April H e r a u s g e g e b e n v o n P r o j e k t I n f o r m a t i o n e. V

PROJEKT INFORMATION Projekt Information Jahrgang 9, Nr.2 März / April 2001 Herausgegeben von Projekt Information e.V. Betroffene informieren Betro...
Author: Joachim Boer
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PROJEKT INFORMATION Projekt Information

Jahrgang 9, Nr.2

März / April 2001

Herausgegeben von Projekt Information e.V.

Betroffene informieren Betroffene Jahrgang 9, Nr.2

März / April 2001

Strukturierte Therapiepausen (STIs) Starkes Bedürfnis, wachsende Erkenntnisse und viele offene Fragen von Dr. Helmut Ließ Ein Bericht vom Retroviruskongress in Chicago (4. – 8. Februar 2001). Kaum ein Thema im HIV-Bereich wird bei Patienten und Ärzten derzeit so viel diskutiert wie die sogenannten ”Therapiepausen”. Bei vielen Patienten besteht aus den verschiedensten Gründen ein Bedarf dafür. Oft erfolgt die Therapiepause, ohne dass der behandelnde HIVArzt etwas davon erfährt, aus Angst des Patienten vor unangenehmem Erklärungsbedarf. Seitens der Ärzte besteht das Bedürfnis, dem Patienten eine fundierte medizinische Betreuung zu geben, die in erster Linie darauf abzielt, ihn im Angesicht einer sonst zumeist tödlich verlaufenden Erkrankung über lange Zeit Gesundheit bei guter Lebensqualität zu ermöglichen. HIV soll damit in eine chronische, behandelbare Erkrankung mit möglichst geringem oder sogar fehlendem Krankheitsgefühl als auch Krankheitserleben umgewandelt werden. Bei einer Therapiepause handelt es sich ausdrücklich nicht um das Auslassen der Medikamente zu einzelnen Einnahmezeitpunkten oder von einzelnen Medikamenten, während

die anderen Tabletten eingenommen werden. Therapiepausen bezeichnen ein komplettes Absetzen aller Medikamente für einen unbestimmten Zeitraum. Angesichts der Tatsache, dass eine Eradikation (Ausrottung) des Virus mit den heute hoch wirksamen Therapien (HAART) nach neueren Erkenntnissen (noch?) nicht möglich zu sein scheint und im Rahmen einer Langzeittherapie auch Langzeitnebenwirkungen bei einer großen Anzahl von Patienten zu erwarten sind, erscheint es absolut notwendig, Therapiepausen als alternatives Therapiekonzept zu untersuchen. Auch von Ärzten wird sie in bestimmten Situationen bereits heute oft erwogen, wobei der Begriff ”strukturierte” oder ”überwachte Therapiepause” geprägt wurde. Dieser Zusatz kennzeichnet das Bestreben, solche Pausen möglichst kontrolliert und gemeinsam, falls als notwendig erkannt, mit dem behandelnden Arzt und unter engmaschiger Kontrolle des Gesundheitszustands, des Labors, der Helferzellen und der Virusbelastung durchzuführen. Dies soll weitgehend sicherstellen, einen möglichen Schaden des Patienten durch diese Pausen zu vermeiden.

Inhalt Strukturierte Therapiepausen (STIs) - Starkes Bedürfnis, wachsende Erkenntnisse und viele offene Fragen ................. 1 Editorial .................................... 2 HIV und sexuelle Funktionsstörungen .................................. 10 Therapie im Wandel – Neue Konzepte führen zum Erfolg ..... 12 Das Einmaleins der Leberwerte ............................... 13 ‚Blips‘ und das Risiko eines weiteren Anstiegs der Viruslast .............................. 15 Kaposi-Sarkom:Proteasehemmer-Behandlung kann HHV 8 unter Nachweisgrenze senken ...................................... 16 Absetzen von Lamivudin könnte das Hepatitis B Virus bei PatientInnen mit HIV reaktivieren. ....................... 16 Welche Nukleosidanaloga sind als Basis einer antiretroviralen Therapie am wirksamsten? ....... 16 Interview: “Aids läuft Gefahr, verdrängt zu werden!” ............... 17 Debatte mit klarem Pluspunkt für HIV-Positive ........................ 18 Sozialpolitische Nachrichten ..... 19 Verschiedenes .......................... 20 Klinische Endpunktstudie zu Interleukin-2 .............................. 20 Hilft niedrig dosiertes Naltrexon gegen Lipodystrophie? ............. 20 Lebenselixier Wasser ............... 21 Leserbrief “Aufkündigung der Solidarität” ................................. 22 Veranstaltungskalender bundesweit ............................................ 22 Patientenschutzbund ................ 23 Workshops .............................. 24 Veranstaltung Therapiehotline .. 25 Die Ergebnisse der Leserumfrage ............................ 26 Vereinsmitteilung .................... 27 Vollmacht ................................. 28 Impressum ................................ 28

(Fortsetzung Seite 3) Herausgeber: Projekt Information e.V. • Ickstattstraße 28 • 80469 München • www.projektinfo.de Telefon: 089 / 21 94 96 20 • Fax: 089 / 21 03 12 35 • email: [email protected]

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Editorial Liebe LeserInnen, wie in der letzten Ausgabe schon angekündigt, hat sich das Team von ‚Projekt Information‘ vergrößert. Einer der Neuen bin ich: Siegfried Schwarze, 36. Schon während meines Biologiestudiums faszinierten mich Mikrobiologie, Virologie, Immunologie und Genetik und ihre Bedeutung für die Medizin. Von Anfang an verfolgte ich die Arbeit von ‚Projekt Information‘, bewunderte den Elan von Leuten wie Tex Weber und Peter Lechl und langsam reifte in mir der Wunsch, auch meinen Teil beizutragen und mein Wissen und meine Erfahrung aus 10 Jahren Tätigkeit in der Pharmaindustrie einzubringen. Es ist ja nicht immer ganz einfach, die vielfältigen und oft verwirrenden wissenschaftlichen Daten in praktische Empfehlungen zu übersetzen oder, wo das nicht möglich ist, zumindest für eine verständliche Darstellung zu sorgen. So war auch in diesem Jahr der Welt-AIDS-Kongress in Chicago geprägt von einer überwältigenden Fülle von Detailinformationen. Freilich, eine echte Sensation, wie vor fünf Jahren die Einführung der Proteasehemmer, gab es nicht, aber auch kleine Schritte können sich langfristig als wertvoll erweisen. Nachdem immer deutlicher wird, dass die Hochaktive Antiretrovirale Therapie (HAART) zwar bei den meisten Patienten zu einer deutlichen Verbesserung der HIV-Symptome führt, aber langfristig doch auch bei vielen mit ziemlichen Nebenwirkungen behaftet ist, sucht man nach Alternativen. Ein vieldiskutierter Ansatz sind Therapiepausen. Im Leitartikel dieser Ausgabe von ‚Projekt Information‘ erläutert Ihnen Dr. Ließ detailliert die verschieden Aspekte und die aktuelle Datenlage. Wir wollten Ihnen diesen höchst informativen Artikel nicht vorenthalten. Doch wir wissen auch, wie schwerverdaulich solche Brocken sind, deshalb werden derart umfangreiche Darstellungen eine Ausnahme bleiben. Gerade jetzt, wo eigentlich Frühjahrsgefühle aufkeimen sollten, können sexuelle Funktionsstörungen einem das Leben vermiesen. Welchen Anteil daran HIV und die Medikamente haben, ist sicher individuell recht unterschiedlich. Wir beleuchten in einem Artikel die möglichen Ursachen und wie man Abhilfe schaffen kann. Um Ihnen das Verständnis der Laborergebnisse bei Bluttests zu erleichtern, werden wir in lockerer Folge die einzelnen Laborwerte und ihre Bedeutung erläutern. Zum Einstieg in diese Reihe beginnen wir mit den Leberwerten,

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die an sich schon wichtig sind, aber durch die zusätzlichen Probleme mit den verschiedenen Hepatitis-Formen noch an Bedeutung zunehmen. Wenn auf dem Laborzettel die Viruslast auf einmal wieder über der Nachweisgrenze liegt, mag mancher in Panik geraten. Doch neuere Untersuchungen zeigen, dass man gute Chancen hat, das Virus wieder unter Kontrolle zu bekommen. Unser Beitrag über vorübergehende Viruslastanstiege, sogenannte ‚Blips‘ bringt Sie auf den neuesten Stand. Und endlich mal eine gute Nachricht: Die Verbesserung der Immunfunktionen durch eine antiretrovirale Therapie helfen auch, andere Viren besser in Schach zu halten, so z.B. das Herpesvirus 8 (HHV-8), das für die Entstehung des Kaposi-Sarkoms mitverantwortlich gemacht wird. Das bringt uns zur Gretchenfrage, welche antiretrovirale Therapie denn die beste sei. Zumindest für das ‚Rückgrat‘ der Therapie, also die Kombination aus zwei Nukleosidanaloga, gibt es inzwischen eine klare Antwort: Kommt darauf an. – Wirksam sind sie wohl alle gleich, also muss als Entscheidungskriterium die individuelle Verträglichkeit herangezogen werden. Wir liefern Ihnen die aktuellen Studienergebnisse. Doch nicht nur aus der Wissenschaft, auch aus der Sozialpolitik gibt es Berichtenswertes: Stefan Boes hat für Projekt Information die Staatssekretärin im bayerischen Gesundheitsministerium interviewt. Die Antworten geben einen Eindruck, wie Politiker derzeit mit HIV und AIDS umgehen, auch außerhalb Bayerns. Ein weiteres Stimmungsbild haben wir von Ihnen, liebe LeserInnen, erhalten: Die Ergebnisse unserer Leserumfrage aus dem letzten Heft. Vielen Dank an alle, die sich die Mühe gemacht haben und uns wertvolle Hinweise gegeben haben, wie wir ‚Projekt Information‘ noch interessanter gestalten können. Teilen Sie uns Ihre Kritik, Ihre Anregungen (und gerne auch Ihr Lob) ruhig öfter mit, auch außerhalb unserer Umfragen: Per Brief, Fax, EMail, Telefon oder auch persönlich. Je mehr Sie sich einbringen, desto besser können wir unsere Arbeit auf Ihre Bedürfnisse hin ausrichten. Ihr Siegfried Schwarze

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Die klinische Wissenschaft ist nun darum bemüht, das Konzept der Therapiepausen auf eine solide Basis zu stellen, um positive Effekte herauszuarbeiten und schädliche Folgen zu vermeiden. Jede Therapiepause ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Experiment oder Versuch anzusehen, da die dringend notwendigen wissenschaftlichen Daten für eine fundierte Anwendung derzeit noch nicht ausreichen, um Therapiepausen allgemein zu empfehlen. Der folgende Beitrag möchte versuchen, die verschiedenen Situationen, unter denen Therapiepausen erwogen werden, zu definieren. Daran orientierend werden die unterschiedlichen wissenschaftlichen Ziele des jeweiligen Vorgehens dargestellt. Nur durch eine genaue Bestimmung der jeweiligen Ausgangslage werden die HIV-Ärzte in die Lage versetzt, für jeden einzelnen Patienten und dessen individuelle Situation eine vernünftige Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen sowie eine entsprechende Empfehlung aussprechen zu können. D.h., die (erwarteten) wissenschaftlichen Ergebnisse geben die grobe Richtung auch für die Entscheidung in der individuellen Situation vor, um eine optimales Vorgehen für jeden Patienten zu ermöglichen und Schaden von ihm abzuwenden. Alle Jahre wieder treffen sich rund 3.000 Grundlagenforscher, klinisch tätige Ärzte und HIV-Spezialisten beim renommierten Retrovirus-Kongress in den USA. Hier werden die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der HIV-Medizin kommuniziert. Dieser Kongress dient den teilnehmenden Ärzten unter anderem als Grundlage für eine verbesserte Betreuung von Menschen mit HIV und AIDS. Auch in diesem Jahr fand der Kongress unter reger Beteiligung deutscher Ärzte aus Klinik und Praxis im winterlichen Chicago statt. Im folgenden sollen nun die Informationen zum diskutierten Thema ”Therapiepausen” anhand der wesentlichen Vorträge namhafter, führender Wissenschaftler auf diesem Gebiet zusammengefasst dargestellt werden. Damit soll allen Interessierten eine bessere Beurteilung des Wissenstandes ermöglicht werden. Die verständliche Darstellung der inzwischen vorhandenen Daten soll die Chancen, aber auch Gefahren dieses immer noch als experimentell (bedeutet: im Versuchstadium befindlich) zu bezeichnenden Behandlungsansatzes aufzeigen. Grundsätzlich, und dies hat große praktische Bedeutung, sind folgende Gruppen von Patienten mit HIV/ AIDS hinsichtlich einer strukturierten Therapiepause

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(im Englischen ”Structured Treatment Interruption” oder einfach abgekürzt ”STI” genannt) im Hinblick auf die verschiedenen Ziele dieser Strategie zu unterscheiden: Gruppe 1 (nur sehr wenige Patienten): Patienten mit einer akuten HIV-Infektion, d.h. sehr kurz nach der Ansteckung. Diese Patienten haben meist akute Beschwerden, vergleichbar einer VirusGrippe mit Krankheitsgefühl und Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen, Lymphknotenschwellungen und möglicherweise Hautausschlägen (Exanthem). In dieser Situation ist der HIV-Antikörper-Test oft noch negativ. Daher sollte bei hinreichendem Verdacht, z.B. nach einer Nadelstichverletzung oder ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit einer (möglicherweise) infizierten Person der direkte Nachweis von VirusErbmaterial im Blut erfolgen (z.B. mittels PCR-, bDNA- oder NASBA-Test beim Spezialisten). Gruppe 2: Patienten mit einer bereits chronischen HIV-Infektion. Diese Patienten sind oft bereits seit mehreren Jahren infiziert und noch nicht krank. Sie befinden sich in der meist langen Phase, in der die HIV-Infektion sozusagen still ist (sogenannte Latenzphase). Der Immundefekt ist oft noch nicht so ausgeprägt. Die Patienten sind meist unterschiedlich lang behandelt. In den vorliegenden Studien werden bisher beinahe ausschließlich Patienten mit nicht nachweisbarer Virusbelastung unter wirksamer Therapie berücksichtigt. Erkenntnisse über Patienten mit nachweisbarer Virusbelastung gibt es in dieser Gruppe kaum. Gruppe 3: Patienten, die bereits einen ausgeprägten Immundefekt aufweisen (Helferzellen weniger als 200/µl Blut), meist bereits seit längerer Zeit behandelt sind und möglicherweise schon an Krankheiten leiden oder litten, die als AIDS-definierend bezeichnet werden, z.B. Lungenentzündung (PCP), Gehirnentzündung (Toxoplasmose) oder Netzhautentzündung der Augen mit CMV (Cytomegalievirus) u.a.. Diese Patienten haben die größten Probleme von den genannten Gruppen mit der Behandlung und wünschen sich oft, die Tabletten aus den verschiedensten Gründen, zumindest vorübergehend, absetzen zu können. Bei diesen Patienten wären Therapiepausen also von besonderer Bedeutung. Leider ist gerade in dieser Gruppe der Patienten die Datenlage sehr ungenügend und die Erkenntnisse stützen sich meist auf Einzelfallbeispiele. Kontrollierte Studien gibt es bisher nicht. Dem jeweils möglichen Nutzen der jeweiligen Therapiepausen z.B. 3

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bei Patienten der Gruppe 1 und nur hier, denen eine möglicherweise verbesserte und verstärkte HIV-Abwehrsituation infolge zeitweiser Herausforderung des Immunsystems durch eigenes HIVirus zuteil wird – die sogenannte ”Autovaccination”; das Virus steigt in den Therapiepausen wieder an, nachdem es vorher medikamentös unterdrückt war und löst damit auch eine Immunreaktion aus, die in der Folge das Virus besser kontrollieren hilft (immunologischer Ansatz), bei den Patienten aller Gruppen, die eine längere Zeit ohne Medikamenteneinnahme und damit möglicherweise weniger Langzeitnebenwirkungen (Medikamenten-sparender Ansatz) und besonders bei Patienten der Gruppe 3 mit möglicherweise verbessertem Ansprechen auf eine erneute Therapie, da sich die Viren, die noch empfindlich auf Medikamente reagieren gegen die unempfindlichen (resistenten) Viren in der Therapiepause durchsetzen können; das sogenannte ”Wildtypvirus” setzt sich wieder durch, nachdem der Überlebensvorteil der unempfindlichen (resistenten) Viren unter den weggefallenen Medikamenten nicht mehr vorhanden ist (virologischer Ansatz). Die bisher berichteten Therapiepausen (Auflistung von Einzelfällen, bisher gibt es keine kontrollierten klinischen Studien) betragen in dieser Gruppe meist etwa 2 bis 4 Monate und sind damit, entsprechend den unterschiedlichen Zielen, länger als bei den Therapiepausen anderer Gruppen.

stehen mögliche Risiken, die bisher noch nicht hinlänglich bekannt sind, gegenüber, z.B. · durch das An- und Absetzen der Therapie setzt eine möglicherweise sogar neue Resistenzentwicklung (das Virus wird unempfindlich gegen Medikamente bei vorher noch nicht bestehender Resistenz) aufgrund vorübergehender ungenügender Medikamentenspiegel im Blut ein (bei kurzzeitigeren Pausen wie in Gruppe 1 und 2), · ein möglicher Helferzellverlust in den Therapiepausen, der nicht wieder gewonnen werden kann nach erneutem Behandlungsbeginn und damit verbunden, eine mögliche Gesundheitsverschlechterung wie z.B. 4

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besonders bei Patienten der Gruppe 3 mit dem Auftreten sogenannter ”opportunistischer Infektionen”, d.h. gefährlicher Erkrankungen aufgrund eines weiteren Verlustes von Helferzellen in den Therapiepausen (hierzu gibt es z.B. bereits Erkenntnisse aus der Universitätsklinik in Frankfurt).

Therapiepausen bei akut infizierten Patienten (Gruppe 1) Dr. Bruce Walker, der sich an der Harvard Universität mit den Therapiepausen und den immunologischen Effekten (d.h. den Wirkungen auf das Immunsystem) speziell bei neu infizierten Patienten (Gruppe 1) beschäftigt, stellte in einem sehr guten Übersichtsvortrag seine Sichtweise, seine Fragen und seine vorläufigen Ergebnisse bei 14 frisch infizierten Patienten in einer Studie mit STIs (Therapiepausen) dar. Im Rahmen seiner Untersuchungen zielt er besonders ab auf ·

die Aktivierung der Immunantwort durch STI bei dieser Gruppe der frisch HIV-infizierten Patienten.

Der Sinn seiner Untersuchungen ergibt sich aus der Tatsache, dass der von den HIV-infizierten Zellen produzierte Virusspiegel im Blut wirksam durch das Immunsystem beeinflusst werden kann. Die Frage, die sich daraus ergibt lautet: Ist das Immunsystem jemals in der Lage, bei diesen Patienten HIV wirksam zu kontrollieren (d.h. die Viruslast selbständig zu unterdrücken)? Abb.1: Schema der Immunabwehr bei HIV-Infektion

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Es ist bekannt, dass die Virusspiegel bei verschiedenen Patienten konstant unterschiedlich hoch sind, was zu der Vermutung Anlass gibt, dass jeder Mensch ein unterschiedlich aktives und gegen HIV wirksames Immunsystem aufweist. Bei der Abwehr des HI-Virus werden sowohl ”neutralisierende Antikörper” (d.h. Eiweißstoffe, die in der Lage sind, Viruspartikel zu beseitigen) gebildet, die allerdings nur schwach zur Kontrolle von HIV im Körper beitragen, als auch sogenannte ”Zytotoxische T-Zellen” (CTLs), die infizierte Zellen an bestimmten auf der Oberfläche vorhandenen Signalen erkennen und zerstören können, bevor sie Viruspartikel produzieren können. Die CTLs wiederum sind abhängig von der Aktivierung durch spezialisierte Helferzellen (CD4+), welche jedoch wirksam vom HI-Virus geschädigt und zerstört werden, sodass der gesamte Abwehrprozess gegen HIV behindert wird (s. auch Abb. 1). Außerdem nistet sich HIV frühzeitig in den so genannten ”Reservoirs” ein. Das sind Zellen, die sich über lange Zeit still verhalten, sich gleichsam in einem Ruhestadium befinden und daher auch nicht von der körpereigenen Abwehr als infiziert erkannt werden. Diese Prozesse laufen bereits sehr frühzeitig nach einer HIV-Infektion ab und können möglicherweise durch eine sehr frühe und wirksame Therapie verhindert oder zumindest abgeschwächt werden. Hierfür gibt es bereits mehrere Hinweise aus Studien bei Tieren und HIV-infizierten Patienten. Die logische Konsequenz daraus ist, zu fragen, ob bei erhaltener Immunfunktion nach frühzeitiger Therapie eine ”überwachte” Therapieunterbrechung zu einer gesteigerten HIV-Kontrolle führen kann, oder anders gefragt: führt eine kontrollierte Herausforderung des Immunsystems durch HIV (d.h., man lässt das Virus nur auf bestimmte Spiegel wieder ansteigen, bevor mit der Therapie erneut begonnen wird) zu einer verstärkten und wirksameren Immunität?

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HIV-Erbmaterial (HIV-RNA) im Blut nachweisbar. Diese Patienten wurden zunächst 8 Monate mit einer hoch-wirksamen Medikamenten-Kombination behandelt und durften als Vorraussetzung für die Therapiepause keine nachweisbare Virusbelastung aufweisen, d.h. die Viruskonzentration befand sich durchgehend unter der Nachweisgrenze in den empfindlichsten Tests. Folgende Bedingungen gelten für die Therapiepausen: steigt die Virusbelastung während der Therapiepause auf Werte über 5.000 Kopien (3 mal gemessen innerhalb von 3 Wochen) oder einmalig über 50.000 Kopien an, so wird die Therapie sofort wieder begonnen. Nach einer Zeit erneuter Behandlung wird eine erneute Therapiepause unter den selben Bedingungen durchgeführt. Das Ziel ist, eine dauerhafte Kontrolle des HI-Virus und/oder von Zyklus zu Zyklus eine verstärkte HIVspezifische Immunantwort zu erreichen mit nachfolgender konstanter Viruskontrolle während einer Therapieunterbrechung, d.h. die Viruskonzentration bleibt kleiner als 5.000 Kopien. Daten von bisher 14 Patienten, die im Durchschnitt 574 Tage behandelt wurden (Spanne: 270 – 1081 Tage) wurden auf dem Kongress präsentiert. Die durchschnittliche Virusbelastung bei Therapiebeginn lag bei 10 Millionen Kopien/ml, was den sehr frühen Zeitpunkt der Infektion mit sehr hohem Virusspiegel belegt (zu Beginn einer HIV-Infektion ist die Virusbelastung oft extrem hoch, bis sie vom aktivierten Immunsystem teilweise reduziert werden kann). Die Virusbelastung wird bei allen Patienten zweimal pro Woche gemessen. Zunächst wurde nun geschaut, bei wie vielen Patienten das Immunsystem in der Lage war, bereits nach

Um diese Frage zu klären wird aktuell die bereits erwähnte Studie bei Patienten durchgeführt, die sich frisch mit HIV infiziert haben und bei Einschluss in die Studie noch Antikörper-negativ gegen HIV waren. Dafür war aber bereits 5

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einmaligem Absetzen der Therapie ( = 1. Therapiepause) HIV zu kontrollieren. Dies war bei 6 von 13 Patienten der Fall (Abb. 2). Sie waren zum Zeitpunkt der vorläufigen Auswertung dieser noch laufenden Studie zwischen 80 und 450 Tagen in Therapiepause. Ein Patient wurde nicht ausgewertet, da er bereits nach 28 Tagen die Therapie und damit die Studie vorzeitig abgebrochen hatte. 7 von 14 Patienten stiegen bei 3 aufeinander folgenden Messungen in der ersten Therapiepause mit der Viruslast deutlich über 5.000 bzw. 50.000 Kopien an und mussten nach den Studienkriterien wieder therapiert werden. Von diesen 7 Patienten kontrollierten 5 Patienten bei der nächsten Therapiepause ihr HIVirus. 2 Patienten stiegen wieder mit der Viruslast an und mussten erneut auf Therapie gesetzt werden, ein Patient hiervon allerdings erst nach etwa 200 Tagen. Tab. 1 fasst die vorläufigen Ergebnisse der Studie bei 14 Patienten zusammen. Pat. AC-13 kontrollierte die Virusbelastung zwar (nur 645 Kopien/ml), entschied sich aber dennoch, die Therapie wieder aufzunehmen, weil er keinerlei Virusbelastung tolerieren wollte. Tab. 1 Zusammenfassung der 14 Patienten mit Anzahl der bisherigen Therapiepausen und derzeitigem Therapiestatus (Ohne = Therapiepause, Mit = Patient wird behandelt), Dauer der Pause und aktueller Virusbelastung (RNA Kopien/ml)

Pat.Nr.

AC-10 AC-15 AC-16 AC-33 AC-45 AC-46 AC-13 AC-02 AC-25 AC-26 AC-04 AC-06 AC-14 AC-05

Anzahl der bisherigen Pausen 1 1 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 4

Derzeitiger Tage ohne Viruslast Therapie- Therapie status Ohne Ohne Ohne Ohne Ohne Ohne Ohne-Mit* Ohne Ohne Mit Ohne Ohne Ohne Ohne

445 71 441 166 28 96 267 352 2 2 2 129 128

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