Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil AG BGB-AT IX

Daniela Pfau Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Raum: 2013 [email protected]

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Wiederholung Scheingeschäft §117 BGB •

Bei einem Scheingeschäft nach§117 I BGB ist grdsl. das zum Schein abgeschlossene Geschäft nichtig.



Das verdeckte Geschäft ist zwar nach§117 II BGB gültig aber Formerfordernis beachten!!! – Das Formerfordernis kann bei Grundstücksverträgen auch nicht abbedungen werden. – Das Formerfordernis kann auch durch die Regel der falsa demonstratio nicht eingehalten werden: • BGH: Regel anwendbar, aber bei der scheingeschäftlichen absichtlichen Falschangabe fehlt die Schutzbedürftigkeit der Parteien. • A.A.: Die Kombination aus Scheingeschäft und verdecktem Geschäft sind zwei RG. Die falsa demonstratio ist nur bei einem RG anwendbar.

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Anfechtung – Prüfungsschema

Prüfungsschema zur Anfechtung Das RG könnte jedoch gem.§142 I BGB nichtig sein. Dazu müsste das RG wirksam angefochten sein. Dies ist der Fall, wenn: • eine Anfechtungserklärung durch den Anfechtungsberechtigten gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erfolgt ist, • ein Anfechtungsgrund vorliegt, der für die Abgabe der WE kausal war, • die Anfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt ist, • keine Bestätigung des RG durch den Anfechtungsberechtigten erfolgt ist.

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Anfechtung – Prüfungsschema

I. Anfechtungserklärung,§143 BGB Unzweideutige Aussage  erkennbar welches Geschäft gemeint ist  Abgabe der WE  Zugang der WE beim Anfechtungsgegner richtiger Anfechtungsgegner,§143 II, III, IV BGB II. Anfechtungsgrund Inhaltsirrtum,§119 I Alt.1 BGB Erklärungsirrtum,§119 I Alt.2 BGB Eigenschaftsirrtum,§119 II BGB falsche Übermittlung,§120 BGB Arglistige Täuschung,§123 I Alt.1 BGB Widerrechtliche Drohung,§123 I Alt.2 BGB Kausalität für die Abgabe der WE  subjektive Kausalität  objektive Kausalität

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Anfechtung – Prüfungsschema

III. Anfechtungsfrist Irrtumsanfechtung  unverzüglich nach Kenntnissnahme,§121 I 1 BGB  bis 10 Jahre nach Abgabe der WE,§121 II BGB Anfechtung nach§123 BGB  binnen Jahresfrist,§124 I BGB  nach Täuschungsentdeckung/Ende der Drohung,§124 II BGB  bis 10 Jahre nach Abgabe der WE,§124 III BGB IV. Kein Ausschluss der Anfechtung durch Bestätigung Keine Bestätigung des anfechtbaren RG durch Anfechtungsberechtigten,§144 I BGB  nicht empfangsbedürftige WE  formfreie WE  Erklärung oder Verhalten, das den Willen offenbart an RG festzuhalten

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Eigenschaftsirrtum

I.

Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache

Def.: Eigenschaft, die einer Sache selbst, unmittelbar und dauerhaft anhaftet und nach der Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich ist. 1. Natürliche Eigenschaften Alle äußeren physikalischen oder chemischen Eigenschaften z.B. Eignung als Klebstoff 2. Tatsächliche Verhältnisse der Sache, die aufgrund der Beschaffenheit und der Dauer nach der Verkehrsanschauung einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben. z.B. Urheberschaft eines Kunstobjekts; Alter einer Sache, Unfallfreiheit eines PKW 3. Rechtliche Verhältnisse der Sache, die aufgrund der Beschaffenheit und der Dauer nach der Verkehrsanschauung einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben. z.B. Bebaubarkeit des Grundstücks.

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Eigenschaftsirrtum II. Gegenbeispiele 1. Äußere Umstände Wohnen der Sache nicht inne Gehen nicht von der Sache aus z.B. Zahlungsfähigkeit der Mieter beim Hauskauf (Hintergrund § 566 BGB) 2. Fehlende Dauerhaftigkeit z.B. Bierumsatz des letzten Jahres beim Gaststättenkauf 3. Künftige Umstände Haften der Sache in der Gegenwart nicht an z.B. künftige Bebaubarkeit eines Grundstücks III. Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person Def.: Eigenschaft, die der Person für eine gewisse Dauer anhaftet oder sie charakterisiert und nach der Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich ist. z.B. Beruf, Vorstrafen 7

Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil AG 9

Fälle: Das Missverständnis /

Die Mietwohnungen

Das Missverständnis

Der Bäcker B ruft den Müller M an und erklärt, er benötige am nächsten Tag 200 kg Weizenmehl zu dem von M inserierten Preis von 0,50 € pro Kilo. M versteht jedoch aus Unaufmerksamkeit 100 Kilo. Er erwidert, die Angelegenheit gehe in Ordnung. Als am nächsten Tag M nur 100 Kilo Weizenmehl liefert, reklamiert B, es seien 100 Kilo zu wenig geliefert worden. Daraufhin entgegnet M, dass er weitere 100 Kilo nur zu einem Preis von 0,60 € liefern werde. Hat B einen Anspruch auf Lieferung von weiteren 100 Kilo zum ursprünglichen Preis?

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Das Missverständnis Anspruch B gegen M auf Übergabe und Übereignung von weiteren 100kg Mehl zu 0,50 € pro kg gem.§ 433 I 1 BGB I. Anspruch entstanden 1. Wirksamer Kaufvertrag  Korrespondierende WE a) Angebot des B Abgabe (+) Zugang unter Anwesenden aa) Strenge Vernehmungstheorie Zugang, wenn der Empfänger die WE richtig wahrnimmt pro: im Gegensatz zur schriftlichen Erklärung sind mündliche Äußerungen nur schwer zu beweisen  Schutz des Empfängers contra: sämtliche Risiken beim Erklärenden bb) Eingeschränkte Vernehmungstheorie Zugang, wenn für Erklärenden vernünftigerweise keine Zweifel an richtiger und vollständiger Vernehmung bestehen konnten.  Risiko wird so geteilt  Angebot (+) 10

Das Missverständnis

b) Annahme des M subjektiv nur bzgl. 100 kg  Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont,§§133, 157 BGB Wie darf Empfänger B nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte die Erklärung des M verstehen?  Sichtweise des objektiven Beobachters in Position des B „die Angelegenheit gehe in Ordnung“ kein Hinweis für B, dass M fälschlicherweise 100 kg verstanden hat  Annahme über 200 kg 2. Zwischenergebnis Angebot und Annahme über 200 kg  KV gem.§433 BGB

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Das Missverständnis II. Anspruch erloschen Nichtigkeit infolge Anfechtung gem.§142 I BGB Anfechtungserklärung gegenüber richtigem Anfechtungsgegner (§143 BGB); Fristgerecht (§121 I 1 BGB); Anfechtungsgrund (§§119 ff. BGB); Keine Bestätigung (§144 I BGB) 1. Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB • Auslegung der WE: unzweideutiger Wille, dass RG nicht gelten soll Hier bestreitet M, dass eine Verpflichtung über weitere 100 kg zu 0,50 € nicht besteht •

Angabe des Anfechtungsgrundes erforderlich? contra: gesetzlich nicht angeordnet pro: legitimes Interesse des Anfechtungsgegners (um z.B. mögliche Verspätung beurteilen zu können vgl. §§121, 124 BGB)

 Erkennbarkeit des Anfechtungsgrundes aus der Erklärung genügt jedenfalls •

B als Vertragspartner richtiger Anfechtungsgegner,§143 II BGB 12

Das Missverständnis 2. Anfechtungsfrist,§121 I 1 BGB Unverzüglich nach Kenntniserlangung Anfechtungserklärung des M gleich nach Entdecken 3. Anfechtungsgrund a) Inhaltsirrtum,§119 I Alt.1 BGB Inhalt und Wille stimmen überein, aber Tragweite nicht erkannt M irrt sich über objektiven Inhalt des Angebots (100 kg anstatt 200 kg) M irrt sich über objektiven Inhalt seiner Annahme b) Kausalität zwischen Irrtum und Erklärung (§119 I letzter HS BGB) subjektive Kausalität und objektive Kausalität Hätte er die zweiten 100 kg nicht für 0,50 € verkauft? Hier: M will nachträglich Vorteil herausschlagen Keine objektive Kausalität III. Ergebnis Anspruch B gegen M aus§433 I 1 BGB

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Die Mietwohnungen

Stefan und Martha suchen schon seit langem eine gemeinsame Wohnung. Am 4. September haben sie plötzlich zwei: Arbeitgeber Ansgar hat Martha vor die Alternative gestellt, im Mietshaus seiner Freundin Freya für fünf Jahre eine Wohnung zu beziehen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Wegen der hohen Miete und dem schlechten Zustand der Räume ziehen der Freya normalerweise die Mieter immer spätestens nach sechs Monaten wieder aus. Martha hat aus Furcht vor Arbeitslosigkeit zum 1.12. einen entsprechenden Mietvertrag mit F unterzeichnet. … Martha erklärt daraufhin der Freya, dass sie wegen des Verhaltens des A sich an den Mietvertrag nicht gebunden fühle. Am 1.12. verlangt Freya von Martha die Zahlung der Miete. … Zu Recht?

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Die Mietwohnungen Anspruch der F gegen M auf Zahlung des Mietzinses gem. §535 II BGB  Wirksamer Mietvertrag gem.§§535, 549 I, 550 BGB (Antrag/Annahme,§§145 ff. BGB) I. Anspruch entstanden Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB  Laut SV Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags. II. Anspruch erloschen Nichtigkeit nach§142 I BGB infolge Anfechtung a) Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB Gebot der Unzweideutigkeit  Erklärung des M, sich wegen des Verhaltens des A nicht gebunden zu fühlen genügt  Anfechtungserklärung (+) Richtiger Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner,§143 II BGB  F als richtiger Anfechtungsgegner

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Die Mietwohnungen b) Anfechtungsgrund,§§119 ff BGB hier: Widerrechtliche Drohung,§123 I Alt.2 BGB? aa) Drohung = vorsätzliches Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt  Arbeitsplatzverlust  AG hat Einfluss auf Arbeitsplatzverlust bb) Widerrechtlichkeit Widerrechtlichkeit der Zweck – Mittel – Relation?  Abschluss des Mietvertrages steht in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis  kein sonstiges berechtigtes Interesse bzgl. Verhalten des M cc) Kausalität • zwischen Drohung und Erklärung • subjektiv und objektiv  Bestimmung zur Abgabe der Willenserklärung durch die Drohung 16

Die Mietwohnungen dd) Drohung durch Dritten • Wortlaut des§123 I BGB besagt nicht, dass Drohung gerade vom Vertragspartner ausgehen muss • Systematik :§123 II BGB beinhaltet Einschränkung der Anfechtung bei Täuschung durch Dritten  Umkehrschluss: Keine Einschränkung bei Drohung durch Dritten • Sinn & Zweck: Schutz der freien Selbstbestimmung auf rechtgeschäftlichem Gebiet. Drohung im Verhältnis zur Täuschung als schlimmere Störung.  Erst-Recht-Schluss: Anfechtung zulässig, wenn Erklärender von Drittem bedroht wurde c) Anfechtungsfrist,§124 BGB Dauer: Jahresfrist,§124 I BGB Beginn: Ende der Zwangslage,§124 II 1 Alt.2 BGB  eingehalten III. Ergebnis Kein Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete. 17

Die Mietwohnungen … Gleichzeitig hat Stefan bei Knut ebenfalls ab 1.12. eine Wohnung angemietet, die Martha aber überhaupt nicht gefällt. Eigentlich wollen Stefan und Martha aber keine der Wohnungen. Stefan ruft am 8. September bei Knut an und erklärt ihm, er müsse sich wegen Marthas Missbilligung einen anderen Mieter suchen. Knut protestiert. Nach beiden Mietverträgen ist die Miete im Voraus zu entrichten. Am 1.12. verlangt Knut von Stefan die Zahlung der Miete. … Zu Recht?

16.12.2015

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Die Mietwohnungen II. Anspruch des K gegen S aus § 535 II BGB  Wirksamer Mietvertrag gem.§§535, 549 I, 550 BGB (Antrag/Annahme,§§145 ff. BGB) I. Anspruch entstanden Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB  Laut SV Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags II. Anspruch erloschen 1. Nichtigkeit nach§142 I BGB infolge Anfechtung a) Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB Gebot der Unzweideutigkeit Erklärung des S, wegen der Missbilligung der M in die Wohnung nicht einziehen zu wollen  Anfechtungserklärung (+) Richtiger Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner,§143 II BGB  K als richtiger Anfechtungsgegner

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Die Mietwohnungen b) Anfechtungsgrund,§§119 ff. BGB Hier: Eigenschaftsirrtum, §119 II BGB? • Eigenschaften der Sache Alle unmittelbar kennzeichnenden Faktoren, welche dauerhaft mit der Sache verbunden sind. • Verkehrswesentlichkeit Wenn eine Eigenschaft auch nach der Verkehrsanschauung ausschlaggebend für den Abschluss ist.  Missbilligung durch M hat mit der Beschaffenheit der Wohnung nichts zu tun  Unbeachtlicher Motivirrtum des S, dass M mit dem Anmieten einverstanden sei c) Zwischenergebnis Lediglich unbeachtlicher Motivirrtum  Kein Anfechtungsgrund  Keine wirksame Anfechtung des Mietvertrages

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Die Mietwohnungen

2. Kündigung des Mietvertrages,§§542 I, 549 I BGB a) Kündigungserklärung des S Erklärung des S, sich vom Mietvertrag lösen zu wollen b) Nichtigkeit nach§125 S.1 BGB Schriftformerfordernis der Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum, §568 I BGB (§126 BGB) S erklärte Kündigung gegenüber K nur mündlich  Keine wirksame Kündigung III. Ergebnis Anspruch K gegen S auf Zahlung des Mietzinses (auch) für den Monat Dezember gem.§535 II BGB.

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