Ausland

Schlachtgetümmel des Krieges in zeitgenössischer Darstellung*: Europaweit organisierte Gemetzel wie nie zuvor

E U R O PA

Aufbruch nach dem Weltbrand Der Dreißigjährige Krieg verwüstete im 17. Jahrhundert Europa – und führte trotz aller Greuel doch zu einer neuen Blüte von Geist und Kunst. In dieser Woche feiern 18 europäische Staatsoberhäupter in Münster und Osnabrück den 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens.

* „Die Schlacht bei Lützen“, Gemälde von Jacques Courtois (um 1655).

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Wunder von Münster und Osnabrück mit großer symbolischer Geste feiern: Zur Eröffnung der doppelten Gedenkausstellung „1648 – Krieg und Frieden in Europa“ (siehe Seite 188) schweben am Samstagvormittag dieser Woche 18 Staatsoberhäupter einstiger Signatarmächte auf dem Regionalflughafen Münster-Osnabrück ein.

Und wenn sich die hohen Gäste später am Tag jeweils im historischen „Friedenssaal“ erst der einen, dann der anderen Stadt zum Gruppenfoto aufstellen, dürfte der Anblick an jenes Gemälde Gerard Ter Borchs erinnern, auf dem er als Augenzeuge die Vertragsunterzeichnung zwischen Spaniern und Niederländern in Mün-

Hoher Besuch in großer Zahl wird Ende dieser Woche in Münster und Osnabrück erscheinen: Die Schau zum Jubiläum des Westfälischen Friedens dient Monarchen und Präsidenten als Anlaß zur Demonstration kontinentaler Einigkeit. Vor opulenten Gemälden und feierlich besiegelten Urkunden zeigt Europa, was es aus dem Morden von einst gelernt haben will. d e r

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L. NEKULA

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rei Jahrzehnte tobte die Metzelei in der Mitte Europas, und am Ende war kaum eine Familie im Kriegsgebiet von den Greueln verschont geblieben: 10 der 25 Millionen Einwohner Deutschlands, 4 von 10 Menschen – ein weit höherer Anteil als in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts –, kamen in den Schlachten, Raubzügen, Feuersbrünsten und ihnen folgenden Seuchen zu Tode. Drei volle Jahre, von 1645 bis 1648, schleppten sich die Verhandlungen hin, die dem Blutrausch endlich Einhalt gebieten sollten. Nicht weniger als 176 Bevollmächtigte von 194 Regenten hatten mitzustreiten im diplomatischen Gerangel. Daß die Unterhändler am Ende wirklich einen „christlichen, allgemeinen und dauerhaften Frieden“ vereinbaren konnten, erschien einem Beteiligten als wahres „Weltwunder“. Nun, zum 350. Jahrestag des „Westfälischen Friedens“, soll die Völkerfamilie das

Claus und Beatrix der Niederlande

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Silvia und Carl Gustaf

SCHWEDEN

Aufprallzone Deutschland Europas Territorien zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges

DÄNEMARK dsee Nor

Schwedischer Vorstoß

Kopenhagen

1630

Dänische Intervention

1625 300 Kilometer

ENGLAND London

Magdeburg Spanische Provinz

Atl ant isc he rO ze a

überwiegend lutherisch

POLEN

DEUTSCHE FÜRSTENTÜMER

n Paris

Prag

ÖSTERREICH Machtgebiet der Habsburger

überwiegend katholisch

FRANKREICH

Wien

Bayern Spanische Provinz

Französische Kriegserklärung

1635

AFP / DPA

DPA

Margrethe und Henrik von Dänemark

Bald ist das Nachbargehöft dran, wo die Bauern lustvoll mit Daumenschrauben traktiert werden oder einem ein Seil um den Kopf zusammengezogen wird, „daß ihm das Blut zu Mund, Nas und Ohren heraus sprang“. Folter, Mord, Vergewaltigung, Zerstörung und Plünderung, das sind die ersten Erfahrungen, die Simplicius, Titelheld des großen Romans von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1668), mit dem Leben macht. Not und Plagen im Übermaß muß Simplicius noch sehen im heimatlichen Spessart, in Hanau, Magdeburg, Soest oder Lippstadt. Der Dreißigjährige Krieg, Wahnwitz und Martyrium der Völker, treibt ihn über den Kontinent. Und stets hofft der

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Was sie nicht mitzunehmen gedachten, wurde zerschlagen, etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen, als ob sie nicht Schaf und Schwein genug zu stechen gehabt hätten … Andere schlugen Ofen und Fenster ein, gleichsam als hätten sie ein ewigen Sommer zu verkündigen … unser Magd ward im Stall dermaßen traktiert, daß sie nicht mehr daraus gehen konnte, welches zwar eine Schand ist zu melden! den Knecht legten sie gebunden auf die Erd, stecketen ihm ein Sperrholz

ins Maul, und schütteten ihm einen Melkkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib, das nenneten sie einen Schwedischen Trunk.

Papst-Nuntius Sodano

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J. H. DARCHINGER

Dreißigjährige Krieg, zumal im Gedächtnis der Deutschen ein epochales Schrecknis, war zu Ende. Zeitgenössische Quellen belegen, welches ohnmächtige Grauen die Menschen angesichts des mörderischen Treibens damals ergriff – etwa jenen Jungen mit dem Dudelsack, der die Zerstörung des elterlichen Hofes durch blitzschnell einfallende Reiter mitansehen mußte:

G. GALAZKA

P.PITTI

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von Schweden

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Spanische Provinz

Machtgebiet der Habsburger

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Genua

SPANIEN

ster festgehalten hat: ein Bild der Harmonie nach dem Muster holländischer Schützenkompanien (siehe Seite 195). Nur treten diesmal statt der Gesandten richtige, wenngleich mittlerweile ziemlich machtlose Monarchen auf. Neben anderen Majestäten haben sich der spanische König Juan Carlos, Schwedens Carl Gustaf nebst Gattin Silvia und die niederländische Königin Beatrix angesagt. Aus Österreich reist Ersatzkaiser Thomas Klestil an, obwohl er zuvor noch rasch ein Treffen der EU-Regierungschefs eröffnen muß. Jacques Chirac, gewissermaßen Amtsnachfolger des 1648 noch unmündigen Königs Ludwig XIV., ist unabkömmlich und schickt einen Vertreter. Das tut sogar der Papst, obwohl sein Vorgänger Innozenz X. seinerzeit prinzipienstarr gegen den Vertragsschluß protestiert hat. Es half ihm nichts: Das Friedenswerk, das nun in Münster und Osnabrück gefeiert wird, setzte einen Schlußpunkt. Der

OSMANISCHES REICH

Venedig

Albert und Paola von Belgien

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Bundespräsident Herzog

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WESTFÄLISCHES LANDESMUSEUM

Ausland

Massakerszene aus dem Krieg*: „Zehnmal Wasser ingegossen und mit dem Gemächt ufgehängt“

* Oben: Radierung „Die Gehenkten“ von Jacques Callot (1633); unten: Rolf Boysen im Fernsehfilm „Wallenstein“.

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fernen Hauptstädten ihrer Herrscher warten. Trotz eigens für den Kongreß verbesserter Postverbindungen aber brauchte eine „Depesche“ nach Stockholm zwei, nach Madrid vier Wochen. Und weil der Krieg bis zur Vertragsunterzeichnung weiterging, änderten die Monarchen ihre Forderungen laufend je nach Frontlage. Wären nicht alle Parteien, auch die überwiegend siegreichen Schweden und Franzosen, bis zur Erschöpfung ausgeblutet gewesen, hätten die Verhandlungen noch unabsehbar weitergehen können. So aber kamen 1648 mehrere Verträge zustande: Nachdem das Königreich Spanien schon Anfang des Jahres in Münster mit den faktisch längst unabhängigen nördlichen Niederlanden deren Freiheit besiegelt hatte, einigte sich der habsburgische Kaiser Ferdinand III. mit Frankreich, Schweden und den deutschen Regionalregenten („Reichsständen“). Am 24. Oktober wurden auch diese Dokumente in Münster unterschrieben, und die Vertragstexte bezogen die übrigen Staaten des Kontinents fast vollzählig in die Friedensordnung ein. Nach älterer Historikerlehre sollte 1648 nur ein „deutscher Sonderweg“ trüber Kleinstaaterei eingeschlagen worden sein, doch heutige Forscher würdigen das Paragraphenwerk trotz seiner vielen Unzulänglichkeiten und Widersprüche – so jetzt in zwei dicken Aufsatzbänden zur „1648“-Ausstellung – vielstimmig als den Ausdruck eines „neuen Denkens“ im 17. Jahrhundert: Der Westfälische Friede markiere einen bis heute nachwirkenden Geschichtseinschnitt. Denn in der „ersten großen poliFilmheld Wallenstein*: Auf der Höhe der Macht ermordet tischen Konferenz der europäischen teske Protokollfragen zu klären: wem welche Anrede zustehe und wer wen zuerst zu grüßen habe. Auch danach diskutierten sie in keinem Plenum, sie sprachen nur selten direkt mit ihren Kontrahenten, sondern schalteten Vermittler ein und wechselten Schriftsätze. Ohnehin saßen die Beteiligten, auf 50 Kilometer Distanz, in zwei verschiedenen Städten: im katholischen Münster und im überwiegend protestantischen Osnabrück. Sie drängten sich vielfach in überfüllten Quartieren (30 Bayern teilten 18 Betten) und klagten über Regenwetter oder hygienische Unbill in „Mistphalen“. Kein anderer lebte auf so großem Fuß wie der französische Missionschef, der in seinem 150köpfigen Troß eigene Konditoren, Beichtväter und Tanzmeister mitführte. Zu entscheiden aber hatte auch er, der Herzog von Longueville, nur wenig. Alle Gesandten mußten auf Weisungen aus den

HÖR ZU

heimatlose Waisenjunge, einmal müsse Gott doch Schluß machen mit den Untaten der Menschen aneinander. So drastisch, ja sarkastisch Grimmelshausen schreibt, es ist die Wahrheit. Nie zuvor hatte Europa organisierte Gemetzel in solchem Ausmaß erlebt wie im Dreißigjährigen Krieg.Von Österreich bis Flandern, vom Ostseestrand bis Norditalien schien ganz Europa von unzähligen Trupps entfesselter Söldner und Marodeure überzogen.Wie ein Geschwür hatte der Krieg, ausgelöst durch einen Konflikt in Böhmen, allmählich fast die gesamte Alte Welt erfaßt. Die Überlebenden der Apokalypse wurden so nachhaltig entwurzelt und zerstreut, daß die Epoche für Familienforscher noch heute eine nur selten zu überwindende Zeitmauer bildet. Die Greuel hallten jahrhundertelang traumatisch nach: Von „der ersten unserer großen letalen Nationaltorheiten“ sprach der realistische Spätaufklärer Johann Gottfried Seume, vom „furchtbaren Epos“ des Krieges, in dem „das Mittelalter totgeschlagen wurde“, schrieb der Romantiker Joseph von Eichendorff. Noch Thomas Mann meinte, als er 1945 über „Deutschland und die Deutschen“ Bilanz zog, der Dreißigjährige Krieg habe aus dem deutschen Blut möglicherweise „etwas anderes und Schlechteres gemacht, als es im Mittelalter gewesen sein mag“. Es war ein mühsames Geschäft, dem Morden ein vertraglich fixiertes Ende zu setzen. Erst einmal hatten die vielen Unterhändler gro-

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Mächte“ suchten diese am Verhand- Pfalz zum Herrscher, den Führer der prolungstisch nach einem „Ausgleich ihrer In- testantischen Union. Das bedeutete Krieg. teressen“ und verkündeten erstmals „vor Ferdinand rief Maximilian von Bayern einer großen Öffentlichkeit“ den „politi- zu Hilfe, mit dem er gemeinsam im Jesuischen Primat des Friedens“ – auch wenn tenkolleg von Ingolstadt erzogen worden sich später nicht gerade alle strikt daran war. Aber der Bayernherzog ließ sich nur hielten. Die Vertragspartner entwarfen ein durch politische Versprechungen überreModell zur „Lösung künftiger Konflikte“, den, gegen den Abenteurer Friedrich anvorbildlich bis zu „Konferenzen über Ge- zutreten. waltverzicht im 20. Jahrhundert“. Sie verDoch der Pfälzer fand nicht einmal bei abschiedeten sich von der Idee eines Uni- seinen protestantischen Kollegen Rückhalt, versalherrschers und erkannten unter- und die Böhmen mußten sich nach Anschiedliche Staaten ebenso als prinzipiell fangserfolgen der gefürchteten habsburgigleichberechtigt an wie – für das Reich zu- schen Regentschaft beugen: In der Entmindest – verschiedene Konfessionen. Die scheidungsschlacht am Weißen Berg, am fortschreitende „Verrechtlichung des Staat- 8. November 1620, wurde ihr Heer von lichen“ und die „Säkularisierung der poli- habsburgischen Truppen unter ihrem Feldtischen Sphäre“ förderten Toleranz-Ideen. herrn Tilly in nur zwei Stunden vernichtet. Unter ganz anderen Vorzeichen hatte Friedrich mußte, als „Winterkönig“ ver1618 das große Hauen und Stechen ange- spottet, außer Landes fliehen. Ferdinand fangen. Gegen jene „unwandelbaren Eifer- nahm blutige Rache an den Rebellen und süchte“, die der englische Staatsphilosoph setzte katholische Adlige eigener Wahl an Thomas Hobbes Königen und Fürsten zu- ihre Stelle. gestand, schien es kein Damit wäre der Krieg Mittel zu geben. schon vorbei gewesen – Der Krieg hatte sich in hätte nicht der Bayerneiner „langen Phase verherzog auf den Zusagen dichteter inner- wie bestanden: Um ihm die zwischenstaatlicher Geversprochene Oberpfalz walt“ (Historiker Heinz und den Kurfürstenrang Schilling) vorbereitet – Friedrichs zu verschaffen, und immer spielten Glaumußte dieser nun auch bens- und Machtkämpfe aus seinem angestammineinander. Vom Herrten Herrschaftsgebiet scherhaus Habsburg in vertrieben werden. So zoSpanien und Österreich, gen Tillys Truppen gen das auf seiten des Papstes Westen – genau wie die und der Gegenreformaetwa 10 000 plündernden tion stand, fühlten sich Haudegen, die Graf Ernst die Lutheraner Nordeuzu Mansfeld auf proteropas bedroht, in den stantischer Seite komkleineren deutschen Fürmandierte. „Die Herren stentümern, aber auch in Fenstersturz in Prag (1618) sind uns gleich. Wir steBöhmen und Skandinavihen feil um Geld“, ließ en. Die reformierten Christen der Nieder- der Dichter Paul Fleming einen der skrulande, gerade damals wirtschaftlich im Auf- pellosen Landsknechte verkünden. schwung, hatten mit dem spanischen RegiModernen Militärs ähnelten solche Gement schon seit 1568 im Krieg gelegen, der nossen kaum. „Es war ganz einfach zu teunur durch einen zwölfjährigen Waffenstill- er, alle mit einer eigenen Uniform auszustand (1609 bis 1621) unterbrochen wurde. statten“, erläutert der schwedische BuchAber die katholische Königsnation autor Peter Englund, der im Frühjahr ein Frankreich, die Protestanten im eigenen gewaltiges Schlachtengemälde über „Die Land hart unterdrückte, fühlte sich auch Verwüstung Deutschlands“ vorgelegt hat: durch die beiden habsburgischen Staaten „Dies bedeutete, daß die einzige Mögeingekesselt.Von den spanischen Provinzen lichkeit, Freund und Feind zu unterscheiGenua und Mailand bis Luxemburg, Bra- den, Feldzeichen waren. Die Schweden trubant und Flandern, überall kontrollierten gen in der Regel einen grünen Zweig am Spanier die französischen Grenzen. Hut, kaiserliche Truppen und Spanier truSeit langem schon hatten sich Europas gen rote Zeichen, meist in Form einer ArmMächte, so schien es, in Stellung gebracht binde, einer Schärpe aus Tuch oder eines für den Konflikt, der dann ausgerechnet in hübsch geknoteten Gehänges.“ Weiter: Böhmen entfacht wurde. Als der Habsbur- „Das Erkennungszeichen der Franzosen ger Erzherzog Ferdinand ihre von einem war blau, das der Holländer orange, und Vorgänger verbrieften Mitspracherechte während der zweiten Kriegshälfte vernicht anerkennen wollte, warfen prote- wendeten die Schweden Gelb.“ stantische Adlige zwei seiner Statthalter Wie nötig solche Farbsignale waren, aus einem Fenster des Hradschin. Und Böh- zeigt schon die Menge an Kombattanten, mens Stände wählten anstelle Ferdinands, die sich im Lauf der nächsten Jahre auf des künftigen Kaisers, Friedrich von der dem Schlachtfeld einfanden: Unter den Lu186

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Taler am Reliquienschrein Die Europaratsausstellung „1648“ in Münster und Osnabrück verlangt Besucher mit Stehvermögen – doch die werden belohnt.

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EPINAL, COLLECTION D'ART ANCIEN

ie Historiker waren zuerst auf 1636 die Zerstörung seiner lothrinIn der Osnabrücker Dominikanerkirdie Idee gekommen – aber wie gischen Heimatstadt Lunéville miter- che und im Kulturgeschichtlichen Muhätten sie allein den Dreißig- leben. seum am gleichen Ort werden die Erjährigen Krieg und den Westfälischen Einen Ehrenplatz besetzt der Pa- eignisse chronologisch nachgezeichnet Frieden wohl bebildert? Mit Akten- derborner „Liborischrein“: Das mit- und Kriegsbeutestücke angehäuft – stücken, Uniformknöpfen, Musketen telalterliche Kleinod war 1622 vom Handschriften aus der immer noch und Flugblättern? protestantischen Heerführer Christian berühmten Heidelberger Bibliothek des Als Klaus Bußmann, Direktor des von Braunschweig erbeutet und zu „Winterkönigs“ etwa, die im Vatikan Münsterschen Landesmuseums, vor „Pfaffenfeindtalern“ umgeschmolzen gelandet ist, und Bilder sowie Skulptufünf Jahren in die Ausstellungsren aus jener berühmten Kunstpläne einbezogen wurde – und Kuriositätensammlung Kaischon weil dafür sein Haus als ser Rudolfs II. in Prag. SchweSchauplatz unentbehrlich war –, dens Königin Christina hatte sie da stand für ihn gleich fest: 1648 rasch noch kapern lassen, Ohne die Farben und den Atem obwohl in Osnabrück der Friegroßer Kunst ließe sich die Erden schon ausgehandelt war. innerung nicht angemessen beDas Schau-Projekt, das öfschwören. So entfaltet „1648 – fentliche und private Geldgeber Krieg und Frieden in Europa“ mit einem Etat von 15,5 Millionicht bloß ein historisches, sonnen Mark ausgestattet haben, dern, aufs Thema bezogen, zuträgt seinem Gegenstand entgleich ein bewegtes kunsthistosprechend das Gütesiegel einer risches Panorama*. „Europaratsausstellung“. Aus„Außerordentliche Ansprüstellungskommissar Bußmann che an die Geduld und das hatte einen internationalen WisStehvermögen der Besucher“ senschaftlerbeirat zur Seite, desmuß Bußmann trotzdem erhesen Fachverstand in die dreibändige Katalog-Publikation ben. Aber in Münster bleibt den eingeflossen ist. Ende NovemLeuten die Wahl, entweder auf ber soll ein Kolloquium in Müneinem großen Rundgang nur ster und Paris die Debatte weieine glänzende Galerie von terführen. Herrscher- und Feldherrenpor„Zum erstenmal“, sagt Bußträts, von Schlachtenbildern mann, „ist eine Europaratsausund Friedensallegorien abzustellung wirklich europäisch erschreiten oder aber sich zusätzarbeitet worden.“ Im Gespräch lich in einer inneren Raumfolge etwa mit tschechischen oder über Vitrinen voller Dokumenfranzösischen Kollegen hat er te, Münzen und Kleinobjekte auch gespürt, wie „emotional zu beugen – was sehr empfohbeladen“ das Thema von Krieg len wird. und Frieden noch nach 350 JahRund 1500 Schaustücke sind „Hiob“ von de La Tour (um 1634): Echo des Krieges ren sein kann. auf drei Plätze verteilt. Das Beide Kongreßstädte besinnen sich Museum in Münster zeigt Vorge- worden. Als die Heiligengebeine, die schichte und handelnde Personen der Plünderer achtlos weggeschenkt in der Ausstellung auch auf ihre Lodes Dreißigjährigen Krieges. Dessen hatte, 1627 zurückkamen, bestellten kalgeschichte der Friedensschluß-EpoSchrecken spiegelt sich, malerisch be- ihm die Domherren ein neues, ba- che – ein zeittypischer Kontrast. Wähschönigt oder kraß, in Kampf- und rockes Prachtgehäuse und ließen als rend in Münster der papsttreue Bischof Greuelmotiven. Und er scheint jenseits Überreste des zerstörten Schreins zwei jeden Anspruch auf bürgerliche Mitaller Illustration auch wie von ferne in der ominösen Taler auf den Sockel lö- sprache und Glaubensfreiheit abwehdem geisterhaften Gemälde „Hiob und ten – auch dies eine Art Reliquie. Mit ren konnte, bekam Osnabrück ein einseine Frau“ des Georges de La Tour Dokumenten und Visionen vom Frie- zigartig salomonisches Regime aus nachzuzittern; der Künstler mußte den kommt der Bilderreigen ans Ziel. dem Kompromiß-Geist von 1648: Das Den Gipfel- und Angelpunkt der Aus- Amt des bischöflichen Stadtherrn * Bis 17. Januar. Katalog 530 Seiten; 49 Mark. Zwei stellungskonzeption bildet das Rubens- wurde abwechselnd mit einem proteAufsatzbände, 620 und 750 Seiten; je 98 Mark. Alle drei Bände zusammen 198 Mark. Kurzführer 48 Sei- Meisterwerk mit der friedenssichern- stantischen Welfen und mit einem Katholiken besetzt. den Minerva. ten; 5 Mark; CD-Rom 45 Mark.

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Schlacht bei Lützen (1632)*: „Wir sind doch numehr gantz / ja mehr als gantz vertorben“

therischen hatten Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach und Herzog Christian von Braunschweig, genannt „der tolle Christian“, je etwa 11 000 Mann mobilisiert. Dennoch blieb Tilly Sieger, und die Kurpfalz fiel wie ausgemacht an Maximilian von Bayern, der nun mit seiner gegenreformatorischen Macht Süddeutschland kontrollierte. Der geschlagene und entthronte Pfälzer Friedrich fand dagegen einen neuen Partner in König Christian IV. von Dänemark, der die Chance erhoffte, eine Vormacht im nördlichen Deutschland aufzubauen. Gemeinsam mit den Truppen Mansfelds und des Braunschweigers hätte er dem kaiserlichen Aufgebot gefährlich werden können – wäre nicht im Sommer 1625 unverhofft eine neue katholische Armee unter Albrecht von Wallenstein auf dem Kriegsschauplatz erschienen. Wallenstein, hoch gebildet, reich und trotz seiner Konversion zum Katholizismus kein religiöser Mann, hatte dem Kaiser Ferdinand ein ganzes Heer von 24 000 Mann auf eigene Kosten angeboten. Dank perfekten Managements wuchs seine Söldnerschar, die aus Tributeinnahmen finan* Ausschnitt aus dem Gemälde von Jan Asselyn (zeitgenössisch).

ziert war, bis 1626 auf 100 000 Mann – und mit ihnen auch die Zahl der Werber und Marketender: Brechts Mutter Courage, die Geschäftemacherin, die unbelehrbar durch alle Desaster wandert, blieb nicht der einzige Typ jener neuen Lebensformen, die der Krieg hervorbrachte. Nach Siegen über Mansfeld und den Dänenkönig waren die kaiserlichen Kommandeure 1626 praktisch Herren Mitteleuropas. Wallenstein ließ sich zum „General der ozeanischen und baltischen Meere“ ernennen. Im Frieden von Lübeck mußte der Dänenkönig im Mai 1629 sogar die Ostseeküste – bis auf die kleine, unbeugsame Hansestadt Stralsund – Habsburgs Macht überlassen. Um seine Siege im Dienst der Religion, aber auch der eigenen Machtposition zu sichern, hatte Kaiser Ferdinand zuvor ein sogenanntes Restitutionsedikt verkündet, das befahl, alle durch die Reformation verweltlichten Güter in den Besitz der katholischen Kirche zurückzuführen. Dies drakonische „konfessionelle Maximalprogramm“ (so der Jenaer Historiker Georg Schmidt) trieb die norddeutschen Protestanten zum Widerstand – und nicht nur sie. Als Ferdinand auf dem Regensburger Kurfürstentag 1630 noch größere Macht forderte, widersetzten sich ihm auch die d e r

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Katholiken. Er wurde sogar gezwungen, Wallenstein zu entlassen. Zudem wandte sich nun gegen die bedrohliche Machtballung der Katholiken ein Herrscher, der bislang den Zwistigkeiten auf deutschem Boden ferngeblieben war: König Gustav Adolf von Schweden. Ein Manifest, in 5 Sprachen und 23 Auflagen verbreitet, kündigte seinen Vorstoß an. Im Juli 1630 landete dann Schwedens bestens ausgerüstete Armee auf der Insel Usedom und hatte bald Mecklenburg und Pommern unter ihrer Kontrolle. Schwedens König übernahm die Rolle eines protestantischen Glaubensretters, aber auch des Schirmherrn fürstlicher „Libertät“ gegen den Kaiser, dessen Würde er vermutlich für sich selbst erstrebte. Zwar kam Gustav Adolf, der seine Feldherrnkünste schon gegen Polen erprobt hatte, zu spät, als im folgenden Jahr Tilly und sein riesiges kaiserliches Heer die unbotmäßige Stadt Magdeburg eroberten, plünderten, abbrennen ließen und ihre mehr als 20 000 Bewohner nahezu vollständig ausrotteten. Bald danach aber rieb der Schwedenkönig, den seine Anhänger als leuchtenden Helden „göttlichen Geschlechts“ feierten, Tillys Truppen am Lech so gründlich auf, daß der Kaiser gegen die von Frankreich mitfinanzierten Invasoren, 189

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NATIONALMUSEUM STOCKHOLM

die bis Mainz, Würzburg und München vorgedrungen waren, kein anderes Mittel wußte, als Wallenstein erneut den Oberbefehl zu übertragen. Der stoppte den Eindringling tatsächlich: In der Schlacht bei Lützen, die mit leichten Vorteilen für die Schweden endete, fiel im November 1632 Gustav Adolf – auf der Höhe seiner Macht. Fortan suchten die verunsicherten Schweden, einen Bund mit anderen protestantischen Fürsten zu schließen; doch Geldknappheit und Wallensteins Siege im Osten dämmten ihre Erfolge bald ein. Als dann 1634 der einzige starke und weitblickende Mann, Wallenstein, wegen seiner Geheimverhandlungen mit den Gegnern vom Kaiser geächtet wurde und in Eger durch einen Mordanschlag umkam, war die politische Lage Europas offener und verworrener als je. „Wir sind doch numehr gantz / ja mehr als gantz vertorben“, ließ der Schlesier Andreas Gryphius das „verwüstete Deutschland“ 1637 klagen: Die Kirchen sind vorheert / die Starcken vmbgehawn Die Junckfrawn sind geschänd; vnd wo wir hin nur schawn Jst Fewr / Pest / Mord vnd Todt / hier zwischen Schantz vnd Korben Dort zwischen Mawr vnd Stad / rint allzeit frisches Feldherr Gustav Adolf Blutt ... Es sollte noch lange weiterrinnen. Kaum hatte Kaiser Ferdinand 1635 im Frieden von Prag das Restitutionsedikt aufgeschoben, um den Rücken freizubekommen, da mischten sich die Franzosen in das Chaos ein: Kardinal Richelieu, als Kanzler des Königs Ludwig XIII. bis dahin nur kluger Beobachter und Geldgeber, zog angesichts schwerer Niederlagen der Schweden plötzlich alle Register seiner Macht. Trotz religiöser Skrupel und Vorhaltungen des Papstes erklärte Frankreich seinen Glaubensbrüdern in Spanien den Krieg, kein Jahr danach dem Kaiser. Machtpolitik war wichtiger als Konfession. Nun wurde Deutschland endgültig zum Schlachtfeld, auf dem es einzig um die Vormacht in Europa ging. Zu erbeuten war ohnehin fast nichts mehr. Eine englische Delegation berichtete 1636 auf dem Regensburger Kurfürstentag, zwischen Mainz und Frankfurt sei das Land total entvölkert. Ein Dorf sei in nur zwei Jahren 18mal geplündert worden. „Antonius Dorsam ist tot blieben. Henrich Lübings Sohn ist tot blieben. Peter N. von Zimmern, welchem sie zehnmal Wasser ingegossen und mit dem Gemächt ufgehängt, darnach vollends erschlagen“, schrieb voll Entsetzen ein Chronist aus dem hessischen Dorf Reinheim. 190

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Die schwedischen, französischen und kaiserlichen Heere zogen durch Ruinen, Trümmer und Wildnis. Auch der Tod des Kaisers 1637 brachte keine Wende: Sein Sohn Ferdinand III. verfolgte die gleiche Hegemonialpolitik wie der Vater, solange seine schwindenden militärischen Kräfte das zuließen. Angesichts der endlosen Qualen flüchteten sich viele in Galgenhumor und Jenseitssehnsucht. „Weistu was in dieser Welt / Mier zum meisten wolgefellt?“ fragte 1638 der Dichter Friedrich von Logau. Seine resignierte Antwort: „Das die Welt sich selbst verzehret / Vnd die Welt nicht ewig wehret.“

Nach Weltuntergang sah es im Kernland Europas mittlerweile wirklich aus, und nicht nur dort. Lothringen oder das Languedoc, der Rheingau, Mähren oder das norditalienische Veltlin: kaum ein Landstrich war bei den zahllosen Gefechten glimpflich davongekommen. Selbst wo nie ein Schuß gefallen war, nahmen die Leiden überhand: Das Dorf Bygdea in Nordschweden zum Beispiel hatte von 1621 bis 1639 insgesamt 230 Mann für Schwedens Truppen gestellt. Davon kamen nur fünf zurück – als Krüppel. Am Rhein, einer der am heftigsten umkämpften Regionen, tauchten unter den kaiserlichen Truppen endlich sogar Kosa-

ken auf. „Wann wird der lange Krieg sein letztes Ziel erreichen, / Wann dünget man das Feld nicht mehr mit Menschenblut?“ fragte verzweifelt der Hamburger Poet Johann Rist. O seligs Vaterland, wirst du die Zeit erleben, daß man aus Schwertern und Pistolen Sensen macht, daß keine Fahnen mehr um ihre Zelten schweben, daß man hinfürder nit darf lauschen auf die Wacht, daß Spinnen ihre Strick in starken Panzern heften,

daß die polierten Helm sein ohne Glanz und Schein, daß man die Speisen kocht mit der Musketen Schäften, so wollen wir, o Gott, Dir ewig dankbar sein. Vorerst blieb das fromme Sehnsucht. Allein Frankreich befand sich an vier Fronten zugleich im Krieg: Belgien, Deutschland, Italien, Spanien. Und selbst als schon Vorverhandlungen um einen Frieden begonnen hatten, versuchten die Kombattanten aller Seiten doch Kriegssommer um Kriegssommer, für ihre Position im zukünftigen Abkommen etwas herauszuschlagen.

Da griff 1642 der schwedische General Torstensson in Schlesien Festungen an, bis ihn ein Vormarsch der Kaiserlichen in Richtung Leipzig vertrieb – das er bei dieser Gelegenheit eroberte. Da schlug 1643 beim Städtchen Rocroi an der Maas der junge Herzog von Enghien 1643 den Spanier Francisco de Melo, der es auf Paris abgesehen hatte: 8500 Tote, 7000 Gefangene und 260 erbeutete Feldzeichen für NotreDame in Paris, so lautete die Bilanz. Immer zäher, immer absurder schleppte sich der Kriegswahn dahin. Im April 1645 tauchte Torstenssons Armee sogar kurz vor Wien auf. Hauptsächlich aber waren die Truppen aller Lager inzwischen damit beschäftigt, in den total ausgelaugten Durchmarschzonen mit allen Mitteln die eigene Versorgung zu erpressen – oder den Gegner durch Belagerung in verödeten Gegenden auszuhungern. „Wir Leut leben wie die Tier, essen Rinden und Gras“, steht in einer Bibel von der Schwäbischen Alb als Hauptnachricht dieser Jahre. Den machtgierigen Heerführern waren solche Probleme aber offenbar gleichgültig. Noch 1648 trieben der französische Feldherr Turenne und sein schwedischer Kollege Wrangel 30 000 bayerische und kaisertreue Soldaten samt der ungeheuren Masse von 130 000 Flüchtlingen und Mitläufern vor sich her zur Donau, besetzten München und erfuhren, daß der Schwede Königsmarck dabei sei, Prag einzunehmen – da kam die Nachricht vom Friedensschluß. Der wahnwitzige, für Millionen todbringende Zermürbungskampf um die Vormacht in Europa war beendet. Nicht überall freilich hatte der Terror in gleichem Maße geherrscht und nicht ständig über drei Jahrzehnte hinweg. Mit starken Befestigungen und ein wenig Glück konnten auch große Städte wie Hamburg den langen Krieg heil überstehen. An dessen Rändern oder auf provisorischen Inseln im Getümmel gediehen von Fall zu Fall nicht nur Wirtschaft und Alltagsleben, sondern, erstaunlich genug, auch die schönen Künste. Und die beschränkten sich keineswegs auf grafische Propaganda-Blätter mit dem Bild siegreicher Feldherren oder mit Schmähreden gegen den Feind, auch nicht auf Dokumente der Kriegsgreuel, wie sie der Lothringer Jacques Callot oder der Schwabe Hans Ulrich Franck mit ihren Radierungen hinterlassen haben. „Selten war die Malerei in Europa lichter“, erklärt vielmehr der französische Kunsthistoriker Jacques Thuillier. Sie blühte in Rom, das sich gewiß auch deswegen als ihr neues Zentrum durchsetzte, weil viele Künstler aus ihren unruhigen Heimatländern dorthin flohen; ein internationaler Stil entstand. Zu stolzen Zentren der Malerei wurden gleichfalls beide Teile der Niederlande – der rebellische Norden, wo Rembrandt anscheinend unbeeindruckt vom Zeitgeschehen seinem Metier nachd e r

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ging, ebenso wie der spanisch beherrschte der Dreißigjährige Krieg ausgebrochen war, Süden. brauchte der Herrscher nichts zurückzugeDessen überragender Künstler in der erben; ein gefügiger, katholischer, deutscher sten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Peter Paul Adel ersetzte dauerhaft die einheimischen Rubens, hat Krieg und Frieden zwar nicht Ketzer von 1618. Im Münsterschen und in bildnerischen Reportagen, wohl aber in Osnabrücker Super-Dayton kam den tschegrandiosen, leidenschaftlichen Allegorien chischen Böhmen die undankbare Rolle dargestellt. Und er hat sich, loyaler Untervon Kosovo-Albanern des 17. Jahrhunderts tan des spanischen Königs Philipp IV. und zu: Von ihnen war nicht mehr die Rede. flämischer Patriot in einem, als Diplomat „Für uns“, sagte Präsident Václav Havel für einen Ausgleich zwischen den Streitkürzlich in seiner Dankrede für einen parteien engagiert. „Westfälischen Friedenspreis“, „folgten Freunden gegenüber beklagte er den Jahrhunderte der harten Unterjochung“: „Hochmut“ der spanischen Politik „auf KoDer Friedensschluß habe eine „sehr ungesten der Untertanen“ – Handelsbeschränrechte Lage“ stillschweigend sanktioniert. kungen als Kriegsfolge schädigten AntwerDoch fast überall löste das „edle Friedpen, die Heimatstadt des Malers, schwer. Hitler als Geharnischter und Freudenswort“, wie der KirchenliedDoch Rubens sah durchaus „Mittel genug, Plan zum „Siegfrieden“ in Münster Dichter Paul Gerhardt sang, überschwengum Europa durch eine friedliche Politik in lichen Jubel aus. Vor allem in den Niederbessere Bahnen zu lenken“. Dazu trug ein Jahre lang Krieg um die Vorherrschaft in landen und in protestantischen Städten des von ihm ausgehandelter Separatfrieden mit Europa führten. Und die siegreichen Fran- Reichs, Nürnberg oder Augsburg etwa, England (1630) bei, das nach dieser Verein- zosen verzichteten auch für den Rest des wurden Volks- und Kirchenfeste gefeiert barung aus einem Bündnis gegen die Wie- Jahrhunderts keineswegs auf Eroberungen. und teils, wie um die Dauer des Friedens Überhaupt waren auch ohne förmliche zu beschwören, alljährlich wiederholt; die ner und Madrider Habsburger ausschied. Für den englischen König Karl I. malte Ru- Unterwerfung schon 1648 sehr wohl Ge- Augsburger feiern immer noch. bens ein großes Bild, auf dem die Weis- winner und Verlierer zu unterscheiden: Auch das 18. Jahrhundert hielt die Erheitsgöttin Minerva den geharnischten Frankreich und Schweden heimsten terri- innerung an Münster und Osnabrück in Kriegsgott Mars energisch von einer üppi- torialen Gewinn ein, die Stellung der deut- hohen Ehren. Nach Meinung des Westfägen Personifikation des Friedens wegdrängt. schen Protestanten wurde garantiert. Der lischen-Friedens-Forschers Johann GottAber der Westfälische Vertragsschluß war Kaiser aber mußte viele Zugeständnisse fried von Meiern sollte das Vaterland den machen. noch fern, als der Maler 1640 starb. Vertrag als „das heiligste Gesetz und Er durfte seine Habsburger-Verwandten Grund-Veste seiner äusserlichen GlückIm Hin und Her der Feldzüge war Kunst ein begehrtes, skrupellos abgeschlepptes in Madrid nicht mehr militärisch unter- seeligkeit“ verehren. Und obwohl mittlerBeutegut. Solcher Raub stillte nicht nur die stützen, er mußte die Durchsetzung der weile Preußenkönig Friedrich II. den FrieGewinnsucht der Kriegführenden, sondern Gegenreformation in ganz Deutschland, den im Reich brutal gebrochen hatte, sollte den Gegner auch gezielt demütigen. den Lieblingsplan seines fanatischen Va- sprach Schiller noch 1792 bewundernd Der Frieden sah dann zwar, 260 Jahre vor ters, endgültig abschreiben, und seiner vom „mühsamen, teuren und dauernden der Haager Landkriegsordnung auch darin Oberhoheit im Reich wurde „fast hart und Werk der Staatskunst“. Es geriet erst in Verruf, als eine Zeit der zukunftweisend, erstmals eine Rückerstat- schwer zu nahe getretten“. So drückte es tung von „Archiven, literarischen Doku- der sächsische Kurfürst aus, der freilich Nationalstaaten und der militärischen menten und anderen beweglichen Gegen- auch die „Präeminenz“ der Königswähler Expansion heraufzog. In den Blickpunkt rückte nun vor allem die Schwächung des ständen“ vor, doch verwirklicht wurde sie „ziemblich angezapfft“ fand. Nur in den eigenen Erblanden behielt alten, 1806 untergegangenen Reichs und nicht. Bei der ohnehin schwierigen Umsetzung aller Vereinbarungen, über die noch Ferdinand III. freie Hand. In Böhmen, wo seiner Zentralmacht unter äußerem Druck. Der preußische Historiker 1649/50 in Nürnberg nachHeinrich von Treitschke verhandelt wurde, waren nannte den Westfälischen den Kontrahenten andere Frieden ein „wohldurchPunkte einfach wichtiger – dachtes System, um die vordringlich die teure Degewaltigen Kräfte des mobilisierung von rund waffenfrohesten der Völ60 000 schwedischen Söldker künstlich niederzunern auf deutschem Bodrücken“ – nichts als ein den. Sieg des Erbfeinds? Nach Kulturgüter-Erstattung dem Ersten Weltkrieg kam war nicht der einzige hehgar das Wort von Versailles re Grundsatz, der sich auf als einem „zweiten Westdem geduldigen Papier fälischen Frieden“ auf. schöner ausnahm als in Den Nationalsozialisten der harten Wirklichkeit. blieb es vorbehalten, die Der angeblich „allgemeiangebliche Demütigung ne Friede“ auf der Grundpathetisch an Ort und Stellage von „ernsthafter le wettmachen zu wollen. Freundschaft“ und „imHitler selbst scheint es gemerwährendem Verzeiwesen zu sein, der 1940 auf hen“ kam in Münster und den Gedanken kam, seiOsnabrück schon darum nen fest eingeplanten Siegnicht komplett zustande, frieden in Münster abzuweil Spanien und Frankreich danach noch zehn Zerstörung Magdeburgs (1631): Apokalyptisches Ringen mit dem Antichrist? schließen – was sofort 192

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Ausland

„Ein politisches Wunder“ Der Berliner Historiker Hagen Schulze über die Aktualität des Westfälischen Friedens

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Schulze: Im 17. Jahrhundert konnte von

aktuelle politische Bedeutung hat der Westfälische Friede im Euro-Zeitalter? Schulze: Unterzeichnet wurde in Münster der erste europäische Friedensschluß nach dem ersten europäischen Krieg. Der verheerende, allgemeine Krieg hatte die Staaten Europas davon überzeugt, daß nur eine Ordnung, in die alle eingebunden waren, den Kontinent auf Dauer vom Krieg aller gegen alle erlösen konnte. Mit dem Westfälischen Frieden gab sich die europäische Staatengemeinschaft eine Art Grundgesetz – verbindliche Rechtsnormen, die zum Ausgangspunkt für ein europäisches Völkerrecht wurden. SPIEGEL: Und darin bestand das historisch Neue? Schulze: Ja, denn die Existenz und Souveränität jedes europäischen Staats war ein politisches Wunder: ein Staatensystem, das trotz aller Störungen und Kriege jahrhundertelang seine Balance behielt, dessen Normen über die Staatsgrenzen hinaus anerkannt waren. Noch die gegenwärtige europäische Integrationspolitik, erwachsen aus den verheerenden Erfahrungen zweier Weltkriege, steht in der Tradition des Friedensschlusses von Münster und Osnabrück. SPIEGEL: Welche Rolle spielte der Dreißigjährige Krieg im Prozeß der Staatswerdung der „verspäteten Nation“ Deutschland? Schulze: Der Preis für die dauerhafte Balance des europäischen Staatensystems bestand in der Beibehaltung einer schwachen, zersplitterten europäischen Mitte, die die starken Staaten der Peripherie – Schweden, Dänemark, England, Holland, Frankreich, Spanien, das Osmanische Reich und Rußland – voneinander trennte. Im Kriegsfall europäisches Kriegstheater, im Frieden politisches und strategisches Vorfeld. Das Heilige Römische Reich wurde deshalb zum weichen Kern des europäischen Staatensystems. SPIEGEL: Was heißt das? Schulze: Der Westfälische Friede war nicht nur ein barock ausladendes internationales Friedenswerk, sondern zugleich Grundgesetz des Reiches, garantiert gewissermaßen in europäischem Auftrag von Frankreich und

einem „starken Deutschland“ noch keine Rede sein. Ein deutscher Staat existierte damals noch nicht, also auch keine Angst vor ihm. Das änderte sich erst mit dem deutschen Nationalstaat, der 1871 in die Welt trat und durch seine Machtballung in der Mitte Europas das seit dem Westfälischen Frieden bestehende europäische Gleichgewicht gefährdete. Es gab kaum eine Nachbarnation, deren Politiker nicht mit größter Skepsis auf die Geburt des Bismarckreichs reagierten – und die weitere Entwicklung der europäischen Geschichte hat diese Skepsis ja gerechtfertigt. SPIEGEL: Steht der Dreißigjährige Krieg für eine sozialpsychologische Grunderfahrung des Landkrieges, für einen Archetypus, der Deutschlands Verhältnis zum Krieg bis heute prägt? Schulze: Der Kriegsschrecken ist eine Erfahrung, die Europas Mitte als europäisches Kriegstheater seit einem halben Jahrtausend in weitaus höherem Maße gemacht hat als die Staaten der Peripherie. Der sogenannte Dreißigjährige Krieg – tatsächlich ja eine Abfolge mehrerer Kriege – ist im kollektiven Bewußtsein der Deutschen als namenloser Schrecken haftengeblieben, und tatsächlich waren die Raub- und Mordzüge entfesselter Söldnerheere zum Kriegsende von keiner Autorität mehr einzudämmen. Ich glaube aber nicht, daß diese Erinnerung das 19. Jahrhundert überlebt hat, und wenn, dann als eine Art von Hintergrundrauschen, vor dem die noch schrecklicheren Erinnerungen an die beiden Weltkriege in den Vordergrund getreten sind. Sie erklären die Skepsis, mit der im heutigen Deutschland die Beteiligung an militärischen Bündniseinsätzen betrachtet wird. SPIEGEL: Ist Europa heute, abgesehen vom Balkan, ein Kontinent des ewigen Friedens – oder gibt es neue Risiken religiös-ideologischer Konflikte? Schulze: Die europäische Integration stellt einen guten Schritt zur Kriegsvermeidung auf lange Sicht dar. Ausgesprochen ideologische oder religiöse Konfliktfelder existieren zur Zeit nicht. Die These Samuel Huntingtons vom bevorstehenden Zusammenstoß der

H. HAUSWALD / OSTKREUZ

SPIEGEL: Herr Professor Schulze, welche

Historiker Schulze

STAATSARCHIV WIEN

„Kriegstheater in der Mitte Europas“

Osnabrücker Friedensdokument von 1648

Eine Art europäisches Grundgesetz

Schweden, später Rußland. Daher die altertümliche Struktur des Reichs, die die Herausbildung eines modernen deutschen Nationalstaats im Einklang mit seinen Nachbarn bis in das 19. Jahrhundert hinein verhinderte. SPIEGEL: Spiegelt der Westfälische Friede bereits ein Hauptmotiv der europäischen Geschichte der Neuzeit: die Angst vor einem zu starken Deutschland?

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NATIONAL GALLERY

Friedensschwur in Münster (1648)*: Kunst-Beutezüge noch kurz vor der Besiegelung

Osnabrücker Neider auf den Plan rief, bevor der Führer dann doch entschied, Berlin sei der bessere Ort. Statt dessen wurde für Münster in Goebbels’ Auftrag eine „Reichsausstellung“ vorbereitet, die mit vielen Bild- und Schrifttafeln die französische Aggression seit dem 17. Jahrhundert belegen sollte („1648 – Frankreichs größter Triumph – Deutschlands tiefste Schmach“). Als sie aber aufgebaut war, hatte Frankreich schon kapituliert. Nun paßte die Schau nicht mehr in das Propagandakonzept der Re-

gierung: Sie wurde nie eröffnet, sondern ohne Aufsehen wieder eingepackt. Derlei politischer Mißbrauch längst vergangener Ereignisse belegt, daß auch gegenüber allzu glatten Aktualisierungen im späten 20. Jahrhundert Vorsicht geboten ist. Der Berliner Historiker Heinz Schilling, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für die bevorstehende Ausstellung „1648“, bemißt die „DenkWürdigkeit“ von Geschichte nicht zuletzt nach dem Abstand des Betrachters von der Ideen- und Gefühlswelt früherer Epochen. Die Menschen zur Zeit des Dreißig* Gemälde von Gerard Ter Borch (1648). jährigen Krieges, so Schilling, müssen „den sie bedrohenden Unfrieden als gewaltiges apokalyptisches Ringen, als Kampf der Kinder des Lichtes gegen die Dunkelheit, von rechten Christen gegen den Antichristen“ erlebt haben. Gerade derart „verlorene“ Vorstellungen jedoch seien der Erinnerung wert. Denn kaum etwas könne die „Veränderbarkeit sozialer und kultureller Formen auch der Gegenwart“ eindringlicher vor Augen führen als die „Begegnung mit dem Fremden in der eigenen GeUnterzeichnung des Friedensvertrags von Dayton (1995) schichte“. ™ Die Kosovo-Albaner vergessen AP

westlichen Kultur mit einem fundamentalistischen Islam halte ich für falsch – weil sie die realistische Wahrnehmung des wirklichen Islam und seiner vielfältigen Ausprägungen eher verhindert. SPIEGEL: Also ist die Zeit von Religionskriegen wie im 17. Jahrhundert vorbei? Schulze: Ich halte es für verfehlt, den Dreißigjährigen Krieg nur als Religionskrieg zu betrachten; das war er auch, und das erklärt die fanatische Aufladung der Konflikte. Aber vor allem ging es um sehr irdische Dinge, um das Ringen Habsburgs und Frankreichs um die europäische Vormacht und um die Abwehr kaiserlicher Machtansprüche durch die Landesherren. SPIEGEL: Welche Lehren bietet der Friedensschluß von 1648 für die Friedenssicherung von heute, etwa durch eine „Weltpolizei“ mit Uno-Mandat? Schulze: Die Geschichte der Uno und zuletzt ihre Rolle im Bosnien-Krieg haben gezeigt, daß die Weltorganisation dann durchsetzungsfähig ist, wenn die stärksten ihrer Mitglieder, die Uno nutzen, um eigene Politik durchzusetzen. Insofern sind wir nicht weitergekommen als die Staatsmänner von 1648: Es bedarf des gemeinsamen Willens und der gemeinsamen Interessen der großen Mächte, um Frieden zu halten und notfalls zu erzwingen.

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