger Verbindung mit den Universitätssammlungen stand und oft genug auch von ihnen inspiriert wurde.6 Lehr- und Forschungssammlungen bildeten von Beginn an einen programmatischen Teil des Göttinger Modells. Neben der zentralen Bibliothek mit ihrem neuartigen Universalsystem war von Beginn an ein universitäres Naturalienkabinett geplant.7 Mit Johann Heinrich Gottlob von Justi war man der Meinung, daß »ein naturalien Cabinet fast unumgänglich nöthig« sei. Debattiert wurde lediglich darü-

4 Barbara Kirshenblatt-Gimblett: Reconfiguring Museums. An Afterword. In: Cordula Grewe (Hrsg.): Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft. Stuttgart 2006, S. 361–376, hier S. 363. 5 Vgl. Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandoras. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaften. Frankfurt a. M. 2002, S. 7–35. 6 Vgl. dazu Dietrich Hoffmann, Kathrin Maack-Rheinländer (Hrsg.): »Ganz für das Studium angelegt«. Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Göttingen 2001. 7 Christine Nawa: Sammeln für die Wissenschaft. Das Academische Museum Göttingen (1773–1840). Magisterarbeit Universität Göttingen 2005, S. 41 (http://webdoc.sub.gwdg.de/ master/2010/nawa/nawa.pdf [01.02.2011]).

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ber, ob es eine zentrale und öffentliche »public anstalt« sein solle, oder die privaten Sammlungen der neuberufenen Professoren nicht zielführender waren.8 Der Streit zwischen akademischer Exklusivität einerseits und dem Prestigewert einer öffentlichen Sammlung andererseits wurde erst 1773 entschieden. Zum einen gewährte der Landesherr König Georg III. großzügige Mittel für den Aufbau eines Museums. Zum anderen fand sich mit Johann Friedrich Blumenbach ein Student, der die anfallenden Betreuungsaufgaben »mit Vergnügen unentgeltlich übernahm«.9 Dieses Museum verfolgte von Beginn an ein doppeltes Ziel: Während die Professoren den Nutzen für Forschung und Lehre betonten, sollte es zugleich vermögende Studierende anziehen und das Profil der Universität nach außen schärfen. Zahlreiche Objekte illustrieren diese doppelten Absichten. So bedienten die in Zeitungsartikel prominent herausgestellten Muscheln das Interesse von Sammlern und Virtuosi. Zugleich wies Blumenbach aber darauf hin, dass man keineswegs nur die farbenprächtigen Schalen, sondern zu Forschungszwecken auch die Tiere selbst sammele.10 Gegenüber König Georg betonte er daher zugleich den der Universität aus dem Museum »erwachsende[n] weitere[n] Lustre und den für die Wissenschaften daher zu nehmenden Vortheil«.11 Den mit dem Museum verbundenen Glanz wussten die Professoren eindrucksvoll zu inszenieren: Die Eröffnung der Sammlung wurde 1773 im feierlichem Rahmen des Stiftungsfestes der Universität verkündet.12 Trotz großen Platzmangels stellte man für die Objekte zudem einen zentralen Raum im Hauptgebäude der Universität bereit. Auch der Name der Institution war sorgsam ausgesucht worden. Während man im Vorfeld zunächst von einem Naturalienkabinett gesprochen hatte, benutzte man jetzt konsequent den lateinischen Begriff des ›Museums‹ gekoppelt mit dem Zusatz ›akademisch‹, um es bewusst von den gewöhnlicheren Sammlungen abzuheben.13 Nach außen kommunizierte man die Neueröffnung mit Berichten in den wichtigsten gelehrten Journalen.14 Die Öffentlichkeitsarbeit hatte offenbar großen Erfolg: Zahlreiche Geschenke ließen die Bestände des Museums rasch anwachsen. Zu den bekanntesten zählen der Nachlass Friedrich Armand von Uffenbachs, der wesentlich zur Etablierung

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Ebd., S. 42. Ebd., S. 45. 10 Lichtenberg: Museum, S. 50. 11 Frank William Peter Dougherty (Hrsg.): The Correspondence of Johann Friedrich Blumenbach. Bd. I. Göttingen 2006, S. 2. 12 Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen 131 (01.11.1773), S. 1113 f. 13 Nawa: Sammeln, S. 56 ff. 14 Vgl. bspw. Lichtenberg: Museum; Blumenbach: Nachrichten; Anon: Nachrichten von Naturaliensammlungen. In: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 4 (1783), S. 167–170. 9

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der Kunstgeschichte als eigenständigen Fach beitrug, sowie die Objekte der Reisen James Cooks, Georg Forsters und des Barons von Asch, die wiederum die Entwicklung der ›Völkerkunde‹ in Göttingen inspirierten.15 Der Zuwachs war so groß, dass die Sammlungen 1793 ein eigenes Museumsgebäude neben der Bibliothek beziehen mussten, wo sie bald fast 50 Räume belegten (Abb. 1).16 Erst nach dem Tod des ersten Museumsdirektors Blumenbach 1840 beschleunigte sich neben dem fachlichen auch der räumliche Prozess der Spezialisierung. Zahlreiche Sammlungen zogen in diejenigen Institute um, deren Gründung sie zuvor befördert hatten. Neuere Sammlungen wie die Museen für Zoologie, Abb 1: Friedrich Doeltz, »Skizze von dem Museum zu Chemie oder Geburtsheilkunde Göttingen«, ca. 1862. Universitätsarchiv Göttingen: wurden erstmals direkt an den Sign. Kur 13 a 49 Plan fol. 43. jeweiligen Unterrichtsgebäuden errichtet – nicht zuletzt deshalb, weil sie disziplinäre Grenzziehungen wirksam zu visualisieren halfen. Diese Entwicklung hat heute vom ›Akademischen Museum‹ zu über 30 separaten Sammlungen geführt.17

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Blumenbach: Nachrichten. Günther Beer: Beitrag zur Baugeschichte des Akademischen Museum 1773 bis 1877 mit drei Gebäudeplänen des Akademischen Museums. In: Museumsbrief (Museum der Göttinger Chemie) 29 (2010), S. 2–20. 17 Vgl. Ulrike Beisiegel, Susanne Ucle-Koeher (Hrsg.); Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen. Göttingen (erscheint 2012). Zur komplizierten Geschichte der Sammlungsteile vgl. Christine Nawa: Zum »öffentlichen Gebrauche« bestimmt. Das Academische Museum Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch 58 (2010), S. 23–62. 16

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Sammlung und Soziabilität Für die Universität als Institution waren die akademischen Sammlungen nicht nur als Wissensort, sondern auch als Distinktionsmerkmal bedeutsam. Den Ruf, die führende Hochschule der deutschen Aufklärung zu sein, suchte man auch über die luxuriöse Ausstattung zu befördern. Gerade bei den in Göttingen besonders zahlreichen adeligen Studierenden waren Sammlungen ausgesprochen beliebt. Die Anlage eines akademischen Kabinetts kam dieser finanzkräftigen Gruppe ebenso entgegen wie zuvor schon die Fechtbahn, die Reithalle und der Tanzsaal der Universität.18 Zudem war die Naturgeschichte, wie Blumenbach berichtete, zu einem »allgemeine[n] Lieblingsstudium« und Markenzeichen für Göttingen geworden, sodass eine eigene Sammlung Attraktivität und Profil des Standortes zu erhöhen versprach.19 Akademische Sammlungen besaßen in der dichten Universitätslandschaft des alten Reiches ein wichtiges Distinktionspotential. Die öffentlich-werbende Zugänglichkeit des Museums und seine akademisches Rolle bildeten dabei keinen Widerspruch. So bemerkte ein Studienführer von 1813: »Lobenswerth ist zugleich der hohe Grad von Gemeinnützigkeit dieser vortrefflichen Sammlung von Merkwürdigkeiten aus allen Naturreichen, in dem man von einem angesetzten Aufseher sich das Ganze zu beliebigen Stunden gegen eine kleine Erkenntlichkeit (von 2 Gulden; wofür aber 6 Personen das Vergnügen genießen können) zeigen lassen kann: ungleich größeres Interesse gewährt es allerdings, wenn man Blumenbachs eigene Ansichten und Bemerkungen zugleich hören kann. Dieser geistige Genuß wird seinen jedesmahligen Zuhörern in der Naturgeschichte zu Theil.«20 Schon in Blumenbachs Dienstanweisung – einem seltenen museumspraktischen Dokument – war der »öffentliche« Charakter der Sammlungen festgehalten worden. Neben Studierenden sollten auch »Fremd[e]« und »hiesige Liebhaber« Zutritt erhalten.21 Das Eintrittsgeld sorgte für das gewünschte sozial exklusive Publikum, ohne den Besucherstrom jedoch nennenswert einzuschränken. So dokumentiert ein Besucherbuch, das Christina Nawa ausgewertet hat, über 3000 nicht-studentische Besucher in 10 Jahren, darunter Alexander von Humboldt, Goethe oder Jerôme Bonaparte, den König von Westfalen.22 Die Zusammensetzung der Besucher illustriert, dass das Museum überregionale Ausstrahlung besaß und zahlreiche nicht18 Vgl. Luigi Marino: Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770–1820. Göttingen 1995 (Göttinger Universitätsschriften, Serie A, Bd. 10). 19 Blumenbach: Nachrichten, S. 84. 20 [Ludwig Wallis]: Der Göttinger Student oder Bemerkungen, Ratschläge und Belehrungen über Göttingen und das Studentenleben auf der Georgia Augusta. Göttingen 1981 [ND der Ausg. v. 1813 u. 1913], S. 15. 21 Universitätsarchiv Göttingen: Sign. Kur 4 V g 5, fol. 12r–15r. 22 Nawa: Sammeln, S. 135–144

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akademische Besucher, zumeist in Gruppen anzog – darunter viele Frauen, die sonst aus dem Universitätsbetrieb ausgeschlossen waren. Besonders prominent sind auch Offiziere und Militärs der Göttinger Garnison vertreten, die den Besuch offenbar als willkommene Demonstration ihres gesellschaftlichen Status ansahen. Dass nahezu alle Besucher die Sammlung nur ein einziges Mal besuchen, deutet vermutlich darauf hin, dass ihr Interesse weniger dem forschenden Studium als der geselligen Unterhaltung galt. Die Bedeutung von Soziabilität lässt sich auch daran erkennen, wie sehr das Bild der Sammlungen in den erhaltenen Berichten von der Person ihres leitenden Professors geprägt ist. Die Objekte an sich blieben ohne lebendige Erklärung schlicht stumm. Gelehrte Konversation und Geselligkeit waren dabei sicher zwei der Hauptattraktionspunkte für ein breiteres Publikum. Im Zeichen aufgeklärter Geselligkeitskultur erfüllte das Museum gleichsam die Funktion eines Salons, in dem es auf kulturelle Kontakte und kurzweilige Konversation ankam.23 So berichtet etwa Johann Wolfgang von Goethe 1801 von seinem Aufenthalt in Göttingen über die Sternwarte: »Auch Professor Seyffer zeigte mir die Instrumente der Sternwarte mit Gefälligkeit umständlich vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man auf frequentierten Universitäten immer als Gäste zu finden pflegt, lernt’ ich daselbst kennen, und mit jedem Tag vermehrte sich der Reichtum meines Wissens über alles Erwarten.«24 Ein anderer Besucher fasste seinen Tag in Göttingen folgendermaßen zusammen: »Auf der Bibliothec – Die Professoren Reuhs, Beneke, Himly, - Das Naturalien Cabinet – Das neue Observatorium – Professor Schrader – Die Reitbahn – Zurück«.25 Mit der herausgehobenen Rolle einzelner Gelehrter ging die zentrale Rolle der Sammlung in der Erinnerungskultur der Universität einher. Großzügige Spender konnten sich dort einen dauerhaften Platz im Gedächtnis der Nachwelt sichern. Dies galt zuerst für König Georg III., dem man dankbar zusicherte, dass das Museum auf Dauer ein »Denkmal Dero Landesväterlichen Milde« darstellen werde.26 Auch Spendern wie dem Baron von Asch oder Uffenbach gab die Sammlung die Gelegenheit, sich der Nachwelt in Erinnerung zu bringen. Die aus aller Welt stammenden Exponate belegten dabei ebenso die weltumspannenden Netzwerke der edlen Spender wie umgekehrt die der Göttinger Empfänger und Gelehrten. Die verbreitete Personalisierung von Objekten (»von Herrn Leibnitz«, »vom unvergeßlichen Cook«,

23 Vgl. Stefan Siemer: Geselligkeit und Methode. Naturgeschichtliches Sammeln im 18. Jahrhundert. Mainz 2004. 24 Wilhelm Ebel: Briefe über Göttingen. Aus den ersten 150 Jahren der Georgia Augusta. Göttingen 1975, S. 60. 25 Thomas Stamm-Kuhlmann (Hrsg.): Karl August von Hardenberg 1750–1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen. München 2000, S. 895. 26 Dougherty: Correspondence, S. 281.

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vom »verdienten Hrn. Prof. Büttner«) setzte diesen Memorialkult bis in Einzelexponate hin fort.27 Es wundert daher kaum, dass die Universität das Museum nicht nur an ihrem Stiftungsfest inaugurierte, sondern bald auch ihre Jubiläen mit dessen Hilfe inszenierte und die Sammlung eine zentrale Rolle bei der »Säcular-Feier« der Gründung 1837 spielte.28

Objekte als Zeugen Blumenbach und Lichtenberg betonten allerdings immer wieder, dass das Museum seine eigentliche Bestimmung in Unterricht und Forschung habe. Einige von Blumenbach extra für Demonstrationszwecke angefertigte Kopien ethnographischer Stücke belegen eine solche Nutzung. Wie die Lehre am Objekt von statten ging, zeigt das Beispiel Hermann Ludwig Heerens (1760–1842), der ab 1803 regelmäßig eine mehrstündige Vorlesung wie folgt ankündigte: »Allgemeine Länder- und Völkerkunde […] trägt Hr. Prof. Heeren um 6 Uhr M. vor, u. erläutert alles durch einen reichen Vorrath der beßten und neuesten Karten, die er seinen Zuhörern vorlegen wird, und, was die Kleidungen, Waffen, Geräthe der entfernten Völker betrifft, durch die ethnographische Sammlung in dem königl. Museum.«29 Allerdings zeigen die Akten des Museums auch, dass Heeren über lange Jahre wohl der einzige Professor neben Blumenbach blieb, der die Objekte tatsächlich im Unterricht einsetzte. Weitere Entleihungsgesuche, wie sie von Heeren vorliegen, sind nicht belegt. Ähnlich dünn sind die Belege für den Bereich, der heute besondere Aufmerksamkeit genießt: die Forschung am Objekt. Obwohl die Göttinger Professoren ausgesprochen gerne publizierten, finden sich Hinweise darauf äußerst selten. Schon die Auswahl der Objekte stellte ein Problem dar. Das Museum verfügte bis 1837 über keinerlei eigenen Etat. Exponate erhielt man daher nahezu ausschließlich über das florierende Geschenkwesen, das auch in den nicht-akademischen Sammlungen eine große Rolle spielte. Die Zusammensetzung der ›Cook-Sammlung‹ orientierte sich daher weniger an den Interessen der Göttinger Gelehrten, als an den Vorlieben der Seeleute, die sie gesammelt hatten, den Vorstellungen des vermittelnden Raritätenhändlers Humphreys und dem imperialen Anspruch des königlichen Stifters. Der Schweizer Student Greyerz bemerkte denn auch, im Museum befänden sich: »[e]ine Menge Götzen von abscheulichen Verzerrungen des Körpers und der größten 27

Blumenbach: Nachrichten, S. 87; Lichtenberg: Museum, S. 48, 52. Hans Plischke: Die ethnographische Sammlung der Universität Göttingen. Ihre Geschichte und Bedeutung. Göttingen 1937, S. 33. 29 Vgl. Urban: Sammlung, S. 95. 28

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Geschmacklosigkeit. Viele Amphibien, eine Menge menschlicher Embryonen, von Negern etc. […] eine wohlbehaltene Mumie […] was man in jeder Kunstsammlung etwa findet.«30 Der Hauslehrer Karl Gottlob Küttner notierte 1797: »Auch hier stieß ich wieder auf einen Vorrath von Kleidern und Lumpen des Südmeeres […]. Fast ist es mir lästig, Dinge der nehmlichen Art immer wieder und wieder zu sehen, weil die Aufseher nicht begreifen können, warum man so vorüber eilt«.31 Auch Blumenbach musste zugeben, dass man den Großteil der Exponate »auch aus einer Kunstkammer nehmen könnt[e]«.32 Schwerwiegender wog aber die miserable Dokumentation der Objekte. Zumeist erfuhr man wenig mehr als Namen und einen vagen Herkunftsort. Für die weitere Einordnung war man dann auf genau die Texte angewiesen, die man eigentlich hatte überprüfen wollen. Tatsächlich scheint die ägyptische Mumie der Sammlung das einzige Objekt zu sein, dass einer demonstrativ gründlichen Untersuchung unterzogen wurde. Allerdings dürfte diese einmalige Aktion sicher ebenso sehr auf den besonderen Status des königlichen Spenders – König Christian VII. von Dänemark – zurückzuführen sein, wie auf die Tatsache, dass die Göttinger Forscher dieses mythenumwobene Objekt königlicher Patronage dadurch gleichsam ›akademisieren‹ wollten. Neue Erkenntnisse konnten die Gelehrten aber auch in diesem Fall aufgrund der lückenhaften Dokumentation und mangelnder Vergleichsmöglichkeiten nicht erlangen.33 Vielmehr scheint die Sammlung vor allem als ›Zeuge‹ gedient zu haben. Sie visualisierte bereits zuvor oder anderswo erlangte Ergebnisse. So ließ Blumenbach ab 1784 dutzende Schädel anschaffen, an denen er seine Studien zur physischen Anthropologie illustrierte – Studien, die er allerdings lange vor der Entstehung der Sammlung durchgeführt hatte.34 Wenn der Beitrag des Museums zur Forschung zunächst gering blieb, so eignete den Sammlungen doch eine besondere Dynamik im Prozess disziplinärer Ausdifferenzierung. Die Auseinandersetzung mit der Cook/Forster-Sammlung inspirierte den gelernten Mediziner Blumenbach dazu, die Völkerkunde so grundlegend zu sy30 Wolfgang Gresky (Hrsg.): »Eine Göttingen-Schilderung vom Mai 1799. Ein Brief des Schweizer Studenten Gottlieb von Greyerz«. In: Göttinger Jahrbuch 1982, S. 181–199, hier S. 197 f. 31 Nadine Plesker: Das Königlich Akademische Museum in Göttingen. In: Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815. Mainz 2006, S. 476–483, hier S. 482. 32 Blumenbach: Nachrichten, S. 87. 33 Vgl. die Dokumentation der Untersuchungen in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen 123 (08.10.1781), S. 985–992. 34 Vgl. Johann Friedrich Blumenbach: De Generis Humani Varietate […]. Göttingen 1776; sowie Thomas Nutz: »Varietäten des Menschengeschlechts«. Die Wissenschaften vom Menschen in der Zeit der Aufklärung. Köln u. a. 2009, S. 260 f.

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stematisieren, dass daraus bald ein eigener Fachbereich entstand. Später beförderte die Kunstsammlung, dass in Göttingen »zum ersten Mal an einer deutschen Universität« die Kunstwissenschaft zur akademischen Disziplin erhoben wurde. Ähnlich enge Verbindungen finden sich auch zwischen dem Entstehen des Diplomatischen Apparats oder den Historischen Hilfswissenschaften und ihren Sammlungsobjekten.35

Die Polyvalenz universitärer Sammlungen Angesichts dieses Befundes erscheint die eingangs skizzierte Reduktion akademischer Sammlungen auf ihre Funktion als Labor als unzulässige Verengung. Die Praktiken der Akteure gingen weit über experimentelle Verfahren hinaus. Die Sammlung hielt weit verstreutes Material lokal verfügbar, dokumentierte Forschungsergebnisse vor respektablen Zeugen und machte Lehrwissen am Objekt nachvollziehbar. Ihre Visualisierung theoretischer Wissensbestände erreichte auch nicht-akademische Betrachter, inszenierte universitäre Gelehrsamkeit sowie gelehrte Netzwerke für ein breites Publikum und half über ›disciplinary objects‹ Fachgrenzen zu markieren. Es war gerade die Polyvalenz dieser Räume als Magazin, als Archiv, als Hörsaal, als Salon und als ›Wissenstheater‹, die ihre Popularität, ihre ungeheure Dynamik und rasche Verbreitung begründete. Die akademische Sammlung verdeutlicht daher, wie sehr Wissensbestände erst als soziale Praxis Gültigkeit erlangen. Erst über die Inszenierung von Evidenz am materiellen ›Zeugen‹ konnte akademisches Wissen zwischen Lehrern und Schülern, Sammlern und Besuchern, Kuratoren und Amateuren zirkulieren. Zudem zeigt sich, dass die besondere Attraktivität akademischer Sammlungen gerade nicht im Bruch mit Vorgängerformen begründet lag, sondern in der spannungsvollen Synthese älterer und neuerer Sammlungsformen sowie akademischer und außerakademischer Traditionen. Anders als die Privatsammlungen erschloss sich das Universitätsmuseum so eine große Bandbreite von Gönnern, Mäzenen, Unterstützern und Nutzern sowie ein breites Spektrum an Sammlungsgebieten – eine Ausweitung, die für seine rasche Akkumulation ausschlaggebend war. Die moderne Vorstellung eines weitgehend entkörperlichten Wissens hat die Interpretation vom Museum als ortlosem ›Labor‹ populär gemacht. Ein Blick auf die Praxis der Sammlungen verweist dagegen auf die Materialität von Wissen sowie seine kontingente Verflechtung mit der akademischen Lebenswelt und bietet gerade deshalb eine wertvolle Quelle für eine interdisziplinäre Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte.

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Plesker: Museum, S. 269 u. S. 273; sowie Nawa: Zum öffentlichen Gebrauche, S. 55.

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