Arbeitsfelder interkultureller Museumsarbeit

Auswertung der Projekte im Modellversuch: Arbeitsfelder interkultureller Museumsarbeit Auszug aus dem Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitu...
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Auswertung der Projekte im Modellversuch:

Arbeitsfelder interkultureller Museumsarbeit Auszug aus dem Abschlußbericht der wissenschaftlichen Begleitung Autor: Ulrich Paatsch

Arbeitsfeld: Begegnung mit dem Fremden in der eigenen Geschichte

Die Projekte, die in diesem Arbeitsfeld aktiv wurden, haben sich v.a. mit eigener Kultur und Geschichte beschäftigt und dabei besonders die "anderen Seiten" herausgearbeitet. Dies sind: fremde Einflüsse, Kulturkontakte, Schicksale von Fremden und Minderheiten, Brüche, Widersprüche und Verdrängtes in der eigenen Heimat- und Ortsgeschichte. Bei diesem Ansatz, der vor allem deutsche Besucher ansprach, lag der Schwerpunkt der Projekte im Modellversuch (11 von 22 Projekten) (1). Dabei zeichneten sich vier unterschiedliche Wege ab, um diese Art der Begegnung mit dem Fremden zu realisieren:



Fremdheit und Fremde wurden relativ generell und umfassend abgehandelt. Intendiert war ein Einstieg, der dem Publikum die ganze mögliche Breite dieser (neuen) Sicht auf Kultur und eigene Geschichte vermittelte. Dabei wurde thematisch ein breites Spektrum abgedeckt, was dazu führte, daß einzelne Themen oft nur angerissen werden konnten. Dies erwies sich nicht nur als Nachteil: Auf diese Weise wurde für die Beteiligten deutlicher, welche Möglichkeiten ein Museum hat, sich dem Themenkomplex 'Fremdheit' anzunähern.



Aus der (Stadt-)Geschichte wurde ein Ausschnitt gewählt und gezielt unter dem Aspekt von Fremden und Fremdheit aufgearbeitet. Die Idee dahinter war, exemplarisch vorzugehen, d.h. an einem bestimmten Thema wurde im Konkreten aufgezeigt, wie fremde Einflüsse, Kontakte nach außen und das Fremde im

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Eigenen die Stadtgeschichte geprägt haben. Dieser exemplarische Ansatz wurde in Sonderausstellungen und begleitenden Angeboten umgesetzt.



Die Schausammlung eines historischen Museums wurde unter der Perspektive von Fremden und Fremdheit neu erschlossen. Dies wurde im Modellversuch öfter in der Form spezieller Führungen und Programme praktiziert, andernorts wurden die Ausstellungen durch zusätzliche Fotos, Texte, Schautafeln und 'Hörstationen' ergänzt. Oder aber es wurden moderne Kunstwerke hinzugefügt, die den intendierten Perspektivwechsel anregen sollten.



Die Schausammlung eines historischen Museums wurde unter dem Blickwinkel des Einflusses und der Bedeutung von Fremden umgestaltet, meist ergänzt durch eine thematisch passende Sonderausstellung. Stärker noch als bei dem vorher beschriebenen Weg wurde dabei in die bestehende Ausstellung eingegriffen: Historische Exponate wurden gezielt in neue Zusammenhänge gestellt, und die Sonderausstellung fügte zusätzliche, meist aktuelle Aspekte hinzu, wodurch ein Zusammenhang zwischen verschiedenen historischen Epochen entstand.

Exemplarisch für jeden dieser vier Wege wird im folgenden je ein Museumsprojekt vorgestellt und unter den o.a. Fragestellungen auf seine spezifischen Möglichkeiten hin diskutiert:

Am Beispiel: Das Projekt 'Fremdes bei uns' im Stadtmuseum Ditzingen.

Bei dem Projekt handelte es sich um eine klassische 'Einstiegsausstellung', mit der die ganze Breite des Themas für das örtliche Publikum angerissen wurde (z.B. Sprache als Spiegel der fremden Einflüsse, konkret nachvollziehbar an einem 'Sprachpuzzle', bei dem man Begriffe der deutschen Sprache ihrer Herkunftskultur zuordnen konnte). Zwei Abteilungen setzten sich mit der Geschichte von Fremden in Ditzingen auseinander: In der Abteilung 'Fremde bei uns' wurde dargestellt, wie das ehemalige Dorf im 18. Jahrhundert mit Personen ohne Bürgerrecht umging; und in der Abteilung 'Aufbruch in die Fremde' wurde die Geschichte von Auswanderern aus Ditzingen gezeigt. Zu verschiedenen Epochen wurden exemplarisch - teilweise illustriert durch Umrißfiguren ('Silhouetten') - einzelne Schicksale porträtiert, etwa das des Mädchens, dessen Vater wegen Arbeitslosigkeit Bremen verlassen mußte und mit seiner Familie nach Ditzingen gezogen war. Methodisch war bei dieser Ausstellung wichtig, daß sie nicht für sich stand, sondern eingebettet war in ein gemeindeweites Programm zum gleichen Thema, an dem sich verschiedene Kulturinstitutionen beteiligten. Arbeitsergebnisse dieser anderen Aktivitäten (z.B. selbst produzierte Plakate, Drucke, 'Großbücher', Collagen und Videos, die in Schulprojekten entstanden) wurden begleitend im Museum ausgestellt.

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Interkultureller Ansatz:

Die Ausstellung diente dazu, historisch und begrifflich das Fremde im Eigenen zu entdecken, und zwar ganz allgemein Fremdes in der Sprache wie auch speziell in der Ortsgeschichte. Dabei entstand der Bezug zum Betrachter praktisch sofort beim Betreten der Ausstellung: Dort wurde er (oder sie) mit dem eigenen Abbild in einem Spiegel und dem Wort 'WIR' in großen Lettern konfrontiert, ergänzt durch Statements, die dieses 'WIR' interpretierten (z.B. 'Wir treiben Handel mit der ganzen Welt'). Außerdem war die gesamte Ausstellung vom pädagogischen Konzept her als Kombination aktueller und historischer Bezüge angelegt. Die Video-Arbeiten der Jugendlichen schließlich brachten - über die bildhafte Darstellung von Ängsten, Phantasien und Bedrohungen - auch etwas von der emotionalen Seite der Begegnung mit dem Fremden zum Ausdruck.



Verknüpfung mit anderen museumspädagogischen Aktivitäten:

Es gab ein Begleitprogramm mit Vorträgen, Schülerprojekten, Führungen und interkulturellen Stadtrundgängen. Wichtigste Neuerung gegenüber der bisherigen Praxis war aber, daß die Ausstellung nicht für sich stand, sondern als Impuls in die Stadt hinein wirkte, der bei den Projektpartnern eigene kleine Projekte zur Thematik anstieß. Dadurch war das Thema 'Begegnung mit den Fremden' fast ein halbes Jahr an verschiedenen Plätzen und Institutionen der Stadt präsent, mit dem krönenden Abschluß einer 'Mitbaustadt', die unter der Beteiligung vieler Einwohner an einem Wochenende auf einer Wiese vor der Stadt aus tausenden von Holzklötzen errichtet wurde.



Bedeutung historischer und künstlerischer Originale:

In der Ausstellung gab es kaum 'echte' historische Originale, sondern viele Objekte waren speziell für die Ausstellung gebaut worden (z.B. das o.a. 'Sprachpuzzle') oder es waren Alltagsgegenstände von geringem historischem Wert. Die Objekte hatten oft eine ausgeprägt didaktische Funktion, wobei als Aufgabe hinzu kam, die zahlreichen schriftlichen Zeugnisse (Statistiken, Originaltexte) museumspädagogisch sinnvoll und besuchergerecht in die Ausstellung zu integrieren. Herausforderung und zugleich Problemstelle im Ausstellungskonzept war aber die Absicht, nicht allein attraktive historische Originale zu zeigen, sondern das Thema 'Fremdheit' in seiner Vielfalt und seinen z.T. sehr abstrakten Bezügen mit den Mitteln einer Museumsausstellung nachzuzeichnen. Dieser Ansatz erwies sich erstens als sehr (!) viel zeitaufwendiger als übliche Ausstellungen. Und er enthielt zweitens die Gefahr einer gewissen 'Überdidaktisierung', d.h. die historischen Originale drohten gegenüber den intendierten Botschaften zu kurz zu kommen. Die Ditzinger Ausstellung stand - ebenso wie zahlreiche andere Ausstellungen des Modellversuchs - vor der widersprüchlichen Aufgabe, einerseits das Thema 'Fremdheit' wirklich differenziert abzuhandeln; bestehende Stereotype sollten auf

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keinen Fall noch verstärkt werden. Andererseits sollten aber die historischen Originale nicht nur als Illustration für einen bestimmten kulturellen oder historischen Sachverhalt dienen, sondern in ihrer Vielfalt und Authentizität zur Geltung kommen. Oder anders formuliert: Es ging darum, ein spezifisches Thema zu entfalten und dennoch den Charakter einer Museumsausstellung zu wahren.

Am Beispiel: Das Projekt 'Begegnung mit dem Fremden - Versuch einer Annäherung' im Jüdischen Museum Göppingen

In Göppinger Stadtteil Jebenhausen lief eines von drei Projekten zur jüdischen Geschichte, dort direkt in einem jüdischen Museum. Die Intention war, über die Kunst einen Zugang zur - für die heutigen Generationen - weitgehend fremden jüdischen Kultur und Geschichte zu schaffen. Um dies zu erreichen, wurden die Exponate der Schausammlung in spezifischer Weise ergänzt: Ihnen wurden durch die Künstlergruppe SPEKTRUM direkt in den Räumen des Museums Kunstwerke gegenüber gestellt (Installationen, Plastiken, Großdrucke), die von den Künstlern eigens für diesen Zweck geschaffen worden waren. Dazu hatten im Vorfeld zahlreiche Gespräche zwischen der Kunstgruppe und dem Museum stattgefunden. Dieser Verständigungsprozeß erwies sich als wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Kooperation, weil erst im Austausch der Beteiligten die notwendige 'Passung' zwischen Kunstwerk und historischem Exponat zu erreichen war.



Interkultureller Ansatz:

Methodisch kamen in dem Kunstprojekt ganz unterschiedliche Ansätze interkultureller Bildung zum Tragen. Dies soll verdeutlicht werden an einem Protokollauszug, der einen Teil der Diskussion zwischen Künstlern und Museum dokumentiert:

"Besucher in einer historischen Ausstellung haben oft doch eine ziemliche Distanz zum Gezeigten, so nach dem Motto: Das war früher .. was betrifft mich das heute noch! Das gilt wohl auch für die Besucher in dieser Ausstellung (im jüdischen Museum), für die ist vielleicht sogar der Massenmord an den Juden schon Geschichte, weit weg eben. Kunst kann hier zweierlei leisten - erstens den Bezug zur Gegenwart wieder herstellen, und sei es nur dadurch, daß es gegenwärtige Kunst ist; und zweitens diese Haltung selbst aufdecken, also das Bedürfnis zur Distanz, zum Zudecken thematisieren, indem z.B. wirklich etwas zugedeckt und verborgen wird, was sonst offen in den Vitrinen daliegt." (Protokoll vom 12.9.96)

Die Kunstwerke in der Museumsausstellung sollten dazu beitragen, das Eigene im Fremden wieder zu entdecken - etwa dadurch, daß sie die Haltung des Betrachters diesem Fremden gegenüber sichtbar machen. Und sie sollten den

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Bezug zur Gegenwart herstellen, indem sie - als moderne, zeitgenössische Kunst - vergangene Geschichte in aktuelle Bezüge stellen. Darüber hinaus zeigten die Reaktionen von Besuchern, daß von den Installationen eine nicht unerhebliche emotionale Wirkung ausging. Viele Besucher waren sichtlich irritiert oder verunsichert, und zwar vor allem dann, wenn sie unvorbereitet, im Zuge eines 'normalen' Museumsbesuchs mit den Kunstwerken konfrontiert wurden. Solche Irritationen können - soweit sich dies aus den begrenzten Erfahrungen ablesen läßt - durchaus im Sinne wie auch entgegen den Intentionen interkultureller Bildung wirken: Die Reaktionen der Besucher reichten von Faszination, Neugierde, Nachdenklichkeit bis hin zu Gleichgültigkeit und schroffer Ablehnung. Das Konzept der Ergänzung einer Ausstellung durch zeitgenössische Kunst bewegt sich daher museumspädagogisch 'auf dünnem Eis': Die Aufmerksamkeit für fremde jüdische Kultur und Geschichte ist evtl. gewachsen, es kann aber auch das Gegenteil eingetreten sein, weil die Ablehnung der Kunstobjekte auch das Verständnis der durch sie interpretierten historischen Exponate blockiert haben kann. Ob eine positive Wirkung eintritt, dürfte auch davon abhängen, welche Unterstützung die Besucher erfahren. Dies unterstreicht die Bedeutung eines entsprechenden museumspädagogischen Konzeptes (s.u.).



Verknüpfung mit anderen museumspädagogischen Aktivitäten

Es gab zum Projekt ein museumspädagogisches Begleitprogramm und auch einige ergänzende Kunstaktionen (u.a. eine Performance), die in den umgestalteten Ausstellungsräumen stattfanden. Es fehlte allerdings ein spezielles museumspädagogische Konzept für den Besuch der Ausstellung durch Schulklassen. Ein solches Konzept wäre v.a. deswegen sinnvoll gewesen, weil die Kombination von Kunstprojekt und historischer Ausstellung für Schulklassen und ihre Lehrer ein neues und interpretationsbedürftiges Angebot darstellte: Einerseits handelte es sich nicht um den üblichen Besuch in einem Kunstmuseum, andererseits wich das Gezeigte aber auch von allem ab, was Schüler sonst in einem Geschichtsmuseum zu sehen bekommen. Aus diesem Grunde schien es für Lehrer wie Schüler nicht einfach zu sein, die in der Ausstellung enthaltenen Anregungen für den Geschichts-, Ethik- oder auch Kunstunterricht zu nutzen. Für ein solches kunstorientiertes Ausstellungskonzept scheint es daher besonders wichtig zu sein, parallel Arbeitsformen für Schulklassen und andere Gruppen zu entwickeln, die den anderen Zugriff auf Geschichte stärken und fördern.

Gleiches gilt auch für Führungen mit Erwachsenen: Es zeigte sich, daß auch viele erwachsene Besucher eine Erklärung oder eine Art Anleitung gebraucht hätten, die ihnen den Einstieg in diese ungewöhnliche Kombination von moderner Kunst und Geschichtsausstellung erleichtert. Dies galt um so mehr, als das Jüdische Museum während des Projektes nicht nur von Personen besucht wurde, die einschlägige Erfahrungen im Umgang mit Kunstausstellungen besaßen. In dieses Museum kommen auch weniger kunsterfahrene Teile der Bevölkerung, für die evtl. spezielle Angebote zu entwickeln gewesen wären, um ihnen über die erste Schwelle der Ablehnung oder Irritation hinweg zu helfen. Eine Möglichkeit dazu wären dialogische Führungen gewesen, die die Besucher v.a. darin bestärken, eigene Deutungen des Gezeigten zu finden.

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Bedeutung historischer und künstlerischer Originale:

Zentral für dieses Projekt war, daß die Begegnung mit dem Fremden in der normalen Schausammlung des Museums stattfand. Dieser Ansatz markiert eine wichtige Möglichkeit für interkulturelle Museumsarbeit, da solche Konzepte auch unter 'Normalbedingungen', also ohne Sonderförderung durch Modellmittel, realisierbar sind. Jede Museumsausstellung dürfte entsprechende Zeugnisse für interkulturelle Prozesse enthalten. Die Originale im Jüdischen Museum verdeutlichen dieses Sachverhalt besonders einprägsam: Sie sind Teil einer fremden Kultur, zugleich aber auch Teil der eigenen Regionalkultur und damit auch der eigenen Geschichte. Museumspädagogisch geht es also darum, genau diese Polarität sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Das Projekt in Göppingen hat dafür eine ungewöhnliche, aber auch relativ anspruchsvolle Lösung gefunden. Das Konzept der 'kreativen Ergänzung' der Schausammlung ist damit aber noch keineswegs ausgeschöpft. Weitere Beispiele aus dem Modellversuch lassen ansatzweise die in dieser Methode angelegten Möglichkeiten erkennen: Im Offenburger Museum im Ritterhaus sind - im Projekt 'Museum, Museum, Museum' (2) - solche Ergänzungen aus einem Kunstprojekt mit Kindergruppen hervorgegangen. Und im Maschenmuseum Albstadt wurde die Schausammlung durch eine kleine Inszenierung, eine Hörstation und eine Vitrine mit 'fremden Gegenständen' um Bezüge zur Lebenswelt ausländischer Näherinnen ergänzt.

Am Beispiel: Das Projekt "Schloßstraße" in der Alten Synagoge in Hechingen.

In Hechingen fand ein weiteres Projekt zur jüdischen Kultur und Geschichte statt, das allerdings ganz anders geartete Anregungen für interkulturelle Museumspädagogik enthielt. Es ging hier um eine Sonderausstellung, die eine Straße der Hechinger Altstadt zum Thema hatte, wobei gleich auf doppelte Weise nach einer biographischen Methode verfahren wurde: Erstens wurden in der Ausstellung 'Häuserportraits' gezeigt, die als maßstabgerechte Rekonstruktion einer ganzen Häuserflucht in den Räumen der Alten Synagoge entstanden. Zweitens wurden in der Ausstellung Portraits ausgewählter historischer, oft jüdischer Personen präsentiert, die in den Häusern gelebt hatten und deren Biographien - teilweise direkt an den Häuserfronten, teilweise auch mittels silhouettenartiger Umrisse - ebenfalls Teil der Ausstellung waren.



Interkultureller Ansatz:

Auch hier ging es um die fremde (= heute ferne) jüdische Kultur, diesmal veranschaulicht als Bestandteil der eigenen Stadtgeschichte. Durch das Mittel der Häuserportraits, das die Geschichte der Straße bis in die Jetztzeit fortführte, war der Bezug zum Heute auf eine sehr einprägsame Weise hergestellt. Und durch

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die Straße als verbindendes Element (die ja Juden wie Nichtjuden als Heimat diente) wurde auch die Gemeinsamkeit zwischen den Kulturen aufgezeigt. Dabei hat Fremdes - so die wichtigste Botschaft dieses Projektes - in allen Epochen auf ganz unterschiedliche Weise die Geschichte der Straße bestimmt. Dazu einer der Initiatoren des Projektes:

"Es ging uns darum, in der Schloßstraße die Begegnung mit Hechingens Geschichte konkret werden zu lassen. Im Stadtrat wird immer nur von der architektonischen Bedeutung eines Hauses geredet. Uns ging es um mehr: Was hatten die Menschen, die darin gewohnt hatten, für eine Bedeutung für die Stadt? Was war diese Straße für die Stadt? Früher ist die Schloßstraße ein Stück der Verbindung Schweiz - Neckarraum gewesen, durch die alle Waren und Personen hindurch mußten (u.a. Goethe auf dem Weg in die Schweiz...), sie war über Jahrhunderte der Weg alles Fremden zu uns. Heute ist sie nur noch eine kaputtsanierte Gasse (...). Eine Geschichte der Häuser in der Schloßstraße fragt daher nicht nur nach der Geschichte des Fürstengeschlechts auf der Hohenzollernburg .. sie fragt z.B. auch nach der Industrialisierung: In der Südwestalb ist das die Textilindustrie, und das waren alles jüdische Firmen, die ihren Sitz in der Schloßstraße hatten. Oder dazu gehörte auch Heisenberg, der hier wohnte und der am Kriegsende in Haigerloch im Brauereikeller seinen Reaktor für schweres Wasser hatte, mit dem Ziel, eine deutsche Atombombe zu bauen, auch das ist Heimatgeschichte. Später wurde die Schloßstraße wieder eine Straße der Fremden, es kamen nach dem Krieg die Flüchtlinge, dann die türkischen Migranten ... auch das ist Heimatgeschichte! Heute folgen im Zuge von Modernisierungssanierungen die Singles, die hier 'bindungslos' für einige Jahre in teuren Appartements wohnen, aber in Tübingen an der Uni arbeiten ... auch ein Aspekt von Fremdheit in dieser Straße!" (Interview Hechingen)



Verknüpfung mit anderen museumspädagogischen Aktivitäten:

Es gab auch in Hechingen Veranstaltungen im Rahmenprogramm, aber bestimmend für das Projekt waren die museumspädagogischen Aktivitäten im Vorfeld: Die Ausstellung war nur möglich, weil eine Gruppe Jugendlicher zuvor monatelang die Geschichte der Straße und ihrer Bewohner recherchiert und dokumentiert hatte. In akribischer Arbeit hatten die Jugendlichen Fotos, Briefe, Zeitungsmeldungen, Tagebuchaufzeichnungen, Grundbuchauszüge und mündliche Berichte zusammen getragen - Materialien also, auf deren Grundlage sich erst dieses Straßenportrait zeichnen ließ. Allerdings hat nur ein Bruchteil der Befunde Eingang in die Ausstellung gefunden, die meisten Erhebungsergebnisse liegen gesammelt in thematischen Bänden vor. Die Jugendlichen haben auf diese Weise also auch ein Stück 'Stadtgeschichte von unten' geschrieben, ein Ergebnis, das über das Ende des Projektes hinaus Bestand hat. Entscheidend für das Gelingen des Projektes war aber, daß beide Aktivitäten - die Forschungsarbeiten im Vorfeld und die Ausstellung - in unmittelbarem Zusammenhang standen: Ohne die Recherchen wäre das Konzept der Häuserportraits nicht umsetzbar gewesen; aber ohne das Ziel der Ausstellung wären die Jugendlichen kaum für die umfangreichen Forschungsarbeiten zu motivieren gewesen. Dies unterstreicht, wie wichtig Ausstellungen als museumspädagogisches Medium sind.

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Bedeutung historischer und künstlerischer Originale:

Hier gilt ähnliches wie auch für das Ditzinger Ausstellungsprojekt: Es existierten kaum dreidimensionale historische Originale, aber es gab eine Fülle schriftlicher Quellen und umfangreiche empirische Forschungsergebnisse, die in ansprechender Form auszustellen waren. Die Lösung für dieses Problem wurde in den - im Selbstbau realisierten - Häuserfronten gefunden, die eine attraktive und sinnvolle Möglichkeit zur Präsentation verschiedenster Quellen boten. Diese Form der Umsetzung sorgte im übrigen auch dafür, daß die meisten Besucher bereit waren, viel Text zu lesen, viele Fotos zu studieren und sich in historische Dokumente zu vertiefen. Sie konnten in der Ausstellung quasi ihre eigene Stadt erkunden, was für entsprechendes Interesse sorgte. Unter dem Aspekt des Besucherverhaltens unterschied sich diese Ausstellung daher sehr von anderen heimatkundlichen Präsentationen: Man sah nur selten Besucher, die von Exponat zu Exponat schlenderten, man sah aber häufiger Besucher, die konzentriert und für längere Zeit mit dem Studium einzelner Ausstellungsteile beschäftigt waren.

Am Beispiel: Das Projekt "Hiergeblieben - ausgegrabene und erzählte Geschichte(n) von Einwanderern in Singen" am Hegau-Museum Singen

In diesem Projekt wurde eine historische Perspektive ganz anderer Art bezogen: Es setzte an bei der frühgeschichtlichen Epoche der Alamannen, zeigte deren Kulturkontakte, schlug dann den Bogen bis hin zur Geschichte der Ein- und Auswanderung in Singen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Biographien waren dabei der zentrale Bezugspunkt: Die Geschichte der Migration nach Singen wurde dargestellt an zwölf 'Silhouetten' von Personen, die 'weggegangen' oder 'hiergeblieben' waren. Unmittelbar daneben wurde in einer weiteren Abteilung die Situation von Ausländern heute thematisiert, konkret nachvollziehbar an den 'Biographiebrettern' von 13 Jugendlichen aus ebenso vielen Nationen. Auf diesen Brettern stellten diese sich selbst mit Fotos, persönlichen Gegenständen und Texten vor.



Interkultureller Ansatz:

Wie auch in Hechingen ging es in diesem Projekt um fremde Seiten und Einflüsse in der Geschichte einer Region, wobei über den Rekurs auf die Alamannen ein für die Identität der Bewohner der Stadt bis heute wichtiger Punkt getroffen wurde. Schon dadurch war der Gegenwartsbezug thematisch vorhanden. Außerdem sorgte die diachrone Betrachtungsweise, also die Einbeziehung von verschiedenen historischen Epochen bis zur Gegenwart, dafür, daß die Beschäftigung mit fremden Einflüssen und Personen einen Bezug zum Heute behielt. Methodisch wurde dieser Bezug zum Betrachter durch die Vorstellung einzelner Biographien unterstützt. Beispiel: Es wurde gezeigt, welche Odyssee

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eine Deutschstämmige aus Weißrußland hinter sich hatte, bevor sie in Singen ihre endgültige Heimat fand. Dies sprach viele Betrachter direkt und ganz persönlich an, und dies förderte vielleicht sogar die Erkenntnis, daß es gar nicht so selbstverständlich ist, sich an einem Ort sicher zu Hause zu fühlen. Die hier gewählte biographische Methode erwies sich aber noch unter einem weiteren Aspekt als fruchtbar für interkulturelle Bildung: Sie betonte nachdrücklich die Gemeinsamkeiten, die - bei aller Unterschiedlichkeit - zwischen den gezeigten Emigrantenschicksalen bestanden und bestehen ('Weggehen' und 'Ankommen').



Verknüpfung mit anderen museumspädagogischen Aktivitäten:

Museumspädagogisch stand das Singener Projekt insofern stellvertretend für mehrere andere Projekte im Modellversuch, weil es eingebunden war in einen ganzen Verbund von Gruppen, Personen und Aktivitäten. Die Art der Verflechtung wird besonders gut nachvollziehbar im Abschlußbericht des Museums:

" Ein Teil des Projektes wurde mit einer Gruppe von 16 Jugendlichen aus 14 Ländern, die heute hier leben, realisiert. Sie haben u.a. jeweils eine Bildgeschichte zusammen gestellt, die über ihre Herkunft, Wünsche und Pläne Auskunft gibt. Schwerpunkt der Ausstellungsvorbereitung lag in der pädagogischen Arbeit mit dieser Gruppe, die sie darauf vorbereiten sollte, die eigene Geschichte im Museum zu präsentieren. Darüber hinaus wurden oralhistory-Gespräche mit neuen Inländern, Ausländern, Aussiedlern und Kriegsvertriebenen geführt, die zu einem Panorama erzählter Geschichte(n) zusammen gefaßt wurden. Sowohl durch die Führungen (3.Klasse bis Senioren) als auch durch Museumsfest, Podiumsdiskussion, Vortragsreihe, Projekttage und Ferienprogramme haben wir mit dieser Ausstellung ein sehr breites Publikum erreichen können. Gute Presse, gute Kontakte zum 'Hegauer Weltnetz' und zu Regionalhistorikern verankern das Projekt sowohl in der 'Ausländer Szene' als auch beim klassischen Museumspublikum. (...) Auch die Zusammenarbeit mit den Oral-History-Partnern hat zu weiterreichenden Kontakten geführt (u.a. Pressearbeit, Nachfolgeprojekt Stadtralley 'Fremde daheim in Singen' mit ausländischen Vereinen)." (Projektbogen Singen)

In dieser Schilderung kommt ein Selbstverständnis von Museumsarbeit zum Tragen, das einige neue Elemente enthält, die spürbar durch den interkulturellen Anspruch des Modellversuchs gefördert wurden: Das Museum begreift sich explizit als Kommunikationszentrum, das als Anlaufpunkt für Personen fungiert, denen die Verständigung zwischen den Kulturen in der Region ein Anliegen ist. Und ein zweites kommunikatives Element kommt hinzu: Es wurde gezielt mit der Bildung einer multikulturellen Gruppe experimentiert. Diese Gruppe, die sich aus Jugendlichen aus 13 Nationen zusammensetzte, arbeitete über mehrere Monate unter Anleitung an dem Vorhaben, eine Abteilung der Ausstellung zu gestalten. Das Museum entwickelte und realisierte dazu ein didaktisch abgestuftes Programm, das in dieser differenzierten Form in keinem der anderen Museumsprojekte zu finden war (3). Dieses Programm sorgte für einen intensiven Austausch, ein besseres Kennenlernen zwischen den Nationalitäten und führte wie die Ausstellung belegte - zu einem schlüssigen Ergebnis.

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Bedeutung historischer und künstlerischer Originale:

Auch das Singener Projekt beinhaltete - wenigstens ansatzweise - eine Umgestaltung der Schausammlung, hier unter der Perspektive der frühzeitlichen Kulturkontakte. Im zweiten Teil, der Sonderausstellung, dienten dann Alltagsobjekte dazu, diese Perspektive aktuell zu ergänzen. Es wurden Dinge gezeigt, die z.T. aus dem Besitz der Dargestellten selbst stammten und oft eine eigene, manchmal dramatische Geschichte zu erzählen hatten. Dies bot interessante Ansatzpunkte für Führungen, weil der oder die Führende nicht einfach nur "erklärten", sondern auch die Dinge zum Sprechen bringen konnten. Dieser narrative Umgang mit Objekten, der die 'Geschichten hinter der Geschichte' zum Vorschein brachte, ist ein Ansatz, der auch in verschiedenen anderen Projekten des Modellversuchs praktiziert wurde (besonders ausgeprägt im Heimatmuseum Mössingen). Er hat dazu geführt, daß - soweit sich dies im Rahmen unserer Erhebungen feststellen ließ - Besucher aufmerksamer wurden, Fragen stellten, selbst Geschichten erzählten und das Gezeigte mit größerem Interesse erkundeten.

Solche Ausstellungselemente erwiesen sich auch deswegen als besonders wirksamer Anknüpfungspunkt für interkulturelle Museumspädagogik, weil sie die Besucher auf eine sehr unmittelbare Weise auf zentrale Probleme des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern hinwiesen. Ein Beispiel dafür waren in der Singener Ausstellung einige der 'Biographiebretter', auf denen Jugendliche traditionelle Gegenstände aus ihren Herkunftskulturen mit Dingen aus ihrem hiesigen Alltag kombiniert hatten - als sichtbaren Beleg für die Diskrepanzen, denen sie als ausländische Jugendliche in der deutschen Gesellschaft ausgesetzt sind. Diese kleinen Inszenierungen lieferten vielen deutschen Besuchern sichtlich Stoff zum Nachdenken und Anregungen für spontane Diskussionen untereinander.

Welches Fazit läßt sich aus der Praxis der vier vorgestellten Projekte ziehen?



Sie machen deutlich, welches Gewicht im historischen Arbeitsfeld Methoden zukommt, die - auch über die historische Distanz - das Eigene im Fremden aufspüren. Der Begegnung mit dem Fremden in der Geschichte kommt also nicht per se ein Wert für interkulturelle Bildung zu, sondern erst dann, wenn eine für die Besucher begehbare Brücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart geschlagen wird. Wie dies jeweils methodisch umgesetzt wurde, war unterschiedlich: Die Lösungen in den Projekten reichten vom Spiegel als Mittel des Rückbezugs über die Rekonstruktion einer Häuserzeile bis hin zur Konfrontation historischer Exponate mit heutiger Kunst. Aber der Anspruch, Geschichte nicht nur 'irgendwie lebendig' darzustellen, sondern in eine Beziehung zum Betrachter zu bringen, ist in diesen (wie auch in verschiedenen anderen Projekten des Modellversuchs) unübersehbar.

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Biographien sind in vielen Projekten der Schlüssel gewesen, der den heutigen Besuchern Einfluß und Schicksal von Fremden in der Vergangenheit aufgeschlossen hat. Unabhängig voneinander haben viele Museen im Modellversuch biographische Methoden entwickelt und eingesetzt, wenn sie sich in Ausstellungen mit historisch Fremdem befaßt haben. Die Reaktionen des Publikums darauf waren fast stets positiv. Wenn auf diese Weise Einzelschicksale erkennbar und nachvollziehbar wurden, wuchs die Aufmerksamkeit bei fast allen Besucherschichten - selbst bei Führungen mit Schulklassen, die sonst historische Ausstellungen eher 'lustlos' absolvierten. Und die Präsentation von Einzelschicksalen hat bei vielen Besuchern das Bedürfnis geweckt, selbst zu erzählen, sei es über ihre persönliche Geschichte, sei es über die ihrer Herkunftsfamilie. Dabei erwies sich, daß es in Führungen kaum Teilnehmer gab, die nicht in irgendeiner Weise von Einwanderungs-, Heimatvertriebenen- und Flüchtlingsschicksalen zu berichten wußten. Wichtiges Ergebnis des Modellversuchs ist daher, daß die biographische Methode ausgesprochen aktivierend auf Besucher wirken kann und geeignet ist, eine persönliche Betroffenheit herzustellen.



Den historischen Projekten des Modellversuchs ist - bei aller Unterschiedlichkeit - eines gemeinsam: Der Versuch, den Ausstellungsbesuchern einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Am Beispiel: In der Ditzinger Ausstellung wurde gezeigt, daß gerade das, was uns am vertrautesten scheint, unsere Sprache, Wurzeln in einer Vielzahl fremder Kulturen und Sprachräume hat; im jüdischen Museum Göppingen wurde durch das Kunstprojekt in der historischen Ausstellung radikal eine neue Perspektive eingeführt; in der Alten Synagoge in Hechingen lernten die Besucher die (scheinbar) vertraute Gasse der Nachbarschaft als einen Ort kennen, an dem es Überraschendes und Unerwartetes zu entdecken gibt; und im Hegau Museum in Singen erfuhren die Besucher, daß selbst Funde aus frühgeschichtlichen Epochen nicht als Zeugnisse für eine Kultur, sondern auch für deren Verbindung mit anderen Kulturen ihrer Zeit stehen. Gemeinsames Konzept ist also: Die Auseinandersetzung mit dem Fremden in der Geschichte soll dem Besucher nicht nur das zeigen, was er oder sie in einer historischen Ausstellung zu sehen erwartet, sondern eine neue Perspektive erschließen, die überkommene, evtl. 'zu einfache' Geschichtsbilder in Frage stellt.



Die vorgestellten Projekte zeigten schließlich, daß die Begegnung mit dem Fremden in der Geschichte sehr viel an Wirksamkeit gewinnt, wenn sie begleitet wird von einer Begegnung mit Menschen fremder Herkunft heute. Alle historischen Ausstellungen wurden ergänzt durch museumspädagogische Angebote, die nicht nur das Thema vermitteln, sondern einen lebendigen Rahmen für die historischen Präsentationen schaffen wollten. Das historische Thema wurde damit auch zum Impuls, der - im eingangs beschriebenen epistemischen Sinn - neugierig machte auf das Fremde in unserer eigenen Gesellschaft. Daraus entwickelten sich Aktivitäten, in das Interesse von Menschen weckten, die die Museumsausstellung von sich aus sicher nicht besucht hätten. Auf diese Weise wurden also auch neue Besucherschichten gewonnen, wie etwa im Singener Projekt über die Führungen für ausländische Vereine. Kurz: Um die Ausstellung des historisch Fremden herum entstand bei einigen Projekten ein kommunikatives

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Netzwerk, das inhaltlich die historische Perspektive ausweitete bis hin zur Gegenwart und das dazu noch als Werbung für das Museum wirkte. Als förderlich erwies sich dabei, wenn schon in der Ausstellung Schnittstellen für aktuelle Aktionen und kleine Folgeprojekte enthalten waren. Dies war etwa in Ditzingen der Fall. Dort wurden im unmittelbarem Zusammenhang mit der Sonderausstellung Schülerarbeiten präsentiert, die das historische Thema der Ausstellung in die heutige Welt der Jugendlichen übersetzten.

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(1) In diesem Aufgabenfeld haben die folgenden Museen gearbeitet: Maschenmuseum Albstadt, Braith-Mali-Museum, Biberach, Stadtmuseum Ditzingen, Museum in der Alten Schule, EfringenKirchen, Jüdisches Museum Göppingen-Jebenhausen, Alte Synagoge Hechingen, Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Heimatmuseum Mössingen, Hegau Museum, Singen, Grafschaftsmuseum Wertheim, Bauernhausmuseum Wolfegg. (2) Im Museum Ritterhaus in Offenburg haben im Oktober 1996 sieben Kinder- und Jugendgruppen (u.a. aus der Ausländerinitiative, Jugendtreff, eine Gruppe aus einem Heim 'schwererziehbarer' Jugendlicher, Kindertagesstätte) die Dauerausstellungen des Museums durch solche Installationen und künstlerische Arbeiten ergänzt. Titel: 'Museum, Museum - fremd oder vertraut?'. Die Ergebnisse haben in der Öffentlichkeit sehr viel Aufmerksamkeit gefunden. Bezug einer Dokumentation bei: Museum Ritterhaus, Anne Junk, Ritterstr. 10, 77652 Offenburg. (3) Mit Ausnahme von Heidelberg, wo am Kurpfälzischen Museum ein ähnliches Programm realisiert wurde, dort allerdings als Schulprojekt.

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Arbeitsfeld: Begegnungmit fremderKultur

Lediglich sechs Projekte (1) hatten ihren Schwerpunkt in diesem - für interkulturelle Bildung klassischen - Arbeitsfeld. Gesucht waren Wege, die das Interesse an und die Akzeptanz für fremde Kulturen durch die Beschäftigung mit ihnen zu fördern in der Lage waren. In zwei Projekten wurde dazu ein Ausschnitt aus einer außereuropäischen Kultur dargestellt, ein Projekt beschäftigte sich speziell mit türkischer Kultur und Geschichte mit Bezug zum Ort. Die beiden anderen Projekte präsentierten ein ganzes Spektrum fremder Kulturen und Lebensformen (Freiburg, Ulm). Die daraus entstandenen Ausstellungen wurden vom Publikum im allgemeinen sehr positiv bewertet. Die Möglichkeit, unbekannte Dinge zu sehen und fremde Menschen zu treffen, wurde gern wahrgenommen. Dabei wurde auch deutlich, daß nicht nur Völkerkundemuseen, sondern auch andere Museen über Ansatzpunkte für diese Art der Begegnung des Eigenen mit Fremden verfügen. Zwei unterschiedliche Wege wurden von den Museen in diesem Arbeitsfeld eingeschlagen, nämlich: Begegnung mit Zeugnissen eines fremden Kulturkreises und Begegnung mit dem Fremden 'vor Ort', d.h. die Erschließung von fremden Kulturen in der eigenen Stadt. Begegnung mit Zeugnissen eines fremden Kulturkreises Am Beispiel: Die Ausstellungen 'Hochzeit im Maghreb' in der Zehntscheuer in Balingen und im Franziskanermuseum in Villingen Schwenningen Beides sind Museen, in denen Besucher zunächst eher die Ausstellung von Dingen der eigenen Kultur und Geschichte erwarten. Daher war schon im Konzept dieser Projekte vorgesehen, die präsentierten Zeugnisse des nordafrikanischen Hochzeitsritus in eine Beziehung zum eigenen Hochzeitsbrauchtum zu bringen. Dazu die Initiatoren der Projekte in ihrem Antrag: "Wie bei jeder Ausstellung möchten wir Bezüge zu unseren Sammlungen herstellen: Im Bereich Volkskunde bietet sich ein Tansfer der Thematik in unseren eigenen Kulturkreis von selbst an, (denn) Brautschmuck in Form von Brautkronen (Schappel), Brautgürtel und eine historische (Schwarzwälder) Hochzeitstracht befinden sich bereits in der Dauerausstellung. Was die Betrachter zunächst in der Ausstellung 'Hochzeit im Maghreb' als fremd erleben, können sie somit über die historische Fremdheitserfahrung relativieren, bzw. auch Vertrautheit über die Ähnlichkeiten solcher Bräuche herstellen. Neben diesem eher 'oberflächlichem' und eingängigem brauchtumsbezogenen Aspekt bietet das Thema 'Hochzeit' eine andere Annäherungsmöglichkeit an das Thema des Modellversuchs, werden hier doch zwei sich fremde Familien miteinander verbunden. Sowohl im Bereich Urund Frühgeschichte, mit dem Fund einer spanischen Gürtelschnalle in einem Keltengrab, wie auch in der Stadtgeschichte (Hochzeiten zwischen Villingern und Schwenningern, zwischen Einheimischen und Fremden) ließe sich diese 'Begegnung mit dem Fremden' (...) veranschaulichen." (Antrag Villingen-Schwenningen v. 28.4.1995)

Die Erfahrungen, die später in diesen Projekten gewonnen wurden, bestätigten diese Annahme: Interkulturelle Bildung ergab sich nicht allein aus der Präsentation einer fremden Kultur, sondern zentral für den gewählten interkulturellen Ansatz war der konkrete (!) Bezug zum eigenen Kulturkreis. Dabei wäre es (vor allem für

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Einzelbesucher) sicherlich sinnvoll gewesen, diesen Bezug schon in der Ausstellung selbst zu schaffen. In Villingen-Schwenningen gab es in der Ergänzung der Ausstellung durch die 'Schwarzwaldbräute' einen Ansatz in dieser Richtung. Die zweite Möglichkeit war, im museumspädagogischen Begleitprogramm die Brücke zwischen dem eigenen Kulturkreis und der fremden Kultur zu schlagen. Zu diesem Konzept ein Auszug aus dem Antrag des Museums in Villingen-Schwenningen: "Museumspädagogische Aktionen und Führungen sollen für verschiedene Altersstufen angeboten werden. (...) Nach einer Führung durch die Ausstellung sollen die Schüler in einer Aktion 'Hochzeit 2000' ihre eigene ('sinnvolle') Hochzeit gestalten. Was die Schüler im ethnischen Vergleich kennen gelernt haben - daß nämlich bestimmte Brauchelemente allen Kulturen gemeinsam sind - können sie hier nutzen, indem die Schüler sie als Bausteine einer eigenen Zeremonie verwenden, verändern oder neue Bausteine erfinden. (...) Sie ermessen dabei die eigene, individuelle Bindung an Tradition, lernen bestimmte kommerzialisierte Formen des Brauchs ('weiße Hochzeit') kennen und sie erleben auch die Offenheit bzw. gesellschaftliche Verankerung solcher Bräuche (was sagt der Partner, die Familie, die oder der Bekannte, was sagt der Staat zu einem 'neuen' Brauch?)." (Antrag Villingen-Schwenningen v. 28.4.1995) Dieser Versuch, eine Verbindung zwischen der eigenen und einer fremden Kultur herzustellen, kann - wenn er konkret wird - überraschende Belege für die Brisanz des Themas liefern. Dazu eine Episode aus dem Projekt in VillingenSchwenningen: "In der Vorbereitung der Ausstellung hatte ein Villinger Ehepaar zunächst ein weißes Hochzeitskleid zur Verfügung gestellt. Die Zusage wurde aber brüsk zurückgezogen, nachdem das Ehepaar erfahren hatte, für welche Ausstellung das Kleid benötigt wurde. Als Begründung wurde angegeben, daß sie für solche 'Propaganda für Ausländer' nicht noch etwas beisteuern wollten. Auf das Argument der Bereicherung der eigenen Kultur durch Fremdes und daß es die italienischen 'Gastarbeiter' waren, die schon im 19. Jahrhundert hier im Schwarzwald die Eisenbahn bauten, wurde geantwortet: 'Damals haben wir sie gebraucht, heute nehmen sie uns die Arbeit weg'. Wobei - so die Anmerkung der Museumsleiterin - dieses Argument auf die aus dem gehobenen Bürgertum stammenden Eheleute mit Sicherheit nicht zugetroffen hat." (Interview VillingenSchwenningen)

Diese Episode zeigt, daß eine Präsentation fremder Kultur, wenn sie interkulturelle Ansätze enthält, sehr viel von ihrer Beliebigkeit verliert. Dies ist eine Wirkung, die sich negativ als Ablehnung bemerkbar machen, die aber auch positiv zur Auseinandersetzung mit fremden Kulturen genutzt werden kann. Es liegt daher nahe, nicht nur fremde Kulturen aus fernen Ländern vorzustellen, sondern sie auch in der eigenen Stadt aufzusuchen und in derjenigen Form zu präsentieren, wie sie hier bei uns zu finden ist. Dadurch wird der für interkulturelle Bildung konstitutive Bezug zur eigenen Kultur schon rein räumlich hergestellt. Begegnung mit dem Fremden 'vor Ort' Diesen zweiten Weg der Begegnung mit fremder Kultur haben mehrere Museen im Modellversuch eingeschlagen. Prototypisch für dieses Konzept ist das Projekt des Ulmer Museums, das versucht hat, die in Ulm vertretenen fremden Kulturen möglichst breit seinem Publikum vorzustellen. Am Beispiel: Das Projekt 'Fremde Kulturen in Ulm' des Ulmer Museums

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Über die Erfahrungen, die das Ulmer Projekt mit diesem Ansatz gemacht hat, liegt ein ausführlicher 'Werkstattbericht' vor, der hier in Auszügen dokumentiert wird. In diesem Bericht werden Reichweite, einige praktische Probleme und auch die Ansatzpunkte für interkulturelle Bildung sehr konkret nachvollziehbar: "Die ursprüngliche Idee - die später modifiziert werden mußte - war die Ausstellung von Symbolen hauptsächlich religiösen Inhalts, aber auch aus der Alltagswelt aus den verschiedenen Kulturen, um sie miteinander zu vergleichen, ihre Unterschiede, aber auch ihre Übereinstimmungen, das Andere und auch das Gemeinsame aufzuspüren. Gedacht war an eine kleinere Ausstellung. Die ausgestellten Objekte sollten exemplarischen Charakter haben, die Quantität sich in Grenzen halten. Anfangs war auch die Hoffnung vorhanden, ausländische Familien, die nicht in Vereinen und Gruppen organisiert sind, über die Presse auf dieses Projekt aufmerksam zu machen und zur Teilnahme zu ermuntern. Es war aber gleichzeitig klar, daß auch die andere Schiene über die Gruppen, Clubs und Vereine genutzt werden sollte. Nur diese führte schließlich zu Kontakten. Im Herbst 1995 wurde der Kontakt mit dem Ausländerbeauftragten aufgenommen, um mit seiner Hilfe die Adressen der entsprechenden Ansprechpartner zu bekommen. In Ulm gibt es über 100 ausländische Vereine. Es mußte eine Auswahl getroffen werden. Kriterium war die gewußte oder vermutete Aktivität im kulturellen Bereich. Schließlich kristallisierten sich 30 Adressen heraus. Die Einladung zur ersten Gesprächsrunde zeigte mit der Teilnahme von einem Dutzend ausländischer Gruppierungen eine recht gute Resonanz. Schon bald kam die Erkenntnis, daß eine Ausstellung mit symbolischen Objekten nicht zu realisieren war. Das lag vor allem daran, daß die Teilnehmer nur vereinzelt im Besitz entsprechender Objekte waren, aber auch daran, daß der schillernde Begriff 'Symbol' nur schwer dingfest zu machen war. Ein Umdenken war erforderlich. Das Thema der Ausstellung wurde ausgeweitet, und die ausgestellten Exponate sollten jetzt ganz allgemein die jeweilige Kultur repräsentieren, angefangen von den Alltagsgegenständen bis zu religiösen Objekten und Gegenständen der Spielkultur. Schlußendlich beteiligten sich an der Ausstellung acht verschiedene Gruppen und Vereine: Bahai (als religiöse Gemeinschaft), Bosnien, Ghana, Indonesien, Japan, Kurdistan, Makedonien, Türkei. Die Flut der eingelieferten Ausstellungsobjekte mehr als 200! - erforderte eine räumliche Umorientierung, von einer 'StudioAusstellung' war nicht mehr die Rede. Alle Objekte wurden von den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gebracht. Sie gaben auch die entsprechenden Erklärungen zu den Exponaten, die später bei den Beschriftungen ausgewertet wurden. Die Ausstellung hatte also keinen wissenschaftlichen Anspruch. Der Sinn lag ja vielmehr darin, den in- und ausländischen Besuchern fremde Kulturen mit einfachen, d.h. verständlichen Texten nahe zu bringen und so Schranken abzubauen. Einmal wöchentlich hatten die verschiedenen Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Kultur im Museum vorzustellen. Dies wurde von den Türken, Kurden, Indonesiern und der Bahai-Gemeinde genutzt. Grob gesehen waren bei diesen Veranstaltungen jeweils die Hälfte der Teilnehmer ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen (meist aus dem Verein, der das Treffen anbot), der Rest waren Nicht-Ausländer, wobei sich zuweilen anregende Gespräche ergaben.(...) Fazit: Das Ulmer Museum realisierte zum ersten Mal ein Projekt mit Ausländergruppen. Wie so oft, wenn etwas Neues angepackt wird, war der

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Umfang der Arbeit, der in dieses Projekt zu investieren war, kaum abzuschätzen. Ohne eine zusätzliche freie Mitarbeiterin wäre die Arbeit kaum zu bewältigen gewesen. Nachdem aus guten Gründen niemand von den interessierten Gruppen ausgeschlossen werden konnte, andererseits mehr als 200 Exponate, die aus einer noch größeren Menge ausgewählt wurden, zur Ausstellung gelangten, mußte auch ein entsprechend großer Raum zur Verfügung stehen. Ohne diese Voraussetzung wäre die Ausstellung nicht zu realisieren gewesen, außerdem hätte man viele der engagierten Ausländerinnen und Ausländer verprellt, hätte man - aus Platzmangel - zu viel aussortiert. Ist die Organisations- und Platzfrage gelöst, stellt sich für den Projektleiter vor allem die Frage: Wie mit Menschen umgehen, mit denen er bisher kaum Kontakt hatte, wie sich auf die verschiedenen Mentalitäten einstellen? Auch muß berücksichtigt werden, daß innerhalb der Ausländergruppen Animositäten vorkommen können. Schon in der ersten Gesprächsrunde kam es zu Irritationen zwischen Kurden und Türken, die aber später ausgeräumt wurden. Es ist auch ratsam, sich rechtzeitig zu vergewissern, daß keine radikalen Gruppierungen - die auch verdeckt auftreten können - zu solchen Projekten eingeladen werden. Hier holt man sich am besten Rat beim Ausländerbeauftragten, um sich abzusichern. Jedenfalls war in Ulm ein großes Maß an Toleranz zwischen den einzelnen Gruppen vorhanden. Das Ulmer Museum wählte eine konventionelle Präsentation der Exponate, die anregend inszeniert wurden. Jede Gruppe erhielt einen Raum, so daß die Übersichtlichkeit gewährleistet war. Diese Art der Präsentation fand bei den ausländischen Teilnehmern große Zustimmung, wurden doch deren Exponate zum größten Teil in Vitrinen geschützt - sorgfältig und ästhetisch präsentiert. Die ausländischen Mitbürger erhielten das Gefühl, daß ihre Gegenstände, die sie von zu Hause brachten und an denen sie sehr hingen, vom Museum geschätzt wurden. Schon im Vorfeld kam zur Sprache, ob auch alles versichert sei. Darüber hinaus war Dankbarkeit zu spüren, daß eine wichtige kulturelle Einrichtung wie das Ulmer Museum mit seinen schönen Räumen sich der Sache der Ausländer annimmt. Es gab im Vorfeld, dann in der Ausstellung und den Kultur-Abenden viele Kontakte und Gespräche. Die Akzeptanz des Museums ist bei den Ausländergruppen durch die Einbindung in dieses Projekt stark gestiegen, es hat sich so etwas wie ein Gemeinschaftsgeist entwickelt. Es kommt nun darauf an, diese Kontakte weiter zu pflegen. Als erste Initiative wurden alle Ausländergruppen eingeladen, die Sammlung des Museums zu besuchen und sich ein Bild von Geschichte, Kunst und Kultur unserer Stadt zu machen. Zu den Führungen kamen dann aber nur wenige ausländische Gruppen. Auch bei den Deutschen war Fehlanzeige. Auch das Interesse der Schulen ließ zu wünschen übrig, trotz guter Werbung. Besonders erfreulich war, daß die Ausstellung ohne jede fremdenfeindliche Aktion über die Runden kam, also ohne Schmierereien etc. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß in der Stadt Ulm Menschen leben, denen an Werten wie Toleranz noch etwas liegt. In Zukunft wird es sicher die eine oder andere Art der Zusammenarbeit mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern geben. Konkrete Projekte sind allerdings noch nicht entwickelt." (Werkstattbericht Ulm) Welche Chancen und Probleme interkultureller Bildung im Museum werden in diesem Bericht erkennbar?

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Vor Ort existiert ein großes Potential, an dem man anknüpfen kann, wenn man im kulturhistorischen Museum eine derartige Begegnung mit fremder Kultur vermitteln will. Die Bereitschaft ausländischer Gruppen und Vereine, sich an einem solchen Projekt zu beteiligen und dafür Exponate zur Verfügung zu stellen, ist groß. 

Für das Museum als Kulturinstitution ergibt sich aus einem solchen Projekt eine neue Perspektive: Für alle Beteiligten wurde sichtbar und konkret nachvollziehbar, wie groß die kulturelle Vielfalt einer mittleren deutschen Großstadt inzwischen ist und wie wenig sich davon bisher im offiziellen Kulturbetrieb niederschlägt. 

Im Unterschied zu völkerkundlichen Ausstellungen wurde in diesem Projekt ein Stück der Alltagskultur der vertretenen Nationalitäten gezeigt. Dabei wurden v.a. solche Dinge ausgestellt, die von den einzelnen Gruppen für 'typisch' oder repräsentativ für ihre Kultur angesehen wurden. Das hatte den Vorteil, daß das Ulmer Publikum die einzelnen Kulturen aus dieser - durch deutsche Fachleute 'ungefilterten' - Sicht gezeigt bekam. Der Nachteil könnte darin bestehen, daß die Gruppen auch versucht haben, für die deutsche Öffentlichkeit ein Idealbild ihrer Kultur zu zeichnen, das eventuell nur wenig mit der Realität (in ihrer Heimat oder auch hier in Deutschland) zu tun hatte. Stichworte dazu wären etwa 'Hang zur Nostalgie' und 'Folklorisierung'. Einige Teile der Ulmer Ausstellung waren unübersehbar durch solche Tendenzen bestimmt. Es ist zu fragen, ob beim Publikum durch solche Präsentationen Klischees (etwa über 'die Japaner' oder 'die türkische Kultur') nicht noch gefördert statt abgebaut werden. 

Das kulturelle Leben von Ausländern in Deutschland ist mehr oder weniger das einer Exilkultur. Das hat verschiedene Konsequenzen: Einerseits gibt es Tendenzen, das kulturelle Erbe der Heimat zu bewahren, ohne aber an der kulturellen Entwicklung in den Herkunftsländern wirklich teilzunehmen. Die Ulmer Ausstellung war in vielen Teilen ein Spiegel solcher Tendenzen. Andererseits ergibt sich aber gerade bei Nationalitäten, deren Mitglieder schon länger in Deutschland leben, eine große Differenzierung, die von der völligen Anpassung an deutsche Kultur bis hin zur Entwicklung einer ausgeprägten interethnischen Kultur reicht. Die Ausstellung wollte - entsprechend ihrem Konzept - diese Differenzierung nicht aufgreifen. Eher noch haben diese unterschiedlichen Entwicklungen ihren Niederschlag im Begleitprogramm gefunden, dem deswegen eine wichtige Ausgleichsfunktion zukommt. 

Die Ulmer Ausstellung erwies sich als Einstieg des Museums bei den ausländischen Zielgruppen. Dadurch wurden aber auch Erwartungen geweckt, die die zukünftige Partizipation von Ausländern im Museum betreffen. Wichtig scheint daher zu sein, parallel zu einem solchen 'Einstiegsprojekt' ein Konzept zu entwickeln, das machbare Formen zukünftiger Partizipation enthält. Dabei sind, so zeigte das Ulmer Beispiel, zwei Aspekte zu unterscheiden: Zum einen geht es darum, die Kulturinstitution Museum auch für die ausländischen Minderheiten der Bevölkerung zu öffnen; zum anderen geht es aber um interkulturelle Bildung, d.h. die Zusammenarbeit mit ausländischen Gruppen sollte auch für deutsche Besucher neue Perspektiven eröffnen. Dies könnte etwa dadurch geschehen, daß das Museum zum Ort des kritischen Dialogs über die Lebenssituation von Ausländern hier und über Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern wird. 

Wie eine Gegenüberstellung von Fremdem und Eigenem gestaltet werden kann, zeigt ein Protokollauszug aus einer Führung in der Ausstellung "Hier und dort Burda ve orda. Türkinnen und Türken in Offenburg":

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"Der örtliche Seniorengesprächskreis äußerte bei seinem Besuch in der Ausstellung zunächst einhellig Sympathie für türkische Kultur - jeder war begeistert vom kulturellen Reichtum und jeder kannte 'seinen' netten Türken ..! Erst im Laufe des Gesprächs und sehr, sehr zögernd wurden auch kritische Töne laut: Über die Verfolgung der Kurden in der Türkei, über die verbreitete Sitte, daß Eltern die Ehepartner der Kinder wählen etc. Am Ende kam man jedoch darauf, daß sie selbst in ihrer eigenen Vergangenheit ähnliches erlebt hatten: Juden wurden grausam verfolgt, Liebesheiraten waren auch in ihrer Jugend durchaus nicht immer üblich. Manches 'typisch Türkische' kam den Teilnehmern der Gruppe auf den zweiten Blick doch - wie ein älterer Herr es formulierte - 'verdächtig vertraut' vor. Kurz: Man fand nach und nach zu einer differenzierten Sicht auf türkische Kultur." (Interview Offenburg) Was kann ein kulturhistorisches Museum also konkret in der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen leisten? Betrachtet man die Praxis der diesem Ansatz zugeordneten Projekte im Überblick, so werden zwei gegenläufige Tendenzen erkennbar: Auf der einen Seite wird immer wieder versucht, Gräben zuzuschütten, d.h. es wird für fremde Kulturen und ihre Vielfalt geworben (etwa: im Projekt des Adelhausermuseums, Freiburg) und es wurden Gemeinsamkeiten betont, die - bei aller äußerlichen Verschiedenheit - zwischen Kulturen existieren. Die zuletzt vorgestellte Protokollsequenz ist ein Beispiel dafür. 

Auf der anderen Seite geht es aber auch um die Kenntnis und die Erfahrung der Unterschiede zwischen den Kulturen. Fremdheit und Befremden sind Reaktionen auf diese Unterschiede, und interkulturelle Bildung hat auch die Aufgabe, diese Unterschiede selbst und die Reaktionen darauf (z.B. Neugierde, Interesse, Verwirrung, Befremden, Ablehnung etc.) zu behandeln. Im Landeskirchlichen Museum in Ludwigsburg fanden sich in der Ausstellung "Der ferne Nächste" und im museumspädagogischen Begleitprogramm Ansätze dazu: Es wurde gefragt, wie Fremdheit durch die Missionsfotografie 'gemacht' wurde und es wurde im Begleitprogramm für Jugendliche versucht, mit Hilfe des museumspädagogischen 'Missionskoffers' herauszufinden, woran es liegt, daß etwas als fremd empfunden wird. Hier ein kurzer Protokollauszug aus einer solchen Diskussion um die Gegenstände, die die Jugendlichen sich aus dem 'Missionskoffer' herausgesucht hatten: 

" Mit sehr spitzen Fingern nahm einer der Teilnehmer die Schlangenhaut aus dem Glas - hier war erstmals ein Hauch von Fremdheit zu spüren. (...) Theoretisch war allen klar, um was es sich da handelt, aber angefaßt hatte noch keiner der Schüler eine solche Haut. Hier konnte ich wieder den Bogen zum 'echten' (Missions-) Koffer schlagen, in dem ja auch Schlangenhäute vorhanden waren. (...) Am längsten dauerte die Phase, in der eine Kopakschote im Mittelpunkt des Interesses stand. (...) Versteinerte Banane, Holz, irgendein Samen bis ratloses Achselzucken waren die Reaktionen. Nachdem das Wissen vermittelt war, versuchte ich, das Schlußgespräch dahin zu lenken, daß die Erfahrung, die alle gerade mit der unbekannten Schote gemacht hatten, sich oft als Begegnung mit Unbekanntem und Fremdem im Alltag wiederholt. Die Führungsteilnehmer nannten Situationen, in denen sie solche Erfahrungen gemacht hatten. Jetzt, nach der Urlaubszeit kamen häufig Äußerungen, die sich auf Sprachen etc. in den Ferienländern bezogen. Zusammen mit den Betreuern, die sich hier auch einbrachten, endete dieses Gespräch mit dem Gedanken, daß sich im möglichst vorurteilsfreien Kontakt mit fremden Menschen Barrieren hoffentlich, wenn auch

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nie vollständig, aber doch in Ansätzen beseitigen lassen." (Protokoll Ludwigsburg v. 6.9.1996)

Das Landeskirchliche Museum war eines der wenigen Museen im Modellversuch, das in seinem museumspädagogischen Programm Ansätze erprobte, sich direkt mit der Erfahrung von Fremdheit auseinanderzusetzen. Die meisten anderen Projekte waren eher darum bemüht, Fremdheit abzubauen. Wichtigstes Ziel war, um Verständnis für andere Kulturen zu werben und - statt Fremdheit Gemeinsamkeiten zum Vorschein zu bringen. Dies ist nur zu verständlich, wenn man die Entstehungsgeschichte des Modellversuchs bedenkt: Fremdenfeindliche Gewalttaten beziehen ihre Legitimation nur zu oft aus rassistischen Thesen über die Unterschiede zwischen der (überlegenen) eigenen und der (minderwertigen) anderen Kultur. Dem will niemand durch Darstellung und Diskussion von Unterschieden auch noch neue Nahrung liefern. Andererseits wäre das Museum aber ein guter Ort, um unter kontrollierten Bedingungen Erfahrungen mit der eigenen Reaktion auf Fremdes zu sammeln, um Unterschiede wirklich sehen zu lernen und um Respekt vor der Andersartigkeit fremder Kulturen zu gewinnen. Leider wurde diese Chance für interkulturelle Bildung im Modellversuch relativ selten genutzt. ___________________________________________________ (1) Es handelt sich hierbei um die Projekte in der Zehntscheuer Balingen, am Adelhausermuseum Freiburg, am Landeskirchlichen Museum Ludwigsburg, am Museum im Ritterhaus in Offenburg, am Ulmer Museum und am Franziskanermuseum Villingen-Schwenningen.

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Arbeitsfeld: Begegnung mit dem Fremden in der Kunst Der Modellversuch ging davon aus, daß nicht allein Völkerkundemuseen über Möglichkeiten verfügen, Begegnungen mit dem Fremden zu vermitteln, sondern daß für jede Museumsart spezifische Ansatzpunkte existieren. Das gilt für Heimatund Stadtmuseen und prinzipiell auch für Kunstmuseen. Allerdings wird die Auseinandersetzung mit dem Fremden, die in einem Kunstmuseum geführt werden kann, einen ganz anderen Charakter haben als etwa die oben beschrieben Ansätze kulturhistorischer Museen. Vor allem zeitgenössische Kunst ist für breite Bevölkerungskreise geradezu synonym für 'fremd' und 'unverständlich'. Deswegen lag es nahe, gezielt an solchen Werken der Gegenwartskunst Erfahrungen zu vermitteln, wie mit Fremdem umgegangen werden kann. Jede Begegnung mit moderner Kunst kann i.d.S. also auch als ein interkulturelles Bildungsangebot verstanden werden, mit dem neue Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen eingeübt werden können. Wobei aber die Betonung auf 'können' liegt, denn es ist zu fragen, ob eine solche Begegnung mit Werken der Moderne tatsächlich immer in diesem Sinne wirkt. Uns erscheint das Anliegen, über die Beschäftigung mit Kunst Toleranz zu fördern, pädagogisch sehr anspruchsvoll zu sein. Da die Aversionen gegen diese Form von Kunst sehr ausgeprägt sein können (1), könnte durchaus auch das Gegenteil vom angestrebten Effekt eintreten - also daß bestehende Abneigungen und eindimensionale Sichtweisen nicht abgebaut, sondern eher noch verstärkt werden. Es gab im Modellversuch lediglich drei Projekte, die sich mit Kunst beschäftigten und in denen Antworten auf diese Fragen gefunden werden konnten (Göppingen, Mannheim, Stuttgart). Eines dieser Projekte wurde an der Galerie der Stadt Stuttgart durchgeführt und war der Materialkunst von Diter Rot gewidmet, einer Kunstgattung also, die per se besonders fremd wirkt, weil sie von den gängigen Erwartungen an Kunst besonders stark abweicht (u.a. durch die Verwendung gewöhnlicher Alltagsgegenstände in den Kunstwerken). Am Beispiel: Projekt "Fremde Kunst - Toleranz für Fremdes" des Museumspädagogischen Dienstes Mu*Pä*Di der Stadt Stuttgart Ziel des Projekts war, mit kunstpädagogischen Methoden Schüler verschiedener Altersstufen darin zu unterstützen, die Schwelle zu überwinden, die sie von Werken moderner Kunst trennt. In einem "ganzheitlichen praktisch-künstlerischen Prozeß" sollten Zugänge zu diesen Werken und generell zu der für die Schüler fremden Welt zeitgenössischer Kunst gefunden werden. 

Interkultureller Ansatz:

Das eigentliche museumspädagogische 'Kunststück' in diesem Projekt bestand darin, Neugierde auf etwas zu wecken, das von seiten der Schüler zunächst als uninteressant oder sogar abstoßend angesehen wurde. Damit war das Projekt mit einer Aufgabe konfrontiert, die der generellen gesellschaftlichen Problemlage nicht unähnlich ist - auch in der Gesellschaft geht es darum, wenigstens ansatzweise ein Interesse für Menschen zu schaffen, die wegen ihres fremden Aussehens oder fremder Gebräuche zunächst abgelehnt werden. Dieses Fremde war in den Kursen repräsentiert durch die Materialbilder von Diter Rot, denen man sich durch eigene künstlerische Praxis und durch Videoaufnahmen annähern wollte. Bei der Auswertung der Verlaufsprotokolle zeigten sich zunächst widersprüchliche Befunde: Die Gestaltung eigener Arbeiten nach dem Vorbild der Materialbilder und

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vor allem die Videoaufnahmen erleichterten den Schülerinnen und Schülern diese Annäherung sichtlich. Aber die Protokolle vermitteln auch einen Eindruck davon, wie tief dennoch das Befremden der Jugendlichen diesen Kunstwerken gegenüber geblieben war. Viele Äußerungen deuteten darauf hin, daß die Jugendlichen sich nach wie vor in einer für sie fremden Welt bewegten - sehr engagiert und kreativ zwar, aber dennoch in deutlicher Distanz zu den behandelten Kunstwerken. Dieses Phänomen schmälert jedoch kaum den insgesamt positiven Eindruck, den die Aktivitäten in den Kursen vermitteln, im Gegenteil. Denn unter einer interkulturellen Perspektive lag der eigentliche Gewinn dieser Kurse gerade darin, daß sie es überhaupt geschafft hatten, die Schülerinnen und Schüler zu motivieren, sich dieser für sie fremden Welt auszusetzen. Interkulturelle Bildung wird in diesem Ansatz also weniger als ein Mittel verstanden, Fremdheit zu reduzieren oder gar ganz abzubauen. Es geht sehr viel stärker darum, Fähigkeiten zu erwerben und zu erproben, die es gestatten, das Fremde überhaupt erst zu sehen und konstruktiv mit ihm umzugehen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Funktion des Mediums Video: Zum einen gestattete die Videoarbeit den Schülern, überhaupt mit dem eigenen Befremden klar zu kommen. Indem sie die Kunstwerke und die davon angeregten eigenen Arbeiten abfilmten, konnten die Jugendlichen es sich gestatten, das, was fremd war, genauer und vor allem etwas vorurteilsfreier zu betrachten. Zum anderen entdeckten die Jugendlichen erst beim Blick durch den Sucher der Videokamera Merkmale an den Kunstwerken, die an vertraute Dinge und Erscheinungen des eigenen Alltags erinnerten. Das Medium Video förderte diese Suche nach Gemeinsamkeiten, weil es zur konzentrierten Wahrnehmung anleitete und dadurch half, in der fremden Kunst - wenigstens ansatzweise und wenigstens für einen Moment - etwas anderes zu erkennen, als nur das ohnehin Erwartete. Es ist unübersehbar, daß aus diesem speziellen kunstpädagogischen Konzept auch ganz generell Anregungen zur Förderung des Verständnisses zwischen Menschen verschiedener Kulturkreise gewonnen werden könnten. Die beiden genannten Schritte ('Fremdes als Fremdes wahrnehmen, nicht verdrängen' und 'persönlich berührende Seiten entdecken') könnten durchaus auch außerhalb eines Kunstprojekts gegangen werden, etwa wenn in einem kulturhistorischen Museum fremde Kulturen aus der eigenen Stadt vorgestellt werden. Entsprechende Ansätze sind im Modellversuch leider nur selten erprobt worden. Es wäre daher wünschenswert, wenn sich Museen in Zukunft intensiver mit der Frage beschäftigen, wie Menschen mit dem Phänomen Fremdheit umgehen, welche Lösungen dafür in früheren Epochen gefunden wurden und wie dies auch heute noch im Alltag des Einzelnen fortwirkt (2). 

Zur Rolle historischer und künstlerischer Originale:

In dem Stuttgarter Projekt ging es um die Materialbilder von Diter Rot, also künstlerische Originale. Damit sammelten die Schüler nähere Erfahrungen, die beschriebene Annäherung bezog sich zunächst allein auf diese Werke (und einige Bilder von Otto Dix, die im Nachbarraum der Galerie besichtigt wurden). Der Gewinn für die Schüler bestand v.a. darin, daß sie gegenüber diesen Kunstwerken und eventuell (!) gegenüber zeitgenössischer Kunst generell aufgeschlossener und für deren fremde Seiten zugänglicher wurden. Das Ziel des Stuttgarter Projektes ging jedoch weiter, die Annahme lautete, "daß die Erfahrung mit befremdlich wirkender moderner Kunst einen Transfer zur Reflexion unseres Umgangs mit dem Fremden in gesellschaftlicher Hinsicht erlaubt. (...) die praktisch-kreative Beschäftigung und die Kunstbetrachtung werden sozusagen als Übungsfeld für Toleranz Fremdartigem gegenüber begriffen." (Projektantrag)

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Dafür, daß dies der Fall war, gab es nur wenig Hinweise, allerdings war es auch kaum möglich, entsprechende empirische Belege zu erhalten. Belegbar ist, daß in den Kursen unter den Kindern Gespräche über ihren Alltag und ihre Herkunft in Gang kamen, die durch die Bilder und die praktische Arbeit angeregt wurden. Auch ausländische Kinder kamen dabei 'zum Zuge', und zwar - so die Lehrerinnen - mehr als sonst im Unterricht üblich. Ein weiter gehender Transfer war jedoch nicht erkennbar. Es spricht im übrigen auch wenig dafür, daß ein solcher Transfer möglich ist: Denn ebensowenig, wie allein die Beschäftigung mit dem Schicksal von Fremden aus vergangenen historischen Epochen zur Förderung von Toleranz heute beizutragen scheint, ebensowenig dürfte allein die Beschäftigung mit fremder Kunst Haltungen einüben, die aufgeschlossener für Menschen anderer Herkunft machen. Ein solcher direkter Einfluß der Beschäftigung mit Kunst auf soziale Belange ist sicher nicht völlig auszuschließen, dürfte aber - gerade bei der beschriebenen Zielgruppe! - ein seltener Ausnahmefall sein. Die Möglichkeiten eines Kunstprojekts, das Zusammenleben von Menschen zu gestalten, liegen daher wohl eher darin, erst einmal das 'Hinschauen' zu proben, also erstarrte Formen der Wahrnehmung des Anderen in Bewegung zu bringen. Dies kann allerdings eine wichtige Voraussetzung für weiterführende schulische Aktivitäten sein, in denen dann direkt auf die Probleme und die besondere Situation ausländischer Mitschüler eingegangen wird. ________________________________________________ (1) Vgl. etwa die Erfahrungen mit entsprechenden Publikumsreaktionen, die Julia Breithaupt, Museumspädagogin an der Kunsthalle Düsseldorf, in ihrem Praxisbericht darstellt (Julia Breithaupt, Fremdsein in der Kunst. In: Hans-Herrmann Groppe, Frank Jürgensen (Hg.), Gegenstände der Fremdheit - Museale Grenzgänge, Jonas-Verlag, Marburg 1989, S. 137ff) (2) Einen in dieser Richtung wirksamen Ansatz, Kunst zur Förderung von Toleranz und zur Relativierung von Stereotypen zu nutzen, verfolgte das Nationalmuseum Stockholm 1994 in seiner Ausstellung 'Der Fremde - Traum oder Bedrohung'. Darin wurde vorwiegend ältere Kunst (vom 17. bis 19. Jahrhundert) gezeigt, die speziell mit der Intention ausgewählt wurde, an Werken der bildenden Kunst zu verdeutlichen, wie unser Bild vom 'Anderen' entstanden ist, vermittelt wurde und heute noch fortwirkt. In dieser Ausstellung fanden eine Vielzahl von Jugendprojekten statt, u.a. mit arbeitslosen Jugendlichen (Hans Öjmyr, Nationalmuseum Stockholm, Der Fremde - Traum oder Bedrohung. Wie man mit Hilfe der Kunst versuchen kann, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu bekämpfen. Unveröff. Tagungsmanuskript, zu beziehen bei: Museumsdienst der Stadt Köln, 1996)

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Arbeitsfeld: Partizipation

In neun Projekten (1) wurde als Arbeitsfeld gewählt, die kulturelle Teilhabe von ethnischen Minderheiten in der Gesellschaft zu verbessern. Dabei gab es zwei unterschiedliche Wege, den Anspruch auf Partizipation umzusetzen:



Durch spezielle Angebote für Ausländerinnen und Ausländer (z.B. Ferienprogramme, fremdsprachliche Führungen).



Durch Projekte, in denen Mitglieder von ausländischen Gruppen und Vereinen die Gelegenheit erhielten, sich und ihre Situation in Deutschland sowie die Kultur ihrer Herkunftsländer im Museum selbst darzustellen.

Partizipation von Ausländerinnen und Ausländern am Angebot deutscher Kulturinstitutionen.

Das kann heißen, Angebote zu machen, die es diesen Zielgruppen attraktiv erscheinen lassen, ein Museum aufzusuchen. Öffnung des Museums heißt in diesem Fall, durch verschiedene Maßnahmen Zugangsbarrieren zu beseitigen. Dieser Weg wurde u.a. im Projekt des Freilichtmuseums Beuren eingeschlagen.

Am Beispiel: Das Projekt "Feuer" des Freilichtmuseums Beuren (Landkreis Esslingen)

Durch gezielte muttersprachliche Führungen sollten griechische, italienische und türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger auf das (neu eröffnete) Freilichtmuseum des Landkreises aufmerksam gemacht werden. Diese drei Nationalitäten wurden ausgewählt, weil sie die Mehrheit der in der Region lebenden Emigranten ausmachen. Die Führungen sollten außerdem auf einen Projekttag des Museums im Juli 1996 hinweisen, der als 'internationales Museumsgespräch' konzipiert war. Von den Führungen und dem Projekttag liegen Verlaufsprotokolle vor. Im folgenden wird exemplarisch das Verlaufsprotokoll einer Führung für Italiener vorgestellt:

"Verlaufsprotokoll

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Art der Aktivität: Führung in italienischer Sprache Datum: 14.4.1996 Dauer: 1 1/2 Stunden Ort: Freilichtmuseum Beuren Zielgruppe: Italienische Mitbürger/innen Zahl: 15, davon acht Italiener

Worum es ging: Italienischen Mitbürgern/innen das Museum in ihrer Muttersprache vorstellen

Thema: Die Führung sollte die Möglichkeit bieten, das Museum kennenzulernen und Anknüpfungspunkt/ Kontaktbörse für den geplanten Projekttag im Juli sein.

Was gemacht wurde: Den Besuchern/innen wurden die acht Gebäude des Freilichtmuseums gezeigt. Um auf den Projekttag im Juli hinzuarbeiten, wurden neben allgemeinen Informationen zu den Häusern und deren Bewohnern spezielle Hinweise gegeben. Namentlich zu Kochgelegenheiten (..), zu Öfen und Feuerstellen (...). Es ergaben sich Gespräche über Exponate (z.B. Kochgeräte, Herde, eine Wärmflasche), die in Italien ebenso bekannt sind und früher verwendet wurden. Da die Führung das Museum als Ganzes präsentierte, betrafen die Gespräche auch andere Sachverhalte, wie unterschiedliche Bauweisen (z.B. Ziegel), unterschiedliches Erbrecht, Mitgift (wer zieht zu wem?), das Schreinerhandwerk hier und in Italien (verschiedene Werkzeuge) etc.

Ergebnisse: Der Ansatz, verschiedene Exponate zu vergleichen (Italien im Vergleich zu Schwaben), erwies sich als sinnvoll (Fragen: bekannt/unbekannt; anders/gleich)

Beobachtungen: Kommentar eines italienischen Teilnehmers bei der Besichtigung der 'Kammern der Schwiegereltern' im Haus Walz (um 1920 und früher): So sah es in der Wohnung in Denkendorf aus, als ich vor 30 Jahren nach Deutschland kam'. Es beteiligte sich auch eine italienisch-deutsche Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern (Kinder besuchen die italienische Nachmittagsschule!). Überraschender Weise befanden sich auch Deutsche in der Gruppe, die ihre italienischen Sprachkenntnisse aufbessern wollten. Die Führung an sich erregte der Fremdsprache wegen Aufsehen, ein Nebeneffekt war der Hinweis auf den Modellversuch und das Projekt." (Verlaufsprotokoll Beuren 4)

Der Projekttag fand am 22.7.1996 unter der Beteiligung von 32 Personen, davon

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22 Ausländerinnen und Ausländern auf dem Gelände des Museums statt. Um etwas vom Ablauf und der Atmosphäre zu verdeutlichen, auch hierzu ein kurze Passage aus einem Verlaufsprotokoll:

" (...) Jede Nationalität hatte etwas (zum Mittagessen) vorbereitet. Es gab sieben verschiedene Spezialitäten: Bugatsa und Mussaka (griechisch), Poaka und Pide (türkisch), Kömbe (kurdisch), Rahmkuchen (schwäbisch), Pizza (italienisch). Nach der Pause wurde in der Küche des Hauses 'Doster' zu Demonstrationszwecken Haferbrei gekocht, um über Lebensbedingungen, Eßgewohnheiten und Gerätschaften zur Zeit um 1800 zu sprechen. Viele Geräte und vor allem die Tontöpfe waren noch allgemein bekannt. Anschließend fand in der Küche des Hauses 'Walz' (..) ein 'Wettkochen' zwischen einem holzbefeuerten Sparherd und einer Mikrowelle statt (Aufkochen von Milch). Diese Aktion gestalteten v.a. die Kinder. Abschließend wurde das Backhaus noch einmal angeheizt und die restlichen Backbleche hinein geschoben. Rezepte wurden ausgetauscht und untereinander vereinbart, sich in der nächsten Saison zu einem anderen Thema wieder zusammenzufinden (wieder mit Abschluß im Backhaus). Sämtliche Speisen wurden von den Frauen gespendet! (...)" (Verlaufsprotokoll Beuren 5)

Welche Befunde lassen sich unter der Perspektive interkultureller Museumspädagogik aus diesen Protokollnotizen ableiten?



Interkultureller Ansatz:

Das Protokoll der Führung verdeutlicht, daß es vor allem darum ging, ausländische Besucher für das zu interessieren, was es im Freilichtmuseum zu sehen und zu entdecken gibt. Es handelte sich im wesentlichen um eine Einführung in das Museum, wie sie auch für deutsche Besucher angeboten wird, allerdings insofern auf die besonderen Voraussetzungen der teilnehmenden Italiener zugespitzt, als einige Objekte im Kulturvergleich diskutiert wurden. Spezifisch an diesem Vorgehen war außerdem die Werbung, die (weniger erfolgreich) über mehrsprachige Faltblätter und (erfolgreicher) durch direkte Kontakte mit Lehrerinnen der Nachmittagsschulen für ausländische Kinder erfolgte. Spezifisch war außerdem der Projekttag im Juli, der dazu diente, die Kontakte zu vertiefen und auf dem der Ansatz fortgeführt wurde, zivilisatorische Grundtechniken wie 'Feuermachen' und 'Essenkochen' im Kulturvergleich anzusprechen, wobei hier noch die attraktive Möglichkeit hinzu kam, diese Dinge selbst auszuprobieren. Insgesamt: Ein recht alltagstaugliches (i.S. von: nach dem Modellversuch weiterführbares) Konzept, das bei den ausländischen Personen, die erreicht wurden, gute Resonanz fand und dem Museum einen Kreis von Interessenten in dieser Bevölkerungsgruppe erschlossen hat.

Das vorgestellte Projekt folgte einem ausgeprägten Integrationskonzept, d.h. der Schwerpunkt lag dabei, eine bislang museumsferne Gruppe gezielt anzusprechen und ihr den Zugang zum Museum zu erleichtern (Ziel: Abbau von

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Schwellenängsten). Um dies zu erreichen, wurde bei Führungen sprachlich und auch thematisch auf die besonderen Voraussetzungen der jeweiligen Gruppe eingegangen. Dieses Konzept bot ausländischen Besuchern mehr, als die Mehrzahl der deutschen Museen bis heute für diese Zielgruppen zu geben bereit ist (2). Allerdings zeigten sich auch die Grenzen eines solchen Integrationsansatzes: Auf kulturelle Besonderheiten und Voraussetzungen der verschiedenen Nationalitäten wurde kaum näher eingegangen, es blieb weitgehend bei der Öffnung des Museums für diese Gruppen.

Wie könnte ein solcher weiterführender Ansatz konkret aussehen? Dafür gibt es zwar keine Patentrezepte, aber einige andernorts gewonnene Erfahrungen: Denkbar wäre etwa, Interviews mit deutschen und italienischen Frauen zu führen, in denen diese schildern, wie in ihren Familien gekocht wird; daraus ließe sich dann z.B. ein italienisch-deutsches Kochbuch entwickeln. Oder denkbar wäre auch, die Häuser im Freilichtmuseum durch eine Fotoausstellung mit Bildern zu ergänzen, die türkische Familien während des Urlaubs in ihren Heimatdörfern und -städten geschossen haben. Auf diese Weise erhielte das deutsche Publikum des Freilichtmuseums die Möglichkeit, zwei Kulturen im Vergleich zu sehen - die ländliche Regionalkultur ihrer Heimat und die der Heimat ihrer türkischen Mitbürger etc. Es ist sicherlich sinnvoll und wichtig, Ausländerinnen und Ausländer in das Museum zu integrieren. Es wäre jedoch auch wichtig, dabei nicht stehen zu bleiben, sondern auf diese oder ähnliche Weise direkt auf die Kulturen und Lebensweisen ausländischer Menschen einzugehen. Das könnte u.a. auch dazu führen, daß sich mehr und andere ausländische Mitbürger als bisher für Museen interessieren.



Rolle der historischen und künstlerischen Originale:

Im Beurener Projekt hatten sich Ausländer und Deutsche gemeinsam mit Dingen und menschlichen Tätigkeiten beschäftigt, die vergleichbar in vielen Kulturen zu finden sind - also: Kochen, Heizen, Nahrung zubereiten, Brauchtum rund um das Essen etc. Daran lassen sich - so die Erfahrungen aus diesem Projekt besonders gut Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen aufzeigen und auch Unterschiede nachvollziehen. Für interkulturelle Bildung ergeben sich aus diesem Ansatz interessante Entwicklungsmöglichkeiten: Deutsche Museumsbesucher können dabei die für sie neue Erfahrung sammeln, daß Gegenstände und Gebräuche, die ihnen bisher völlig selbstverständlich waren, ausländischen Mitbürgern keineswegs ohne weiteres einleuchten. Am Beispiel der Koch- und Eßgewohnheiten etwa läßt sich verdeutlichen, daß auch unsere deutschen Kulturen ihre ethnisch begründeten Besonderheiten aufweisen. Andererseits können die Exponate aus der ländlichen Vergangenheit deutscher Regionalkultur auch den ausländischen Besuchern neue Erfahrungen, vielleicht sogar ein neues Deutschland-Bild vermitteln: So ist es vorstellbar, daß es für türkische Arbeitnehmer, die Deutschland nur als moderne und relativ anonyme Industriegesellschaft kennen, einen 'Aha-Efekt' bedeutet, wenn sie sehen, daß es auch hier eine bäuerlich-ländliche Vergangenheit gab. Die Begegnung mit der fremden deutschen Geschichte könnte für solche Personen daher durchaus eine Annäherung an deutsche Kultur leisten. Es wäre daher eine museumspädagogisch interessante Frage - die sich etwa in Beuren im Anschluß

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an das beschriebene Projekt klären ließe - wie türkische (oder griechische und italienische) Emigranten auf die Exponate eines Freilichtmuseums reagieren. Läßt sich auch bei ihnen die gleiche, bei den deutschen Besuchern verbreitete Tendenz nachweisen, im Freilichtmuseum v.a. die abgeschlossen erscheinende, ländliche Lebenswelt zu identifizieren (3), oder lösen die alten Häuser und ländlichen Gerätschaften bei diesen Gruppen völlig andere Reaktionen aus? Im Modellversuch sind diese für interkulturelle Museumspädagogik interessanten Fragen leider offen geblieben.

Erwartungen an Museen:

Aus dem bisher Geschilderten folgt ganz generell die Frage nach den Erwartungen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger an deutsche Museen. Existieren überhaupt besondere Erwartungen gegenüber dieser deutschen Kulturinstitution? Wenn ja: In welche Richtung gehen diese Erwartungen - gibt es auch auf ausländischer Seite den Wunsch nach Integration oder dominieren andere Haltungen? Auch zur Beantwortung dieser Frage lassen sich nur einige Annahmen formulieren. Zum einen verfügen wir nicht über ausreichend repräsentative Ergebnisse, um darüber Abschließendes sagen zu können; zum anderen dürfte es keineswegs 'die' Einstellung von 'den' Ausländern gegenüber 'den' Museen geben, sondern die Antworten dürften unterschiedlich ausfallen, je nachdem, mit wem man spricht und um welches Museum es sich handelt. Allerdings gibt es einige Tendenzen, die in Gesprächen und Interviews immer wieder auftauchten und geeignet erscheinen, einiges Licht auf die Beziehung des ausländischen Bevölkerungsteils zu Museen zu werfen.

Um diese Tendenzen zu verdeutlichen, wird im folgenden ein Ausschnitt aus einem Interview wiedergegeben, das im Zusammenhang mit den Projekt am Museum Ulm mit einem türkischen Mitglied der Vorbereitungsgruppe geführt wurde. Der Befragte ist Mitglied des Ausländerbeirats und koordinierte im Ulmer Projekt die Zusammenarbeit der beteiligten sieben türkischen Vereine:

Frage: Wie sind bislang Ihre Erfahrungen mit dem Projekt?

Besonders gut an dem Projekt ist, daß sich so viele junge Leute, so im Alter um die 25, 26 Jahre herum, bereit gefunden haben, sich an der Organisation zu beteiligen! Von den ca. 25 türkischen Gruppen in Ulm sind sieben Gruppen an der Ausstellung beteiligt. Und das sind nicht nur die Vereinsvorstände, die hier mitmachen, da sind ganze türkische Familien dabei! Die meisten türkischen Gruppen sind sehr am Kulturaustausch interessiert, nur wird das von deutscher Seite nicht immer genügend unterstützt. Die Deutschen sagen: Prima, macht mal was für uns! Aber dabei bleibt es dann. Die Beteiligten türkischen Gruppen haben mit solchen Programmen viel Arbeit und Kosten. Aber es gibt keine finanzielle Unterstützung für sowas. Gestern (bei der Ausstellungseröffnung) war der OB (von Ulm) dabei, der hat unsere Projekte gewürdigt, aber im Grund kam doch nicht heraus, wieviel Stunden Mühe dahinter steht! Mitfeiern wollen alle gerne,

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aber für einen richtigen Kulturaustausch fehlt das Engagement. (...)

Frage: Sind Sie mit der Ausstellung zufrieden?

Mit der Ausstellung ja, aber mit der Resonanz bei der deutschen Bevölkerung nicht! Sie sind da ziemlich enttäuscht, sie hatten sich erwartet, daß heute (am 'türkischen Tag') mehr Deutsche kommen. Aber die einzigen Deutschen, die da sind, sind Freunde und Bekannte. Bei den Deutschen redet jeder von Integration, aber was steht denn dahinter, wieviel Prozent haben wirklich Interesse? Ihr Anspruch sei es, und dafür hätten sie auch sehr viel Aufwand getrieben, die Vielfältigkeit türkischer Kultur zu zeigen und das Touristen - Klischee abzubauen. Und daß es riesengroße Unterschiede zwischen dem (liberalen) Islam in der Türkei und im benachbarten Iran gibt. Das zu zeigen, sei heute besonders wichtig, wegen der Vorurteile gegenüber dem Islam in der deutschen Öffentlichkeit.

Sie würden sich aber mehr Engagement des Museums in der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit wünschen, um Deutsche besser zu erreichen. Da reicht es nicht, nur Handzettel zu verteilen, oder so eine kleine Notiz (im Ankündigungsteil) in der Zeitung. Sie erwarten sich einen langen Beitrag, genau wie für andere Ausstellungen auch. Und ein richtiges großes Plakat, das überall zu sehen ist.

Man muß der deutschen Bevölkerung von Ulm klar machen, in was für einer Stadt sie leben, bzw. mit wem sie alles zusammen leben! Es geht darum, den Menschen klar zu machen, wie die Situation um sie herum heute wirklich ist, daß sie nicht mehr allein in der Stadt sind, mit welchen Menschen sie zusammen leben! Daran sollte das Museum auch mitarbeiten.

Die Wirtschaft ist da viel weiter: Die haben ganz genau gemerkt, daß die Ausländer eine Zielgruppe sind, das sind immerhin rd. 20% in Ulm, das sind auch Kunden! Und so müßten die Kultureinrichtungen auch denken: Sie haben neulich ein Theaterprogramm gehabt, mit türkischen Klassikern und modernen Stücken, da war das Interesse bei den Türken unheimlich groß, Theater ist sehr beliebt unter der türkischen Bevölkerung. Darüber haben wir auch mit dem Theater hier in Ulm geredet, aber die haben bloß abgewinkt. Das sollte sich das Museum auch überlegen, daß die Ausländer auch ein Potential sind, um das sie sich besser kümmern sollten.

Sie legen Wert darauf, daß solche Angebote dann aber wirklich gut gemacht werden, gut in der Organisation und Werbung (mit kritischem Seitenblick auf die Öffentlichkeitsarbeit für dieses Projekt), dann aber auch gut im Programm, das sollen wirklich qualifizierte Künstler sein, die auch in der Türkei einen Ruf haben. Das wäre auch für die türkische Bevölkerung wichtig: Viele kennen türkischer Kultur ja gar nicht mehr so richtig. Für die gibt es in der Ausstellung auch viele

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Sachen zu entdecken, die sie auch noch nie gesehen haben." (Ulm, Interview 2/ Türkisches Mitglied der Vorbereitungsgruppe)

Was läßt sich aus diesem Interview an Einstellungen und Erwartungen Museen gegenüber ablesen? Welche Vorstellung von Partizipation zeichnet sich ab? Dazu einige Thesen:



Stichwort 'Kulturaustausch': Es wird erwartet, daß eine wechselseitige Beziehung zwischen deutscher und türkischer Kultur entsteht. Das wiederum setzt voraus, daß der Austausch eine reale Basis erhält. Dafür wird auch ein spürbares finanzielles Engagement der öffentlichen Hand erwartet. Das Interesse gilt allerdings nicht primär dem Kennenlernen deutscher Kultur, jedenfalls wird das so im Interview nicht geäußert. Vielmehr soll der türkischen Kultur eine gleichwertige Chance neben den deutschen Kulturangeboten eingeräumt werden. Zugänge zur deutschen Kultur zu gewinnen, ist - für den Befragten jedenfalls - kein Problem. Wichtig wäre ihm z.B., daß gebildete Türken auch die Möglichkeit haben, qualitätvolles türkisches Theater auf den städtischen Bühnen zu sehen.



Stichwort 'Folklorisierung der türkischen Kultur in Deutschland': Das Interesse der Deutschen wird mehr darin gesehen, von türkischer Seite farbige Feste, türkische Musik und schmackhafte orientalische Gerichte serviert zu bekommen. Aber den Deutschen liegt - so unser Interviewpartner - im Grunde wenig an türkischer Kultur in einem ernst zu nehmenden Sinne. Die türkische Seite erwartet daher v.a. eine Öffnung der Kulturinstitutionen - auch des Museums - für die wirklichen und nicht nur folkloristischen Seiten türkischer Kultur. Durch das gesamte Interview zieht sich wie ein roter Faden das Bedürfnis, akzeptiert zu werden, und das bedeutet auch: als Minderheit mit einem eigenständigen, vielfältigen und gleichwertigen kulturellen Leben wahrgenommen zu werden.



Stichwort 'Segmentierung': Die türkische Seite des Problems scheint zu sein, daß dieses Bedürfnis, von der deutschen Gesellschaft auch kulturell akzeptiert zu werden, gar nicht (mehr) von allen Teilen der türkischen Minderheit geteilt wird. Es gibt wohl auch eine Tendenz zur bewußten Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft, die auf eine strikte Trennung gerade im kulturellen Sektor hinaus läuft. Erwartet wird nun, daß diese Tendenz von den deutschen Kultureinrichtungen nicht auch noch (unwillentlich) verstärkt wird, indem diese die türkische Kultur ignorieren und die türkische Minderheit ausgrenzen. Auch eine Politik der Integration - so gut sie im Einzelfall gemeint sein mag - könnte diese Tendenz zur Segmentierung noch unterstützen.



Stichwort 'Kulturelle Bildung im Museum': Erwartet wird - wie oben angedeutet - nicht so sehr eine Heranführung an die deutsche Kultur und Geschichte, sondern eine Heranführung der jüngeren Türkinnen und Türken an ihre eigene Herkunftskultur. Dem Museum wird die Aufgabe zugeschrieben, mit qualitätvollen (!) Angeboten den Jugendlichen der zweiten und dritten

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Ausländergeneration ein Bild von ihrer Heimat zu vermitteln, das geeignet ist, Selbstbewußtsein und kulturelle Identität zu stärken. Gefordert ist also eine differenzierte Haltung der Museen (und der anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen) zur Frage der kulturellen Integration. Wird darunter eine möglichst reibungslose Einpassung der Emigrantenkinder in die deutsche Gesellschaft und ihre Normen verstanden, oder aber ein Prozeß der Selbstvergewisserung, also der Klärung des eigenen Standpunktes zwischen den beiden Kulturen? Eines scheint inzwischen gewiß: Wenn diese Aufgabe, sich der eigenen Herkunft zu vergewissern, nicht von deutschen Kultureinrichtungen in verantwortungsvoller Weise angegangen wird, werden sich andere Interessenten (auf türkischer Seite) finden, die dieses Defizit eventuell in weniger verantwortlicher Form ausfüllen (z.B. mit dogmatischen islamischen Konzepten).



Stichwort 'Besucherpotential': Erwartet wird außerdem, daß die deutschen Kulturinstitutionen - ähnlich wie die Wirtschaft - sich auf das Potential der türkischen Minderheit besinnen. Dieses Argument ist mehr im Interesse des Museums und anderer kommunaler Kultureinrichtungen gedacht - in Zeiten knapper Mittel und wachsenden Legitimationsdrucks kann es sich nach Meinung unseres Interviewpartners keine Institution mehr leisten, einen Bevölkerungsanteil, der inzwischen mancherorts die 20%-Marke erreicht, einfach zu ignorieren. Auch diese Zielgruppe sollte umworben werden.

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Ausländer stellen sich und ihre Kulturen im Museum dar:

Wie können Museen auf diese Anforderungen und Erwartungen reagieren? Eine Möglichkeit wurde im Projekt des Adelhausermuseums für Völkerkunde in Freiburg erprobt. Dort wurde - wie im Konzept formuliert - ausdrücklich ein 'Experiment der Nichteinmischung' gewagt, d.h. das Museum hat sich mit seinen Vorstellungen weitgehend zurück genommen und seine (Sonder-) Ausstellungsräume für fast ein halbes Jahr verschiedenen ausländischen Gruppen in Freiburg geöffnet. Bei diesem Experiment wurde ein Vielzahl von positiven und auch enttäuschenden Erfahrungen gesammelt, die vom Freiburger Museum in einem ausführlichen 'Werkstattbericht' festgehalten wurden. Wir haben diesen Bericht im Anschluß an dieses Kapitel komplett abgedruckt, um die darin enthaltenen praktischen Hinweise auch anderen interessierten Museen zugänglich zu machen.

Am Beispiel: Das Projekt "Begegnung mit dem Fremden" des Adelhausermuseums Freiburg



Interkultureller Ansatz:

Leitlinie des Freiburger Projektes war, den in der Stadt lebenden Ausländern im Völkerkundemuseum einen Ort zur Selbstdarstellung zu geben. Wie sind die dabei entstandenen Angebote unter einem interkulturellen Bildungsaspekt zu beurteilen? Wegen der außerordentlichen Breite der entstandenen Ausstellungen und Aktivitäten ist es schwer, ein einheitliches Bild zu bekommen. Dem Freiburger Publikum ist ganz sicher ein interessanter und vielfarbiger Einblick in die repräsentierten Kulturen vermittelt worden. Dabei wirkte sich positiv aus, daß die meisten Angebote keineswegs nur Klischees bedienten, sondern auch verborgene und überraschende Seiten der jeweiligen Kultur zum Vorschein brachten.

Zentrale Frage an das Freiburger Projekt ist aber, ob die Tatsache, daß die beteiligten Ausländer ihre Kulturen ganz nach eigenen Ideen vorstellen konnten, besser als völkerkundliche Ausstellungen sonst zum Verständnis zwischen den Kulturen beigetragen haben. Was ist der interkulturelle Gewinn dieses 'Experiments der Nichteinmischung'? Spürbar zum Verständnis zwischen den Kulturen haben die Vorbereitungstreffen der beteiligten Nationalitäten beigetragen. Das gemeinsame Projektziel führte dazu, daß sich Ausländerinnen und Ausländer unterschiedlichster Herkunft über ihre Absichten verständigten. Dabei lernten z.B. Schwarzafrikaner die doch in vielem abweichende Sicht von Südamerikanern näher kennen, Künstler verschiedener Herkunftsländer machten Erfahrungen bei der Erstellung eines gemeinsamen Plakates etc. Wie schon in anderen Projekten (z.B. Heidelberg, Singen) zeigte sich auch in Freiburg, daß eine gemeinsame Ausstellung ein museumspädagogisch höchst wirksames Verständigungsmedium darstellt. Dieser Prozeß wurde - so zeigen die vorliegenden Protokolle - durch das 'Experiment der Nichteinmischung' wirksam

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unterstützt. Dabei ergab sich auch ein gewisser Perspektivwechsel, was die Beziehung zwischen den Ausländern und Deutschen betraf: In vielen Fällen haben gerade die beteiligten Künstler deutlich gemacht, daß nicht das Museum ihnen einen Gefallen tut, indem es ihre Werke in den Ausstellungsräumen zeigt, sondern daß sie dem deutschen Publikum einen Gefallen tun, indem sie ihre, von nichteuropäischen Einflüssen geprägte Kunst zur Verfügung stellen. Dieses Selbstbewußtsein von der Eigenständigkeit der eigenen Kultur kam auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß einige Teilnehmer ihre Beiträge (besser) bezahlt haben wollten, als der Projektetat es erlaubte.

Diese nicht alltägliche Perspektive hätte für das deutsche Publikum durchaus einen 'Aha-Effekt' vermitteln können, allerdings fehlte in Freiburg weitgehend das museumspädagogische (Begleit-) Programm, das diese Botschaft hätte gezielter verdeutlichen können. An diesem Punkt - bei der Notwendigkeit, eine Brücke zum deutschen Publikum zu schlagen - hatte das 'Experiment der Nichteinmischung' seine Schwachstelle: Der breite Bilderbogen fremder Kulturen hätte in Richtung auf die deutschen Besucher eine stärkere Einmischung erfordert. Die einzelnen Beiträge waren für interkulturelle Bildung durchaus aufschlußreich - sie zeigten viel über Gemeinsamkeiten zwischen Kulturen, sie betonten auch Unterschiede, sie konnten Respekt wachsen lassen vor der Vielfalt und Eigenständigkeit fremder Lebensweisen und sie machten Fremdheit dort spürbar, wo zu schnelle Einordnung in eurozentristische 'Schubladen' fehl am Platze war. Leider fehlte fast völlig die museumspädagogische Unterstützung dieser Potentiale interkultureller Bildung. Am Beispiel: Eine Grenze des 'Experiments der Nichteinmischung' ist das Unvermögen vieler Projektbeteiligter, zu ihren selbst konzipierten Ausstellungen besuchergerechte Führungen anzubieten. Der Experte für Panafrikanismus etwa ist keineswegs auch ein Experte für Vermittlung von Panafrikanismus in einer Ausstellungsführung! Museen und Ausstellungen haben ihre eigenen pädagogischen Voraussetzungen, die - wenn sie nicht beachtet werden - den Zugang erschweren. Oder anders formuliert: Auch bei einem Ansatz, der Ausländern im Museum weitgehend freie Hand zur Darstellung ihrer Kulturen läßt (was interessante und teilweise überraschende Ergebnisse hervorbringen kann..!) ist das beteiligte Museum gehalten, sich nach wie vor als Anwalt des Publikums 'einzumischen'. Sonst wird die von allen Projektbeteiligten angestrebte Partizipation von Ausländern am Museum entwertet.



Rolle der historischen und künstlerischen Originale:

Vom Museumsteam wird beschrieben, daß der ursprüngliche Ansatz, die Projektbeteiligten aufzufordern, die völkerkundlichen Ausstellungen mit eigenen Dingen zu kommentieren, zu ergänzen oder auch zu kritisieren, auf wenig Interesse gestoßen ist. Die Museumsausstellungen selbst blieben daher - bis auf Ausnahmen - weitgehend unberücksichtigt. Das ist bedauerlich, aber vor dem Hintergrund dessen, was oben zur Interessenlage von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern dem Museum gegenüber gesagt wurde, kaum verwunderlich. Das vorrangige Interesse schien auch hier gewesen zu sein, von der (deutschen) Institution Museum ernst- und wahrgenommen zu werden, nicht aber, sie zu verändern. Dieses Interesse dürfte erst dann wachsen, wenn ausländische Zielgruppen näher und auf Dauer mit einem (Völkerkunde-) Museum

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in Kontakt kommen und darüber zu reflektieren beginnen, was dieses Museum eigentlich inhaltlich von ihren Kulturen vermittelt. Erst dann wird auch Kritik einsetzen können. Als Konsequenz daraus folgt: Wenn man einen Kommentar von bestimmten ausländischen Gruppen und Einzelpersonen zu Museumsausstellungen will, wird man erst einmal diese Art von Kontakt schaffen müssen. Das beschriebene Projekt in Freiburg könnte ein Einstieg dazu sein, denn die beteiligten Personen könnten jetzt - nach dieser positiven Zusammenarbeit - bereit sein, sich auch inhaltlich mit den Museumsausstellungen zu beschäftigen. Dies zu klären, stünde also als nächste Aufgabe an.

Dabei ist es vielleicht weniger sinnvoll, gleich eine direkte Kritik zu verlangen, das könnte sich nach wie vor als Überforderung erweisen. Eine Möglichkeit wäre, zunächst einmal lediglich die Erfahrungen, Perspektiven und Fragen der beteiligten Ausländer zu 'ihren' Ausstellungsabteilungen zu sammeln und zu dokumentieren (etwa in Form von Interviews). Daraus könnte dann im nächsten Schritt etwas gestaltet werden, das in der Ausstellung dem bisher Gezeigten gegenüber gestellt wird. Im nächsten Schritt könnten dann mit Ausländern kleinere Ausstellungseinheiten gestaltet werden, die diese Erfahrungen aufnehmen. Diese Segmente könnten dann als konkrete Vorstudien für neu zu konzipierende Teile der Schausammlung genutzt werden.

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(1) Dem 'Aufgabenfeld Partizipation' haben wir die folgenden Projekte zugeordnet: Freilichtmuseum des Landkreises Esslingen für ländliche Kultur, Stadtmuseum Esslingen, Adelhausermuseum Freiburg, Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Museum im Ritterhaus Offenburg, Städtische Kunsthalle Mannheim, Hegau-Museum Singen, Ulmer Museum, Historisches Museum für Stadt und Grafschaft Wertheim (2) Laut einer Sondererhebung des Instituts für Museumskunde (IfM) in Berlin haben 1992 72 (von über 4000..!) deutschen Museen spezielle Angebote für Ausländer gemacht (Quelle: Mitteilung des IfM vom 9.1.1995). (3) Vgl. dazu etwa Ursula Winkler, „Begegnung mit dem Fremden“, in: Landmuseen, Magazin der Freilichtmuseen zwischen Main und Bodensee, Heft 66, S. 14f.

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WERKSTATTBERICHT

Probleme und Schwierigkeiten bei der Durchführung des Projektes "Begegnung mit dem Fremden" des Adelhausermuseums Freiburg

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Insgesamt kann das Projekt "Begegnung mit dem Fremden" im Freiburger Adelhausermuseum als Erfolg gewertet werden. Die Reaktionen der Beteiligten, Museumsmitarbeiter, Projektteilnehmer und Besucher fielen überwiegend positiv aus, doch traten natürlich auch Schwierigkeiten und Probleme auf. Von vornherein zeichnete sich das Projekt, mit dem sich das Adelhausermuseum um die Teilnahme am Modellversuch beworben hatte, durch das Fehlen eines genau festgelegten inhaltlichen Konzepts aus. Dieses Fehlen war allerdings beabsichtigt, denn Ziel war es, ausländischen Mitbürgern die Möglichkeit zu bieten, sich selbst an der inhaltlichen Planung der Ausstellungen und Aktionen zu beteiligen. Da relativ wenig Vorgaben von Museumsseite gemacht worden waren, war zu Beginn des Projektes noch vieles unbekannt. Erst nachdem sich die ausländischen Projektteilnehmer gemeldet hatten, konnte abgeschätzt werden, wie groß das Projekt werden würde, welche Themen angesprochen werden würden und wie die zeitliche und räumliche Planung aussehen mußte.

Die Frage, wie man die potentiellen Teilnehmer ansprechen sollte, war das erste Problem, das sich stellte. Neben Aufrufen in Zeitungen und dem Anschreiben von Ausländervereinen und ähnliche Organisationen waren v.a. Kontakte zur Freiburger Ausländerinitiative hilfreich, und so bildete sich nach und nach die Gruppe der Projektteilnehmer heraus. Einige Interessenten meldeten sich zu spät, so daß eine Teilnahme nicht mehr möglich war, insgesamt war die Resonanz jedoch gut.

Damit ist bereits das wohl größte Problem des Projektes angedeutet: sein Umfang, der sich aus der hohen Zahl der Interessenten ergab. Dies zog andere Schwierigkeiten nach sich. Ein Grund für diese Entwicklung lag darin, daß von der Seite des Museums versucht worden war, möglichst alle Ideen, die von Interessierten eingebracht wurden, umzusetzen und keine vorhergehende Auswahl zu treffen. Denn mit einer Selektion hätte man dem selbst gesetzten Anspruch widersprochen, bei diesem Projekt das Museum als Freiraum zur Verfügung zu stellen. Eine Folge war, daß die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel zu knapp waren, um die gesamten Kosten zu decken. Auf diesen Punkt wird später noch ausführlicher eingegangen.

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Außerdem ergaben sich zeitliche Probleme. Das Projekt lief länger, als vom Museumsverband Baden-Württemberg für den Modellversuch geplant, wodurch es nicht möglich war, alle Ergebnisse und Erfahrungen in die Auswertung einfließen zu lassen. Die einzelnen Ausstellungen (insgesamt bis Mitte Oktober 13 Einzelausstellungen) konnten der Öffentlichkeit nur relativ kurz (ca. 8 Wochen) und nur als Teilausstellung innerhalb eines der drei Blöcke gezeigt wurden.

Weitere Schwierigkeiten ergaben sich aus der Personalsituation am Museum. Ursprünglich auf technische und beratende Tätigkeiten beschränkt, fiel den Museumsmitarbeitern wesentlich mehr Arbeit als gedacht zu, die nur mit vielen Überstunden zu bewältigen war. Der Grund dessen lag zum einen in dem bereits genannten Bemühen, auf alle eingebrachten Vorschläge und Ideen einzugehen, und zum anderen darin, daß bei verschiedenen Projekten wesentlich mehr inhaltliche Hilfestellung geleistet werden mußte, als ursprünglich beabsichtigt war.

Trotz der dem Adelhausermuseum zur Verfügung gestellten Förderung durch den Museumsverband Baden-Württemberg überstiegen die Kosten des Projektes bei weitem die eingeplanten Mittel. Der Eigenanteil liegt deutlich über der Kalkulation. Der Versuch, die entstandene Lücke mit Spenden zu füllen, ist nur zum Teil gelungen. Einige Schwierigkeiten ergaben sich außerdem aus dem Vorhaben, die Leistungen der Projektteilnehmer zu entgelten. Im Vorfeld war damit gerechnet worden, daß hier Schwierigkeiten auftreten könnten, da der Umfang der einzelnen Projekte von den Museumsmitarbeitern nur sehr grob im Voraus eingeschätzt werden konnte. Im großen und ganzen waren die Projektteilnehmern mit einer eher symbolischen Vergütung einverstanden, doch war bei einigen wenigen erkennbar, daß der finanzielle Aspekt in den Vordergrund gerückt war.

So viel zu den organisatorischen Schwierigkeiten. Weniger als Probleme denn als enttäuschte Erwartungen sind die nicht erreichten Ziele und die nicht erfüllten Wünsche zu sehen, die von seiten der Museumsmitarbeiter gesteckt beziehungsweise gehegt worden waren. Im Vorfeld war man davon ausgegangen, daß ein thematischer Schwerpunkt des Projektes die Kommentierung der Dauerausstellung sein könnte. Da die Konzeption der bestehenden Dauerausstellung zum großen Teil aus den 1960er und 1970er Jahren stammt, schien die Präsentation einer aktualisierten Sicht aus der Perspektive von Menschen, die zu der dargestellten Kultur gehören, neben der veralteten, eurozentristischen Darstellung als eine sehr reizvolle und spannende Aufgabe. Mit dieser Gegenüberstellung hätte die in den Völkerkundemuseen vorherrschende europäische Sichtweise in Frage gestellt und Diskussionen über die Art der Vermittlung von Fremdem angeregt werden können. Teile dieser Kommentierung hätten sich zumindest mittelfristig in die bestehende Dauerausstellung integrieren lassen. Seit langem ist eine Neugestaltung des gesamten Dauerausstellungsbereichs geplant, die bisher jedoch aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden konnte. Aktuelle Ergänzungen sowie Berichte

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und Fotos von Menschen, die aus den dargestellten Regionen kommen, wären für das Museum ein Gewinn gewesen und hätten das bestehende Problem mangelnder Aktualität und Attraktivität sowie ungünstiger museumspädagogischer Nutzungsmöglichkeit zumindest vorübergehend entschärft.

Insgesamt blieb der Wunsch nach der Darstellung "anderer" ethnographischer beziehungsweise kulturanthropologischer Sichtweisen aber auch aus anderen Gründen unerfüllt. Das Museum hatte erwartet, daß die Projektteilnehmer, die durch die veröffentlichten Aufrufe und persönlichen Anschreiben angesprochen wurden, sich auf die gestellten Themen einlassen würden. In einigen Fällen wurden diese Erwartungen erfüllt (wie in der Ghanaausstellung). Es zeigten sich jedoch insgesamt mehr künstlerisch tätige als kulturwissenschaftlich orientierte Menschen an einer Mitarbeit interessiert. Dadurch wurde das Gewicht des Gesamtprojektes in diese Richtung verschoben und der Aspekt der wissenschaftlichen Kritik rückte in den Hintergrund. Die Ursachen dafür lagen unter anderem darin, daß die Künstler und Künstlerinnen zum einen bereits über Ausstellungserfahrungen verfügten, zum anderen weniger Schwellenangst vor der Institution Museum hatten und auf vorhandene Ausstellungsobjekte zurückgreifen konnten. Künstler hatten daher eine bessere Ausgangsbasis für eine Mitarbeit im Projekt als die, die kulturwissenschaftliche Ausstellungen planten.

Auch die ausländischen Projektteilnehmer hatten natürlich Erwartungen an ihre Aktivitäten gestellt. Während mit den kulturwissenschaftlichen Ausstellungen und Vorträgen im wesentlichen der Wunsch nach der Darstellung der eigenen Kultur erfüllt werden konnte und die Beteiligten insgesamt zufrieden waren, taten sich bei den Kunstausstellungen größere Probleme auf.

In Bezug auf die Besucher ließ sich feststellen, daß es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Veranstaltungen gab. Während sie bei den Eröffnungen auf große Resonanz stießen, hielt sich diese bei den Führungsund Veranstaltungsterminen in bescheidenerem Rahmen. Obwohl bei den Eröffnungen auf das folgende Begleitprogramm hingewiesen worden war, kamen zu einigen Veranstaltungen weniger als 10 Personen (der Durchschnitt lag bei 15-20).

Aus den gemachten Erfahrungen lassen sich Schlüsse ziehen, wie man bei ähnlichen Veranstaltungen in Zukunft Fehler vermeiden könnte. So müßte im Vorfeld eine gewisse Auswahl stattfinden. Die hohe Zahl an Einzelprojekten machte das Gesamtprojekt zum einen zu groß und zum andern unübersichtlich, so daß einige Ausstellungen und Aktionen nicht die gewünschte Aufmerksamkeit erreichen konnten. Die begrenzten finanziellen Mittel hätten bei einem kleineren Programm ausgereicht, und das Angebot hätte wahrscheinlich publikumswirksamer präsentiert werden können.

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Abschließend läßt sich sagen, daß ein wichtiges Ziel, nämlich die "Begegnung mit dem Fremden" erreicht wurde. Im Verlauf des Projektes hat sich die Zusammenarbeit mit einigen Projektteilnehmern für beide Seiten als positiv und fruchtbar erwiesen, so daß die Möglichkeit besteht, von diesem Projekt ausgehend in Zukunft häufiger zusammenzuarbeiten. (Werkstattbericht Freiburg/ Autor: Stephan Süßebecker)

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Arbeitsfeld: Verständigung

In einem museumspädagogischen Modellversuch, der den Titel 'Begegnung mit dem Fremden' trägt, wird man nicht nur die Begegnung mit den Zeugnissen fremder Kulturen, sondern ganz unmittelbar auch die Begegnung mit Menschen anderer Nationalität erwarten. Solche Begegnungen hat es - auf die eine oder andere Weise - in verschiedenen Projekten gegeben, allerdings sind in den meisten Projekten die Deutschen doch weitgehend unter sich geblieben. Lediglich in acht Projekten (1) war die Begegnung von und mit Menschen anderer Nationalität ausdrücklich Teil des Konzepts, d.h. es wurden gezielt Angebote gemacht, um Kontakte herzustellen. In fünf Fällen fanden diese Begegnungen im Zuge der Vorbereitung von Ausstellungen statt, wobei allerdings nur in zwei Projekten tatsächlich die gemeinsame Gestaltung einer Ausstellung intendiert war (Esslingen, Singen). Drei Museen hatten sich darüber hinaus zur Aufgabe gemacht, Ausländer im Museum auch untereinander in Kontakt zu bringen (was nicht immer auf große Resonanz stieß).

Betrachtet man die Projekte des Modellversuchs im Überblick, so deutet sich an, daß Museen diese kommunikative Seite interkultureller Bildung noch relativ zögernd angehen. Entsprechende Konzepte existieren bislang kaum, die Einstellung der Verantwortlichen schwankt - wie unsere Interviews verdeutlichen zwischen (anfänglicher) Begeisterung für die Zusammenarbeit mit ausländischen Gruppen und (nachfolgender) Ernüchterung über den Arbeitsaufwand und auch über die Vorbehalte, auf die das Angebot des Museums gestoßen ist.

Gemeinsame Entwicklung von Ausstellungen

Dies war in einigen Projekten ein wichtiger Ansatz, die Verständigung zwischen Deutschen und Ausländern zu fördern:

Am Beispiel: Das Projekt "Heute frische Heimat!" des Stadtmuseums Esslingen

Die Idee zu einer Ausstellung über das Zusammenleben von Deutschen und Ausländer in Esslingen ging vom Diakonischen Werk aus, das sich auf der Suche nach Kooperationspartnern an das Kulturamt der Stadt wandte. Aus dieser Initiative bildete sich eine Gruppe von deutschen und ausländischen Interessenten, unter ihnen die Museumsleiterin. Diese Gruppe arbeitete bereits über ein Jahr in wechselnder Zusammensetzung an dem Projekt, als sich aus dem Modellversuch heraus die Möglichkeit zur Finanzierung ergab. Daraufhin

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wurde die Gruppe, die paritätisch aus Deutschen und Ausländern bestand, fest mit dem Auftrag konstituiert, die Ausstellung vorzubereiten und zu gestalten. Die Museumsleiterin war gleichberechtigtes Mitglied dieser Gruppe. Zusätzlich zu der Gruppe wurde ein Netzwerk in der Stadt aufgebaut, bestehend aus Kulturamt, Volkshochschule, Kommunalem Kino, Stadtbücherei etc. Das museumspädagogische Experiment bestand darin, daß die Gruppe selbst sich ihr Thema suchte, im heterogenen Kreis der Mitwirkenden diskutierte, in ein Ausstellungskonzept umsetzte und dazu - da es zunächst für die Ausstellung kein einziges Objekt gab - die passenden Exponate beschaffte. Die Gruppe wurde dabei in der Endphase von einem Gestalter unterstützt.

Von diesem Gruppenprozeß liegen eine Reihe von Protokollen vor, die belegen, wie intensiv das Thema der Ausstellung immer wieder im Wechsel der Perspektiven der verschiedenen Nationalitäten erarbeitet wurde. Im Zentrum der Arbeit stand über lange Zeit das Bemühen, wechselseitig die Sichtweisen besser zu begreifen, um - auch über die Ausstellung hinaus - zu einer differenzierten und fundierten Einschätzung des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern zu kommen. Als schwierig erwies sich der letzte Schritt hin zur konkreten Ausstellung. Am Ende geriet das ganze Vorhaben daher unter einigen Zeitdruck, was viele Mitglieder der Projektgruppe als belastend empfanden. Wir haben im Anschluß mit Mitgliedern der Projektgruppe Interviews geführt. Hier zwei Einschätzungen, die diese Erfahrungen verdeutlichen:

"Jeder der verschiedenen Partner hatte eine andere Sicht auf das Thema. Gut fand ich die Zusammenarbeit mit Ausländerinnen und Ausländern, mit neuen und alten Kooperationspartnern. Schwierig war es, Termine zu finden, weil Hauptamtliche und Ehrenamtliche am Projekt beteiligt waren. Kritik habe ich, daß es sich letztlich nur auf wenige Kooperationspartner reduzierte, aber die Arbeit können auch nur ein paar Leute machen. Ich glaube, trotz der Kritik waren wir nur in dieser Zusammensetzung arbeitsfähig. Schade ist auch, daß es viel mehr Ideen gab, als umgesetzt wurden. Meine Hoffnung auf eine große Bandbreite mit Pep, Spannung, eine sich selbst erschließende Ausstellung, hat sich leider nicht erfüllt. Aber ich schließe mich selbstkritisch mit ein: Ich hatte keine Vorstellung von der Umsetzung. Kritisch zur Arbeit in der Projektgruppe muß ich sagen: 'Viele Köche verderben den Brei'. (...) Jeder hat gedacht, daß der andere es macht. Kritisch sehe ich auch, daß ich beruflich sehr beansprucht war und mein Engagement nicht allein der Ausstellung zugute kommen konnte. Gut war die Pressearbeit oder die gesamte Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe viele Anfragen bekommen und das Interesse am Projekt zieht Kreise, die ich nicht vermutet hätte." (Interview 3 Esslingen/ Deutsches Mitglied der Projektgruppe)

"Mir gefällt bei dem Projekt, daß sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt wird, ohne daß die Beteiligten - in dem Fall Museumsleute - beruflich mit dem interkulturellen Thema zu tun haben. Das interkulturelle Thema ist ein heißes Thema, das schwierig sauber und sachlich zu trennen ist. (...) Mein Hauptmotiv (bei dem Projekt mitzumachen) war, daß Ausländer nicht als Objekte in einer Ausstellung präsentiert werden sollten. (...) Ich kritisiere aber auch dieses interkulturelle Expertentum, das das Thema nur intellektuell angeht. Ohne Miterleben ist das nicht zu bewältigen, und dieser Unterschied ist für mich (in der Ausstellung) deutlich spürbar. (...) Aber es war für mich dennoch eine einzige

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Krise, in diesem 'organisierten Chaos' der Vorbereitungsgruppe zu arbeiten! In der Vorbereitungszeit sind Aufgaben an einzelne zugeteilt worden, ich hatte das Thema 'Wohnen', und in der Realisierung wurde dann argumentiert: 'Wir wollen das Thema Wohnen lieber ganz anders..!' Es war für mich im Grunde bis zum Ende nicht klar, was nun nötig ist, um eine Ausstellung zu realisieren! Von der Museumsseite habe ich Anweisungen erwartet, weil sie dort ja Erfahrungen mit dem Ausstellungsaufbau haben, aber das kam nicht. (...) Es war am Schluß eine enorme Belastung, ich habe in den letzten Wochen viele private Termine abgesagt, um den Aufbau zu schaffen." (Interview 5 Esslingen/ Ausländisches Mitglied der Projektgruppe mit deutschem Paß)

Welche Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Konzeptes gemeinsamer Ausstellungsgestaltung von Deutschen und Ausländern werden am Esslinger Beispiel erkennbar (2)? Dazu einige Thesen:



Eine solche Projektgruppe ist besonders geeignet, die vielfältigen Aspekte und Bezüge des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern zu erschließen. Die Fülle an Vorschlägen, die aus der Esslinger Gruppe entstanden sind, sind ein Beleg dafür. Dabei ist - durch die Anwesenheit von Ausländern dafür gesorgt, daß die Sichtweise nicht 'zu deutsch' wird, auch in Bezug auf positive Vorurteile, die auf deutscher Seite im Verhältnis zu Ausländern existieren können.



Eine solche Gruppe sollte von ihren Teilnehmern her handlungsfähig sein. D.h. sie wird nicht sehr groß sein können (sechs bis höchstens zehn Personen), die Mitarbeit sollte einigermaßen kontinuierlich sein und sie sollte von seiten der vertretenen Ausländer und Deutschen 'qualifiziert' besetzt sein. Letzteres bedeutet, daß alle in etwa die gleiche Chance haben sollten, den Diskussionsprozeß und das Ergebnis mitzugestalten. Dies gilt besonders für die im obigen Protokollauszug angesprochene Gefahr, daß Ausländer sonst doch wieder zu Objekten der Ausstellung gemacht werden. Man muß sich auch im klaren darüber sein, daß diese Arbeitsform leicht an die Grenze der Belastbarkeit von ehrenamtlich (= nebenberuflich) Mitwirkenden stößt.



Das Verhältnis einer solchen Gruppe zu ausländischen Vereinen, dem Ausländerbeirat etc. ist nicht unproblematisch. Einerseits ist es wichtig, daß sich solche Gruppierungen in dem Projekt wiederfinden können, d.h. daß sie rechtzeitig informiert sind und es akzeptieren. Andererseits sollte die Gruppe, damit eine wirklich eigenständige Ausstellung entstehen kann, auch eigenständig bleiben. Eine packende und zugleich sensible Darstellung des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern, so wie sie in Esslingen realisiert wurde, wird kaum im Kompromiß mit allen möglichen Interessen und Gruppierungen umzusetzen sein!



Ergebnis eines solchen Projektes ist erstens die Ausstellung; zweitens ist

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aber auch der Verständigungsprozeß in der Gruppe selbst als eigenständiges Ergebnis zu werten. Wenn Deutsche und Ausländer gemeinsam an einer solchen Präsentation arbeiten, entstehen daraus interkulturelle Lernprozesse und auch andere Wirkungen bis in die Öffentlichkeit hinein, die weit über die Ausstellung hinaus reichen.



Die Rolle der 'Museumsleute' in einer solchen Gruppe ist schwierig und ambivalent: Einerseits wollen sie das Ergebnis nicht vorbestimmen, die Ausstellung soll aus der Gruppe heraus entstehen; andererseits sind sie die Experten für die visuell-objektbezogene Umsetzung eines Themas und die Wirkung beim Publikum. Sie sehen daher oft sehr schnell, daß bestimmte Ideen als Ausstellungselement kaum umsetzbar sind. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt in der Vermittlung des besonderen Charakters visueller Botschaften, mit der die meisten Menschen wenig Erfahrung haben und die in einem solchen Prozeß erst erlernt werden muß.



Eventuell wird von Seiten der Museumsmitarbeiter doch eine gewisse Struktur vorgeben werden müssen, im Sinne der Fragen: An welchem Punkt der Ausstellungsentwicklung sind wir jetzt, was steht an bzw. ist bereits 'abgehakt'? Ansonsten besteht - wie auch die Esslinger Erfahrungen zeigen - die nicht ganz kleine Gefahr, daß immer wieder grundsätzlich diskutiert wird. Dabei stehen die Museumsmitarbeiter vor der undankbaren Aufgabe, deutlich zu machen, daß eine starke Reduktion der vielen in der Gruppe geäußerten Ideen notwendig ist, um letztlich zu einer Ausstellung zu kommen. Die oben zitierten Interviewpassagen sind ein Hinweis dafür, daß die - prinzipiell positiv zu wertende - Offenheit im Planungsprozeß die Gruppe auch einschränken kann. Ein gewisses Minimum an Struktur und Vorgaben scheint erst die notwendigen Räume für Kreativität zu schaffen.



Wie läßt sich die Vielfalt der Standpunkte/Sichtweisen in der Ausstellung integrieren? Weil jeder seine subjektive Sicht einbringt, muß in der Darstellungsform eine Vereinheitlichung gefunden werden, etwa in Esslingen die einleuchtende Lösung, in jeder Ausstellungseinheit das Motiv 'Koffer' als Präsentationelement zu nutzen. Bei aller Kreativität der Einzelbeiträge darf also nicht vergessen werden, daß jede Ausstellung insgesamt (in ihrem Ablauf) eine Geschichte erzählt, also mehr ist als nur die Summe der Einzelbeiträge (der einzelnen Gruppenmitglieder). Als Frage stellt sich daher: Wer fühlt sich zuständig für diese 'Geschichte', wer in der Gruppe ist Anwalt des Publikums?



Wie entsteht ein Ausstellungskonzept in der Gruppe? Zunächst besteht wohl die Tendenz, das Konzept aus allgemeineren, konzeptionellen Überlegungen heraus zu entwickeln und dies dann bis auf die Ebene einzelner Ausstellungsteile umzusetzen. Es ist aber - auch aufgrund der Erfahrungen mit den recht langwierigen Planungsprozessen in Esslingen - zu überlegen, ob nicht ein offenes, 'umgedrehtes' Verfahren besser zum Ziel führt. Das bedeutet: Einzelne Ausstellungsteile werden provisorisch (möglichst vor Ort) realisiert, verändert und dann auf ihre Wirkung hin diskutiert. Daraus ergeben sich dann zugleich neue

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(und sehr praktische!) Einsichten bezüglich des gesamten Konzeptes. Dieses wird also nicht fertig vorgegeben, sondern es wächst und verändert sich kontinuierlich aus der Erprobung einzelner Elemente. Problem dürfte aber sein, Zeit und Raum für solche Planungsverläufe im Museumsalltag zu schaffen.

Das beschriebene Konzept des Museums in Esslingen stellt eine sehr ambitionierte Form der Einbeziehung von Ausländern in Planungsprozesse dar. Andere im Modellversuch erprobte Formen sind: Eine Ausstellung planen und Ausländer um Unterstützung bitten (z.B. Information, Kontakte vermitteln, Exponate ausleihen); Ausländer einbeziehen, sie selbst etwas gestalten lassen, aber das Medium vorgeben (z.B. das Angebot machen, auf einer Tafel ihre Biographie darzustellen und dazu für sie persönlich wichtige Dinge in einer kleinen Vitrine zu zeigen).

Konflikte aufgreifen:

Der Begriff 'Verständigung' legt nahe, daß sich Menschen verschiedener Nationalität bei Aktivitäten des Museums näher kommen. Dies ist als Element interkultureller Bildung sicherlich erstrebenswert, dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, daß Beziehungen zwischen Nationalitäten erheblichen Konfliktstoff enthalten können. Ein Beispiel dafür wurde im Tuttlinger Projekt erkennbar.

Am Beispiel: Projekt "Begegnung mit ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen" am Heimatmuseum Tuttlingen

Die Museumsleiterin schildert dazu in ihrem "Werkstattbericht" folgende Situation:

"Es war oftmals auch schwierig, eine Linie in ein Interview zu bekommen, da es einschneidende Erlebnisse gab, die immer wieder erzählt wurden, z.B. die Geburt eines Kindes. (...) Einige Zwangsarbeiterinnen bekamen im Lager Kinder. Im Laufe des Interviews stellte sich aber heraus, daß im Laufe der Jahre 1943 und 1944 Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen vorgenommen wurden. In den Krankenhausakten fanden wir dann eine Bestätigung. Erst im Jahr 1945 kamen dann vermehrt Kinder zur Welt. (...) Am Anfang gab es Scheu, über negative Erlebnisse zu berichten, da man über die Gastgeber nichts Negatives erzählen wollte. Erst nach intensivem Nachfragen und ermunternden Zunicken kamen dann auch schreckliche Erlebnisse zu Tage. Erleichtert wurde die Situation dadurch, daß alle Fragenden nach dem Kriege geboren waren und zum überwiegenden Teil nicht aus Tuttlingen stammten. Andererseits freuten sich die Menschen im Mittelpunkt zu stehen und berichteten gerne." (Werkstattbericht Tuttlingen)

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In Tuttlingen war der Konfliktpunkt, daß die Überlebenden der Zwangsarbeitslager der Nationalsozialisten damals zahlreiche Grausamkeiten ertragen mußten. Damals wurden sie um ein Stück ihrer Jugend betrogen, was bis heute tiefe Spuren hinterlassen hat. Andererseits war bei den meisten Gästen aus der Ukraine auch der Wille zur Versöhnung zu spüren, was bei vielen Deutschen sicherlich mit Erleichterung vermerkt wurde. Aber ein Museum ist - als Ort der Erinnerung - in einem solchen Verständigungsprozeß sicherlich nicht nur der Versöhnung, sondern auch der Aufklärung und Dokumentation dieser dunklen Seite der Ortsgeschichte verpflichtet. Es sollte daher - wie in Tuttlingen in den Interviews geschehen - Vorkehrungen treffen, daß auch diese Seiten zur Sprache kommen können.

Ähnliche Überlegungen gelten auch für den Kontakt von Deutschen mit heute hier lebenden Ausländern. Auch hier gibt es die Tendenz, Widersprüche zu versöhnen und Gemeinsamkeiten zu betonen, zumal ja ein Ziel der Projekte war, die verschiedenen Nationalitäten persönlich miteinander in Kontakt zu bringen. Andererseits sollte aber auch der Tatsache Rechnung getragen werden, daß eventuell kulturelle und soziale Welten zwischen den Migranten und deutschen Teilen der Bevölkerung liegen. Es geht also nicht nur um Gemeinsamkeiten, sondern auch um eine bessere Kenntnis von Unterschieden. Für eine Verständigung wünschenswert wäre daher, diese Unterschiede zu kennen und zu akzeptieren, ohne vorschnelle Versuche zur Angleichung. Und zweitens gab und gibt es zwischen Deutschen und Ausländern verschiedene Formen der Benachteiligung und Diskriminierung. Auch dies sollte ein Thema sein, wenn Museen sich der Verständigung zwischen den Kulturen widmen, zumal diesbezüglich ein erheblicher Aufklärungsbedarf existiert. Es ist auf Dauer einer Verständigung sicherlich zuträglicher, wenn auch Konfliktpunkte benannt werden, und zwar zwischen Deutschen und Ausländern als auch unter den verschiedenen Nationalitäten selbst. So wird das Verständnis der Deutschen für hier lebende Türken kaum anwachsen, wenn nicht deren widersprüchliche und auch konfliktreiche Situation als Minderheit in der deutschen Gesellschaft zur Sprache kommt. Leider wurde lediglich im Esslinger Projekt der Versuch gemacht, auch diese Seite von Verständigung zu thematisieren.

Verständigung zwischen Kulturen: Aufgabe der Museumspädagogik?

Eine wichtige Frage ist schließlich, wieweit solche interkulturellen Verständigungsprozesse überhaupt Aufgabe eines Museums sind. Dies ist unproblematisch, so lange es um genuine Museumsaufgaben wie etwa die Konzipierung von Ausstellungen geht. Aber schon das genannte Beispiel aus Tuttlingen ist i.d.S. weniger eindeutig. Hier wäre die Frage zu stellen, was bei einem solchen Austausch noch Funktion des örtlichen Museums sein kann und was davon in die Zuständigkeiten anderer Institutionen (des Kulturamts, der Schulen etc.) fällt. Auf der Abschlußtagung des Modellversuchs am 19.10.1996 in Offenburg wurde diese Frage in der Podiumsdiskussion ausführlich und teilweise kontrovers behandelt. Besonders intensiv wurde darüber diskutiert, welche der Aufgaben, die bei einer solchen Begegnung mit dem Fremden anfallen, überhaupt noch durch den spezifischen Bildungsauftrag von Museumspädagogik abgedeckt sind und welche besser der Sozial- und Schulpädagogik zuzuschlagen wären.

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Dazu berichtet der Museumspädagoge der Städtischen Kunsthalle Mannheim aus der Sicht seines Projektes:

"Es ging bei uns weniger darum, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, sondern daß sich Kinder und Jugendliche zweier Völker begegnen, um sich gemeinsam mit moderner Kunst aus unserem Raum zu beschäftigten. Für beide Gruppen - die jungen Bosnier und Deutschen - war diese Kunst etwas Fremdes, das es zu erkunden und zu erobern galt (...). Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, daß von uns tatsächlich das Museum als Ort der Begegnung für alle ethnischen Gruppen - und generell für alle Bevölkerungskreise - erschlossen wird. In diesem Zusammenhang sind einige kritische Anmerkungen anzumelden: Es wird immer wieder gefordert, daß man aus dem Museum rausgehen soll. Das stimmt natürlich bis zu einem gewissen Grade, man muß die Besucher dort abholen, wo sie sich befinden. Das haben wir auch in dem Projekt getan, indem wir zu den Bosniern in die Flüchtlingsunterkunft gegangen sind und halbtags dort gearbeitet haben. Aber die andere Hälfte sollte dann unbedingt im Museum stattfinden. Auch der Beginn unseres Projektes war dort draußen bei den bosnischen Kindern, wir sind da hingegangen und haben ein Entrée-Spiel gemacht, was sehr wichtig war, um durch ein Ereignis erst einmal Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann haben wir aber auch Stück für Stück deutlich zu machen versucht: Es gibt in der Stadt etwas, das Museum für moderne Kunst, das sich zu besuchen lohnt. Dies Ziel dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, sonst begeben wir uns in ein Gleis der Sozialpädagogik und treten damit in Konkurrenz zu anderen (sozialpädagogischen) Angeboten. Wichtig ist mir, daß wir uns von der Museumspädagogik her unserer eigenen Grenzen und Möglichkeiten vergewissern. Das bedeutet auch: Abgrenzung von den Aufgaben anderer Institutionen. (...) Gerade wenn man Projekte für Fremde macht, sollte man nicht aus dem Blick verlieren: Was bietet das eigene Museum diesem Personenkreis ... und wo sind die Grenzen?" (Protokoll der Podiumsdiskussion v. 19.10.1996)

Die Praxis des Modellversuchs wie auch die auf der Tagung davon angestoßene Diskussion zeigten, daß diese Grenzen und Möglichkeiten keineswegs eindeutig festliegen. Zum einen stellt sich die Situation für die einzelnen Museen unterschiedlich dar. Kunstmuseen entwickeln gegenüber solchen Aufgabenstellungen ein anderes Selbstverständnis als etwa regionale Heimatmuseum mit ihren ausgeprägten sozialen Bezügen. Zum anderen stellt sich an diesem Punkt aber auch die Frage nach dem Wandel des Selbstverständnisses von Museen: Wieweit können und sollten sie sich gegenüber solchen Aufgaben öffnen? Und: Was bedeutet das für die Tätigkeit und auch die notwendigen Qualifikationen der Museumsmitarbeiter?

Dazu einige Thesen, die sich in Diskussionen und Interviews mit Projektbeteiligten abgezeichnet haben:



Ein neues, kommunikatives Museumsverständnis wächst gerade in der praktischen Erprobung solcher Tätigkeiten in den 'Grenzbereichen' der Museumspädagogik; also: hin zur Sozialpädagogik, hin zur Ausländerarbeit, hin

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zur Schule etc.



Problematisch sind nicht diese Experimente; in ihnen kann ein Museum evtl. sehr viel lernen. Wichtige Impulse für die Museumspädagogik kommen oft auch von außen: So hat das langjährige Programm der Museumswerkstatt für Ausländer an der Münchener Volkshochschule (3) inzwischen eine Vielfalt und methodische Kreativität gewonnen, die bislang von praktisch keinem Museum erreicht wird. Solche Erfahrungen sind bisher leider viel zu wenig rezipiert worden. Problematisch wird die Situation, wenn versucht wird, dem Museum Aufgaben zuzuweisen, die im anderen Bereich nicht bewältigt werden. Also: Wenn vom Museumspädagogen im Kunstmuseum erwartet wird, daß er ausgleichend auf die Aggressivität von ausländischen Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft wirkt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht existieren (z.B. wegen der beengten Unterbringung in Kasernenräumen). Gleiches gilt für den 'Grenzbereich' zur Schule: Auch die Museumspädagogik wird dauerhaft keine Verständigung zwischen den Kindern unterschiedlicher Nationalität herstellen können, wenn dazu die Voraussetzungen im schulischen Alltag nicht stimmen.



Sinnvoll ist aber, wenn sich das Museum mit den anderen sozialen und Bildungsinstitutionen ergänzt. Etwa: Das Mannheimer und das Singener Projekt haben bewiesen, daß sozialpädagogisch und auch schulpädagogisch wichtige Prozesse in Gang gesetzt werden können, wenn innovative museumspädagogische Methoden eingesetzt werden. Die Jugendlichen in Mannheim und Singen haben gruppendynamisch und auch sozial sehr von den Angeboten der beiden Museen profitiert, zugleich (!) sind aber auch maßstabsetzende, genuin museumspädagogische Konzepte realisiert worden. Diese produktive Auseinandersetzung mit anderen Bereichen und ihren Problemen führt also nicht unbedingt weg von den 'eigentlichen', den museumsspezifischen Aufgaben, sondern ergänzt und entwickelt sie.



Diese Aussage gilt prinzipiell auch für die Beziehung zur Schule. Allerdings besteht hier die Gefahr, daß Museumspädagogik im Kontakt mit der Schule nicht wächst, sondern im Gegenteil von den didaktischen und organisatorischen Strukturen des Schulalltags soweit beeinflußt wird, daß das Museum als eigenständiger pädagogischer Erfahrungsraum nicht genügend zur Geltung kommt. Von Seiten der Schule wird oft vergessen: Museumspädagogik ist kein Unterricht im Museum. Sie kann sich aber, wenn sie ihren Stärken nutzt, zu einer höchst produktive Ergänzung für Unterricht entwickeln. Dies gilt ganz besonders für interkulturelle Themen, weil sich in den Museen dafür eine Fülle von Anknüpfungspunkten findet. Im Museum kann für Schulklassen ein über längere Zeit wirksamer Impuls gesetzt werden (wie etwa in der interkulturellen Museumspädagogik des Maschenmuseums Albstadt erprobt); und im Museum kann, etwa im Gespräch mit Schülern islamischer Herkunft, konkret an den Objekten erfahren werden, was es heißt, als Kind von einem Kulturraum in den anderen versetzt zu werden. Nimmt die Schule dieses Angebot wahr, so werden sich auch auf Seiten des Museums neue Formen museumspädagogischer Praxis entwickeln.

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Dabei kommt allen Arten von erfahrungsorientiertem und entdeckendem Lernen große Bedeutung zu. Schulklassen können im Museum kleine Projekte realisieren, die v.a. dazu anleiten, Fragen zu stellen und Interesse zu wecken. Derartige Projekte können, wenn sie den Erfahrungsraum des Museums tatsächlich nutzen, noch lange motivierend in die Schulpraxis hineinwirken. Die Museumspädagogik wiederum ist gefordert, dafür ein gestaffeltes Angebot zu machen, vom zweistündigen Miniprojekt bis hin zum größeren, mehrwöchigen Vorhaben, das mit einer eigenständigen Ausstellung, Videoproduktion, Museumszeitung etc. abgeschlossen wird. Gerade in solchen Projekten kann und sollte eine produktive Begegnung mit dem Fremden stattfinden. Einige Projekte im Modellversuch haben erste Ansätze einer so verstandenen Zusammenarbeit mit Schule erprobt. Insgesamt zeigt die Praxis des Modellversuchs aber, daß auf beiden Seite - Schule und Museum - noch erhebliche Defizite und großer Entwicklungsbedarf existieren.

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(1) Die folgenden Projekte haben wir dem Aufgabenfeld 'Verständigung' zugeordnet: Museum des Landkreises Esslingen für ländliche Kultur, Stadtmuseum Esslingen, Adelhausermuseum Freiburg, Städtische Kunsthalle Mannheim, Museum im Ritterhaus Offenburg, Hegau-Museum Singen, Heimatmuseum Tuttlingen, Ulmer Museum. (2) Ablauf und Ergebnisse des Esslinger Projektes sind in einer Diplomarbeit dokumentiert worden. Dadurch ergibt sich die (seltene!) Gelegenheit, in einem museumspädagogischen Ausstellungsprojekt gewonnene Erfahrungen in einer systematisch aufbereiteten Form genauer kennenzulernen: Christiane String, Ansätze interkultureller Museumspädagogik. Theoretische Grundlagen und Analyse anhand des Projektes 'Heute frische Heimat!' am Stadtmuseum Esslingen. Unveröff. Diplomarbeit, Philipps-Universität, Marburg 1996 (3) Ulla von Gemmingen, Diese Farbe ist mir wie Deine grüne Augen..! Museumswerkstatt mit Ausländern, Leske und Budrich, Opladen 1990

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