Anthroposophie, Wissen- und Zeitgenossenschaft

Ruth Bamberg





Vom 22. - 23.9 fand die „Fachtagung Anthroposophie im Hochschulkontext Herausforderung und Chance“ an der Fachhochschule Ottersberg in Kooperation mit der Alanus Hochschule statt.

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Im Programm heißt es: "Anthroposophische Konzepte und Theorien haben sich weitgehend isoliert von akademischen Diskursen und zeitgenössischer Kulturpraxis entwickelt. Daher fehlen künstlerischer und wissenschaftlicher Praxis die dialogischen Korrektive, die in einer kritisch konstruktiven Auseinandersetzung mit anderen Positionen gewonnen werden können. Einer solchen Auseinandersetzung möchten wir mit der Initiative zu dieser Tagung Raum bieten. Sie eröffnet einen Dialog über die möglichen Funktionen und Chancen der Anthroposophie im Kontext der Hochschulbildung und fragte zugleich nach den Kriterien, an denen die Zukunftsfähigkeit und Weiterentwicklung der Anthroposophie in öffentlichen wissenschaftlichen und künstlerischen Diskursen zu messen ist." Kein einfaches Unterfangen Anthroposophie, Wissenschaft und Zeitgenossenschaft unter einen Hut zu bringen, erwartungsvoll fuhr ich in das etwa 35 km von Bremen entfernt liegenden Ottersberg. Welche Verknüpfungen würden sich zeigen?

Während der Tagung wurde das anthroposophische Terrain im akademischen Kontext von einer Vielzahl von Wissenschaftlern und einem Künstler in nur zwei Tagen deutlich umrissen. In 20 Kurzvorträgen à 20min, aufgeteilt in 5 Vortragsblöcke mit anschließendem Diskussionsteil und Publikumsbeteiligung (1), kamen nicht nur anthroposophisch Tätige zu Wort, sondern auch jene, die sehr unterschiedliche Berührungspunkte mit anthroposophischen Inhalten haben. Unmöglich für mich, das was angesprochen, in Frage gestellt und angeregt wurde in wenigen Sätzen zu skizzieren. Es zeigten sich eine Reihe von richtiger aber einander Widerstand leistender Antworten auf die schlichte Frage: Was ist Anthroposophie? Das Antwortenspektrum deckte Konzept, Methode, individuellen Schulungsweg, Welt- und Menschenbild, Heilmittel, spirituelle Lebenshaltung u.a. mühelos ab. Es wurde aber keine einheitliche Antwort gesucht, sondern es galt unausgesprochen, so mein Eindruck: die Anthroposophie ist ein reiche Landschaft deren Erschließung in den verschiedenen, stets ineinander wirkenden Lebensfeldern vorgenommen wird. Ich kann diesen Eindruck gut aushalten und erlebe ihn nicht als erklärungsbedürftig. Sogar erscheint mir die Beweglichkeit zwischen einzelnen Positionen als originär anthroposophische Sphäre. Aber es bleibt auch manches notwendigerweise nur unbeweglich nebeneinander stehen, bspw. das der Waldorfpädagogik zugrunde liegende Menschenbild und die empirische Sozialforschung im Waldorfkontext. Ob eine Verbindung überhaupt möglich, nützlich oder erforderlich ist kann ich nicht beurteilen.

Man konnte während der Fachtagung erleben, wie anthroposophisches Know-how auf Augenhöhe mit dem herrschenden Wissenschaftsbetrieb kommuniziert wurde. Es wurde manches vorgestellt. Prominent dabei die Ergebnisse aus Waldorfpädagogik und Anthroposophischer Medizin. Herausragend auch die Leistung der Institute, Hochschulen und Kliniken, die sich allen Widerständen zum Trotz durchzusetzen verstanden haben. Marcello da Veiga, Rektor Alanus Hochschule berichtete vom Akkreditierungsverfahren in dem





vom deutschen Wissenschaftsrat eine Empfehlung für nicht staatliche, private Hochschulen ausgesprochen wird, der betreffenden Hochschule eine staatliche Anerkennung zu kommen zu lassen, welches die Alanus Hochschule erfolgreich durchlaufen hat. Da Veiga betonte, dass man nach reiflicher Überlegung ausdrücklich die Anlehnung in Forschung und Lehre an Rudolf Steiner hervorhob. Ein Wagnis. Doch der Wissenschaftsrat hat im Falle der Alanus die staatliche Anerkennung befürwortet. Darin, so meine ich zeigt sich das Interesse von Seiten "der Anderen" an der Anthroposophie Rudolf Steiners und die Bereitschaft fremde Konzepte nicht a priori auszuschließen. Es ist auch die Einladung an die Anthroposophen, die Anthroposophie, vorstellig zu werden, sich zu zeigen und einzubringen. Ein Fortschritt, will ich meinen. Zu vermissen an dieser Stelle waren Vertreter der Landwirtschaft, worauf möglicherweise die gastgebenden Hochschulen verzichtet haben, weil dieser Bereich sie nicht betrifft, genauso wenig wie andere Naturwissenschaften. Weniger schillernd für mich stellten sich die Ergebnisse aus den Geistes- und Kulturwissenschaften dar, was meines Erachtens nach u.a. der relativen Bedeutungslosigkeit dieses Wissenschaftsbereichs, im allgemeinen öffentlichen Diskurs geschuldet sein mag, wenn man vom Medienrummel und Promiklatsch einmal absieht. Dem desolaten Zustand der Kunst im hermetischen Kunstbetrieb der Gegenwart haben wir leider nur sehr wenig entgegenzuhalten, einzig die Unbrauchbarkeit des Begriffs Anthroposophische Kunst konnte einvernehmlich festgestellt werden.

Eine weiteres kritisches Moment ist mir während der Tagung klar geworden: schon die verschiedenen Haltungen der Vortragenden zur Anthroposophie selbst führen zu allerlei Holpern im Diskurs. Offenbar kann man von außen auf die Anthroposophie schauen, über sie reden ohne die geringste persönliche oder innere Beteiligung zum Ausdruck zu bringen und so klare, objektive und logische Begriffe zur Diskussion stellen. Das kann nüchtern wirken und zudem den Vorwurf einbringen kein „richtiger Anthroposoph“ zu sein. Ebenso offenbar kann man innerlich von der Anthroposophie so durchdrungen sein, dass die ebenso korrekten Begriffe, inspiriert und aus der Erfahrung feurig vorgetragen Gefahr laufen unterzugehen vor allem im Ohre des Zuhörers. Das kann subjektiv wirken und kann zudem den Vorwurf des Sektieres erregen. Eine drittes ist liegt dazwischen: die der Anthroposophie innewohnende Vitalität und die persönliche Verbundenheit mit ihr aus einer gewissen Distanz zum Ausdruck bringen zu können.

Was mir sehr gefehlt hat war die Kunst. Zwar brachte Schauspieler Christopher Marcus einen Beitrag der gänzlich aus seiner Praxis geschöpft war eindrücklich zur Vorstellung. Auch sprach Peter Sinapius von Wahrnehmung, insbesondere eine in der Kunstpraxis übliche. Vielleicht hat sogar die Filmpräsentation von Rüdiger Sünner mit Kunst zu tun. Was mir gefehlt hat war nicht die Kunst als Zuckerguss. Sondern ein gestalterischer Impulse. Der Atempausen einrichten kann, der Räume nicht nur bereitstellt sondern Begegnung ermöglicht, zu Bewegung einlädt und sie nicht nur in Kauf nimmt. Der mich als ganzen

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Menschen involvieren will. Wäre es nicht ein leichtes gewesen die Kunststudenten, die übrigens beinahe gar kein Interesse an der Tagung zeigten, damit zu beauftragen? Das alles ist auf einer Tagung, die sich besonders um Wissenschaft dreht eigentlich überflüssig und wird im Allgemeinen auch so nicht gemacht - d'accord. Aber warum eigentlich nicht? "Beklagenswerter Mensch, der mit dem edelsten aller Werkzeuge, mit Wissenschaft und Kunst nichts Höheres will und ausrichtet als der Taglöhner mit dem schlechtesten; der im Reiche der vollkommenen Freiheit eine Sklavenseele mit sich herumträgt." (2) Ich schweife ab.

Zuletzt noch: Ist es Zufall oder Notwendigkeit, dass in unseren Kreisen manchmal der Eindruck entsteht, dass es keine herausragenden Köpfe auf weiblichen Schultern gibt? Außer Michaela Glöckler war in Ottersberg keine auf dem Podium. Ebenso möchte ich die Abwesenheit der unter 40 Jahre alten Wissenschaftlerinnen in Frage stellen. Es gibt sie. bspw. trifft man sich seit immerhin 2005 regelmäßig zu den Rudolf Steiner Forschungstagen.

Was mir bleibt von der Fachtagung und seither nachwirkt sind Anstöße: Inneranthroposophische Widersprüche konstruktiv nicht nur auszuhalten, sondern nach Wegen zu suchen ihre jeweilige Berechtigung deutlich werden zu lassen. Kritisches Hinterfragen der Anthroposophie von Seiten einer Interessierten Öffentlichkeit als Chance dafür zu sehen, die eigenen Positionen zu schärfen mit dem Ziel, als Partner im Geistesleben des 21. Jh. angekommen zu sein. Die Anthroposophie ist gegenwärtig gefragt ob in ihren Mitteln womöglich ein Nützliches liegt, den Krisen der Gegenwart etwas entgegen halten zu können. Es ist an uns, brauchbare Antworten zu formulieren.

(1) Hier die Übersicht: Durch die Sinne zum Sinn. Anthroposophische Zugänge zu Wissenschaft, Kunst und Leben, Prof. Dr. Rudolf zur Lippe Anthroposophische Impulse in der Gegenwartskunst, Dr. Wolfgang Zumdick Laufen auf Treibsand. Ändere deine Kunst. Ändere dich selbst,

Christopher Marcus Von der Sozialwissenschaft zur sozialen Kunst, Ulrich Rösch Das Menschenbild der Waldorfpädagogik, Prof. Dr. Jost Schieren





Esoterik und Rationalität: ein Widerspruch?, Dr. Karl-Martin Dietz Wissenschaftsbegriff der Anthroposophie, Prof. Dr. Peter Heusser Das anthroposophische Wissenschaftsverständnis, Dr. Helmut Zander Die historische Interferenz im Umgang mit der Anthroposophie – Erfahrungen in Schule, Hochschule und Universität,

Prof. Dr. Wolfgang Schad Film-Präsentation „das kreative“ und Publikumsgespräch,

Rüdiger Sünner

Anthroposophie im Reflex des ‚Waldorf Blog’, Ansgar Martins Vom Nutzen empirischer Forschung in der Waldorfpädagogik, Prof. Dr. Dirk Randoll Wissenschaft für den Menschen, Dr. Michaela Glöckler Poiesis – Forschung als Ereignis, Prof. Dr. Peter Sinapius Anthroposophie und die Uni Witten/Herdecke. Bedingungen und Geschichte, Dr. Konrad Schily Anforderungen an die Vermittlung anthroposophischer Konzepte an einer Hochschule, Dr. med. Wolfram Henn Wie verhalten sich Elitenförderung und Menschenbild? Ein Erfahrungsbericht aus der Hochschule, Prof. Dr. Rainer Jesenberger

(2) Friedrich Schiller, Jena 1789

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