August 2015

Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 68. Jahr Heft 7/8 Juli/August 2015 zum Inhaltsverzeichnis 2 HLZ 7–8/2015 Zeitschrift de...
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Zeitschrift der

Hessen

für Erziehung, Bildung, Forschung 68. Jahr Heft 7/8 Juli/August 2015 zum Inhaltsverzeichnis

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HLZ 7–8/2015

Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489

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Herausgeber:

GEW beim Christopher Street Day in Frankfurt Vom 17. bis 19. Juli findet die Frankfurter Version des Christopher Street Day (CSD) statt, in dessen Mittelpunkt unter dem Motto „Grenzen überwinden – Brücken schlagen“ der Kampf gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz vielfältiger Lebenskonzepte steht (www.csd-frankfurt.de). Angesichts der Polarisierung und Ausgrenzung durch Initiativen „besorgter Eltern“ steht der Bildungsbereich im Fokus. Die Arbeitsgruppe „LesBiSchwule Lehrer_innen in Hessen“ der

GEW wird erneut dabei sein und sucht noch Kolleginnen und Kollegen, die bei der CSD-Fußgruppe am Samstag, dem 18. Juli, mitlaufen oder den Stand der AG beim Regenbogen-Familienfest am 19. Juli betreuen wollen, um „ganz unabhängig von ihrem jeweiligen persönlichen Lebenskonzept ein Zeichen für Vielfalt im Leben und für Vielfalt an Schulen“ zu setzen. • Interessierte Kolleginnen und Kollegen können sich per E-Mail melden: lehrer_ [email protected] oder [email protected]

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Hessen Zimmerweg 12 60325 Frankfurt/Main Telefon (0 69) 971 2930 Fax (0 69) 97 12 93 93 E-Mail: [email protected] Homepage: www.gew-hessen.de

Verantwortlicher Redakteur:

Harald Freiling Klingenberger Str. 13 60599 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 636269 Fax (069) 6313775 E-Mail: [email protected]

Mitarbeit:

Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hochschule), Dr. Franziska Conrad (Aus- und Fortbildung), Joachim Euler (Aus- und Fortbildung), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestimmung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette Loycke (Recht), Heike Lühmann (Aus- und Fortbildung), Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik und Gewerkschaften)

Gestaltung:

Harald Knöfel, Michael Heckert †

GEW-Mitglieder stimmen für TVH-Ergebnis

Aus dem Inhalt

Nachdem mit dem Land Hessen am 15. April 2015 in Dietzenbach ein Tarifergebnis für die Beschäftigten des Landes im Bereich des Tarifvertrags Hessen (TV-H) erzielt worden war, waren die Mitglieder der Gewerkschaften am Zug. In einer Mitgliederbefragung stimmten 87,6 Prozent der hessischen GEW-Mitglieder im Angestelltenverhältnis der ausgehandelten Vereinbarung zu. Damit werden die vereinbarten Entgelterhöhungen um 2,0 % rückwirkend zum 1. März 2015 und um weitere 2,4 % ab dem 1.4.2016 rechtskräftig. Allerdings Rubriken 4 Spot(t)light 5 Briefe 34 Recht: Elternzeit 36 Jubilarinnen und Jubilare 37 Magazin Schwerpunktthema: Medienpolitik 10 Wie glaubwürdig sind die Medien? 12 Unwort „Lügenpresse“ 14 Medien und Verantwortung 16 NSU-Morde: Untersuchungsausschuss in Hessen 18 Die neue griechische Regierung und die deutschen Medien 20 Im Gespräch mit Andrea Ypsilanti

wird die endgültige Ausfertigung der Tarifverträge noch einige Zeit in Anspruch nehmen, unter anderem weil die Details der Erhöhung des Arbeitnehmeranteils an der VBL-Umlage um 0,2 Prozentpunkte ab 1. Juli 2015 noch von der Umsetzung in den anderen Bundesländern abhängen. Das Land Hessen hat mitgeteilt, dass die rückwirkende Tariferhöhung ab dem 1. März am 30. Juni ausgezahlt wird. Die Zahlung Ende Juli wird dann erstmals zusätzlich den Abzug von 0,2 Prozentpunkten für die VBL-Umlage umfassen. 6    Beamtenstreik in Hessen

8  Streik im Sozial- und Erziehungsdienst Einzelbeiträge 21 Fachtagung „Frauenberufe“ 22 Bildungsgipfel im Nebel 23 Ein neues Schulmodell für Hessen? 24 Zweigliedrigkeit als Alternative? 26 Tarifeinigung an der Goethe-Uni: Die Hilfskräfte kämpfen weiter 28 Hessisches Hochschulgesetz 29 Schulsozialarbeit muss bleiben! 30 Islamismus und Dschihadismus 32 Tanzen in der Schule 35 Keltenmuseum auf dem Glauberg

Schwerpunktthema: Harald Freiling Illustrationen:

Thomas Plaßmann (S. 25), Ruth Ullenboom (S. 4)

Fotos, soweit nicht angegeben:

Elke Hoeft (Titel, S. 6 -9, 26, 28), Bernhard Trillig (Titel), Harald Freiling (S. 22), Hans-Georg Klindt (S. 6-9)

Verlag:

Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Niederstedter Weg 5 61348 Bad Homburg

Anzeigenverwaltung:

Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Peter Vollrath-Kühne Postfach 19 44 61289 Bad Homburg Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 E-Mail: [email protected]

Erfüllungsort und Gerichtsstand: Bad Homburg

Bezugspreis:

Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten.

Zuschriften:

Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen.

Redaktionsschluss: Jeweils am 5. des Vormonats Nachdruck:

Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfältigungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigenteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion und des Verlages.

Druck:

Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbH Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel

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KOMMENTAR

Starke Zeichen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das erste Halbjahr 2015 war auch im Organisationsbereich der GEW Hessen durch zugespitzte tarif- und besoldungspolitische Auseinandersetzungen geprägt. „Wir lassen uns nicht abhängen“, lautete unser übergreifendes Motto. Es ging und geht darum, die systematische Abwertung unserer Arbeit zu verhindern und für eine angemessene Bezahlung zu streiten und – wenn nötig – auch zu streiken. Jenseits von Sonntagsreden geht es uns um die gesellschaftliche Wertschätzung der Arbeit mit Menschen und um die Bezahlung in Berufsfeldern, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden. Angesichts der Verweigerungshaltung der kommunalen Arbeitgeber und des Landes Hessen waren Streiks unvermeidlich, um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Und bei all diesen Streiks konnten wir durch eine hohe Beteiligung starke Zeichen setzen. Die Kolleginnen und Kollegen der GEW Hessen sind präsent und setzen sich gemeinsam und konsequent für eine gute Bezahlung und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein: • Die Tarifbeschäftigten des Landes Hessen streikten am 11. März und auch am 13. April, dem ersten Schultag nach den Osterferien, um den Tarifforderungen Nachdruck zu verleihen. • Die Kolleginnen und Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst haben mehrere Wochen für eine angemessene Eingruppierung gestreikt. Diese Streiks waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser HLZ wegen der Schlichtungsverhandlungen ausgesetzt. Auf dem Hintergrund der bisherigen Ignoranz der Arbeitgeber kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach der Schlichtung erneut gestreikt werden muss. (HLZ S. 8-9) • Am 16. Juni legten über 5.500 verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer ihre Arbeit nieder, um Druck zu machen gegen die geplante Nullrunde und für die Umsetzung der seit 2009 ausstehenden Arbeitszeitverkürzung. Für die Lehrerinnen und Lehrer entspricht diese Forderung einer Kürzung der Pflichtstundenzahl um eine Stunde. (HLZ S. 6-7) • An der Goethe-Universität Frankfurt streikten die studentischen Hilfskräfte für ihre Einbeziehung in den Tarifvertrag. (HLZ S. 26-27)

Bei all diesen Streiks gab es eindrucksvolle gemeinsame Kundgebungen mit den DGB-Gewerkschaften ver.di, GdP und IG BAU. Ihr habt mit der hohen Streikbereitschaft und eurer Präsenz starke, ermutigende Zeichen gesetzt! Unser Dank gilt auch allen ehrenamtlich tätigen Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen, den Kreis- und Bezirksverbänden und im Landesverband sowie den Beschäftigten der Landesgeschäftsstelle, die bei der Mobilisierung und Organisation eine vorzügliche Arbeit geleistet haben. Diese Zeichen sind Rückhalt und Ansporn, nicht nachzulassen im Kampf für eine angemessene gesellschaftliche Bewertung der Professionen im Schulbereich, im Sozial- und Erziehungsdienst und auch an den Universitäten. Und damit ist in aller Regel eine Aufwertung der Bildungsarbeit und der Erziehungsarbeit gemeint, einer gesellschaftlich sehr wichtigen Arbeit. Diese Arbeit steht und fällt mit den Beschäftigten, die diese Arbeit leisten. Wir alle tun diese Arbeit gerne. Aber die Bedingungen müssen stimmen. Geld ist in unserem reichen Land genug da. Die Steuereinnahmen sprudeln und durch eine sozial gerechte Steuerreform wäre es möglich, die sozialen öffentlichen Aufgaben dauerhaft finanziell abzusichern. Sollten sich die Arbeitgeber im Sozial- und Erziehungsdienst nicht bewegen, sollte die schwarzgrüne Landesregierung in ihrer Verweigerungshaltung verharren, werden wir auf jeden Fall gemeinsam weiter Druck machen. Wir wissen, dass wir dafür einen langen Atem brauchen, doch der Anfang ist gemacht. Für die nächsten Wochen wünschen wir euch allen eine angenehme Sommerzeit.

Birgit Koch, GEW-Landesvorsitzende Jochen Nagel, GEW-Landesvorsitzender

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SPOT(T)LIGHT

Geistig-moralisch gewendet Als ich 12 war, schafften meine Eltern einen Fernseher an. Bis dahin hatten sie Durbridge und Wolfgang Neuss bei einem schratigen Junggesellen goutiert, der sein Geld in Modelleisenbahnen, Fotoapparate und „moderne Medien“ investieren konnte statt in drei Kinder. Meine Geschwister und ich mussten uns vertraglich verpflichten, niemals ohne Erlaubnis fernzusehen. Es gab zwei Programme: ARD und ZDF – und manchmal einen Kinderfilm im DDR-Fernsehen. Alles in Schwarzweiß. Nachts erschien das Testbild und kein Aufruf zum gewerblichen Geschlechtsverkehr. Wir Kinder sahen am liebsten Werbung. Noch war es völlig unvorstellbar, den Fernseher weiterlaufen zu lassen, wenn Besuch kam. Mit 17 erschien mir das Leben draußen spannender als Kulenkampff und Ilja Richter. Aber dann öffnete sich plötzlich die Welt! Mit Kohls „geistig-moralischer Wende“ hielt das Privatfernsehen Einzug in die öffentlich-rechtliche Spießerstube! Für die üblichen Schwarzseher schien damit der kulturelle Niedergang der Bundesrepublik besiegelt: völlige Kommerzialisierung der Medienwelt, seichte und sinnfreie Unterhaltung, Unzucht und Gewalt, Skandalmeldungen statt seriöser Nachrichten, alle fünf Minuten Werbung. – Aber die Zukunft ließ sich nicht aufhalten, auch nicht von

den notorischen Quenglern. „Tutti Frutti“ wies den Weg in die moderne Fernsehwelt. Das Privatfernsehen bereicherte und demokratisierte das Land! Der Flachbildschirm ist nicht mehr nur Literaturpäpsten, Bundespräsidenten, Auslandsjournalisten und Volksmusikanten vorbehalten, auch alle anderen Verhaltensauffälligen dürfen sich ins Studio und in Szene setzen. Endlich kann der Zuschauer seine edelsten Charakterzüge rund um die Uhr ausleben: Schadenfreude und Voyeurismus – sorry, ich meine „negative Empathie“ und „unverhohlene Anteilnahme“. In vielfältigen Talk-Shows werden menschliche Nöte sensibel dargeboten: Schulden, Seitensprünge, Übergewicht, zänkische Nachbarn, Perversionen, Penisvergrößerungen, Kleptomanie und Sodomie. Endlich gelten bildungsmäßige Handicaps und enge Weltsicht nicht mehr als Defizit. Im Gegenteil, man teilt sie selbstbewusst mit einem Millionenpublikum. Dummheit ist völlig kulturkompatibel und salonfähig geworden. Das Privatfernsehen schafft Trends und setzt Akzente: Es beschert uns die kulturelle Vielfalt amerikanischer Serien und macht Pathologen und Models zu Traumberufen. Bei RTL, SAT1 und PRO 7 wird geheiratet, gekocht, getanzt, gezeugt und geboren, wird erbrochen, geturnt und abgenommen, werden Vaterschaftstests durchgeführt, schwierige Kinder ins Nirwana verbracht, droht die Supernanny mit Erziehungstipps, flirten nackte Menschen auf einsamen Inseln, fressen abgehalfterte „Prominente“ Maden, werden Operationen am lebendigen Leib durchgeführt – und alle sind wir heilfroh, dass die Hintern der Fernsehkandidaten, ihre Missgeschicke und geistigen Tiefflüge noch viel ausgeprägter sind als unsere. Das Privatfernsehen tröstet und nivelliert. Es beteiligt an existenziellen Entscheidungen: Welcher Kandidat soll rausfliegen? Es verlost schicke Sportwagen, wenn man komplizierte Fragen beantwortet: Wie heißt das scheue Waldtier mit drei Buchstaben? Wildschwein? Hase? Känguru? Hier findet wahre Basisdemokratie statt! Rund eine Million Zuschauer ruft jeden Abend an und verhilft den Sendern durch die Telefongebühren zu beträchtlichen Einnahmen. Damit können weitere

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epochale Sendungen produziert werden, die sich im Nachmittagsprogramm in Endlosschleife wiederholen. Preisgünstig sind Casting-Shows und Scripted Reality. Alle wollen ins Fernsehen, insofern geben sich Laiendarsteller mit ein paar Euros zufrieden, lassen sich „Stars“ in Container und Bootcamps sperren, outen sich Talkshowgäste zu jeder beliebigen Problemlage. Politiker, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, besuchen Container-Insassen oder beteiligen sich am Wetttanzen und Wettkochen. Nur Wertekonservative trauern um verloren gegangene Menschenwürde, fordern ethische Richtlinien und verantwortungsbewusste Programmchefs. Menschenwürde? Niveau? Was ist das für ein altmodischer Firlefanz? Quote zählt, sonst nix. „Fresst Scheiße, Leute, Milliarden Fliegen können nicht irren!“ Und ist es nicht wirklich ein großer Gewinn, dass man die Weihnachtsgans jetzt bei Thrill und Action verdauen kann und nicht immer nur auf den „kleinen Lord“ oder die Christmette im Zillertal zurückgeworfen wird? Dass es endlich Nachrichtensendungen gibt, die man auch ohne Fremdwörterlexikon versteht? Dass man nicht mehr auf die Zeitschriften beim Friseur angewiesen ist, wenn man etwas vom Glanz und Elend unserer Celebritys (Veronica Ferres, Daniel Küblböck) erfahren will? Das Privatfernsehen hat uns allen (mit Ausnahme der bildungsfernen Eltern, die ihren Kindern einen Fernseher vorenthalten!) kulturell und moralisch völlig neue Wege gewiesen. Doch der Zug der Zeit hat die Privatsender mittlerweile überholt. Im Internet warten weitaus größere und diffizilere Erlebniswelten! Hier ist jeder jederzeit live dabei, wenn Geschichte gemacht wird, ohne dass er mühsam Hintergründe eruieren müsste. Hier kann jeder sein eigenes Programm gestalten, seine Urlaubsfotos, Speisepläne und Tagebücher posten, kann anonym oder mit offener Maske kommentieren, reimen, filmen, sich vernetzen und austauschen, tratschen, mobben, hetzen und giften. Selbst der größte Psychopath findet irgendwo im World Wide Web Gesinnungsgenossen und stellt zufrieden fest: „Ich bin nicht allein!“ Danke, geistig-moralische Wende, du hast das Wertvollste in uns zu Tage gefördert, das kulturelle Niveau des Landes angehoben und innovativ den Alltag geprägt! Wir sind jetzt fit für die Zukunft! Gabriele Frydrych

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B riefe

Betr.: HLZ 4/2015 Genderkorrekte Sprache Mit großem Befremden

Betr.: HLZ 5/2015 Führen und Folgen „Worte wie winzige Arsendosen“

Mit großem Befremden habe ich den Artikel von Helmut Scheefer gelesen, der sich auf äußerst einseitige, teilweise auch polemische und diffamierende Art mit geschlechtsneutralen Formulierungen befasst. Wenn dem Autor bestimmte Formen geschlechtergerechter Sprache nicht gefallen, warum greift er dann nicht auf andere zurück (Doppelnennung, Schrägstrich, Binnen-I usw.)? Da gibt es doch viele Alternativen und Möglichkeiten. Dem Titel seines Artikels „Gender Correctness“ wird Helmut Scheefer jedenfalls nicht gerecht, denn mit der politischen Bedeutung und Wirkung geschlechtsneutraler Sprache setzte er sich gerade nicht auseinander. Sicher ist es Aufgabe einer Gewerkschaftszeitung, verschiedene Blickwinkel eines Themas zu diskutieren und auch mal andere Meinungen zur Geltung kommen zu lassen. Aber mit diesem Artikel lohnt sich eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht einmal ansatzweise. Gerade weil in der GEW der Frauenanteil unter den Gewerkschaften besonders hoch ist, hätte ich mir einen sensibleren und niveauvolleren Umgang mit diesem Thema gewünscht und bedaure es sehr, patriarchale Stammtischparolen wie diese in der HLZ lesen zu müssen.

Der Philologe und Verfolgte des NSRegimes Viktor Klemperer, dessen Tagebücher über seine Ausgrenzung während des Nationalsozialismus inzwischen in Auszügen begrüßenswerter Weise in hessischen Schulen gelesen werden, analysiert in seiner Untersuchung über die Sprache des „Dritten Reiches“ mit dem Titel „LTI“ (Stuttgart 2010) deren Wirkung auf folgende Weise: „Worte können sein wie winzige Arsendosen; sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Klemperer zeigt auf, wie die von den Nationalsozialisten gebetsmühlenartig vorgebrachten Schlagwörter wie „Führen“ und „Folgen“ selbst bei Menschen, die gegenüber der NS-Ideologie immun schienen, ihre Wirkung nicht verfehlten. Dolf Sternberger wies nach 1945 darauf hin, dass die Nationalsozialisten in ihrer Menschenverachtung die deutsche Sprache diskreditiert hätten und dass es sich verbiete, bestimmte kontaminierte Begriffe nach 1945 unbefangen zu benutzen. Obgleich der Mensch die Sprache nicht geschaffen habe, habe er doch seine jeweilige Sprache zu verantworten (Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, München 1989). Dieses Gebot gilt in besonderem Maße im Bildungsbereich. In der Schule sollen die Heranwachsenden kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit Sprache lernen und den Kontext von Begriffen reflektieren. Was sonst verbirgt sich hinter der in den Bildungsstandards häufig angeführten „Analysekompetenz“? Umso verwunderlicher ist es, dass der Fortbildner Robert Erlinghagen ohne jede Skrupel das Begriffspaar „Führen und Folgen“ ins Zentrum seiner Schulung für künftige Leitungskräfte im Bildungssystem stellt. Kann man von solchermaßen sprachlich sozialisiertem Leitungspersonal eine selbstkritische, am Erziehungsauftrag des Schulgesetzes und der Dienstordnung für Schulleiterinnen und Schulleiter orientierte Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte und einen demokratischen Umgang mit Kollegium, Schülerinnen und Schülern erwarten? Die Zusammenarbeit mit Gremien in der demokratisch verfassten Schule wie Schulkonferenz, Fachkonferenzen, Klassenkonferenzen, Eltern- und Schü-

Ulrike Noll, Darmstadt

Betr.: HLZ 5/2015 Gewerkschaftliche Aktionen Heilige Einfalt Heilige Einfalt, die HLZ schwächelt. In Heft 5 waren nur acht Bilder abgedruckt, die demonstrierende Gewerkschafter zeigen. Solche Bilder sollen ja die Kampfbereitschaft der kleinen, aber feinen GEW demonstrieren, ihre enge Verbundenheit mit den revolutionären deutschen Traditionen. Auch das Titelbild atmet diesen heroischen Geist eines begeisterten Aufbruchs. Zum Glück trifft dies für die Masse der Heftbeiträge nicht zu, auch vermisste ich diesmals den sonst leicht dominanten weinerlichen Unterton über die kaum erträgliche Last, ein Lehrer zu sein. Hartmann Wunderer, Wiesbaden

lervertretung sowie Personalrat wird nicht erwähnt; die Gesamtkonferenz wird als „Führungsinstanz“ bezeichnet. Unscharf bleib bei Erlinghagen auch, wann Entscheidungen „aktiv mitzutragen sind“. Er meint, solche Entscheidungen seien „aktiv mitzutragen, deren Zustandekommen nachvollziehbar ist.“ Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „nachvollziehbar“? Schulgesetz und Verordnungen geben die Kriterien vor, die eine Entscheidung für das Kollegium verpflichtend machen; darauf sollte ein Fortbildner für künftiges Leitungspersonal verweisen. Klaus Armbrusters Skepsis gegenüber dem Menschenbild solcher Fortbildungen (HLZ 4/2015) ist „nachvollziehbar“. Recherchiert man im Internet nach dem Begriffspaar „Führen und Folgen“, so wird man – außer im Zusammenhang mit dem Tanzsport – fündig, wenn es um Pferde- oder Hundezucht geht. Dr. Franziska Conrad, Mainz

Betr.: HLZ 6/2015 lea-Reise nach Palästina Palästinensischer Terrorismus Der Kritik des Kollegen Jan Egbers an der lea-Reise nach Israel und Palästina kann ich weitgehend zustimmen. Allerdings teile ich dessen Schlussfolgerung, keine Bildungsreisen nach Israel und Palästina durchzuführen, nicht. (...) Es ist für eine Gewerkschaft nicht verwerflich, Reisen in politische „brisante“ Regionen anzubieten. Allerdings muss dabei eine glasklare Haltung für das Existenzrecht Israels vorhanden sein. Dass dies bei maßgeblichen Kräften auf palästinensischer Seite nicht gewährleistet ist, hat Kollege Engbers ausgeführt. (...) Deshalb muss eine solche Reise auch den maßgeblichen Anteil der Palästinenser an dem Konflikt darlegen: durch Raketenbeschuss, Entführungen und Terroranschläge. Ich habe bei einer Reise nach Israel und ins Westjordanland 2013 gegenüber dem palästinensichen Reiseleiter nicht geschwiegen, auch wenn mir das manche Anfeindung einiger deutscher Reiseteilnehmer eingebracht hat. Die Mauer bei Bethlehem wurde groteskerweise mit der Berliner Mauer gleichgesetzt, ohne darauf hinzuweisen, dass nach dem „Mauerbau“ die Terroranschläge durch Palästinenser in Israel weitgehend unterbunden wurden. Fazit: Ja, eine gut vorbereitete Israel-Palästina-Reise lohnt sich. (...) Jürgen Engert, Lorsch

S trei k d er v erbe a mteten L ehr k r ä fte

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Wiesbaden, 16. Juni 2015

5.473 verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer hatten bis zum 8. Juni eine verbindliche Erklärung abgegeben, dass sie sich an einem eintägigen Warnstreik gegen die Besoldungspolitik der hessischen Landesregierung beteiligen, wenn die GEW zum Streik aufruft. Allein 6.000 Kolleginnen und Kollegen kamen am 16. Juni, dem Streiktag, zur Auftaktveranstaltung der GEW im Rahmen eines Aktionstags des DGB „Für einen handlungsfähigen Staat“ in die Reisinger-Anlage vor dem Hauptbahnhof, die meisten von ihnen verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer im Streik. Viele hatten eine längere Anfahrt hinter sich, andere hatten sich schon vorher in Rüsselsheim, Hofheim oder Frankfurt zum Streikfrühstück getroffen. Dieses Mal spielte auch das Wetter mit – das hob im weiß-roten Fahnenmeer der GEW die Stimmung gleich um ein Vielfaches. Die Einschüchterungskampagne des Kultusministeriums, für die sich auch einige Schulleiterinnen und Schulleiter einspannen ließen, war vergessen, die Solidarität derer, die sich auf den Weg gemacht hatten und den aufrechten Gang praktizierten, trug.

Und das Übrige taten die kämpferischen Ansprachen und Grußworte und die feurige Moderation der stellvertretenden GEW-Landesvorsitzenden Maike Wiedwald. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks für Hessen und Nassau, beschwor als erster Gastredner eine „neue solidarische Ökonomie“. Rainer Pilz, Vorsitzender des Landeselternbeirats, griff den Wortlaut mehrerer Transparente und Plakate auf und kritisierte die Kürzungen für die gymnasialen Oberstufen und Grundschulen als „Taschenspielertrick“ und ermutigte die Lehrerinnen und Lehrer, an der gemeinsamen Vision einer Schule, in die die Kinder mit „leuchtenden Augen“ gehen, trotz widriger Umstände festzuhalten. Anush Arash, stellvertretender Vorsitzender der Landesschülervertretung, warf der Landesregierung vor, mit ihrer Kürzungspolitik „die Zukunft der Jugend“ zu verspielen: „Für gute Bildung brauchen wir nicht Millionen, sondern Milliarden“. Christine Dietz lud die streikenden Beamtinnen und Beamten als Mitglied des GEW-Kreisvorstands Wiesbaden zu einem „politischen Rundgang durch die Landes-

hauptstadt“ ein, nahm sich zuvor aber noch einmal die Mahnung des Kultusministeriums vor, wonach die Verpflichtung „zum vollen persönlichen Einsatz“ ein Streikrecht für Beamte ausschließe. Sie sprach den Kolleginnen und Kollegen aus dem Herzen, als sie den „vollen persönlichen Einsatz“ hervorhob, mit dem täglich „Inklusion unter völlig unzureichenden Bedingungen praktiziert wird, Quereinsteiger ohne jede Anrechnung eingearbeitet und immer neue zusätzliche Aufgaben ohne Entlastung übernommen werden“. Lehrerinnen und Lehrer könnten nicht glaubwürdig zu Mündigkeit, Selbstbestimmung und Menschenrechten erziehen, wenn sie sich selbst im „Kadavergehorsam“ unterordneten. Der lange Demonstrationszug führte zum Dern’schen Gelände vor dem Landtag. Unterwegs mischten sich dann auch immer mehr grüne Fahnen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) unter die roten Fahnen der GEW. Bei der Kundgebung des DGB erneuerte die DGBBezirksvorsitzende Gabriele Kailing die Forderung nach einer „ehrlichen Debatte über die Verantwortung des Staates zur Erfüllung seiner Aufgaben und die

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dazu nötige finanzielle Ausstattung der öffentlichen Kassen“. Die Bürgerinnen und Bürger wollten einen „handlungsfähigen Staat, in dem Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Soziales getätigt werden“. Das Land Hessen müsse sich auch auf Bundesebene für eine gerechte Steuerpolitik einsetzen, „statt die Besoldung der Beamten, Anwärter und Versorgungsempfänger in der Tarifrunde auszusparen und dann zu deckeln, in die Beihilfe einzugreifen und Stellen zu streichen.“ Jochen Nagel hielt den schwarzgrünen Koalitionären ihre Aussagen vor der Wahl vor und forderte endlich „Montagstaten statt Sonntagsreden“. Wenn die Forderungen der GEW nach einer vollen Übertragung des Tarifergebnisses und nach Arbeitszeitverkürzung entsprechend der tariflichen Arbeitszeit nicht erfüllt werden, „werden die Mitglieder der GEW nicht zum letzten Mal auf diesem Platz vor dem Landtag stehen“. Er dankte den Kolleginnen und Kollegen, die dem Streik­ aufruf der GEW gefolgt waren: „Ich weiß, dass es vielen nicht leicht fällt, auch nur an einem einzigen Tag die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern zu verweigern. Aber dieser Streik ist Ausdruck der Professionalität engagierter und selbstbewusster Pädagoginnen und Pädagogen.“ Und so war es auch Andreas Grün, der Vorsitzende der GdP Hessen, der den streikenden Beamtinnen und Beamten der GEW ausdrücklich Anerkennung zollte: „Danke GEW, dass ihr diesen Mut beweist.“ Weitere Fotos vom Streiktag und Hinweise zum Umgang mit disziplinarischen Maßnahmen und zur Zahlung des Streikgelds findet man unter www.gew-hessen.de.

Grußwort des Landeselternbeirats „Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher sind wichtige Partner für uns Eltern. Sie leisten gute Arbeit – meist über das Erforderliche hinaus – und müssen auch entsprechend entlohnt werden. Es ist Aufgabe jedes Arbeitgebers, seine Mitarbeiter gerecht zu entlohnen und zu motivieren. Beides sehen wir mit einer geplanten Nullrunde der Landesregierung in keinster Weise gegeben.“ (Rainer Pilz, LEB-Vorsitzender)

S trei k

S trei k im S ozi a l - un d E rziehun g s d ienst

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SuE: Vier Wochen Streik Ab Freitag, dem 8. Mai, hatte auch die GEW die nordhessischen Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst zu einem unbefristeten Erzwingungsstreik aufgerufen. Drei Tage darauf folgten die Kolleginnen und Kollegen in Mittelund Südhessen. Gemeinsam mit ver.di fordert die GEW eine deutliche Aufwertung der betroffenen Berufe in Kindertagesstätten, in der sozialen Arbeit oder in der Behindertenhilfe. In fünf Verhandlungsrunden hatte die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) lediglich unverbindliche und völlig unzureichende Vorschläge vorgelegt, so dass sich in der Urabstimmung 96,4 % für einen unbefristeten Streik aussprachen. Beschäftigte aus allen Bereichen des Sozial- und Erziehungsdienstes legten ihre Arbeit nieder, dennoch wurde der Arbeitskampf mitunter verkürzt als „Kita-Streik“ wahrgenommen. Die Streikenden kamen täglich in Streiklokalen zusammen, um sich in Streiklisten einzutragen, öffentlichkeitswirksame Aktionen vorzubereiten, Leserbriefe zu schreiben und an Vorträgen und Diskussionsrunden teilzunehmen. So diskutierten die Streikenden in Frankfurt und Wiesbaden im Rahmen eines Workshops mit Elke Hoeft, Internet-Referentin der GEW Hessen, über erfolgreiche Kommunikationsstrategien. Auf großes Interesse stieß auch ein Vortrag

von Kai Eicker-Wolf, der beim DGB als Referent für Wirtschaftspolitik tätig ist. Er stellte in seinem Vortrag „Kein Geld für Aufwertung? Zur Lage der öffentlichen Haushalte in Deutschland“ (1) sehr anschaulich dar, dass die öffentlichen Einnahmen wegen einer verfehlte Steuerpolitik zu niedrig ausfallen. Daher gibt Deutschland deutlich weniger für Bildung aus als andere europäische Länder. In der Tat entwickelte sich der Verweis auf die leeren Kassen zum Hauptargument gegen die gewerkschaftlichen Forderungen. Den qualifizierten Charakter und die hohen Anforderungen an die Sozial- und Erziehungsberufe wollte kaum noch jemand offen in Abrede stellen. Dezidiertes Gewerkschaftsbashing wie im Falle des Lokführerstreiks der GDL blieb weitgehend aus. Die Streikenden selbst leisteten viel für die Akzeptanz des Streiks, indem sie in den Fußgängerzonen von Kassel bis Darmstadt regelmäßig präsent waren und informierten. Während des Streiks zeigten sich die meisten Elternvertretungen solidarisch. Der Gesamtelternbeirat der städtischen Kinderzentren Frankfurts forderte am 4. Mai in einem Brief an die VKA „eine fundamentale (auch monetäre) Neubewertung des Erzieher/innen-Berufs“: „Daher appellieren wir an die VKA, ohne weiteres Zögern die in keiner Weise ziel-

führende Schuldzuweisungsrhetorik einzustellen und stattdessen ein die gesamte Qualifikationsbandbreite des Erzieher/innen-Berufs abdeckendes Angebot auf den Tisch zu legen.“

In vielen Städten und Gemeinden wendeten sich die Eltern direkt an die verantwortlichen Kommunalpolitikerinnen und -politiker. In der zweiten Hälfte des Streiks wurde immer deutlicher spürbar, unter welch großen Belastungen viele Eltern inzwischen standen. Im Streikverlauf fanden in Hessen zwei Großkundgebungen statt, die erste am 12. Mai in Gießen (Foto: unten), die zweite am 28. Mai in Frankfurt (Titelfoto). Eine Mitgliederversammlung der VKA, die eigentlich im Frankfurter Römer tagen sollte, wurde angesichts von 16.000 Streikenden auf dem Römerberg kurzfristig an den Flughafen verlegt. An vielen Orten fanden kleinere regionale Aktionen statt. In Wiesbaden gab es mehrere Flash-Mobs, bei denen die Streikenden einen „StreikRock“ anstimmten. Auch eine Kundgebung in Viernheim am 2. Juni zeigte, dass der Streik auch jenseits der Großstädte stattfand (S. 9, linkes Foto). Erst in der vierten Streikwoche legte die VKA ein Angebot vor, das inhaltlich aber nicht über die bereits vorgelegten Vorschläge hinausging. Nachdem in dreitägigen Verhandlungen kein Ergebnis erzielt werden konnte, riefen

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beide Seiten am 4. Juni eine Schlichtung an, so dass der Streik ausgesetzt wurde. Der Ausgang war zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels noch nicht bekannt. Die GEW konnte im Rahmen des Arbeitskampfs viele neue Mitglieder gewinnen. Die Herausforderung wird nun dar-

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in bestehen, das im Rahmen des Streiks entstandene Engagement in eine auf Dauer angelegte Mitarbeit in der GEW zu überführen. Dies wird auch die stärkere Zuwendung der GEW zu diesem Tarifbereich und zu den Problemlagen der Sozial- und Erziehungsberufe erfordern. Roman George

(1) Download: www.gew-hessen.de > Mitmachen > Kampagnen > EGO SuE

Weitere Fotos und aktuelle Informationen zur Tarifauseinandersetzung in der aktuellen Ausgabe der E&W und im Internet unter www.gew-hessen.de und www.gew.de

Aufruf: Den Schwung nutzen! An dieser Stelle dafür zu werben, über den Streik im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) hinaus in der GEW aktiv zu sein und in einer SuE-Fachgruppe mitzuarbeiten, ist keine leichte Aufgabe. Umso mehr, als niemand weiß, wie die Stimmung ist, wenn diese HLZ erscheint. Womöglich unter dem Eindruck eines niederschmetternden Schlichtungsspruchs? Viele von uns hatten schon den Streikabbruch (na gut, „die Unterbrechung“) als eine Art Putsch gegen die Streikenden erlebt. Sicher können wir es dabei belassen, auf die Funktionäre zu schimpfen und uns ansonsten wieder auf die Arbeit konzentrieren. Das hieße aber auch, die Tarifauseinandersetzung weiter allein den Funktionären zu überlassen. Vielleicht liebäugeln manche von uns aus Enttäuschung auch damit, aus der Gewerkschaft auszutreten. Doch diese Resignation würde der hartleibigen Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände in die Hände spielen: Ein solches Verhalten wür-

de die Gewerkschaften und damit uns als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächen. Dabei haben wir in den zurückliegenden Wochen doch gespürt, welche Stärke von unserer Bewegung ausgegangen ist. Die Mehrheit der Gesellschaft steht hinter unseren Forderungen. Vielen dämmert, dass etwas falsch läuft, wenn jene, die sich um Menschen kümmern, schlechter dastehen als diejenigen, die Geld verwalten oder Maschinen bedienen. Unser Streik hat diese Schieflage sichtbar gemacht. An diesem Punkt gilt es weiterzumachen, auch und gerade wenn der Tarifabschluss weit hinter unseren Zielen zurückbleibt. Zum Dranbleiben braucht es Menschen mit Frustrationstoleranz und langem Atem, solche, die Niederlagen interessant finden, weil aus ihnen zu lernen ist. Bei einer kleinen Manöverkritik im Rahmen der GEW-Streikerfassung meldete sich ein Dutzend Mitglieder, die Lust haben, in einer Fachgruppe aktiv

zu sein. Und das ausgerechnet an jenem Freitag, als die Nachricht von der Schlichtung die Runde machte! Wir haben gemerkt, dass wir uns engagieren müssen, wenn wir wollen, dass unsere Interessen als Beschäftigte in Sozial- und Erziehungsdienst effektiv und authentisch vertreten werden. Dabei geht es nicht nur um mehr Anerkennung und Lohnforderungen, sondern auch darum, den Sozialabbau in unseren Bereichen zu stoppen und sich für unsere Klientel stark zu machen. Lasst uns den Schwung aus vier Wochen Streik nutzen, um gemeinsam etwas zu erreichen – auch wenn der Gegenwind stark ist! Wir sind es auch! Monika Kappus, Erzieherin • Hessische Kolleginnen und Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst, die sich für die Mitarbeit in einer SuEFachgruppe auf regionaler oder überregionaler Ebene interessieren, können sich per E-Mail melden: [email protected]

S c hwer p u nkt : M edien p o l itik

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Glaubwürdigkeit beschädigt Foto: Christian von Polentz

Für den konstruktiven Umgang mit dem Publikum Chefredakteur Kai Gniffke (ARD aktuell) gab sich in seinem „Tagesschaublog“ am 29. September 2014 kategorisch: „Wir haben stets nach bestem Wissen und Gewissen sowie sorgfältiger Recherche berichtet. Es gibt keinen Grund, sich für Fehler zu entschuldigen oder in der Berichterstattung nun gar gegenzusteuern.“

Nur zwei Tage später sah sich „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth dann doch zu einer Entschuldigung genötigt. ARD-Moskau-Korrespondent Lielischkies hatte am 20. Mai die Erschießung zweier Zivilisten durch Kämpfer der Separatisten in Krasnoarmeysk gemeldet. Originalaufnahmen des Zwischenfalls bewiesen, dass die ukrainische Nationalgarde für den Tod der Zivilisten verantwortlich war. Schon unmittelbar darauf waren Zweifel an dieser Darstellung geäußert worden. Erst fünf Monate später folgte die Entschuldigung für die Falschmeldung. Ein Einzelfall? Zweifel an der behaupteten „sorgfältigen Recherche“ erscheinen angebracht. Gelegentlich tauchten in der Berichterstattung Bilder von Panzerkolonnen auf, die eine Invasion russischer Truppen in der Ostukraine belegen sollen, Bilder, die sich später als alte Aufnahmen vergangener Kriege erwiesen. So geschehen unter anderem am 12. Februar dieses Jahres, als die Online-Redaktion von „ZDF heute“ Fotos von 50 angeblich in die Ukraine einfahrenden russischen Panzern in einen Bericht „schummelte“. Auch Focus Online, tagesspiegel.de und Zeit Online griffen diese „News“ auf. Tatsächlich stammten die Fotos aus dem Georgien-Krieg 2009. In lebhafter Erinnerung blieb auch die Verbreitung jenes Fotos vom G20-Gipfel in Brisbane, das die angebliche Isolation Putins von den übrigen Regierungschefs belegen sollte, auch verbal unterstützt durch die Headline „Der einsame Putin“. Die Ausstrahlung des kompletten Reuters-Materials ergab: Der im Bild befindliche Kellner verdeckte die gleichfalls am Tisch sitzende brasilianische Präsidentin Rousseff. Zwecks Illustration einer steilen These hatten die Nachrichtenredaktionen fast aller TV-Sender eine recht eigenwillige Bildauswahl getroffen. Vorgänge, die der Glaubwürdigkeit öffentlich-rechtlicher Berichterstattung immer wieder Schaden zufügen. Vorgänge, die übrigens auch genüsslich von Russia Today Deutsch, dem staatlichen Auslandssender des Kreml, aufgespießt werden. Gemäß dem Senderslogan: „Wir zeigen den fehlenden Teil zum Gesamtbild.“

Zunehmende Entfremdung Vor allem im Kontext der Ukraine-Berichterstattung registrieren Sender und Printmedien wachsendes Misstrauen der Rezipienten an einer Berichterstattung, die von Anfang an als einseitig und einäugig an transatlantischen Interessen ausgerichtet empfunden wurde. In der analogen Vergangenheit stand Kritikern allenfalls der Leserbrief oder das Hörertelefon zur Artikulation ihres Protests zur Verfügung. Im digitalen Zeitalter entlädt sich der Widerspruch auf massive Weise in sozialen Netzwerken und Online-Foren der großen Inhalte-Anbieter. Nicht immer sachlich, sehr

häufig auch in beleidigender Form, garniert mit Verschwörungstheorien. Jenseits individueller Eingaben artikuliert sich der Protest neuerdings verstärkt auf organisierte Weise. Zum Beispiel im „Forum Ständige Publikumskonferenz“. Gegründet wurde der Leipziger Verein von Maren Müller. Die Aktivistin arbeitete bis Sommer 2014 als Verwaltungsangestellte beim MDR. Anfang 2014 profilierte sie sich mit der Aktion „Markus Lanz raus aus meinem Rundfunkbeitrag“, einer Online-Petition aus Protest gegen das unflätige Bashing des ZDF-Moderators gegenüber Talk-Gast Sahra Wagenknecht. Müller begreift die „Ständige Publikumskonferenz“ als Sammelstelle für Beschwerden gegen Fehlleistungen in den Programmen von ARD und ZDF. Zahlreiche Beschwerden beziehen sich auf die Ukraine-Berichterstattung. So böten sowohl ARD als auch ZDF in ihren Nachrichtenformaten zum Ukrainekonflikt „vollkommen wertneutrale Podien für rechtsradikale und kriminelle Banden, ohne sich auch nur ansatzweise zu distanzieren“. Verbotene Nazisymbole würden „kommentarlos groß eingeblendet, als würde man über Traditionsvereine berichten“. Belege dafür lassen sich einige finden. Etwa am 25. Januar, als Lielischkies in der ARD einen Kämpfer zu den Raketenangriffen von Separatisten auf Mariupol interviewte. Vorgestellt wurde dieser als einer der „Kiew-treuen Verteidiger“ Was der „Tageschau“-Zuschauer nicht erfuhr: Der Kämpfer gehörte der Asow-Miliz an, einem Freiwilligen-Bataillon, das von Rechtsextremen gegründet wurde und von europäischen Neonazis unterstützt wird.

Hilflos und gereizt Medienkritiker Stefan Niggemeier analysiert in in einem Beitrag für „Krautreporter“ die Reaktion der Medien: „Erstaunlich hilflos und gereizt reagieren die Sender darauf, dass unzufriedene Zuschauer, die sie finanzieren müssen, sich nicht mehr mit der Rolle von Leserbriefschreibern zufrieden geben. Stattdessen versuchen sie durch das Mittel der Programmbeschwerde und die Dokumentation in der Öffentlichkeit ihrer Kritik maximale Wirkung zu verschaffen.“

Das provoziert in den Häusern gelegentlich massive Abwehrreaktionen. Während ARD-Mann Gniffke immerhin regelmäßig in seinem „Tagesschaublog“ die Auseinandersetzung mit den Kritikern führt, hält sich das ZDF in dieser Frage eher zurück (1). Kriegs- und Krisenzeiten seien bekanntlich „Phasen mit widersprüchlichen Informationen und Propaganda“, antwortete die ZDF-Pressestelle dem Debattenblog „Publixphere“ auf entsprechende Anfrage. In der digitalen Welt hätten sich die Grundlagen der Krisenberichterstattung zudem „massiv verändert“. Im Internet seien „eine Vielzahl an Informationen, Gerüchten und Halbwahrheiten im Umlauf. Das bedingt neue Standards der Quellenprüfung“. Hinweise auf eine etwaige Verletzung dieser Standards sind indes nicht immer willkommen. Das erfuhr etwa die Linke-Politikerin Gesine Lötzsch, als sie im ZDFFernsehrat eine kritische Frage nach dem Umgang mit NSSymbolen in der Ukraine-Berichterstattung stellte und von

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Chefredakteur Peter Frey unfreundlich abgebügelt wurde. Diese Art des Umgangs mit Beschwerden ist für Maren Müller von der „Ständigen Publikumskonferenz“ Ausdruck einer „mangelnden Fehlerkultur“. Wie jedes andere Unternehmen benötigten ARD und ZDF ein „Reklamations- oder Beschwerdemanagement“, das sich um die Qualitätssicherung kümmere. Nach Lage der Dinge sind dafür die Sendergremien, allen voran die Rundfunkräte zuständig. Diese nehmen solche Aufgaben allerdings – vorsichtig formuliert – häufig nur unvollkommen wahr. In Konfliktfällen begreifen sie sich nicht selten eher als Repräsentanten denn als Kontrolleure der Sender. Ein Beispiel dafür ist die Stellungnahme des WDR-Programmausschusses vom 11. Dezember 2014 zur Ukraine-Berichterstattung. Darin formuliert das Gremium seine „Verärgerung über die Veröffentlichung einer Zusammenfassung, mit der eine differenzierte Analyse des ARD-Programmbeirats verzerrt und an einigen Stellen verkürzt wiedergegeben wird“. Ein bemerkenswerter Vorgang. Denn die angeblich „verzerrt und verkürzt“ wiedergegebene Position des Programmbeirats könnte kaum deutlicher sein. Die Berichterstattung des Ersten über die Ukraine-Krise im ersten Halbjahr 2014 habe „teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt“ und sei „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen gerichtet gewesen“, heißt es in dem Resümee. Sie sei in weiten Teilen „unausgewogen, undifferenziert und unvollständig“ gewesen, fasste epd-Medien zusammen. WDR-Intendant Tom Buhrow reagierte wütend. Den Vorwurf unsauberer und tendenziöser Berichte werde man nicht auf sich sitzen lassen, schrieb er im Intranet des Senders: „Das geht an die journalistische Ehre.“ Das klingt mehr nach Korpsgeist als nach ernsthafter Auseinandersetzung mit Kritik. Unterstützung erhielt die ARD interessanterweise von ungewohnter Seite. Spiegel Online meldete, bei der „an die Öffentlichkeit durchgestochenen“ Kritik des „Laien-Gremiums“ handele es sich um ein „aus dem Zusammenhang gerissenes Resümee“. Offenbar ein solidarischer Schulterschluss im redaktionellen Eigeninteresse. Erst im September hatte der später vom Deutschen Presserat missbilligte SpiegelTitel „Stoppt Putin jetzt“ wütende Proteste in den sozialen Netzwerken hervorgerufen. Springers Welt qualifizierte unter der Headline „Putins langer Arm reicht bis in die Gremien der ARD“ die Programmbeirat-Kritik als „stalinistischen Geheimprozess“ und als „Kreml finanziert“. Dass die Kritik des Beirats einer öffentlich-rechtlichen Anstalt „durchgestochen“ werden muss, also nur auf fast schon klandestinem Weg an die Öffentlichkeit dringen kann, gibt zu denken. Nicht nur die tendenziöse Ukraine-Berichterstattung trifft auf die Ablehnung breiter Teile des Publikums. Immer wieder entzündet sich der Unmut von Medienkonsumenten an Vorgängen, die mit den Maßstäben einer wahrheitsgetreuen Schilderung der Realität kollidieren. Erinnert sei an die Diskussion um die Bilder vom „Republi­ kanischen Marsch“ in Paris nach dem Terrorattentat auf die Charlie-Hebdo-Redaktion. Fast alle Nachrichtensendungen suggerierten, die aus aller Welt angereisten Spitzen­politiker würden diese Demonstration anführen. Tatsächlich marschierten sie aus Sicherheitsgründen in beträchtlichem Abstand zum gemeinen Volk. Warum diese Inszenierung, diese mangelnde Transparenz? ARD-Mann Gniffke mag die Aufregung darüber nicht verstehen. Inzwischen sei schließlich „nahezu alles eine Inszenierung – jede Pressekonferenz, jede Demonstration, jeder öffentliche Auftritt. Sollen Nachrichten

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Zur massenhaften Kritik an den Aufnahmen der Tagesschau von der Solidaritätskundgebung internationaler Politikerinnen und Politiker mit den Opfern des Anschlags dokumentiert der Tagesschau-Blog sowohl die kritisierte „Nahaufnahme“ als auch das Foto aus der Vogelperspektive, das Chefredakteur Kai Gniffke wie folgt kommentiert: „Und jetzt müssen alle Verschwörungstheoretiker ganz hart sein. Denn auch das folgende Bild haben wir gezeigt und können damit belegen, dass von Manipulation keine Rede sein kann.“ (Text und Screenshots: www.blog.tagesschau. de vom 13.1.2015)

das jedes Mal entlarven?“ Der Vertrauenskrise eines großen Teils der deutschen Leitmedien dürfte so nicht beizukommen sein. Die Verantwortlichen täten gut daran, Selbsthilfeorganisationen wie die „Ständige Publikumskonferenz“ nicht gleich als Kampagneninstrumente finsterer Mächte zu diffamieren. Sie sollten die Chance ergreifen, einen konstruktiveren Umgang mit sachlich begründeter Kritik zu erlernen. Günter Herkel Der Beitrag erschien zuerst in „M“ (Menschen Machen Medien) der Gewerkschaft ver.di (Heft 1/2015). Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. (1) Inzwischen hat auch das ZDF reagiert und auf seiner Homepage eine Rubrik „Korrekturen“ eingerichtet, denn Transparenz sei „das beste Gegenmittel gegen Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe“ (Chefredakteur Peter Frey): www.heute.de > heute. de-Rubriken > Korrekturen [Ergänzung: HLZ-Redaktion]

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Unwort „Lügenpresse“ Foto: Westend Verlag

Trotz Pauschalkritik auch an die eigene Nase fassen! Am Anfang des Jahres 2015 erklärte eine unabhängige Jury, der vier Sprachwissenschaftler sowie eine Journalistin und ein Journalist angehörten, den Begriff „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres 2014. In ihrer Begründung verwies die Jury darauf, dass es sich um einen „Kampfbegriff“ handelt, der „auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien“ diente. Sie betonte auch: „Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel.“

Aber gerade eine „fundierte Medienkritik“ werde durch Pauschalurteile wie „Lügenpresse“ erschwert. Die Reaktionen kamen prompt, und sie kamen keineswegs nur aus jenen Kreisen, die mit den „Lügenpresse“ schreienden Pegida-Demonstranten sympathisieren. Die folgenden Zitate stammen allesamt von Nutzern des Internet-Portals „Nachdenkseiten“, das sich – gegründet von zwei langjährigen Sozialdemokraten – als aufgeklärt linke, medienkritische Stimme versteht. Dort konnte man – neben sachlich vorgetragener Kritik an der Unwort-Entscheidung – unter anderem Folgendes lesen: „Die Entscheidung für Lügenpresse als Unwort stellt sich schützend vor eine abgehobene und arrogante Journalistenkaste, die es eigentlich hart zu kritisieren gilt. Die offenbare Gleichschaltung auf Natokurs, das Unterdrücken von Informationen, bewusste Falschmeldungen und Übertreibungen – es ist unübersehbar das die Presse ihre Aufgabe in der Gesellschaft vergessen und verraten hat.“ „Es beweist etlichen wieder einmal, dass ,die Presse‘ zu keinem Dialog bereit ist, sondern sich mit Nazi-Keulen einmauert – sehr traurig!“ „Es geht jetzt wohl um den Endsieg der Meinungsmacher.“

Interessant ist an diesen Reaktionen nicht nur, dass inzwischen auch auf der linken Seite des politischen Spektrums manch einer die „Nazi-Keule“ zu spüren glaubt, wenn er sich mit historischen Tatsachen konfrontiert sieht. Interessant ist vor allem auch zweierlei: Da ist erstens die Bereitschaft, der Presse die Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Wächter-Aufgabe pauschal und vollständig abzusprechen. Und zweitens der Hauch von Verschwörungstheorie, der in Formulierungen wie „Gleichschaltung auf Natokurs“ mitschwingt.

„Lügenpresse“: Unwort des Jahres 2014 „(...) Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel. Mit dem Ausdruck „Lügenpresse“ aber werden Medien pauschal diffamiert, weil sich die große Mehrheit ihrer Vertreter bemüht, der gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen „Islamisierung des Abendlandes“ eine sachliche Darstellung gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegenzusetzen. Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“ (aus der Begründung der Jury vom 13.1.2015)

Die Vorstellung, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Texte sozusagen auf Tagesbefehl von oben schreiben, ist absurd. Fatal allerdings ist es auch, wenn Medienleute mit Verweis auf die Maßlosigkeit des „Lügenpresse“-Geschreis die oft auch berechtigte Kritik ignorieren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Auch Menschen, die den autoritären Charakter des Putin-Regimes sehr wohl zur Kenntnis nehmen und den Westen nicht pauschal für einen Hort des Bösen halten, waren und sind unzufrieden mit der Ukraine-Berichterstattung vieler Medien, mit pauschalem Russland-Bashing und mangelnder Kritik an Nato und EU. Wer den SPIEGEL-Titel „Stoppt Putin jetzt!“ kritisierte, musste kein Verschwörungstheoretiker sein, sondern hatte gute Gründe. Zumindest die Nachdenklichen unter den Kritikern sollten uns Medienleute veranlassen, uns an die eigene Nase zu fassen. Jenseits pauschaler Verunglimpfungen lassen sich Gründe zur (Selbst-)Kritik nämlich durchaus finden. Drei Aspekte sollen hier kurz beschrieben werden: die teils problematische Nähe zwischen Politikbetrieb und Korrespondenten im politisch-medialen Komplex Berlins, die organisatorische und ökonomische Verfasstheit unserer Medien und schließlich die Rolle der digitalen Kommunikation.

Problematische Nähe zum Politikbetrieb Der Ort, an dem Politikberichterstattung in Deutschland entsteht, lässt sich als eine Art Kontakthof beschreiben, in dem Regierende und Volksvertreter ihre Geschäfte mit denjenigen anbahnen, von denen sie eigentlich kontrolliert werden sollten. „Geschäfte“, das heißt nicht, dass da jemand mit Geld bestochen würde. Die Leistung der einen besteht darin, Informationen zu liefern. Die anderen garantieren im Gegenzug die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit. Sie, die Korrespondentinnen und Korrespondenten, können sich wiederum einen Vorteil im immer härter werdenden Konkurrenzkampf ihrer Medien erhoffen, wenn ihnen jemand etwas steckt oder in aller Verschwiegenheit einen „Hintergrund“ liefert, an dem sich recherchieren lässt. Folgt er dieser Praxis, dann gerät Journalismus – auch wenn die Beteiligten das Beste wollen – in Gefahr, sein eigentlich wichtigstes „Kapital“ zu vernachlässigen: die Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung. Aus dieser Nähe heraus geben Journalisten Politikern Ratschläge, wie sie das Wahlvolk am besten betrügen. So zum Beispiel Markus Feldenkirchen während des Wahlkampfes 2013 im SPIEGEL: „Die große, erfolgreiche Illusion des 98er-Wahlkampfs bestand darin, dass Lafontaine und Schröder den Wählern einredeten, mit ihnen bekämen sie beides auf einmal: soziale Gerechtigkeit und Innovation, Tradition und Moderne. Steinbrück und Gabriel hätten das Spiel wiederholen können.“

Hinzu kommt, dass der Berliner Betrieb oft eine erstaunlich weitgehende Einigkeit zu einzelnen politischen Forderungen hervorbringt. Man nehme nur die Frage nach

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Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende, die kaum jemand mehr stellt, seit die SPD sie in der großen Koalition hat verschwinden lassen. So entsteht nicht nur bei böswilligen Mediennutzern der Eindruck, der Journalismus decke vielleicht das im etablierten Politikbetrieb gerade vorhandene, nicht aber das gesellschaftliche Meinungsspektrum ab.

Konkurrenzbedingungen am Medienmarkt Zur Verteidigung der Kolleginnen und Kollegen lässt sich anführen, dass der oder die Einzelne es unter den Konkurrenzbedingungen am Medienmarkt schwer hat, zumal man im politisch-medialen Komplex auch schnell zum Außenseiter werden kann. Aber die Auseinandersetzung mit der Frage, wie journalistische Distanz zu halten oder wieder zu gewinnen sei, sollte sich gerade deshalb niemand ersparen. Das Stichwort „Konkurrenzbedingungen“ führt zum zweiten Punkt. Die meisten Zeitungen und ein großer Teil der elektronischen Medien sollen einerseits der Meinungsbildung als Lebenselixier einer demokratischen Öffentlichkeit dienen, befinden sich aber andererseits im Besitz privater Unternehmen, die auf die Abwanderung von Lesern und Anzeigen ins Internet oft mit Einsparungen und Konzentration reagieren (müssen) statt mit konsequenter Steigerung der Qualität und Attraktivität. Das legt es nahe, darüber nachzudenken, wie die „Vierte Gewalt“ durch öffentliche Unterstützung abzusichern wäre. Bei vielen Journalistinnen und Journalisten ist dieser Gedanke höchst unbeliebt. Aber sie können auch nicht erklären, warum die Abhängigkeit von betriebswirtschaftlichen Kalkulationen und Anzeigenkunden besser sein soll als eine öffentlich-rechtliche Absicherung. Dagegen wird gern das wenig einladende Gremienwesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeführt. Aber wer sagt, dass sich von der Gesellschaft getragene Medien nicht auch besser, ja basisdemokratischer organisieren ließen? Es war Jürgen Habermas, der schon im Jahr 2007 in der Süddeutschen Zeitung die naheliegende Konsequenz skizzierte: „Wenn es um Gas, Elektrizität oder Wasser geht, ist der Staat verpflichtet, die Energieversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, sollte er dazu nicht ebenso verpflichtet sein, wenn es um jene andere Art von ,Energie‘ geht, ohne deren Zufluss Störungen auftreten, die den demokratischen Staat selbst beschädigen?“

Als Organisationsformen brachte Habermas neben einmaligen Subventionen „Stiftungsmodelle mit öffentlicher Beteiligung oder Steuervergünstigungen für Familieneigentum“ ins Spiel. In Zeiten wachsender Entfremdung zwischen den Medien und großen Teilen ihres Publikums sollte man vielleicht auf den großen Vertreter der Frankfurter Schule hören. Für erhebliche Turbulenzen sorgt, drittens, die digitale Revolution. Das Internet hat einerseits die Verlage eines großen Teils ihrer Anzeigenerlöse beraubt (und die Verlage haben viel zu spät begriffen, was da auf sie zukam). Andererseits stellt das Netz an den Journalismus existenzielle Fragen, bis hin zu derjenigen nach seiner Notwendigkeit. Die anfangs zitierten Anwürfe gegen die „Lügenpresse“ stellen ja nur den weniger appetitlichen Teil dessen dar, was mit der Ausbreitung digitaler Kanäle möglich geworden ist. Dazu gehört neben (oft auch fundierter) Leser- oder Nutzerkritik die Entstehung alternativer Informationsquellen wie Blogs oder die Eins-zu-eins-Berichterstattung durch Laien auf Twitter und Co.

Am 21. April 2015 veranstaltete die rassistische und islamfeindliche Gruppe PEGIDA an der Hauptwache neben der Katharinenkirche in Frankfurt am Main eine Mahnwache unter dem Motto „Wir sind wieder da“. Die Kundgebung war wie immer mit Gittern abgesperrt und von starken Polizeikräften bewacht. Etwa 1.000 Menschen nahmen an den Gegenprotesten teil. Vor dem Transparent standen unter anderen die hessischen NPDAktivisten Stefan Jagsch (Mitte) und Daniel Lachmann (rechts). (Foto: peter-juelich.com)

Autorinnen, Autoren und Redaktionen haben noch viel zu lernen, bis sie mit diesen erweiterten Kommunikationsräumen adäquat umgehen können. Adäquat heißt nicht, den Bloggern das Feld allein zu überlassen. Die Medien müssen sich ihren Kritikern stellen. Sie müssen sich daraufhin überprüfen, ob sie die journalistische Distanz wirklich ausreichend wahren. Aber sie dürfen auch so selbstbewusst sein, darauf hinzuweisen, dass selbst die schärfsten Kritiker sich auf Recherchen und Einschätzungen professioneller Journalisten stützen, wenn es um verlässliche und glaubwürdige Informationen geht. Auch hier hilft Habermas: Er betrachte die Einführung der digitalen Kommunikation als „Medienrevolution“, sagte er im vergangenen Jahr der Frankfurter Rundschau. Mit ihr habe „eine Aktivierung stattgefunden – aus Lesern werden Autoren“. Aber, so schreibt er weiter: „Das Netz (…) zerstreut. Denken Sie an die spontan auftauchenden Portale, sagen wir: für hochspezialisierte Briefmarkenfreunde, Europarechtler oder anonyme Alkoholiker. (…) Den in sich abgeschlossenen Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. Für diese Konzentration braucht man die Auswahl und kenntnisreiche Kommentierung von einschlägigen Themen, Beiträgen und Informationen. Die nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht untergehen.“

Wenn der Qualitätsjournalismus sich selbstkritisch seinen Aufgaben stellt, dann ist er alles andere als überflüssig – und kann den Vorwurf der „Lügenpresse“ umso besser entkräften. Stephan Hebel Stephan Hebel ist seit 1986 Leitartikler und Autor der Frankfurter Rundschau. Er diskutiert regelmäßig im Presseclub der ARD und ist ständiges Mitglied der Jury für das Unwort des Jahres. Seine jüngstes Buch „Deutschland im Tiefschlaf“ ist eine Abrechnung mit der Großen Koalition und erschien 2015 im Westend-Verlag (16,99 Euro).

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Medien und Verantwortung Arbeitsbedingungen und Agenturjournalismus Die Medien werden häufig auch als vierte Macht im Staat bezeichnet. Durch ihre Darstellung beeinflussen sie unsere Sichtweise auf politische und soziale Ereignisse und Entwicklungen. Doch welche Informationen und Deutungen finden in den Medien Platz? Warum werden bestimmte Themen, Thesen und Begriffe

benutzt, andere hingegen nicht oder nur am Rande? Ute Schmitt vom GEW-Kreisverband Bergstraße und dort auch stellvertretende DGB-Kreisvorsitzende sprach mit Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung (IMV) in Erlangen. Das Interview erschien zuerst in der DDS, der Zeitschrift der GEW Bayern.

Ute Schmitt: Frau Schiffer, welche Verantwortung haben die Medien Ihrer Meinung nach und werden sie dieser gerecht? Sabine Schiffer: Medien strukturieren ganz wesentlich öffentliche Diskurse und tragen zur Meinungsbildung bei. Der Verantwortung von Auswahl und Verallgemeinerung einzelner Aspekte kommen unsere Medien immer weniger nach. Die aktuelle Ukraine-Berichterstattung ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Kriminalisierung von Prostituierten in den Medien oder die Stigmatisierung von Griechen und HartzIV-Empfängern. Gerade mit Blick auf die Reproduktion rassistischer Stereotype tun sie sich mehrheitlich nicht gerade mit Aufklärung hervor.

wenig konterkarierenden Erfahrungen, die stereotype Bilder und Erwartungen korrigieren oder zumindest in Frage stellen könnten. In Polizei und Medien ist man ja gleichermaßen mit dem Regelverstoß, der Ausnahme konfrontiert – das Normale, Alltägliche, das funktioniert, ist nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Eine Verstärkung von Vorurteilen und vorschnellen Zuweisungen allgemeiner Probleme auf markierte Gruppen ist darum sehr wahrscheinlich.

Nehmen wir das Beispiel der NSU-Mordserie. Über ein Jahrzehnt wurde in eine völlig falsche Richtung ermittelt. Die Ermordeten und ihre Angehörigen wurden öffentlich verdächtigt, in kriminelle Aktivitäten verstrickt zu sein, die angeblich den Hintergrund der Taten bildeten. Die Herkunft der Opfer war dabei das Hauptargument für Diskriminierung und Schuldzuweisung. Wie bewerten Sie die Rolle der Medien in diesem Fall?

Die meisten Medien agierten hier nicht als Vierte Gewalt, sondern als Verlautbarer von Behörden, die in einem sehr häufig zu beobachtenden Reflex verharrt sind. Wenn bestimmte Rahmen der Wahrnehmung, sogenannte Frames, dominant sind, dann ist eine Zuweisung zu diesen wahrscheinlich. Aufgrund rassistischer Vorurteile wurde also der markierten Gruppe – Ausländer, Muslime, Andere – das Problem zugewiesen und nicht (gesellschaftskritisch) in alle Richtungen ermittelt beziehungsweise recherchiert. Rassismus tötet. Unsere Medien haben hier aber nicht nur versagt, sondern den rassistischen Diskurs maßgeblich befeuert. Sie meinen, dass die Ermittlungsbehörden und die Journalisten die gleichen Wahrnehmungsrahmen hatten?

Ja, das ist üblich. Im Wesentlichen handelt es sich bei den Verantwortungsträgern um weiße Männer um die 50. Da ist von ähnlichen Sozialisationshintergründen auszugehen und

Institut für Medienverantwortung Sabine Schiffer ist Sprachwissenschaftlerin und Medienpädagogin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Minderheitendarstellungen in Medien, den „Hate Speechs“ („Hassreden“), der Beeinflussung von Medien durch Lobby- und PR-Arbeit („Fünfte Gewalt“) und den Auswirkungen von Mediengewalt und Medienbildungsfragen. 2005 gründete sie das unabhängige Institut für Medienverantwortung (IMV) in Erlangen, das sie bis heute leitet und das seit 2013 auch einen Sitz in Berlin hat (www.medienverantwortung.de).

Wieso wurde in einer so breiten Medienlandschaft der politischen Dimension der Mordserie so wenig nachgegangen?

Die Arbeitsbedingungen im Journalismus verschlechtern sich. Große Medienkonzerne schlucken kleine. Hinzu kommt der Agenturjournalismus, also von Nachrichten- oder Presseagenturen aufbereitete Nachrichten, die von den Medien abonniert werden können und häufig 1:1 von den Redaktionen übernommen werden. Und eben das Framing durch die eigenen Vorurteile. Der WDR-Redakteur Walter van Rossum beschreibt in seinem lesenswerten Buch „Die Tagesshow“ aus dem Jahr 2007, wie der Konformismus in den Redaktionen funktioniert, wie sich alle an undefinierte rote Linien halten. Denken Sie, dass die Medienberichterstattung über die NSUMordserie anders verlaufen wäre, wenn im Journalismus bessere Arbeitsbedingungen herrschen würden?

Es ist keine Garantie dafür, aber es wäre eine Grundvoraussetzung dafür, dass es in der Journalistenausbildung und im journalistischen Alltag Zeit für Selbstreflexion gibt, für Fortbildungen und Konzeptschulungen, wie sie etwa im Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch der Kölner Initiative „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ angeboten werden (http://www.oegg.de > Publikationen ab 2008). Das Handwerkszeug ist erlernbar, wenn man die Relevanz erkannt hat und das Erlernte dann nicht im immer hektischer werdenden Redaktionsalltag verloren geht. „Döner-Morde“ wurde 2011 zum Unwort des Jahres erklärt. Denken Sie, dass öffentliche Sprachkritik wie diese dazu beiträgt, dass Diskriminierung durch Sprache bewusster wird?

Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nicht wenige glauben, durch die Verwendung politisch korrekter Begriffe nicht rassistisch zu sein. Das ist Blödsinn, wenn die Kontexte von zum Beispiel Schwarzen, Muslimen, Frauen und Polen immer die gleichen bleiben. Dann entstehen Sinn-Induktionseffekte. Die stereotype Themenauswahl färbt quasi auf die markierte Gruppe ab und wir debattieren dann etwa ein Islamproblem, obwohl es ein Problem mit unserem selbstgemachten Islambild ist.

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Wie zeigt sich das in der aktuellen Berichterstattung, wenn es um Muslime oder den Islam in Deutschland geht?

Finden Sie mit Ihrem Institut in den Massenmedien Gehör? Was können Sie bewirken?

Da haben wir seit drei Jahrzehnten die Verknüpfung des Begriffs „Islam“ mit den Themen Gewalt, Rückständigkeit oder Frauenunterdrückung. Diese Themen sind natürlich auch unter Muslimen relevant, aber nicht exklusiv. Die Zuweisung funktioniert hier wie bei jedem anderen Rassismus auch als selbstidealisierende Wegverweisung. Statt sich (selbst-)kritisch mit Themen wie Krieg und Gewalt, Frauenbenachteiligung bis hin zu Gewalt und Mord auseinanderzusetzen, weist man diese Probleme einer anderen Gruppe zu. Dies dient dem Erhalt der eigenen hierarchischen Ordnung und ist zutiefst reaktionär, während man gleichzeitig gerne die Epoche der Aufklärung als Begründung für eine eigene zivilisatorische Höherstellung anführt. Chauvinistischer geht’s nicht mehr. Und unsere Medien decken dies in ihrer Mehrzahl nicht auf, sondern tragen und verstärken diese Strukturen, allein schon durch die Auswahl der Interviewpartner und Themen. Ein aktuelles Beispiel ist die Tötung von zwei jungen muslimischen Frauen und einem muslimischen Mann am 10. Februar 2015 auf dem Campus der University of North Carolina in Chapel Hill, die in unseren Medien kaum erwähnt wurde.

Medienkritik ist in den Medien selbst nicht gern gesehen, und man hat ja die Macht uns auszublenden. Wenn unsere Inhalte übernommen werden, entfällt oft der Hinweis auf uns. Diese Zensur hat natürlich Folgen. Viele von uns vorangebrachte Themen haben sich inzwischen durchgesetzt: Anerkennung von Islamfeindlichkeit als Problem, der Vergleich zum antisemitischen Diskurs im 19. Jahrhundert beispielsweise. Gerade in Bezug auf das Islambild in den Medien und auch auf den Vergleich zum Antisemitismus sind wir heute im Mainstream da, wo das IMV 2005 war. In den Bereichen Medienbildung und Manipulation der Debatte um Medienpädagogik durch eine zahlungskräftige Medienindustrie wünschen wir uns mehr politische Resonanz. Das könnten Medien unterstützen, aber wir haben inzwischen gelernt, uns direkt an die Zivilgesellschaft zu wenden. Frau Schiffer, wir danken Ihnen für das Gespräch. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der DDS, der Mitgliederzeitschrift des GEW–Landesverbands Bayern.

Medienkritische Publikationen der Otto Brenner Stiftung Die Otto Brenner Stiftung (OBS), benannt nach dem langjährigen Vorsitzenden der IG Metall, ist die Wissenschaftsstiftung der IG Metall mit Sitz in Frankfurt am Main. Ein Schwerpunkt der Arbeit sind kritische Analysen zur Medienpolitik, unter anderem durch Fachtagungen, Publikationen und die Verleihung des Otto Brenner Preises zur Förderung eines kritischen Journalismus. Der Medienprojektpreis 2014 ging an die Initiative NSU-watch (HLZ S. 17). Martín Steinhagen (HLZ S. 16) wurde 2013 mit einem Recherche-Stipendium zum Thema „Der NSU in Hessen“ ausgezeichnet. Die Publikation „Drucksache ‚BILD‘“ (OBS Arbeitshefte 67) befasste sich schon 2011 mit der Griechenland-Berichterstattung der BILD-Zeitung und ihrer „Geschichte von den faulen und betrügerischen Griechen, die an das Geld des deutschen Steuerzahlers wollen“. Dabei wirkte BILD nicht als journalistisches Medium, sondern „machte sich ausdrücklich und offensiv zum politischen Akteur“. Nach der Wahl der neuen Regierung Anfang 2015 verschärfte BILD diese Form des Kampagnen-Journalismus noch einmal um ein Vielfaches, insbesondere mit dem Versuch, die Abstimmung im Bundestag über ein neues Hilfspaket zu beeinflussen (HLZ S. 19). Eine der jüngeren Publikationen der Otto Brenner Stiftung befasst sich mit der Rolle der Medien bei der Berichterstattung über die als „Döner-Morde“ behandelte Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der Titel „Das Unwort erklärt die Untat“ greift dabei ein Zitat von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung auf (OBS Arbeitshefte 79). Der bittere Befund: Bis auf wenige Ausnahmen folgten sehr große Teile der medialen Berichterstattung der Logik und den Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden. Die Ergebnisse polizeilicher Untersuchungen und sogenannter kriminologischer Expertisen standen in der Hierarchie der Glaubwürdigkeit der Journalistinnen und Journalisten ganz oben. Die Mehrheit der Medien übernahm, schlimmer noch, befeuerte durch Spekulationen oder rhetorische Fragen die ras-

sistische Darstellung des Geschehenen. Dass Journalistinnen und Journalisten durch investigative Recherchen auch die blinden Flecken der Ermittlungsbehörden aufdecken können, zeigen unter anderem die Aussagen von Andrea Röpke, Joachim Tornau und Dirk Laabs im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags (HLZ S. 16). Weitere medienpolitische Analysen der OBS befassen sich unter anderem mit der Flut der Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (OBS Arbeitshefte 68, 2011) und der wechselhaften Beziehung von BILD und ExBundespräsident Wulff (OBS Arbeitshefte 71, 2012). „Hohle Idole –  Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht“ ist das Thema der OBS Arbeitshefte 72 (2012). Noch vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag fragte Fritz Wolf 2013 in den OBS Arbeitsheften 73 „Im öffentlichen Auftrag“ nach dem Selbstverständnis der Rundfunkgremien, ihrer politischen Praxis und Optionen für eine Reform. Das Arbeitsheft 78 widmet sich der Rolle von BILD und BamS im Bundestagswahlkampf 2013. • Alle Publikationen können – soweit noch nicht vergriffen – kostenlos bei der OBS angefordert oder im OBS Shop heruntergeladen werden: https://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte.html

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Noch alle Fragen offen Aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Am 3. April 2006 wird in Chemnitz ein Wohnmobil ausgeliehen. Als es nur vier Tage später wieder auf dem Parkplatz der Autovermietung steht, sind zwei Menschen tot: In Dortmund ist am 2. April Mehmet Kubașık erschossen worden, am 6. April in Kassel mit der gleichen Česká 83 der damals 21-jährige Halit Yozgat. Die Taten werden heute der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben, die sich in einem selbstproduzierten Video dazu bekannte. Noch heute, fast vier Jahre nach dem Auffliegen der Terroristen, sind zentrale Fragen unbeantwortet – auch und gerade in Bezug auf Hessen. Wie gerieten die Opfer ins Visier der Mörder? Hatten die Täter vor Ort Unterstützer? Warum gingen die Ermittler den Hinweisen nicht nach, dass dem Mord ein rassistisches Motiv zugrundeliegen könnte? Welche Rolle spielte Andreas Temme, jener damalige Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), der zur Tatzeit am Tatort in Kassel war und sich nicht als Zeuge meldete?

Suche nach Puzzlestücken führt nach Hessen Hessen ist ein zentrales Puzzlestück der Aufklärung und Aufarbeitung des NSU-Komplexes – und das aus mehreren Gründen: Sowohl das erste als auch das letzte Opfer der dem NSU zugeschriebenen Česká-Mordserie lebten in dem Bundesland. Enver Şimşek, am 9. September 2000 in Nürnberg niedergeschossen, wohnte mit seiner Familie in Schlüchtern. Halit Yozgat wurde in der Holländischen Straße in Kassel geboren und dort in seinem Internetcafé ermordet. Es war das letzte Mal, dass die Täter mit der Česká schossen, und der letzte Mord der rassistischen Anschlagsserie. Bis heute ist völlig unklar, warum sie danach ihr Vorgehen änderten. Das zehnte mutmaßliche NSU-Opfer, die Polizistin Michèle Kiesewetter, wurde rund ein Jahr später mit einer anderen Waffe getötet. Nicht unwichtig für die weitere Aufarbeitung ist außerdem, dass viele hessische Beamte am Aufbau des thüringischen Verfassungsschutzes zu Beginn der 1990er Jahre beteiligt waren. Also jenes Inlandsgeheimdienstes, unter dessen Ägide die militante Neonaziszene sich in Thüringen ausbreitete. Gruppen wie der Thüringer Heimatschutz konnten sich in jener Zeit etablieren – trotz oder sogar gerade wegen der V-Männer in ihren Reihen. In diesem Milieu und in jener Zeit, die auch rassistische Pogrome wie im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen prägten, radikalisierten sich die späteren NSU-Terroristen. Eine weitere Besonderheit des Mordes in Kassel ist, dass am Tatort erstmals Zeugen anwesend waren, die aber alle später aussagten, die Tat nicht beobachtet zu haben. Die meisten von ihnen hielten sich im hinteren Raum des Cafés auf. Einer dieser Zeugen gilt bis heute als besonders brisant: Andreas Temme, damals V-Mann-Führer des hessischen LfV. Er meldete sich nicht bei der Polizei, geriet so zeitweilig unter Mordverdacht. Schließlich sagte er aus, privat im Internetcafé gewesen zu sein. Vom Mord will er nichts mitbekommen, den toten Halit Yozgat hinter dessen Schreibtisch nicht gesehen haben.

Gefahr für „das Wohl des Landes“? Seit mehr als einem Jahr bemüht sich nun auch das hessische Parlament darum, einigen dieser offenen Fragen nachzugehen. Damit ist Hessen später dran als der Bundestag und andere Landtage, die bereits 2012 entsprechende Ausschüsse einsetzten. Einen besonders guten Start hatte der Untersuchungsausschuss in Wiesbaden zudem nicht. Im Mai 2014 stimmten nur SPD und Linke für dessen Einsetzung, die Abgeordneten der schwarz-grünen Regierungskoalition und der FDP enthielten sich. Lange stritten die Obleute dann um die Vorgehensweise, den Beweisbeschluss und einen Terminplan. Erstmals öffentlich tagte der Ausschuss erst rund neun Monate nach seiner Einsetzung. Ein Grund für das zögerliche Vorgehen der Regierung dürfte die politische Brisanz sein. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) war 2006 Innenminister und damit oberster Dienstherr des LfV und der Landespolizei. Er entschied, dass die V-Leute, die Temme führte, nicht direkt von den Ermittlern befragt werden durften. Eine befürchtete Enttarnung der Quellen könne dem „Wohl des Landes Hessen“ schaden, lautete seine Begründung. Nicht nur die Anwälte der Familie Yozgat sehen darin eine Behinderung der Polizeiarbeit. Im Ausschuss halten die Koalitionspartner bisher zusammen. Kritiker, auch aus der eigenen Partei, werfen den hessischen Grünen aber vor, sich zu stark unterzuordnen. Zu Beginn hörte der Ausschuss Sachverständige und Experten zur extremen Rechten. Geladen waren während der Sitzungen im Februar und im März Wissenschaftler, Vertreter des Verfassungsschutzes und drei Fachjournalisten. Letztere berichteten den Obleuten von ihren Recherchen zur rechten Szene in Deutschland und in Hessen.

Kenntnisreiche Journalistinnen und Journalisten „Der Tatort Kassel ist für mich kein Zufall“, sagte die Journalistin Andrea Röpke, die als Kennerin der deutschen Neonaziszene gilt, am 19. Februar im Ausschuss. Es habe in Kassel militante Strukturen gegeben, genau wie in den anderen westdeutschen Städten, in denen der NSU gemordet hatte. Jürgen Leimbach, stellvertretender Leiter der Abteilung für Links- und Rechtsextremismus des hessischen Verfassungsschutzes, sagte in einer späteren Sitzung hingegen, damals habe es in Nordhessen keine gefestigten Neonazistrukturen gegeben. Es war nicht das einzige Mal, dass geladene Journalisten und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zu unterschiedlichen Einschätzungen kamen. Röpke äußerte die Vermutung, dass Benjamin G., ein von Temme geführter V-Mann in der rechten Szene, mit dem er kurz vor der Tat 2006 telefonierte, derartigen Strukturen näher gewesen sein könnte als bisher bekannt. Temme habe ausgesagt, G. sei auf die rechte Splittergruppe Deutsche Partei angesetzt gewesen. Das hält die Journalistin nicht für glaubwürdig, da diese damals kaum mehr eine Rolle gespielt habe.

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Joachim Tornau, der als freier Journalist in Kassel arbeitet und dort die Neonaziszene beobachtet, verwies in seiner Anhörung am 23. Februar auch darauf, dass in Nordhessen bekannte Rechtsterroristen lebten: der inzwischen verstorbene Manfred Roeder und Peter Naumann, Spitzname „Bombenhirn“. Als Roeder wegen eines Farbanschlags auf die Wehrmachtsausstellung 1996 in Erfurt vor Gericht stand, waren die mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos angereist, um ihm ihre Solidarität zu zeigen. Suchte der NSU auch später Kontakt zu dem Mann, der auf seinem Anwesen in Schwarzenborn, rund 60 Kilometer südlich von Kassel, rechte Treffen veranstaltete? Tornau berichtete außerdem, dass Nazis aus Kassel bundesweit Verbindungen zu militanten Kameraden unterhielten, nicht zuletzt über einschlägige Konzerte. Besonders wichtig seien hier das in Deutschland seit 2000 verbotene, international agierende Netzwerk Blood & Honour und dessen Nachfolgestrukturen.

Tatort Kassel: Kein Zufall? Im Ausschuss war deshalb bereits mehrmals ein Konzert der extrem rechten Band Oidoxie aus Dortmund Thema, das im März 2006 in Kassel stattgefunden haben soll. Zeugen aus der Szene hatten bei der Polizei ausgesagt, dass auch Böhnhardt und Mundlos dort waren. Bestätigen ließ sich das bisher nicht. Auch der Kasseler Neonazi Bernd T. sagte gegenüber Ermittlern, die beiden gesehen zu haben. Als Zeuge im NSU-Prozess in München widerrief er später seine früheren Aussagen: Allein aus „hafttaktischen Gründen“ habe er dies behauptet. In jedem Fall wären bei einem solchen Konzert militante Neonazis aus Dortmund und Kassel zusammengetroffen – und das kurz vor den Taten in den beiden Städten. Die Rechtsrockband Oidoxie sympathisiert offen mit Combat 18 (die Zahl 18 steht in der Neonaziszene für die Initialen Adolf Hitlers), wie sich der bewaffnete Arm von Blood & Honour nennt, und scharte damals eine eigene Streetfighting Crew um sich. Auch Neonazis aus Kassel waren dort aktiv. Ob es Kontakte zum NSU gab, ist bisher nicht bekannt. Die Anhörung des Journalisten und NSU-Sachbuch-Autors Dirk Laabs am 2. März war mit Spannung erwartet worden. Denn nur eine Woche zuvor hatte eine Veröffentlichung in der Welt am Sonntag, an der er beteiligt war, dem Gremium einen erheblichen Aufmerksamkeitsschub beschert. Anwälte der Familie Yozgat hatten sich überwachte Telefonate Temmes aus der Zeit kurz nach dem Mord erneut angehört. Dabei waren sie darauf gestoßen, dass diese zum Teil nicht im vollen Wortlaut verschriftlicht worden waren. Einzelne Aussagen ließen die Nebenklagevertreter stutzen, so ein Satz des damaligen Geheimschutzbeauftragten des LfV H. in einem Telefongespräch mit dem Beamten Temme, der damals unter Mordverdacht stand: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“

Die Polizei hörte damals mit. Kann man daraus schließen, dass Temme wusste, dass in Yozgats Internetcafé, das er regelmäßig besuchte, „so etwas passiert“? Vor dem Ausschuss mussten Temme und der pensionierte Geheimschutzbeauftragte H. am 11. Mai als erste Zeugen Stellung nehmen. H. sagte lapidar, er habe den Satz ironisch gemeint. Auch Temme interpretierte ihn als Versuch, das Gespräch aufzulockern, und blieb sonst bei seinen bisherigen Aussagen. Es ist nicht das letzte Mal, dass die beiden dazu befragt werden. Im Juni müssen sie als Zeugen im Münchner NSU-Prozess erschei-

Am 11. Mai 2015 vernahm der NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags den ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme. (Foto: peter-juelich.com)

nen. Und Hartmut Honka (CDU), Vorsitzender des Ausschusses in Wiesbaden, könnte recht behalten: „Ich glaube, Herr Temme wird häufiger bei uns zu Gast sein.“

In den kommenden Sitzungen widmet sich der Ausschuss nun den Ermittlungen zu den Taten, die heute dem NSU zugerechnet werden, bevor in Kassel Halit Yozgat ermordet wurde. Den Abgeordneten steht also noch viel Arbeit bevor. Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes bleibt aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Sitzungen in Wiesbaden sind öffentlich, die Anzahl der Besucher war bisher aber meist überschaubar. Nicht nur Beamte und Behörden müssen sich unbequeme Fragen stellen: • Wie konnte es passieren, dass in den Medien jahrelang von „Döner-Morden“ die Rede war? • Wieso beteiligten sich nur so wenige Menschen außerhalb der migrantischen Community an der von Angehörigen organisierten Demonstration „Kein zehntes Opfer“ in Kassel kurz nach den Morden 2006? • Wie wäre die öffentliche Reaktion ausgefallen, hätten die Neonazis andere Opfer gewählt? • Wo blieben die Solidarität und der große Aufschrei, als der NSU sich schließlich zu den Taten bekannte? Auch das sind offene Fragen. Im Parlament allein werden sie nicht beantwortet werden. Martín Steinhagen Martín Steinhagen arbeitet als Journalist in Frankfurt am Main. Mit einem Stipendium der Otto-Brenner-Stiftung recherchiert er zum NSU in Hessen. Bei Twitter ist er als @mstnhgn zu finden.

GEW unterstützt Info-Plattform „NSU watch“ DGB und GEW Hessen unterstützen die Arbeit der Initiative NSU watch, die in Hessen und anderen Bundesländern sowohl den Prozess in München als auch die Arbeit der regionalen Untersuchungsausschüsse begleiten. Dort findet man ausführliche, aktuelle Berichte und Hintergrundinformationen: http://hessen.nsu-watch.info

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Griechenland hat gewählt Der Widerhall der neuen Regierung in den deutschen Medien Die EU-Krise und ihre Auswirkungen in Griechenland finden seit mehreren Jahren in spannungsgeladenen Berichten der deutschen Leitmedien ihren Ausdruck. 2011 untersuchten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz in einer Studie der Otto Brenner Stiftung die Darstellung Griechenlands in der EU-Krise in der BILD-Zeitung (HLZ S.17). In Kurzform kamen sie dabei zu folgendem Ergebnis: „Die für ‚Bild‘ quantitativ vergleichsweise umfangreiche und prominent platzierte Berichterstattung über die Griechenlandund Eurokrise besteht aus der sich ständig wiederholenden Publikation von Botschaften, in leichten sprachlichen und formalen Variationen. Es handelt sich zusammenfassend um folgende ‚Super-Botschaft‘: Der fleißige deutsche Steuerzahler darf von den faulen betrügerischen Griechen auf keinen Fall ausgenutzt werden. Das heißt: keine Hilfe für Griechenland.“ (1)

Nachdem das Thema Griechenland in den Jahren 2013 und 2014 im medialen Bewusstsein kaum noch präsent war, war vor und nach der Wahl der neuen Regierung seit Januar 2015 ein rasanter Anstieg des Medieninteresses zu beob­ achten. Nach einem Artikel des Tagesspiegels vom 11. 4. 2015, der eine Analyse des Schweizer Medienanalyseunternehmens Mediatenor zitiert, lag in der deutschen Berichterstattung zur EU-Wirtschaftskrise der Anteil der Berichte zu Griechenland vor der Wahl bei rund fünf Prozent und stieg danach auf etwa 40 Prozent. Dabei waren „im März etwa 65 Prozent der Berichte eindeutig negativ und nur gut drei Prozent eindeutig positiv“. In den Berichten lassen sich Themenschwerpunkte wie die geforderten Reparationszahlungen, Populismus und linke Politik als Gefahr ausmachen sowie die Tendenzen, dass konkrete Inhalte einen geringeren Raum einnahmen als vielmehr die Beschreibung der Beziehungen zwischen den Verhandlungspartnern. Dem soll im Folgenden exemplarisch nachgegangen werden.

Menschenfänger, Euro-Schreck und Revoluzzer Bereits Wochen vor den griechischen Wahlen am 25. 1. 2015 werden in der deutschen Presse Befürchtungen bezüglich eines möglichen Wahlerfolgs der linken Partei Syriza laut. Oft wird Syriza mit dem Attribut „linkspopulistisch“ bedacht (z.B. SZ vom 5.1., WELT vom 21.1., ZEIT online vom 4.2.). Ein besonders starker Fokus liegt auf der Person von Alexis Tsipras, dem Parteivorsitzenden der Syriza. Er wird als „Menschenfänger“ (ZEIT vom 14.1.), als „Euro-Schreck“ (WELT vom 26.1.) oder auch als „Revoluzzer“ (SZ vom 26.1.) bezeichnet. Entspringen diese Beinamen auch unterschiedlichen Intentionen, rufen sie jeder für sich eine ähnliche Assoziation hervor: Wir haben es hier nicht mit einem seriösen Politiker zu tun. Tsipras wird in der FAZ am 18.5. „Ideologie und Überheblichkeit“ im Denken vorgeworfen, wobei er wie ein Kind Wunschträumen nachjage und sich pragmatischen Überlegungen gegenüber verschließe. Auf SPIEGEL-online beschreibt Nikolaus Blome seine Politik als „Irrlichterei“ und rät dringend, den Stab wieder abzugeben (15.4.). Im Han-

delsblatt vom 11. 2. wird er für Hitlerbärtchen an Kanzlerinnenbildern verantwortlich gemacht und für den Unmut gegenüber Angela Merkel in der griechischen Bevölkerung, den er organisiert schüre. Tsipras und Yanis Varoufakis seien Trickser und Spieler, die im Schuldenpoker hohe Einsätze machten (so z. B. in der BILD vom 3.2. und FAZ online vom 18.5.).

Krawatten, Mittelfinger und Dandys Dieses Bild wird durch regelmäßige Kommentare über Äußerlichkeiten gestützt. Tsipras und Varoufakis tragen keine Krawatten und würden durch ein lässiges Auftreten auffallen, was als unangemessen empfunden wird. Auf Zeit online wird in einem Beitrag ausgeführt, dass sich die beiden gemeinsam mit Pablo Iglesias in einem „Club der linken Dandys“ befinden (27.1.). Ein Interview der WELT mit Katrin GöringEckardt, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, erscheint im Politik-Teil der Zeitung unter dem Titel „Varoufakis finde ich weder elegant noch cool“ (5.4.). Und schließlich gerät die deutsche Medienlandschaft im März in Aufregung, als das Video mit dem ausgestreckten Mittelfinger von Varoufakis aus dem Jahr 2013 auftaucht. In einem aufschlussreichen Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 20.3. erläutert Srecko Horvat, von 2008 bis 2013 Direktor des „Subversive Festivals“ in Zagreb, dass es sich bei den Krawatten, Lederjacken und Fingern um Zeichen handelt, die es schaffen, „von wichtigen Fragen abzulenken, ja diese sogar auszulöschen“. Abgelenkt wird von den Auswirkungen der humanitären und sozialen Krise in Griechenland, die sich zum Beispiel im Zerfall der Familien durch Armut äußert oder in der hohen Selbstmordrate, die nicht einmal mehr in den griechischen Leitmedien veröffentlicht wird. Abgelenkt wird von den Ursachen der Krise und von ernst gemeinten Lösungsvorschlägen.

Die (De-)Thematisierung von Schuld(en) Die Debatte um Reparationszahlungen ist ein komplexes Thema, in juristischer, politischer und ethischer Perspektive. Nur selten findet man Artikel, die sich mit der notwendigen Ausführlichkeit dem Thema widmen, das Taktieren bezüglich eines ausstehenden Friedensvertrags analysieren oder beschreiben, wie so Verhandlungen über Reparationen unmöglich gemacht werden sollen. Im Handelsblatt vom 7.2. wird der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch zitiert, nach dem Griechenland keine Reparationszahlungen zu beanspruchen habe, weil es ausreichend von den Zahlungen Deutschlands in die EU profitiert habe. Athen produziere „Gläubigerhass der widerlichsten Art“. BILD quittiert am 11.3. die Forderung nach Reparationszahlungen mit den Worten: „Glaubt die griechische Regierung, dass Deutschland zahlt? Oder was führt Tsipras im Schilde?“

In mehreren Zeitungen wird zwar darauf hingewiesen, dass sich die Forderungen der griechischen Regierung aus der

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Rückzahlung von Zwangskrediten, den Entschädigungszahlungen für die Opfer und deren Angehörige sowie für die Zerstörung der Infrastruktur zusammensetzen (z. B. WELT vom 6.4., ZEIT online vom 7.4.). Seltsam mutet jedoch an, dass einerseits davon die Rede ist, dass die griechische Regierung mit ihren Forderungen die Beziehungen zwischen den beiden Staaten unnötig belasten würde (z. B. SZ vom 7.4., WELT vom 12.4.). In einigen Artikeln wird auch positiv dargestellt, dass die deutsche Regierung anstelle von Reparationszahlungen Gelder beispielsweise in ein deutsch-griechisches Jugendwerk fließen lassen sollte, um eine Aufarbeitung der NS-Verbrechen zu fördern (z. B. ZEIT online vom 13.3.). Das wäre unbestritten ein sinnvolles Unterfangen. In den Berichten wird jedoch vermieden, die Möglichkeit zu thematisieren, dass der griechische Staat selbst darüber verfügt, wie mit den Geldern verfahren werden soll.

Über den deutschen Tellerrand Am 7. 2. 2015 zog der Brüssel-Korrespondent des Deutschlandfunks, Thomas Otto, einen Vergleich zwischen dem Widerhall der neuen griechischen Regierung in den deutschen Medien und in den Medien anderer Länder. In der deutschen Berichterstattung gehe es nicht nur emotionaler zu, es würden auch Ressentiments vorgebracht, wie sie anderswo in der Form unüblich sind. In anderen Ländern werde in den Medien z. B. auch danach gefragt, inwiefern die Politik der Troika sinnvoll war beziehungsweise ist. Er wies auf die zum Teil verkürzte deutsche Berichterstattung hin. Dazu ein Beispiel: Im Rahmen der Reportage „Die Spur der Troika“ von Àrpàd Bondy und Harald Schumann wird ein Interview mit Varoufakis zur griechischen Schuldenpolitik vom Sommer 2014 gezeigt (2). Varoufakis erklärt dort, dass Griechenland schon 2010 pleite gewesen sei und Hilfszahlungen nicht hätte annehmen dürfen. Die BILD kommentiert am 10.3., nachdem Schumanns Reportage in der ARD ausgestrahlt wurde, dass ein Politiker zum ersten Mal zugebe, dass Griechenland pleite sei. Varoufakis war zu dem Zeitpunkt des Interviews jedoch noch kein Politiker und seine Einschätzung hat er bereits in mehreren Vorträgen und Texten zuvor veröffentlicht. Esther Menhard und Ioanna Menhard Esther Menhard ist Doktorandin am Institut für Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Sie arbeitet als freie Journalistin. Ioanna Menhard ist in Frankfurt am Main in der interkulturellen Jugendarbeit (Saz-Rock e.V.) sowie als Doktorandin und Lehrbeauftragte am Institut für Erziehungswissenschaft der PhilippsUniversität Marburg tätig.

Eine Langfassung des Artikels findet man auf der Homepage der HLZ im Internet: www.gew-hessen.de unter „Veröffentlichungen HLZ 7-8/2015“. Diese Fassung enthält alle Quellennachweise mit einem direkten Link zu den zitierten Artikeln. (1) Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz: Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde. Frankfurt 2011. Otto Brenner Stiftung Arbeitsheft 67 (2) Ausgestrahlt in der ARD, Die Story im Ersten – Die Spur der Troika. Macht ohne Kontrolle. Von Àrpàd Bondy und Harald Schumann. RBB 2015.

BILD: Kampagnenjournalismus Im Februar intensivierte die BILD-Zeitung ihre Kampagne gegen Hilfen für Griechenland. Vor der Abstimmung im Bundestag über die Verlängerung des laufenden Hilfspakets titelte BILD mit einem großflächigen „Nein“ und forderte Leserinnen und Leser auf, Selfies mit der Titelseite einzusenden, die dann in den folgenden Tagen wieder ganze Seiten füllten. Der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch präsentierte den BILD-Titel am Rednerpult des Bundestags und krönte seine Rede mit der folgenden Frage: „Schauen Sie sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an. Würden Sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen? Wenn die Antwort darauf Nein ist, dann stimmen Sie auch mit Nein. Das Elend geht weiter.“

Ende März forderte BILD von allen Bundestagsabgeordneten ultimativ eine persönliche Erklärung, „ob sie auch einem möglichen dritten Hilfspaket für Griechenland zustimmen würden“. BILD werde alle Antworten dokumentieren: „Das gilt auch für ausbleibende Antworten.“ Die grüne Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner aus Mainz antwortete mit einer Gegenfrage: „Als Zeitung haben Sie nach Art. 5 Grundgesetz das Recht zur freien Berichterstattung unter Berücksichtigung journalistischer Sorgfaltspflichten. Vor diesem Hintergrund möchte ich alle BildJournalisten bereits heute fragen, ob die BILD-Zeitung beabsichtigt, ihre andauernde Kampagne, in der pauschal ein ganzes Volk stigmatisiert und diffamiert wird, fortzuführen – und wie begründen Sie das? Bitte schicken Sie uns Ihre Antwort bis Dienstag, den 24. März (10:00 Uhr) an folgende Adresse…“

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Aufklärung Mangelware Die HLZ im Gespräch mit Andrea Ypsilanti Sie gehören zu den Unterzeichnerinnen des GriechenlandSolidaritätskomitees Frankfurt/Rhein-Main. Warum halten Sie ein solches Engagement für erforderlich? Wie die meisten Menschen, die sich in dem Soli-Komitee zusammengefunden haben, halte ich den Umgang mit den Menschen in Griechenland und ihrer gewählten Regierung für ungerecht, unsolidarisch und undemokratisch. Ich bringe mich aktiv in die Arbeit dieser Gruppe ein, weil ich einen Beitrag zu einem Umbruch in Europa hin zu einer neuen solidarischen und gerechten Politik leisten möchte. Im Gründungstext heißt es: „Dazu bedarf es eines sozialen, ökologischen und kulturellen Umbaus von Gesellschaft und Wirtschaft, einer Politik der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit und der Demokratisierung der parlamentarischen Strukturen in Europa. Diese neue europäische Politik muss geprägt sein von dem unbedingten Willen zum Frieden und einer ausgleichenden Wirtschafts- und Finanzpolitik, die das Gefälle zwischen Nord und Süd ebenso ausgleicht wie die schreiende Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich.“

In diesem Komitee finden sich Menschen zusammen, über Partei- und Institutionengrenzen hinweg. Wir sind der Auffassung, dass der dringende Politikwechsel in Europa nicht einfach von den politischen Institutionen zu erwarten ist, sondern solidarisch über Ländergrenzen erstritten werden muss. In unserem Engagement drückt sich letztlich die Sorge um die demokratischen Strukturen in Europa und somit auch hier aus. Wie nehmen Sie die Berichterstattung in den deutschen Medien seit dem Regierungswechsel in Griechenland wahr? Genau hier liegt ein großes Problem, denke ich. Die Berichterstattung in den meisten Leitmedien ist einseitig. Sie stützt den bisher eingeschlagenen Weg der Austerität, einer Sparpolitik um jeden Preis, die doch offensichtlich in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal die Not verschlimmert hat. Die meisten Medien beteiligen sich am Regierungsbashing der neuen, nicht korrupten griechischen Regierung, und es mangelt an Hintergrundberichten und Aufklärung. Deshalb halten wir es für unsere Pflicht als europäische Demokratinnen und Demokraten, über die tatsächlichen Verhältnisse aufzuklären, Diskussionen und Veranstaltungen zu organisieren. Hier finden Perspektiven von Menschen aus der griechischen Politik und Zivilgesellschaft einen Platz, denn der politische Wechsel in Griechenland muss als eine Chance für die Demokratisierung Europas gesehen werden. Kann man diese Kritik an konkreten Beispielen festmachen? In den meisten Medienberichten wird zum Beispiel die Mitverantwortung der europäischen Banken verschwiegen, die über Jahre hinweg den früheren korrupten griechischen Regierungen großzügige Kredite gewährt haben. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass die gewährten Kredite nicht den Menschen, sondern den Banken zugute kamen. Die Auswirkungen der Austeritätspolitik in Griechenland in Form von ex-

„Zuviele deutsche Medien beteiligen sich am Bash­ing gegen die demokratisch gewählte, nicht korrupte neue griechische Regierung.“ tremer Armut, insbesondere von Kindern, und mangelnder Gesundheitsversorgung und auch die faschistischen Übergriffe werden viel zu selten zum Thema gemacht. Wir werden in Atem gehalten und „beschäftigt“ mit Zahlenwerken, die nicht in reale Politik und ihre Bedeutung für die Menschen übersetzt werden. Gibt es auch positive Beispiele für eine kritische Bericht­ erstattung über die Hintergründe der Griechenland-Krise? Ja, erfreulicherweise gibt es auch kritische Berichte in einigen Medien und von einzelnen Journalistinnen und Journalisten. Zu nennen wären hier Harald Schumann vom Tagesspiegel und sein Film „Macht ohne Kontrolle“ über die Troika auf Arte. Auch die Satiresendung „Die Anstalt“ im ZDF leistet hervorragende Aufklärung. Die Wochenzeitung Der Freitag, der Guardian, die Nachdenkseiten, aber insbesondere die sozialen Netzwerke mit der guten FacebookSeite „Griechenland entscheidet“ oder unser eigener Blog https://griechenlandsolidaritaetffm.wordpress.com und die von alternativen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgegebene Zeitung „Faktencheck“ haben meiner Meinung nach große Verdienste bei der Aufbereitung von Informationen. Eine besondere Rolle spielt auch die Frage der Wiedergutmachung und Reparationen. Was ist da Ihre Position? Das Soli-Komitee hat eine Petition zu der Frage der Rückzahlung von Zwangskrediten gestartet. Darin heißt es zur Begründung für die Forderung nach einer Rückzahlung: „Zwischen 1942 und 1944, als Griechenland durch die deutsche Wehrmacht besetzt war, zwang das deutsche Besatzungsregime die griechische Nationalbank, einen Kredit an das Deutsche Reich zu vergeben. Wohlgemerkt: Bei der Summe, um die es hier geht, handelt es sich um die Rückzahlung eines Darlehens, das unter Zwang zustande gekommen ist. 70 Jahre nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus muss die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches endlich diese Schulden samt Zinsen und Wertausgleich gegenüber Griechenland begleichen.“

Unter www.zurueckzahlen.de kann man sich näher informieren und die Petition unterstützen. Das habe ich getan und die Leserinnen und Leser können es auch tun. Andrea Ypsilanti (SPD) ist Mitglied des hessischen Landtags und Vorsitzende des Petitionsausschusses. Die Fragen stellte HLZ-Redakteur Harald Freiling.

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G E W - F a c ht a g un g

Henne oder Ei? GEW-Fachtagung zur Bewertung der sogenannten Frauenberufe Sicherlich bedarf die Frage nach einem „typischen Frauenberuf“ nur wenig Zeit zum Nachdenken. Ein Großteil der Mitglieder der GEW sind Frauen, die in einem solchen „typischen Frauenberuf“ arbeiten, denn gerade die klassischen Berufe in Bildung und im sozialen Bereich sind „Frauenberufe“ und werden durch die GEW vertreten. Ob Erzieherinnen und Erzieher, Grundschullehrkräfte oder Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen: In der Gesellschaft werden diese Berufe stets mit Frauen und den ihnen zugeschriebenen Attributen wie Fürsorglichkeit, Geduld oder Kommunikationsbereitschaft in Verbindung gebracht. Daneben haben diese Berufe aber noch weitere gemeinsame Merkmale: eine vergleichsweise geringe Entlohnung, mangelnde gesellschaftliche Anerkennung und hohe Arbeitsbelastung.

50 % mehr unentlohnte Arbeit Aber wie hängen die schlechten Arbeitsbedingungen und die Tatsache, dass überwiegend Frauen in diesen Berufen tätig sind, zusammen? Sind Frauen schlecht bezahlt, weil sie in „Frauenberufen“ arbeiten, oder sind „Frauenberufe“ schlecht bezahlt, weil Frauen in ihnen arbeiten? Anhand dieses „Henne-Ei-Problems“ führte Anja Engelhorn (Junge GEW) in die Thematik der Fachtagung der GEW Hessen am 7. Mai im DGB-Haus in Frankfurt ein. Die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Maike Wiedwald appellierte in ihrer Begrüßung an die Kolleginnen und Kollegen, sich zu organisieren und zu vernetzen. Es sei wichtig und notwendig, nicht bei den eigenen Sorgen und Problemen halt zu machen, sondern über den „eigenen Gartenzaun“ hinaus zu blicken. Der mutige und berechtigte Streik der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst sei hier ein deutliches Zeichen. Zur Fachtagung waren 30 interessierte und motivierte „Sorgearbeiterinnen und Sorgearbeiter“ aus ganz Hessen gekommen, darunter auch eine ganze Schulklasse mit angehen-

den Erzieherinnen und Erziehern. Sie alle lauschten dem mitreißenden, fundierten Vortrag von Prof. Dr. Gabriele Winker die an der TU Hamburg-Harburg im Arbeitsbereich „Arbeit - Gender - Technik“ forscht und lehrt. An den Anfang ihres Vortrags stellte auch sie die Bedeutung und Aufregung, bei einer solchen Fachtagung gerade im Vorfeld eines Erzwingungsstreiks im Sozial- und Erziehungsdienst zu sprechen. „Sorgearbeit“ definierte sie als Tätigkeit, die alle Menschen ausüben, wenn sie sich um andere Menschen oder um sich selbst kümmern – ob nun entlohnt im Bereich der Bildungs- und sozialen Arbeit oder unentlohnt bei der Fürsorge für Familie, Freunde und Angehörige. Menschen brauchen die Sorge von anderen. Der Umfang der von Frauen erbrachten Haus- und Sorgearbeit liegt um das 1,7-fache höher als der von Männern. Bei Männern dominiert die entlohnte Arbeit, bei Frauen erreicht die Erwerbsarbeit nicht einmal die Hälfte des männlichen Anteils. Dafür leisten Frauen 50 % mehr unentlohnte Arbeit als Männer. Doch von der können sie sich heute und im Alter nichts kaufen. Der größte Teil der von Frauen erbrachten Arbeitsstunden, nämlich 63 %, entfällt auf Reproduktionsarbeit, das heißt auf unbezahlte Arbeit im Haushalt und für die Familie, 6 % auf (schlecht) entlohnte Sorgearbeit und 31 % auf entlohnte Arbeit außerhalb des Fürsorgebereichs. Gabriele Winker schloss in ihre Kritik auch die Gewerkschaften ein: „Nur über dieses letzte Drittel redet diese Gesellschaft. Der Sorgebereich wird vernachlässigt, weil er zunächst Kosten verursacht und keine Gewinne. Auch Gewerkschaften müssen unentlohnte Familienarbeit einbeziehen.“

Die Bedeutung unentlohnter Sorgearbeit spiegele sich in der tragenden Rolle der Frauen im Gesundheits-, Sozial-, Erziehungs- und Bildungsbereich. Anschließend wurde darüber diskutiert, dass Gewerkschaftsarbeit in ihrer Struktur und ihren Betätigungsfeldern von Männern dominiert wird. Das zeige sich in den Themen und Kampffeldern und in der Zusammensetzung der Gre-

mien – auch in der GEW Hessen. Ein weiteres Thema war die Schwierigkeit, sich bei kleinen Trägern, die viel Freiheit in der täglichen sozialen Arbeit ermöglichen, zu organisieren. Das Fazit des Plenums war, dass der ganze Sorgebereich und damit auch der Bildungsbereich aufgewertet und besser bezahlt werden müssen, wobei sich die unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen nicht spalten lassen dürfen. Das bedeutet, dass auch Debatten um unterschiedliche Qualifikationsniveaus und Leistungsanforderungen nicht zielführend sind. Nach der Mittagspause vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Thematik in zwei Arbeitsgruppen zu den SuE-Tarifverhandlungen und zur GEW-Forderung „A13 auch für Grundschullehrkräfte“. Aus Sicht der Vorbereitungsgruppe, die allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre engagierten Beiträge, interessanten Erfahrungen und guten Einschätzungen dankte, ist der Auftakt gelungen. Anja Engelhorn, Junge GEW Hessen

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L a n d espoliti k

HLZ 7–8/2015

Bildungsgipfel im Nebel Eltern, Schüler und Lehrer kritisieren Stellenkürzungen Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe der HLZ hatten alle fünf Arbeitsgruppen des „Bildungsgipfels“ ihre letzte Sitzung absolviert. Ein Blick in die „Empfehlungen“ der Arbeitsgruppen für die letzte Plenarsitzung zeigt, dass man sich zwar auf zahlreiche Allgemeinplätze einigen konnte, in denen auch vor dem „Bildungsgipfel“ bereits Konsens bestand, dass aber in fast allen substanziellen und konkreten Fragen zwischen der Regierungskoalition auf der einen Seite und den Oppositionsparteien sowie den Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen auf der anderen Seite weiterhin Uneinigkeit besteht. Dies gilt insbesondere für die Frage der Schulstruktur und für die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen für die Entwicklung der Ganztagsschulen, für Schulsozialarbeit und für den Weg zur Inklusion. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser HLZ war deshalb bereits absehbar, dass mit substanziellen Ergebnissen nicht zu rechnen ist, die – so der Wortlaut der Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN – „den Schulen, Schulträgern und Eltern für die nächsten zehn Jahre Planungssicherheit über die Schulentwicklung in Hessen“ geben. Bei Redaktionsschluss war auch noch offen, in welcher Zusammensetzung die letzte Runde des „Bildungsgipfels“ am 17. Juli tagen wird. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Landeselternbeirat (LEB), Landesschülervertretung (LSV), GEW und VBE stellten deren Sprecherinnen und Sprecher Anfang Juni die Teilnahme ihrer Organisationen an der Abschlussrunde in Frage. Hintergrund eines möglichen Ausstiegs war nicht nur die große Unzufriedenheit mit der völligen Unbeweglichkeit der Koalition in allen zentralen Fragen der Schulentwicklung, sondern vor allem auch der „Anschlag auf die versprochene Verlässlichkeit in der Lehrerausstattung“ (GEW-Vorsitzender Jochen Nagel). LEB, LSV, GEW und VBE kritisierten unisono die geplanten Kürzungen bei der Grundunterrichtsversorgung für die Grundschulen im Umfang von 140 Stellen und bei den Gymnasialen Oberstufen im Umfang von zunächst

160 Stellen, die sich mit der Ausweitung auf die Jahrgangsstufen 12 und 13 auf über 300 Stellen erhöhen. An einzelnen Schulen sind die Kürzungen so hoch, dass sie den gesamten Zuschlag zur Grundunterrichtsversorgung „auffressen“, ohne dass dieser formal angetastet wird. Der Zuschlag von 4 % bleibt erhalten – aber eben auf der Grundlage einer gekürzten Grundversorgung. Gekürzt werden soll auch bei der Zuweisung für die Intensivklassen für Seiteneinsteiger und Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse. Während den Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe I früher einmal genau so viele Stunden zustanden wie einer Regelklasse, erfolgt jetzt eine weitere Kürzung von 25 auf 22 Stunden. In den anderen Stunden sollen die Jugendlichen am Unterricht der Regelklassen teilnehmen, in denen aber gleichzeitig keine Plätze für die Zeit nach ihrer Eingliederung in den Regelunterricht vorgehalten werden dürfen. Anush Arash, stellvertretender LSVSprecher, wandte sich wie die anderen Verbandsvertreter nachdrücklich dagegen, dass die Bildungsbereiche gegeneinander ausgespielt werden. Notwendige Investitionen in den Bereichen Ganztag, Flüchtlinge oder Inklusion dürften nicht durch Kürzungen in anderen Bereichen finanziert werden. Jochen Nagel griff diesen Gedanken auf. Das Mantra der schwarz-grünen Koalition, notwendige Reformen könnten aus der „demografischen Rendite“ bezahlt werden, habe sich bei der ersten Belastungsprobe in Luft aufgelöst: „Offensichtlich können die notwendigen Zusatzangebote eben doch nur aus der Substanz der Stellenzuweisung finanziert werden. Und wenn dies ohne Proteste durchgeht, kann man es auch ein zweites oder drittes Mal tun.“

Rainer Pilz, neu gewählter Vorsitzender des LEB, zog eine sehr kritische Zwischenbilanz des „Bildungsgipfels“, bei dem sich die Regierung bisher nirgends wirklich bewegt habe. Der LEB vertrete alle Schulformen und werde es nicht zulassen, dass diese gegeneinander ausgespielt werden. Wenn die Kürzungen

Svenja Appuhn, stellvertretende Landesschülersprecherin, im Interview am Rand der Landespressekonferenz

nicht zurückgenommen werden, werde er „an der letzten Sitzung des Bildungsgipfels nicht teilnehmen.“ Svenja Appuhn, ebenfalls stellvertretende LSV-Sprecherin, verwies auf die Auswirkungen der Kürzungen in der Gymnasialen Oberstufe: „Kursgrößen werden steigen und Leistungskurse in Fächern, für die es weniger Anmeldungen gibt, werden ganz gestrichen“. Für die von der LSV initiierte Petition „Keine Stellenstreichung an hessischen Schulen“ lagen schon nach wenigen Tagen weiter über 10.000 Unterschriften vor (www.openpetition.de). Der Vorschlag der LSV zur Schul­ struktur (HLZ S. 24) stelle keine Abkehr der LSV von der bisher vertretenen Idee der Gemeinschaftsschule dar: „Wir wollen länger gemeinsam lernen. Aber wir wollten auch Bewegung in die festgefahrenen Debatten bringen. Unsere Forderung nach längerem gemeinsamem Lernen bezog sich jedoch immer auch auf die Integrierten und Kooperativen Gesamtschulen und nicht nur auf die Haupt- und Realschulen.“

Weitere Beiträge zu Themen des Bildungsgipfels finden Sie in dieser HLZ auf Seite 23 und 24. Über den Abschluss des Bildungsgipfels berichten wir in der nächsten Ausgabe der HLZ. Harald Freiling

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L a n d espoliti k

„Neues“ Schulmodell Wie CDU und Grüne aus einer Maus einen Elefanten machen „Kultusminister Alexander Lorz (CDU) stellte sich hinter die Vorschläge der Landesschülervertretung (LSV) zur künftigen Schulstruktur in Hessen. Das erarbeitete Zwei-Säulen-Modell sei ein Weg, ‚bisherige Gräben in der Schulpolitik zu überwinden‘, sagte der Minister (…) in Wiesbaden. Die Regierungskoalition sei offen für die Vorschläge und zu Kompromissen bereit, ergänzten Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner und der CDU-Bildungsexperte Armin Schwarz.“

So las man es in der Frankfurter Rundschau und anderen Medien am 18. Mai 2015. Die Überschriften versprachen eine echte Überraschung: „Hauptschule vor dem Aus“ (FR) oder gar „Haupt- und Realschulen vor dem Aus“ (hr-online). Tatsächlich ging es einmal mehr darum, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Bildungsgipfel an der Nase herumzuführen und der Öffentlichkeit ein X für ein U vorzumachen. Tatsächlich ist dieses „Zwei-Säulen-Modell“ nichts weiter als ein abgegriffener Vorschlag, der auf dem Bundesparteitag der CDU 2011 als Alternative zur „linken Einheitsschule“ angenommen, zuvor aber auf Antrag der CDU-Landesverbände Baden-Württemberg, Bayern und Hessen deutlich verwässert worden war (HLZ S. 24-25). Selbst die FAZ kommentierte den neuen Vorschlag von CDU und Grünen bissig: „Es kommt also ziemlich bekannt vor, was Schwarz-Grün jetzt unter dem Na-

men ‚Sekundarschule‘ wieder auftischt. (...) Der Bildungsgipfel kreißte und gebar eine Maus. Dass sie nun wie ein Elefant präsentiert wird, ist nur taktisch zu erklären.“ (20.5.2015)

Der Vorschlag entspricht weitgehend der in Hessen bereits eingeführten Mittelstufenschule. Auch dort werden die Schülerinnen und Schüler nach einer Aufbaustufe (Klassen 5 bis 7) in die bekannten Schulformen aufgeteilt und zwar in den Hauptschulzweig (praxisorientierter Bildungsgang), der am Ende der Jahrgangsstufe 9 zum Hauptschulabschluss führt, und in den Realschulzweig mit dem Mittleren Abschluss (Realschulabschluss) am Ende von Klasse 10. Das Modell war ein Flop: Bisher wurden hessenweit nur 13 Mittelstufenschulen gegründet und das bei 705 allgemeinbildenden Schulen (ohne Grundschulen). Unbeirrt von allem Geplänkel im Gefolge des Bildungsgipfels setzt die CDU ihre bildungspolitische Linie der äußeren Aufspaltung der Sekundarstufe in alle möglichen Schulformen fort. Ihr „Schulfrieden“ ist ein Zwangsfrieden, verordnet von der Regierung im Bewusstsein, eine unanfechtbare Machtposition in Hessen inne zu haben. Einen willfährigen Koalitionspartner findet man immer: Schwächelt die FDP, nimmt man eben die Grünen. Die Landesregierung muss endlich bereit sein, die Schulrealität in Hes-

sen wahrzunehmen: Im Sekundarstufenbereich ist neben dem Gymnasium die Integrierte Gesamtschule die einzige Schulform, die in den letzten 15 Jahren signifikante Zuwächse erreichen konnte. Eine vorwärtsgewandte Politik muss diese Entwicklungen in den Blick nehmen und die notwendigen Konsequenzen ziehen. Die Politik der letzten Jahre, immer neue hessenspezifische Schulformen im Zwergenformat in die Welt zu setzen, ist eine Ressourcenverschwendung im großen Stil. Die Folgen sind offenkundig: Durch fragwürdige Stellen­ umverteilungen versucht man Lücken an einer Stelle zu stopfen, um an anderer Stelle zwei weitere aufzureißen. Christoph Baumann

Zahlen und Fakten In der Sekundarstufe I gab es in Hessen 2014 noch 60 Förderstufen, 125 Hauptschulen, 151 Realschulen, 180 Gymnasien, 115 schulformbezogene und 117 schulformübergreifende Gesamtschulen. 2001, also am Anfang der Regierungszeit der CDU, besuchten 23.172 Schülerinnen und Schüler eine Hauptschule. Im laufenden Schuljahr sind es noch 12.500 Schüler – mit weiterhin stark abnehmender Tendenz. Die allerwenigsten besuchen eine reine Hauptschule. 3.200 Schülerinnen und Schüler besuchen derzeit eine Mittelstufenschu-

le. 75.200 Schülerinnen und Schüler besuchen eine Integrierte Gesamtschule – mit steigender Tendenz. 2001 waren es nur 65.807. Rückläufig ist auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler an schulformbezogenen (additiven) Gesamtschulen: Sie ging von 130.516 im Jahr 2001 auf jetzt 104.370 zurück. 42.008 Jugendliche besuchen eine Realschule (2001: 51.134) und 144.627 ein Gymnasium (2001:135.327). Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt. Statistische Berichte. Die allgemeinbildenden Schulen in Hessen. Stand: 11/2014 Wiesbaden, 16. Juni: Protest gegen Stellenkürzung (Foto: Elke Hoeft)

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S c hulsystem

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Zweigliedrig auch in Hessen? Ein Blick in die anderen Bundesländer Seit September 2014 tagt in Hessen nach einem Beschluss der schwarzgrünen Koalition ein Bildungsgipfel, zu dem die Regierung alle im Landtag vertretenen Parteien, die Lehrer-, Schüler- und Elternverbände und Vertreter von Kommunen, Kirchen, der Wirtschaft und den Gewerkschaften eingeladen hat. Ziel der Veranstaltung ist ein Schulkonsens, der zehn Jahre gelten und die seit Jahrzehnten streitenden politischen Lager befrieden soll. Schwierige Themen des Gipfels sind vor allem Ganztagsschule, Inklusion und Schulstruktur, Themen, an denen Veranstaltung scheitern könnte. Während jedoch beim rhythmisierten Ganztag und der Inklusion nicht mehr grundsätzlich gestritten wird, sondern über Tempo der Umsetzung und Finanzierung, ist die Reform der stark gegliederten Sekundarstufe I aus Hauptschule, Realschule, Mittelstufenschule, Gymnasium, Integrierter Gesamtschule (IGS), Kooperativer Gesamtschule (KGS) und Förderschule nach wie vor heftig umstritten. Wie kann ein Kompromiss aussehen zwischen den Befürwortern des gemeinsamen Lernens von Klasse 5 bis

10 und denjenigen, die das traditionelle dreigliedrige System erhalten wollen, auch wenn es nur noch vier eigenständige Hauptschulen in Hessen gibt und diese nur durch Abschulungen aus Realschule und Gymnasium überlebensfähig sind?

Die Landesschülervertretung In dieser Situation machte auf dem Bildungsgipfel, völlig überraschend, die Landesschülervertretung (LSV), die bislang eine Gemeinschaftsschule forderte, einen Vorschlag, von dem sie hofft, er könne zu einem Kompromiss der so unterschiedlichen Interessen führen. Angekündigt wurde der Vorschlag im „Wiesbadener Kurier“ am 18. Mai mit „Schüler für Zwei-Säulen-Modell“. In dem Beitrag erläuterte Landesschulsprecherin Fevzije Zeneli das Modell mit dem Gymnasium als einer Säule und der Gesamtschule als zweiter Säule in Form der Integrierten Gesamtschule, der Kooperativen Gesamtschule und einer neuen Schulform, der „Sekundarschule“. In der „Sekundarschule“ würden die Schülerinnen und Schüler in den Klas-

Jugendliche Zuwanderer Anfang Juni befasste sich der GEWLandesvorstand mit der zugespitzten Situation bei der Beschulung von jugendlichen Zuwanderern. Er kritisierte mit Nachdruck den Versuch, die notwendigen Ressourcen für den Deutschunterricht für Flüchtlinge und Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger durch Kürzungen an den Grundschulen und gymnasialen Oberstufen zu „erwirtschaften“ (HLZ S. 22). In den nächsten Jahren wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die als Zuwanderer oder Flüchtlinge nach Deutschland kommen, erheblich zunehmen. Ohne ausreichende Sprachvermittlung mit dem Ziel der Einmündung in das Beschäftigungssystem oder in weiterführende Bildungsgänge werde der sich daraus ergebende so-

ziale Sprengstoff die Gesellschaft vor erhebliche Probleme stellen. Die GEW fordert die Landesregierung auf, allen jugendlichen Migrantinnen und Migranten mindestens bis zum 21. Lebensjahr die Möglichkeit eines schulischen Spracherwerbs zu eröffnen. Bestehende Bildungsangebote im Bereich der beruflichen Schulen und der Oberstufen seien auszubauen. Langfristig fordert die GEW die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern mit der Zusatzqualifikation Deutsch als Zweitsprache sowie Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte in den Sprachen der Herkunftsländer. Außerdem sind ausreichende Ressourcen zur sozialpädagogischen und psychologischen Unterstützung an den Schulen mit hohem Migrationsanteil zu schaffen.

sen 5 und 6 gemeinsam unterrichtet, differenziert würde nur in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Englisch, mit Blick auf eine Hauptschulempfehlung oder eine Empfehlung für Realschule und Gymnasium am Ende von Klasse 6. Ab Klasse 7 soll dann in „jahrgangsbezogenen Kursen“ unterrichtet werden, getrennt in die beiden Abschlussrichtungen Hauptschulabschluss oder Mittlerer Abschluss.

Zweigliedrigkeit macht Schule Nach den ersten beiden Pisa-Studien 2000 und 2003 mit relativ guten Ergebnissen der drei neuen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit einem seit der Wende zweigliedrigen System aus Gymnasium und einer Schule der Sekundarstufe I stellte sich die Frage, ob nicht eine Reduktion der Schulformen schon zu besseren Ergebnissen in nationalen und internationalen Leistungsvergleichsstudien führen könnte. Während die Zweigliedrigkeit in den drei Bundesländern nur bis zum Ende von Klasse 6 geht und danach abschlussbezogene Haupt- und Realschulklassen gebildet werden, es also dreigliedrig weitergeht, entwickelte sich in den alten Bundesländern eine neue Form der Zweigliedrigkeit, in Anlehnung an einen Vorschlag, den der Erziehungswissenschaftler Klaus Hurrelmann zu Beginn der 1990er Jahre zum ersten Mal gemacht hat: Die zweite Säule neben dem Gymnasium endet nicht mit Klasse 10, sondern führt mit einer eigenen Oberstufe oder in einem Oberstufenzentrum auch zur Hochschulreife. Dieses „Zwei-Wege-Modell“ gibt es inzwischen in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin. Im Saarland und in einer Reihe von anderen Bundesländern soll es Ziel der Schulentwicklung sein, auch im Blick auf rückläufige Schülerzahlen und das wachsende Interesse von Kommunen an einer wohnortnahen Schule, die den gleichen Bildungsanspruch wie das Gymnasium formuliert und auch zur Hochschulreife führt. Das ist seit den 1970er Jahren

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die Integrierte Gesamtschule in seinerzeit SPD-regierten Ländern und es ist seit etwa 2005 in mehreren Bundesländern die Gemeinschaftsschule, die in Hamburg Stadtteilschule und in Bremen Oberschule heißt. Der Kompromissvorschlag der hessischen Landesschülervertretung, der von der CDU wie der Stein der Weisen begrüßt wird, mit dem aber auch die Grünen meinen leben zu können, lässt nicht nur das Gymnasium unangetastet, sondern will offensichtlich auch, dass sich die neue Sekundarschule aus Haupt- und Realschule in den nächsten zehn Jahren neben der IGS und der KGS mit ihren Haupt- und Realschulzweigen entwickeln kann. Eine Veränderung gäbe es nur für die bislang eigenständigen Realschulen. Sie müssten sich für Schülerinnen und Schüler öffnen, die seither eine Hauptschulempfehlung bekamen, und diese auch auf den Hauptschulabschluss vorbereiten. Während für Kinder, die bisher an einer IGS unterrichtet werden, erst im 9. oder 10. Schuljahr über den Hauptschulabschluss oder den Mittleren Abschluss entschieden werden muss, würden sie nach dem Vorschlag der LSV schon nach der 4. Klasse von den fürs Gymnasium empfohlenen Kindern getrennt und am Ende von Klasse 6 noch einmal von denen, die sich auf den Mittleren Abschluss vorbereiten.

Kein wirklicher Kompromiss Was als Zwei-Säulen-Modell angekündigt wird, ist vom Weiterbestehen der IGS in Hessen abgesehen, das zweigliedrige Modell der drei neuen Bundesländer, mit abschlussbezogenen Haupt- und Realschulklassen. Es ist das Modell, das die Bundes-CDU auf einem Parteitag 2011 beschlossen und den CDU-Landesverbänden empfohlen hat, um das Problem Hauptschule zu lösen. Nur bei der hessischen CDU löste dies damals noch helle Empörung aus. Sie feierte noch einmal fröhliche Urständ, als Ministerpräsident Bouffier beim Landestag der Jungen Union am 23. Mai den Erhalt des Hauptschulabschlusses als Absage an die „Einheitsschule“ definierte. In der Frage des gegliederten Schulwesens werde man „der SPD nicht nachgeben“. Um so leichter fiel es der schwarz-grünen Koalition, sich aus dem Konzept der LSV einen Punkt herauszugreifen und diesen als „mutig, klug sowie mögliche Grundla-

B il d un g spoliti k

ge für eine parteiübergreifende Verständigung“ zu loben. Nach der Ablehnung ihres Kompromissvorschlags für den Bildungsgipfel durch SPD, Linkspartei, GEW und Landeselternbeirat wäre die LSV gut beraten, ihren Vorschlag zurückzuziehen und ihre bisherige Forderung einer Gemeinschaftsschule in das Ringen um einen Kompromiss in der Strukturfrage einzubringen. Auf die Frage in einem Interview, ob sie „den Kompromiss richtig gut“ finde, antwortet die Landesschulsprecherin: „Das Wunschmodell der Landesschülervertretung ist die Gemeinschaftsschule, das ist ganz klar. Wir möchten keine Selektion nach der vierten Klasse, wir möchten komplettes gemeinsames Lernen, Ganztagsschule und komplett inklusiv.“ (Frankfurter Rundschau, 20.5.2015)

Die Grünen haben vor der Landtagswahl 2013 ein Zwei-Wege-Modell beschlossen, zwei Schulformen, die beide zum Abitur führen können. Die SPD plädierte für eine Gemeinschaftsschule, zu der sich jede Schule entwickeln kann: das Gymnasium, die Realschule, aber auch die Integrierte Gesamtschule (1). Ein Sich-Abfinden mit dem ZweiWege-Modell aus Gymnasium und einer Schule, die mit eigener Oberstufe oder in einem Oberstufenzentrum auch zum Abitur führt, ist für alle, die eine inklusive Schule, unter Einschluss des Gymnasiums, anstreben, ein Kom-

promissangebot an die Befürworter des traditionell dreigliedrigen Systems. Die meisten Landesverbände der CDU haben dies bereits akzeptiert, nicht aber die CDU in Hessen. Bei diesem Kompromiss entscheidet nicht mehr die Regierung über die Schulentwicklung vor Ort, sondern Schulen, Eltern und Schulträger befinden gemeinsam darüber, welche Schule es sein soll. Dass sich ein fairer pädagogischer Wettbewerb der Schulen beider Schulformen entwickeln kann, setzt voraus, dass die Schulen auf der Basis eines wissenschaftlich fundierten Sozialindexes bedarfsgerecht ausgestattet werden. Das bestimmt die schulpolitische Auseinandersetzung in den zweigliedrigen Systemen heute schon, die ja immer noch gegliederte Systeme sind, mit einem Gymnasium, das sich nur schwer von seinen Privilegien trennt und dabei auf eine einflussreiche Lobby zählen kann (2). Valentin Merkelbach Valentin Merkelbach war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Johann Wolfgang GoetheUniversität. (1) Valentin Merkelbach: Schulfrieden in Hessen? www.valentin-merkelbach.de (Februar 2014) (2) Valentin Merkelbach: Sind Hamburgs Stadtteilschule und Gymnasium gleichwertige Schulformen? www.valentin-merkelbach.de (April 2015)

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H o c hs c hulen

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Einigung mit der Goethe-Universität Verhandlungen über Tarifvertrag für Hilfskräfte gehen weiter Am 19. Mai 2015 einigten sich die GEW und die anderen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes mit der Goethe-Universität Frankfurt in der laufenden Tarifauseinandersetzung. Die Goethe-Universität hat etwa 5.500 Beschäftigte. Für sie gilt ein eigener Haustarifvertrag, der allerdings an vielen Stellen auf die Tarifverträge des Landes verweist. Streitpunkt waren an der Frankfurter Hochschule bis zuletzt die Regelungen zu den Arbeitsbedingungen der studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte. Nach langen Debatten haben sich beide Seiten auf einen Fahrplan für weitere Verhandlungen zum Thema Hilfskräfte verständigt. Sie sollen bis zum Ende des kommenden Wintersemesters beendet sein. Dass sich die Universität unter anderem auf eine zeitliche Rahmensetzung für die Verhandlungen eingelassen hat, ist ein Erfolg des Streiks der Hilfskräfte am 18. Mai 2015. Die jetzige Tarifvereinbarung ist ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Tarifvertrag für Hilfskräfte. Dennoch steht fest: Um tarifliche Regelungen und ein Ende der Arbeitgeberwillkür an der Goethe-Universität durchzusetzen, bedarf es weiteren Drucks durch die Hilfskräfte. Die tarifrechtliche Situation an der Goethe-Universität ist eine recht spezielle. Einerseits ist die Goethe-Universität tarifrechtlich unabhängig. An-

dererseits gibt es mehrere so genannte „Bezugnahmeklauseln“ auf Tarifverträge, die mit dem Land Hessen abgeschlossen wurden. Daher gilt die Einkommenserhöhung, die mit dem hessischen Innenminister am 15. April 2015 vereinbart worden ist, auch für die Tarifbeschäftigten an der Goethe-Universität Frankfurt: Demnach steigen die Einkommen zum 1. März 2015 um 2,0 Prozent und zum 1. April 2016 um 2,4 Prozent, mindestens aber um 80 Euro in den Entgeltgruppen bis EG 9. Das entspricht hinsichtlich des materiellen Niveaus dem, worauf sich Ende März 2015 die Gewerkschaften und die anderen Bundesländer für 2015 und 2016 verständigt hatten. Die Einkommensentwicklung an der GoetheUniversität weicht also nicht von der an anderen bundesdeutschen Universitäten und Hochschulen ab.

Leitung ignoriert Senatsbeschluss An der Goethe-Universität arbeiten mehr als 2.000 Hilfskräfte. Für diese große Beschäftigtengruppe gilt der hausinterne Tarifvertrag nicht. In der Tarifrunde 2015 haben die Gewerkschaften die Aufnahme der Hilfskräfte in den Tarifvertrag gefordert. Diese Forderung entspricht bemerkenswerterweise auch den eigenen Beschlüssen der Hochschule: Denn mit dem Senat hatte auch das höchste beschlussfähi-

Die Hilfskräfte bekräftigten ihre Forderungen am Tag der Senatssitzung mit einer „freundlichen Blockade“ der Uni-Verwaltung.

ge Gremium der Frankfurter Universität auf seiner Sitzung am 22. April 2015 beschlossen, dass die wissenschaftlichen und studentischen Hilfskräfte in den Tarifvertrag der Universität aufgenommen werden sollen. Für die Forderung nach tarifvertraglichen Regelungen für Hilfskräfte gibt es folglich eine breite Unterstützung innerhalb der Hochschule. Aber die Hochschulleitung fühlt sich an diesen Senatsbeschluss nicht gebunden. Beim Verhandlungsauftakt am 6. März 2015 hatten die Gewerkschaften der Hochschulleitung ein konkretes Angebot zum Thema Hilfskräfte unterbreitet und Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Zwar erklärte sich die Goethe-Universität zu weiteren Verhandlungen bereit, sie verfolge aber nicht das Ziel, zu tarifvertraglichen Regelungen zu kommen. In der Verhandlung am 27. April 2015 gab es daher kein Ergebnis. Die Hilfskräfte erhöhten daraufhin den Druck auf die Hochschulleitung erneut: Am 5. Mai unterbrachen sie die Einweihung eines Seminargebäudes durch Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU), um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Am 18. Mai 2015 folgten rund100 Hilfskräfte an der Goethe-Universität einem Aufruf der GEW Hessen zum Warnstreik. Damit haben die Hilfskräfte einmal mehr eindrucksvoll deutlich gemacht, dass sie statt einer universitären Selbstverpflichtung Rechtssicherheit und einen Tarifvertrag wollen! Auch bei der Verhandlung am 19. Mai wurde die Hochschulleitung noch einmal von einer Delegation der Hilfskräfte mit Transparenten und Plakaten empfangen. Der Protest hat sich gelohnt, denn nur so war es möglich, mit der Hochschulleitung einen konkreten Zeitplan zu vereinbaren. Als inhaltlichen Zielpunkt der weiteren Verhandlungen nennt das Einigungspapier „tarifliche“ beziehungsweise „außertarifliche Regelungen“, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber abzuschließen sind. Dies geht deutlich über eine bloße Selbstverpflichtungserklärung der Universität hinaus.

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Selbstverpflichtung reicht nicht aus Die Hochschulleitung setzt bislang auf Selbstverpflichtungen bei der Bezahlung der Hilfskräfte und bei den Arbeitsbedingungen. Selbstverpflichtungen stellen aber für die Beschäftigten keine Lösung dar, denn anders als Tarifverträge können sie nach Belieben unterlaufen werden. Eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, haben Hilfskräfte kaum. Denn eine Selbstverpflichtung ist nicht bindend und kann jederzeit wieder durch die Universität zurückgenommen werden. Ein Tarifvertrag muss hingegen gekündigt und mit den Gewerkschaften neu verhandelt werden, um die Arbeitsbedingungen verändern zu können. Studentische Hilfskräfte verdienen an der Goethe-Universität derzeit 8,50 Euro pro Stunde, was gerade mal der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entspricht. Auch wenn die Hochschulleitung nun angekündigt hat, die Stundenlöhne der Hilfskräfte erhöhen zu wollen, reicht das nicht aus. Denn dass

T a rif un d B esol d un g

der Arbeitgeber Löhne einseitig diktieren kann, führt im Ergebnis zur Stagnation bei den Löhnen. So hat es in den letzten 20 Jahren auch nur eine Lohnerhöhung gegeben. In Berlin, wo es einen Tarifvertrag für Hilfskräfte gibt, verdienen sie 10,98 Euro pro Stunde. Nur ein Tarifvertrag schafft Rechtssicherheit. In der gegenwärtigen Auseinandersetzung an der Goethe-Universität geht es folglich im Kern darum, die Ungleichbehandlung der verschiedenen Beschäftigtengruppen im selben Betrieb zu beenden. Während wissenschaftliche und administrativ-technische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch einen Tarifvertrag geschützt werden, bleiben die Hilfskräfte außen vor und werden so zu Beschäftigten zweiter Klasse.

Beschäftigte zweiter Klasse

tarifvertraglichen Regelungen abschließen zu wollen, hat sich nichts geändert. Auch das Land Hessen übt Druck aus, um einen Einstieg in die Tarifierung der Arbeitsbedingungen der Hilfskräfte in Frankfurt zu verhindern, weil ein solcher Tarifvertrag Signalwirkung haben würde. Die Durchsetzung einer tariflichen Regelung für die Hilfskräfte ist von daher ein „dickes Brett.“ Mit Ausnahme Berlins ist es bisher noch nirgendwo gelungen, tarifliche Regelungen durchzusetzen. Dennoch zeigt das Beispiel Berlin, dass ein Tarifvertrag auch für Hilfskräfte möglich und machbar ist. In Berlin wurde der Tarifvertrag nach einem massiven Tutorenstreik 1986 erkämpft. In Frankfurt kommt es jetzt darauf an, mit Aktionen den Druck auf die Hochschulleitung weiter zu erhöhen.

Die Vereinbarung ist ein erster wichtiger Schritt. Doch der Durchbruch für tarifvertragliche Regelungen ist noch nicht geschafft. An der grundsätzlichen Haltung der Hochschulleitung, keine

• Aktuelle Infos finden sich auf der Homepage der GEW-Betriebsgruppe an der Goethe Universität Frankfurt unter www.uni-frankfurt.de/53661976/gew.

Rüdiger Bröhling, Carmen Ludwig

Inklusion: Ja, aber richtig! Der Gesamtpersonalrat für die Lehrkräfte am Staatlichen Schulamt für den Landkreis Darmstadt-Dieburg und die Stadt Darmstadt (GPRLL) registrierte in der letzten Zeit eine zunehmende Besorgnis und den großen Unmut in den Kollegien über die Umsetzung der Inklusion an den Schulen. 80 Prozent der allgemeinbildenden Schulen sowie zwei große Privatschulen unterstützten eine gemeinsame Resolution und bekräftigten sie durch Unterschriften der Kolleginnen und Kollegen. Sie wünschen sich eine Schule, „in der alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen willkommen sind“. Im Bereich der sonderpädagogischen Förderung an den allgemeinbildenden Schulen gebe es jedoch eine besorgniserregende Unterversorgung: „Eine auf wenige Stunden in der Woche begrenzte und häufig sogar noch auf mehrere Schulen verteilte Unterstützungs- und Beratungstätigkeit ist unwirksam, zerreißt alle Beteiligten und nützt den Schülerinnen und Schülern nichts.“ Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Arbeit liege „in einer dauerhaften und verlässlichen Zusammenarbeit in Teams von

Regel- und Förderschullehrkräften sowie sonderpädagogischen und sozialpädagogischen Fachkräften“. Dafür fordern die Schulen in der vom GPRLL übersandten Resolution unter anderem eine sonderpädagogische Grundausstattung mit einer festen Zuweisung einer Förderschullehrerstelle pro dreizügigem Jahrgang für den Bereich Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung, kleinere Klassen sowie Entlastungs- und Koordinationsstunden für alle Kräfte, die in der inklusiven Beschulung arbeiten.

Gemeinsam Lernen in Offenbach IGEL-OF, die rührige Initiative Gemeinsam Lernen für Stadt und Kreis Offenbach, wandte sich erneut mit einem dringenden Brandbrief an das Hessische Kultusministerium (HKM). Das von der Landesregierung stets gepriesene Elternwahlrecht werde den Eltern vorenthalten, deren Kind gegen den Elternwillen durch das Staatliche Schulamt einer Förderschule zugewiesen werde. Als Beispiele nennt die Vorsitzende Doro-

thea Terpitz den Jungen mit Lernhilfebedarf, „der gerne mit seinen Klassenkameraden von der Grundschule auf die weiterführende Schule wechseln würde, aber dort wegen mangelnder Ressourcen nicht aufgenommen wird“. Ein anderer Junge soll die 20 Kilometer entfernte Förderschule besuchen, so dass „die Eltern, die aus dem Ausland stammen, die Welt nicht mehr verstehen“. IGEL-OF fragte Minister Lorz auch ganz persönlich, ob er sich die Verzweiflung der Eltern vorstellen könne, „deren Kinder im kommenden Jahr nicht die allgemeine Schule besuchen dürfen und somit nicht am Leben im angestammten Umfeld teilhaben können.“ Der UN-Fachausschuss zur UNBehindertenrechtskonvention habe im April 2015 noch einmal eindeutig die Verpflichtung der Unterzeichnerstaaten benannt, „to scale down the segregated system“. Für IGEL-OF ist dies gleichbedeutend mit der Verpflichtung zur „grundsätzlichen Umstrukturierung des Schulsystems“ mit dem Ziel eines „inklusiven Systems auf allen Ebenen“.

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H o c hs c hulen

HLZ 7–8/2015

Schwarz mit grünen Tupfern Entwurf zur Änderung des hessischen Hochschulgesetzes Die schwarz-grüne Landesregierung hat nach einem umfangreichen Beteiligungsverfahren einen Mini-Gesetzentwurf zur Änderung des hessischen Hochschulgesetzes in den Landtag eingebracht, der vielleicht noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Als besondere Fortschritte werden der erleichterte Zugang von besonders beruflich Qualifizierten zum Hochschulstudium und die Aufwertung „forschungsstarker“ Fachbereiche der (Fach-)Hochschulen mittels Verleihung eines eigenen Promotionsrechtes genannt. Eine erste Bewertung durch die GEW in der April-Ausgabe der HLZ zeigte, dass die Pläne der Landesregierung die soziale Schließung der Hochschulen eher verstärken als abmildern. Inzwischen gibt es einige neue Punkte. Studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte sollen zukünftig zur Personalkategorie der akademischen Hilfskräfte zusammengefasst werden. Sie sollen nur noch bis maximal 40 Prozent einer Vollzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienstes beschäftigt werden. Dies bedeutet eine Reduzierung von vormals 82 auf höchstens 62 Stunden im Monat. Gerade für Studierende oder Menschen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, die auf die Einkünfte aus der Tätigkeit angewiesen sind, würde dies eine deutliche Verschlechterung bedeuten, da nicht nur am Ende des Monats weniger Gehalt übrig ist, sondern auch die anfallende Arbeit vermutlich gleich bleibt. Zusätzlich sollen die Höchstbefristungsgrenzen für Hilfskräfte verlän-

gert werden. Während des Studiums kommt dies vielen Studierenden entgegen, doch nach einem erfolgreichen Abschluss begünstigt diese Neuregelung die Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse, da die ehemals wissenschaftlichen Hilfskräfte außertariflich schlechter bezahlt werden als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem sind sie in vielfacher Hinsicht, zum Beispiel personalrechtlich, schlechter gestellt, obwohl sie jenseits der Lehrverpflichtung die gleiche Arbeit wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verrichten. Ein kleiner Fortschritt könnte darin bestehen, dass es den Hochschulen freigestellt werden soll, per Grundordnung Promovierende als eigene Statusgruppe anzuerkennen und für sie damit eine eigene Promovierendenvertretung einzurichten oder sie in bestehende Mitbestimmungsstrukturen zu integrieren. Bisher sind Promovierende, die nicht an der Hochschule immatrikuliert sind oder dort arbeiten, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Für die tariflich Beschäftigten an den Hochschulen ändert sich indes wenig. Zwar feiert Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) die geplante Entwicklung- und Qualifikationszusage als neue Perspektive für den wissenschaftlichen Nachwuchs, tatsächlich handelt es sich nur um ein Reförmchen (HLZ 4/2015). Es soll sogar weiterhin wie bei der bisher unbeliebten Juniorprofessur möglich sein, Beamtenstellen für sechs Jahre ohne Verlängerung auszuschreiben. Das strukturelle Defizit der

Wissenschaftskarrieren in Deutschland, dass es jenseits der Professur bisher (fast) keine Möglichkeit gibt, dauerhaft in Forschung und Lehre tätig zu sein, wird von der Koalition nicht angegangen. Von der Absicht des Koalitionsvertrages, dass „in den Bereichen, in denen Daueraufgaben anfallen, Dauerarbeitsplätze geschaffen werden“ sollen, bleibt nur wenig übrig. Auch an den Rechtsanspruch auf ein Teilzeitstudium, der für viele Studierende eine Vereinbarkeit von Studium, Familie und nebenberuflicher Erwerbstätigkeit sichern könnte, trauen sich CDU und Grüne nicht heran: Die CDU will nicht und die Grünen können scheinbar nicht. Ähnlich steht es um die demokra­ tische Selbstverwaltung der Hochschulen. Die Anhörungsrechte der Studierendenschaft werden in studien­ gangsbezogenen Angelegenheiten gestärkt und der Senat erhält in der zentralen Entwicklungs- und Budgetplanung der Hochschule eine stärkere Stellung, die im Konfliktfall aufschiebende Wirkung hat. Letztendlich bleibt aber das Präsidium der Entscheider. Bei der Budgetplanung behalten Hochschulrat und Wissenschaftsministerium entscheidende Zustimmungsrechte. Schritte hin zu einer (Re-)Demokratisierung der Hochschulen sehen anders aus: Viertelparität in Gremien, Einführung des allgemeinpolitischen Mandats für die Studierendenschaft oder die Abschaffung beziehungsweise Umwandlung des Hochschulrates sind altbekannte Ideen. Während die Studierendenvertretungen gezwungen werden, ihre geringen Aufwandsentschädigungen (oft 400 Euro pro Monat) offenzulegen, bleiben die Gehälter der Präsidien geheim. Auch das geplante Verbot von Tierversuchen und die etwas verbesserte Transparenz von Drittmitteln können nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur sehr wenige grüne Tupfer ein insgesamt schwarzes Gesetz garnieren. Tobias Cepok, Referent der GEW Hessen für Jugendbildung und Hochschule

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L a n d espoliti k

Schulsozialarbeit muss bleiben Über 12.000 Unterschriften für Petition gegen Kürzungen Professorin Wilma Aden-Grossmann und Professor Gerd Iben fühlen sich auch im Ruhestand ihrem aktiven Engagement für die Verankerung der Schulsozialarbeit an hessischen Schulen verpflichtet. An den Universitäten in Kassel und Frankfurt hatten sie in Forschung und Lehre dazu beigetragen, dass in den siebziger Jahren an mehreren hessischen Schulen die Schulsozialarbeit erprobt und dauerhaft etabliert wurde. Gegen die Pläne der hessischen Landesregierung, diese als Modellprojek-

Hessen hat Schulsozialarbeit seit den achtziger Jahren in Form einzelner Projekte gefördert. Die zur Verfügung gestellten Mittel betrugen nur 350.000 bis 400.000 Euro, waren also stets unzureichend. Vereinbarungen des Landes mit außerschulischen Trägern für die Schulen in der Stadt und im Landkreis Kassel, in Frankfurt, im Landkreis DarmstadtDieburg, in Wiesbaden und Offenbach wurden zum 31. 7. 2015 gekündigt. Damit ist der Fortbestand von Schulsozialarbeit in hohem Maße in Frage gestellt. Der Petition schlossen sich bis Anfang Mai 12.118 Personen an, davon 9.772 aus Hessen. Die starke positive Resonanz werten die Initiatoren als Beleg dafür, „dass Schulsozialarbeit bei Lehrern, Schulleitern, Sozialarbeitern, Eltern und Schülern wertgeschätzt wird und unverzichtbar ist“. Unterstützung gab es auch von der GEW Hessen, der Bundesarbeitsgemeinschaft katholischer Jugendsozialarbeit (BAKJ), der Arbeiterwohlfahrt, dem verdi-Landesverband und der Landtagsfraktion der SPD. Auch 60 Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer von Universitäten und Fachhochschulen aus ganz Deutschland haben die Petition unterzeichnet. Viele Unterzeichnerinnen und Unterzeichner nutzten die Gelegenheit, besondere Leistungen der Schulsozialarbeit hervorzuheben: • Schulsozialarbeit bietet insbesondere bei akuten Krisen einen niedrigschwelligen und unbürokratischen Zugang zum Beratungsangebot. • Sie hilft den Schulen, neue Aufgaben wie die Förderung von Flüchtlingskindern besser bewältigen zu können. • Sie trägt dazu bei, die Quote der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher zu verringern und den Übergang Schule – Beruf erfolgreich zu begleiten. Ende April baten Wilma AdenGrossmann und Gerd Iben den hessi-

te gestarteten und vom Land Hessen finanzierten Angebote abzuwickeln, initiierten Wilma Aden-Grossmann und Gerd Iben die Petition „Weiterförderung von Schulsozialarbeit in Hessen“. Darin protestieren sie gegen die Verlagerung der Landesmittel zur Förderung von Schulsozialarbeit und gegen den Rückzug des Landes aus der Verantwortung und fordern einen flächendeckenden Ausbau von Schulsozialarbeit und die hierfür notwendigen finanziellen Mittel.

schen Kultusminister Alexander Lorz (CDU) um einen Termin für die Übergabe und Erläuterung der Petition. Bis zum Redaktionsschluss dieser HLZ Mitte Juni lag noch keine Antwort vor.

Eine eigenständige Aufgabe Mit einem Beschluss ihres Landesvorstands forderte auch die GEW Hessen erneut „eine bessere Versorgung der Schulen durch Schulsozialarbeit gemäß Sozialgesetzbuch VIII“. An der Finanzierung müsse sich auch das Land Hessen weiterhin beteiligen und darüber hinaus neue Maßnahmen der Kommunen und Kreise finanziell unterstützen. Die Ressourcen müssen erheblich ausgeweitet werden. Die GEW Hessen hält es für völlig unakzeptabel, dass das Kultusministerium auf die Kritik an den Kürzungen bei der Schulsozialarbeit jetzt auch in der Antwort auf eine Anfrage im Landtag mit dem Hinweis auf die „Unterrichts-

unterstützende sozialpädagogische Förderung“ (USF) reagiert. Seit diesem Schuljahr können Schulen aus dem Zuschlag zur Grundunterrichtsversorgung Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen als Beschäftigte des Landes einstellen, die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer unterrichtlichen Arbeit sozialpädagogisch unterstützen. Moni Frobel, Leiterin des Referats Sozialpädagogik im GEW-Landesvorstand, hat in der HLZ 5/2015 (Seite 33) eindringlich auf die Unterschiede zwischen Schulsozialarbeit und einer unterrichtsunterstützenden sozialpädagogischen Förderung hingewiesen. Schulsozialarbeit ist für die GEW eine „unabhängige soziale Arbeit in Schulen zum Wohle von Kindern und Jugendlichen im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe“. Diese Abgrenzung liegt auch dem Merkblatt des Hessischen Kultusministeriums zugrunde, das Teil der USF-Richtlinie ist (Amtsblatt 8/2014).

Die Petition im Wortlaut Sehr verehrter Herr Minister Lorz! Wir, die Unterzeichner, haben uns, z. T. seit nahezu fünf Jahrzehnten, um die Durchsetzung der Schulsozialarbeit als wesentlichem Bestandteil einer Bildungsreform bemüht. Wir haben dankbar die Unterstützung durch das Land begrüßt. Umso enttäuschter sind wir wegen der kurzsichtigen Verlagerung bzw. Streichung der bisherigen Landesmittel, die als Rückzug des Landes aus der Verantwortung für die Schulsozialarbeit verstanden werden muss. Es gibt keine wirksamere Unterstützung des Lernens als eine sozialpädagogische Bearbeitung der Probleme und Lebenssituationen, vor allem für sozial benachteiligte Gruppen, denen die Unterstützung durch ein betuchtes Eltern-

haus fehlt. Auch der gerade von (…) der Wirtschaft geforderte bessere Übergang von der Schule zur Arbeitswelt braucht dringend die bewährte Hilfe der Schulsozialarbeit. Oder sollten die positiven Ergebnisse z.B. der Ernst-Reuter-Schule II in Frankfurt mit der starken Senkung der Abbrecherquote nichts gelten? Der Rückzug des Landes kann nur als Abwertung dieser Erfolge und Anstrengungen aufgefasst werden. (...) Wir bitten dringend um die Rücknahme des ministeriellen Beschlusses und um eine Aufstockung der bisher zu bescheidenen Mittel für die Förderung der Schulsozialarbeit. Prof. em. Dr. Wilma Aden-Grossmann, Universität Kassel, und Prof. em. Dr. Gerd Iben, Universität Frankfurt

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J u g en d

HLZ 7–8/2015

Islamismus und Dschihadismus Zu den Ursachen von religiös motiviertem Extremismus Der folgende Beitrag stellt eine Kurzfassung der Ausführungen von Professor Benno Hafeneger bei der öffentlichen Anhörung im Hessischen Landtag am 16. Januar 2015 zu den Themen Islamismus und Salafismus dar. Die vollständige Fassung findet man auf der Homepage der GEW Hessen unter www.gew-hes-

Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive ist die empirische Erkenntnislage zu den Themen Salafismus, Islamismus und Dschihadismus noch sehr dünn. Wir bewegen uns im Feld von ersten (vorläufigen) Daten, ersten systematischen Überlegungen und plausiblen Begründungen für eine differenzierte Auseinandersetzung. Dabei fließen Überlegungen ein, die wir aus dem Feld der Rechtsextremismusforschung und über die rechte und rechtsextreme Jugendszene seit vielen Jahren gewonnen haben.

Salafismus in Deutschland Islamwissenschaftler haben wiederholt dargelegt, dass der Salafismus nicht monolithisch und keine geschlossene politisch-religiöse Bewegung ist, sondern auch diese radikale Erscheinung der islamischen Religion und Kultur ein komplexes und vielschichtiges Gebilde ist. Gemeinsam sind ihm ein „archaischer, wahrer Islam“ und „eine frühislamische Welt“, die die unterschiedlichen Strömungen in ihrer manichäischen Ablehnung von Demokratie, Pluralismus und „sündigen westlichen Werten“ prinzipiell einigen. Bei über vier Millionen Muslimen in Deutschland ist

sen.de > Aktuell > Themen > Islamismus. Der Marburger Erziehungswissenschaftler, der sich regelmäßig auch in der HLZ zu Wort meldet, hat sich vor allem mit seinen Studien zum Rechtsextremismus in Hessen und zur rechtsradikalen Jugendszene einen Namen gemacht.

die Zahl von einigen Tausend Salafisten überschaubar und eine kleine Gruppe. Insgesamt wird die Zahl der als „gefährlich“ geltenden Personen in Deutschland auf mehrere Hundert geschätzt. Mit dem extremistischen Salafismus, Islamismus und Dschihadismus haben wir es in Deutschland wie auch in anderen Ländern wie England, Frankreich und Belgien mit einem jungen, neuen und transnationalen Phänomen einer neosalafistischen Jugendbewegung zu tun. Neben Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund gehören auch Deutsche ohne Migrationshintergrund, die zum Islam konvertiert sind, zur salafistischen Szene. Zu ihren Aktivitäten gehören die predigende Religionsausübung, die politisch-ideologische Propaganda und Agitation. Am Ende von Radikalisierungsprozessen steht die Bereitschaft als „Kämpfer“ nach Syrien und in den Nordirak in den „Heiligen Krieg“ zu ziehen, zu töten und sich töten zu lassen. Weltweit gab es Ende 2014 etwa 16.000 Auslandskämpfer in Syrien und Nordirak. Davon kommen etwa 3.000 aus Westeuropa, darunter 550 aus Deutschland, unter ihnen 115 Frauen.

Materialien zur Prävention Jugendliche schließen sich radikalen Dschihadisten an. Moscheen brennen und Rechtsextremisten machen gegen Salafisten mobil. Die Lage ist verwirrend und beunruhigt Eltern und Päda­ goginnen und Pädagogen. Zu Recht, denn die Konflikte haben längst die Schulen und Jugendeinrichtungen erreicht. Mit dem Präventionspaket „Islamismus, Salafismus, Muslimfeindlichkeit“ hat die Bundeskoordination von

„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Materialien entwickelt, die Interessierte unterstützen, diese komplexen Themen aufzugreifen. Das Materialpaket enthält das Handbuch „Islam & Schule“, das Themenheft „Islam & Ich“ und zwei Plakate. • Bestellung des Präventionspakets und weiterer Veröffentlichungen des Netzwerks „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“: http://courageshop.schule-ohne-rassismus.org/

Die Salafistenszene wird in Deutschland meist mit vier Merkmalen charakterisiert: männlich, muslimisch, migrantischer Hintergrund und prekäre soziale Lage (Desintegration). Zugleich zeigen Erfahrungen aus Beratungsstellen, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwar aus allen Schichten kommen, aber vor allem männliche Jugendliche aus Familien mit Gewalterfahrungen ein entsprechendes Männlichkeitsbild haben und dazu neigen, Konflikte mit Gewalt lösen zu wollen. Hier gibt es Parallelen zur rechtsextremen Szene.

Jugendzeit als prekäre Phase In allen Gesellschaften gilt die Jugendzeit als eine höchst prekäre und gefährdete Entwicklungsphase, die mit Identitätsbildung, Suchprozessen und Übergängen verbunden ist. Sie ist die Zeit von „Sinnkonstruktionen“ auf der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. Dies alles findet unter den jeweiligen ökonomischen, kulturellen und sozialen Bedingungen und Ressourcen statt, die Jugendlichen und ihren Familien zur Verfügung stehen und die die Gesellschaft zur Verfügung stellt. Dass dabei die Chancen unterschiedlich verteilt sind, hat die Bildungsforschung in den letzten Jahren vielfältig belegt. Männliche und weibliche Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund bzw. Zuwanderungsgeschichte sind mit weiteren biografischen Anforderungen, Belastungsmomenten und Entwicklungsherausforderungen konfrontiert, die als Spannungsverhältnisse, Akkulturationsstress und lebensweltliche Verunsicherungen – auch verbunden mit Identitätsbedrohung und gebrochenem Selbstbild – beschrieben werden. Es ist ein Aufwachsen im multikulturellen Kontext, in der Herausbildung „ethnischer Identität“ (als Zugehörig-

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keit zu einer Minderheit), einem Leben in eigenkulturellen Welten (Familie) und in mehrheitskulturellen Welten (Normen und Werte westlicher Gesellschaft und Zugehörigkeit zur Mehrheitskultur) zugleich. Junge Muslime stehen in Deutschland wie in anderen westlichen Ländern vor der Aufgabe, ihre biografischen Lebensentwürfe, ihre Orientierungen und Weltanschauungen, ihre sozialen und kulturellen Identitäten im Spannungsfeld zwischen den Einflüssen und Erwartungen der Herkunftsmilieus und denen der bundesdeutschen Gesellschaft zu entwickeln. Solche Identitätsentwürfe können produktiv sein, gelingen und eine Chance sein, sie können aber auch misslingen, weil die Belastungen und Überforderung dominieren. In muslimischen Familien konfrontieren Kinder, die mit Salafisten in Kontakt kommen, ihre Eltern und stellen in den Abgrenzungsprozessen deren Lebensweise in Frage. Sie kritisieren sie entweder für ihre „falsche“ oder fehlende Religiösität oder für ihre weltliche Lebensweise. Sie wenden sich von ihnen ab und gehen den Weg einer folgenreichen und bedrohlichen Radikalisierung. Jugendliche und junge Erwachsene, die hier zwischen traditioneller, autoritärer Familie und westlich-liberaler Kultur aufgewachsen sind, sind besonders empfänglich für den Diskurs des dschihadistischen Salafismus, der die westliche Welt, deren Lebensweise und Werte radikal ablehnt.

Zugehörigkeit und Anerkennung Die Zugehörigkeit und Anerkennung von Gleichaltrigen und vor allem von Älteren („Brüdern“) in der Szene, die Verständnis für die negativen, ausgrenzenden und abwertenden Erfahrungen, für die Fragen und Probleme der Jugendlichen anbieten und diese deuten, die ihre eigene Biografie erzählen und neuen Sinn anbieten, machen die „Welt der radikalen Subkultur“ attraktiv. Hier erfahren sie autoritäre und rigide Formen der Anerkennung und Einbindung, Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühle sowie Aufgaben in einer klaren Ordnung, die mit eindeutigen Identitätsangeboten als Muslim einhergehen. Diese Merkmale entsprechen mit ihren einbindenden und radikalisierenden Prozessen den Erkenntnissen, die über die Cliquen und Kameradschaften in der rechtsextremen Szene vorliegen.

S a l a fismus

Insgesamt sind die Moscheen für die meisten westlich-kulturell aufgewachsenen jungen Leute nicht attraktiv und sie erreichen sie mit ihren Angeboten kaum. Sie sprechen vor allem deutsch und kaum noch die Sprache ihrer Eltern oder Großeltern. Der Salafismus ist die einzige islamische Richtung, die sie in deutscher Sprache und auch in ihrer Jugendsprache anspricht. Dabei werden in der politischen Propaganda vor allem auch Medien und popkulturelle Elemente wie Videoclips, Internet, Fotos, Lieder, Hip-Hop-Sprechgesang, TShirts oder der „Supermuslim“ genutzt und eingesetzt.

Prävention und Ausstieg In der Auseinandersetzung mit dem Salafismus unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen geht es um Prävention, Intervention und Repression, um Deradikalisierung und einen öffentlich-aufklärenden Diskurs. Bisher sind vor allem in Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie mit der Bundesförderung erste Programme im Bereich Prävention, von Anlauf- und Beratungsstellen für Eltern, Angehörige, Freunde und Lehrkräfte initiiert und aufgelegt worden: • Der Bund stellt staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen 2,5 Millionen Euro zur Verfügung, das Programm des BMFSFJ gegen Extremismus ist 2015 um 10 Millionen Euro erhöht worden; hier geht es vor allem um Aufklärungs- und Bildungsprojekte. • In Hessen gibt es seit Herbst 2014 das „Präventionsnetzwerk gegen Salafismus“ in Kooperation mit dem Projektpartner „Violence Prevention Network“ (VPN) mit einer zentralen Beratungsstelle in Frankfurt. • In Nordrhein-Westfalen gibt es mit dem Pilotprojekt „Wegweiser – gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus“ erste Anlaufstellen in Bonn, Düsseldorf und Bochum. • Eine weitere Anlaufstelle ist die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF). Es gibt einen weiteren erheblichen Bedarf in den Bereichen Prävention, Beratung, Begleitung und Ausstieg. Für deren Entwicklung geben die Erfahrungen aus den Programmen, die in den letzten Jahren in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gewonnen wurden, wichtige und hilfreiche Hinweise. Unterstützung benötigen

HLZ-Autor Benno Hafeneger fordert, auch in der schulischen Bildung ein aufklärenddifferenziertes Bild der rund vier Millionen Muslime in Deutschland zu vermitteln. (Foto: Bert Butzke)

auch die Moscheegemeinden für den Aufbau einer professionellen Jugendund Sozialarbeit. Die Ausstiegsbegleitung und Betreuung von ausstiegsbereiten „Fanboys“ und „Rückkehrern“ ist – neben den sicherheitspolitischen Einschätzungen und Herausforderungen – auch eine pädagogisch-beratende und psychologische Aufgabe und Herausforderung. Hier geht es um langfristige Prozesse, die einer kompetenten Professionalität bedürfen und den ausstiegsbereiten Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine „zweite Chance“ geben. Außerdem brauchen wir den Ausbau und die Professionalisierung von Beratungsangeboten für Kindertagesstätten und Schulen, Eltern, Kommunen und Jugendarbeit sowie für ratsuchende Jugendliche „im Sog der Radikalisierung“. Allgemein gilt es, in der schulischen Bildung und den außerschulischen Bildungsprogrammen der Jugend- und Erwachsenenbildung ein aufklärend-differenziertes Bild der rund vier Millionen Muslime in Deutschland zu vermitteln. Prof. Dr. Benno Hafeneger Philipps-Universität Marburg

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M usis c he B il d un g

HLZ 7–8/2015

Heute schon getanzt? Gabriele Frydrych schwärmt von ihrer Leidenschaft HLZ-Autorin Gabriele Frydrych, die die Leserinnen und Leser der HLZ seit über 15 Jahren mit ihrem „Spot(t)light“ erfreut, ist bekanntlich nicht nur eine genaue Chronistin unseres täglichen privaten und beruflichen Irrsinns, sondern auch eine begeisterte

Tänzerin und Tanzlehrerin. Grund genug, sie auch einmal mit dieser Seite ihres Lebens mit einem „Plädoyer für den Tanz“ zu Wort kommen zu lassen. Dabei berichtet sie nicht nur über große Events in Berlin, sondern hat sich auch in Hessen umgehört.

Dirndl, Holzschuhe, fliegende Röcke, dralle Mädels, stramme Männerwaden, ältere Herrschaften, nur betrunken zu ertragen, Faschismus – das fällt vielen spontan zum Begriff „Volkstanz“ ein. Aber im Urlaub wehmütig zusehen, wenn griechische Männer vorm Sonnenuntergang Hassapikos tanzen, wenn auf einer türkischen Hochzeit alle ohne Ausnahme beim Halay Spaß haben. Oder auf Dorffesten in Frankreich, Schweden und Spanien erstaunt konstatieren, dass in anderen Ländern Volkstanz nicht ideologisch kontaminiert ist und Jung und Alt sichtlich Freude macht. Aber da ist es ja auch „Folklore“, kein spießiger „Volkstanz“. Der Begriff „Folklore“ ruft eher solche Assoziationen hervor wie Live-Musik, Fest, Gemeinschaft, Fröhlichkeit.

lich? Dafür bin ich extra in die Schule gekommen!“ Von so einer positiven Erwartungshaltung berichten viele Kollegen und Kolleginnen, die in Berlin seit Jahren „Tänze aus vielen Ländern“ unterrichten. Und das in einer bemerkenswerten Vielfalt: Tänze aus Israel, Rumänien, Russland, Schottland, Armenien, Ungarn, Serbien usw. Tänze im Kreis, in Reihen, in Gassen und paarweise. Square Dance, Line Dance, Rounds, Mixer, Debkas, Horas, Quadrillen. Es ist durchaus auch mühsam, Kinder zu Tänzen zu bewegen, mit denen sie sich von allein nicht befassen würden. Aber freiwillig würde auch kaum ein Schüler „Emilia Galotti“ lesen oder „Die vier Jahreszeiten“ hören…

Berliner „Brennpunktgören“

Am liebsten tanzen Kinder und Jugendliche zu „ihrer aktuellen Musik“ und denken sich selber Choreographien dazu aus. Aber es ist verblüffend, wie stolz sie sind, wenn eine Square-Formation (zu Musik der 50er Jahre) das erste Mal klappt. Beim Square Dance müssen vier Paare gemeinsam „funktio­­ nieren“ – eine Teamarbeit im wahrs-

Freude und Spaß versprechen sich auch die Berliner „Brennpunktgören“, die ungeduldig vor der Aula warten. Sie wollen Unterricht – und zwar sofort! Ein „verhaltensorigineller“ Achtklässler fragt die Lehrerin, die den Ghettoblaster anschleppt: „Wann tanzen wir end-

Tanzunterricht lohnt sich

ten Sinne des Wortes. Etliche Tänze aus Griechenland, Armenien oder Israel werden mit der Zeit solche Ohrwürmer, dass sie jede Stunde gewünscht werden. Das gemeinsame Erleben bei einem Kreistanz lässt viele Schülerinnen und Schüler, so kitschig es klingt, dermaßen strahlen, wie sie es beim Einzeltanz in Formationen nie tun. Allerdings muss man anfangs ein wenig darum kämpfen, damit die Kinder bereit sind, sich überhaupt anzufassen... Etliche Lehrkräfte berichten, dass ihre Gruppen beim Tanzen wie ausgewechselt seien. Sie gingen nett und weniger aggressiv miteinander um und würden sich gegenseitig zur Ruhe mahnen, damit der Unterricht weitergeht. In tanzenden Klassen wird das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen mit der Zeit unverkrampfter und lockerer, die Klassengemeinschaft verbessert sich deutlich. Im Musikunterricht lassen sich beim Tanzen musikalische Grundkenntnisse weitaus schneller und effektiver vermitteln als durch eine klassische Querflöten- oder Geigenausbildung der Lehrkraft. Mittlerweile gehört Tanzen in Berlin und in Hessen zur Ausbildung von Musiklehrern. Man muss dafür kein Balletttänzer sein – auch Laien sind schnell in der Lage, einfache Kreis­ tänze und Mixer beizubringen.

Tanzen bildet

„Dance for Friends“ ist eine Veranstaltung der LAG Tanz Schleswig-Holstein, bei der 400 Mitwirkende Tänze aller Stilrichtungen

auf der Bühne präsentieren. Es gibt keine Wertungen und Preise, man tanzt „für sich“ und für das Publikum. (www.lag-tanz-sh.de)

„Beim strukturierten Tanz in der Gemeinschaft werden neben Körperkoordination und Kooperation besonders auch die Gefühle der Menschen angesprochen: Unterstützt werden und auch Hilfe anbieten können sind bedeutende Werte, die in Urspungsländern wie Griechenland einen festen Platz im gesellschaftlichen Leben haben und im gemeinsamen Tanz ein wichtiges Ausdruckselement finden. Diese kulturelle Selbstverständlichkeit des Balkans erfährt bei uns seit den 1970er Jahren mit Bernhard Wosiens Kreistanzbewegung eine Wiederentdeckung.“ (Fido Wagler, LAG Tanz Hessen)

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Kolleginnnen und Kollegen anderer Fächer halten Tanzen manchmal für läppisch: In der Schule müsse man Tests schreiben und Vokabeln lernen, alles andere sei kein ordentlicher Unterricht. Was manchmal so einfach aussieht, erfordert jedoch Konzentration, Rhythmusgefühl und Übung. Das merken Eltern und Kollegen dann selber, wenn sie bei Schulfesten zu einfachen Mitmachtänzen aufgefordert werden und schnell überfordert wirken.

„Kein gesunder Mensch tanzt!“ „Kein gesunder Mensch tanzt.“ Das hat angeblich Cicero gesagt. Heute würden ihm Mediziner, Tanzpädagogen und alle, die gern tanzen, energisch widersprechen. Tanz dient der Gesundheit, ist gut für Körper und Seele. Im Grunde ist jede Art der Bewegung nützlich. Aber „Tanzen ist Leben“, erklärt Gunter Kreutz, Musikkognitionsforscher an der Uni Oldenburg. Und „Wer laufen kann, kann auch tanzen!“, sagt Dagmar Gräf, Tanzpädagogin in Berlin, die von Zweijährigen bis hin zu 75-jährigen alle zum Tanzen bringt, von „Häschen in der Grube“ bis hin zur Tarantella. Tanz bringt die Generationen und Geschlechter zusammen. Tanz ist gut fürs Selbstbewusstsein, schult Koordination, Rhythmusgefühl und Schnelligkeit. Tanz entspannt, tut der Psyche gut und wirkt gegen Alltagsstress. Wer musiziert, singt und tanzt, verbessert die verbale Merkfähigkeit. Tanzen wird gern unterschätzt, dabei beansprucht es Motorik, Aufmerksamkeit, Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis. Und natürlich ist es nicht nur für Kinder und Jugendliche wichtig, sondern auch für Erwachsene. Tanz kann bei Krankheiten Therapie und Heilmittel sein.

Adressen für Hessen • Landesarbeitsgemeinschaft Tanz: www.lag-tanz-hessen.de. Hier kann man sich übrigens als Tanzleiterin oder Tanzleiter ausbilden lassen. • Burg Fürsteneck in Eiterfeld, Akademie für berufliche und musisch-kulturelle Weiterbildung: www.burg-fuersteneck.de. Auch hier gibt es spezielle Lehrerfortbildungen, Tanzleiterausbildung und Tanzkurse für alle Interessierten. • Jede Menge Infos und Termine findet man bei Fido Waglers „Tanz-All-Tag“ in Marburg: www.tanz-all-tag.de • Termine, Aktivitäten, die „Folkmail“ und Diskussionsforen beim Folkclub Frankfurt: www.folkclubfrankfurt.de

Auch Berliner Bezirksbürgermeister tanzen mit bei „Tanz in der Schule – Tänze aus aller Welt“. In einer großen Sporthalle tummeln sich an drei Nachmittagen 2.000

Kinder und Jugendliche aus 70 Berliner Grund- und Oberschulen sowie Gäste aus Brandenburg, Bayern und Niedersachsen. (Foto: Haase-Fotografie)

Im Sport- und Tanzunterricht merkt man den Bewegungsmangel heutiger Kinder besonders deutlich. Manche können nicht rückwärts laufen oder klagen schon bei einer einzigen Drehung über Schwindelgefühle. Ein flotter israelischer Kreistanz – und sie sinken erschöpft auf die Bank. Vielen Kindern und Jugendlichen liegt gezieltes Üben nicht, sie geben sich schnell mit scheinbaren Erfolgen zufrieden. Beim Tanzen lernen sie Ausdauer und Beharrlichkeit.

Es geht nicht um Wettbewerb, Bühnenpräsentation und Spitzenleistung, sondern um das Miteinander verschiedenster Kinder und Jugendlicher. Immerhin kommen regelmäßig zwei Berliner Bezirksbürgermeister und tanzen die Eröffnungspolonaise mit. Sie wollen damit das große Engagement aller Beteiligten würdigen.

Der Bürgermeister tanzt mit Ihren Höhepunkt findet die Arbeit der Berliner „Tanzmeister“ bei den Musischen Wochen „Tanz in der Schule – Tänze aus aller Welt“. In diesem Jahr zum 41. Mal. In einer großen Sporthalle tummeln sich an drei Nachmittagen rund 2.000 Kinder und Jugendliche aus 70 Berliner Grund- und Oberschulen. „Gastgruppen“ reisen aus Brandenburg, Bayern und Niedersachsen an. Hier findet Inklusion behinderter Kinder ohne große Proklamationen statt. Dieses große Tanzfest ist bundesweit einmalig. Eigentlich schade, dass es dabei immer so friedlich zugeht – die Presse würde sicher häufiger mal vorbeischauen, wenn es ein paar Prügeleien und Verletzte gäbe. Aber 2.000 Kinder, die Folklore tanzen? Nicht spektakulär genug, zu langweilig, wenn kein Stardirigent und keine Starchoreographin es initiiert haben, sondern nur einfache Lehrer… Und dabei geschieht hier gerade das, was Bildungsexperten und Journalisten ständig fordern: Teamarbeit, Toleranz, Integration, multikulturelle Annäherung. Alle können mitmachen, niemand wird wegen falscher Körpermaße oder ungeschickter Schritte aussortiert.

Und wo tanzt Hessen? Auch in Hessen ist Tanz in den Schulen verankert: im Sport- und Musikunterricht. Fido Wagler, der 2. Vorsitzende der LAG Tanz Hessen und Lehrer in Marburg, wünscht sich, dass Tanz viel mehr im Alltag repräsentiert wäre: auf Märkten und Plätzen und in möglichst vielen Schulfächern. Z. B. wenn Goethes Werther zum Ball geht, wenn in „Pride und Prejudice“ Kontratänze vorkommen, wenn in Geschichte der Adel im Schloss seine Menuette aufführt, in der Walpurgisnacht in Goethes „Faust“ die Hexen feiern, kann man seine Klassen dazu passend tanzen lassen. Sogar in Physik, beim Thema Magnetismus, hat eine hessische Kollegin ihren Kurs zum Tanzen gebracht. Vielen Kindern fehlen heute im Alltag feste Strukturen. Sie seien beim gebundenen Tanz mit seinen verbindlichen Formen gut aufgehoben, meint Fido Wagler. Musizieren und sich zur Musik bewegen hält Wagler, der von 1986 bis 2005 als Motologe in einer Schule für Erziehungshilfe und Kranke gearbeitet hat, für das Nonplusultra in der kindlichen Entwicklung. Auch in Hessen gibt es jede Menge Tanz- und Fortbildungsmöglichkeiten für internationale Folklore. Man muss dazu übrigens keine Holzschuhe und Dirndl anziehen… Gabriele Frydrych

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R e c ht

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Elternzeit neu geregelt Informationen aus der Landesrechtsstelle der GEW Für ab dem 1. Juli 2015 geborene Kinder enthält das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) einige Neuregelungen zur Inanspruchnahme der Elternzeit. Diese Regelungen gelten nach § 7 der Hessischen Mutterschutz- und Elternzeitverordnung (HMuSchEltZVO) – wie bisher – auch für Beamtinnen und Beamte. Außerdem wurde das sogenannte „Elterngeld Plus“ eingeführt.

Anspruch auf Elternzeit

Beide Elternteile haben weiterhin einen Anspruch auf drei Jahre Elternzeit. Diese drei Jahre können von jedem Elternteil ganz oder teilweise in Anspruch genommen werden, auch wenn sich die Zeiträume überschneiden. Der Anspruch im Umfang von drei Jahren besteht außerdem auch dann, wenn sich dieser mit der Elternzeit für ein anderes Kind überschneidet. Die bisherigen Regelungen sahen vor, dass ein Anteil dieser Elternzeit von bis zu zwölf Monaten auf Antrag übertragen werden kann. Diese übertragene Elternzeit kann bis zum vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden. Nach dem neuen § 15 Abs. 2 BEEG kann ein Anteil von bis zu 24 Monaten Elternzeit zwischen dem dritten und dem vollendeten achten Lebensjahr genommen werden. Ein Antrag auf Übertragung ist nicht mehr erforderlich.

Inanspruchnahme und Aufteilung der Elternzeit

Die Elternzeit muss spätestens sieben Wochen vor dem gewünschten Beginn schriftlich beantragt werden. Neu aufgenommen wurde, dass die Inanspruchnahme der Elternzeit zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr mit einer Frist von 13 Wochen beantragt werden muss (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 BEEG). Bisher gab es für die Inanspruchnahme der „übertragenen Elternzeit“ keine eigene Fristenregelung. Für alle Fristen gilt, dass bei „dringenden Gründen“ ausnahmsweise auch eine angemessene kürzere Frist möglich ist.

Nicht geändert hat sich die Vorgabe, dass bei der Beantragung verbindlich festgelegt werden muss, in welchen Zeiträumen innerhalb der ersten zwei Lebensjahre des Kindes Elternzeit beansprucht wird. Dabei kann die Elternzeit für jeden Elternteil auf bis zu drei Zeitabschnitte verteilt werden (bisher zwei). Der Arbeitgeber oder Dienstherr kann die Inanspruchnahme eines dritten Abschnitts zwischen dem dritten Geburtstag und vollendeten achten Lebensjahr aus dringenden betrieblichen oder dienstlichen Gründen ablehnen. In den ersten drei Lebensjahren des Kindes sind die Eltern somit in der Gestaltung der Elternzeit relativ frei. Allerdings muss der Arbeitgeber oder Dienstherr „rechtsmissbräuchlich“ gestellte Anträge nicht genehmigen. Für Beschäftigte im Schul-, Kita- und Hochschulbereich kann es insoweit zu Problemen im Zusammenhang mit Schul- beziehungsweise Semesterferien kommen. Eltern haben keinen Anspruch darauf, die Elternzeit „absichtlich“ so zu gestalten, dass ein möglichst hoher Anteil (bezahlter) Ferien außerhalb der Elternzeit liegt. Andererseits kann der Arbeitgeber oder Dienstherr nicht verlangen, dass „besonders“ auf die Ferienzeit Rücksicht genommen wird oder, was zum Teil tatsächlich durch Schulämter kommuniziert wurde, dass sich Elternzeit an den Schulhalbjahren zu orientieren habe. Eine Aufteilung auf weitere Abschnitte ist genauso wie eine spätere Verlängerung oder Verkürzung der Elternzeit von der Zustimmung des Arbeitgebers oder Dienstherrn abhängig. Im Schulbereich ist nach unserer Erfahrung eine Verlängerung der Elternzeit in der Regel unproblematisch.

Basiselterngeld

Die bisherigen Regelungen zum Elterngeld bleiben unverändert. Dies bedeutet, dass zunächst ein Anspruch auf dieses „Basiselterngeld“ im Umfang von zwölf Monatsbeträgen besteht (§ 4 Abs. 4 BEEG). Diese zwölf Monatsbeträge können von einem Elternteil allein in Anspruch genommen oder zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt werden. Nehmen beide Elternteile mindestens

zwei Monate Elternzeit, besteht ein Anspruch auf 14 Monatsbeträge. Auch Alleinerziehenden stehen 14 Monate Elterngeld zu. Die Eltern können das Elterngeld abwechselnd oder gleichzeitig beziehen. Das Elterngeld wird in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes gezahlt und kann maximal bis zum vollendeten 14. Lebensmonat des Kindes bezogen werden. Wird die Elternzeit im Anschluss an den Mutterschutz genommen, wird das in diesem Zeitraum gezahlte Entgelt beziehungsweise die gezahlte Besoldung angerechnet.

Elterngeld Plus

Eltern, die während des Elterngeldbezugs einer „unschädlichen Teilzeitbeschäftigung“ von maximal 30 Zeitstunden pro Woche nachgegangen sind, erlitten bisher dadurch Nachteile beim Elterngeld, dass das Einkommen auf das Elterngeld angerechnet wird. Dies soll sich nun durch das Elterngeld Plus ändern. Eltern können einmalig wählen, ob und für welche Zeiträume sie Basiselterngeld oder Elterngeld Plus in Anspruch nehmen möchten. Nur für die Zeit des Mutterschutzes besteht keine Möglichkeit, Elterngeld Plus zu wählen. Elterngeld Plus bedeutet, dass Eltern, statt für einen Monat Elterngeld zu beanspruchen, diesen Betrag jeweils zwei Monate lang beziehen können. Der maximale Bezugszeitraum verlängert sich daher auf 24 bzw. 28 Monate. Das Elterngeld Plus beträgt maximal die Hälfte des Basiselterngeldes, das ohne Anrechnung von Einkommen zu zahlen wäre. Eine Anrechnung von Einkommen während des Bezugs von Elterngeld Plus erfolgt nicht. Das zuständige Bundesministerium hat unter www.elterngeldplus.de hilfreiche Informationen zu Elternzeit und Elterngeld veröffentlicht. Dort befindet sich auch ein Elterngeldrechner. In Hessen sind die Ämter für Versorgung und Soziales („Versorgungsämter“) für die Auszahlung des Elterngeldes zuständig. Annette Loycke

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Abenteuer Archäologie Lernen im Keltenmuseum Welcher stammt von einem Mann, welcher von einer Frau? Thomas Lessig-Weller hält zwei Beckenknochen in den Händen. Die Arbeit von Archäologen gleicht manchmal der von Gerichtsmedizinern. Oder der von Botanikern, wenn es gilt, aus winzigen Samenresten eine Pflanze zu bestimmen. Lessig-Weller ist der Museumspädagoge des Keltenmuseums auf dem Glauberg. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, Schülerinnnen und Schülern die Arbeit von Archäologen zu vermitteln. Allerdings finden bisher nur wenige Schulklassen den Weg zu Hessens schönstgelegenem Museum. „Die Kelten sind in den Lehrplänen nicht berücksichtigt“, beklagt Lessig-Weller. In den Lehrbüchern folgten auf die Steinzeit gleich die Ägypter. Es gebe jedoch genügend Möglichkeiten, einen Besuch im Keltenmuseum an den Unterricht „anzudocken“ oder in eine Projektwoche einzubauen, sagt der Museumspädagoge. Für neun Millionen Euro hat das Land Hessen die Ausstellungsstätte auf dem Glauberg errichtet. Dort war vor knapp 20 Jahren ein Sensationsfund gemacht worden: Im Juni 1996 war das Grab eines Keltenfürsten mit einer gut erhaltenen Statue und vielen Grabbeigaben entdeckt worden. Am 5. Mai 2011 wurde das Museum eröffnet. Wie ein Fernglas ist das rostbraune Gebäude auf den mächtigen Grabhügel gerichtet. Die Kelten hatten sich für die Bestattung ihres Fürsten einen prächtigen Ort gewählt: Der Glauberg mit seinem Hochplateau gehört zu den malerischsten Orten Hessens. Er war bis ins Mittelalter besiedelt und ist sagenumwoben und geheimnisvoll. Die Originalstatue des Fürsten steht im Zentrum der Ausstellung im Keltenmuseum. Mit seiner Blattkrone, die ihm Mickymaus-ähnliche Ohren verleiht, wirkt er seltsam vertraut. Ausgehend von den Funden am Glauberg wird die Geschichte der Kelten in Hessen erzählt und auf die Verbreitung der Völkergruppe in Europa geblickt. Zugleich wird die akribische Arbeit der Archäologen dargestellt, durch die die Welt der Kelten erschlossen wird.

„Nicht nur für den Geschichtsunterricht ist ein Besuch in unserem Museum interessant, er kann auch fächerübergreifend eingesetzt werden“, sagt Lessig-Weller. In einer Broschüre erläutert er, wie die Entdeckungen vom Glauberg in den Unterricht eingebaut werden können. In den Chemieunterricht etwa die alkoholische Gärung am Beispiel des Met, den die Kelten aus Honig brauten. In einer Röhrenkanne im Grab des Keltenfürsten hatte sich wahrscheinlich Met befunden. Im Schulgarten könnte nachvollzogen werden, wie Archäologen am Graswuchs Mauerwerk unter der Erde erkennen: Wenige Zentimeter unter der Erde wird ein Muster aus Steinen gelegt. Die Steine werden mit Erde bedeckt, Gas wird ausgesät. Die Schüler können nun beobachten, wie sich die Steine auf den Grasbewuchs auswirken. Die Broschüre „Der Keltenfürst vom Glauberg und seine Welt“ richtet sich an „all jene, die erfahren möchten, mit welchen Methoden die Wissenschaftler versuchen, die Welt des ‚Keltenfürsten‘ zu enträtseln“.

Die Führung durch das Museum ist für die Schülerinnen und Schüler auch eine durch die Methoden der Archäologie. Die Führer haben in einem Rollkoffer Material bei sich, mit dem sie die Erkenntnisse der Archäologen demonstrieren. Die eingangs erwähnten Beckenknochen gehören ebenso dazu wie ein Pferdeknochen, um zu zeigen, wie der bestimmt werden kann, eine Decke und eine Fibel, um zu demonstrieren, wie sich die Kelten kleideten, und eine Lupe und Samen, um zu erklären, wie jahrtausendealte Pflanzen bestimmt werden. Mit dem Fragebogen „Enthüllungssache AZ 1/1996: Der Statuenfund vom Glauberg“ können sich die Schüler auf Spurensuche begeben. Da wird zum Beispiel gefragt: „Wann wurde die Steinfigur geschaffen? Sucht das Bild in der Ausstellung, lest den Text und ihr seid schlauer.“

In die Ausstellung selbst sind immer wieder lehrreiche Spiele eingebaut. An einem Bildschirm wird die geophysikalische Prospektion durchgespielt. Anhand eines Luftbildes kann

Foto: Bruno Rieb

der Glauberg Abschnitt für Abschnitt erforscht werden. Funde können zugeordnet werden. Der Computer gibt vier Antworten vor, die richtige muss ausgewählt werden. An einem anderen Bildschirm können Samenfragmente bestimmt werden. Ein Vergrößerungsglas wird auf ein winziges Stück Samen geschoben, das vielfach vergrößert auf einem Bildschirm erscheint. Mit Hilfe eines Bestimmungsbuches soll die Pflanze identifiziert werden, von der das Samenstück stammt. Der Computer sagt schließlich, ob richtig bestimmt wurde. In einem Workshop nach der Führung können die Schülerinnen und Schüler das Leben der Kelten nachspielen: Wie entzündeten sie Feuer? Welches Geschick mussten sie im Umgang mit ihren Waffen aufbringen? Wie fertigten sie ihre Kleidung? Zwei bis zweieinhalb Stunden dauern Führungen mitsamt Workshop. Schulklassen, die per Bahn nach Glauburg-Glauberg fahren, müssen vom Bahnhof aus einen Fußmarsch stramm bergauf von etwa 30 Minuten einkalkulieren. Zwei Klassen, die gemeinsam in einem Bus anreisen, können parallel durch das Museum geführt werden. Für Schulklassen öffnet das Museum bereits um 9 Uhr, die reguläre Öffnungszeit ist 10 Uhr. Führung einschließlich Workshop kostet pro Schüler fünf Euro, darin sind auch Material und Museumseintritt enthalten. Lehrkräfte, die mit ihren Klassen das Keltenmuseum besuchen wollen, können sich kostenlos die Broschüre „Der Keltenfürst vom Glauberg und seine Welt“ zusenden lassen. Bruno Rieb • Infos und Anmeldung: Tel. 060418233024, www.keltenwelt-glauberg.de

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J ubil a rinnen un d J ubil a re

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Wir gratulieren im Juli und August … ... zur 40-jährigen Mitgliedschaft: Stefan Amberg, Wiesen Adelheid Bachmayer, Frankfurt Martina Barnewold,Weiterstadt Wolfram Blöcher, Gudensberg Rainer Brähler, Frankfurt Ingrid Brauer-Stransky, Offenbach Barbara Brehm-Harnos, Kassel Jutta Breidenbach, Gelnhausen Frauke Brüggemann-Ebner, Schwalmstadt Monika Cordes, Neu-Isenburg Rita Ebert-Laser, Frankfurt Inge Ehmer, Philippsthal Helga Ehrke, Bruchköbel Herbert Engelhard, Bickenbach Martina Faltinat, Frankfurt Peter Feix, Grünberg Isolde Fladung-Rausch, Darmstadt Ursula Fokken, Wetzlar Ute Gentes, Frankfurt Ursula Giebel, Heidenrod-Wisper Dagmar Görting, Kelkheim Günther Grauel, Gudensberg Renate Grob, Frankfurt Sigrun Gronau, Frankfurt Gabriele Gruel, Wölfersheim Manfred Grün, Frankfurt Güllü Güngör, Frankfurt Anita Harff, Biebergemünd Gabriele Hecht-Sadlo, Bensheim Michael Heiny, Marburg Ingrid Herweg, Friedrichsdorf Rainer Hetzer, Lauterbach Rosemarie Hippe, Neu-Isenburg Christel Hoffmann, Oestrich-Winkel Karl Hohmann, Rasdorf Doris Jakobi, Freiburg Helga Jeckstadt, Rosdorf Judith Jost-von Hayn, Rosbach Christiane Keiner, Gießen Wolfgang Knab, Frankfurt Edeltraud Knapp, Niedernhausen Manuela Knauf-Belkheir, Bremen Christine Kranz, Romrod Ellen Lang-Petroll, Riedstadt Marianne Lurch-Hosanski, Oberursel Harald Maier-Metz, Marburg Rudolf Mänken, Homberg (Efze) Peter Mannshardt, Gladenbach Hannelore Marschall, Offenbach Gerhard Mulch, Wetzlar Hasso Oesterhelt, Wetzlar Franz Oppolzer, Ortenberg Monika Pachovsky-Kummer, Gladenbach Klaus Philipp, Darmstadt

Lothar Pienkny, Rauschenberg Hans-Jürgen Reining, Dillenburg Hartmut Reinl, Cölbe Joachim Reiss, Frankfurt Klaus Röbig, Kassel Wolfgang Sahm, Babenhausen Joachim Sauer, Mainz Ulrich Schäfer, Frankfurt Klaus Schmidt, Bad Hersfeld Udo Schoeler, Frankfurt Johannes Schönberger, Taunusstein Adelinde Schröder, Marburg Angelika Spreng Panico, Wiesbaden Walter Stahl, Selters Josef Staufer, Burghaun Monika Stoll-Schneider, Hofheim Else Trumpold, Büttelborn Helga Urban, Darmstadt Rosemarie Viehmann, Oberursel Barbara Volk, Marburg Wolfgang Wachtel, Rodgau Ursula Wagner-Erpel, Rimbach Erika Wannemacher, Fuldatal Christa Weber, Frankfurt Irmgard Wieczorek-Happ, Frankfurt Brigitte Wöhl, Babenhausen ... zur 50-jährigen Mitgliedschaft: Heinz Emde, Hasselroth Barbara Römer, Kassel Gerlinde Schütte, Frankfurt Oskar Walter, Nidderau ... zur 55-jährigen Mitgliedschaft: Wolfgang Burkert, Friedberg Gudrun Ebert, Großalmerode ... zur 60-jährigen Mitgliedschaft: Edmund Lorenz, Wartenberg ... zur 65-jährigen Mitgliedschaft: Alfred Schäfer, Homberg ... zum 75. Geburtstag: Jürgen Albrecht, Schauenburg Lothar Blauert, Grünberg Anneliese Bonn, Oberursel Klaus Bregler, Heidelberg Gisela Carrera, Hünstetten Wolfgang Caspar, Immenhausen Margret Christoforatos, Hofgeismar Harald Dank, Weilburg Jürgen Fries, Wiesbaden Ingrid Grün, Bad Soden Jutta Hancock, Bad Soden Peter Hartherz, Neu-Anspach Ekkehard Hinz, Hirschberg

Ingrid Hochhuth, Fuldatal Kurt Immelt, Gießen Horst Heinrich Jakob, Gießen Karl-Ludwig Küch, Wildeck Dieter Kuhn, Schlangenbad Siegfried Lohrey, Hüttenberg Kati Malkomes, Kaufungen Elke Maurer, Friedrichsdorf Irmgard Meitzner, Frankfurt Horst Miltner, Hohenroda Ernst Mühl, Reiskirchen Heribert Neuhaus, Frankfurt Heribert Pohlner, Großalmerode Eckhardt Prange, Borken Jürgen Sander, Offenbach Hans-Velten Schilling, Taunusstein Prof. Dr. Gerd Schirrmacher, Fulda Günther Schlosser, Wildeck Ilse Schrape, Biebertal Christa Statjeva, Marburg Heinz-Günter Waßmuth, Hatzfeld Volkmar Wirth, Wettenberg ... zum 80. Geburtstag: Günther Albrecht, Künzell Johannes Gross, Herleshausen Fritz Güde, Ottersweier Heinrich Jost, Frankfurt am Main Hans Pitteroff, Darmstadt Franz Tschiedel, Gernsheim Christel Wess, Rotenburg ... zum 85. Geburtstag: Hubertus Schurian, Kassel Erika Straub, Butzbach ... zum 91. Geburtstag: Werner Crecelius, Pohlheim Erika Peters, Groß-Umstadt Anneliese Weber, Haiger ... zum 92. Geburtstag: Gerhard Happel, Frankfurt Karl Manderla, Konstanz Lili Sturmfels, Darmstadt ... zum 93. Geburtstag: Hermann Pohlmann, Bad Arolsen Hans Schmidt, Rimbach ... zum 94. Geburtstag: Lorenz Knorr, Frankfurt

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M a g a zin

Wettbewerb „Meine Ausbildung“ Am 2. Juni fand im Hessischen Rundfunk die Siegerehrung im diesjährigen hr-Wettbewerb „Meine Ausbildung – Du führst Regie“ statt. Der Preis für den besten Film geht an die Schülerinnen und Schüler der Friedrich-August-Genth-Schule in Wächtersbach. Die Jury lobte ihren Film „Tanzschritte“ als ein „unbedingtes Plädoyer für Selbstbestimmtheit, wenn es um die eigenen Träume und Lebensziele geht“. Der mit 1.000 Euro dotierte Sonderpreis für Inklusion, gestiftet von der DGB-Jugend Hessen-Thüringen und den Hessischen Medienzentren, ging an den Film „Jung, hörgeschädigt … und?“ der Hermann-Schafft-Schule in Homberg/Efze. Vom 13. bis 17. Juli werden die erstplatzierten Filme des Wettbewerbs jeweils von 11 bis 11.30 Uhr im hr-fernsehen ausgestrahlt.

Bildung im Hessischen Rundfunk Auf der Seite www.wissen.hr-online. de findet man das aktuelle Bildungsprogramm des Hessischen Rundfunks im hr-fernsehen, im Hörfunk und auf hr-online sowie Begleitmaterial zu den Sendungen. Dort kann man den Newsletter wissen² abonnieren. „Wissen und mehr“, das Bildungsprogramm im hr fernsehen, wird montags bis freitags von 11 bis 11.30 Uhr gesendet. Vom 13. bis 17. Juli werden dort die erstplatzierten Filme des Wettbewerbs „Meine Ausbildung“ ausgestrahlt (siehe Foto). Auch die Hörfunksendungen „Wissenswert“ auf hr-iNFO eignen sich für die Schule. 15-Minuten-Beiträge gibt es samstags und sonntags um 20.15 Uhr, 30-Minuten-Sendungen sonntags um 7.35 Uhr mit Wiederholung sonntags um 15.35 Uhr, montags um 21.35 Uhr und am darauffolgenden Samstag um 17.05 Uhr. Im Juli geht es unter anderem um die folgenden Themen: • Flucht: 1945 und heute (18.7.) • Bioökonomie: Neue Konzepte zur Ausbeutung der Natur? (11.7.) • Keine Angst vor Viren. Das Hochsicherheitslabor in Marburg (25.7.) Die letzte Sendung des hr2-Kinderfunkkollegs Mathematik „Punkt, Komma, Strich!“ befasst sich am 11.7.2015 um 14.45 Uhr mit der Frage „Wann ist ein Spiel fair?“ Alle Sendungen zum Nachhören gibt es unter www.kinderfunkkolleg-mathematik.de.

Schülerinnen und Schüler der HermannSchafft-Schule mit hr-Redakteur Joachim Meißner (r.), Fabian Wagner (DGB-Jugend,

4.v.r.), Dr. Richard George (Medienzentren) und Lehrerin Heike Wenderhold (3.v.l.) (Foto: hr/Ben Knabe)

GEW spendet für Frauenhaus in Rivas in Nicaragua Die Offenbacher GEW unterhält seit den 90er Jahren eine Partnerschaft mit dem Frauenhaus in Rivas und unterstützt dieses mit Spenden und gegenseitigen Besuchen. Bei ihrem Besuch im September 2013 hatte Martha Bonilla das Projekt „albergue“ im Koffer, um mit Hilfe der GEW Offenbach und anderer Solidaritätsgruppen ein Frauenhaus als Zufluchtsstätte für misshandelte Frauen zu errichten (HLZ 11/2013). Doch das vorgesehene Grundstück liegt ausgerechnet in der Zone, die für den Bau eines zweiten Panamakanals durch Nicaragua beansprucht wird. Einen Ersatz

bot der Bürgermeister von Rivas nicht mehr an: Aus der Traum! Der Vorstand der GEW Offenbach beschloss deshalb, die bereits eingegangenen Spendengelder in Höhe von 7.000 Euro zur Renovierung des bestehenden Frauenhauses in Riva zur Verfügung zu stellen. Das Dach des Gebäudes soll mit diesem Geld repariert werden, die noch verbleibende Differenz von rund 1.000 Euro hat die Stadt Offenbach aus ihrem Städtepartnerschaftsetat draufgelegt. • Weitere Auskünfte gibt Wolfgang Christian, GEW Offenbach (teichchrist@ t-online.de).

GEW Homberg: Neuer Vorstand Am 27. Mai gab der Kreisvorstand der GEW Homberg/Efze seinen Jahresrückblick auf die Tätigkeiten und Aktionen im Kreis. Dazu gehörten eine Wanderung um den Borkener See, eine Fahrt zum Kasseler Weihnachtsmarkt, eine Veranstaltung zur Pensionsberechnung sowie eine Streikschulung. Der Kreisvorstand musste aufgrund gestiegener Arbeitsbelastung neu aufgestellt werden. Vorsitzender Sebastian Schackert und Stellvertreter Vico Kempe werden durch weitere Vorstandsmitglieder mit festgelegten Aufgabenbereichen (Kita, Grundschule, Rechtsberatung u.a.) unterstützt, die als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen.

Der alte und neue Kreisvorsitzende Sebastian Schackert (links) ehrte die langjährigen Mitglieder (von rechts nach links): Heinz Meier (40 Jahre), Manuela Hügues (20 Jahre) und Rolf Mänken (40 Jahre).

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lea bildet ... Einführung Deutsch als Zweitsprache (DaZ) | 10-07-2015, Offenbach | Marienbader Elegien - Mit Goethe in die Böhmischen Bäder | 29-08 bis 05-09-2015, Karlsbad u.a. | Schulrecht - (k)ein Buch mit sieben Siegeln? | 15-09, 28-09 u. 05-11-2015, Frankfurt | Yoga mit Kindern | 21-09-2015, Neu Isenburg | „Auf Zack sein“ - Improvisationstheater im Unterricht | 21-09-2015, Darmstadt | Eigenverantwortliches Arbeiten durch Methodentraining | 23-09-2015, Gießen | Begleitete Intervision im schulischen Alltag | 23-09-2015, Kassel | Leistungsdokumentation und -bewertung im inklusiven Unterricht | 23-09-2015, Frankfurt | Prävention von sexuellem Missbrauch | 24-09-2015, Altenstadt | Individuelles Lernen - ein Anstoß zur Entlastung! | 24-09-2015, Taunusstein | „Finanzkrise“ - Schrecken ohne Ende? | 25-09-2015, Frankfurt | Unter- und Überforderung von Schüler/innen | 28-09-2015, Frankfurt | Professionelles Arbeiten mit „schwierigen“ Jugendlichen | 28-09 u. 29-09-2015, Darmstadt | Bodypercussion - Feel the body, feel the groove! | 29-09-2015, Marburg | Streitpunkt „Sexualpädagogik der Vielfalt“ | 29-09-2015, Frankfurt | Inklusive Unterrichtsplanung - Schwerpunkt Grundschule | 30-09-2015, Offenbach | Schriftspracherwerb im 2. Schuljahr | 30-09-2015, Frankfurt |

Stopp-Strategien im Unterricht | 30-09-2015, Marburg | Das vollständige Programm unter www.lea-bildung.de

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